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1) Der Verwaltungsgerichtshof besteht aus fünf Richtern und fünf Ersatzrichtern, die vom Landesfürsten ernannt werden (Art. 96). Die Mehrheit der Richter muss das liechtensteinische Landesbürgerrecht besitzen. Die Mehrheit der Richter muss rechtskundig sein. |
Die näheren Bestimmungen über das Verfahren, über die Ausstandspflicht, über die Entlohnung und über die von den Parteien zu entrichtenden Gebühren werden durch ein besonderes Gesetz getroffen.Further detailed provisions concerning court procedures, the duty of Judges to recuse themselves, remuneration, and fees to be paid by the parties shall be laid down in a specific law. |
1) Im Wege eines besonderen Gesetzes ist ein Staatsgerichtshof als Gerichtshof des öffentlichen Rechtes zum Schutze der verfassungsmässig gewährleisteten Rechte, zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden und als Disziplinargerichtshof für die Mitglieder der Regierung zu errichten. |
Der Staatsgerichtshof besteht aus fünf Richtern und fünf Ersatzrichtern, die vom Landesfürsten ernannt werden (Art. 96). Der Präsident des Staatsgerichtshofes und die Mehrheit der Richter müssen das liechtensteinische Landesbürgerrecht besitzen. Im Übrigen finden die Bestimmungen von Art. 102 sinngemäss Anwendung.The Constitutional Court shall consist of five Judges and five alternate Judges appointed by the Reigning Prince (article 96). The President of the Constitutional Court and the majority of the Judges must be citizens of Liechtenstein. The provisions of article 102 shall apply mutatis mutandis. |
Unbefristete Richterstellen dürfen nur mit Zustimmung des Landtages geschaffen werden.Open-ended judicial positions may only be created with the consent of Parliament. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteDie Bestimmung des Art. 106 LV regelt in knappen Worten die Zustimmungspflicht des Landtages zu unbefristeten Richterstellen. Eine solche Regelung gab es in der Konstitutionellen Verfassung noch nicht. § 33 KonV bestimmte vielmehr, dass die Gerichtsbarkeit im Auftrage des Fürsten durch geprüfte und verpflichtete Richter verwaltet wurde. Eine Mitwirkungspflicht des Landtages war nicht vorgesehen.Die Entstehungsgeschichte der heute geltenden Norm stellt sich nicht unkompliziert dar: Art. 106 LV hatte in der Verfassung von 1921 noch einen völlig anderen Inhalt, indem die richterliche Unabhängigkeit der Mitglieder des Staatsgerichtshofes garantiert wurde. Die Bestimmung gehörte zu Kapitel E des siebten Hauptstückes der Verfassung. In Kapitel F des siebten Hauptstückes bestimmte nachfolgend Art. 107 LV: „Für die Anstellung im liechtensteinischen Staatsdienste ist, unbeschadet weitergehender Bestimmungen dieser Verfassung, das liechtensteinische Staatsbürgerrecht erforderlich; Ausnahmen sind nur mit Zustimmung des Landtages zulässig.“Mit der Verfassungsrevision 2003 wurde u.a. die Organisation der Gerichtsbarkeit geändert und fortan in einem eigenen Hauptstück geregelt. Sodann bildete Art. 106 LV den ersten Artikel des nunmehr neunten Hauptstückes mit folgendem Inhalt: Die Erläuterungen der Initiative des Fürstenhauses begründen diese Änderungen damit, dass der erste Satz des neuen Art. 106 Abs. 1 LV aus dem „alten Artikel über die Beamtenernennungen“ übernommen werde (gemeint ist der frühere Art. 11 LV). Die weiteren Neuerungen im Abs. 1 werden auf die Vorschläge der Verfassungskommission gestützt.[2] Zur Einführung der (neuen) Regelung des Abs. 2 finden sich jedoch keine Erläuterungen.Bereits 2008 wurde diese Regelung abermals geändert.[3] Die bisherige Verfassungsbestimmung, wonach neue ständige Beamtenstellen nur mit Zustimmung des Landtages geschaffen werden dürfen, wurde gestrichen.[4] Dem Bericht und Antrag[5] ist die Auffassung zu entnehmen, nach der es als nicht mehr gerechtfertigt schien, dass der Landtag mit der Zustimmung zu neuen ständigen Stellen befasst werden musste. Die Kontrolle des Landtages über den Stellenplan sollte künftig im Wege der Bewilligung des Landesvoranschlages erfolgen.Ausserdem erachtete die Regierung den Vorbehalt der Zustimmung des Landtages für die Ausnahme vom Erfordernis des liechtensteinischen Staatsbürgerrechtes als nicht mehr zeitgemäss.[6] Die Aufgabe sollte stattdessen von der Regierung wahrgenommen werden. Lediglich für die unbefristeten Richterstellen sollte die Regelung des bisherigen Art. 106 Abs. 2 LV beibehalten werden.[7]II. Die Personalausstattung der JustizA. Die RichterstellenArt. 106 LV verwendet den Begriff der „Richterstelle“. Bemerkenswerterweise wird der Begriff in der liechtensteinischen Rechtsordnung zwar mehrfach verwendet, jedoch nicht definiert. Art. 3 und 5 des Richterbestellungsgesetzes[8] sprechen von Richterstellen, das Richterdienstgesetz[9] knüpft hingegen nur im Zusammenhang mit den Ad-hoc-Richtern (Art. 3 RDG) an den Begriff an. Art. 106 LV bezieht sich lediglich auf die Schaffung der abstrakten Richterstelle. Die Besetzung derselben mit einer bestimmten Person ist Gegenstand des in Art. 96 LV geregelten Verfahrens zwischen dem Richterauswahlgremium, dem Landtag und dem Landesfürsten.Hinsichtlich des Begriffs des „Richters“ ist auf die Ausführungen zu Art. 11 LV zu verweisen:[10] Richter sind entsprechend des Art. 95 Abs. 3 LV jene Organe, die die Gerichtsbarkeit (Landgericht, Obergericht, Oberster Gerichtshof, Verwaltungsgerichtshof und Staatsgerichtshof) in Liechtenstein ausüben.[11] Demgegenüber nicht zu den Richtern zählen die Mitglieder der verschiedenen Beschwerdekommissionen (beispielsweise Beschwerdekommission für Verwaltungsangelegenheiten, Beschwerdekommission für Finanzmarktangelegenheiten, Landesgrundverkehrskommission oder Landessteuerkommission). Der Umstand, dass diese Personen allenfalls Mitglieder eines „Tribunals“ i.S. des Art. 6 EMRK sind, bedeutet indes nicht, dass sie dadurch Richter i.S. des Art. 11 LV oder des Art. 95 LV sind.[12] Keine Richter sind auch Staatsanwälte, Richteramtsanwärter, Kanzleibedienstete und Rechtspraktikanten.[13]Freilich ist Art. 106 LV nicht auf alle Stellen von Richtern anwendbar: Die Zahl der Richter des Verwaltungsgerichtshofes und des Staatsgerichtshofes ist einschliesslich der Zahl der Ersatzrichter nämlich bereits durch die Verfassung (Art. 102 Abs. 1 LV und Art. 105 LV) vorgegeben. Ausserdem ist ihre Amtszeit (fünf Jahre) ebenfalls in der Verfassung verankert (Art. 102 Abs. 2 LV und Art. 105 LV). Eine Änderung der Zahl der Richter an diesen beiden Gerichten würde daher einer Verfassungsänderung bedürfen, sodass Art. 106 LV keine Anwendung finden kann.[14]Im Unterschied dazu wird die Zahl der Mitglieder des Landgerichtes, des Obergerichtes und des Obersten Gerichtshofes nicht durch die Verfassung bestimmt. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass Art. 106 LV auf sämtliche Richterstellen dieser Gerichte anzuwenden ist. Art. 19 GOG[15] bestimmt nämlich, dass das Obergericht aus drei Senaten mit je drei Mitgliedern besteht. Gemäss Art. 18 Abs. 2 GOG bestimmt der Landtag auf Vorschlag der Regierung die Summe der Stellenprozente der vollamtlichen Richter des Obergerichtes. Damit ergibt sich kein weiterer Raum mehr für eine Anwendbarkeit des Art. 106 LV, was freilich nicht schadet: Es ist nämlich der Landtag, der die Zahl der Mitglieder des Obergerichtes in Zusammenhang der Art. 19 und Art. 18 Abs. 2 GOG abschliessend regelt. Für den in Praxis durch nebenamtliche Richter besetzten Obersten Gerichtshof bestimmt Art. 23 GOG, dass dieser aus zwei Senaten mit einem Senatsvorsitzenden, dessen Stellvertreter und vier Oberstrichtern besteht. Somit besteht auch in diesem Fall für eine Anwendung des Art. 106 LV kein Raum.Die Funktionen in den verschiedenen Kommissionen der Landesverwaltung gelten trotz ihrer Unabhängigkeit (wie etwa in der Verwaltungsbeschwerdekommission) nicht als Richterstellen. Somit ist Art. 106 LV in der Praxis lediglich auf das Landgericht anzuwenden, weil es sich um das einzige Gericht handelt, dessen Richterzahl nicht bereits durch die Verfassung oder das Gesetz festgelegt ist.Das Zustimmungsrecht des Landtages bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut ausschliesslich auf die Schaffung neuer unbefristeter Richterstellen. Das Richterdienstgesetz unterscheidet nun allerdings nicht zwischen befristeten und unbefristeten Richterstellen, sondern zwischen vollamtlichen und nebenamtlichen Richtern. Erstere werden gemäss Art. 16 Abs. 1 RDG bis zum Erreichen des Zeitpunkts der Altersgrenze für den ordentlichen Altersrücktritt ernannt, letztere gemäss Art. 16 Abs. 2 RDG für einen Zeitraum von fünf Jahren.Nachdem die Praxis des Nebeneinanders vollamtlicher und nebenamtlicher Richter in Liechtenstein mit der Verknüpfung einer unbefristeten (vollamtliche Richter) und befristeten (nebenamtliche) Richterstelle bereits im Zeitpunkt der Verfassungsrevision 2003, mit welcher die heutige Regelung des Art. 106 LV eingeführt wurde, bestanden hat, ist davon auszugehen, dass die Verfassung auch an diese Unterscheidung anknüpft: Unbefristete Richterstellen sind solche, die vollamtlichen Richtern vorbehalten sind, befristete Richterstellen hingegen solche, die für nebenamtliche Richter oder für Ad-hoc-Richter (Art. 3 RDG) vorgesehen sind.[16]In diesem Zusammenhang ist auf die Meinung Grabenwarters zu verweisen, wonach sich aus dem Zustimmungsvorbehalt Art. 106 LV ergebe, dass die Verfassung „im Prinzip“ von der unbefristeten Bestellung der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit ausgehe.[17] Die Regierung kann demnach durch die Schaffung befristeter Richterstellen das Zustimmungsrecht des Landtages nicht schlechthin umgehen. Eine solche Umgehung wäre in zwei Richtungen hin jeweils problematisch: Einerseits würden sehr lange Befristungen das Zustimmungsrecht praktisch aushöhlen, andererseits sind sehr kurze Fristen im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit kritisch zu betrachten.Allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Verfassungsrevision die Praxis nebenamtlicher Richter im Obergericht (derzeit nur noch teilweise praktiziert) und im Obersten Gerichtshof (sämtliche Richter sind nebenamtlich tätig) einschränken wollte. Die Schaffung befristeter Richterstellen muss nach dem Gesagten daher auf Ad-hoc-Richter gemäss Art. 3 RDG sowie auf nebenamtliche Richter in den übergeordneten Instanzen beschränkt bleiben.[18]Die Schaffung von Richterstellen ist eine besonders sensible Entscheidung angesichts des Umstandes, dass eine Unterversorgung mit Personal die Funktion und das Funktionieren des Rechtsstaates ernstlich untergraben könnte. Ob und wie viele neue Richterstellen geschaffen werden, verbleibt jedoch auf Grund der Entscheidung der Verfassung zunächst im Verantwortungsbereich der Regierung, welche die Zustimmung des Landtages einholen muss.Keiner Zustimmung des Landtages bedarf es demgegenüber, wenn eine bestehende, vakant gewordene Richterstelle neu besetzt wird oder wenn sich die Regierung entschliesst, eine vakant gewordene Richterstelle nicht weiter zu besetzen und damit einzusparen. Dies deshalb, weil der Wortlaut der Verfassung diese Zustimmung ausdrücklich nur bei der Schaffung neuer Stellen vorschreibt. B. Sonstiges PersonalArt. 106 LV bezieht sich ausschliesslich auf Richterstellen. Dies bedeutet, dass der Landtag in der Genehmigung des Voranschlags die im Stellenplan vorgesehenen Kapazitäten für andere Personalkategorien (z.B. Kanzleimitarbeitende) bewilligt. C. Die Zustimmung des LandtagesDie Zustimmung des Landtages erfolgt durch Beschluss (Art. 58 LV). Grundlage des Beschlusses ist die entsprechende Regierungsvorlage, die mit einem Bericht und Antrag zu versehen ist (Art. 14 GVVKG[19]). Der Vorschlag der Regierung wird vom Landtag angenommen oder nicht.[20] Der Landtag kann den Vorschlag insoweit abändern, als beispielsweise statt der beantragten zwei Richterstellen nur eine genehmigt wird. Umgekehrt können statt einer beantragten Richterstelle nicht zwei genehmigt werden. |
Die Organisation der Behörden erfolgt im Wege der Gesetzgebung. Sämtliche Behörden haben unter Vorbehalt staatsvertraglicher Abmachungen ihren Sitz im Lande; kollegiale Behörden sind mindestens mehrheitlich mit Liechtensteinern zu besetzen.The organization of the authorities shall be determined by way of legislation. Subject to treaty agreements, the seat of all authorities must be within the territory of the country; collegial authorities must include at least a majority of Liechtenstein citizens. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteArt. 107 LV lautete in der Verfassung von 1921 wie folgt: „Für die Anstellung im liechtensteinischen Staatsdienste ist, unbeschadet weitergehender Bestimmungen dieser Verfassung, das liechtensteinische Staatsbürgerrecht erforderlich; Ausnahmen sind nur mit Zustimmung des Landtages zulässig.“ Damit fungierte Art. 107 LV neben Art. 93 LV (und Art. 78 LV) als die zentrale personalpolitische Bestimmung der liechtensteinischen Verfassung.[2] Die Einstellung von Staatsbeamten, die nicht über die liechtensteinische Staatsbürgerschaft verfügten, stand somit vor einer doppelten Hürde[3], denn es war ja nicht nur die Zustimmung des Fürsten gemäss Art. 93 LV, sondern auch die des Landtages gemäss Art. 107 LV von 1921 erforderlich.[4] Mit der Verfassungsrevision 2003 wurde im nun neuen IX. Hauptstück der Verfassung der bisherige Art. 107 LV inhaltlich in den Art. 106 LV übernommen.[5]In den neuen Art. 107 LV wurde weitgehend der Regelungsinhalt des bisherigen Art. 108 LV inkorporiert, der besagte: II. Die gesetzliche Regelung der BehördenorganisationA. Verhältnis zu Art. 94 LV Der erste Satz des Art. 107 LV bewegt sich in einem Konkurrenzverhältnis zu Art. 94 LV, der Ähnliches festschreibt, nämlich, dass die Verwaltungsorganisation durch Gesetz zu regeln ist. Obwohl die Begriffe der Verwaltungsorganisation und der Behördenorganisation nicht deckungsgleich sind, ist der von der Verfassung intendierte Unterschied (zumindest auf den ersten Blick) nicht klar ersichtlich. Organisationsrechtlich sind Gerichte nicht als Einrichtungen der Verwaltung, wohl aber als Behörden zu betrachten, während Einrichtungen der nichthoheitlichen Verwaltung Gegenstand der Verwaltungsorganisation, aber eben keine Behörden sind.[7] Dieser Schluss ist in der Verfassung selbst angelegt, denn so ist etwa das IX. Hauptstück mit „Von den Behörden und Staatsbediensteten“ tituliert. Bei der Interpretation ist daran anzuknüpfen, dass der Gesamtzusammenhang des damaligen Art. 108 LV und heutigen Art. 107 LV einen wesentlichen Punkt der sogenannten „Schlossabmachungen“ von 1920 beinhaltete, nämlich die Verlagerung aller Behörden (insbesondere auch der Gerichte!) nach Liechtenstein und ihre Besetzung mehrheitlich durch Liechtensteiner.[8] Bereits das 9-Punkte-Programm des Landtages vom Dezember 1918, dem Fürst Johann II. die Zustimmung erteilte hatte, enthielt in Pkt. 7 die Forderung, wonach sämtliche politischen und gerichtlichen Instanzen in das Land zu verlegen sind. „Bei der Organisation dieser Behörden soll unser Kriminalgericht als Vorbild genommen und (sollen) also neben Berufsrichtern auch Laienrichter aus dem Lande aufgenommen werden.“[9] Von besonderer Bedeutung war den treibenden Kräften der neuen Verfassung, dass die Hofkanzlei in Wien als staatliches Organ beseitigt würde.[10] Pkt. 4 der Schlossabmachungen enthielt schliesslich die Formulierung, dass sämtliche Verwaltungs- und Justizbehörden mit Ausnahme des obersten Gerichtshofes in Zivil- und Strafsachen in das Land zu legen und kollegiale Behörden mehrheitlich mit Liechtensteinern zu besetzen seien.[11]Genau dies soll Art. 107 erster Satz LV durch den Vorbehalt des Gesetzes sicherstellen, während Art. 94 LV die Verwaltungsorganisation im Allgemeinen meint.Der historische Verfassungsgeber hatte mit dem Begriff der „Behörde“ unverkennbar alle staatlichen Einrichtungen, die in irgendeiner Form Hoheitsgewalt ausüben, im Blick. Er verwendet somit den Begriff „Behörde“ wie er heute im Allgemeinen Verwaltungsrecht verstanden wird, als einer staatlichen Einrichtung, die Hoheitsgewalt ausübt.Demgegenüber kann man der Verfassung nicht unterstellen, dass sie untersagen wollte, wenn der souveräne Staat Liechtenstein in anderen Staaten Botschaften oder vergleichbare Einrichtungen unterhält. Damit wird nicht gegen Art. 107 LV verstossen.B. Der Sitz der BehördenArt. 107 zweiter Satz LV bestimmt, dass sämtliche Behörden, soweit nicht staatsvertraglich anderes geregelt, ihren Sitz in Liechtenstein haben müssen. Diese Anordnung richtet sich, wie aus dem Gesagten (siehe Kapitel A) hervorgeht, sowohl an Gerichte als auch an Verwaltungsbehörden. Der Sitz einer Behörde besteht nicht nur in ihrer postalischen Adresse. Die Behörde muss an ihrem „Sitz“ ihre wesentliche Tätigkeit entfalten, also ihre Beschlüsse fassen. Es wird dagegen nicht verlangt, dass alle Behördenorgane an ihrem Sitz tätig sind. Dies wäre für den Kleinstaat, in welchem verschiedene Behörden durch nebenamtliche Organe geführt werden, auch höchst unpraktisch.Der Vorbehalt zugunsten staatsvertraglicher Abmachungen betrifft in erster Linie den Zollvertrag. Aus diesem ergibt sich, dass für Liechtenstein in den dort geregelten Angelegenheiten die Entscheidungen der Schweizer Behörden bindend sind, obwohl diese ihren Sitz nicht in Liechtenstein haben. Desgleichen ergeben sich aus dem EWRA, der EMRK und anderen Staatsverträgen völkerrechtliche Verpflichtungen, die Entscheidungen von (supranationalen) Gerichten und anderen internationalen Organen (auf nationaler Ebene) als bindend anzuerkennen.Eine solche staatsvertragliche Abmachung liegt im Übrigen auch hinsichtlich der Häftlinge vor, die auf Grund des Vertrags mit Österreich über die Unterbringung von Häftlingen[12] in eine österreichische Strafanstalt überstellt werden, für welche dadurch auch die österreichischen Strafvollzugsbehörden (vgl. Art. 5 des Vertrags) zuständig werden. Gleiches gilt für die Leistung von Rechtshilfe durch ausländische Behörden.C. Die Besetzung von Behörden1. Kollegiale und monokratische BehördenArt. 107 dritter Satz LV bestimmt, dass kollegiale Behörden mindestens mehrheitlich mit Liechtensteinern zu besetzen sind.[13] Dabei kommt es nicht auf den Wohnsitz, sondern lediglich auf die Staatsangehörigkeit an. Das EWR-Recht steht dieser Regelung grundsätzlich nicht entgegen, bestimmt doch Art. 28 Abs. 4 EWRA, dass die Bestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit keine Anwendung auf die Beschäftigung im öffentlichen Dienst finden. Art. 45 Abs. 4 AEUV formuliert die Ausnahme dahingehend, dass die Bestimmungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung finden. Man wird davon ausgehen können, dass Tätigkeiten in einer hoheitlich tätigen Behörde (bzw. in einem Gericht) von der Ausnahme jedenfalls erfasst sind.[14]Für den Kleinstaat ist die Anordnung des „Inländerprinzips“[15], die grundsätzlich als selbstverständlicher Ausfluss nationaler Souveränität betrachtet werden kann, nicht leicht umzusetzen, da es in der Ausdifferenzierung eines modernen Verwaltungsstaates zahlreiche Behörden gibt, die demnach mehrheitlich mit Liechtensteinern zu besetzen sind. Das Wesen eines Kleinstaates impliziert jedoch, dass nicht immer genug (inländisches) Personal zur Verfügung steht. Das Inländerprinzip war nach 1918 dennoch eine der wesentlichen Forderungen gegenüber dem Landesfürsten, ohne deren Erfüllung eine Annäherung der Positionen nicht denkbar gewesen wäre.[16] Die heutige Regelung des Art. 107 LV stand jedenfalls in engem Zusammenhang mit der ebenfalls erhobenen Forderung, wonach Ausländer nur mit Zustimmung des Landtages angestellt werden durften und die in Art. 107 LV in seiner ursprünglichen Fassung eingeflossen war.[17]Die Anordnung richtet sich an kollegiale Behörden, wie etwa die Beschwerdekommission für Verwaltungsangelegenheiten[18], die Finanzmarktaufsicht (FMA)-Beschwerdekommission[19] oder die Landessteuerkommission.[20]Für die Regierung, die ebenfalls eine Kollegialbehörde darstellt, gilt die diesbezügliche Sonderregelung des Art. 79 Abs. 4 LV.Im Unterschied dazu können monokratische Behörden an ihrer Spitze auch mit Nicht-Liechtensteinern besetzt werden. Wenn daher die leitenden Organe der Finanzmarktaufsicht oder verschiedener Ämter der Landesverwaltung keine liechtensteinischen Staatsangehörigen sind, wird damit nicht gegen Art. 107 dritter Satz LV verstossen. Gegen die Bestimmung wird im Übrigen auch dann nicht verstossen, wenn in einer Behörde mehrheitlich nicht liechtensteinische Staatsangehörige beschäftigt sind, wie dies etwa in der FMA der Fall ist. Vielmehr kommt es auf die Zusammensetzung des Kollegiums an, das die Entscheidung trifft.Wenn einer Körperschaft öffentlichen Rechts als juristischer Person hoheitliche Aufgaben übertragen sind, wie dies etwa bei der AHV der Fall ist, handelt es sich um keine Kollegialbehörde, auch wenn deren Organe wie Direktion oder Verwaltungsrat mehrere Personen angehören.[21]2. Sonderregelungen für die GerichtsbarkeitDer Umstand, dass für den Verwaltungsgerichtshof und für den Staatsgerichtshof in Art. 102 Abs. 1 LV und Art. 105 LV explizit angeordnet wird, dass die Mehrheit der Richter das liechtensteinische Landesbürgerrecht besitzen muss, wirft nun freilich die Frage des Verhältnisses des Art. 107 LV zur Gerichtsbarkeit schlechthin auf.Das Landgericht ist keine Kollegialbehörde, es sei denn, es entscheidet als Kriminalgericht in Form eines Senates.[22] Das Obergericht sowie der Oberste Gerichtshof judizieren hingegen – von wenigen verfahrensrechtlichen Ausnahmen abgesehen – in Senaten. Der Umstand, dass die Verfassung für den Verwaltungsgerichtshof und für den Staatsgerichtshof Sonderregelungen hinsichtlich der mehrheitlichen Besetzung mit Liechtensteinern trifft, lässt argumentum e contrario darauf schliessen, dass diese Vorgabe bei den ordentlichen Gerichten gerade nicht eingehalten werden muss und dass damit die Anordnung des zweiten Halbsatzes im zweiten Satz des Art. 107 LV auf die (ordentliche) Gerichtsbarkeit keine generelle Anwendung findet. Es wäre auch sachlich wenig nachvollziehbar, ausgerechnet bei Senatsentscheidungen eine mehrheitliche Besetzung mit Liechtensteiner zu verlangen.Art. 2 Abs. 2 GOG[23] bestimmt indessen, dass in Kollegialgerichten die Mehrheit der Richter die liechtensteinische Staatsangehörigkeit besitzen muss. Diesen gleichgestellt sind Richter mit schweizerischer oder österreichischer Staatsangehörigkeit, die eine mindestens fünfjährige ununterbrochene Tätigkeit als vollamtlicher Richter in Liechtenstein ausgeübt haben. Diese im zweiten Satz des Art. 2 Abs. 2 GOG vorgenommene Gleichstellung wäre mit der Verfassung nicht vereinbar, wenn Art. 107 LV auf die Gerichtsbarkeit Anwendung finden würde.[24] Trotz oder innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken hat sich die Staatspraxis der Heranziehung österreichischer und schweizerischer Richter, um die Bank des Staatsgerichtshofes zu besetzen, etabliert.[25]3. Keine Anwendung auf die nicht-hoheitliche VerwaltungUnter Behörden versteht die Verfassung nur Organe mit hoheitlichen Aufgaben. Ein Beratungsgremium der Regierung muss daher ebenso wenig mehrheitlich aus Liechtensteinern besetzt sein wie das Leitungsorgan eines öffentlichen Unternehmens, das keine Hoheitsgewalt ausübt. Dasselbe gilt für Beiräte von Museen, Kommissionen in der Privatwirtschaftsverwaltung und ähnliche Einrichtungen. |
Die Mitglieder der Regierung, die Staatsangestellten sowie alle Ortsvorstände, deren Stellvertreter und die Gemeindekassiere haben beim Dienstantritt folgenden Eid abzulegen: Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteTextlich entsprach die heute geltende Fassung des Art. 108 LV bis zur Verfassungsrevision von 2003[2] dem damaligen Art. 109 LV. Die Verschiebung der Inhalte in den Art. 108 LV erfolgte aus redaktionellen Gründen.Art. 85 des Verfassungsentwurfs Wilhelm Becks sah vor, dass alle „Staatsdiener, Beamten und Ortsvorsteher“ beim Dienstantritt folgenden Eid zu schwören hatten: In der Regierungsvorlage Josef Peers war der Adressatenkreis des damaligen Art. 109 LV noch mit „alle[n] Staatsdiener[n,] sowie alle[n] Ortsvorstände[n]“ umschrieben. Die Verfassungskommission dehnte den Anwendungsbereich der Bestimmung auf den noch heute erfassten Personenkreis aus.[3] Über die Gründe geht nichts hervor, allerdings war der von Peer gewählte Begriff des „Staatsdieners“ zweifellos unklar, und vielmehr politologisch als rechtswissenschaftlich (und justiziabel).[4] Offensichtlich war es der Verfassungskommission ein Anliegen, die Stellvertreter der Ortsvorstände und die Gemeindekassiere zur Eidesleistung zu verpflichten.Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte der Eidesformel ist auf die Kommentierung zu Art. 87 LV zu verweisen.[5] Daraus geht hervor, dass eine religiöse Beteuerung erstmals im Verfassungsentwurf des Prinzen Karl (§ 29) vorgesehen war («Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen»).[6] Ob sich Landesverweser Josef Peer deshalb daran orientierte, weil der Vorschlag aus dem Fürstenhaus kam, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen.II. Die Eidesleistung von ExekutivorganenA. GrundlegendesArt. 108 LV regelt die Eidesformel der Mitglieder der Regierung, der Staatsangestellten, der Ortsvorstände und deren Stellvertreter, sowie der Gemeindekassiere. Unter Mitgliedern der Regierung versteht die Verfassung den in Art. 79 Abs. 1 LV erwähnten Regierungschef und die vier Regierungsräte. Man wird davon auszugehen haben, dass die Verfassung auch von den stellvertretenden Regierungsmitgliedern (Art. 79 Abs. 2 LV) eine Eidesleistung verlangt.Staatsangestellte sind das gesamte Staatspersonal, somit alle Personen, auf die das Staatspersonalgesetz anzuwenden ist.[7] Keine Staatsangestellten sind die Dienstnehmer in den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten oder bei Rechtsträgern des privaten Rechts, auch wenn das Land Eigentümer ist. Auch die Bediensteten in den Gemeinden zählen nicht zu den Staatsangestellten.[8] Art. 108 LV meint mit dem Begriff Staatsangestellte auch nicht die Richter. Für diese sieht das Richterdienstgesetz eine besondere Eidesformel vor.[9]Mit dem Begriff Ortsvorstände sind die Gemeindevorsteher i.S. des Art. 52 Gemeindegesetz gemeint.[10]Die prozedurale Regelung der Vereidigung der Regierungsmitglieder (einschliesslich deren Stellvertreter i.S. von Art. 79 Abs. 2 LV) und Staatsangestellten erfolgt in Art. 87 LV, betreffend der Ortsvorstände und deren Stellvertreter in Art. 83 Gemeindegesetz[11], der überdies die Gemeinderäte erfasst. Indes lassen sich keine weiteren gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Gemeindekassiere finden.[12] Bezüglich der staatsrechtlichen Bedeutung der Eidesleistung der Regierung, sowie zu deren Verhältnis zur Eidesleistung der Abgeordneten sei an dieser Stelle auf die Ausführungen zu Art. 87 LV verwiesen.[13] Für die anderen in Art. 108 LV genannten Organe wird man im Gegensatz zu den Regierungsmitgliedern von keiner konstitutiven Wirkung der Eidesleistung in dem Sinne ausgehen können, dass sie erst mit der Leistung des Gelöbnisses zu Staatsangestellten werden.[14] Dies bedeutet nicht, dass die Verweigerung der Eidesleistung ohne rechtliche Konsequenzen bleiben muss. Bei einem Staatsangestellten, der die Eidesleistung verweigert, wäre damit nicht etwa das Dienstverhältnis nicht zustande gekommen oder aufgelöst, aber es wäre zu fragen, ob die Person tatsächlich bereit ist, «die Verfassung, Gesetze, Verordnungen und Dienstvorschriften einzuhalten» (Art. 38 Abs. 3 lit. a Staatspersonalgesetz) und damit seine Dienstpflichten erfüllt.Die Verfassung geht davon aus, dass die Eidesleistung in einem engen zeitlichen Zusammenhang zum Amtsantritt erfolgt („…beim Dienstantritt“).[15] Gleicherweise muss die Eidesleistung erneuert werden, wenn ein Regierungsmitglied der zuvor aus dem Amt geschiedenen Regierung angehörte, und darauffolgend eine neue Regierung gemäss den Art. 79 LV und 80 LV gebildet wurde. Ein sinngemäss gleiches Prozedere ist für die Ortsvorsteher (Gemeindevorsteher) und deren Stellvertreter vorzunehmen.Die Gemeindekassiere sind die einzigen Gemeindebediensteten, die nach Art. 108 LV einen Eid schwören müssen. Vermutlich wurde die Einhebung öffentlicher Gelder als eine besonders folgenreiche Tätigkeit angesehen, deren Handhabung deshalb mit einer Eidesleistung verbunden wurde. Dessen ungeachtet finden sich weder im Gemeindegesetz noch in anderen gemeindebezogenen Vorschriften nähere, Art. 108 LV konkretisierende Bestimmungen zur Eidesleistung anderer Gemeindeorgane. B. Inhalt der EidesformelWie bereits zu Art. 87 LV ausgeführt, betont die Eidesformel gemäss Art. 108 LV die Loyalität gegenüber dem Landesfürsten und die Gesetzesbindung der Exekutive. Aus dem Umstand, dass die Treue gegenüber dem Landesfürsten als erstes genannt wird, kann (und darf) jedoch keine Priorisierung abgeleitet werden. Bewegt sich der Landesfürst ausserhalb der Verfassung, bedeutet dies nicht, dass die in Art. 108 LV genannten Organe von der Verfassung oder den für sie geltenden Rechtsvorschriften abweichen dürfen oder gar müssen. Hinsichtlich des letzten Halbsatzes ist entsprechend den Ausführungen zu Art. 87 LV[16] und Art. 54 LV zu bemerken, dass die Bestimmung des Art. 108 LV EMRK-konform dahingehend auszulegen ist, dass es den in Art. 108 LV erwähnten Organen erlaubt sein muss, den religiösen Formelteil wegzulassen. |
1) Das Land, die Gemeinden und die sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts haften für den Schaden, den die als ihre Organe handelnden Personen in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügen. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff auf die fehlbaren Personen vorbehalten. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteDie Verfassung von 1921 sah in Art. 103 Abs. 2 und 3 LV vor, dass das Obergericht in „Syndikatssachen“ als erste Instanz fungierte und der Oberste Gerichtshof die zweite Instanz bildete. Ausserdem sah Art. 104 Abs. 2 LV vor, dass der Staatsgerichtshof über Klagen des Landtages wegen Schadenersatzpflicht der Mitglieder und Regierungsbeamten entscheiden sollte.[2] Die Bestimmungen über die Syndikatsgerichtsbarkeit, die eine der Staats- oder Amtshaftung ähnliche Haftung meinten, wurden einfachgesetzlich nicht ausgeführt.[3]Mit der Verfassungsrevision von 1964[4] wurde in Anlehnung an ein Gutachten des Schweizer Staatsrechtlers Dietrich Schindler[5] ein neuer Art. 109bis LV eingeführt, der dem heutigen Art. 109 LV wortwörtlich entspricht.[6] Die redaktionell bedingte Änderung der Nummerierung erfolgte mit der Verfassungsrevision 2003.[7]Die Bestimmung regelt die Haftung des Staates für das Handeln seiner Organe, sowie die Haftung dieser Organe gegenüber dem Staat; im Einklang mit der Schweizer Doktrin[8] wird diese Verfassungsnorm als Staatshaftungsregelung bezeichnet. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass auch das EWR-Recht eine über das ursprüngliche Verständnis des Art. 109 LV hinausgehende Staatshaftung kennt; diese wird im Folgenden ebenfalls behandelt. II. Die Formen der Staatshaftung in LiechtensteinA. AllgemeinesDie in Art. 109 Abs. 1 LV geregelte Amtshaftung meint die Haftung des Staates gegenüber Dritten für Schäden, die diesen durch seine Organe zugefügt wurden.[9] Eine typische Fallgruppe bilden jene Schäden, die einer Person aus einer widerrechtlichen Festnahme entstehen[10] oder durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, etwa durch Untersagung einer aus rechtlicher Sicht zu gewährenden Erwerbstätigkeit.Im Gegenzug dazu versteht man unter der in Art. 109 Abs. 2 LV geregelten Organhaftung die Haftung staatlicher Organe für jene Schäden, den sie dem Staat direkt, d.h. während der oder durch die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben, also nicht über einen geschädigten Dritten, zugefügt haben, wie etwa ein Polizist, der einen Schaden am Dienstfahrzeug verursacht hat.[11]Die Amtshaftung knüpft an die widerrechtliche Zufügung eines Schadens in amtlicher Tätigkeit an. Der – zeitlich allerdings nach Art. 109 LV entstandene – Art. 146 BV spricht davon, dass der Bund für Schäden haftet, die seine Organe in Ausübung amtlicher Tätigkeiten widerrechtlich verursachen. Die Begriffe „widerrechtlich“ und „amtliche Tätigkeit“ wurden jedoch zum Entstehungszeitpunkt des vormaligen Art. 109bis LV im Jahre 1964 bereits im schweizerischen Verantwortlichkeitsgesetz[12] in Art. 3 Abs. 1 VG verwendet. Offenkundig orientierte sich der liechtensteinische Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1964 an der Schweizer Terminologie, was insoweit bemerkenswert ist, als dass das auf der Grundlage des Art. 109 Abs. 3 LV erlassene Gesetz über die Amtshaftung[13] (dazu näher unter Kapitel III.) am österreichischen Amtshaftungsgesetz (AHG) angelehnt ist.[14]Auch die österreichische Bundesverfassung kennt mit Art. 23 B-VG eine verfassungsgesetzliche Grundlage der Amtshaftung, die an das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten der Organe in Vollziehung der Gesetze anknüpft.Während die Gleichsetzung „widerrechtlichen“ mit „rechtswidrigem“ Verhalten keine Probleme bereitet, stellt sich die Frage, was mit der Formulierung „amtlicher Tätigkeit“ (Art. 109 LV) intendiert ist, der in Österreich der Begriff der „Vollziehung der Gesetze“ gegenüber steht.Gemeint ist indessen dasselbe: Amtshaftung findet in Liechtenstein[15], wie auch nach schweizerischem[16] und österreichischem Verständnis[17], lediglich bei der Ausübung von Hoheitsgewalt des Staates statt. In diesem Sinne judiziert auch der Staatsgerichtshof, dass der Begriff der „amtlichen Tätigkeit“ nicht die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben schlechthin umfasst, sondern „nur die Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben, das ist nichts anders als die Vollziehung der Gesetze.“[18] In diesem Sinne wurde der Betrieb einer Gemeindedeponie, zu deren Errichtung die Gemeinde durch Umweltschutzvorschriften verpflichtet war, der Hoheitsverwaltung zugerechnet.[19] Hingegen wurden beispielsweise Strassenbau und Strassenunterhalt in Verbindung mit Kiesstreuung als privatrechtliche Tätigkeit des Staates und damit nicht als der Amtshaftung unterlegen betrachtet.[20]Dies bedeutet dennoch keine Rechtsschutzlücke: Für das Handeln des Staates als Träger von Privatrechten (etwa bei der mangelhaften Erfüllung eines Vertrags) oder bei der Verletzung zivilrechtlicher Schutzpflichten stehen die Instrumente des klassischen Zivilrechts zur Verfügung.[21]Hingegen findet im Rahmen der von Art. 109 LV geregelten Staatshaftung keine Haftung für legislatives Unrecht statt. Erlässt der Gesetzgeber ein verfassungswidriges Gesetz, kann daraus keine Haftung des Landes abgeleitet werden (siehe jedoch die Staatshaftung nach EWR-Recht unter Kapitel II.D.).Als Träger der Amtshaftung bzw. als Anspruchsberechtigte der Organhaftung erwähnt die Verfassung das Land, die Gemeinden und die sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen (vgl. Art. 78 Abs. 4 LV)[22] und inkludiert damit alle Träger staatlicher Hoheitsgewalt.Als derartige Körperschaften kommen etwa die Sozialversicherungsträger und die Bürgergenossenschaften, soweit sie hoheitlich tätig werden, in Betracht.[23] Obgleich in Art. 109 Abs. 1 LV davon nicht explizit die Rede ist, haftet der Rechtsträger auch für Private, die mit Hoheitsgewalt auftreten. Ungeachtet dem Schweigen des Art. 78 LV, wird die Betrauung von Privaten mit Hoheitsgewalt in engen Schranken vom Staatsgerichtshof für zulässig erklärt.[24] Folglich kann hinsichtlich der Haftung nichts anderes gelten, als dass der Staat für das rechtswidrige Verhalten dieser Organe ebenso einzustehen hat.Anzumerken ist, dass sowohl ein aktives Tun, als auch ein Unterlassen den Staatshaftungsanspruch begründen können. Zudem bedarf es für die Haftungsbegründung keiner förmlichen Verfügung, denn auch ein Realakt kann eine Haftung bewirken.[25]Gemäss Art. 109 Abs. 1 zweiter Satz LV kann sich der Staat gegenüber einem schuldhaft und rechtwidrig handelnden Organ nur bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Handeln regressieren. Mit dem Begriff der groben Fahrlässigkeit stellt die Verfassung eine Verbindung zum Verständnis dieses Begriffes im allgemeinen Schadenersatzrecht her.B. Besondere Bemerkungen zur AmtshaftungDem Wortlaut des Art. 109 Abs. 1 erster Satz LV folgend, bildet die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Organe das ausschliessliche Kriterium für die Amtshaftung. Daraus kann aber nicht zwingend abgeleitet werden, dass der Wortlaut der Verfassung selbst dann eine Amtshaftung vorsieht, wenn das Organ zwar widerrechtlich, aber ohne Verschulden gehandelt hat, weil beispielsweise die im Nachhinein als rechtwidrig erkannte Entscheidung zum Zeitpunkt ihrer Erlassung auf der Grundlage bestehender Rechtsprechung und daher vertretbarer Rechtsauslegung beruhte.Aus dem Gutachten von Schindler für die Regierung und der seinerzeitigen, ohne Änderung in Kraft getretenen Regierungsvorlage, wird ersichtlich, dass der Verfassungsgesetzgeber dennoch eine verschuldensunabhängige Haftung im Auge hatte.[26] Auch Art. 146 BV sieht eine verschuldensunabhängige Haftung vor.[27]Demgegenüber stellte der Staatsgerichtshof in StGH 1976/7 klar, dass der vormalige Art. 109bis LV eine Kausalhaftung vorsah.[28]Art. 3 Abs. 5 des Amtshaftungsgesetzes[29] bestimmt wie im Ergebnis auch das österreichische AHG, dass die Haftung auch dann besteht, wenn dem Rechtsträger der Beweis mangelnden Verschuldens nicht gelingt. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass keine Haftung begründet wird, wenn der Rechtsträger beweisen kann, dass das Organ kein Verschulden trifft. Eine Ausnahme gilt lediglich hinsichtlich der Spezialnorm des Art. 32 Abs. 3 LV: Nach dieser Bestimmung haben „ungesetzlich oder erwiesenermassen unschuldig Verhaftete und unschuldig Verurteilte (…) Anspruch auf volle vom Staate zu leistende, gerichtlich zu bestimmende Entschädigung. Ob und inwieweit dem Staate ein Rückgriffsrecht gegen Dritte zusteht, bestimmen die Gesetze.“ Der Staatsgerichtshof hat in StGH 1976/7 keinen Anstoss an der Kausalhaftung genommen und es als mit der Verfassung vereinbar betrachtet, eine Verschuldenshaftung wie im österreichischen AHG vorzusehen, da sie die nähere Ausgestaltung des Haftungssystems dem Gesetzgeber überlassen habe.[30]Der erwähnte Art. 32 Abs. 3 LV bildet nach Auffassung des Staatsgerichtshofes[31] jedoch lediglich die verfassungsrechtliche Grundlage für Schadenersatzansprüche im Falle einer Strafhaft, nicht aber etwa im Falle einer Auslieferungs- oder Abschiebungshaft. Er erblickt auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der Regelung des Art. 14 Abs. 1 AHG, wonach bei Entschädigungsansprüchen wegen erwiesenermassen unschuldiger Tötung oder Verletzung, soweit sie nicht durch Unterlassung eines Organes herbeigeführt wurden und wegen erwiesenermassen unschuldiger Verhaftung und unschuldiger Verurteilung Rechtswidrigkeit und Verschulden eines Organs nicht Voraussetzungen der Haftung des öffentlichen Rechtsträgers sind.[32]Angesichts des durch den Wortlaut der Verfassung und des durch die Materialien belegten Willens des historischen Verfassungsgebers wird man kaum davon ausgehen können, dass die Verfassung dem Gesetzgeber einen Spielraum dahingehend überlässt, ob und welches Verschulden dem Organ zur Last fallen darf, um die Amtshaftung überhaupt schlagend werden zu lassen.[33] Die Verfassung bestimmt, dass eine verschuldensunabhängige Haftung des Staates stattfinden soll und dass bei grober Fahrlässigkeit ein Rückgriff stattfindet. Unter Heranziehung dieser Meinung, wäre daher argumentum e contrario ein Haftungsausschluss bei unverschuldetem Verhalten des staatlichen Organs verfassungswidrig.[34] Auch Art. 32 Abs. 3 LV kann nicht als Argument für die Kausalhaftung herangezogen werden, da diese Bestimmung nicht nur (wie Art. 109 LV i.S. des Verständnisses des historischen Verfassungsgebes) auf eine verschuldensunabhängige Regelung abzielt, sondern auch eine Haftung des Staates unabhängig von der Rechtswidrigkeit des Verhaltens staatlicher Organe.Im Übrigen sieht Art. 6 Abs. 5 des Gesetzes über die Amtshaftung einen Regress auch bei Wahrnehmung privatrechtlicher Aufgaben durch den öffentlichen Rechtsträger vor. Dies ist freilich insoweit inkonsequent, als die Haftung des Rechtsträger, wie dargestellt, nur im Falle hoheitlicher Tätigkeit zum Tragen kommt.C. Besondere Bemerkungen zur OrganhaftungDie Organhaftung stellt gemäss dem Wortlaut des Art. 109 Abs. 2 LV bemerkenswerterweise nicht auf rechtswidriges Verhalten, sondern auf die Verletzung von Amtspflichten ab. Damit ist aber inhaltlich nichts anderes als bei der Amtshaftung gemeint: Eine Verletzung der Amtspflichten des Organs bedeutet ein rechtswidriges Handeln oder Unterlassen.Der Schaden muss dem Rechtsträger unmittelbar zugefügt worden sein. Es gibt, anders als bei der Amtshaftung, somit keinen unmittelbar geschädigten Dritten, dessen Schaden der Rechtsträger zu ersetzen hat und anschliessend beim Organ Regress nimmt.Art. 7 Abs. 3 des Gesetzes über die Amtshaftung sieht vor, dass auch Schäden, die von Organen des Staates dem Rechtsträger in der Wahrnehmung privatrechtlicher Aufgaben zugefügt wurden, erfasst sind.[35] Dies entspricht der Regelung des Rückersatzes im Rahmen der Amtshaftung gemäss Art. 6 Abs. 5 des Gesetzes über die Amtshaftung.[36]D. Staatshaftung nach EWR-RechtIm Wesentlichen unbestritten ist der Umstand, dass in Liechtenstein der Staat ebenso für mangelnde Umsetzung von EWR-Recht nach Massgabe der Judikatur des EuGH zur Staatshaftung nach EU-Recht haftet.[37] Damit ist auch legislatives Unrecht (aber nicht nur dieses) umfasst.[38] Ein Staatshaftungsanspruch kann sich auch auf höchstgerichtliche Entscheidungen beziehen.[39] In diesem Fall hielt der EFTA-Gerichtshof allerdings fest, dass die Verletzung des EWR-Rechts in jedem Fall offenkundig sein müsse, wenn man die Staatshaftung für falsche Anwendung des EWR-Rechts durch Gerichte bejahen wollte.[40] Damit ist die Relevanz der „Köbler-Rechtsprechung“ des EuGH[41] auch im EWR anerkannt.[42]Zur Staatshaftung auf Grund von EWR-Recht kann es dann kommen, wenn eine Richtlinie nicht ordnungsgemäss in nationales Recht umgesetzt worden ist, oder unmittelbar anwendbares EWR-Recht verletzt wird.[43] Der EFTA-Gerichtshof hat sich mehrfach an der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Staatshaftung orientiert.[44]Allerdings bewirkt nicht jede EWR-Rechtswidrigkeit eine Staatshaftung, sondern nur dann, wenn das Ziel der verletzten Norm in der Verleihung von Rechten gegenüber Privatpersonen liegt, zwischen der Verletzung der Norm und dem eingetretenen Schaden ein Kausalzusammenhang besteht und der Schaden bestimmbar ist.[45] Der Staatshaftungsanspruch nach EWR-Recht ist verschuldensunabhängig.[46]III. Ausführung durch GesetzArt. 109 Abs. 3 LV enthält eine Ermächtigung an den Gesetzgeber, die näheren Bestimmungen, insbesondere über die Zuständigkeit, zu erlassen. Der Gesetzgeber hat im Gesetz über die Amtshaftung die Entscheidung über diese Streitigkeiten dem Obergericht überantwortet, das somit erste Instanz ist (Art. 10) und bereits in der Verfassung von 1921 als „Syndikatsgericht“ vorgesehen war. Über Rechtsmittel entscheidet der Oberste Gerichtshof. Es gibt somit in Amtshaftungsangelegenheiten lediglich zwei Instanzen (vgl. Kapitel I). Während das österreichische Recht zwischen Amts- und Organhaftung differenziert, werden im liechtensteinischen Amtshaftungsgesetz sowohl die Amtshaftung i.e.S. als auch die Organhaftung erfasst.Das Gesetz über die Amtshaftung ist nicht an die Staatshaftung nach EWR-Recht angepasst. In der Praxis müsste daher das Gesetz über die Amtshaftung wie in Österreich sinngemäss angewendet werden, wobei auf Grund der verschuldensunabhängigen Staatshaftung nach EWR-Recht die Regelung des Art. 3 Abs. 5 des Gesetzes über die Amtshaftung nicht zur Anwendung gelangen dürfte.Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Amtshaftungsrechts schliesst wie in Österreich nicht nur legislatives Unrecht aus, sondern auch Ersatzansprüche, die aus einem Erkenntnis des Staatsgerichtshofes abgeleitet werden (Art. 5 Abs. 3 Gesetz über die Amtshaftung). |
Der Landesfürst ernennt die Richter unter Beobachtung der Bestimmungen der Verfassung (Art. 96). The Reigning Prince shall appoint the Judges in accordance with the provisions of the Constitution (article 96).Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteDer Regelungsinhalt des Art. 11 LV hat in der Verfassungsgeschichte Liechtensteins zahlreiche Metamorphosen erfahren: § 27 KonV bestimmte, dass die in der Hand des Fürsten liegende Regierungsgewalt nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung durch verantwortliche Staatsdiener ausgeübt wird, welche der Landesfürst ernennt. Eine Ernennung der Bediensteten des Staates durch den Landesfürsten hatte auch § 37 des Verfassungsentwurfes des Verfassungsrates 1848 vorgesehen, wenngleich dieses damals fortschrittliche Dokument[1] noch verankert hätte, dass der Fürst lediglich in der Auswahl des Landesverwesers frei gewesen wäre, die übrigen Staatsbeamten aber aus dem Vorschlag des Landrates hätte auswählen müssen. § 11 der Regierungsvorlage Peer enthielt 1921 die Formulierung, dass der Landesfürst unter Beobachtung der Bestimmungen dieser Verfassung die Staatsdiener, also nicht nur die Richter, ernennt. Die Verfassungskommission des Landtages änderte § 11 dahingehend ab, dass die Bestimmung zu lauten hatte: Eine Begründung für diese Änderung ist im Bericht der Verfassungskommission nicht angeführt. In der Landtagssitzung vom 24. August 1921 wurde der Begriff „Staatsangestellten“ durch „Staatsbeamten“ ersetzt.[2] Die Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage bezogen sich somit im Wesentlichen darauf, dass der veraltete Begriff „Staatsdiener“ letztlich durch „Staatsbeamte“ ersetzt wurde und vor allem, dass dem Landtag die Hoheit über die Zahl der beim Staat eingerichteten Beamtenstellen eingeräumt wurde. Mit diesem Inhalt wurde § 11 zu Art. 11 der Verfassung von 1921, welcher bis zur Verfassungsrevision 2003 unverändert blieb. Die verschiedenen Vorschläge des Fürstenhauses zu Art. 11 LV im Vorfeld der Verfassungsrevision 2003 (grüne und rote Broschüre) sahen ursprünglich vor, in Art. 11 LV nicht nur Bestimmungen über die Ernennung der Richter durch den Landesfürsten aufzunehmen,[3] sondern auch Regelungen über das Verfahren der Richterauswahl[4] und eine allgemeine Bestimmung, wonach der Landesfürst das Recht und die Unabhängigkeit der Richter schützt sowie die Urteilsausfertigungen im Namen von Fürst und Volk ergehen.[5]Keine Erwähnung mehr fanden die anderen öffentlichen Bediensteten. Die Materialien[6] begründeten diese Änderung wie folgt: „Bei der stark gewachsenen Zahl der Staatsbeamten ist eine Ernennung durch den Fürsten nicht mehr zweckmässig. Die Gefahr ist gross, dass entweder die Beamtenernennung durch den Fürsten ein rein formaler Akt ohne Bedeutung wird oder der Regierung die Kontrolle über den Beamtenapparat entgleitet. Es würde wohl dem Geist unserer Verfassung widersprechen, wenn der Fürst in der Praxis über den Beamtenapparat die laufenden Geschäfte führt.“ Die Neuregelung des Verfahrens der Richterauswahl[7] wurde mit dem Bestreben nach einer Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz begründet, wobei insbesondere auf die sogenannten Staatsgerichtshofkrise,[8] die 1989 zur Auflösung des Landtages führte, Bezug genommen wurde.[9]Der Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 2. August 2002 enthielt schliesslich Art. 11 LV in der heutigen Fassung, wobei diese Bestimmung nicht weiter kommentiert wurde. Nähere Ausführungen finden sich lediglich zu den Neuerungen in der Gerichtsbarkeit (Art. 95 ff. LV).[10]Der gesamte Komplex der Neuregelungen in der Gerichtsbarkeit, sowohl in organisatorischer Hinsicht als auch hinsichtlich der Bestellung der Richter, zählte zu den umstrittensten Inhalten der Verfassungsrevision 2003. Darauf wird in den folgenden Ausführungen (II.) noch näher eingegangen. Zuvor sei jedoch noch darauf hingewiesen, dass mit der Abkehr von der Regelung, wonach der Landesfürst die Staatsbeamten ernannte, verbunden ist, dass diesem auf die Bestellung der Bediensteten des Staates – mit der Ausnahme bei den Richtern – kein rechtlicher Einfluss mehr zukommt. Der Entfall der Regelung, wonach die Schaffung neuer ständiger Beamtenstellen der Zustimmung des Landtages bedurfte, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass in der Praxis vor der Verfassungsrevision 2003 schon lange keine Beamtenernennungen durch den Landesfürsten mehr erfolgt waren.[11] Somit lief die Bestimmung ins Leere. Nach dem gegenwärtigen Staatspersonalgesetz[12] wird das Staatspersonal im Wege vertraglicher Dienstverhältnisse bestellt (Art. 7). Es handelt sich also um kündbare öffentlich-rechtliche Angestellte (Art. 6). Die Regierung führt einen Stellenplan, der Angaben über die Gesamtzahl der Stellen bei den Verwaltungsbehörden und des nicht-richterlichen Personals bei Gerichten bzw. des nicht-staatsanwaltlichen Personals in der Staatsanwaltschaft enthält (Art. 5 Abs. 1 Staatspersonalgesetz). Der Stellenplan hat sich nach der im Rahmen des Landesvoranschlages festgelegten und vom Landtag genehmigten massgeblichen Lohnsumme zu richten (Art. 5 Abs. 2 Staatspersonalgesetz). Da dem Landtag über den Voranschlag (Art. 62 lit. c LV) eine massgebliche Befugnis zukommt, die Zahl der Staatsbediensteten zu regeln, ist die frühere Bestimmung des Art. 11 LV unter dem Aspekt der Hoheit des Landtages über die Staatsausgaben entbehrlich.II. Richter und Gerichte in LiechtensteinA. Allgemeines zur Organisation der Gerichtsbarkeit in LiechtensteinDie Organisation der Gerichtsbarkeit in Liechtenstein wird im VIII. Hauptstück der Verfassung näher geregelt, weshalb an dieser Stelle lediglich kurze Anmerkungen gemacht werden: Es gibt eine dreistufige ordentliche Gerichtsbarkeit, bestehend aus dem Landgericht als Eingangsgericht in den meisten Rechtsstreitigkeiten, dem Obergericht und dem Obersten Gerichtshof als Rechtsmittelinstanzen (Art. 100 und 101 LV). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird vom Verwaltungsgerichtshof ausgeübt (Art. 102 und 103 LV). Die Verfassungsgerichtsbarkeit obliegt dem Staatsgerichtshof (Art. 104 und 105 LV). Die Funktionen als Richter[13] nehmen sowohl hauptamtliche Richter (Landgericht und Obergericht) als auch nebenamtliche Richter (Oberster Gerichtshof, Verwaltungsgerichtshof und Staatsgerichtshof) ein. Die Kleinheit der Verhältnisse in Liechtenstein stellt für die Gerichtsbarkeit in Liechtenstein in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung dar: Zum einen ist die Rekrutierung qualifizierter Richter im Kleinstaat ein Problem, zum anderen werden Unbefangenheit und Unabhängigkeit der Richter durch die Vielzahl persönlicher Naheverhältnisse besonders auf die Probe gestellt. Aufgrund der vergleichsweise geringen Fallzahlen werden in vielen Fällen nebenamtliche Richter (im Staatsgerichtshof, Obersten Gerichtshof, Verwaltungsgerichtshof und im Obergericht) bestellt. Angesichts dieser Rahmenbedingungen kommt dem Verfahren der Richterbestellung eine rechtsstaatlich besondere Bedeutung zu. Dabei entspricht es einer langen, praktisch bis zur Erlangung der Souveränität Liechtensteins zurückreichenden Tradition,[14] dass die liechtensteinische Gerichtsbarkeit auch durch ausländische Richter ausgeübt wird.[15] Allerdings waren bis 1921 die Rechtsmittelinstanzen ausserhalb des Landes, in Wien und in Innsbruck, angesiedelt.[16] Schon allein dies führte dazu, dass zahlreiche österreichische Richter in liechtensteinischen Angelegenheiten urteilten. 1884 stellte ein Staatsvertrag zwischen Österreich und Liechtenstein die Mitwirkung österreichischer Richter in der liechtensteinischen Justiz auf eine explizite Grundlage.[17]Nach 1921 bekleideten erstmals auch Schweizer Richter höchste Positionen in der liechtensteinischen Gerichtsbarkeit, etwa als Präsidenten des Obersten Gerichtshofes[18] wie auch als Mitglieder des Staatsgerichtshofes. Seit 1945 ist es wiederum ungebrochene Tradition, dass österreichische Richter die Funktion des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes ausüben.[19]In der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind auch gegenwärtig zahlreiche österreichische und schweizerische Richter tätig. Im Staatsgerichtshof und im Verwaltungsgerichtshof sind ebenfalls österreichische und schweizerische Richter tätig, allerdings müssen die Mehrheit der Richter auf Grund der Verfassung (vgl. Art. 102 Abs. 1 und Art. 105 LV) Liechtensteiner sein. Das hohe Ausmass der Beteiligung ausländischer Richter an der Gerichtsbarkeit in Liechtenstein ist im Vergleich mit grösseren Staaten ungewöhnlich: Typischerweise ist dort die Richtertätigkeit den inländischen Staatsangehörigen vorbehalten. Selbst die in der Europäischen Union garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit erstreckt sich nicht auf die Gerichtsbarkeit.[20] Es überrascht daher nicht, dass etwa die Beteiligung ausländischer Richter an der Verfassungsgerichtsbarkeit als „kühn und vorbildlich“ bezeichnet wurde, weil sie eine „personale, institutionalisierte Form der Verfassungsrechtsvergleichung“ bedeute und zur Europäisierung der nationalen Verfassungsgerichte beitrage.[21] Zu bemerken ist allerdings, dass in anderen vergleichbaren Kleinstaaten wie etwa Andorra, San Marino oder Monaco[22] eine Beteiligung ausländischer Richter an der Gerichtsbarkeit ebenfalls gebräuchlich ist. Zufolge Art. 28 Abs. 4 EWRA wäre ein Vorbehalt der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit für die Ausübung der Richtertätigkeit allerdings EWR-konform.[23] Vorgaben für die Organisation der Gerichtsbarkeit, nämlich, was die Festlegung der Zuständigkeit der Gerichte betrifft, ergeben sich im Übrigen aus der Garantie des ordentlichen Richters in Art. 33 LV.[24]B. Zum Begriff des RichtersArt. 11 LV verwendet den Begriff des Richters, ohne ihn näher zu definieren.[25] Allerdings verweist Art. 95 Abs. 1 erster Satz LV, worin statuiert wird, dass die gesamte Gerichtsbarkeit im Namen des Fürsten und des Volkes durch „verpflichtete Richter“ ausgeübt wird, die vom Landesfürsten ernannt werden, ausdrücklich auf Art. 11 LV. Richter sind entsprechend Art. 95 Abs. 3 LV jene Organe, die die Gerichtsbarkeit (Landgericht, Obergericht, Oberster Gerichtshof, Verwaltungsgerichtshof und Staatsgerichtshof) in Liechtenstein ausüben.[26] Keine Richter sind etwa die Mitglieder der verschiedenen Beschwerdekommissionen wie jener für Verwaltungsangelegenheiten, der Beschwerdekommission für Finanzmarktangelegenheiten, der Landesgrundverkehrskommission oder der Landessteuerkommission. Der Umstand, dass diese Person allenfalls Mitglieder eines „Tribunals“ i.S. des Art. 6 EMRK sind, bedeutet nicht, dass sie dadurch Richter i.S. des Art. 11 oder 95 LV sind. Darüber hinaus sind nicht alle Bediensteten, die bei den Gerichten in Liechtenstein tätig sind, Richter. Keine Richter sind die:Die verfassungsrechtliche Umschreibung des Richterbildes ist Art. 95 Abs. 2 LV zu entnehmen. Demnach sind Richter in der Ausübung ihres richterlichen Amtes innerhalb der gesetzlichen Grenzen ihrer Wirksamkeit und im gerichtlichen Verfahren unabhängig. Einwirkungen durch nichtrichterliche Organe auf die Rechtsprechung sind nur soweit zulässig, als sie die Verfassung ausdrücklich vorsieht (so Art. 12 LV – Begnadigungsrecht und Recht zur Niederschlagung eingeleiteter Untersuchungen durch den Landesfürsten).[29]Die Verfassung geht offenkundig davon aus, dass Richter grundsätzlich unbefristet, also bis zum Eintritt der Alterspension, bestellt sind. Art. 102 Abs. 2 LV sowie Art. 105 LV sehen hinsichtlich der Richter des Verwaltungsgerichtshofes und der Richter des Staatsgerichtshofes nämlich eine explizite Begrenzung der Amtsdauer auf fünf Jahre vor, wobei die Wiederwahl zulässig ist. Hinsichtlich der Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit fehlen vergleichbare Regelungen. Art. 16 des Richterdienstgesetzes bestimmt daher, dass die Ernennung der vollamtlichen Richter bis zum Erreichen des Zeitpunkts der Altersgrenze für den ordentlichen Altersrücktritt erfolgt.[30]Die Rechtspraxis kennt in Liechtenstein auch den Begriff des sogenannten „ad-hoc-Richters“ (Art. 3 Richterdienstgesetz). Auf Grund der Kleinheit der Verhältnisse ist es nämlich häufig erforderlich, dass mehrere Richter eines Kollegialgerichtes[31] in den Ausstand treten müssen, sodass die von der Verfassung oder dem Gesetz geforderte Besetzung eines Richtersenates nicht mit den zur Verfügung stehenden Ersatzrichtern hergestellt werden kann. In einem solchen Fall werden vom Landtag – nach Durchlauf des Verfahrens der Richterbestellung gemäss Art. 96 LV – für den konkreten Fall ein oder mehrere Ersatzrichter gewählt und vom Landesfürsten gemäss Art. 11 LV ernannt. Ein solcher ad-hoc-Richter kann freilich auch bestellt werden, wenn ein bestimmter Fall auf Grund seiner Komplexität die Kapazitäten eines Gerichts wesentlich beeinträchtigen würde, was in der Praxis bei bestimmten Fällen der Wirtschaftskriminalität durchaus möglich ist.[32]Obwohl in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt, war die im Hinblick auf die Vermeidung des Anscheins der Einrichtung eines verbotenen „Ausnahmegerichtes“ (Art. 33 Abs. 1 LV)[33] oder einer „Sonderjustiz“ nicht unproblematische Praxis der Bestellung von ad-hoc-Richtern zum Zeitpunkt Neuregelung der Richterernennung mit der Verfassungsrevision 2003 im Staatsgerichtshof und bei der damaligen Verwaltungsbeschwerdeinstanz vorgefunden worden. Dies erfolgte auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 5 LVG, wonach, wenn die Zahl der mit Grund ausgeschlossenen oder abgelehnten Mitglieder einer Behörde und deren Ersatzmitglieder mehr als drei beträgt, oder wenn ein Mitglied infolge Todes oder Krankheit oder aus anderen stichhaltigen Gründen dauernd ausscheidet, seitens der Regierung unverzüglich bei der zuständigen Stelle eine Ersatzbestellung zu veranlassen ist.[34] Es ist jedoch bemerkenswert, dass die Verfassungsrevision diese Frage nicht ausdrücklich thematisiert hat. Für die ordentlichen Gerichte sah § 7 Abs. 2 Gerichtsorganisations-Gesetz vom 7. April 1922[35] vor, dass, wenn „bei kollegialen Gerichten zur Beurteilung einer Rechtssache Berufskenntnisse (aus der Landwirtschaft, dem Gewerbe, Handel, den Arbeitsverhältnissen oder dem Erziehungswesen) wünschbar sind, (…) der Vorsitzende im Einvernehmen mit den ständigen Richtern anstelle eines der gewählten, sonst regelmässig amtierenden Richters, sofern nicht einem solchen Richter diese Berufskenntnisse zukommen, einen hierzu geeigneten Ersatzrichter einberufen, der dann alle auf die betreffende Gerichtssession angesetzten Fälle mitentscheidet.“ Die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit dieser Bestimmung liegt vor dem Hintergrund des Verbots von exekutiven oder legislativen Eingriffen in die Gerichtsbarkeit, etwa durch die Einsetzung ad hoc oder ad personam bestellter Richter oder durch die Schaffung von Ausnahmegerichten,[36] auf der Hand.[37]Erst mit dem Richterdienstgesetz 2007 wurde die Bestellung von ad-hoc-Richtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf eine hinreichende Rechtsgrundlage gestellt.[38]Es besteht kein Hinweis, dass die Verfassungsrevision von 2003 die für die Funktionsfähigkeit der Gerichtsbarkeit in Liechtenstein grundsätzlich wichtige Praxis unterbinden wollte. Aus den dargestellten Gründen sind jedoch an die Bestellung von ad-hoc-Richtern im Interesse der Rechtsstaatlichkeit strenge Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist von Bedeutung, dass die Bestellung nur auf Antrag des zuständigen Gerichtspräsidenten, nicht etwa auf Wunsch der Exekutive oder Legislative erfolgen darf und das Verfahren der Richterbestellung gemäss Art. 96 LV eingehalten wird. Die Verfassung macht im Weiteren keine Vorgaben darüber, ob die Bestellung der Richter haupt- oder nebenamtlich erfolgt. Wie dargelegt, sind in der Praxis die Richter am Staatsgerichtshof, am Verwaltungsgerichtshof und am Obersten Gerichtshof nebenamtliche Richter. Spannungsverhältnisse in Bezug auf mögliche Befangenheiten, die sich aus der hauptberuflichen Tätigkeit des betreffenden Richters, etwa als Anwalt, ergeben, sind auf der Grundlage von Art. 33 Abs. 1 LV im Einzelfall zu entscheiden.[39]C. Der Landesfürst und die Richterernennung1. Die Richterernennung als hoheitlicher AktDie vorgängige Ernennung durch den Landesfürsten ist eine Voraussetzung für die Ausübung des Richteramtes. Zum Verfahren der Richterauswahl siehe näher die Ausführungen zu Art. 96 LV, auf den in Art. 11 LV verwiesen wird. In diesem Zusammenhang ist auch auf Art. 31 Abs. 1 zweiter Satz LV zu verweisen, wonach die öffentlichen Ämter allen Landesangehörigen unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gleich zugänglich sind. Diese Bestimmung bindet auch den Landesfürsten.[40]Die Ernennung einer Person ist ein an eine Einzelperson gerichteter, individueller hoheitlicher Akt. Als solcher bildet er auch einen Akt öffentlicher Gewalt (Art. 15 Abs. 1 StGHG), gegen den beim Staatsgerichtshof Beschwerde wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte erhoben werden könnte.[41]Allerdings wird eine ernannte Person in aller Regel keine Veranlassung haben, ihre Ernennung zum Richter zu bekämpfen. Vom Richterauswahlgremium nicht vorgeschlagene und somit auch nicht gewählte Personen können von vornherein keine Rechtsverletzung geltend machen, die es ihnen ermöglichte, vor dem Staatsgerichtshof Beschwerde zu führen. Auch eine vom Landtag gewählte Person könnte ihre Nichternennung nicht beim Staatsgerichtshof bekämpfen. Eine Unterlassung der Setzung eines rechtserheblichen Aktes ist begrifflich keine „Entscheidung oder Verfügung der öffentlichen Gewalt“. Dieser Fall ist allerdings von vornherein nicht realistisch, da der Landtag nur eine Person wählen kann, die vom Richterauswahlgremium vorgeschlagen wurde. Die Ernennung als ein Hoheitsakt erfordert auch eine gewisse Aussenwirksamkeit, etwa in Form einer Bestellungsurkunde. Es muss jedenfalls ein derartiges äusserlich sichtbares Zeichen des Ernennungsaktes gesetzt werden, der auch entsprechend dokumentiert ist.2. Beobachtung der Bestimmungen der VerfassungArt. 11 LV trägt dem Landesfürsten ausdrücklich die „Beobachtung der Bestimmungen der Verfassung (Art. 96)“ auf. Der etwas altertümliche Ausdruck „Beobachtung“, der offenkundig der ursprünglichen Formulierung des Art. 11 LV aus dem Jahre 1921 entlehnt ist, meint, die entsprechenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu „beachten“.[42]Dies bedeutet, dass der Landesfürst, wenn der Landtag den vom Richterauswahlgremium empfohlenen Kandidaten wählt, diesen zum Richter zu ernennen hat (Art. 96 Abs. 1 letzter Satz LV). Die Verfassung überlässt dem Landesfürsten insoweit keinen Spielraum. Er kann daher kein Ermessen ausüben, sondern lediglich den ihm von der Verfassung aufgetragenen Akt setzen. Die Unterlassung der Ernennung eines Richters nach Durchlaufen des Verfahrens gemäss Art. 96 Abs. 1 LV durch den Landesfürsten wäre verfassungswidrig. Ebenso wäre es verfassungswidrig, die Ernennung nach erfolgter Information über die Wahl des betreffenden Richters durch den Landtag in ungebührlicher Weise zu verzögern. Der Landesfürst hat ebenso einen vom Volk nach den Bestimmungen des Art. 96 Abs. 2 LV gewählten Kandidaten zu ernennen. Auch diesbezüglich besteht kein Ermessensspielraum. Umgekehrt ist es aber auch die Verpflichtung des Landesfürsten, von einer Ernennung abzusehen, wenn das Verfahren gemäss Art. 96 Abs. 1 oder 2 LV nicht eingehalten wurde.3. Die Gegenzeichnungsbedürftigkeit der RichterernennungDie Frage, ob die Ernennung durch den Landesfürsten der Gegenzeichnung durch den Regierungschef gemäss Art. 85 zweiter Satz LV bedarf, ist in der Literatur und in der Staatspraxis bemerkenswerterweise strittig.[43] Winkler lehnt das Erfordernis der Gegenzeichnung bei der Richterernennung ab.[44] Er führt an anderer Stelle aus, dass „Ausfertigungen von Resolutionen, die nicht auf Antrag des Regierungschefs ergehen“, von der Gegenzeichnung des Regierungschefs ausgenommen seien.[45] Winkler verweist weiter auf Art. 86 Abs. 2 LV, wonach Ausfertigungen der über Antrag des Regierungschefs ergehenden landesherrlichen Resolutionen der Gegenzeichnung bedürfen.[46]Diese Begründung ist zu hinterfragen: Gemäss Art. 85 zweiter Satz LV obliegen dem Regierungschef die Gegenzeichnung der vom Fürsten oder einer Regentschaft ausgehenden Erlässe und Verordnungen. Nun ist es aber vor dem historischen Hintergrund des Gegenzeichnungsrechts, eine politische Verantwortlichkeit für einen Staatsakt herzustellen,[47] geboten, Ausnahmen restriktiv auszulegen. Klarerweise ist eine Richterernennung keine Verordnung, denn sie stellt keinen generellen Rechtsakt dar, der an einen abstrakten Adressatenkreis gerichtet ist und auf der Grundlage eines Gesetzes Aussenwirkung entfaltet, wie dies für eine Verordnung typisch ist.[48] Die Richterernennung ist vielmehr wie dargestellt ein individueller Hoheitsakt. Solche individuellen Hoheitsakte des Landesfürsten können sehr wohl als ein „Erlass“ im Sinne des Art. 85 zweiter Satz LV qualifiziert werden.[49] Daran ändert auch nichts, dass sowohl in der schweizerischen als auch der österreichischen Terminologie mit dem Begriff „Erlasse“ bzw. „Erlässe“ ebenfalls generelle Rechtsnormen in Verbindung gebracht werden. Dies deshalb, weil schweizerische und österreichische Terminologie in ihrem Verständnis des Begriffes dennoch uneinheitlich sind. Während in der Schweiz „Erlasse“ insbesondere rechtsetzende Akte auf Verfassungs-, Gesetzes- oder Verordnungsstufe sind,[50] wird in Österreich der Begriff „Erlass“ mit generellen, verwaltungsinternen Anordnungen ohne Aussenwirkung in Verbindung gebracht.[51] Ganz abgesehen davon ist es in einer historischen Interpretation nicht angebracht, dem bereits im Jahre 1862 in § 29 KonV eingeführten Begriff des „Erlasses“ das heutige Verständnis der schweizerischen und österreichischen Lehre dieses Begriffes zu unterlegen.[52] Es gibt keinerlei Hinweis, dass der Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1921, der diese Begrifflichkeit aus der Konstitutionellen Verfassung übernahm, nur generelle Akte des Landesfürsten der Gegenzeichnungspflicht unterworfen wissen wollte. Weshalb eine Richterernennung nur eine „Resolution“ im Sinne des Art. 86 Abs. 2 LV sein kann, nicht aber ein „Erlass“ im Sinne des Art. 85 zweiter Satz LV sein kann, wird auch von Winkler nicht näher begründet.[53]Wenn eine Gegenzeichnungsbedürftigkeit nicht bestehen soll, dann höchstens deshalb, weil der Landesfürst durch die Wahl des Landtages (Art. 96 Abs. 1 LV) oder des Volkes (Art. 96 Abs. 2 LV) bereits gebunden ist und, wie dargestellt, verpflichtet ist, den gewählten Richter auch tatsächlich zu ernennen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Gegenzeichnung durch den Regierungschef entbehrlich. Die Staatspraxis der letzten Jahrzehnte scheint auf eine Gegenzeichnung der Richternennung zu verzichten,[54] was trotz der offensichtlichen Problematik im Hinblick auf die möglichen rechtlichen Konsequenzen[55] bisher nicht problematisiert wurde. |
1) Über Bestand, Organisation und Aufgaben der Gemeinden im eigenen und übertragenen Wirkungskreise bestimmen die Gesetze.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Kurzer Überblick über die Entwicklung des liechtensteinischen Gemeinderechts im 19. und 20. JahrhundertSeit der Dienstinstruktion von Fürst Johannes I. für Landvogt Josef Schuppler vom 7. Oktober 1808 wurden die Dorfgemeinden zu elf Gemeinden reorganisiert. Die gemeinschaftlich genutzten Wiesen und Weiden hätten zur intensiveren Nutzung als Ackerland und zur Entsumpfung[2] aufgehoben, die Flächen aufgeteilt und einzelnen Bürgern zu Eigentum zugewiesen werden sollen.[3] Die Gemeinden sträubten sich jedoch dagegen, genauso wie sie das Freizügigkeitsgesetz vom 22. Juni 1810 nicht umsetzten.[4] Das Gesetz hätte es jedem liechtensteinischen Bürger erlaubt, sich in jeder Gemeinde des Landes niederzulassen.Das Gemeindegesetz vom 1. August 1842 war das erste Gemeindegesetz für Liechtenstein. Es führte so gut wie alle die Gemeinden betreffenden Gegenstände einer Regelung zu. Die Gemeinden unterstanden der Aufsicht des Oberamtes, durften jedoch das Gemeindebürgerrecht erteilen und hatten ein vor dem Zugriff durch das Oberamt geschütztes Gemeindevermögen.[5] Nur die Gemeindebürger (nicht aber die Hintersassen und Fremden) konnten in politischen Angelegenheiten vollumfänglich mitbestimmen und am Gemeindenutzen partizipieren. Die Hintersassen hatten einen eingeschränkten, die Fremden gar keinen Zugang zum Gemeindenutzen, d.h. zu den gemeinschaftlich genutzten Flächen. Es lag jedoch keine eigentliche Trennung in politische Gemeinde und Bürgergemeinde vor.Wer das Gemeindewesen als einen in der Verfassung von 1862 zu regelnden Gegenstand in die Diskussion einbrachte und den Text redigierte, ist nicht bekannt.[6] § 22 KonV war von der Verfassungsurkunde für das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen vom 11. Juli 1833 beeinflusst.[7] In § 22 KonV wurden die freie Wahl des Ortsvorstehers, die selbständige Verwaltung des Vermögens und der Ortspolizei garantiert. Zudem wurde den Gemeinden das Armenwesen, die Schule und das „Recht zur Bürgeraufnahme“ übertragen. In § 6 KonV wurde überdies die Grundlage für das Bürgerrechtsgesetz vom 28. März 1864[8] gelegt, mit dem die Verknüpfung von Gemeinde- und Landesbürgerrecht eingeführt wurde.Das Gemeindegesetz vom 24. Mai 1864 wies wiederum nicht allen Einwohnern dieselben Rechte zu, sondern unterschied zwischen Bürgern, Niedergelassenen und Fremden. Liechtensteinische Niedergelassene konnten das Stimmrecht und das aktive Wahlrecht ausüben, waren aber nicht im vollen Umfang zur Nutzung der gemeinschaftlich genutzten Güter zugelassen.In § 70 und § 95 ff. GemG 1864 wurde erstmals vom selbständigen und übertragenen Wirkungskreis gesprochen. Die Formulierung von § 70 Abs. 1 GemG 1864 lehnte sich an die Formulierung von Art. III des provisorischen (österreichischen) Gemeindegesetzes vom 17. März 1849 an, die lautete: „Der natürliche (Wirkungskreis) umfasst alles, was das Interesse der Gemeinde zunächst berührt, und innerhalb ihrer Grenzen vollständig durchführbar ist.“[9] Die Formulierung von Art. III Abs. 1 diente ihrerseits Art. V des (österreichischen) Gemeindegesetzes vom 5. März 1862[10] als Vorlage,[11] der zwischen dem selbständigen und dem übertragenen Wirkungskreis unterschied. Demgegenüber glich das liechtensteinische Gemeindegesetz von 1864 mit seiner Aufzählung der Rechte der Gemeinden in § 4 stärker dem Reichsgemeindegesetz von 1862 als dem provisorischen Gemeindegesetz von 1849. Zwischen dem Liechtensteiner Gemeindegesetz von 1864 und der Vorarlberger Gemeindeordnung vom 22. April 1864 zeigten sich jedoch Unterschiede.[12] Wegen all dieser Verschiedenheiten kann das Gemeindegesetz als eigene liechtensteinische Schöpfung qualifiziert werden.[13]1921 wurde die Unterscheidung zwischen eigenem und übertragenem Wirkungskreis in die Verfassung übernommen. Referenz dafür war das Gemeindegesetz, nicht etwa das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920. Die Gemeinden waren bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung kein Thema.[14]Das Gemeindegesetz von 1864 wurde erst 1959 totalrevidiert, frühere Versuche scheiterten.[15] Mit der Totalrevision von 1996 erfolgte die Aussonderung der Bürgergenossenschaften und damit eine strikte Trennung zwischen der politischen Gemeinde und der Gemeinschaft derjenigen Bürger, die Rechte an den gemeinschaftlich genutzten Flächen und Gütern haben.[16]II. Hinweise zu den aktuellen VerhältnissenLiechtenstein zählt elf Gemeinden. Art. 1 Abs. 1 LV zählt sie auf. Sie unterscheiden sich sowohl bezüglich ihrer Grösse (von 3,6 km2 [Schellenberg] bis zu 29,7 km2 [Triesenberg], von 424 Einwohnern [Planken] bis zu 5963 Einwohnern [Schaan][17]) als auch bezüglich ihrer Lage (mit oder ohne Anstoss an den Rhein, mit oder ohne Berge)[18]. Bei allen stellt ein Teil der Gemeindegrenze zugleich eine Landesgrenze dar. Jede liechtensteinische Gemeinde grenzt unmittelbar an die Schweiz oder an Österreich. Lediglich Mauren, Ruggell, Schellenberg und Triesen haben weder Enklaven noch Exklaven anderer Gemeinden.[19] Bei mehreren Exklaven handelt es sich um Alpen.[20] Sie befinden sich zu einem grossen Teil[21] im Eigentum von Alpgenossenschaften,[22] denen nur alteingesessene Bürgerinnen und Bürger angehören, oder die im Eigentum der jeweiligen Bürgergenossenschaft stehen.[23]Die von Art. 4 Abs. 2 LV vorgesehene Fusion von politischen Gemeinden wird immer wieder in politischen Diskussionen erwähnt. Bis jetzt kam es jedoch nicht zu entsprechenden Vorstössen. Über die Arrondierung der noch immer ziemlich verwinkelten Gemeindegrenzen wurde in den letzten Jahren soweit ersichtlich nicht gesprochen.[24] Die liechtensteinischen Gemeinden zeichnen sich dadurch aus, dass sich ihr Bestand seit 1842 nicht mehr verändert hat.Anfang des 21. Jahrhunderts nahm Liechtenstein mit dem Gesamtprojekt „Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Land und Gemeinden“ eine grössere Reform vor.[25] Bei ihrer Ausarbeitung zeigte sich, dass die damalige (Finanzierungs-) Praxis wenig Rücksicht auf die in den einschlägigen Gesetzen vorgesehene Kompetenzverteilung genommen hatte.[26] Die Reform führte zu einer Aufgabenentflechtung und in einem zweiten Schritt zu einer Neuregelung der Finanzströme vom Land zu den Gemeinden.[27] Ziel der Entflechtung waren eine grössere Eigenverantwortung der Gemeinden, die zu einer Reduktion der staatlichen Kontrollen führen sollte, und eine Kostensenkung.[28] Im Zusammenhang mit der Aufgabenentflechtung kam es auch zu Revisionen im Bereich der Sozialhilfe. Auf die Problematik der dabei vorgenommenen Zuweisung von Kompetenzen von den Gemeinden an das Land wird in der Kommentierung zu Art. 25 LV eingegangen.[29]Das Finanzhaushaltsrecht der Gemeinden wird aktuell aus dem Gemeindegesetz (GemG) herausgelöst und in einem eigenen Gesetz (GFHG) geregelt, orientiert am Finanzhaushaltsgesetz des Landes (FHG),[30] mit dem seine Bestimmungen harmonisieren sollen.[31] Rechnungslegung und Berichterstattung sollen sich künftig wie auf der Ebene Land an den Rechnungsstandards IPSAS orientieren,[32] die weiterhin die doppelte Buchführung vorsieht.III. Definition und Abgrenzung des GemeindebegriffsA. Rückgriff der Konstitutionellen Verfassung von 1862 auf das Gemeindegesetz von 1842Die Institution der Gemeinde wurde nicht durch das Gemeindegesetz von 1842 ins Leben gerufen. Strukturen dörflicher Selbstverwaltung existierten vielmehr schon viel länger. Deshalb war es sinnvoll, dass das Gemeindegesetz von 1842 mit einer Definition aufwartete. Die Verfassung von 1862 schuf hingegen keine eigene Definition der Gemeinde. Sie ging vielmehr einfach davon aus, dass es Gemeinden gab und unterliess es, Bedingungen zu statuieren, unter denen sich ein Gebilde als Gemeinde konstituieren konnte. Das Leitbild des Verfassungsgebers erschliesst sich deshalb aus dem Gemeindegesetz von 1842.§ 1 GemG 1842 definierte die Ortsgemeinde als „bleibenden Verein von Staatsunterthanen“. Dass es sich bei den Gemeinden nicht um einen ausschliesslich dem Privatrecht unterstellten Verein von Personen handelte, die sich freiwillig zusammen geschlossen hatten, um einen frei gewählten gemeinsamen Zweck zu verfolgen, machte das Gesetz klar, erwähnte es doch die staatliche Aufsicht ebenso wie die Rechte und Lasten der Bewohner. Dabei schuf es Personengruppen, die einander nicht gleichgestellt waren. Der Begriff des Vereins war hingegen insofern nicht verfehlt, als das Gemeindegesetz von 1842 wie seine beiden Nachfolger nicht so sehr an der Fläche anknüpfte, sondern an einem klar umgrenzten Personenkreis.Das Gemeindegesetz von 1864 enthielt keine Definition, nahm jedoch mit dem Hinweis, dass die „Zusammensetzung der Ortsgemeinden“ beibehalten werde (§ 1), ausdrücklich Bezug auf die Regelung von 1842. Gemeint war damit vor allem, dass es nicht zu einer Verschiebung der Grenzen kommen solle. Das Gemeindegesetz (siehe § 1 bis 3) stellte die Grenzfestsetzung und das Fortbestehen nicht in das Belieben der einzelnen Ortsgemeinden. Auch das Gemeindegesetz von 1864 zeichnete sich durch das Beibehalten von verschiedenen Einwohnerkategorien aus, die in unterschiedlich starkem Mass an der Nutzung von Gütern teilhaben konnten.[33]B. Rückgriff der Verfassung von 1921 auf das Gemeindegesetz von 18641921 wurde keine Veränderung bezüglich der Gemeinden angestrebt. Die Gemeinden waren schlicht kein Thema.[34] Ihr Bestehen wurde vorausgesetzt. Eine Aufgabenzuschreibung wurde nicht vorgenommen, ein Leitbild nicht formuliert. Offenbar war der Verfassungsgeber mit dem zufrieden, was das Gesetz vorsah. Das waren gemäss dem noch immer geltenden Gemeindegesetz von 1864 lokale Einheiten, die sich um bestimmte örtliche Aufgaben kümmerten und mit ihren gemeinschaftlich genutzten Flächen die Lebensgrundlage für die Bürger (nicht aber für die Niedergelassenen und Fremden) schufen. Bezüglich all ihrer Tätigkeiten unterstanden die Gemeinden detaillierten Vorschriften und einer straffen Aufsicht.Angesichts der eingeschränkten politischen und wirtschaftlichen Rechte der liechtensteinischen Einwohner ohne Gemeindebürgerrecht (also der sog. Niedergelassenen) kann 1921 nicht die Rede davon sein, dass die Gemeinden so etwas wie die Urzelle der demokratischen Gestaltung oder die unterste Stufe einer auf die freie Entfaltung des Einzelnen gerichtete Institution waren. Dazu waren die Gemeinden im Verhältnis zum Land auch viel zu schwach. Leitbild des Gemeindegesetzes von 1864 waren vielmehr klare Vorgaben für alle Gemeinden. Auf die jeweiligen lokalen Verhältnisse abgestimmte Regelungen waren nicht das Ziel des Gemeindegesetzes von 1864 und wurden offenbar auch 1921 nicht angestrebt.Insofern könnten die Gemeinden von 1921 als dezentralisierte Verwaltungseinheiten mit klarem Leistungsauftrag unter weitgehender staatlicher Kontrolle bezeichnet werden. Auf jeden Fall nicht als politische Einheiten, die bei ihnen wichtig erscheinenden Aufgaben selbständig Prioritäten setzen konnten. Ebenso fehlte es ihnen an jeglichem Spielraum bei der Ausgestaltung der politischen Entscheidungsprozesse und des Verwaltungsverfahrens.C. Erhebung zur Gebietskörperschaft im Gemeindegesetz von 1996Das Gemeindegesetz von 1959 nahm in Art. 1 Abs. 1 auf die „heute bestehenden, in Art. 1 der Verfassung aufgezählten Gemeinden“ Bezug, ohne eine Definition der Gemeinden zu nennen. Erst im Gemeindegesetz von 1996 findet sich wieder eine Definition. Art. 3 GemG 1996 definiert die Gemeinden als „Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts“, welche „in den Grenzen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die Hoheit über alle in ihrem Gebiet befindlichen Personen und Sachen“ ausüben.Körperschaften zeichnen sich durch Mitglieder aus.[35] Insofern brachte die Definition von 1996 keine Änderung mit sich. Wohl aber wurde nach 1996 eine Aufteilung von Gütern und Rechten zwischen den politischen Gemeinden und den Bürgergenossenschaften notwendig.[36] Das Gesetz von 1996 bezieht sich nämlich nur noch auf die politischen Gemeinden. Die Rechte an den genossenschaftlich genutzten Gütern wurde den Bürgergenossenschaften übertragen.Auch die Bürgergenossenschaften sind „Körperschaften des öffentlichen Rechts“.[37] Bei ihnen (siehe Art. 1 Abs. 1 Gesetz über die Bürgergenossenschaft) liegt eine „Gesamtheit der Personen“ vor,[38] während für die politischen Gemeinden (siehe Art. 3 GemG) an der Fläche angeknüpft wird. In den Materialien erfolgten keine Ausführungen zu den Körperschaften. Die Gemeinden sind nicht die einzigen Körperschaften öffentlichen Rechts,[39] sieht doch Art. 78 Abs. 4 LV die Möglichkeit der Regierung vor, für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aufgaben „besondere Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“ zu errichten. Bei den Gemeinden handelt es sich nicht um solche für einen besonderen Zweck geschaffene Einheiten. Sie weisen jedoch zu Recht dieselbe Rechtsform auf. Körperschaften sind nämlich definiert als „Personenmehrheiten“, deren Mitgliedschaft in der Regel kraft Gesetz erlangt wird.[40] Dass hierfür am Wohnsitz in einem bestimmten Territorium angeknüpft wird, ist eine mögliche Variante.[41] Als juristische Personen verfügen die Körperschaften über Rechtspersönlichkeit.[42] Für die Gemeinden ist das Erlangen der Rechtspersönlichkeit gestützt auf die ihnen zugewiesene Rechtsform insofern nicht von praktischer Bedeutung, als ihre Stellung als Partei in verwaltungsrechtlichen Verfahren ausdrücklich per Gesetz geregelt wird.[43]Der Wandel von einer auf die einzelnen Personen bezogenen Definition hin zur Qualifikation der Gemeinden als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts vollzog sich ohne Revision der Verfassung. Möglich war dies, weil Art. 110 LV keine eigene Definition der Gemeinde schuf, sondern sich stillschweigend auf das vorgefundene Gesetzesrecht abstützte.D. Aktuelle Definition der GemeindenGestützt auf Art. 110 LV und das Gemeindegesetz von 1996 bietet sich folgende Definition an: Gemeinden sind Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts, die in einzelnen Bereichen der lokalen Aufgabenerfüllung über eine gewisse, im Umfang vom Landesrecht vorgegebene Autonomie in der Rechtsanwendung und Rechtsetzung verfügen. Sie üben durch diese Selbstverwaltung und Selbstgesetzgebung die Funktion der dezentralen Aufgabenerfüllung aus. Die Gemeinden sind juristische Personen und damit rechtsfähig. Sie bestimmen ihre Organe selbständig.Die Gemeinden werden in Art. 1 Abs. 1 LV abschliessend aufgezählt. Das Institut der Gemeinde abzuschaffen, wäre deshalb nur mittels Verfassungsänderung möglich.[44] Da Art. 110 LV – wie Kapitel V.C.1 zeigt – den Umfang der Autonomie nicht vorgibt, dürfte der Gesetzgeber die Freiheiten der Gemeinden in Rechtsetzung und anwendung auf ein Minimum reduzieren.E. Abgrenzung zu den Bürger- und Alpgenossenschaften1. Die BürgergenossenschaftenBei den gestützt auf das Gesetz vom 20. März 1996 über die Bürgergenossenschaften gegründeten Bürgergenossenschaften in Balzers, Eschen, Mauren, Triesen und Vaduz[45] handelt es sich gemäss Art. 1 Abs. 1 um Körperschaften öffentlichen Rechts.[46] Sie „bestehen aus der Gesamtheit der Personen, die Mitglieder der Bürgergenossenschaft sind.“ (Art. 1 Abs. 2). Sie „verwalten und wahren“ das sog. Genossenschaftsgut und gewähren ihren Mitgliedern Anteil an dessen Nutzung (Art. 2 Abs. 2). Das Genossenschaftsgut wurde 1996 nicht neu geschaffen. Vielmehr handelt es sich (siehe Art. 2 Abs. 1) um „alte Rechte und Übungen“, deren Ausübung durch das Gemeindegesetz von 1959 in den Bestimmungen über den Gemeindenutzen geregelt waren. Das Gesetz nimmt denn bei der Umschreibung der Mitglieder der Bürgergenossenschaften (Art. 3) auch ausdrücklich Bezug auf das V. Hauptstück des Gemeindegesetzes von 1959. Zum Kreis der Nutzungsberechtigten gehört wie unter altem Recht nur, wer in eine eingesessene Familie hineingeboren wird oder einheiratet.[47] Ausländerinnen und Ausländer haben keine Möglichkeit, Mitglied einer Bürgergenossenschaft zu werden, Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner werden es nur durch Aufnahme (Art. 3 Abs. 3).[48] Insofern hat das Gesetz über die Bürgergenossenschaften nichts am eng gehaltenen Zugang zum Gemeindenutzen geändert.[49] Wohl aber hat sich durch das Gesetz über die Bürgergenossenschaften eine Änderung für die politischen Gemeinden ergeben, indem die zum sog. Bürgernutzen gehörenden Güter als Genossenschaftsgut ausgeschieden worden sind und nicht mehr (siehe Art. 72 GemG 1959) durch die politische Gemeinde verwaltet werden.[50] Es bestehen nun keine Unsicherheiten mehr über die Zuständigkeiten.[51]Diese Einschränkung der Kompetenzen der Gemeinden war ohne Revision der Verfassung zulässig. An den Personen, die als Bewohner einer politischen Gemeinde den Beschlüssen von deren Organen unterstehen, hat sich durch die Schaffung der Bürgergenossenschaften nichts geändert. Ebenso wenig am Gebiet, auf das sich die Entscheidungsgewalt der Gemeinden erstreckt. Geändert hat sich hingegen der Umfang des Gemeindevermögens, wobei die Organe der politischen Gemeinden bereits unter dem Gemeindegesetz von 1959 nur die Verwaltung der zum Gemeindenutzen gehörenden Werte vornahmen. Die grundlegenden Beschlüsse über ihre Verwendung wurden allein durch die nutzungsberechtigten Gemeindebürger gefällt. Art. 110 LV entfaltet seine Wirkung unabhängig von der Zusammensetzung und der Höhe des Gemeindevermögens. Insofern war eine Verfassungsänderung bei der Aussonderung anlässlich der Aufteilung in politische Gemeinden und Bürgergenossenschaften nicht notwendig.[52]Eine andere Frage ist, ob die Bürgergenossenschaften als Gemeinden im Sinne von Art. 110 LV zu qualifizieren sind und damit im Bestand geschützt sind, Autonomie geniessen und Art. 111 LV beachten müssen. In mehreren Schweizer Kantonen bestehen mit den Bürgergemeinden oder Orts(bürger)gemeinden Körperschaften,[53] die vergleichbare Aufgaben wahrnehmen wie die liechtensteinischen Bürgergenossenschaften, parallel zu den politischen Gemeinden geregelt werden[54] und mit Autonomie ausgestattet sind.[55] Gemäss BuA Nr. 68/1990, S. 17 sind nur die politischen Gemeinden als Gemeinde zu verstehen. Es war denn auch in den Beratungen nie die Rede davon, dass die Bürgergenossenschaften die Gemeindeautonomie beanspruchen könnten. Vielmehr wurden die Unterschiede zwischen den Gemeinden und den Bürgergenossenschaften hervorgehoben.Von Bedeutung sind die Bürgergenossenschaften wegen ihres Grundeigentums sowie wegen der per Gesetz (Art. 14 Abs. 1 und 2 sowie Art. 25 Gesetz über die Bürgergenossenschaften) vorgesehenen Verflechtung von politischer Gemeinde und Bürgergenossenschaft.[56] Aus rechtlicher Sicht stellt sich die Frage, ob die Bindung von Grundeigentum und Nutzungsrechten mit wirtschaftlichem Wert an einen mehr oder weniger geschlossenen Personenkreis vor der in Art. 31 Abs. 1 LV statuierten Gleichbehandlung der Landesangehörigen standhält.[57] Erbringen die Bürgergenossenschaften Leistungen an ihre Mitglieder, die sonst nicht oder nur zu einem höheren Preis erhältlich sind (z.B. Überlassen von Bau- oder Pachtland, siehe z.B. Art. 18 Abs. 1 und Art. 20 Statuten Bürgergenossenschaft Balzers),[58] liegt eine Ungleichbehandlung vor, die an der Geburt respektive an der Ehe/eingetragenen Partnerschaft anknüpft. Umgekehrt stellt es eine Schlechterstellung dar, wenn nur die Mitglieder der Bürgergenossenschaft Lasten tragen (Art. 7 Gesetz über die Bürgergenossenschaften), von den durch sie geschaffenen Werten (z.B. einem gepflegten Waldstück) aber alle Bewohner profitieren. Immerhin kann sich das einzelne Mitglied den Lasten entziehen, indem es auf die Mitgliedschaft verzichtet (Art. 4 lit. c Gesetz über die Bürgergenossenschaften).[59] Ob eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vorliegt, wenn eine Bürgergenossenschaft einen Bewerber nicht aufnimmt, wäre im konkreten Fall zu beurteilen.2. Die AlpgenossenschaftenAuch die Alpgenossenschaften finden keine Erwähnung in der Verfassung. Sie bestanden meist schon vor dem Erlass der Verfassung von 1862. Die Frage, ob sich Art. 110 LV respektive sein Vorläufer § 22 KonV auf sie beziehen könnte, stellte sich nie, fanden die von ihnen ausgeübten Aufgaben doch keinen Eingang in das Gemeindegesetz von 1842 und seine Nachfolger. Im Gegenteil, § 26 GemG 1842 nahm die im Privateigentum einer Alpgenossenschaft stehenden Alpen ausdrücklich von der Geltung der Bestimmungen über den Gemeindenutzen aus. Den Alpgenossenschaften kommt kein öffentlich-rechtlicher Status zu.IV. Der Inhalt von Art. 110 LVA. Der von § 22 KonV übernommene Art. 110 Abs. 2 LV§ 22 KonV sprach von einem Gemeindegesetz (im Singular),[60] Art. 110 Abs. 2 LV verwendet in der Einleitung mit der Formulierung „In den Gemeindegesetzen sind folgende Grundzüge festzulegen“ den Plural. Es stellt sich deshalb die Frage, was mit dieser nicht diskutierten Änderung[61] auf „Gemeindegesetze“ gemeint ist, gab und gibt es doch ein Gemeindegesetz und die Gemeindeordnungen der Gemeinden, aber nicht mehrere Gemeindegesetze.Wie die Gemeindegesetze von 1864, 1959 und 1996 zeigen, regelte und regelt das Gemeindegesetz unter anderem das Gemeindebürgerrecht sowie die Bestellung und Aufgaben der Organe. Da 1921 kein Bruch mit der bestehenden Regelung geplant war, ist Art. 110 Abs. 2 LV so zu verstehen: „Im Gemeindegesetz sind folgende Grundzüge festzulegen“.Fraglich ist jedoch, warum das Gemeindegesetz bezüglich der in Art. 110 Abs. 2 lit. a bis d genannten Materien bloss die „Grundzüge“ regeln soll. Gerade für Wahlen ist eine detaillierte Regelung unerlässlich. Dass die Kompetenzen zur Regelung der genannten Materien bei den Gemeinden liegen sollen und demnach jede Gemeinde selber bestimmen könnte, wie sie die „freie Wahl“ der Gemeindeorgane im Detail regelt, wurde nie als Ziel genannt. Art. 110 Abs. 2 LV ist deshalb wie folgt zu verstehen: „Das Gemeindegesetz geht bei der Regelung von folgenden Grundsätzen aus“ oder „Das Gemeindegesetz muss den folgenden Prinzipien Rechnung tragen.“ Landesverweser Peer verwendete den Begriff „Grundsätze“ in der zweiten Fassung der Regierungsvorlage, jedoch ohne diese Abweichung von der Vorlage von Emil Beck zu begründen.[62] Genauso wenig wurde im Landtag erwähnt, warum letztlich doch dem Begriff „Grundzüge“ der Vorzug gegeben wurde. Dieses Hin und Her spricht ebenfalls dafür, „Grundzüge“ und „Grundsätze“ als Synonyme zu verstehen.B. Der neu geschaffene Art. 110 Abs. 1 LVDer Begriff des eigenen und übertragenen Wirkungskreises hatte Aufnahme in das Gemeindegesetz von 1864 gefunden.[63] Er wurde 1921 in die Verfassung übernommen. Es ist demnach nicht so, dass 1921 unmittelbar an die Formulierungen in der österreichischen Verfassung von 1920 oder an die Schweizer Rechtsprechung angeknüpft wurde.[64] In Kapitel V.C und V.D wird näher ausgeführt, welche Wirkungen dieser Zweiteilung heute noch zukommen.1. Bestand der GemeindenArt. 110 Abs. 1 LV erweckt den Eindruck, als könnte eine Gemeinde oder als könnte das Institut der Gemeinde durch ein Gesetz aufgehoben werden. Art. 110 Abs. 1 LV ist jedoch mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV auszulegen, wonach für die Zusammenlegung von Gemeinden die Zustimmung der Gemeindebewohner erforderlich ist.[65] Art. 4 LV hatte bereits in der 1921 verabschiedeten Fassung verlangt, dass Grenzänderungen durch Gesetz erfolgen, und Art. 1 Abs. 1 LV hatte auch schon in der Fassung von 1921 alle Gemeinden aufgezählt.[66] Deshalb kommt der Erwähnung des Bestandes in Art. 110 Abs. 1 LV keine eigenständige Wirkung zu.2. Organisation der GemeindenEs fragt sich, ob der Begriff „Organisation“ in Abs. 1 unmittelbar Bezug auf die in Abs. 2 aufgegriffenen Punkte nimmt oder ob es sich um eine eigenständige, weiter gefasste Aussage handelt. Abs. 1 kommt vor Abs. 2 und erwähnt sowohl den eigenen als auch den übertragenen Wirkungskreis, also das ganze Spektrum, indem eine Gemeinde handelt und für das sie geeignete Abläufe bereitzustellen hat.[67] Deshalb ist die Aussage „Über (…) Organisation (…) der Gemeinden (….) bestimmen die Gesetze“ umfassend zu verstehen. Abs. 1 schreibt somit für alle Aspekte der kommunalen Organisation eine gesetzliche Regelung vor. Dass einzelne Punkte der Gemeindeorganisation bereits in der Verfassung geregelt werden, nämlich in Art. 110 Abs. 2, steht dem nicht entgegen.3. Aufgaben der GemeindenDie in Abs. 2 lit. a genannte Wahl von Ortsvorstehern und weiteren Organen[68] ist wie das Einstellen von Personal[69] eine Voraussetzung dafür, dass die Gemeinden ihre Aufgaben wahrnehmen können. Dasselbe gilt für das Gemeindevermögen,[70] dessen selbständige Verwaltung Abs. 2 lit. b garantiert. Art. 110 Abs. 2 LV sagt damit nicht, welche Aufgaben die Gemeinden ausüben müssen und welche sie freiwillig übernehmen dürfen.Hingegen werden Aufgaben der Gemeinden bei der Zuständigerklärung zur Ortspolizei in Abs. 2 lit. b, bei der Zuweisung des Armenwesens in Abs. 2 lit. c[71] und bei der in Abs. 2 lit. d vorgenommenen Gewährung des Rechts, das Bürgerrecht zu erteilen, umschrieben.[72] Diese Kompetenzen der Gemeinden können nicht die einzigen Aufgaben sein, die von den Gemeinden ausgeübt werden. Die Art und der Umfang der Aufgaben der Gemeinden ergibt sich demnach nicht aus Art. 110 Abs. 2 LV. Art. 110 Abs. 1 LV stellt klar, wo sich die Aufzählung der Gemeindeaufgaben findet: im Gesetz.Bei der Ortspolizei im Sinne von Art. 110 Abs. 2 lit. b handelt es sich nicht um ein Organ und um eine Frage der Organisation, sondern um die Beschreibung einer Funktion, welche die Gemeinden wahrzunehmen haben. Es handelt sich um ordnungsstiftende Aufgaben. Dazu gehört es nicht nur, für Sicherheit zu sorgen und Streit zu schlichten, sondern auch Regeln in Bereichen wie Bau- und Forstwesen oder der Gewerbe- und Wirtschaftsordnung zu treffen.4. Die Formulierung „bestimmen die Gesetze“Der Wortlaut lässt zwei Varianten für die Auslegung der Formulierung „bestimmen die Gesetze“ zu. Die eine: Bestand, Organisation und Aufgaben der Gemeinden sollen nicht durch die Verfassung, sondern durch das Gesetz geregelt werden. Die andere: Bestand, Organisation und Aufgaben der Gemeinden müssen per Gesetz geregelt werden, nicht bloss durch eine Verordnung oder die Praxis. Weil die Verfassung in Abs. 2 Grundsätze aufstellt, die bei der Regelung von einzelnen Fragen der Organisation und der Aufgabenerfüllung der Gemeinden zu beachten sind, würde der Abs. 1 dem Abs. 2 widersprechen, wenn nur das Gesetz (nicht aber die Verfassung) Regeln bezüglich Bestand, Organisation und Aufgaben der Gemeinden regeln dürfte.Die Wendung „bestimmen die Gesetze“ ist deshalb so zu interpretieren, dass die Themen Bestand, Organisation und Aufgaben der Gemeinden im Gesetz geregelt werden müssen, und zwar in den Landesgesetzen. Die Wendung in Abs. 1 als Verweis auf das in Abs. 2 genannte Gemeindegesetz zu lesen (was bedeuten würde, dass Bestand, Organisation und Aufgaben ausschliesslich im Gemeindegesetz zu regeln wären), überzeugt nicht. Wenn in Abs. 2 von dem Gemeindegesetz gesprochen wird, ist davon auszugehen, dass es auch in Abs. 1 erwähnt worden wäre.Es stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Art. 110 Abs. 1 LV zu dem in Art. 92 Abs. 4 LV und Art. 78 LV verankerten Legalitätsprinzip.[73] Art. 92 Abs. 4 LV und Art. 78 LV richten sich explizit an die Regierung und an die Landesverwaltung. Bei den Aktivitäten der Gemeinden handelt es sich nicht um ein Handeln der Landesverwaltung. Von daher überzeugt es, dass die Umschreibung der Aufgaben der Gemeinden und die Ausgestaltung der Organisation ausdrücklich dem Gesetz unterworfen werden. Es wird damit klargestellt, dass es nicht im Belieben der einzelnen Gemeinden steht, wie sie ausgestaltet sind und welche Aufgaben sie erfüllen. Vielmehr wird dies durch Landesgesetze vorgegeben, respektive – siehe Kapitel V.B.1 – wird den Gemeinden Raum für eigenes Handeln gelassen. Ebenso wird damit sichergestellt, dass Vorgaben des Landes mit Auswirkungen auf die Gemeindeorganisation, die Aufgaben oder den Bestand der Gemeinden durch den Landtag beschlossen werden müssen.V. Eigener und übertragener WirkungskreisA. Art. 110 Abs. 1 LV und die Unterscheidung in den eigenen und übertragenen WirkungskreisDer Begriff des eigenen und übertragenen Wirkungskreises fand vom österreichischen Recht her Eingang ins Gemeindegesetz von 1864 und 1921 in die Verfassung, wobei sich die Verfassung am Gesetz orientierte und nicht an dem zum Zeitpunkt ihrer Schöpfung geltenden österreichischen Verfassungsrecht.[74]Der Begriff des Wirkungskreises wurde zwar im 20. Jahrhundert auch in der Schweizer Lehre verwendet, doch sind seit den 1960er-Jahren in der Schweiz (im Gefolge von BGE 93 I 154 E. 5 S. 160) andere Kriterien für die Bestimmung der Gemeindeautonomie massgebend. Für Liechtenstein stellt dies insofern eine Herausforderung dar, als die Rechtsprechung sowohl auf die österreichische als auch auf die schweizerische Lehre und Rechtsprechung Bezug nimmt.[75] Wegen dieser Orientierung an beiden Nachbarstaaten und der Bezugnahme der Verfassung auf liechtensteinisches Gesetzesrecht verbietet sich eine Übernahme des aktuellen österreichischen Rechts.Es war 1921 unbestritten, dass den Gemeinden in der Organisation und bei der Erledigung ihrer Aufgaben Freiheiten zukommen. Der Umfang dieser Autonomie sollte jedoch wie bis dahin nicht durch die Verfassung bestimmt werden, sondern durch das Gesetz. Somit entscheidet der Gesetzgeber, die Autonomie zu vergrössern oder zu verkleinern. Um den Umfang der Autonomie der Gemeinden zu bestimmen, bedarf es folglich einer Auslegung der einschlägigen Gesetze.[76] Hingegen macht Art. 110 Abs. 1 LV durch die Erwähnung des eigenen Wirkungskreises klar, dass den Gemeinden auf jeden Fall ein gewisser Freiraum zusteht.Die korrekte Zuordnung von Aufgaben zum einen oder anderen Wirkungskreis ist aus den folgenden Gründen wesentlich: B. Umschreibung des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises im GemeindegesetzWie ein Blick in die Gemeindegesetze zeigt, wurden der eigene und der übertragene Wirkungskreis immer wieder anders umschrieben.1. Gemeindegesetz von 1864 und von 1959§ 4 Abs. 1 GemG 1864 startete mit der allgemeinen Erklärung „Jede Gemeinde hat das Recht, die auf den Gemeindeverband sich beziehenden Angelegenheiten zu besorgen.“ und fügte nach der Einleitung „Namentlich hat sie das Recht“ eine Liste mit neun Aufgaben an.[79] Die vom Land den Gemeinden übertragenen Aufgaben wurden in § 5 Abs. 1 GemG 1864 erwähnt.[80] Der Wirkungskreis wurde erst in § 70 Abs. 1 GemG 1864 im Zusammenhang mit den Kompetenzen von ständigem und verstärktem Gemeinderat und Ortsvorsteher definiert: „Der Wirkungskreis einer Ortsgemeinde begreift einerseits alles in sich, was das Interesse der Gemeinde zunächst berührt, und umfasst auch jene öffentlichen Geschäfte, welche der Gemeinde vom Staat zur Besorgung übertragen werden.“Das Gemeindegesetz von 1959 ging nach einer etwas geänderten allgemeinen Definition zur demonstrativen Aufzählung von neun Aufgaben im eigenen Wirkungskreis über.2. Art. 12 Abs. 1 Gemeindegesetz von 1996Art. 12 Abs. 1 erster Satz GemG 1996 enthält mit der Formulierung „alles, was das Interesse der Gemeinde zunächst berührt und in erheblichem Umfang durch sie geordnet und verwaltet werden kann“ eine weiter gefasste Umschreibung als Art. 4 Abs. 2 GemG 1959.[81] Art. 3 f. GemG lassen jedoch deutlich erkennen, dass der Autonomie der Gemeinden Grenzen gesetzt sind, indem sie die Wendungen „in den Grenzen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit“ und „unter Aufsicht des Staates“ verwenden. Sie zeigen damit, dass sich der Umfang der Autonomie nicht allein aus den Bestimmungen des Gemeindegesetzes ergibt.Unklar ist zunächst, was Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz GemG meint: „Darüber hinaus kann die Gemeinde Aufgaben in freier Selbstverwaltung wahrnehmen, insoweit gesetzliche Beschränkungen nicht entgegenstehen.“ Wäre mit dieser Umschreibung ein anderer Grad an Autonomie gemeint als mit dem im ersten Satz angesprochenen eigenen Wirkungskreis, würden für die Gemeinden drei verschiedene Grade von Selbständigkeit gelten (Aufgaben im eigenen Wirkungskreis, in freier Selbstverwaltung, im übertragenen Wirkungskreis). Dem kann – nur schon weil sich sonst nirgends ein Hinweis auf eine Dreiteilung findet[82] – nicht so sein. Überdies zeigen die Materialien zur Totalrevision von 1996, dass der zweite wie der erste Satz als Umschreibung des eigenen Wirkungskreises verstanden wurde, beide Sätze also eine Einheit bilden.[83] Die Wendung „in freier Selbstverwaltung“ war aus Art. 4 Abs. 1 GemG 1959 übernommen worden. Neu war 1996 nur die Ergänzung „insoweit gesetzliche Beschränkungen nicht entgegenstehen“.Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz GemG ist demnach so auszulegen, dass die Gemeinden alle Aufgaben so wie die explizit als zum eigenen Wirkungskreis gehörend bezeichneten Aufgaben frei gestalten dürfen, solange dem keine Bestimmungen des Landesrechts entgegenstehen.StGH 1999/31 Erw. 3 formulierte dies wie folgt: „Konkret bedeutet dies, dass die Gemeinden in einem Sachbereich autonom sind, wenn die Gesetze diesen nicht abschliessend ordnen, sondern ihn ganz oder teilweise den Gemeinden zur Regelung überlassen und ihnen dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumen.“ Dabei ist nicht erforderlich, dass das Landesrecht den Gemeinden explizit Kompetenzen zuweist. Vielmehr genügt es, – das bringt Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz GemG ausdrücklich zur Geltung – dass das Gesetz einen Bereich nicht dem Land zur umfassenden Regelung zuweist.[84] In seinem Gutachten StGH 1981/13 Erw. 3.5 (= LES 1982, 127) hatte der StGH zu bedenken gegeben: „Damit die Gemeinden jedoch als lebendige Einheiten bestehen bleiben können, ist es wichtig, den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden nicht allzu restriktiv auszulegen.“Damit folgte die Revision von 1996 der vom StGH vorgezeichneten Richtung. Sie entspricht der Umschreibung der Gemeindeautonomie durch das schweizerische Bundesgericht. Dieses änderte in den 1960er-Jahren seine Rechtsprechung[85] und gab die von einem Teil der Lehre praktizierte Unterteilung in einen eigenen und einen übertragenen Wirkungskreis auf[86] mit dem Argument (siehe BGE 93 I 154 E. 5 S. 160), der Schutz der Gemeinden sei auf den übertragenen Wirkungskreis auszudehnen, weil sie sonst wegen der immer grösseren Anzahl an Vorgaben zu sehr den Kantonen ausgeliefert wären.[87] „Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit[88] einräumt. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (…).“[89]3. Das Verhältnis von Art. 12 Abs. 1 zu Abs. 2 Gemeindegesetz von 1996Die Aufzählung in Art. 12 Abs. 2 GemG dient – wie es auch die wörtliche Auslegung nahelegt – nur der Illustration,[90] wobei Bereiche aufgezählt werden, in denen Autonomie unverzichtbar scheint.Angesichts der Entstehungsgeschichte[91] und mit Blick auf die Aussagen in den Materialien zur Totalrevision von 1996 kann die Formulierung „was (…) durch sie geordnet und verwaltet werden kann“ keine Einschränkung der in Abs. 2 aufgezählten Kompetenzen bewirken.[92] Die in Abs. 2 genannten Aufgaben gehören immer dem eigenen Wirkungskreis an, auch wenn eine Gemeinde unter so grosser Finanznot oder Personalmangel leidet, dass sie nicht alle Aufgaben erledigen kann.[93] Die in Art. 12 Abs. 2 GemG aufgezählten Aufgaben zu erfüllen, steht nicht im Belieben der Gemeinden, würde es ihnen doch sonst an der notwendigen Organisation fehlen. Indem Art. 116 GemG die Überprüfung der „Beschlüsse und der Tätigkeit der Gemeindeorgane“ vorsieht, wird auch ein allfälliges Nicht-Handeln erfasst. Wo Art. 12 Abs. 2 GemG oder ein Landesgesetz ein Aktivwerden der Gemeinden vorsehen, dürfen Zwangsmassnahmen des Landes eingreifen.4. Zwischenfazit: Neue Umschreibung durch das Gemeindegesetz von 1996Art. 12 Abs. 1 GemG hat mit der Umschreibung des eigenen Wirkungskreises durch die Ergänzung um den zweiten Satz insofern mehr Gewicht erhalten, als sich eine Gemeinde ausdrücklich auch in einem Bereich auf Autonomie berufen kann, der von Art. 12 Abs. 2 GemG nicht genannt wird. Voraussetzung dafür ist, dass keine Bestimmungen des Landesrechts entgegenstehen. Der Umfang der Autonomie bestimmt sich demnach nicht an der abstrakten Zuordnung zum eigenen oder übertragenen Wirkungskreis, sondern an dem den Gemeinden durch das Landesrecht eingeräumten Spielraum.Mit der Revision von 1996 hat sich Liechtenstein deutlich vom österreichischen Recht entfernt, das konkrete Rechtsfolgen an die Unterscheidung zwischen eigenem und übertragenem Wirkungsbereich knüpft und nicht in erster Linie auf die den Gemeinden im Gesetz gewährten Freiräume abstellt.[94] Die Gemeindeautonomie erhielt mit dem geltenden Gemeindegesetz neue Konturen. Das Fehlen einer Definition in Art. 110 LV hat diese Entwicklung ermöglicht.C. Umfang der Gemeindeautonomie1. Der Umfang ergibt sich aus dem jeweiligen LandesgesetzDie Verfassung regelt nicht, wie sich der Umfang der Gemeindeautonomie bestimmt. Dies macht das Gesetz.[95] Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz GemG zeigt, dass er sich aus den für den Themenbereich einschlägigen Erlassen ergibt.StGH 1999/31 Erw. 3 verdeutlichte dies: Den Gemeinden komme in dem von Art. 4 GemG umrissenen eigenen Wirkungskreis Autonomie „im Sinne eines Selbstverwaltungsrechtes“ zu.[96] Hierfür sei es nicht erforderlich, dass die Gemeinden ein ganzes Aufgabengebiet selbständig regeln dürfen. Es genüge, wenn ihnen „im streitigen Bereich“ Autonomie zukomme.[97] Der StGH sagte: „Im einzelnen ergibt sich also der Umfang der Autonomie der Gemeinden aus den für den entsprechenden Bereich anwendbaren Landesgesetzen.“[98] Nicht selten bedarf es deshalb zur Bestimmung des Umfangs der Autonomie einer minutiösen Gesetzesauslegung.[99] Man könnte deshalb sagen, dass die Erwähnung eines Themas in Art. 12 Abs. 2 GemG ein Indiz für Gestaltungsfreiheiten der Gemeinden ist und so etwas wie eine Vermutung für eine autonome Ausgestaltung begründet. Danach sind jedoch die einschlägigen Bestimmungen im Detail zu analysieren.[100]Wenn in VGH 2013/056 Erw. 2 bei einer solchen Auslegung ausgeführt wird, die Bestimmungen des Baugesetzes gingen „als lex posterior und lex specialis den Bestimmungen des Gemeindegesetzes“ vor, so ist dies unglücklich formuliert. Der Erlass eines Gesetzes führt nicht dazu, dass Bestimmungen des Gemeindegesetzes nicht mehr anwendbar sind. Art. 116 GemG über die staatliche Aufsicht und insbesondere auch Art. 4 GemG behalten ihre Gültigkeit ebenso wie Art. 12 und Art. 13 GemG. Zu prüfen ist hingegen, ob durch neue Bestimmungen, die einen Themenbereich ausführlicher regeln als Art. 12 Abs. 2 GemG oder ein Gesetz revidieren und dabei die Aufgaben anders umschreiben als zuvor, die Autonomie der Gemeinden eingeschränkt worden ist.[101] Selbstverständlich beschränken nicht nur nach dem Erlass des GemG beschlossene Bestimmungen die Autonomie der Gemeinden. Vielmehr gibt es Bereiche, die schon immer abschliessend vom Land geregelt wurden.[102]2. Die Rechtsprechung zur GemeindeautonomieDas Bau- und Planungsrecht stellt seit jeher „einen zentralen Autonomiebereich der Gemeinden“ dar.[103] Folglich ergingen sowohl zum Baugesetz vom 11. Dezember 2008[104] als auch zu seinen Vorgängern[105] verschiedene Urteile, insbesondere zum Verhältnis von den Gemeinderichtplänen zum Baugesetz.[106] Zur Beurteilung standen aber insbesondere auch die Grenzen der Autonomie im Denkmalschutz,[107] im Orts- und Landschaftsbildschutz,[108] im Strassenverkehr,[109] in der Wassernutzung[110] oder Wohnbauförderung[111]. Im Vergleich zur Schweiz fällt auf, dass die liechtensteinischen Gemeinden im Bereich des Sozialen (vor allem im Bereich der Sozialhilfe,[112] aber z.B. auch im Schulwesen) nur wenige Kompetenzen haben. „Nach ständiger Rechtsprechung des StGH ist die Beschwerdelegitimation der Gemeinde in Bezug auf die Gemeindeautonomie ohne weiteres gegeben, wenn von der Gemeinde im Rahmen ihres hoheitlichen Handelns eine Autonomieverletzung geltend gemacht wird. Ob der Gemeinde in dem von der Beschwerde betroffenen Rechtsbereich tatsächlich Autonomie zukommt, ist indessen keine Frage der Legitimation, sondern Gegenstand der materiellen Prüfung der Beschwerde (StGH 1998/68, S 13; StGH 1998/27 in LES 2001, 9; StGH 1997/21 in LES 1998, 289; Häfelin/Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 4. Auflage, Zürich 2002, Rz 1469 ff.).“[113] Es obliegt der Gemeinde darzulegen, inwieweit sie in ihrer Autonomie verletzt ist. Sie muss die behauptete Verletzung substantiieren.[114]Die Gemeinden können gemäss StGH 2011/33 Erw. 1.1 „auch weitere Grundrechte als verletzt rügen, welche mit der Gemeindeautonomie im Zusammenhang stehen. Nicht berufen können sich die Gemeinden auf klassische Freiheitsrechte“ und auf die in der EMRK garantierten Grundrechte[115]. Macht eine Gemeinde geltend, es werde in ihr Gemeindevermögen eingegriffen, ist sie m.E. zur Geltendmachung der Verletzung der Eigentumsgarantie legitimiert. Ebenso kann sie sich auf die Handels- und Wirtschaftsfreiheit berufen, wenn sie wie Private wirtschaftlich tätig ist.[116]Macht eine Gemeinde geltend, eine Regierungsentscheidung[117] verletze ihre Autonomie, so ist abzuklären, ob es um den eigenen oder übertragenen Wirkungskreis geht. Daraus ergibt sich der Umfang der Überprüfungsbefugnis des Staates und von diesem hängt es ab, ob er im konkreten Fall seine Überprüfungsbefugnis überschritten[118] und damit die Autonomie der Gemeinde verletzt hat. Ersetzt eine Behörde das einer Gemeinde zustehende Ermessen durch ihr eigenes, greift sie in die Autonomie der Gemeinde ein.[119] Aber auch im übertragenen Wirkungskreis, wo die Regierung gemäss Art. 116 Abs. 3 GemG die Entscheide der Gemeinden auf Angemessenheit prüfen darf, muss sie für ihre Entscheidung ein öffentliches Interesse und einen sachlichen Grund geltend machen. Ein willkürlicher Einsatz von Aufsichtsmitteln gegen eine Gemeinde wäre in jedem Fall ein Verstoss gegen die Verfassung, unabhängig davon, ob die Gemeinde im eigenen oder übertragenen Wirkungskreis tätig ist und wie gross ihre Autonomie im betreffenden Themenbereich ist.3. Der übertragene WirkungskreisStGH 1981/13 Erw. 3.3 (= LES 1982, 127) führte aus, dem Konzept des übertragenen Wirkungskreises liege die Vorstellung einer Kompetenzdelegation zugrunde. Es handle sich um jene Funktionen, welche die Gemeinden im Auftrag einer übergeordneten Gebietskörperschaft wahrnehmen. Es gelte die weisungsgebundene Ausführung, weshalb nicht nur auf Gesetzmässigkeit, sondern auch auf Zweckmässigkeit geprüft werde.Gemäss Art. 13 Abs. 3 GemG müssen diejenigen Landesgesetze, „welche die Mitwirkung der Gemeinden vorsehen“, bestimmen, „ob eine Angelegenheit zum eigenen oder übertragenen Wirkungskreis gehört.“ Damit hat Liechtenstein einen ähnlichen Weg gewählt wie Österreich. Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG sagt nämlich zum eigenen Wirkungsbereich: „Die Gesetze haben derartige Angelegenheiten ausdrücklich als solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zu bezeichnen.“ Während in Österreich gesagt wird, wo die Freiheiten der Gemeinden liegen,[120] und die Bezeichnung konstitutiv wirkt,[121] müsste der Liechtensteiner Gesetzgeber den Grad der Freiheit der Gemeinden nennen. Jedoch bringen die Landesgesetze die von Art. 13 Abs. 3 GemG geforderte Bezeichnung nicht an.[122] Art. 13 Abs. 3 GemG ist toter Buchstabe geblieben. Er passt auch nicht mehr in das Konzept, gemäss dem das betreffende Landesgesetz vorgibt, wie weit sich die Autonomie erstreckt. Vorgaben an den Gemeindevorsteher und andere Organe sind demnach nur zulässig, soweit das einschlägige Gesetz dies vorsieht oder die in Art. 116 ff. GemG statuierte Aufsicht dies im konkreten Fall nötig macht. In den veröffentlichten Urteilen findet sich kein Beispiel, in dem mit einer Kompetenzdelegation argumentiert wurde und den Gemeindeorganen verbindliche Vorgaben gemacht wurden.D. Kompetenzverteilung zwischen Land und GemeindenDer StGH hielt die Gleichsetzung von Autonomie und Kompetenzverteilung in StGH 1981/13 Erw. 3.4 ausdrücklich fest: „Dem Konzept des übertragenen Wirkungsbereiches liegt demgegenüber die Vorstellung einer Kompetenzdelegation zugrunde.“ Der StGH fuhr fort: „Das Gemeindegesetz übernimmt die Unterscheidung zwischen eigenem und übertragenem Wirkungskreis der Gemeinden aus Artikel 110 Absatz 1 der Verfassung. Diese Unterscheidung dient sowohl der Bestimmung der Kompetenzen der Gemeinden wie auch der Umgrenzung ihres geschützten Verantwortungsbereiches. (...)"[123]Als nicht ganz einfach für die Abgrenzung der Kompetenzen erweist es sich, dass die Verfassung die den Gemeinden zur autonomen Regelung überlassenen Bereiche weder als Kompetenzen bezeichnet noch eine abschliessende Aufzählung vornimmt. Aus der Formulierung in Art. 12 Abs. 1 zweiter Satz GemG könnte man schliessen, dass Gemeinden, die nicht alle ihnen überlassenen Bereiche mit Handeln ausfüllen, weniger Kompetenzen haben als andere Gemeinden. Das kann nicht sein.[124] Entscheidend muss sein, welchen Freiraum das Land den Gemeinden überlässt.Von Nell sah im Gemeindegesetz von 1959 den Subsidiaritätsgedanken.[125] Subsidiarität sei „von der Verfassung gewollt und garantiert“.[126] Der Staat dürfe „keine Aufgaben übernehmen, die von den Gemeinden gleich gut oder besser gelöst werden können.“[127] M.E. kann weder aus dem Wortlaut von Art. 110 LV noch aus der Entstehungsgeschichte geschlossen werden, dass möglichst viele Aufgaben oder alle Aufgaben, zu deren Erfüllung sie fähig sind, von den Gemeinden erledigt werden.[128] Vielmehr kann man argumentieren, dass Art. 110 Abs. 2 LV eine Aufzählung vornimmt, weil eben gerade nicht alle Aufgaben den Gemeinden zufallen.Der Verfassungsgeber hatte freie Hand, den Gesetzgeber auf das Subsidiaritätsprinzip zu verpflichten. Umso mehr als bei der Revision von 2003 mit der Änderung von Art. 4 LV die Gemeinden auf der Traktandenliste standen[129] und Liechtenstein die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung 1988 ratifiziert hatte. Art. 4 Abs. 3 der Charta, der von Liechtenstein für bindend erklärt wurde,[130] sagt: „Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben soll im allgemeinen vorrangig den Gebietskörperschaften zufallen, die dem Bürger am nächsten stehen. (…)“. Auch wenn diese Bestimmung nicht self-executing ist[131] und die Gemeinden aus ihr nicht unmittelbar Rechte ableiten können, gibt sie doch dem Gesetzgeber die Richtung vor.[132] Er müsste sich – gerade wenn sich anlässlich einer Revision die Gelegenheit bietet – zumindest die Frage stellen, ob das geltende Recht dem in der Charta verankerten Grundgedanken genügend nachlebt.2003 wurde jedoch weder ein Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip in die Verfassung aufgenommen (geschweige denn auch nur darüber diskutiert),[133] noch wurde etwas am III. Hauptstück über die Staatsaufgaben geändert. Auch bei der Totalrevision des Gemeindegesetzes im Jahr 1996 war das Subsidiaritätsprinzip kein Thema, obwohl die Stärkung der Gemeindeautonomie als ein Ziel der Revision genannt wurde. Es besteht deshalb keine Kompetenzvermutung zugunsten der Gemeinden. Neue Aufgaben fallen nicht den Gemeinden zu und müssen vom Land auch dann nicht den Gemeinden zugewiesen werden, wenn diese in der Lage wären, sie zu erfüllen.VI. Das Wesen der GemeindeautonomieA. Konkretisierung durch den StGHKonkretisiert wurde der Begriff der Gemeindeautonomie durch den StGH. Den Gemeinden kommt im eigenen Wirkungskreis gemäss StGH 1999/31 Erw. 3 Autonomie „im Sinne eines Selbstverwaltungsrechtes“ zu.[134] Im Gutachten StGH 1966/1 (= ELG 1962–1966, 227 [229]) definierte er die Gemeindeautonomie als „Unabhängigkeit der Gemeindeorgane von Weisungen der Staatsorgane“ und hielt fest, die Verfassung bestimme, „ob und in welchem Umfang ein Recht der Gemeinden auf weisungsfreie Verwaltung besteht“.In StGH 1981/13 Erw. 3.2 (= LES 1982, 127) führte der StGH aus, Art. 110 LV übertrage die Umschreibung der Aufgaben der Gemeinden der einfachen Gesetzgebung. Er schob jedoch sofort nach (Erw. 3.2), dass gemäss dem Willen der Verfassung die öffentlich-rechtlichen Körperschaften „mit einem relevanten Autonomie-Bereich und einer Entscheidungsfreiheit“ ausgestattet sein sollten. Ansonsten könnten sie (so Erw. 3.5) nicht „als lebendige Einheiten bestehen“. Weiter hielt er fest (Erw. 3.5), die Verfassung gehe davon aus, „dass das Bestehen der liechtensteinischen Gemeinden verfassungswesentlich“ sei und der eigene Wirkungskreis „nicht allzu restriktiv auszulegen“ sei, „damit die Gemeinden als lebendige Einheiten bestehen bleiben können.“ StGH 1998/27 (= LES 2001, 9 ff.)[135] fasste zusammen: „Nach der Rechtsprechung des StGH sind die Gemeinden im Lichte von Art 110 LV immer «mit einem relevanten Autonomiebereich und einer Entscheidungsfreiheit ausgestattet, um sinnvollerweise als (solche) funktionieren zu können» (StGH 1981/13 in LES 1982,126 [127]; ebenso StGH 1984/14 in LES 1987, 36 ff. [38]). «Danach müssen die Gemeinden mit einem Kernbereich an Kompetenzen versehen sein, der struktur- und typusbestimmend für die Institution der Gemeinde ist und ohne den die Gemeinden ihre für den Gesamtstaat wichtigen Funktionen nicht wahrnehmen können» (von Nell, Die politischen Gemeinden im Fürstentum Liechtenstein, LPS 12, Vaduz 1987, S 78).“Autonomie kann demnach als Selbstverwaltungsrecht, als Entscheidungsfreiheit, als von Weisungen unabhängiges Handeln umschrieben werden. Dass den Gemeinden Autonomie zukommen muss, ist für den StGH unbestritten. Seiner Meinung nach bestimmt sich das Wesen der Gemeinden durch ihre Autonomie. Ihr Funktionieren wäre nicht in dem Sinne möglich, wie es die Verfassung vorsieht, wenn sie nicht über diesen Freiraum verfügen würden.Allerdings kann sich der StGH hierfür nur beschränkt auf den Verfassungstext stützen. Welche Funktionen die Gemeinden erfüllen sollen, wird – abgesehen von der in Art. 25 LV und Art. 110 Abs. 2 lit. c LV vorgenommenen Erwähnung des Armenwesens – nicht gesagt. In der Verfassung wird hingegen geregelt, wie die Gemeinden an der Willensbildung des Landes teilnehmen. Dass sie stark in die Willensbildung auf Ebene Land integriert sind,[136] unterstreicht ihre Bedeutung.Autonomie kann dergestalt ausgeübt werden, dass eine Gemeinde eigene Vorschriften erlässt[137] und vollzieht oder einen „Spielraum bei der Anwendung der Landesgesetze“ ausnützt.[138] Selbstverständlich darf sie dabei nicht den „landesweiten Zielen und Grundsätzen entgegen“ wirken.[139] Wohl aber kann und soll sie ihren spezifischen Bedürfnissen Rechnung tragen[140] und entsprechend eigenständige Lösungen erarbeiten[141]. Orientieren sich die für die Gemeinden geltenden Gesetzesbestimmungen an dem, was für das Land gilt, können die Gemeinden nicht als Versuchslabore dienen und nicht als Vorreiterinnen wirken. Es ist auch deshalb zu bedauern, wenn sich die Gemeinden (siehe insbesondere Alters- und Pflegeheime[142] und Gemeindepolizei) für eine im ganzen Land einheitliche Regelung aussprechen. Gleichlautende Entscheide und das Kopieren von in anderen Gemeinden bereits erprobten Lösungen sind selbstverständlich zulässig. Sie führen jedoch nicht zwingend dazu, dass in jeder Gemeinde die für ihre Bevölkerung optimale Lösung getroffen wird und die Identifikation der Einwohner mit ihrer Gemeinde erhöht wird.[143] Entscheiden sich die Gemeinden für einheitliche Regeln, gehen sie jedoch konform mit der 1921 geschaffenen Situation, in der eigenständige Lösungen der Gemeinden nicht als prioritär erschienen.B. Schutz der Gemeindeautonomie auf dem Gebiet der Rechtsetzung1. ProblemaufrissEs stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber frei entscheiden kann, welche Aufgaben das Land übernimmt, welche die Gemeinden und wie gross ihr Spielraum dabei sein soll. Konkret kann man folgende Fragen unterscheiden: a) Darf der Gesetzgeber die in Art. 12 Abs. 2 GemG dem eigenen Wirkungskreis zugeordneten Aufgaben zusammenstreichen? b) Darf der Gesetzgeber bei der Revision von Gesetzen, die den Gemeinden bis anhin einen Freiraum beliessen, diesen beschneiden, z.B. indem er das Land als für den Vollzug zuständig erklärt[144] oder den Gemeinden detaillierte Vorgaben macht? c) Darf der Gesetzgeber den Gemeinden unbeschränkt viele Aufgaben übertragen? d) Darf der Gesetzgeber Aufgaben durch das Land ausüben lassen, aber die Finanzierung den Gemeinden aufbürden? Soweit ersichtlich, musste sich der StGH bis jetzt nicht mit solchen Fragen beschäftigen.[145]Das schweizerische Bundesgericht konnte sich zur Frage äussern, inwiefern Gemeinden kantonale Erlasse anfechten dürfen, die ihnen Kompetenzen entziehen. Es sagte in BGE 133 I 128 ff. in der Regeste: „Mit der Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie können die Gemeinden nur solche kantonalen Erlasse anfechten, die ihre Autonomie in unzulässiger Weise insoweit beschränken, als sie ihnen eine Gesetzgebungskompetenz oder eine sonstige Zuständigkeit entziehen, die ihnen direkt durch die Kantonsverfassung gewährleistet wird.“[146] Auf diese Rechtsprechung könnte sich der StGH nicht stützen, erstreckt sich doch der Staatsaufbau in Liechtenstein nur über zwei Ebenen. Das liechtensteinische Gemeindegesetz, das die Gemeindeautonomie definiert, kann nicht einer Kantonsverfassung gleichgesetzt werden. Es steht auf derselben Stufe wie die übrigen Landesgesetze. Es bindet demnach den Gesetzgeber nicht beim Erlass weiterer Landesgesetze, obwohl er gehalten ist, Widersprüche in den Gesetzen zu vermeiden, und nicht willkürlich handeln darf.[147] Wenn der Gesetzgeber die Autonomie der Gemeinden einschränkt, setzt er sich nicht in Widerspruch zu Art. 12 Abs. 1 GemG, da dieser die Selbstverwaltung ja nur soweit gewährt, wie sie das Gesetz vorsieht.[148]Wie Adamovich/Funk/Holzinger/Frank gestützt auf das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofes VfSlg 11.873/1988 ausführen,[149] stellt es in Österreich „keinen Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Selbstverwaltung der Gemeinde dar“, wenn eine öffentliche Aufgabe, die bisher von den Gemeinden in ihrem eigenen Wirkungsbereich zu erfüllen war, ersatzlos beseitigt wird. „Verfassungsrechtlich einwandfrei“ erlassene Gesetze und Verordnungen greifen nicht in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ein.[150]2. Garantie durch den Verfassungstext: Art. 110 Abs. 1 LV sieht Aufgaben im eigenen Wirkungskreis vorFände sich im Gemeindegesetz keine Aufgabe im eigenen Wirkungskreis und fände sich auch in keinem Landesgesetz ein Bereich, der den Gemeinden Raum zur eigenen Gestaltung lässt, so würde gegen die Verfassung verstossen. Würden doch dann die Gesetze den ihnen in Art. 110 Abs. 1 LV gestellten Auftrag über die „Aufgaben der Gemeinden im eigenen (…) Wirkungskreise“ zu bestimmen, nicht nachkommen. Die Verfassung nennt ausdrücklich zwei Kategorien von Aufgaben, sodass nicht alle Aufgaben demselben Bereich angehören dürfen. In einer solchen Konstellation stellte sich als Nächstes die Frage: Könnte eine Gemeinde gestützt auf Art. 18 Abs. 1 lit. a StGHG durchsetzen, dass einzelne Aufgaben dem eigenen Wirkungskreis zugeordnet werden?Die in Kapitel V.C.2 zusammengetragene Rechtsprechung[151] zeigt, dass der StGH die Autonomie für wesentlich erachtet, damit die Gemeinden lebendig bleiben und ihre Funktion erfüllen können. Er könnte demnach eine tiefgreifende Revision von Art. 4 oder Art. 12 GemG verfassungswidrig erklären. Schwieriger wäre es für die Gemeinden, wenn die Anzahl Aufgaben, die sie autonom erledigen dürfen, schleichend reduziert würde und wenn ihr Freiraum in verschiedenen Landesgesetzen stückweise reduziert würde. Bei einer solchen schleichenden Aushebelung der Gemeindeautonomie ergäbe sich die Verfassungswidrigkeit nicht aus einer einzelnen Revision, sondern aus dem Zusammenwirken mehrerer Revisionen. Der StGH müsste deshalb für die Beurteilung der angefochtenen Normen eine Gesamtschau vornehmen.3. Garantie durch den Verfassungstext: Art. 110 Abs. 2 LV macht nur indirekte VorgabenVom Wortlaut der Verfassung her wären massive Änderungen der organisatorischen Belange der Gemeinden zulässig, solange ihr Fortbestehen, das in Art. 4 Abs. 1 LV verbürgt wird, nicht infrage gestellt wird. Der Verfassungstext schreibt lediglich vor, dass der Ortsvorsteher und die übrigen Gemeindeorgane frei gewählt werden und die Gemeinden die Funktion der Ortspolizei ausüben. Auch aus der Formulierung „selbständige Verwaltung der Gemeindevermögen“ könnten die Gemeinden kaum mehr ableiten als die Tatsache, dass sie ein Vermögen haben dürfen. Bereits zur Frage, wie es geäufnet wird und wie es anzulegen ist, dürfte das Land den Gemeinden Vorgaben machen, ohne gegen den Wortlaut der Verfassung zu verstossen. Wie weit das Recht der Gemeinden geht, über die Verleihung des Gemeindebürgerrechts zu beschliessen, ergibt sich ebenfalls nicht aus der Verfassung. Art. 110 LV kann demnach kaum verhindern, dass der Gesetzgeber dem Land immer mehr Kompetenzen zuweist und den Gemeinden dichtere Vorgaben macht.Einen gewissen Schutz bietet den Gemeinden hingegen das Recht, gestützt auf Art. 66 Abs. 1 und Abs. 2 LV, das Referendum zu verlangen. Allerdings setzt ein Referendum voraus, dass die Gemeinden die Beschneidung ihrer Autonomie rechtzeitig erkennen. Überdies muss eine Mehrheit der Stimmenden ihren Argumenten folgen.4. Garantien durch die Anerkennung der Gemeindeautonomie als Grundrecht?Angesichts der Bedeutung, welche der StGH der Gemeindeautonomie zumisst und angesichts der Tatsache, dass Art. 110 Abs. 1 LV den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden erwähnt und das Gesetz den eigenen Wirkungskreis seit 1864 vorsieht, kann die Gemeindeautonomie als verfassungsmässiges Prinzip bezeichnet werden. Dafür spricht auch, dass die Verfassung die Gemeinden ausdrücklich in ihrem Bestand schützt[152] und ihnen weitgehende politische Mitbestimmungsrechte zugesteht (siehe insbesondere Art. 48 Abs. 2 und Abs. 3 LV, Art. 66 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 66bis Abs. 1 LV). Wenn auch die Gemeindeautonomie in der Verfassung nicht als Prinzip erwähnt wird, so lebt die Verfassung diesem Prinzip doch nach.Der StGH hat der Gemeindeautonomie in drei Entscheiden (StGH 1999/57 Erw. 2.1 [= LES 2003, 67]; StGH 1997/25 Erw. 5 [nicht veröffentlicht]; StGH 1995/34 Erw. 2.2[153] [= LES 1997, 78 ff., 83]) Grundrechtscharakter zugesprochen,[154] obwohl sie nicht im IV. Hauptstück der Verfassung verankert ist. Alle drei Entscheide hatten weder die Gemeindeautonomie zum Gegenstand noch Gemeinden zu Beschwerdeführerinnen. Insofern bleibt offen, was der StGH mit der Qualifikation als Grundrecht zum Ausdruck bringen wollte. Wesentlicher für die Schärfung des Profils der Gemeindeautonomie war m.E., dass StGH 1984/14 Erw. 1 (= LES 1987, 36 ff. [38]) – v.a. gestützt auf das Schweizer Recht, aber auch in Einklang mit dem österreichischen Recht – die Beschwerdelegitimation der Gemeinden zum Schutz ihrer Autonomie bejaht hatte.[155]Die Autonomie der Gemeinden ist folglich ein Prinzip, das über die Regelung der Aufgabenerfüllung durch die Gemeinden und den ihnen hierbei gewährten Freiraum hinausgeht. Es umschreibt das Verhältnis zwischen Land und Gemeinden grundlegend. In der Terminologie der Verfassung gesprochen, meint die Gemeindeautonomie nicht nur die Erledigung der im eigenen Wirkungskreis liegenden Aufgaben, sondern auch die Freiheiten der Gemeinden in der Wahl und Ausgestaltung ihrer Organisation. Art. 4 GemG tönt dies an, indem er die Begriffe „ordnen“ und „verwalten der Angelegenheiten“ verwendet. Art. 3 GemG weitet den Blick ebenfalls, wenn er ausführt, dass die Gemeinden „in den Grenzen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die Hoheit über alle in ihrem Gebiet befindlichen Personen und Sachen ausüben.“Auf die Frage, wie sich die Gemeinden gegenüber dem Gesetzgeber[156] durchsetzen können, ergibt sich aus dem verfassungsmässigen Prinzip mit Grundrechtscharakter keine konkrete Antwort.[157] Dies nicht zuletzt deshalb, weil es die Aufgabe des Gesetzgebers ist, dem in der Verfassung umrissenen Prinzip Konturen zu verleihen.[158] Dazu kommt das Problem, dass die Autonomiebeschwerde[159] auf die Abwehr von Einschränkungen beim hoheitlichen Handeln gerichtet ist. Im Zeitpunkt, indem der Landesgesetzgeber den Freiraum der Gemeinden einschränkt, liegt auf ihrer Seite jedoch nicht zwingend bereits ein Handeln vor, das beeinträchtigt wird.5. Schutz vor Überforderung der GemeindenWerden die Gemeinden mit dem Vollzug eines Gesetzes betraut oder werden ihnen Aufgaben zur Regelung überlassen, ist dies mit Blick auf die Gemeindeautonomie grundsätzlich unproblematisch. Allerdings darf ihnen das Land nicht unbegrenzt Aufgaben zuweisen. Verfügen die Gemeinden nicht über die finanziellen und personellen Ressourcen oder wird ihnen nicht Zeit gelassen, ihre Organisation anzupassen (z.B. durch das Einstellen von zusätzlichem Personal), so können sie überfordert sein und die ihnen von der Verfassung zugedachten Funktionen in der Selbstverwaltung nicht mehr wahrnehmen.[160] Die Gemeinden zu überfordern, widerspräche Art. 3 Ziff. 1 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung[161]. Eine Missachtung der Gemeinden als Körperschaften mit Autonomie läge umso eher vor, je geringer ihr Spielraum bei der Aufgabenerfüllung ist und je weniger die Aufgaben einen Bezug zu den lokalen Gegebenheiten haben.[162] Notwendig ist überdies, dass die Gemeinden rechtsgleich behandelt werden. Es ginge nicht, eine Gemeinde zu verpflichten, aus eigenen Mitteln für das ganze Land Infrastrukturbauten zu errichten oder Dienstleistungen anzubieten. Es wäre unzulässig öffentliche Aufgaben, die dem ganzen Land zugutekommen, durch die Landesverwaltung oder ein öffentliches Unternehmen zu erbringen und den Gemeinden in Rechnung zu stellen. Werden die Gemeinden verpflichtet, gewisse Leistungen vom Land zu beziehen und dafür ohne Einfluss auf die Gestaltung der Leistungen zu bezahlen, verlangen das Monopol des Landes und die Abnahmepflicht der Gemeinden eine genügende gesetzliche Grundlage. Es widerspräche der Intention der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung die Gemeinden zu Zahlungen zu verpflichten, ohne die Mitwirkung ihrer Bürger vorzusehen und ohne damit die Macht des Landes zu dezentralisieren.[163]C. Aufsicht über die GemeindenArt. 116 bis 118 GemG bezeichnen die Regierung als Aufsichtsbehörde und halten fest, dass die Aufsicht im eigenen Wirkungskreis auf die Überprüfung der Rechtmässigkeit beschränkt ist, während im übertragenen Wirkungskreis auch auf Angemessenheit geprüft werden darf. Die Aufsicht dient der „Sicherung der verfassungsmässigen Ordnung des staatlich-kommunalen Verhältnisses“, der „Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit“ und der „gleichförmigen und guten, allen Staatsbürgern gleichermassen dienenden Verwaltung“.[164] Bis zu welchem Grad sie einheitliche Lebensbedingungen der Bevölkerung garantieren soll, kann offen bleiben, solange in jeder Gemeinde ein Minimum an Lebensqualität erreicht wird. Wo den Gemeinden Autonomie zukommt, gehört es jedoch zu ihren Aufgaben, für sie passende Lösungen zu finden. Diese können sich von denen der Nachbargemeinden unterscheiden, sodass den Einwohnern nicht überall dieselbe Infrastruktur und dieselben Dienstleistungen zur Verfügung stehen.[165]Eine (eingeschränkte) Ermessensprüfungskompetenz,[166] die auch Zweckmässigkeitskriterien berücksichtigt, widerspricht Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung[167] nicht, jedenfalls nicht im Bereich des Bau- und Planungsrechts.[168] Gemäss der Charta kann nämlich in einzelnen, besonders gewichtige öffentliche Interessen tangierenden Rechtsbereichen vom Grundsatz abgewichen werden, dass Zweckmässigkeitskontrollen nur bei übertragenen Aufgaben erfolgen sollen.Gemäss Art. 136 Abs. 2 LVG kann die Regierung auf Aufsichtsbeschwerde hin aktiv werden[169] oder aber von Amtes wegen gegen eine Gemeinde einschreiten (präventive und repressive Aufsicht).[170] Als einschneidendstes Mittel sieht Art. 136 Abs. 2 lit. e LVG die Zwangsverwaltung vor. Gegen alle diese Eingriffe kann die Gemeinde gestützt auf Art. 136 Abs. 4 und Art. 92 Abs. 2 LVG Beschwerde beim VGH erheben. Soweit ersichtlich, fehlt es an einschlägiger Praxis.Überdies können die Gemeinden gestützt auf Art. 18 Abs. 1 lit. a StGHG beim StGH abstrakt und ohne konkreten Anlass Gesetze und gesetzliche Bestimmungen auf ihre Verfassungsmässigkeit prüfen lassen. Von Nell meinte hierzu treffend:[171] „Mit diesem ausgebauten Rechtsschutzsystem der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der grundsätzlichen Zulassung der Verfassungsbeschwerde durch die Gemeinden, zumindest bei grundlegender Verletzung der Gemeindeautonomie, und der Normenkontrolle über Gesetze und Verordnungen durch den Staatsgerichtshof bietet die liechtensteinische Rechtsordnung einen Rechtsschutz, der weder in der Schweiz noch in Österreich noch in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Umfang gewährleistet ist.“VII. Rechtsetzung durch die GemeindenUm ihren Aufgaben nachzukommen, erlassen die Gemeinden Verfügungen, also individuell-konkrete Rechtsanwendungsakte. Sie erlassen aber auch generell-abstrakte Normen. VGH 2008/158 Erw. 4 sagte hierzu: Wenn eine Gemeinde in einem Bereich, in dem sie ausschliesslich zur Erteilung einer Bewilligung zuständig ist, „die Voraussetzungen bzw. Regeln zur Erteilung oder Ablehnung einer (…) Bewilligung in einem Reglement oder Grundsatzbeschluss festhält, so ist dagegen gleichfalls nichts einzuwenden. Im Gegenteil, solche Reglemente oder Grundsatzbeschlüsse ermöglichen geradezu eine rechtsgleiche Ermessensausübung.“Generell-abstrakte Vorschriften für Regelungen im eigenen Wirkungskreis einer Bewilligungspflicht zu unterwerfen, würde die Autonomie der Gemeinden verletzen. Betreffen generell-abstrakte Regelungen den übertragenen Wirkungskreis, steht es dem Landesgesetzgeber frei, bei den Vorgaben an die Gemeinden für die Umsetzung das Einholen einer Genehmigung vorzusehen.Die generell-abstrakten Normen der Gemeinden werden in Verfassung und Gesetz nicht als Gesetz bezeichnet. Art. 11 GemG spricht stattdessen von „allgemein verbindlichen Beschlüssen“ und „Anordnungen“.[172] Insofern sind die Gemeinden nicht Gesetzgeber.[173] Konsequenterweise ist Art. 67 Abs. 1 LV nicht auf ihre generell-abstrakten Normen anwendbar. Gleichwohl erlangen diese nur durch eine ordentliche Publikation Rechtskraft. Dies ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip, das seinen Ausdruck insbesondere in Art. 33 Abs. 2 LV findet. Art. 11 Abs. 2a GemG sieht denn auch für allgemein verbindliche Beschlüsse von Gemeindeorganen die „öffentliche Zugänglichkeit“ während ihrer ganzen Geltungsdauer vor. Da die Gemeindeordnungen, Reglemente und anderen Anordnungen mit generell-abstrakten Normen weder im Landesgesetzblatt (siehe Art. 3 Kundmachungsgesetz) noch im Amtsblatt veröffentlicht werden, müssen sich die Gemeinden um eine anderweitige Publikation bemühen. Die elektronische Publikation auf der Website der Gemeinden genügt, sofern sie in der Gemeindeordnung oder einem Kundmachungsreglement vorgesehen ist.[174]Gemäss schweizerischer Terminologie sind die Gemeindeordnung und die von der Gemeindeversammlung (siehe Art. 25 Abs. 2 lit. a GemG und Art. 25 Abs. 3 GemG) erlassenen Reglemente Gesetze im formellen Sinn und die vom Gemeinderat oder dem Gemeindevorsteher erlassenen Reglemente Gesetze im materiellen Sinn[175] oder Verordnungen. Nach österreichischer Terminologie sind alle Reglemente, Weisungen etc. Verordnungen. Unabhängig davon, von welchem Organ der liechtensteinischen Gemeinden die generell-abstrakten Normen erlassen und wie sie bezeichnet werden, müssen sie die Gemeindeordnung, das Gemeindegesetz, die einschlägigen Landesgesetze und die Verfassung respektieren. Die Regierung soll jedoch – im Rahmen ihres auf Art. 116 GemG gestützten Aufsichtsrechts – „nicht ohne Not in diesen Gestaltungsspielraum“ eingreifen und nicht eine rein abstrakte Normenkontrolle vornehmen.[176]VIII. Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen hinausDen Gemeinden ist es nicht verwehrt, den Kontakt mit anderen Gemeinden und dem Land zu suchen, um die bestmögliche Erledigung anstehender Aufgaben zu diskutieren sowie gemeinsam zu planen. Es ist m.E. jedoch nicht zulässig, Aufgaben des eigenen Wirkungskreises auf die Landesverwaltung zu übertragen.Die sog. Vorsteherkonferenz (d.h. die Konferenz der Gemeindevorsteher) existiert seit 1968, und zwar ohne gesetzliche Grundlage[177]. Sie kann mit der österreichischen Landeshauptleutekonferenz verglichen werden. Als Zweck nennt sie „die Wahrung der Gemeindeinteressen gegenüber den Landesinteressen sowie den Gedankenaustausch und die Koordination von wichtigen Aufgaben“.[178] Verbindliche Entscheide vermag sie keine zu fällen, es wäre denn, sie würde sie unter dem Vorbehalt der späteren Zustimmung aller Gemeinderäte stellen.[179] Zwar vertreten die Vorsteher die Gemeinden nach aussen, doch zeigt Art. 53 GemG, dass sie keine bindenden Zusagen in Angelegenheiten, über die der Willensbildungsprozess im Gemeinderat noch gar nicht angelaufen ist, geben können.Für die „gemeinsame Erfüllung öffentlicher Aufgaben“ können die Gemeinden Zweckverbände bilden.[180] Warum die Zweckverbände erst durch die Genehmigung der Regierung entstehen (Art. 7 Abs. 2 GemG), ist nicht klar, sieht doch Art. 116 Abs. 2 GemG für den eigenen Wirkungskreis nur eine eingeschränkte Aufsicht vor. Es wäre sinnvoller dafür zu sorgen, dass die Entscheide der Zweckverbände über eine genügende demokratische Legitimation durch die Gemeinden verfügen. Die Gemeinden dürfen grenzüberschreitende Kontakte pflegen und dabei mit Privaten und Personen des öffentlichen Rechts privat- und öffentlich-rechtliche Verträge schliessen[181], respektive sich an privaten und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen beteiligen. Sie sind jedoch weder zum Abschluss von Staatsverträgen berechtigt noch dürfen sie „im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hoheitlich“ tätig sein.[182] Dass sie nur bezüglich Aufgaben im eigenen Wirkungskreis mit Institutionen oder Personen im Ausland tätig werden dürften, ist nicht ersichtlich. Art. 13 GemG macht keine entsprechenden Einschränkungen.[183] Zu beachten sind aber natürlich die Vorgaben in den die Aufgaben regelnden einschlägigen Gesetzen.IX. Aufnahme von Bürgern durch die GemeindenA. Bedeutung des GemeindebürgerrechtsIm 19. Jahrhundert bedeutete die Aufnahme in das Gemeindebürgerrecht nicht nur die Verleihung der politischen Rechte, sondern – sofern der Einbürgerungswillige die geforderte Summe beglich und die Bürgerversammlung seiner Aufnahme zustimmte[184] – auch die Teilnahme an wirtschaftlichen Rechten, am sog. Gemeindenutzen.[185] Neu Eingebürgerte erhielten demgegenüber im 20. Jahrhundert zwar das Stimm- und Wahlrecht in den politischen Angelegenheiten, häufig aber nicht den Zugang zum Gemeindenutzen. § 13 BüG hält dies ausdrücklich fest[186] und Art. 3 Abs. 2 lit. d Gesetz über die Bürgergenossenschaften lässt erkennen, dass gemäss geltendem Recht die im ordentlichen Verfahren Eingebürgerten und die aufgrund langer Wohnsitzdauer Eingebürgerten nicht Mitglied der Bürgergenossenschaft werden. Die Einbürgerung von Ausländern verleiht diesen demnach heute keine wirtschaftlichen Rechte mehr. Dasselbe gilt für Landesangehörige, die sich in ihrer Wohnsitzgemeinde einbürgern.Die wichtigste und praktisch einzige[187] Rechtsfolge der Verleihung des Gemeindebürgerrechts ist heute gemäss Art. 15 GemG, dass die Gemeindebürger in ihrer Wohnsitzgemeinde über die Einbürgerung von Bürgern anderer Gemeinden und von ausländischen Staatsbürgern bestimmen dürfen.[188] Es stellt sich deshalb die Frage, welchen Zweck das Gemeindebürgerrecht heute noch erfüllt.B. Gegenstand von Art. 110 Abs. 2 lit. d LVArt. 110 Abs. 2 lit. d LV wiederholt die bereits in Art. 28 Abs. 1 LV verankerte Niederlassungsfreiheit der Landesbürger, und zwar aus der Sicht der Bürger, nicht als Pflicht der Gemeinden. Nähere Ausführungen zur Niederlassungsfreiheit erfolgen deshalb bei der Kommentierung zu Art. 28 Abs. 1 LV.Zum Zweiten regelt Art. 110 Abs. 2 lit. d LV das „Recht der Gemeinde zur Aufnahme von Bürgern“. Damit ist das Recht der Gemeinden gemeint, Ausländer und Landesangehörige, die nicht über das Gemeindebürgerrecht verfügen, einzubürgern. Seit 1864 sind das Gemeindebürgerrecht und das Landesbürgerrecht verknüpft: Jeder Landesbürger muss das Bürgerrecht einer Gemeinde haben. Kein Ausländer kann nur das Landesbürgerrecht (ohne gleichzeitig ein Gemeindebürgerrecht) oder nur ein Gemeindebürgerrecht (ohne Landesbürgerrecht) erwerben.[189]Wie das Landes- und das Gemeindebürgerrecht erlangt werden, wird bei der Kommentierung von Art. 30 LV erörtert. Dabei ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen die Gemeinden einem Bewerber die Aufnahme ins Bürgerrecht verweigern dürfen. Ebenso werden bei Art. 30 LV die Verknüpfung von Landes- und Gemeindebürgerrecht und die Qualifikation des Bürgerrechts erörtert. Hier soll die Frage im Zentrum stehen, welche Rolle den Gemeinden bei der Erteilung des Bürgerrechts gemäss Verfassung zukommen muss.C. Umfang der Kompetenzen der Gemeinden1. Enge Vorgaben durch das GemeindegesetzGemäss Art. 110 Abs. 2 LV muss das Gemeindegesetz dem Prinzip Rechnung tragen, dass den Gemeinden die Kompetenz zukommt, über das Bürgerrecht zu bestimmen. Seit dem Erlass des ersten Gemeindegesetzes im Jahr 1842 wird der Erwerb des Gemeindebürgerrechts im Gemeindegesetz geregelt. Das heisst, dass für alle Gemeinden kraft Gesetz dieselben Regeln gelten. Daran wollte der Verfassungsgeber 1921 mit der Formulierung von Art. 110 Abs. 2 lit. d LV, die sich an § 22 lit. d KonV anlehnte, nichts ändern.[190] Es steht deshalb nicht den Gemeinden zu, Einbürgerungsvoraussetzungen aufzustellen und eigene Verfahren auszugestalten.Es würde der Verfassung nicht widersprechen, wenn der Entscheid über die Verleihung des Gemeindebürgerrechts nicht durch die Gemeindebürger, sondern – so wie es Art. 111 LV für alle anderen Beschlüsse in Gemeindeangelegenheiten vorsieht[191] – durch alle stimmberechtigten Einwohner der Gemeinde gefällt würde oder wenn dieser Entscheid per Gesetz dem Gemeinderat zugewiesen würde. Anders als in Art. 110 Abs. 2 lit. a LV wird nämlich nicht ein bestimmtes Organ für zuständig erklärt.Art. 110 Abs. 2 lit. d LV spricht nur von der Aufnahme ins Bürgerrecht, nicht von der Entlassung aus dem Bürgerrecht respektive von seinem Entzug. Kommen den Gemeinden Rechte bei der Auswahl ihrer neuen Bürger zu, darf das Land ihren Entscheid nicht torpedieren, indem es einem frisch Eingebürgerten das Bürgerrecht ohne Anlass wieder entzieht. § 21 Abs. 1 BüG sieht denn auch die Aberkennung des Bürgerrechts durch die Regierung nur unter gewissen Voraussetzungen vor. Weil der Entzug an klare Voraussetzungen gebunden ist und zweitens wohl häufig nur das Land über die entsprechenden Informationen zum Verhalten des Eingebürgerten verfügt, stellt dies keine Verletzung der Rechte der Gemeinden dar.Art. 14 GemG schreibt vor, dass niemand mehr als einer Gemeinde als Bürger angehören darf. Diese Regelung befindet sich nicht im Widerspruch zur Verfassung, wird von ihr aber auch nicht so vorgegeben. Es würde vor der Verfassung Stand halten, das GemG abzuändern und den Erwerb von mehr als einem Gemeindebürgerrecht zuzulassen. Art. 111 LV garantiert, dass jeder Landesbürger seine politischen Rechte nur in einer Gemeinde ausübt,[192] und Art. 3 Abs. 2 Gesetz über die Bürgergenossenschaften sieht vor, dass niemand Mitglied von mehr als einer Bürgergenossenschaft wird. Insofern ergäben sich aus der Kumulation von Gemeindebürgerrechten keine Nachteile für die Gemeinden.2. Zulässigkeit der Abschaffung des Gemeindebürgerrechts?Das Gemeindebürgerrecht abzuschaffen und den Gemeinden jegliche Entscheidungsmöglichkeit im Zusammenhang mit der Verleihung des Bürgerrechts zu entziehen, verstiesse gegen Art. 110 Abs. 2 lit. d LV. Ebenso würde es nicht vor der Verfassung standhalten, wenn das Gemeindebürgerrecht nicht mehr durch die Gemeinden verliehen würde, sondern durch das Land. Dasselbe gälte für den Fall, dass das Gesetz den Gemeinden minutiös vorgeben würde, unter welchen Voraussetzungen welcher Bewerber einzubürgern ist. Überdies würde in diesem Fall gegen Art. 12 Abs. 2 lit. c GemG verstossen, der die Verleihung des Gemeindebürgerrechts dem eigenen Wirkungskreis der Gemeinden zuordnet.M.E. wäre es zulässig, das Gemeindebürgerrecht abzuschaffen, wenn den Gemeinden dafür ein Mitbestimmungsrecht bei der Verleihung des Landesbürgerrechts eingeräumt würde. Eine solche Regelung hielte vor Art. 110 Abs. 2 lit. d LV stand. 1921 stand das Recht der Gemeinden, über die Verleihung des Gemeindebürgerrechts bestimmen zu können im Vordergrund. Für sie war das Gemeindebürgerrecht nicht zuletzt deshalb wichtig, weil sie für ihre verarmten Bürger aufzukommen hatten.[193] Angesichts dessen, dass die Sozialhilfeleistungen seit Jahren am Wohnort anknüpfen und das Gemeindebürgerrecht so gut wie keine Rechte und Pflichten mehr gegenüber der Gemeinde begründet, würde die Rechtsposition der Gemeinden durch eine solche Änderung nicht geschwächt. Die Verfassung erwähnt das Gemeindebürgerrecht mit keinem Wort, sondern spricht nur von der „Aufnahme der Bürger“. Sie schreibt demnach die Aufrechterhaltung der Unterscheidung in Landes- und Gemeindebürgerrecht nicht vor. Folglich wäre eine entsprechende Gesetzesrevision zulässig.[194] Bussjäger schreibt hierzu: „Was eine ersatzlose Beseitigung des Gemeindebürgerrechts betrifft, so könnte allerdings argumentiert werden, dass Art. 110 Abs. 2 lit. d) LV einer völligen Ausschaltung der Gemeinden aus der Entscheidung über die Verleihung des Bürgerrechts an Ausländer entgegensteht. Zumindest eine Mitwirkung der Gemeinde im ordentlichen Verfahren (Art. 21 Abs. 1 Gemeindegesetz i.V.m. Art. 6 Abs. 1 lit. b) Bürgerrechtsgesetz) sollte daher weiterhin vorgesehen werden.“[195]X. Gemeindeorgane und Finanzen der GemeindenA. Die GemeindeorganeEin eigentliches Gemeindeparlament, das sich auf rechtsetzende Akte konzentriert und die Exekutive überwacht, kennt das liechtensteinische Recht nicht.[196] Der Gemeinderat wird jedoch auch legislativ tätig.[197] Er nimmt sowohl Funktionen der Exekutive als auch des Parlaments wahr.Die Gemeindeversammlung ist im Gesetz vorgesehen (Art. 24 ff. GemG) und wird in der Verfassung erwähnt (z.B. Art. 64 Abs. 2 LV), jedoch wurden seit Jahren keine Versammlungen mehr durchgeführt. Stattdessen finden die gemäss Art. 26 GemG zulässigen Urnenabstimmungen statt. Es fehlt damit an einem Gefäss für den unmittelbaren Austausch unter den Stimmberechtigten vor den Urnengängen.Das Gesetz (v.a. Art. 25 GemG) gibt vor, welche Aufgaben in die Kompetenz der Gemeindeversammlung und welche in die des Gemeinderates fallen. Die Kontrolle der Verwaltung und des Rechnungswesens nimmt die Geschäftsprüfungskommission (Art. 56 ff. GemG) wahr. Ihr dürfen gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. c GemG keine Gemeindebediensteten angehören.[198] Die Einsitznahme in den Gemeinderat ist hingegen gemäss Art. 47 Abs. 1 lit. e GemG nur den Gemeindebediensteten in leitender Stellung verboten.[199]Dass die Gemeinden neben den vom Gemeindegesetz vorgegebenen Organen lediglich Kommissionen errichten können (so Art. 60 GemG), dürfte geändert werden. Die Verfassung nimmt in Art. 110 Abs. 2 lit. a LV keine abschliessende Aufzählung der Gemeindeorgane vor. Ihr Fokus liegt vielmehr auf deren freier Wahl durch die Einwohner. Der Regierung, dem Landtag und den anderen Organ des Landes ist es deshalb verboten, einzelne Personen in kommunale Gremien abzuordnen oder Behörden zu schaffen, die sie auch gleich selber bestücken. Ebenso würde es gegen die Verfassung verstossen, Wahllisten genehmigen lassen zu müssen. Die Mitglieder der Gemeindeorgane brauchen das Vertrauen von Landesfürst, Regierung oder Landtag nicht. Dass der Vorsteher und sein Stellvertreter durch die Regierung vereidigt werden (so Art. 83 Abs. 1 GemG), überrascht deshalb. Es erklärt sich wohl damit, dass Vorsteher und Stellvertreter als „Hilfsorgane der Regierung und des Verwaltungsgerichtshofes“ qualifiziert werden (so Art. 4 Abs. 1 LVG). Es würde gegen die Gemeindeautonomie verstossen, wenn Organe des Landes Wahlempfehlungen für die Wahl der Gemeindeorgane abgeben würden.Dem Gemeindevorsteher kommt eine hervorgehobene Stellung zu.[200] Diese ist so nicht von Art. 110 LV vorgegeben. Wohl aber geht Art. 110 Abs. 2 lit. a LV davon aus, dass eine Person spezifisch in dieses Amt gewählt wird und demnach eine besondere Funktion wahrnimmt. Traditionell gehört die Repräsentation der Gemeinde dazu. Dass diese Funktion mit besonderer Macht innerhalb des Gemeinderates verbunden ist, verlangt die Verfassung nicht.Art. 38 GemG gibt die Mitgliederzahl des Gemeinderates vor. Die Verfassung liesse es zu, diese Frage den Gemeinden zu überlassen.[201] Die Regierung hat allerdings recht, wenn sie in BuA Nr. 66/2012, S. 11 f. vor zu kleinen Gemeinderäten warnt: Der Gemeinderat hat nicht nur exekutive Funktionen, sondern übt „auch legislative und andere, typischerweise einem Parlament („Volksvertretung“) zukommende Aufgaben“ aus. Er brauche deshalb „eine gewisse Grösse“, „um dem Erfordernis der demokratischen Repräsentation entsprechen zu können“. Wichtig ist die Repräsentativität v.a. auch deshalb, weil keine Gemeindeversammlungen mehr abgehalten werden. In diesen könnten sich auch kleinere Parteien, Gruppierungen und Einzelpersonen zu Wort melden. Überdies erweist sich die Listenwahl (siehe Art. 78 ff. GemG) bei einer zu geringen Sitzzahl als nicht mehr sinnvoll.Gemäss Regierung[202] wäre ein echtes Ressortsystem unter dem geltenden Gemeindegesetz nur bedingt möglich. Vonseiten Verfassung spricht nichts gegen eine Zuweisung von Themen und Verantwortung an die einzelnen Gemeinderatsmitglieder.B. Die GemeindebedienstetenBetreffend Angestellte von Gemeinden sind nur sehr wenige Urteile veröffentlicht.[203] Gemäss von Nell gehört die Personalhoheit „zum Kernbereich der verfassungsrechtlichen Gemeindeautonomie“. Sie diene der „Verwirklichung der gemeindlichen Willensbildung, indem sie die Gemeinden in die Lage versetzt, die eigenverantwortlich zu erfüllenden Aufgaben mit eigenem Personal zu sichern.“[204]Gemäss Art. 62 GemG erlässt jede Gemeinde ein Dienst- und Besoldungsreglement. Zumindest ersteres sollte m.E. in einer jedermann ohne Aufwand zugänglichen Form veröffentlicht werden.[205]Art. 61 ff. GemG und die Verfassung äussern sich nicht zur Rechtsnatur der Dienstverhältnisse.[206] Das Staatspersonalgesetz (StPG)[207] verlangt für die Arbeitnehmenden des Landes eine öffentlich-rechtliche Anstellung (Art. 6 StPG), dies ist jedoch (siehe Art. 1 StPG) nicht auf die Gemeindebediensteten anwendbar. Für die Arbeitnehmenden der öffentlichen Unternehmen des Landes sieht das Gesetz (Art. 14 Abs. 1 ÖUSG)[208] privatrechtliche Arbeitsverhältnisse vor. Obwohl es gute Argumente für die ausschliesslich öffentlich-rechtliche Einstellung der Gemeindeangestellten gibt,[209] findet sich in Verfassung und Gesetz kein Verbot, im Dienst- und Besoldungsreglement für einzelne Kategorien von Gemeindebediensteten, die nicht hoheitliche Funktionen ausüben, eine privatrechtliche Anstellung vorzusehen. Aber auch dabei sind die Gemeinden an die Verfassung mit dem Gleichbehandlungsgebot und Willkürverbot gebunden und das Rechtsmittel ist die Verwaltungsbeschwerde (Art. 120 GemG).C. Die Finanzen der GemeindenDie Gemeinden können nur dann autonom handeln, wenn sie die „Ausgabenlast tragen können und ihnen Entscheidungsspielräume in Hinsicht auf Einnahmen und den Einsatz der finanziellen Mittel belassen sind“.[210] Aus Verfassung, GemG, FHG und dem neuen GFHG ergibt sich jedoch kein Anspruch der Gemeinden auf einen gleichbleibenden Anteil an staatlichen Mitteln oder auf einen staatlichen Betrag, der ihre Wünsche deckt. Dasselbe gilt für die Europäische Charta für die kommunale Selbstverwaltung, die in dem von Liechtenstein bindend erklärten Art. 9 umfangreiche Vorgaben für die ausreichende Versorgung der Gemeinden macht, aber nicht regelt, was bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Staat und Gemeinden vorzukehren ist und wie zu verfahren ist, wenn die Gelder des Staates nicht ausreichen.Die Einnahmequellen der Gemeinden werden in der Verfassung nicht genannt. Da diese keine ausformulierten Grundsätze für die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung enthält und demnach auch kein Verbot der öffentlichen Hand im Allgemeinen oder der Gemeinden im Speziellen, wirtschaftlich tätig zu werden,[211] sind die Gemeinden zu wirtschaftlichen Aktivitäten berechtigt.[212] Soweit sie im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung tätig sind und demnach eben gerade nicht hoheitlich handeln, dürfen sie sich gegenüber Eingriffen durch das Land auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen.[213]Eine gesetzliche Grundlage findet sich für die folgenden Einnahmen: Die Verwaltung des Gemeindevermögens fällt gemäss Art. 12 Abs. 2 lit. d GemG in den eigenen Wirkungskreis. Um eine solche Verwaltung handelt es sich z.B., wenn eine Gemeinde Grundstücke im Baurecht abgibt.[216] Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sie abgibt, um Einnahmen zu erzielen oder Wohnbauförderung zu betreiben.[217]Die Verfassung verwendet den Begriff „Gemeindevermögen“ nicht in einem technischen Sinn. Vielmehr versteht sie alles darunter, was der Verfügungsbefugnis der Gemeinden untersteht. Indem das GemG und das GFHG die Erstellung des Voranschlages, die Erstellung und Abnahme der Gemeinderechnung, die Erstellung des Finanzplanes und die Verwaltung des Gemeindevermögens regeln, schränken sie die von Art. 110 Abs. 2 lit. b LV vorgesehene „selbständige Verwaltung des Gemeindevermögens“ ein. Dieser Eingriff findet seine Berechtigung in den per Gesetz vorgesehenen Mechanismen zum Ausgleich der finanziellen Möglichkeiten der Gemeinden, die sich ihrerseits auf den Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 31 LV) und die Verpflichtung zur Förderung der Wohlfahrt (Art. 14 LV) stützen. |
In Gemeindeangelegenheiten sind alle in der Gemeinde wohnhaften Landesangehörigen wahl- und stimmberechtigt, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind.All Liechtenstein citizens who are at least eighteen years of age and whose right to vote has not been suspended shall be eligible to vote in municipal matters in the municipality in which they reside. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Historische EntwicklungBeim Erlass der Verfassung im Jahr 1921 bestand das damalige VIII. Hauptstück mit dem Titel „Vom Gemeindewesen“ nur aus Art. 110 LV. Dieser ist bis heute nicht geändert worden. Hingegen wurde er 1976 durch einen Art. 110bis LV ergänzt.[1] Mit Art. 110bis LV wurde erstmals eine Bestimmung zum Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene in die Verfassung aufgenommen. Ziel dieser Revision[2] war die Einführung des Frauenstimmrechts auf Gemeindeebene.[3] Art. 110bis LV lautete:[4] „Abs. 1: In Gemeindeangelegenheiten sind alle in der Gemeinde wohnhaften Liechtensteiner wahl- und stimmberechtigt, die das 20. Lebensjahr vollendet haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind. Abs. 2: Die Gemeinden können in ihrem Bereich durch Gemeindeversammlungsbeschluss Liechtensteinerinnen, die die in Abs. 1 genannten Voraussetzungen erfüllen, das Wahl- und Stimmrecht zuerkennen.“ Bis dahin hatten allein das GemG und das VRG das Stimm- und Wahlrecht auf lokaler Ebene geregelt. Das GemG unterschied zwischen dem Stimmrecht in politischen Angelegenheiten (Entscheidung durch die Gemeindeversammlung) und den Mitsprachemöglichkeiten bezüglich der wirtschaftlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Nutzung des Gemeindenutzens (Entscheidung durch die Bürgerversammlung). Die Mitbestimmung in politischen Angelegenheiten stand einem breiteren Kreis von Einwohnern der Gemeinde zu als die Entscheide über den Gemeindenutzen. Letztere wurden allein von den in der Gemeinde wohnhaften Gemeindebürgern getroffen.[5] Daran sollte durch Art. 110bis LV nichts geändert werden. Es ging allein darum, den Frauen in denjenigen Gemeinden, die sich für das Frauenstimmrecht aussprachen, in den politischen Angelegenheiten dieselben Rechte zuzugestehen wie den Männern.[6] Bis zur Einführung des Frauenstimmrechts auf Landesebene im Jahr 1984 führten sechs Gemeinden das Frauenstimmrecht ein.[7]Im Zuge der Einführung des Frauenstimmrechts auf Landesebene wurde das Problem von denjenigen liechtensteinischen Landesbürgern erörtert, die nicht über das Bürgerrecht ihrer Wohnsitzgemeinde verfügten und demnach gemäss GemG weder in ihrer Wohnsitz- noch in ihrer Heimatgemeinde an der Bürgerversammlung teilnehmen durften.[8] Die Regierung beantragte, dieses Problem nicht mit der Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts zu lösen, sondern durch eine Revision des GemG, bei der die politische Gemeinde und die Bürgergemeinde getrennt werden sollten.[9] Diese Trennung erfolgte 1996 mit der Totalrevision des GemG und der Schaffung der Bürgergenossenschaften.[10]Zusammen mit dem Frauenstimm- und Wahlrecht auf Landesebene wollte die Regierung 1983 auch das Frauenstimm- und Wahlrecht in Gemeindeangelegenheiten einführen.[11] Sie war der Ansicht, dass der neu zu schaffende Art. 29 Abs. 2 LV – mit dem ihrer Meinung nach ein Grundrecht geschaffen wurde – die Erwähnung des Frauenstimm- und Wahlrechts im Hauptstück über die Gemeinden obsolet mache.[12] Offenbar ging sie davon aus, dass Art. 29 Abs. 2 LV in der von ihr vorgeschlagenen Formulierung[13] sowohl für das Land als auch für die Gemeinden gelten würde. Art. 110bis LV sollte deshalb gemäss der Regierungsvorlage aufgehoben werden. Gegen diese Streichung regte sich im Landtag Widerstand,[14] weshalb Art. 110bis LV 1984 beibehalten wurde[15] und Art. 29 Abs. 2 LV so formuliert wurde, dass er sich explizit nur auf die Wahlen und Abstimmungen auf Landesebene erstreckt.[16] Die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts von 1984 brachte den Frauen nur auf Landesebene die politische Gleichstellung. Mit LGBl. 2000 Nr. 55 wurde das Stimm- und Wahlrechtsalter sowohl in Landesangelegenheiten als auch in Gemeindeangelegenheiten in Art. 29 Abs. 2 LVArt. 29 Abs. 2 LV auf das vollendete 18. Lebensjahr gesetzt. Während sich der Landtag 1984 dafür einsetzte, dass die Gemeinden entscheiden, ob Frauen zur Urne gehen dürfen, war die Autonomie der Gemeinden im Jahr 2000 kein Thema mehr. Ob es den Gemeinden überlassen bleiben sollte, das Stimm- und Wahlrechtsalter festzusetzen, wurde nicht einmal gefragt.[17] Ebenso wenig wurde thematisiert,[18] dass gleichzeitig Art. 110bis Abs. 2 LV aufgehoben wurde, der den Gemeinden das Recht erteilt hatte, den Frauen das Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene zu gewähren.[19]So führte die Revision durch LGBl. 2000 Nr. 55 dazu, dass die Frage des Stimmrechtsalters und die Gleichstellung von Frau und Mann in Sachen Stimm- und Wahlrecht abschliessend durch die Verfassung geregelt werden und den Gemeinden kein Spielraum für eine eigenständige Regelung verbleibt.[20]Anlässlich der Verfassungsrevision von 2003 wurde Art. 110bis LV zu Art. 111 LV.[21] Dabei wurde nichts an seinem Text geändert.II. Der Gegenstand von Art. 111 LVArt. 110 Abs. 2 lit. d LV und Art. 28 Abs. 1 LV gewährleisten allen Landesangehörigen die freie Niederlassung im ganzen Land. Art. 111 LV regelt demgegenüber die Folgen der Niederlassung für die Ausübung der politischen Rechte auf Gemeindeebene. Und zwar bestimmt er, dass jeder Landesangehörige – unabhängig von seinem Gemeindebürgerrecht – die politischen Rechte am Wohnort ausübt. Indem Art. 111 LV für die Mitsprache auf lokaler Ebene – anders als es Jahrzehnte lang der Fall war – nicht am Gemeindebürgerrecht anknüpft, führt er den Grundsatz der freien Niederlassung konsequent weiter und relativiert für die liechtensteinischen Staatsangehörigen die in Art. 110 Abs. 2 lit. d LV den Gemeinden erteilte Kompetenz, das Gemeindebürgerrecht zu verleihen. Art. 110 Abs. 2 lit. a bis c LV regeln, in welchen Bereichen auf Ebene Gemeinde Mitsprache erfolgen kann. Art. 110 Abs. 2 lit. a LV gibt überdies vor, dass die Gemeindeorgane in einer freien Wahl bestimmt werden müssen.[22] Frei im Sinne von unabhängig von der Regierung, nicht frei im Sinne von nach den eigenen Regeln jeder einzelnen Gemeinde.[23] Art. 111 LV hingegen regelt, wer zur Mitsprache in diesen Angelegenheiten befugt ist. Der Umfang der Autonomie der Gemeinden und damit die Themen und Aufgaben, über die in den Gemeinden Beschluss zu fassen ist, ergibt sich nicht aus Art. 111 LV, sondern aus Art. 110 LV respektive aus dem GemG.[24] Aus Art. 111 LV kann jedoch abgeleitet werden, dass es Wahlen und Abstimmungen geben muss.[25]Art. 111 LV bezieht sich nur auf die Ausübung des Stimm- und Wahlrechts in den Gemeinden, also nicht auf die Willensbildung in anderen auf kommunaler Ebene angesiedelten Körperschaften wie Bürgergenossenschaften oder Alpgenossenschaften. Das liechtensteinische Recht fasst die Bürgergenossenschaften und weitere solche Körperschaften nicht als Gemeinden auf.[26]Weil sowohl Art. 111 LV als auch Art. 29 Abs. 2 LV das Stimmrecht mit dem vollendeten 18. Lebensjahr beginnen lassen, am Wohnsitz in einer liechtensteinischen Gemeinde anknüpfen und verlangen, dass keine Einstellung im Stimm- und Wahlrecht erfolgt ist,[27] ist jede Person, die in einer Gemeinde stimm- und wahlberechtigt ist, auch in Landesangelegenheiten stimm- und wahlberechtigt. Ist eine Person von einer intellektuellen Beeinträchtigung oder sehr schweren psychischen Erkrankung betroffen und deshalb nicht in der Lage ihr Stimm- und Wahlrecht unabhängig und selbständig auszuüben, so ist sowohl die Meinungs- und Willensbildung in Landesangelegenheiten als auch die Meinungs- und Willensbildung in Gemeindeangelegenheiten eingeschränkt. Die auf Gemeindeebene zur Abstimmung kommenden Sachverhalte und die Wahlen in Gemeindeorgane sind nicht weniger anspruchsvoll als die Vorlagen auf Landesebene. Gleichwohl erstreckt sich Art. 2 VRG nur auf das Stimm- und Wahlrecht auf Landesebene. Die Regeln des VRG bezüglich der Einstellung im Stimm- und Wahlrecht gelten jedoch wegen der Verweisung in Art. 66 Abs. 2 GemG auch für die Wahlen und Abstimmungen in den Gemeinden. Nähere Ausführungen zur Einstellung im Stimm- und Wahlrecht erfolgen bei Art. 29 Abs. 2 LV.[28] Ebenfalls bei der Kommentierung zu Art. 29 LV erfolgen Ausführungen zum Schutz der auf Ebene Gemeinde angesiedelten politischen Rechte.III. Die GemeindeangelegenheitenA. Abgrenzung zu den LandesangelegenheitenDie Ausübung der politischen Rechte auf Ebene Gemeinde ist für das ganze Land von Bedeutung, weil die Gemeinden ihrerseits (mit den sog. Gemeindebegehren, aber auch mit weniger formalisierten Mitwirkungsmöglichkeiten, wie z.B. der Teilnahme an Vernehmlassungsverfahren und der Einreichung von Petitionen gemäss Art. 42 LV[29]) an der Willensbildung im Land teilhaben.Die Beschlussfassung darüber, ob eine Gemeinde die Einberufung oder Auflösung eines Landtages gestützt auf Art. 48 Abs. 2 und Abs. 3 LV verlangen soll, die Beschlussfassung über das Einreichen einer Initiative gestützt auf Art. 64 Abs. 2 und Abs. 4 LV sowie das Erheben eines Referendums gestützt auf Art. 66 Abs. 1 und Abs. 2 oder Art. 66bis Abs. 1 LV (die sog. Gemeindebegehren) werden in Art. 68 VRG geregelt.[30] Dies bedeutet, dass sie vom Gesetz als Landesangelegenheit qualifiziert werden (siehe Art. 1 Abs. 1 VRG) und die Regelung der Stimmberechtigung somit unter Art. 29 Ab. 2 LV und nicht unter Art. 111 LV fällt. Das ist vertretbar, m.E. aber nicht zwingend. Schliesslich geht es ja darum, dass in jeder einzelnen Gemeinde ein Entscheid darüber getroffen wird, wie sich die Gemeinde in einer das Land betreffenden Frage positionieren soll. Eindeutig als Gemeindeangelegenheiten zu qualifizieren sind hingegen die Wahl des Gemeinderates, des Gemeindevorstehers und der Geschäftsprüfungskommission. Sie und die übrigen Entscheide, welche durch die Gemeindeversammlung gefällt werden, werden im GemG geregelt. Im GemG finden sich die Bestimmungen über die Wahl des Gemeinderates (Art. 44 ff. und Art. 72 ff. GemG) und über die Wahl der Gemeindevorsteher (Art. 68 ff. GemG). Die Gemeindewahlen werden in allen Gemeinden am selben Tag durchgeführt, die Regierung bestimmt das Datum (Art. 44 GemG). Es gelten in allen Gemeinden dieselben Regeln. Dasselbe gilt für die Gemeindeinitiativen und -referenden (Art. 41 ff. GemG).[31] Die Gemeinden haben keinen Spielraum, um mit eigenen Lösungen zu experimentieren. Die strikten Vorgaben halten vor Art. 110 Abs. 2 lit. a LV und vor Art. 111 LV stand. Es wäre jedoch durchaus zulässig, den Gemeinden im Gesetz einen grösseren Spielraum zu geben. Dies insbesondere deshalb, weil der StGH die wichtige Funktion der Gemeinden regelmässig betont hat[32] und der Gesetzgeber grosse Freiheit bei der Ausgestaltung der Gemeinden hat.[33] Von der Verfassung vorgegeben ist lediglich, dass alle in einer Gemeinde wohnhaften Liechtensteiner, die nicht vom Wahl- und Stimmrecht ausgeschlossen sind, ab Vollendung des 18. Lebensjahres zu den kommunalen Wahlen und Abstimmungen zugelassen werden müssen.B. Beschlussfassung über die Erteilung des GemeindebürgerrechtsAus Art. 110 Abs. 2 lit. d LV ergibt sich, dass es in Liechtenstein das Institut des Gemeindebürgerrechts gibt und dass die Gemeinden darüber bestimmen, wer Bürger wird. Wenn die Erteilung des Gemeindebürgerrechts eine Gemeindeangelegenheit im Sinne von Art. 111 LV wäre, wären bei Einbürgerungsbegehren alle in der Gemeinde wohnhaften Stimmberechtigten an die Urne gerufen. Über die Aufnahme von ausländischen Staatsbürgern im ordentlichen Verfahren entscheiden jedoch gemäss Art. 21 Abs. 3 GemG nur „die in der Gemeinde wohnhaften Gemeindebürger“. Dies ist ein kleineres Gremium als in den anderen kommunalen Abstimmungen und Wahlen.[34] Über die Aufnahme von in der Gemeinde wohnhaften Landesbürgern mit Bürgerrecht einer anderen liechtensteinischen Gemeinde und über die Aufnahme von Kindern von Gemeindebürgern (Art. 18 f. GemG) entscheidet der Gemeinderat, wobei auch diejenigen Mitglieder des Gemeinderates stimmberechtigt sind, die nicht über das Bürgerrecht der Gemeinde verfügen. Die Verfassung verlangt die Unterscheidung in Erteilen des Gemeindebürgerrechts durch die in der Gemeinde wohnhaften Bürger auf der einen Seite und Wahlen und Abstimmungen in kommunalen Angelegenheiten durch alle in der Gemeinde wohnhaften Landesangehörigen auf der anderen Seite nicht, schliesst sie aber auch nicht aus. Weil sich die Kompetenz der Gemeinden das Gemeindebürgerrecht zu verleihen in der viel älteren Bestimmung, nämlich in Art. 110 Abs. 2 lit. d LV, findet, hält es m.E. vor Art. 111 LV stand, dass das Gesetz die Erteilung des Bürgerrechts wie seit jeher den in der Gemeinde wohnhaften Gemeindebürgern vorbehält. Wie in Kapitel I ausgeführt, wurde mit dem Einfügen von Art. 110bis LV im Jahr 1976 keine Verschiebung der damals zwei verschiedenen Gemeindeorganen (Gemeindeversammlung und Bürgerversammlung) zugewiesenen Kompetenzen angestrebt. Aus demokratischer Sicht wäre es allerdings sinnvoll, das Gesetz zu ändern und auch für die Einbürgerungen alle in der Gemeinde wohnhaften Stimmberechtigten zuständig zu erklären.[35] Damit würde Art. 111 LV konsequent umgesetzt.IV. Die doppelte Natur des Stimm- und WahlrechtsWie Art. 29 Abs. 2 LV statuiert auch Art. 111 LV einen grundrechtlichen Anspruch der von ihm genannten Personen, im vorgegebenen Umfang an der politischen Willensbildung teilzunehmen.[36] Damit gewährleistet Art. 111 LV gleichzeitig den Anspruch auf freie und unverfälschte Willenskundgabe bei der Willensbildung in gemeindlichen Angelegenheiten.[37] Wer im Stimm- und Wahlrecht eingestellt wird oder wem die Ausübung seiner politischen Rechte auf Gemeindeebene verwehrt wird, kann diese Einschränkung seines verfassungsmässig gewährleisteten Rechts auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen lassen. Verletzt ist auch diejenige Person, welche selber ungehindert ihre politischen Rechte auf kommunaler Ebene ausüben kann, jedoch darlegt, dass das Kollektiv der Stimm- und Wahlberechtigten nicht gemäss Art. 111 LV zusammengesetzt ist[38] und somit eine Verletzung des Anspruchs auf richtige Zusammensetzung der Aktivbürgerschaft vorliegt.[39] Da sich hierbei keine Unterschiede zur Geltendmachung der aus Art. 29 Abs. 2 LV fliessenden Rechte zeigen, sei auf die Kommentierung zu Art. 29 LV verwiesen. Obwohl Art. 111 LV lediglich von einer Berechtigung spricht, schliesst er eine Pflicht, an der Gemeindeversammlung und an den Urnengängen teilzunehmen, nicht aus.[40] Bei der Statuierung der politischen Rechte in der Verfassung und im Gesetz handelt es sich nämlich nicht nur um die Gewährleistung eines subjektiven Rechts, sondern auch um die Statuierung eines staatlichen Organes,[41] für dessen ordnungsgemässes Funktionieren das Gesetz sorgen darf. Art. 66 Abs. 1 GemG lautet: „Das Wahl- und Stimmrecht berechtigt und verpflichtet, an Wahlen und Abstimmungen sowie an Gemeindeversammlungen teilzunehmen.“ Damit wird die Stimm- und Wahlpflicht verankert,[42] wobei Art. 66 Abs. 2 GemG für die Ausübung des aktiven und passiven Wahl- und Stimmrechts auf die Bestimmungen zu den politischen Rechten in den Landesangelegenheiten verweist. Das VRG regelt den Umfang und die Durchsetzung der Stimm- und Wahlpflicht jedoch nicht näher. Art. 3 VRG sagt lediglich: „Die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen ist Bürgerpflicht.“ Damit fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für die Durchsetzung der Stimm- und Wahlpflicht auf Gemeindeebene und an einer Sanktionsmöglichkeit.[43] Die Regierung wollte 2004 bei der Revision von Art. 3, 4 und 90 Abs. 2 VRG die „Wahl- und Abstimmungsverpflichtung auch in Zukunft aufrechterhalten“.[44] Sie beantragte jedoch die Streichung der Pflicht, Entschuldigungsgründe vorzubringen und die Streichung der Grundlagen für das Verhängen von Bussen nicht zuletzt, um Gesetz und Praxis in Einklang zu bringen.[45] Der Landtag folgte der Regierung ohne Diskussion.[46]Der Amtszwang bedeutet die Pflicht, Einsitz in eine Behörde und damit Verantwortung übernehmen zu müssen. Diese aus dem passiven Wahlrecht abgeleitete Pflicht stellt einen ungleich grösseren Eingriff in die persönliche Freiheit dar denn als Wähler oder Stimmender an einem Urnengang oder an einer Gemeindeversammlung teilzunehmen. Je nach Aufwand, der für die korrekte Erledigung des Amtes nötig ist, bedeutet eine solche Verpflichtung auch einen Eingriff in die Berufsfreiheit.[47] Die Verpflichtung, politische Ämter zu übernehmen, bedürfte deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, in der sowohl die Ämter als auch die betroffenen Personen und der Umfang der Pflicht (insbesondere die Amtsdauer) präzis umschrieben werden würden. Art. 66 Abs. 1 GemG erwähnt den Amtszwang mit keiner Silbe. Folglich fehlt es an einer solchen Grundlage.[48] Art. 70 Abs. 1 und Art. 76 Abs. 1 GemG lassen mit der Pflicht, dem Wahlvorschlag eine Annahmeerklärung beizulegen, erkennen, dass das geltende Recht vom Amtszwang abgekommen ist. Die Verfassung lässt dem Gesetzgeber die Freiheit, den Amtszwang wieder einzuführen. Der Verfassungstext ist seit 1921 (damals sah das GemG 1864 den Amtszwang ausdrücklich vor) unverändert. Dafür, dass er heute anders ausgelegt werden muss als 1921, finden sich keine Hinweise. Bei der Diskussion des neuen Gemeindegesetzes von 1996, mit dem die gesetzliche Grundlage für den Amtszwang gestrichen wurde, war der Amtszwang kein Thema. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Grundlage für den Amtszwang aufheben wollte.V. Die Stimm- und WahlberechtigtenA. Ausländer?Art. 111 LV erteilt das Stimm- und Wahlrecht explizit nur Landesangehörigen. Er verbietet es den Gemeinden genauso wie dem Landesgesetzgeber, Ausländern in Gemeindeangelegenheiten politische Rechte zu gewähren. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Informations-, Konsultations-, Entscheidungs- und sonstige Mitwirkungsrechte als Abstimmungen und Wahlen in Gemeindeangelegenheiten im Sinne von Art. 111 LV zu qualifizieren und den Landesangehörigen vorbehalten sind.Art. 111 LV verwendet – anders als Art. 29 Abs. 2 LV – den Begriff der politischen Rechte nicht. Da Art. 29 Abs. 2 und Art. 111 LV bei der Herabsetzung des Stimmrechtsalters parallel behandelt wurden und auch bei der Diskussion des Frauenstimm- und Wahlrechts keine Hinweise darauf erfolgten, dass die Art des Gegenstandes des Stimm- und Wahlrechts auf Ebene Land und Ebene Gemeinden unterschiedlich sein könnte, haben beide Verfassungsartikel die politischen Rechte zum Gegenstand.[49] Art. 5 GemG umschreibt die politischen Rechte auf Ebene Gemeinde wie folgt: „Die politischen Rechte in der Gemeinde umfassen das Stimmrecht, das aktive und passive Wahlrecht sowie das Recht der Initiative und des Referendums.“ Klar ist damit, dass ausländische Staatsangehörige weder eine Initiative noch ein Referendum lancieren dürfen, solche Begehren nicht unterzeichnen dürfen, an der Urne nicht über Initiativen, Referenden und weitere Vorlagen entscheiden dürfen und weder als Kandidat noch als Wähler an den im GemG geregelten Wahlen teilnehmen dürfen. Zu prüfen ist, wie es bezüglich der in Art. 60 GemG erwähnten „weiteren Kommissionen“ mit beratendem Charakter aussieht.[50] Ihre Mitglieder werden vom Gemeinderat ernannt und nicht in einer regelmässig durchzuführenden allgemeinen Volkswahl. M.E. erstreckt sich Art. 111 LV nicht auf solche Gremien, sondern betrifft nur das passive Wahlrecht bezüglich der von der Gesamtheit der Stimmberechtigten in einer unmittelbaren Wahl bestimmten Personen. Ebenso erstreckt sich Art. 111 LV weder auf das aktive und passive Wahlrecht betreffend lediglich beratend tätiger Organe noch auf rein konsultative Befragungen, die nicht unmittelbar einen verbindlichen Entscheid herbeiführen. Holt eine Gemeinde mittels solchen beratenden Organen spezifisches Wissen ein oder versucht sie, mittels entsprechender Arbeitskreise, Projektgruppen etc. Akzeptanz für ihre Entscheide zu schaffen, so darf sie auch Ausländer einbeziehen. Ausländer dürfen Petitionen einreichen.[51] Allerdings zählt das Petitionsrecht nicht zu den politischen Rechten, weil es „kein Mitwirkungsrecht an der staatlichen Willensbildung vermittelt“.[52] Überdies erfasst Art. 42 LV nur Petitionen an den Landtag.[53] Selbstverständlich ist es jedermann unbenommen, den Gemeindebehörden Anregungen, Vorschläge und Bitten zu unterbreiten. Genauso selbstverständlich ist es, dass ihnen daraus keine Rechtsnachteile erwachsen dürfen. Die Gemeindebehörden sind jedoch weder durch Verfassung noch durch Gesetz verpflichtet, eine Antwort zu verfassen oder öffentlich Stellung zu nehmen. Wie ausführlich sich das betreffende Gemeindeorgan mit dem Anliegen befasst hat, entzieht sich deshalb der Kenntnis des Petenten.[54]B. VolljährigkeitWie in Kapitel I ausgeführt, gibt Art. 111 LV den Gemeinden das Stimmrechtsalter der Vollendung des 18. Lebensjahres vor.[55] Dass das Stimmrechtsalter auch für die Willensbildung auf lokaler Ebene in der Verfassung geregelt wird, ist nicht zu beanstanden, handelt es sich doch um eine wichtige Materie. Denkbar wäre es jedoch auch gewesen, den Gemeinden die Entscheidungsfreiheit (ganz oder innerhalb einer bestimmten Bandbreite) zu lassen, so wie die Gemeinden bis ins Jahr 2000 frei entscheiden durften, ob die Frauen das Stimm- und Wahlrecht erhalten. Kapitel A beschreibt, inwiefern Ausländer in die politische Willensbildung einbezogen werden dürfen. Dasselbe gilt für Kinder und Jugendliche. Unmündige in Kommissionen etc. zu wählen, ist wegen der Frage ihrer Verantwortlichkeit problematisch. Wo es jedoch darum geht, die Meinung von Kindern und Jugendlichen als direkt Betroffene einzuholen, spricht nichts dagegen, sie in entsprechende Kommissionen zu wählen oder ihnen z.B. bezüglich der Gestaltung einer Schulanlage oder des Standorts und der Ausgestaltung eines Jugendtreffs Mitwirkungsrechte zuzugestehen.C. In der politischen Gemeinde WohnhafteArt. 111 LV knüpft das Stimm- und Wahlrecht in Gemeindeangelegenheiten an den Wohnsitz in der betreffenden Gemeinde. Er trifft damit eine parallele Regelung zu Art. 29 Abs. 2 LV, der auf den „ordentlichen Wohnsitz“ im Land abstellt. Dieser wird in Art. 1 Abs. 1 VRG durch den Verweis auf Art. 32 ff. PGR definiert. Mangels eigener Definition des Wohnsitzes im GemG gilt der Verweis auf Art. 32 ff. PGR kraft Art. 66 Abs. 2 GemG auch für die Ermittlung der Wahl- und Stimmberechtigung bei Wahlen und Abstimmungen in Gemeindeangelegenheiten. Art. 32 ff. PGR knüpfen den politischen Wohnsitz an dasjenige Gemeinwesen, zu dem der Bürger (da er in ihm seinen ordentlichen Wohnsitz hat), die engste Verbindung aufweist. Dies ist sinnvoll, ist er doch von dessen Rechtsordnung am stärksten betroffen.[56]Ein Verweis auf privatrechtliche Normen ist nicht zu beanstanden. Massgebendes Kriterium für die Beurteilung der Definition des Wohnsitzes ist mit Blick auf Art. 111 LV und Art. 66 Abs. 3 GemG lediglich, dass sie eindeutig ist und dass verhindert wird, dass ein Stimmberechtigter in zwei Gemeinden von seinem Recht Gebrauch macht.[57] Indem nicht für jeden Sachbereich eine eigene Definition des Wohnsitzes gewählt wird, sondern für die Ausübung aller politischen Rechte derselbe Wohnsitzbegriff gilt wie im Zivilrecht, wird diesem Erfordernis Geltung verschafft. Etwas unglücklich ist lediglich, dass Art. 33 Abs. 1 PGR ausführt: „Durch den vorausgehenden Artikel werden die Niederlassung und der Aufenthalt nach öffentlichem Recht, ferner der Steuerwohnsitz und dergleichen nicht berührt.“ Art. 1 Abs. 1 VRG muss jedoch als spezifischere und jüngere Bestimmung Art. 33 Abs. 1 PGR vorgehen. Es gilt deshalb für die Ermittlung des Wohnsitzes zur Ausübung der politischen Rechte, was Art. 32 PGR sagt: „Abs. 1: Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Abs. 2: Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben (…).“Gemäss Art. 9 VRG wird das Stimmregister durch die Gemeinden geführt. Dies ist selbstverständlich zulässig, stellt jedoch keine von der Verfassung ausgehende Vorgabe dar.VI. Die Formen und der Umfang des Stimm- und Wahlrechts auf GemeindeebeneWie in Kapitel V.A ausgeführt, erstrecken sich sowohl Art. 29 Abs. 2 LV als auch Art. 111 LV auf die politischen Rechte. Wieweit das Land und die Gemeinden berechtigt sind, über die im VRG und im GemG genannten Abstimmungen und Wahlen hinaus weitere Formen der Meinungskundgabe und Einflussnahme zu schaffen, wird bei der Kommentierung von Art. 29 Abs. 2 LV geklärt.[58] Ebenso die Einstellung im Stimm- und Wahlrecht.[59]A. Kein Anspruch auf geheime SachabstimmungenArt. 25 Abs. 2 GemG auferlegt die Wahl der Gemeinderäte und Gemeindevorsteher ebenso wie die Wahlen weiterer Organe und die Abstimmungen über Sachfragen der Gemeindeversammlung. Diese kann (siehe Art. 26 GemG) durch eine Urnenabstimmung ersetzt werden, kann aber durchaus wie vom Gesetz vorgesehen als Versammlung durchgeführt werden. An der Versammlung werden Abstimmungen nur auf besonderen Antrag hin geheim vorgenommen (Art. 31 Abs. 2 GemG), während Wahlen immer geheim durchgeführt werden müssen (Art. 31 Abs. 3 GemG). Aus der Verfassung ergibt sich für die Gemeindeangelegenheiten (anders als für die Landesangelegenheiten[60]) keine Verpflichtung auf geheime Wahlen und Abstimmungen.[61] Im Gegenteil: Indem Art. 110 Abs. 2 lit. a LV die Wahl der Gemeindeorgane und Ortsvorsteher durch die Gemeindeversammlung vorsieht, geht sie von einer Versammlungsdemokratie aus, bei der nach dem offenen Austausch von Pro und Contra und den Wahlempfehlungen offen abgestimmt respektive gewählt wird. Art. 3 1. ZP EMRK,[62] der das Recht auf freie Wahlen statuiert, erstreckt sich nicht nur auf die Wahlen zum nationalen Parlament, aber auf jeden Fall nicht auf die Wahlen in lokale Körperschaften wie Gemeinden.[63] Überdies erstreckt er sich (unabhängig von der politischen Ebene) nicht auf Abstimmungen über Sachfragen.[64] Die Durchführung von offenen Abstimmungen an Gemeindeversammlungen würde demnach weder die Verfassung noch das 1. ZP EMRK verletzen. Art. 25 lit. b UNO-Pakt II[65] ist nicht einschlägig, verlangt er doch nur geheime Wahlen, nicht auch geheime Abstimmungen. Selbstverständlich hindert dies den Gesetzgeber nicht, geheime Wahlen und Abstimmungen trotz des Instituts der Gemeindeversammlung auch für die Gemeindeebene vorzusehen. Wie die Gemeindeversammlungen im Detail auszusehen haben, gibt die Verfassung weder in Art. 110 noch in Art. 111 LV vor.B. Verpflichtung auf ein direktdemokratisches Modell, aber keine Pflicht zur Durchführung von GemeindeversammlungenDie Verfassung erwähnt an verschiedenen Stellen (Art. 48 Abs. 2 und 3, Art. 64 Abs. 2, Art. 110 Abs. 2 lit. a LV) die Gemeindeversammlung. Als sie 1921 in Kraft trat, wurden auch in der Tat Gemeindeversammlungen durchgeführt. Dem ist jedoch schon seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr so.[66] Die Gemeindeversammlungen werden regelmässig durch Urnenabstimmungen ersetzt, was Art. 26 GemG zulässt. Ob dies vor der Verfassung standhält, prüft sich nicht in erster Linie mit Blick auf Art. 110 Abs. 2 lit. a LV, der die Vornahme der Wahlen an der Gemeindeversammlung vorschreibt und mit Blick auf Art. 48 und Art. 64 LV, die für den Entscheid über die Gemeindebegehren einen Beschluss der Gemeindeversammlung vorsehen, sondern mit Blick auf Art. 111 LV. Alle diese Entscheide können getroffen werden, indem die Wahl- und Stimmberechtigten Wahlzettel ausfüllen oder auf einem Stimmzettel ein „ja“ oder „nein“ vermerken oder die Frage offen lassen. Insofern ist die Durchführung einer Versammlung nicht zwingend. An der Versammlung könnten die Wahl- und Stimmberechtigten die Kandidaten unmittelbar kennenlernen und sich die von den Mitgliedern des Gemeinderates sowie anderen Teilnehmern der Versammlung vorgetragenen Argumente zu Gemüte führen. Wann und mit welchen Mitteln die Stimm- und Wahlberechtigten im konkreten Fall ihre Meinung bilden, lässt die Verfassung jedoch offen. Insofern verstösst es nicht gegen ihren Sinn und Zweck, dass die Meinungsbildung anlässlich einer Versammlung nicht mehr praktiziert wird. Indem keine Versammlungen mehr durchgeführt werden, haben die Stimmberechtigten keine Möglichkeit mehr, wie in Art. 33 GemG vorgesehen, Anfragen an die Gemeindebehörden und Gemeindeverwaltung zu stellen. Die fehlende Umsetzung von Art. 33 GemG verstösst nicht gegen die Verfassung, ist aber aus Sicht der demokratischen Kontrolle der Verwaltung zu bedauern.C. Regelmässige freie Wahlen und Sachabstimmungen als Kern der demokratischen Ordnung auf GemeindeebeneNicht vor der Verfassung standhalten würde es, wenn das GemG keine Sachabstimmungen mehr vorsehen würde. Art. 111 LV gibt dem einzelnen Stimmberechtigten aber lediglich den Anspruch, an Wahlen und Abstimmungen in Gemeindeangelegenheiten teilzunehmen, soweit das Gesetz ihre Durchführung vorsieht. Hingegen schützt Art. 110 Abs. 2 lit. a LV die Gemeinden und damit indirekt auch den einzelnen Wahlberechtigten vor Eingriffen des Landesgesetzgebers, indem er ausdrücklich die freie Wahl des Ortsvorstehers und der übrigen Gemeindeorgane vorschreibt. „Freie Wahl“ ist gleich zu verstehen wie in den völkerrechtlichen Verträgen.[67] Gemeint ist also eine in angemessenen Abständen stattfindende freie Wahl, die – das ergibt sich aus der Erwähnung der Gemeindeversammlung – unmittelbar durch die Stimmberechtigten (und nicht durch Wahlmänner, ein Parlament oder ein anderes zwischengeschaltetes Institut) erfolgt. Weniger klar ist, ob die Verfassung auch das Institut von Sachabstimmungen auf Gemeindeebene schützt. Art. 111 LV spricht wie Art. 29 Abs. 2 LV ausdrücklich von Wahl- und Stimmrecht, und mit den sog. Gemeindebegehren sieht die Verfassung selber die Entscheidung über Sachfragen, die das Land betreffen, in den Gemeinden vor. Das Gesetz muss demnach zumindest regeln, wie die Gemeinden ihren Willen im Zusammenhang mit Gemeindebegehren bilden. Gegen eine mittels Revision des GemG vorgenommene Erhöhung der Unterschriftenzahl für Initiativen und Referenden auf Gemeindeebene könnte sich ein einzelner Stimmberechtigter wegen des engen Regelungsgegenstandes von Art. 111 LV[68] hingegen nicht auf Art. 111 LV berufen. Ebenso wenig, wenn Art. 41 f. GemG anderweitig so geändert würde, dass die Hürden für Initiativen und Referenden erhöht oder ihr Anwendungsbereich eingeschränkt würde. Art. 110 LV böte ebenfalls keinen Schutz, weil Art. 110 LV zwar den Gemeinden Autonomie zuweist, aber nicht vorgibt, wie die für die eigenständige Erledigung der Aufgaben notwendige Willensbildung zu erfolgen hat. Gleichwohl steht es nicht im Belieben des Gesetzgebers oder der einzelnen Gemeinden, die politischen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Stimmberechtigten auf Gemeindeebene abzuschaffen. Indem die Verfassung vom Leitbild der Gemeindeversammlung ausgeht – also von einer Zusammenkunft aller Stimmberechtigten, an der informiert und diskutiert wird und Entscheide über Personen und Sachen unmittelbar getroffen werden – bringt sie zum Ausdruck, dass die Stimmberechtigten in Gemeindeangelegenheiten unmittelbare Mitbestimmungsrechte in Sachfragen haben müssen. Selbstverständlich ist dieses Konzept der direkten Demokratie offen für Ergänzungen über die bekannten Formen der Initiative und des Referendums hinaus. |
1) Die gegenwärtige Verfassungsurkunde ist nach ihrer Verkündigung als Landesgrundgesetz allgemein verbindlich.Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteA. Die letzten Bestimmungen der Konstitutionellen Verfassung und der Verfassung von 1921Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 bezeichnete ihr letztes Kapitel als „Neuntes Hauptstück: Von der Gewähr der Verfassung“. Es zählte sechs Paragraphen, die sich – mit Ausnahme von § 121 Abs. 1 KonV[1], der 1921 keinen Eingang in den Verfassungstext fand, und § 122 KonV[2], dessen Nachfolger (Art. 112[3]) 2003 gestrichen wurde – in unveränderter oder lediglich leicht angepasster Formulierung in der aktuellen Fassung der Verfassung wiederfinden:§ 119 KonV ist heute mit einer geringfügigen sprachlichen Änderung Art. 112 Abs. 1 LV. Die Regelung von § 120 KonV wurde von Art. 114 LV aufgenommen. § 121 Abs. 2 KonV fand in etwas veränderter Form Eingang in den aktuellen Art. 112 Abs. 2 LV. § 123 KonV über die Erbhuldigung hat seit 1921 seinen Platz in Art. 13 LV. Die in § 124 KonV getroffene Regelung für den Eid[4] wurde 1921 in Art. 109 LV überführt und findet sich heute in Art. 108 LV.In der Version von 1921 hiess das letzte Kapitel der Verfassung IX. Hauptstück „Verfassungsgewähr und Schlussbestimmungen“. Es wurde demnach damals nicht getrennt zwischen den Bestimmungen der Verfassungsgewähr und den Schlussbestimmungen.In diesem IX. Hauptstück fand sich beim Erlass der Verfassung im Jahr 1921 Art. 111, der seinen Vorläufer in § 119 KonV und § 121 KonV hatte und in der Revision von 2003 zu Art. 112 LV wurde. Er regelt die Inkraftsetzung der Verfassung und statuiert ihre erschwerte Abänderbarkeit. Regelungen über die Verfassungsänderung waren bereits in den konstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts ein unverzichtbarer Bestandteil der Verfassungstexte.[5] Die Lehre begrüsste damals die zum Teil sehr hohen Hürden für Verfassungsrevisionen.[6]Art. 113 der Verfassung von 1921 findet sich heute – textlich unverändert – als Art. 114 LV im XII. Hauptstück mit der Bezeichnung „Schlussbestimmungen“. Dasselbe gilt für Art. 114 Abs. 1 und 2, die im Jahr 2003 zu Art. 115 LV wurden. Demgegenüber wurde Art. 114 Abs. 3 der Version von 1921 anlässlich der Revision von 2003 ersatzlos gestrichen. Er hatte geregelt, dass der „gegenwärtige Landtag“ (das heisst der beim Erlass der Verfassung im Amt stehende Landtag) bis Ende des Jahres 1921 im Amt verblieb.[7]Der ursprüngliche Art. 112 aus dem Jahr 1921[8] über den Umgang mit Zweifeln bei der Auslegung einzelner Bestimmungen der Verfassung wurde bei der Revision von 2003[9] ohne Ersatz gestrichen. Dies trotz seines hohen Alters: Bereits die Konstitutionelle Verfassung von 1862 hatte nämlich mit § 122 KonV eine Bestimmung über das Vorgehen beim Auftauchen von Zweifeln bei der Auslegung einzelner Bestimmungen der Verfassungsurkunde enthalten.[10] Sie konnte insbesondere dann hilfreich sein, wenn sich die politischen Organe bezüglich Zuständigkeitsfragen nicht einigen konnten.[11] In BuA Nr. 87/2001, S. 30, wurde für die Abschaffung von Art. 112 ins Feld geführt,[12] dass diese Auslegungskompetenz des StGH in Konkurrenz zur authentischen Verfassungsinterpretation[13] des Verfassungsgebers stehe.[14] Letzterer verfüge über eine bessere demokratische Legitimation als die mit einfachem Mehr erfolgende Entscheidung der StGH-Richter, die kein unmittelbares demokratisches Mandat haben.[15]B. Keine Eingrenzung auf „Landesangehörige“ mehr in Art. 112 Abs. 1 LV§ 119 KonV hatte gelautet: „Die gegenwärtige Verfassungsurkunde ist nach ihrer Verkündigung als Landesgrundgesetz für alle Landesangehörigen allgemein verbindlich.“ Im Verfassungsentwurf Beck wurde „für alle Landesangehörigen“ durch „für alle Einwohner“ ersetzt,[16] während Prinz Karl in seinem Entwurf die ursprüngliche Formulierung mit den Landesangehörigen bevorzugte. [17] Im Regierungsentwurf fand sich hierauf die noch heute gültige Formulierung „allgemein verbindlich“. [18] Sie macht deutlich, dass die Verfassung für jedermann gilt, unabhängig von seiner Nationalität und unabhängig von einem ständigen Wohnsitz in Liechtenstein.[19]Bei der Verfassungsrevision von 2003 wurde Art. 111 Abs. 1 sprachlich unverändert zu Art. 112 Abs. 1 LV. Art. 111 Abs. 2 wurde umformuliert zu Art. 112 Abs. 2 LV.C. Der 2003 neu formulierte Art. 112 Abs. 2 LV1. Verweis auf Art. 113 LVDer 1921 formulierte Art. 111 Abs. 2 wurde anlässlich der Verfassungsrevision von 2003 durch folgenden Satzteil ergänzt: „und jedenfalls die nachfolgende Zustimmung des Landesfürsten, abgesehen von dem Verfahren zur Abschaffung der Monarchie (Art. 113).“ Diese Ergänzung nahm die im komplett neu geschaffenen Art. 113 LV vorgesehene Initiative auf Abschaffung der Monarchie auf.[20]2. Einfügen der Präzisierung „allgemein verbindliche“Überdies wurde die erste Satzhälfte von Abs. 2 umformuliert. Neu heisst es seit 2003: „Abänderungen oder allgemein verbindliche Erläuterungen dieses Grundgesetzes können sowohl von der Regierung als auch vom Landtage oder im Wege der Initiative (Art. 64) beantragt werden.“ In seiner ursprünglichen Version von 1921 hatte der Anfang des Satzteils gelautet: „Abänderungen oder Erläuterungen dieses Grundgesetzes, welche sowohl von der Regierung als auch vom Landtage oder im Wege der Initiative (Art. 64) beantragt werden können, (…).“ Die Ergänzung auf „allgemein verbindliche Erläuterungen“[21] sollte wohl eine Verdeutlichung bewirken und Parallelität mit der Formulierung in Abs. 1 herstellen, nicht eine inhaltliche Änderung herbeiführen. In der so genannten grünen Broschüre (Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 1. März 2001) hiess es zu dieser Ergänzung: „Es soll festgehalten werden, dass nur allgemein verbindliche Erläuterungen der Verfassung[22] das gleiche Verfahren benötigen wie eine Verfassungsänderung, ausserdem soll das Verfahren für eine Verfassungsinitiative eindeutig verankert werden.“[23] Bereits die Erläuterungen im Sinne von Art. 111 Abs. 2 der Verfassung in der Version von 1921 mussten, da die authentische Interpretation einen Akt der Gesetzgebung darstellt,[24] das Verfahren einer Verfassungsänderung durchlaufen und erlangten allgemeine Verbindlichkeit. Die Verfassungsrevision von 2003 brachte diesbezüglich keine Änderung mit sich.Was der aktuelle Verfassungstext als „allgemein verbindliche Erläuterungen dieses Grundgesetzes“ bezeichnet, wird gemeinhin „authentische Verfassungsinterpretation“ genannt.[25] Art. 65 Abs. 1 LV[26] verwendet für den identischen,[27] aber auf die Gesetze bezogenen Vorgang den Begriff „authentisch erklären“.[28] Gemeint ist damit, dass der Verfassungsgeber (respektive der Gesetzgeber) eine verbindliche Auslegung trifft. Dieser in der Zeit des Konstitutionalismus dem Verfassungsgeber (respektive in § 24 Abs. 1 KonV [29] – der fast gleich lautete wie der heutige Art. 65 Abs. 1 LV – dem Gesetzgeber) und nicht den Gerichten zugewiesene Kompetenz kommt heute praktisch keine Bedeutung mehr zu.[30] Gleichwohl soll die Authentischerklärung in Kapitel V kurz erläutert werden.3. Die 2012 abgelehnte Volksinitiative „Ja – damit deine Stimme zählt“Eine vom Initiativkomitee „Ja – damit deine Stimme zählt“ vorgeschlagene Verfassungsänderung wurde in der Volksabstimmung vom 29. Juni/1. Juli 2012 deutlich verworfen. Sie sah eine Neufassung von Art. 9 LV[31] plus Änderungen in Art. 65 Abs. 1 LV, Art. 66 Abs. 5 und 6 LV sowie in Art. 112 Abs. 2 LV vor. Art. 112 Abs. 2 zweiter Satz LV hätte gemäss den Initianten wie folgt geendet: „allenfalls eine Volksabstimmung (Art. 66) und gegebenenfalls die nachfolgende Zustimmung des Landesfürsten (Art. 9)“. Gestrichen worden wäre die in jedem Fall[32] notwendige Zustimmung des Landesfürsten und der Verweis auf Art. 113 LV. Im Zusammenspiel mit den vom Initiativkomitee neu formulierten Art. 9 LV und Art. 66 Abs. 6 LV, gemäss denen eine Volksabstimmung die Sanktion des Landesfürsten hätte ersetzen können, wurde deutlich, dass in einer Volksabstimmung bestätigte Gesetzes- und Verfassungsänderungen gegen den Willen des Landesfürsten zulässig geworden wären.[33]II. Der Begriff „Verfassungsgewähr“Zwischen den Bestimmungen über die Verfassungsgewähr und den Schlussbestimmungen wird erst seit der Revision von 2003 deutlich unterschieden. Sie sind nun auf die beiden letzten Hauptstücke der Verfassung verteilt. Zuvor wurde das letzte Hauptstück der Verfassung – wie ausgeführt[34] – „Verfassungsgewähr und Schlussbestimmungen“ genannt. Auf die Auslegung der betreffenden Bestimmungen hat diese 2003 vorgenommene Aufteilung keinen Einfluss.Bei „Verfassungsgewähr“ handelt es sich um einen Begriff, der aus der KonV übernommen worden war. Die in der KonV verwendete Kapitelüberschrift „von der Gewähr der Verfassung“ fand sich in verschiedenen deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts.[35] Unter anderem auch in der Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen von 1833, die der Konstitutionellen Verfassung für die Abfassung verschiedener Bestimmungen Vorbild war. Allerdings zählte das Kapitel über die Verfassungsgewähr in der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen doppelt so viele Bestimmungen wie das entsprechende Kapitel in der KonV. Die Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen regelte in den §§ 192-195 nämlich – wie viele andere deutsche Verfassungen – auch die Verfassungsverletzungen und Dienstverbrechen.[36] Die „Ministerialanklage“ regelte die Konstitutionelle Verfassung Liechtensteins demgegenüber in § 40 lit. d KonV und § 42 KonV.[37]Mit den synonym verwendeten Begriffen „Gewähr der Verfassung“, „Verfassungsgewähr“, „Verfassungsgarantien“ waren – wie es Joseph Held 1857 umschrieb –, „alle Zustände und Einrichtungen“ gemeint, die „dazu dienen, die unverletzte Aufrechterhaltung einer Verfassung und deren vollständige ungehinderte Durchführung nach allen Seiten hin (…) möglichst sicher zu stellen.“[38] Die entsprechenden Verfassungsbestimmungen[39] sollten der Sicherung der Verfassungen dienen.[40] Sie sollten vor einer willkürlichen Aufhebung oder Änderung der Verfassung schützen sowie diese vor Verletzungen insbesondere durch die Staatsorgane bewahren.[41] Vorgaben über die erschwerte Abänderbarkeit der Verfassung gehörten regelmässig zu den in den Kapiteln über die Verfassungsgarantien aufgeführten Bestimmungen.[42]Wie Herbert Wille ausführt, zeigt auch das IX. und letzte Hauptstück der liechtensteinischen Verfassung von 1921 die Absicht, „nicht nur alle Staatsorgane und Bürger an die Verfassung zu binden“, sondern mit dem StGH und der ihm im damaligen Art. 112 zugewiesenen Aufgabe, bei Zweifeln zu entscheiden,[43] auch eine Institution zu schaffen, „die mögliche Verfassungskonflikte beilegt oder verhindert“.[44] Dem Zweck, die Beachtung der Verfassung langfristig zu sichern, dienen nicht nur die in das betreffende Hauptstück aufgenommenen Verfassungsartikel, sondern alle Bestimmungen, welche garantieren, dass die staatlichen Organe dem Inhalt der Verfassung Rechnung tragen, dass Verfassungsänderungen in dem von der Verfassung vorgegebenen Verfahren durchgeführt werden und dass sich verletzte Personen vor Gericht zur Wehr setzen können. Auch aus diesem Grund ist es nicht von Belang, dass bei der Revision von 2003 das letzte Hauptstück aufgeteilt wurde.III. Art. 112 Abs. 1 LVA. Fragen zur Terminologie und SystematikIn Art. 112 Abs. 1 LV finden sich nebeneinander die Begriffe „Verfassungsurkunde“ und „Landesgrundgesetz“. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass sämtliche Änderungen und Ergänzungen der mit „Landesgrundgesetz“ angesprochenen Verfassung in dem mit „Verfassung“ titulierten Erlass festgehalten werden müssen (so genanntes Inkorporationsgebot).[45] Tatsache ist, dass dies abgesehen von einzelnen Ausnahmen in Krisenzeiten immer so gehandhabt wurde.[46]Art. 112 Abs. 1 LV lautet: „Die gegenwärtige Verfassungsurkunde ist nach ihrer Verkündigung als Landesgrundgesetz verbindlich.“ Unbestritten dürfte deshalb sein, dass er eine Voraussetzung für das Entfalten der Wirkungen der Verfassung anspricht. Dies ergibt sich auch daraus, dass im nachfolgenden Abs. 2 geregelt wird, wie die Verfassung nach ihrem Inkrafttreten im Jahr 1921 abgeändert werden kann.Es fragt sich allerdings: Gilt Abs. 1 nur für die 1921 erlassene, in LGBl. 1921 Nr. 15 niedergelegte Version der Verfassung, oder müssen auch die in Abs. 2 geregelten späteren Verfassungsänderungen verkündigt werden? Das Thema Verkündigung wird in Abs. 2 nicht mehr aufgegriffen. Daraus ist zu schliessen, dass auch die nach 1921 vorgenommenen Änderungen verkündigt werden müssen und nur so Verbindlichkeit erlangen.Zudem muss das Verhältnis von Art. 112 Abs. 1 LV zu Art. 65 LV und Art. 67 LV geklärt werden. Art. 67 Abs. 1 LV lautet seit 1921: „Wenn in einem Gesetze nichts anderes bestimmt ist, tritt es nach Verlauf von acht Tagen nach erfolgter Kundmachung im Landesgesetzblatte in Wirksamkeit.“ Wenn Art. 67 Abs. 1 LV auch für die Verfassungsänderungen gilt, müssen sie im Landesgesetzblatt veröffentlicht werden und entfalten ihre Wirkung im Regelfall acht Tage später. Falls Art. 67 LV nicht anwendbar wäre, müsste gefragt werden, wann Verfassungsänderungen in Kraft treten und was mit dem Begriff „Verkündigung“ in Art. 112 Abs. 1 LV gemeint ist. Art. 65 Abs. 1 LV sieht über die in Art. 112 Abs. 2 LV notwendig erklärte Zustimmung durch den Landesfürsten hinaus zusätzlich die Gegenzeichnung von Gesetzen durch den Regierungschef vor und enthält die Fiktion, dass die Sanktion nach sechs Monaten ohne Zustimmung als verweigert gilt. Wenn der Begriff „Gesetze“ im Sinne von Art. 64 bis 67 LV auch die Verfassung meint, gilt Art. 65 Abs. 1 LV auch für Verfassungsänderungen.B. Die Begriffe „Gesetze“ sowie „Verkündigung“ und „Kundmachung“Gegen eine Anwendung von Art. 67 Abs. 1 LV auf Verfassungsänderungen könnte das Zusammenspiel von Art. 9 LV mit Art. 112 Abs. 2 LV sprechen. Man könnte argumentieren: Wenn die Formulierung von Art. 9 LV „Jedes Gesetz bedarf zu seiner Gültigkeit der Sanktion des Landesfürsten.“ auch die Verfassungsänderungen umfassen würde, müsste Art. 112 Abs. 2 LV die „nachfolgende Zustimmung des Landesfürsten“ nicht ausdrücklich erwähnen. Es sei denn, man spricht der Erwähnung in Art. 112 Abs. 2 LV eine blosse Erinnerungsfunktion zu, bevor die Einschränkung für den Fall der Initiative auf Abschaffung der Monarchie folgt. In Art. 64 Abs. 4 LV werden demgegenüber die „die Verfassung betreffenden Initiativbegehren“ unter dem Stichwort „Recht der Initiative in der Gesetzgebung“ respektive „Einbringung von Gesetzesvorschlägen“ abgehandelt. Auch Art. 66 LV behandelt Gesetzes- und Verfassungsänderungen analog. Dazu kommt, dass die Verfassungsänderungen regelmässig als „Verfassungsgesetz“ bezeichnet werden. Dies sind überzeugende Argumente dafür, dass der Begriff „Gesetz“ auch die Verfassung umfassen kann und Verfassungsänderungen als „Gesetze“ im Sinne von Art. 67 Abs. 1 LV gelten.Als die Verfassung 1921 in Kraft trat, galt noch die Verordnung vom 20. Juni 1863 betreffend die Einführung eines Landesgesetzblattes zur Kundmachung der Gesetze und Verordnungen.[47] Sie äusserte sich nicht explizit zur Kundmachung von Verfassungsänderungen, sondern nur zur Kundmachung der „Gesetze, Patente und Verordnungen“. Gleichwohl wurde die totalrevidierte Verfassung von 1921 im Landesgesetzblatt veröffentlicht. Daraus kann geschlossen werden, dass im Jahr 1921 der Begriff „Gesetze“ im Zusammenhang mit der Kundmachung in einem weiten Sinn verstanden wurde. Es scheint, als sei 1921 die Formulierung von § 119 KonV zur Wahrung der Kontinuität soweit als möglich unverändert übernommen worden. Der in Art. 67 LV enthaltenen, anders formulierten Regelung wurde dabei keine Beachtung geschenkt. [48]Es darf deshalb der Schluss gezogen werden, dass Art. 65 LV und Art. 67 LV auch für Verfassungsänderungen gelten. Art. 112 LV nimmt danach lediglich Ergänzungen für diejenigen Aspekte der Verfassungsänderung vor, die einer speziellen Regelung bedürfen.Wenn Art. 112 Abs. 1 LV von „Verkündigung“ spricht, so ist damit demnach die in Art. 67 Abs. 1 LV genauer definierte Kundmachung im Landesgesetzblatt gemeint. In BuA Nr. 53/1984 zum Kundmachungsgesetz wurde überdies ausdrücklich festgehalten,[49] dass die in verschiedenen Gesetzestexten verwendeten Begriffe „Veröffentlichung“, „Bekanntmachung“, „Kundmachung“ oder „Verlautbarung“ „offenbar als Synonyme zu behandeln sind“ und dem entsprechen, was umgangssprachlich als „Publikation“ bezeichnet wird.[50]Darüber, warum der 1921 bereits bekannte Begriff „Kundmachung“ im damaligen Art. 111 Abs. 1 (und heutigen Art. 112 Abs. 1 LV) nicht verwendet wurde (wohl aber in Art. 65 LV und Art. 67 LV), kann nur spekuliert werden. Eine Vermutung geht dahin, dass der Verfassungsgeber diese Inkongruenz nicht bemerkte und/oder es ihm wichtiger war, die von § 119 KonV stammende Formulierung beizubehalten. Dass Art. 112 Abs. 1 LV das Landesgesetzblatt nicht erwähnt, hätte dem Verfassungsgeber 1984 auffallen können: BuA Nr. 53/1984 schlug nämlich vor, den später zu Art. 67 Abs. 2 LV gewordenen Artikel über Art und Umfang der Kundmachung in einem Art. 111bis, also unmittelbar nach dem damaligen Art. 111, zu placieren.[51] Interpretiert man jedoch „Gesetz“ in Art. 64 bis 67 LV als Oberbegriff für Verfassung und Gesetz, so bedurfte es keiner Ergänzung des damaligen Art. 111 (und heutigen Art. 112 Abs. 1 LV) um „Landesgesetzblatt“ und um den Zeitpunkt des Inkrafttretens. Diese beiden Punkte waren ja bereits in Art. 67 Abs. 1 LV geregelt.Aus Art. 65 Abs. 1 LV ergibt sich überdies, dass das Erfordernis der Gegenzeichnung auch für Verfassungsänderungen gilt. Ebenso die Annahme, dass bei Ausbleiben der Sanktion diese nach sechs Monaten als verweigert gilt.C. Die Begriffe „allgemein verbindlich“ und „Wirksamkeit“Stellt man Art. 112 Abs. 1 LV dem Art. 67 Abs. 1 LV gegenüber, so bemerkt man einen weiteren Unterschied: Art. 112 Abs. 1 LV verwendet den Begriff „allgemein verbindlich“, während in Art. 67 Abs. 1 LV von „Wirksamkeit“ die Rede ist. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Formulierung von Art. 112 Abs. 1 LV aus § 119 KonV übernommen wurde. Dass Art. 112 Abs. 1 LV wie Art. 67 Abs. 1 LV das Inkrafttreten, also das Erlangen ihrer Rechtswirkung, zum Gegenstand hat, ist offensichtlich.§ 119 KonV hatte gelautet: „Die gegenwärtige Verfassungsurkunde ist nach ihrer Verkündigung als Landesgrundgesetz für alle Landesangehörigen verbindlich.“ Seit der Totalrevision von 1921 lautet die Formulierung: „Die gegenwärtige Verfassungsurkunde ist nach ihrer Verkündigung als Landesgrundgesetz allgemein verbindlich.“ Damit ist klargestellt, dass die Verfassung für jedermann inklusive alle staatlichen Organe gilt, also insbesondere auch vom Landesfürsten beachtet werden muss, wie dies auch Art. 13 LV zum Ausdruck bringt.[52] Herbert Wille betont, dass Art. 112 Abs. 1 LV „auch den Gesetzgeber, Fürst und Volk bzw. Landtag“ bindet.[53]Die seit 1921 geltende Formulierung lässt auch keinen Zweifel daran, dass die Verfassung sämtliche Personen und Institutionen bindet, die sich – ungeachtet ihrer Nationalität oder ihres Wohnsitzes – in Liechtenstein aufhalten oder zum Beispiel als Auslandliechtensteiner dergestalt mit dem Land in Kontakt sind, dass seine Rechtsordnung insgesamt oder einzelne ihrer Normen auf sie Anwendung findet.Art. 112 LV befindet sich – wie sein Vorläufer § 119 KonV – im Hauptstück über die Verfassungsgewähr, also bei den Bestimmungen, die den Schutz der Verfassung und den Schutz der verfassungsmässigen Ordnung garantieren sollen. Die historische und die systematische Auslegung führen deshalb zum Schluss, dass der Zweck von Art. 112 LV nicht im Schutz von Individuen besteht.[54]IV. Verfassungsänderungen gemäss Art. 112 Abs. 2 LVA. Verweise auf Art. 64 LV, Art. 66 LV und Art. 113 LVDie in Art. 112 Abs. 2 LV vorgenommenen Verweisungen auf Art. 64 LV und Art. 66 LV über die Ausgestaltung des Initiativ- respektive Referendumsrechts der Landesbürger und Gemeinden dienen der Erinnerung. Ihnen kommt keine eigenständige Bedeutung zu.Dass diejenigen Verfassungsänderungen, die im Rahmen der von Art. 113 LV vorgesehenen Abschaffung der Monarchie erfolgen, keiner Zustimmung des Landesfürsten bedürfen, ergibt sich bereits aus Art. 113 LV. Dieser gesteht nämlich dem Landesfürsten in Abs. 1 einzig das Recht zu, selber einen Verfassungsvorschlag zu unterbreiten. In Art. 113 Abs. 2 LV, der die Beschlussfassung über die Abschaffung der Monarchie regelt, wird das Sanktionsrecht nicht erwähnt. Vielmehr wird festgehalten, dass jene Verfassung „als angenommen [gilt], welche die absolute Mehrheit erhält (Art. 66 Abs. 4).“ Wenn Art. 112 Abs. 2 LV die Zustimmung des Landesfürsten nach Abstimmungen über die Abschaffung der Monarchie explizit ausnimmt, stellt dies somit lediglich eine Verdeutlichung von Art. 113 LV dar.Wichtig ist hingegen das in Art. 112 Abs. 2 LV statuierte Quorum für die Abstimmungen im Landtag. Dass es die Stimmeneinhelligkeit der anwesenden Mitglieder oder in zwei nacheinander folgenden Landtagssitzungen eine Mehrheit von drei Vierteln braucht,[55] statuiert einzig Art. 112 Abs. 2 LV. Demgegenüber regelt Art. 66 Abs. 4 LV das Quorum für Volksabstimmungen über Verfassungsänderungen. Es genügt hierfür die absolute Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen.B. Das InitiativrechtDa § 41 KonV dem Landtag die Kompetenz zuwies, Gesetzesvorschläge einzubringen,[56] war es folgerichtig, dass § 121 Abs. 2 KonV das Initiativrecht des Landtages auch bezüglich Verfassungsänderungen vorsah.[57] Schliesslich kannten mehrere konstitutionelle Verfassungen in Deutschland ein solches Initiativrecht des Landtages, aber nur wenige die Möglichkeit des Parlaments, den Anstoss für den Erlass von Gesetzen zu geben.[58] Gegenüber der landständischen Verfassung Liechtensteins von 1818 war dieses Initiativrecht des Landtages ebenso neu[59] wie dass Verfassungsänderungen „nur noch mit, nicht aber gegen den Landtag möglich“ waren.[60]Gemäss einem Teil der Lehre steht dieses Initiativrecht, also das Recht, Verfassungsänderungen zu beantragen, dem Landesfürsten auch heute noch zu.[61] Der Begriff der „Regierung“ in Art. 112 Abs. 2 LV umfasst nach dieser Ansicht sowohl die Regierung im Sinne von Art. 78 LV als auch den Landesfürsten.[62]C. Zustimmung von Landesfürst, Parlament und VolkDass Verfassungsänderungen sowohl der Zustimmung des Parlaments als auch des Monarchen bedürfen, ist ein Kennzeichen konstitutioneller Verfassungen. Auch die Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen sah eine entsprechende Regelung vor.[63] Ihr § 190 Abs. 1 lautete: „An dem Landesgrundgesetze darf ohne Übereinstimmung der Regierung und der Ständeversammlung nichts, weder durch Hinwegnahme noch durch Hinzufügung, geändert werden.“ § 121 Abs. 1 KonV mit dem Wortlaut „An diesem Landesgrundgesetze darf ohne Uebereinstimmung der Regierung[64] und des Landtages nichts geändert werden.“[65] orientierte sich daran. Dasselbe könnte für das Quorum von drei Vierteln an zwei aufeinander folgenden Landtagssitzungen gelten.[66] Cyrus Beck sagt zu § 121 KonV: „Die Verfassungsgewähr von § 121 KonV entsprach dem Bundesrecht insofern, als Art. 56 WSA[67] als einzige zulässige Art der Verfassungsänderung den von der Verfassung selbst bezeichneten Weg bestimmte und sinnigerweise nur ein mitwirkender Landtag dieser Formel gerecht werden konnte, weil andernfalls nur eine nicht unverbrüchliche, selbstwidersprüchliche, absolutistische Verfassung in Frage kam, wie die landständische Verfassung von 1818 gezeigt hatte. Die Unverbrüchlichkeit der konstitutionellen Verfassung von 1862 wurde durch § 123 KonV noch einmal untermauert.“[68]Überdies setzte § 121 KonV für die Verfassung fort, was § 24 Abs. 1 KonV (der so genannte Gesetzesvorbehalt) [69] bereits für die Gesetze festhielt: Auch die Verfassung durfte nicht gegen den Willen des Landtages erlassen, geändert oder aufgehoben werden.Auch wenn dies so nicht explizit gesagt wird: Art. 112 Abs. 2 LV nennt den Verfassungsgeber: Es sind dies (ausser bei der in Art. 113 LV geregelten Initiative auf Abschaffung der Monarchie) Fürst, Landtag und Volk. Sie müssen zu einer Einigung kommen, damit die Verfassung geändert respektive eine neue Verfassung erlassen werden kann.[70] Am Zustimmungserfordernis von Fürst und Parlament hat sich weder 1921 noch danach etwas geändert.[71] Mit einer Volksabstimmung kann – dies ergibt sich aus Art. 66 Abs. 6 LV, auf den in Art. 112 Abs. 2 LV verwiesen wird – lediglich der Landtag „überstimmt“ werden, wenn er zuvor eine Volksinitiative auf Verfassungsänderung abgelehnt hat.Wie in den Einführenden Bemerkungen ausgeführt,[72] finden sich in der liechtensteinischen Verfassung Strukturprinzipien, aber weder Ewigkeitsartikel wie im deutschen Grundgesetz noch eine Vorgabe wie in Art. 44 Abs. 3 B-VG, die für Veränderungen von Grundprinzipien der österreichischen Verfassung eine Gesamtänderung der Bundesverfassung mit zwingender Volksabstimmung vorsieht. Die liechtensteinische Verfassung selbst hat demnach keine materiellen Schranken errichtet, die bestimmte ihrer Inhalte a priori jeglicher Änderung entziehen.[73] Unbestritten ist jedoch, dass die Verfassung zumindest die EMRK, zwingendes Völkerrecht und EWR-Recht zu respektieren hat.[74]D. Das Verfahren im Landtag1. Die von Art. 112 Abs. 2 LV vorgesehenen AbstimmungsquorenZur Anzahl Abgeordneter, die an der Abstimmung über Verfassungsänderungen teilnehmen müssen (so genanntes Präsenzquorum), äussert sich Art. 112 LV nicht. Es gilt demnach die allgemeine Regel von Art. 58 LV für das Zustandekommen von Landtagsbeschlüssen. Gemäss Art. 58 Abs. 1 erster Satz LV müssen mindestens zwei Drittel der 25 Abgeordneten (das sind 17 Abgeordnete[75]) im Saal anwesend[76] sein, damit der Landtag beschlussfähig ist. Art. 112 Abs. 2 LV trifft eine sonst nirgends in der Verfassung anzutreffende Regelung, indem er alternativ Einstimmigkeit[77] oder zweimal hintereinander ein Dreiviertelmehr verlangt. Dieses Abstimmungsquorum ist seit 1862 (siehe § 121 Abs. 2 KonV) unverändert. Verglichen mit den übrigen deutschsprachigen Ländern handelt es sich um ein hohes Quorum.[78] Zum selben Schluss gelangt man auch, wenn man das Quorum im Landtag mit dem Quorum in der Volksabstimmung vergleicht.[79] Gleichwohl ist die liechtensteinische Verfassung – wenn auch keine flexible oder bewegliche Verfassung – wegen der nicht zwingend notwendigen aktiven Zustimmung durch das Volk und wegen des Fehlens von Unabänderlichkeitsbestimmungen doch nicht als starre Verfassung zu bezeichnen.[80] Als spezielle, sich nur auf die Verfassungsänderungen erstreckende Norm geht Art. 112 Abs. 2 LV der allgemeinen Bestimmung über die Beschlüsse des Landtages von Art. 58 Abs. 1 LV vor. Zudem lässt Art. 58 Abs. 1 erster Satz LV abweichende Bestimmungen in der Verfassung ausdrücklich zu. Mit seiner detaillierten Vorgabe enthält Art. 112 Abs. 2 LV eine abschliessende Regelung über die Anzahl der erforderlichen Abstimmungen und das an den Abstimmungen zu erzielende Quorum. Es bleibt kein Raum für Regelungen in der GOLT[81] oder im VRG[82]. Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass die einstimmige Zustimmung respektive das zweimalige Dreiviertelmehr für jeden einzelnen Verfassungsartikel erreicht werden muss und nicht bloss in der Schlussabstimmung über die gesamte Vorlage.[83]Demgegenüber ist zu klären, ob Art. 112 Abs. 2 LV auch die Frage regelt, ob bei Vorlagen über Verfassungsänderungen zuerst das Eintreten auf die Vorlage beschlossen werden muss und an wie vielen Sitzungen die Verfassungsänderungen zu debattieren sind. Findet sich die Antwort auf diese Fragen in Art. 112 Abs. 2 LV, so finden entsprechende Regelungen für die Gesetzgebung in GOLT und VRG keine Anwendung.In der Verfassung wird geregelt (siehe Art. 66 Abs. 1 LV, wiederholt in Art. 75 Abs. 2 VRG), dass der Landtag eine Volksabstimmung beschliessen darf, nachdem er der Vorlage auf Verfassungsänderung zugestimmt hat.2. Keine Regelungen in Art. 112 Abs. 2 LV zu vielen VerfahrensfragenDie Ablehnung von Anträgen auf Verfassungsänderungen wird in Art. 112 Abs. 2 LV nur indirekt geregelt, indem ein qualifiziertes Mehr für die Annahme der Verfassungsänderungen vorgeschrieben wird. Aus Sicht der Verfassung spricht deshalb nichts dagegen, bei Vorlagen zur Verfassungsrevision – wie in der GOLT für alle Gesetzesvorlagen vorgesehen[84] – mit einer Eintretensdebatte zu beginnen und diese mit einer Abstimmung zu beenden. Spricht sich in dieser Abstimmung die Mehrheit der Abgeordneten gegen das Eintreten aus, hat die Vorlage (und damit der Antrag auf Verfassungsänderung) nicht das von Art. 112 Abs. 2 LV geforderte qualifizierte Mehr erreicht und kann es auch nicht mehr erreichen. Das Geschäft muss abgeschrieben werden.[85]Indem sich Art. 112 Abs. 2 LV nicht dazu äussert, in welcher Form, wann und wie oft über eine Verfassungsänderung diskutiert werden muss, lässt er eine zweimalige Lesung und damit auch eine Stellungnahme der Regierung vor der zweiten Lesung zu. Art. 112 Abs. 2 LV greift erst dann, wenn zu einer Abstimmung geschritten wird. Resultiert in dieser Abstimmung eine einstimmige Zustimmung,[86] ist das Geschäft definitiv verabschiedet, verlangt doch Art. 112 Abs. 2 LV entweder einhellige Zustimmung oder ein zweimaliges Quorum von drei Vierteln. Wird in der Abstimmung ein Mehr von mindestens drei Vierteln erreicht, muss das Geschäft dem Landtag an seiner nächstfolgenden Sitzung noch einmal vorgelegt werden. Diese Pflicht, das Geschäft dem Landtag ohne Verzug in der nächsten Sitzung noch einmal vorzulegen, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Verfassung und findet sich auch nicht im Gesetz.[87] Meines Erachtens ergibt sie sich jedoch aus dem Erfordernis der zweimaligen Zustimmung durch drei Viertel der Abgeordneten an zwei nacheinander folgenden Landtagssitzungen. Die Kompetenz, über die definitive Formulierung, die Annahme oder Ablehnung einer Verfassungsänderung zu beschliessen, kommt (neben dem Landesfürsten und den Stimmberechtigten, für die je eigene Verfahren vorgesehen sind) dem Landtag als Kollegium zu. Es ginge demnach nicht an, dass die Regierung oder das Landtagspräsidium durch die Nicht-Traktandierung die rechtzeitige Zustimmung in der nachfolgenden Landtagssitzung verhindern.Durch die nochmalige Vorlage nach einer nicht einstimmigen ersten Abstimmung ist sichergestellt, dass sich in zwei verschiedenen Landtagssitzungen bei einer tiefstmöglichen Anwesenheit von 17 Abgeordneten[88] mindestens 13 Abgeordnete und damit die Mehrheit aller Abgeordneten für die Verfassungsänderung ausgesprochen haben. Sind mehr als zwei Parteien im Landtag vertreten, ist damit ausgeschlossen, dass die grösste Partei Verfassungsänderungen im Alleingang beschliessen kann.[89] Überdies bietet die zeitliche Verzögerung Gelegenheit für Reflexion und Diskussion.Bleiben die Ja-Stimmen in der ersten Abstimmung unter der Schwelle von drei Vierteln, ist die Verfassungsänderung definitiv abgelehnt.[90] Sie kann das von Art. 112 Abs. 2 LV verlangte Quorum nicht mehr erreichen. Etwas anderes gilt nur für die Volksinitiativen, seien es Gemeinde- oder Sammelbegehren. Wird eine Verfassungsänderung durch eine Volksinitiative verlangt, muss sie gestützt auf Art. 66 Abs. 6 LV trotz Ablehnung durch den Landtag den Stimmberechtigten vorgelegt werden.[91]Darüber, wer Abänderungs-, Zusatz- oder Streichungsanträge wann und wie stellen kann und ob die Überweisung an eine Kommission oder eine zusätzliche Beratung möglich sind, gibt ebenfalls die GOLT Antwort, weil dies Art. 112 Abs. 2 LV nicht regelt. Art. 112 Abs. 2 LV sagt auch nicht, ob artikelweise abzustimmen ist oder über die Vorlage auf Verfassungsänderung in globo. In Art. 85 Abs. 2 VRG wird für das Verfahren bei Verfassungsinitiativen auf Art. 80 bis 84 VRG über die Gesetzesinitiative verwiesen. Diese Bestimmungen regeln in erster Linie die Stellungnahme des Landtags zu den Sammel- und Gemeindebegehren und weisen ihm das Recht zu (Art. 82 Abs. 3 VRG), einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Es wird aber nicht näher ausgeführt, wie die Beratung des Gegenvorschlags im Landtag zu erfolgen hat.3. Regelungen durch die GOLTDie GOLT erwähnt Verfassungsänderungen mit keiner Silbe. Art. 34 GOLT regelt die Beratung von Gesetzesvorlagen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob auch die Vorlagen auf Änderungen der Verfassung „Gesetzesvorlagen“ im Sinne der GOLT sind. Als mit LGBl. 2018 Nr. 49 zwei neue Bestimmungen (Art. 34a GOLT für die Beratung von Finanzbeschlüssen und Art. 34b GOLT für die Beratung von Staatsverträgen) eingefügt wurden, wurden die Verfassungsänderungen und das für ihre Beratung vorgesehene Verfahren nicht thematisiert.[92] Die Beratung von Verfassungsänderungen richtet sich deshalb nach wie vor nach den Vorgaben von Art. 34 GOLT.Demnach wird für die Vorlagen auf Verfassungsänderung eine Eintretensdebatte geführt. Geht eine Verfassungsänderung einher mit einer Gesetzesänderung, so erfolgen Diskussion und Beschluss über das Eintreten in der Praxis gemeinsam für beide Erlasse.[93] Bei dieser ersten Sitzung wird usanzgemäss auch darüber beschlossen, ob in einer parlamentarischen Initiative verlangte Verfassungsänderungen zur Stellungnahme an die Regierung überwiesen werden sollen.[94]Es findet eine zweimalige Beratung (1. und 2. Lesung) statt.[95] Die 1. Lesung endet in der Regel ohne Abstimmung über den diskutierten Text.[96] Erst an der 2. Lesung wird abgestimmt. Diese Zustimmung stellt aus der Optik von Art. 112 Abs. 2 LV die erste Zustimmung an der ersten der zwei nacheinander folgenden Landtagssitzungen dar.[97]Der Landtag ist allerdings frei, an diese 1. Lesung (die ohne Abstimmung erfolgt ist) gleich die 2. Lesung mit der Abstimmung anzuhängen[98] respektive wie in Landtags-Protokolle 2009, S. 554 (Sitzung vom 25. Juni 2009), direkt zur Abstimmung zu schreiten, nachdem zuvor der Staatsvertrag und die beiden Gesetze, welche die Ergänzung der Verfassung notwendig machen, in der 1. Lesung verabschiedet worden sind. Da eine zweite Lesung gemäss Art. 34 Abs. 2 GOLT nur „in der Regel“ stattfindet, hat der Landtag diese Freiheit. Sie steht – mangels anderer Vorgaben – auch im Einklang mit der Verfassung. Art. 112 Abs. 2 LV verlangt nicht, dass an zwei verschiedenen Landtagssitzungen über die Vorlagen diskutiert wird. Art. 112 Abs. 2 LV verlangt nur eine zweite Abstimmung an der nächst folgenden Landtagssitzung, wenn bei der Abstimmung an der ersten Landtagssitzung keine Einstimmigkeit erreicht worden ist.In den letzten Jahren kam es mehr als einmal zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob nach einer ersten inhaltlichen Diskussion über eine Verfassungsänderung bereits die Abstimmung stattfinden oder zuerst eine 2. Lesung durchgeführt werden solle.[99] Die Frage wurde soweit ersichtlich immer in Konstellationen gestellt, in denen die Verfassungsänderung Voraussetzung für eine Gesetzesänderung war. Bei diesen Vorlagen stand nicht der Wortlaut der Verfassung im Fokus der Aufmerksamkeit der Abgeordneten, sondern die Gesetzesänderung. Von daher und weil die Verfassungsänderungen inklusive der konkreten Formulierungen nicht strittig waren, zeigten sich die Abgeordneten bereit, sofort zur Abstimmung zu schreiten.Meines Erachtens lässt die Verfassung den Verzicht auf eine 2. Lesung zu. Wünscht ein Abgeordneter eine Bedenkfrist, kann er durch seine Nein-Stimme oder auch durch blosse Enthaltung verhindern, dass die von den übrigen Abgeordneten offensichtlich nicht in Frage gestellte Verfassungsänderung unverzüglich durchgewunken wird. Erzwingt er so die Vorlage an der nächsten Landtagssitzung, steht es ihm und sämtlichen anderen Abgeordneten frei, anlässlich der Diskussion Fragen an die Regierung zu stellen oder Vorschläge zu einer Umformulierung des Verfassungstextes einzubringen.Der Umgang mit Abänderungs-, Zusatz- und Streichungsanträgen ist gleich wie bei Gesetzen. Gemäss Art. 34 Abs. 3 und 7 GOLT können – ausser natürlich im Fall, dass der Antrag durch eine Volksinitiative eingebracht worden ist – auch in der zweiten Beratung Änderungen am beantragten Verfassungstext vorgenommen oder eine Kommission bestellt werden. Findet der in der zweiten Beratung abgeänderte Text nicht die einhellige Zustimmung sämtlicher Abgeordneten, muss er für eine dritte Landtagssitzung traktandiert werden. Art. 112 Abs. 2 LV verlangt nämlich eine Zustimmung von drei Vierteln der Anwesenden in zwei nacheinander folgenden Sitzungen.Die Überweisung an eine Kommission (Art. 34 Abs. 7 GOLT) ist auch anlässlich der Beratung von Verfassungsänderungen bis zur Schlussabstimmung möglich. Die artikelweise Abstimmung, gefolgt von der Schlussabstimmung, ist von Art. 34 Abs. 5 GOLT vorgeschrieben.Das letzte Wort kommt bei Verfassungsänderungen wie bei den Gesetzesänderungen insofern dem Volk zu, als es gegen die Zustimmung durch den Landtag das Referendum ergreifen darf (siehe Art. 66 Abs. 2 LV zum Referendum gegen die vom Landtag beschlossenen Verfassungsänderungen)[100], und dem Landesfürsten (siehe die Erwähnung der notwendigen Zustimmung des Landesfürsten in Art. 112 Abs. 2 LV). Dies gilt gestützt auf Art. 66 Abs. 6 LV auch für die vom Volk respektive von vier Gemeinden eingebrachten Volksinitiativen auf Verfassungsänderungen (siehe Art. 64 Abs. 4 LV).4. WürdigungDass die GOLT Gesetzes- und Verfassungsänderungen gleich behandelt, ist vertretbar. Problematisch ist jedoch, dass die GOLT den Umgang mit Volksinitiativen nicht thematisiert und das VRG nur wenige Aspekte des Umgangs mit den Sammel- und Gemeindebegehren anspricht. Dass der Landtag nichts am Wortlaut dieser Inititiativbegehren ändern darf[101] und sie auf jeden Fall der Volksabstimmung unterbreiten muss, sagt nur Art. 66 Abs. 6 LV.Da weder die Verfassung noch die GOLT oder das VRG[102] auf das Verfahren bei den Sammel- und Gemeindebegehren eingehen, finden sich auch keine speziellen Vorgaben für die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags[103] durch den Landtag. Aus diesem Grund sind nach wie vor verschiedene verfahrensrechtliche Fragen zu den Lesungen, zum Einbezug der Regierung und zum Abstimmungsprozedere offen.[104]V. Allgemein verbindliche Erläuterungen gemäss Art. 112 Abs. 2 LVMit dem Verfassungsgesetz vom 17. Dezember 1970 betreffend die authentische Interpretation[105] des Begriffs „Landesangehörige“[106] wurde zum letzten Mal[107] eine allgemein verbindliche Erläuterung der Verfassung vorgenommen. Sie hielt fest: „Unter dem von der Verfassung verwendeten Begriff «Landesangehörige» sind alle Personen mit liechtensteinischem Landesbürgerrecht ohne Unterschied des Geschlechts zu verstehen.“ Neben der Kundmachung im Landesgesetzblatt wurde bei den Verfassungsartikeln, die den Begriff „Landesangehörige“ verwenden, eine erklärende Fussnote angebracht, die unter Angabe von LGBl. 1971 Nr. 22 deren Inhalt abdruckte.[108]Seither ist keine Authentischerklärung mehr erfolgt. Es stellt sich deshalb die Frage, wann eine solche sinnvoll ist.Da Authentischerklärungen dasselbe Verfahren durchlaufen müssen wie Verfassungsänderungen[109] und damit der Zustimmung von Landesfürst, Landtag und gegebenenfalls des Volkes bedürfen, stellt es für keines der Organe eine Erleichterung dar, den Erlass einer allgemein verbindlichen Erklärung zu initiieren. Sinnvoll könnte eine solche allenfalls dann sein, wenn sie wie im Fall von LGBl. 1971 Nr. 22 einen einzelnen Begriff erläutert oder klarstellt, dass der Anwendungsbereich einer bestimmten Verfassungsbestimmung eingegrenzt oder erweitert verstanden werden soll.[110]Gerade weil die authentische Interpretation – als Akt der Verfassungsgebung[111] – im Verfahren der Verfassungsänderung erfolgt, steht es dem Verfassungsgeber frei, in seiner Interpretation neue Elemente einzubeziehen oder die Gewichte gegenüber der bisherigen Auslegung der betreffenden Normen zu verschieben.[112] Er kann hierin – eben weil er der Schöpfer der angesprochenen Norm ist und als Verfassungsgeber jederzeit auch neue Normen schaffen dürfte – weiter gehen als der StGH, der „lediglich“ die bestehende Verfassung auslegen darf.In der Regel wird sich jedoch eine Änderung oder Ergänzung des Verfassungstextes als zielführender erweisen. Änderungen in der Formulierung von Verfassungsbestimmungen machen jedermann klar, dass eine inhaltliche Änderung erfolgt ist oder eine zuvor bei der Auslegung bestehende Unsicherheit beseitigt worden ist. |
1) Wenigstens 1’500 Landesbürgern steht das Recht zu, eine Initiative auf Abschaffung der Monarchie einzubringen. Im Falle der Annahme der Initiative durch das Volk hat der Landtag eine neue Verfassung auf republikanischer Grundlage auszuarbeiten und diese frühestens nach einem Jahr und spätestens nach zwei Jahren einer Volksabstimmung zu unterziehen. Dem Landesfürsten steht das Recht zu, für die gleiche Volksabstimmung eine neue Verfassung vorzulegen. Das im Folgenden geregelte Verfahren tritt insoweit an die Stelle des Verfassungsänderungsverfahrens nach Art. 112 Abs. 2.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteArt. 113 LV in der geltenden Fassung ist das Resultat der Verfassungsrevision 2003, die den seinerzeitigen Art. 113 zu Art. 114 LV machte und an dessen Stelle den nunmehrigen Text setzte. Erläuternd wurde lediglich ausgeführt:„Die Initiative auf Abschaffung der Monarchie ist ein Auftrag an den Landtag, eine neue Verfassung auf republikanischer Grundlage auszuarbeiten. Der Landtag übernimmt die Rolle einer verfassungsgebenden Versammlung, welche dann mit einfacher Mehrheit einen solchen Verfassungsvorschlag beschliessen und dem Volk unterbreiten kann.“[1]Die Bestimmung war in teilweise anderer Formulierung bereits in den Verfassungsvorschlägen des Fürstenhauses enthalten und im Zuge der Verfassungsdiskussion auf Kritik gestossen, weil ihre demokratische Bedeutung im Vergleich zu den Machtzuwächsen des Landesfürsten als bescheiden erachtet wurde. So wurde etwa befürchtet, dass die Regelung in der Realität mildere Verfassungsänderungen verhindern würde.[2] In ähnlicher Weise bemerkte die Venedig-Kommission, dass die Bestimmung nur eine ultima ratio zur Behebung einer extremen Situation sein könne, nicht aber ein wirkungsvolles Gegengewicht in der Gewaltenteilung.[3] Die beschlossene Fassung trug dieser Kritik freilich keine Rechnung.II. Grundsätzliche Bemerkungen zur Abschaffung der MonarchieA. Der Begriff der Monarchie und ihre Rolle als VerfassungsprinzipHinsichtlich der Verwendung des Begriffs der Monarchie ist an das Verständnis anzuknüpfen, das ihm bereits in Zusammenhang mit seiner Erwähnung in Art. 2 LV („Erbmonarchie“) zukommt.[4] Eine Monarchie ist demnach durch ein vererbliches Staatsoberhaupt geprägt.[5] Die Monarchie ist eines der Strukturprinzipien der liechtensteinischen Verfassung, in der Normenhierarchie dadurch hervorgehoben, dass sie der einzige Gegenstand einer erschwerten Verfassungsänderung in Liechtenstein ist.[6]Gegenstand der Abschaffung der Monarchie ist die Beseitigung der von Art. 2 LV konstituierten dynastischen Erbfolge. Eine Ersetzung des Fürstenhauses Liechtenstein durch eine andere Dynastie wäre keine Abschaffung der Monarchie und würde nicht dem Verfahren nach Art. 113 LV unterliegen. Dies wird auch daraus deutlich, dass das Votum für die Abschaffung der Monarchie gemäss Art. 113 Abs. 1 zweiter Satz LV zur Folge hat, dass der Landtag nunmehr eine Verfassung auf republikanischer Grundlage auszuarbeiten hat. Dies kann nur dann sinnvoll sein, wenn die dynastische Erbfolge als solche beseitigt werden soll.B. Begriff einer Verfassung auf republikanischer GrundlageArt. 113 Abs. 1 zweiter Satz LV verlangt wie erwähnt die Ausarbeitung einer Verfassung auf republikanischer Grundlage durch den Landtag. Der Begriff der Republik wird in der Allgemeinen Staatslehre vorwiegend negativ definiert, als eine Staatsform, die keine Monarchie ist.[7]Freilich bringt diese Unterscheidung das moderne Verständnis einer Republik nur unzureichend zur Geltung. Es kann nicht nur darauf ankommen, wie das Staatsoberhaupt bestellt wird. Eine republikanische Verfassung im modernen Sinn setzt einen völkerrechtlich souveränen Staat voraus, in dem die Grund- und Freiheitsrechte des Staatsvolkes anerkannt sind, und der auf demokratischen Grundlagen beruht.[8] Die Republik ist, wie Berka zutreffend schreibt, als Res Publica ein Staat, der der Sache aller Bürger und dem Gemeinwohl verpflichtet ist.[9] Sie ist auch eine Absage an eine Autokratie.[10] Art. 113 Abs. 1 zweiter Satz LV erlaubt es nach diesem Verständnis nicht, die monarchische Verfassung durch eine autokratische zu ersetzen.Wie diese potenzielle republikanische Verfassung im Konkreten ausgestaltet ist, gibt Art. 113 Abs. 1 LV nicht vor. So könnte etwa ein präsidiales Regierungssystem genauso wie ein parlamentarisches Regierungssystem vorgesehen werden.[11]C. Die Abschaffung der Monarchie als besondere Form der VerfassungsrevisionArt. 113 LV sieht ein spezielles Verfahren einer Verfassungsrevision, bezogen auf die Abschaffung der Monarchie, vor. Nach der hier vertretenen Auffassung wird allerdings die Beseitigung der dynastischen Ordnung Liechtensteins nicht in Art. 113 LV monopolisiert. Weiterhin bleibt der alternative Weg einer Verfassungsänderung im Wege des Verfahrens nach Art. 64 LV in Verbindung mit Art. 112 Abs. 2 LV. Der entscheidende Unterschied zum ordentlichen Verfahren der Verfassungsrevision ist nach Art. 113 LV, dass die Abschaffung der Monarchie gemäss Art. 113 Abs. 2 LV nicht die Sanktion des Landesfürsten erfordert.[12] Dies ergibt sich aus der Anordnung des Art. 113 Abs. 1 LV, wonach das Verfahren gemäss Abs. 2 an die Stelle des Verfassungsänderungsverfahrens nach Art. 112 Abs. 2 LV tritt, wo bestimmt wird, dass die Zustimmung des Landesfürsten für das Verfahren zur Abschaffung der Monarchie nach Art. 113 LV nicht erforderlich ist.[13] Hingegen kann Art. 113 LV nicht so interpretiert werden, als würde dadurch die ordentliche Verfassungsrevision (sei es durch den Landtag oder auf Grund einer Initiative) jeweils mit Sanktion des Landesfürsten (Art. 9 LV) verunmöglicht.[14] Ausserdem steht das Recht der Initiative im Verfahren nach Art. 113 LV nicht dem Landtag, sondern nur dem Volk zu.[15]Keinesfalls stellt somit Art. 113 LV, in der etwa im Vergleich mit dem B-VG erschwert abänderbaren („starren“) Verfassung Liechtensteins, einen besonderen Schutz der Monarchie vor ihrer Abschaffung dar. Sondern er eröffnet lediglich ein zusätzliches Verfahren, wie gegen den Willen des Landesfürsten eine republikanische Verfassung eingeführt werden kann. Nur so kann Art. 113 LV überhaupt, wie dies in der Diskussion um die Verfassungsrevision 2003 der Fall war, als eine zusätzliche demokratische Option verstanden werden.III. Das Verfahren der Abschaffung der MonarchieA. Einbringung der Initiative1. Initiativrecht der LandesangehörigenWenigstens 1‘500 Landesbürgern steht das Recht zu, eine auf die Abschaffung der Monarchie gerichtete Initiative einzubringen (Art. 113 Abs. 1 erster Satz LV). Es handelt sich dabei um eine Initiative in Form einer allgemeinen Anregung.[16] Es ist davon auszugehen, dass für das Verfahren – wie beim analog konzipierten Verfahren des Misstrauensvotums gegen den Landesfürsten nach Art. 13ter LV – die Bestimmungen des VRG[17] über die Gesetzesinitiative anwendbar sind (Art. 80 ff. VRG).Die Initiative ist gemäss Art. 80 Abs. 4 lit. a VRG bei der Regierung anzumelden. Weist sie formelle Mängel auf, ist sie von der Regierung zurückzuweisen.[18] Anders als beim Misstrauensvotum gegen den Landesfürsten, das begründungspflichtig ist (Art. 13ter erster Satz LV)[19], muss die Initiative auf Abschaffung der Monarchie nicht begründet werden. Die verlangten 1‘500 Unterschriften sind binnen sechs Wochen bei der Regierung einzureichen (Art. 80 Abs. 4 lit. b in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 lit. b VRG). Eine Vorprüfung durch den Landtag im Sinne des Art. 70b VRG findet jedoch nicht statt.[20]Was den Begriff der zur Initiative berechtigten «Landesbürger» angeht, wird davon auszugehen sein, dass (wie beim Initiativrecht gemäss Art. 13ter LV) die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausübung der politischen Rechte anwendbar sind.[21] Dies bedeutet, dass auch das Initiativrecht gemäss Art. 113 LV allen Landesangehörigen zusteht, die das 18. Lebensjahr vollendet, im Lande ordentlichen Wohnsitz haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingeschränkt sind.[22]Das Verfahren der Volksinitiative bringt es mit sich, dass mindestens 1'500 Unterschriften von Initianten beizubringen sind, welche die Initiative mit ihrem Namen zu versehen und zu unterzeichnen haben. Die Unterschriftenbögen sind bei der Regierung einzureichen. Zuvor müssen sie die Prüfung und amtliche Bescheinigung der Unterschriften durch die Gemeinden durchlaufen haben (Art. 69 Abs. 1 und 2 VRG).[23] Mehrere Autoren haben grundrechtliche Bedenken gegen die Ausgestaltung des Initiativrechts gemäss Art. 113 Abs. 1 LV formuliert und einen Verstoss gegen das Recht auf geheime Stimmabgabe gemäss Art. 3 des 1. ZP EMRK[24] diagnostiziert, weil die Initiatoren gezwungen seien, sich mit ihrem gegen die Monarchie gerichteten Plebiszit öffentlich zu deklarieren.[25] Dem könnte zunächst entgegengehalten werden, dass im Verfahren der Volksinitiative ein öffentliches Deklarieren der Namen der Initianten nicht vorgesehen ist. Im Gegenteil: die Namen der Initianten unterliegen dem Amtsgeheimnis[26] und die Identität der Initianten ist somit von den Amtsträgern, welche die Unterschriften zu prüfen haben, zu schützen. Insofern besteht kein Zwang, sich öffentlich zu deklarieren. Allerdings steht zu befürchten, dass in der Realität die Namen von Initianten den Weg an die Öffentlichkeit finden könnten. Es ist dabei nicht auszuschliessen, dass Unterzeichner einer auf die Abschaffung der Monarchie gerichteten Initiative, sollte ihre Identität bekannt werden, der Gefahr gesellschaftlicher Ächtung mit entsprechenden Nachteilen für Beruf und soziale Stellung ausgesetzt sind. Ein weiterer Einwand gegen die geäusserten grundrechtlichen Bedenken könnte sein, dass es sich bei den befürchteten faktischen Nachteilen für die Initianten um Risiken handelt, die naturgemäss mit jeder Volksinitiative verbunden sind, die ein «heisses Eisen» thematisiert. Bei der Initiative auf Monarchieabschaffung besteht indes die Besonderheit, dass – anders als bei allen andern auf die Änderung von Gesetz oder Verfassung gerichteten Initiativen – die Initiative exklusiv nur von den Stimmberechtigten ausgehen kann, da das Initiativrecht des Parlaments ausgeschaltet bzw. beschränkt ist (dazu im nächsten Abschnitt ) und nicht anzunehmen ist, dass der Fürst selbst die Initiative zur Abschaffung der Monarchie ergreift. Die Gefahr gesellschaftlicher Stigmatisierung ist somit im Vergleich zu anderen Formen der Ausübung direktdemokratischer Rechte stärker gegeben. Der Umstand, dass die tatsächliche Ausübung des in Frage stehenden Initiativrechts vor dem geschilderten Hintergrund als sehr unwahrscheinlich einzustufen ist,[27] wird zu berücksichtigen sein, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, welche demokratische Legitimation von einem derart konzipierten Initiativrecht ausgehen kann (s. unten Kapitel V.).2. Zum Initiativrecht des LandtagesGemäss Art. 64 Abs. 1 LV steht das Recht der Initiative in der Gesetzgebung neben dem Landesfürsten (in der Form von Regierungsvorlagen) und den Landesbürgern auch dem Landtag zu.[28] Art. 112 Abs. 2 LV stellt klar, dass dem Parlament das Initiativrecht auch in Bezug auf Verfassungsänderungen zukommt. Wie schon dargestellt, steht dem Landtag (wie auch den Stimmberechtigten und den Gemeinden) mittels einer Initiative gemäss Art. 64 Abs. 4 LV) das Recht zu, über sein allgemeines Initiativrecht gemäss dem erwähnten Art. 64 Abs. 1 LV bzw. Art. 112 Abs. 2 LV eine Verfassungsänderung über die Abschaffung der Erbmonarchie zu lancieren, die dann – und das ist der massgebliche Unterschied zu Art. 113 LV – freilich der Sanktion des Landesfürsten bedarf.Darüber hinaus bleibt es den in Art. 64 LV Berechtigten unbenommen, Verfassungsänderungen gestützt auf Art. 64 Abs. 1 LV bzw. Art. 112 Abs. 2 LV zu initiieren, welche eine – auch sehr weitreichende und einer materiellen Gesamtrevision der Verfassung entsprechende – Neuordnung der monarchischen Kompetenzen zum Gegenstand haben, wobei solche Änderungen dann jeweils der Sanktion durch den Landesfürsten unterliegen (Art. 65 Abs. 1 LV). Aus dem Gesagten folgt, dass dem Landtag durchaus Möglichkeiten gegeben sind, über sein Initiativrecht eine Neuregelung der dualistisch geprägten Staatsordnung anzustossen.B. Volksabstimmung über die Abschaffung der MonarchieKommt die Initiative auf Abschaffung der Monarchie gültig zu Stande, ordnet die Regierung innert 14 Tagen eine Volksabstimmung an, die innerhalb von drei Monaten durchzuführen ist (Art. 72 Abs. 1 VRG).[29] Die Fragestellung wird in sinngemässer Anwendung von Art. 83 Abs. 1 VRG zu lauten haben: «Wollt ihr den Antrag auf Abschaffung der Monarchie annehmen?» Gemäss Art. 15 Abs. 1 des Informationsgesetzes[30] informiert die Regierung im Vorfeld von Abstimmungen über die den Stimmberechtigten zu unterbreitende Vorlage. Sie nimmt aus ihrer Sicht Stellung zur Vorlage und kann Abstimmungsempfehlungen abgeben (Art. 15 Abs. 2 Informationsgesetz). In Ermangelung einer abweichenden Regelung wird davon auszugehen sein, dass die Regierung diesen Grundsätzen auch zu folgen hat, wenn es um eine Initiative auf Abschaffung der Monarchie geht. Die Regierung hat über die Vorlage zu informieren und Stellung dazu zu nehmen. Sie kann eine Abstimmungsempfehlung beschliessen, ohne dazu verpflichtet zu sein. In der in jedem Fall auszuarbeitenden Abstimmungsbroschüre ist Befürwortern und Gegnern der Vorlage angemessen Platz für eine Stellungnahme einzuräumen (Art. 15 Abs. 3 erster Satz Informationsgesetz).Wird die Initiative mit der Mehrheit der gültig Abstimmenden angenommen, wird das Verfahren gemäss Art. 113 Abs. 2 LV fortgesetzt. Wird sie abgelehnt, ist das Verfahren beendet.[31] Dies schliesst nicht aus, dass – nach Ablauf der Zweijahresfrist gemäss Art. 70 Abs. 3 VRG – eine neuerliche Initiative eingebracht wird, die, entsprechende Unterstützung vorausgesetzt, zu einem neuen Verfahren führt, mag dies politisch auf Grund des Resultats der vorangegangenen Abstimmung auch sehr unrealistisch sein.C. Ausarbeitung einer neuen Verfassung durch den LandtagWird die Monarchieabschaffungsinitiative angenommen, hat der Landtag eine neue Verfassung auf republikanischer Grundlage auszuarbeiten (Art 113 Abs. 1 zweiter Satz LV).[32]Im Verfassungsänderungsvorschlag des Fürsten vom 1. März 2001[33] war in Art. 112 zweiter Satz noch unspezifisch von der Annahme der Initiative gesprochen worden, was die Interpretation zuliess, dass der Landtag der eingereichten Volksinitiative hätte direkt zustimmen können und in Folge dieser «Annahme» durch das Parlament eine (weitere) Volksabstimmung unterblieben wäre.[34] Dies in analoger Anwendung von Art. 66 Abs. 6 LV, wonach über einen im Wege der Volksinitiative eingereichten Gesetzesentwurf nur dann eine Volksabstimmung stattzufinden hat, wenn der Landtag den Entwurf ablehnt. Diese Unklarheit ist dadurch beseitigt worden, dass die Verfassung nunmehr ausdrücklich die Voraussetzung der Annahme der Initiative «durch das Volk» statuiert (Art. 113 Abs. 1 zweiter Satz LV). Der Landtag ist somit nicht befugt, der eingereichten Initiative zuzustimmen und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung ohne vorgängige Volksabstimmung an die Hand zu nehmen. Ist die Initiative zu Stande gekommen, hat vielmehr zwingend eine Volksabstimmung stattzufinden.Hat das Volk der Initiative zugestimmt, kommt dem Landtag nach den Bestimmungen des Art. 113 Abs. 1 LV gleichsam die Funktion der verfassungsgebenden Versammlung[35] zu. Er hat einen Verfassungsvorschlag auf republikanischer Grundlage (siehe oben Kapitel II.B) auszuarbeiten. In welcher Form er das tut, ob er beispielsweise eine Art „Verfassungskonvent“ einberuft oder ob er, einen entsprechenden Beschluss vorausgesetzt, eine besondere Kommission mit der Ausarbeitung eines Vorschlags betraut, ist ihm überlassen.Der Verfassungsvorschlag ist dem Volk frühestens nach einem Jahr und spätestens nach zwei Jahren zu einer weiteren Abstimmung vorzulegen (Art. 113 Abs. 2 zweiter Satz 2 LV). Eine in der Zwischenzeit erfolgte Auflösung des Landtags mit Neuwahlen ändert an seiner Verpflichtung, einen solchen Verfassungsvorschlag auszuarbeiten, nichts. Das Verfahren nach Art. 113 LV wird jedenfalls nicht durch ein Ende der Legislaturperiode unterbrochen oder gar abgebrochen.Art. 113 Abs. 1 zweiter Satz LV verlangt die Ausarbeitung einer „neuen Verfassung“. Diese Formulierung indiziert, dass es somit nicht reicht, wenn der Landtag bloss einen Entwurf einer Änderung der bestehenden Verfassung erarbeitet. Den Bürgern soll nach dem Wortlaut bei der Abstimmung über den Verfassungsentwurf (Art. 113 Abs. 2 LV) ein vollständiges Dokument dieser neuen Verfassung und eben nicht nur ein Vorschlag mit punktuellen Änderungen die Monarchie betreffend vorliegen.Legt der Landtag keinen Verfassungsentwurf auf republikanischer Grundlage innerhalb der geforderten Zeit von zwei Jahren vor, handelt er verfassungswidrig, was jedoch keiner rechtlichen Sanktion unterliegt. Die bestehende Verfassung bleibt in Kraft. Es verbleibt den Stimmbürgern, bei den nächsten Landtagswahlen die Konsequenzen zu ziehen.D. Alternativvorschlag des LandesfürstenDem Landesfürsten steht das Recht zu, für diese zweite Volksabstimmung (und zwar nur für diese: „für die gleiche Volksabstimmung“) einen von ihm selbst vorgelegten alternativen Verfassungsvorschlag zur Abstimmung zu bringen. Dem Landesfürsten kommt somit das Gegenvorschlagsrecht zu.[36] Bedeutsam ist, dass über diesen Gegenvorschlag nicht bereits im Rahmen der ersten Abstimmung zu befinden ist, sondern erst, nachdem das Volk sich bereits grundsätzlich für eine Abschaffung der Monarchie ausgesprochen hat. Überhaupt erweist es sich als inkonsequent, wenn der Landesfürst im Verfahren zur Abschaffung der Monarchie das Recht erhält, selbst eine Verfassung vorzuschlagen.In der Formulierung des Gegenvorschlags ist der Landesfürst frei. Er kann – in Missachtung des Ergebnisses der ersten Volksabstimmung – einen monarchisch geprägten Verfassungsentwurf vorlegen. Er kann aber auch einen Vorschlag auf republikanischer Grundlage zur Abstimmung bringen. Dies würde dann allerdings die Frage aufwerfen, mit welcher politischen Legitimation der Landesfürst, nachdem das Volk die Abschaffung der Monarchie grundsätzlich beschlossen hat, in die Diskussion über die künftige Ausgestaltung der republikanischen Verfassung eingreifen würde.[37]Was für den Entwurf des Landtages gilt, ist auch im Fall des Verfassungsentwurfs des Landesfürsten anzuwenden: Art. 113 Abs. 1 dritter Satz LV verlangt das Vorlegen einer „neuen Verfassung“ und nicht nur eines Änderungsvorschlags. Die Bürger sollen genau wissen, über was sie abstimmen.E. Referendum über eine neue Verfassung1. Vorliegen nur eines VerfassungsentwurfesVerzichtet der Landesfürst auf die Unterbreitung eines Gegenvorschlages, kommt es zu einer Volksabstimmung über den vom Landtag ausgearbeiteten Verfassungsentwurf. Dieser ist angenommen, wenn die absolute Mehrheit der gültig Abstimmenden für diesen Entwurf stimmt (Art. 113 Abs. 2 erster Satz LV).[38] Die Fragestellung hat in sinngemässer Anwendung des Art. 83 Abs. 1 VRG zu lauten: „Wollt Ihr den Verfassungsentwurf des Landtags annehmen?“Die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses erfolgt nach Massgabe von Art. 84 VRG. Demnach muss das absolute Mehr erreicht werden. Bei Stimmengleichheit ist der Entwurf somit nicht angenommen.2. Vorliegen auch eines Alternativvorschlags des LandesfürstenHat der Landesfürst einen Gegenvorschlag unterbreitet, haben die Stimmberechtigten zwischen den beiden Entwürfen und der bestehenden Verfassung zu wählen (Art. 113 Abs. 2 zweiter Satz LV). Schwierigkeiten bereitet in diesem Fall die Reihung der Fragestellungen in sinngemässer Anwendung des Art. 83 Abs. 3 VRG: Sowohl der Wortlaut des Art. 113 Abs. 2 zweiter Satz LV als auch des Art. 83 Abs. 3 VRG, der auf die älteste Initiative abstellt, sprechen dafür, dass den Stimmberechtigten auf demselben Stimmzettel folgende Fragen vorgelegt werden: „Wollt Ihr die bestehende Verfassung beibehalten?“, "Wollt Ihr den Verfassungsentwurf des Landtags annehmen?" und "Wollt Ihr den Verfassungsentwurf des Landesfürsten annehmen?“.Es kommt in diesem Fall zu zwei Volksabstimmungen. In der ersten Abstimmung haben die Stimmberechtigten zwei Stimmen im Sinne einer Erst- und Zweitstimme (Art. 113 Abs. 2 dritter Satz LV). Vergibt ein Stimmberechtigter nur eine Stimme, so ist diese aber nicht ungültig. Jene Vorlage, die am wenigsten Stimmen auf sich vereinigen kann, scheidet aus.[39]Basiert der Gegenvorschlag des Landesfürsten auf monarchischer Grundlage (was freilich rechtlich nicht zwingend ist), stehen dem republikanischen Entwurf des Landtages zwei Vorlagen gegenüber, die auf die Beibehaltung der Monarchie gerichtet sind.[40]Problematisch wäre, wenn entweder alle drei oder zumindest zwei Entwürfe gleich viel Stimmen erzielen würden, was zwar äusserst unwahrscheinlich, aber theoretisch möglich wäre. Dieses Problem könnte wohl nur durch eine Wiederholung der Abstimmung gelöst werden, wobei das VRG diesbezüglich keine konkrete Rechtsgrundlage aufweist.3. StichreferendumÜber jene zwei Verfassungsvarianten, welche am meisten Erst- und Zweitstimmen auf sich vereinigen, findet eine zweite (und insgesamt dritte) Volksabstimmung statt. Diese ist genau 14 Tage nach der ersten Abstimmung durchzuführen. Dabei gilt jene Verfassung als angenommen, welche die absolute Mehrheit erhält (Art. 113 Abs. 2 Sätze 6 und 7). Die Fragestellung hat in wiederum sinngemässer Anwendung des Art. 83 Abs. 3 VRG die jeweils in Frage kommenden Alternativen zu formulieren.IV. KonsequenzenDas beschriebene Verfahren kann zu drei unterschiedlichen Ergebnissen führen: Beibehaltung der heutigen Verfassung, Annahme des Gegenvorschlags des Fürsten oder Einführung einer republikanischen Verfassung.A. Beibehaltung der bestehenden VerfassungDie heutige dualistische Verfassung bleibt bestehen, wenn das Volk die Volksinitiative über die Monarchieabschaffung ablehnt. Doch auch wenn das Volk dieser Initiative zugestimmt hat, kann das Ergebnis des Verfahrens gemäss Art. 113 LV die Beibehaltung der bestehenden Verfassung sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Landesfürst auf einen Gegenvorschlag verzichtet hat, aber die Vorlage des Landtages die absolute Stimmenmehrheit verfehlt. Gibt es einen Alternativvorschlag des Landesfürsten, bleibt es zudem dann bei der heutigen Verfassung, wenn diese in die Stichabstimmung gelangt (Art. 113 Abs. 2 fünfter Satz LV) und in dieser zumindest gleich viel Stimmen wie die andere zur Abstimmung gelangende Vorlage (Vorschlag des Landtages oder Gegenvorschlag des Landesfürsten) erreicht.B. Annahme des Alternativvorschlags des LandesfürstenDer Gegenvorschlag des Landesfürsten setzt sich dann durch, wenn er in die Stichabstimmung gelangt und in dieser mehr Stimmen als die andere zur Abstimmung gelangende Vorlage (Vorschlag des Landtages oder heutige Verfassung) erreicht. Wie erwähnt ist dabei offen, welche Art der Verfassung – republikanisch, monarchisch oder dualistisch im Sinne der bestehenden – der Landesfürst zur Abstimmung bringt.C. Annahme der republikanischen VerfassungDer auf republikanischen Grundsätzen basierende Verfassungsvorschlag des Landtags gilt als angenommen, wenn der Landesfürst keinen Gegenvorschlag unterbreitet und der Landtagsvorschlag in der Volksabstimmung angenommen wird. Hat der Landesfürst einen Gegenvorschlag vorgelegt, kommt es dann zur republikanischen Verfassung gemäss Landtagsvorschlag, wenn dieser in das Stichreferendum gelangt und dort mehr Stimmen als die andere zur Abstimmung gelangende Vorlage (heutige Verfassung oder Gegenvorschlag des Landesfürsten) erreicht.V. KritikEs ist offenkundig, was mit der vom Fürstenhaus durchgesetzten Verfassungsbestimmung über die Monarchieabschaffung erreicht werden soll: die demokratische Legitimation der liechtensteinischen monarchischen Staatsform.[41]In der Tat ist nicht von der Hand zu weisen, dass Art. 113 LV ein demokratisches Element in die Verfassung einfügt, wenn es um die Frage geht, ob die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner an der Monarchie festhalten wollen oder nicht.[42] Freilich ist kritisch zu bemerken, dass – wie oben beschrieben – die faktische Ausübung der formal eingeräumten direkt-demokratischen Rechte stark eingeschränkt ist. Entsprechend ist auch die demokratische Legitimation, welche der Monarchie aus Art. 113 LV erwächst, eine stark eingeschränkte. Dazu kommt, dass dieses Verfahren kompliziert und langwierig ist.Auch wenn der Landtag nach der hier vertretenen Auffassung weiterhin die Möglichkeit hat, ein Verfahren der Verfassungsrevision nach Art. 64 LV in Verbindung mit Art. 112 LV einzuleiten, findet eine gewisse Machtverlagerung vom Landtag zum Volk statt.[43] Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt problematisch, dass eine populistische Bewegung eine Veränderung der Staatsform herbeiführen kann, in deren Verlauf auch der Landtag kaum mehr beruhigend und ausgleichend wirken kann.[44]Andererseits wirkt das komplizierte Verfahren eher abschreckend und ist als eine ultima ratio konzipiert. So ist daher an dieser Stelle auf die schon anlässlich der Erlassung dieser Bestimmung geäusserten Bedenken zu verweisen: Die Initiative gemäss Art. 113 LV verleiht der Monarchie angesichts der sonstigen Einflussmöglichkeiten des Landesfürsten wenig zusätzliche demokratische Legitimation.[45] Sie räumt im Gegenzug dem Landesfürsten ein Recht ein, das ihm auf der Basis der Verfassung von 1921 nicht zugestanden hatte, nämlich die Vorlage eines eigenen Verfassungsentwurfs, welches das nun fehlende Sanktionsrecht partiell ausgleicht.[46] Es verwundert daher auch nicht, dass das Instrument in der Praxis bisher wenig Beachtung, und schon gar keine Anwendung gefunden hat.[47] |
Alle Gesetze, Verordnungen und statutarischen Bestimmungen, die mit einer ausdrücklichen Bestimmung der gegenwärtigen Verfassungsurkunde im Widerspruche stehen, sind hiermit aufgehoben beziehungsweise unwirksam; jene gesetzlichen Bestimmungen, die mit dem Geiste dieses Grundgesetzes nicht im Einklange sind, werden einer verfassungsmässigen Revision unterzogen.All laws, ordinances and statutory provisions that contradict any explicit provision of the present Constitutional deed shall hereby be repealed and rendered invalid; those legal provisions inconsistent with the spirit of this fundamental law shall be revised to conform with the Constitution. Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteA. Die Vorläufer in der Konstitutionellen Verfassung von 1862§ 120 KonV hatte gelautet: „Alle Gesetze, Verordnungen und Observanzen[1], welche mit dem Inhalte dieser Verfassungsurkunde im Widerspruche stehen, sind hiedurch aufgehoben.“ Er fand sich im neunten Hauptstück „Von der Gewähr der Verfassung“.[2] Ergänzt wurde § 120 KonV durch den präziser gefassten § 26 KonV: „§ 26 Abs. 1 Alle Gesetze und Verordnungen, welche mit einer ausdrücklichen Bestimmung der gegenwärtigen Verfassungsurkunde im Widerspruche stehen, sind hiemit aufgehoben. Abs. 2 Diejenigen gesetzlichen Bestimmungen, welche mit dem Geiste dieses Grundgesetzes, aber nicht im Einklange sind, werden einer verfassungsmässigen Revision unterzogen.“ § 26 Abs. 1 KonV war deutlich inspiriert von § 189 der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen. [3]In den konstitutionellen Verfassungen fand sich kein allgemein formulierter Vorrang der Verfassung vor den übrigen Erlassen. Das Prinzip lex superior derogat legi inferiori konnte nicht gelten, weil die Verfassungen nicht als höherrangig bezeichnet wurden. Vielmehr wurde davon ausgegangen, dass das geltende Recht, unabhängig von der Form, in die es gegossen worden war, weiterhin in Rechtskraft stand.[4] Carl von Kaltenborn führte hierzu im Jahr 1863 aus: „Auch ist festzuhalten, dass ein Rechtsgrundsatz einer Verfassungsurkunde, welcher gegenüber dem bisherigen geltenden Rechte ein neues Prinzip aufstellt, so lange nicht die entgegenstehenden Satzungen und Institute der bisherigen Praxis ausdrücklich aufgehoben sind oder doch unmittelbar und direct, also völlig unzweifelhaft mit ihm im stricten Widerspruche stehen, im Allgemeinen als ein blosser Rechtsanspruch, also ein Postulat, nach welchem das bestehende Recht kraft weiterer Spezialgesetze zu verändern, resp. aufzuheben ist, gelten muss, nicht schon als wirkliches Recht. Der Grund liegt einerseits darin, dass die Tragweite eines solchen neuen Rechtssatzes meist unbestimmt ist, was schon an sich gegen das Wesen des Rechts ist, und dass bei der daraus sich ergebenden Verschiedenheit richterlicher Erkenntnisse der bodenlosesten Rechtsverwirrung Thür und Thor geöffnet werden. Sodann ist es in der deutschen Gesetzgebung überall üblich gewesen, die alten Gesetze ausdrücklich für aufgehoben zu erklären, falls die neuen wirklich solche Kraft haben und nicht bloss zur Ergänzung und Erläuterung dienen sollten.“[5]Die liechtensteinische Konstitutionelle Verfassung von 1862 verzichtete auf eine Auflistung derjenigen Bestimmungen, die durch das Inkrafttreten der Verfassung hinfällig werden sollten respektive die weiterhin in Kraft stehen sollten. Stattdessen unterteilte sie in § 26 KonV die bestehenden Normen in solche, die in einem eklatanten Widerspruch zur Verfassung standen, und in solche, die bloss ihrem Geiste widersprachen. Nur die ersteren wurden als aufgehoben bezeichnet und konnten folglich keine Rechtswirkung mehr erzielen.[6] Die „gesetzlichen Bestimmungen, welche mit dem Geiste dieses Grundgesetzes, aber nicht im Einklange sind“ wies § 26 Abs. 2 KonV dem Gesetzgeber zur weiteren Behandlung zu. Er sollte sie aufheben oder ändern. Bis der Gesetzgeber die Unterscheidung vorgenommen und die betreffenden Bestimmungen der vorgesehenen „Behandlung“ zugeführt hatte, standen sie weiterhin in Rechtskraft.[7] Die Richter waren nicht dazu befugt, Gesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit zu prüfen, geschweige denn, gegen die Verfassung verstossende Gesetze aufzuheben. Herbert Wille gelangte ebenfalls zum Schluss, dass die KonV keinen Vorrang der Verfassung vor den einfachgesetzlichen Vorschriften kannte.[8] Er begründete dies vor allem mit den fehlenden Überprüfungsinstanzen. Werner Heun stellte demgegenüber für die allgemein gehaltene Aussage, dass es bis zum Ende des Jahrhunderts der konstitutionellen Verfassungen nicht zu einer Anerkennung des Vorrangs der Verfassungen gekommen sei, darauf ab, dass es grundsätzlich an einem „herausgehobenen Verfassungsgebungsprozess und einem besonderen Verfassungsänderungsverfahren“ gefehlt habe.[9] Gemäss Herbert Wille trat der Verfassungsgeber in Liechtenstein erst 1921 (mit der Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit) für den Vorrang der Verfassung vor dem einfachen Gesetz ein.[10] Cyrus Beck betonte für die KonV den Grundsatz lex posterior derogat legi priori, ging jedoch in seinen kurzen Ausführungen über die Weitergeltung der vorkonstitutionellen Erlasse nicht explizit auf den Stufenbau der Rechtsordnung ein.[11] Er führte an anderer Stelle aus, dass der Verfassung „materiell“ „keine höhere Autorität als den Gesetzen zukam“.[12]Dass bis 1921 dem Gesetzgeber (und nicht den Gerichten) die Aufgabe zukam, die Gesetze in Einklang mit der Verfassung zu bringen, zeigte auch § 122 KonV.[13] Zuerst sollten sich Fürst und Landtag über unklare Verfassungsartikel und ihre Wirkungen einig werden. Nur wenn dies nicht gelang, sollten sie das Bundesschiedsgericht anrufen. Die liechtensteinischen Gerichte waren nicht dazu befugt, die entsprechenden Fragen mittels Auslegung zu beantworten.[14]B. Die Formulierung in Art. 113 LV in der Version von 1921Für die Formulierung von Art. 113 LV (dem heutigen Art. 114 LV) lagen verschiedene Vorschläge vor. Willhelm Beck wollte in seinem Entwurf alle Erlasse, die „mit einer Bestimmung dieser Verfassung ausdrücklich oder ihrem Sinne nach im Widerspruche stehen“ für aufgehoben erklären.[15] Wie aus dem Wortlaut hervorgeht, unterschied er dabei nicht, ob der Widerspruch zur Verfassung offensichtlich war oder sich erst nach einer umfassenden Auslegung zeigte. Demgegenüber machte § 86 Verfassungsentwurf Prinz Karl – wieder näher an der Formulierung der KonV – einen Unterschied zwischen Gesetzen und Verordnungen „welche mit einer ausdrücklichen Bestimmung der gegenwärtigen Verfassungsurkunde im Widerspruche stehen“ und denjenigen, „welche mit dem Geiste dieses Grundgesetzes“ „nicht im Einklange sind“. Während erstere[16] für „hiermit aufgehoben“ erklärt wurden, sollten letztere durch den Gesetzgeber „einer verfassungsmässigen Revision unterzogen“ werden. [17]Dass die Formulierung „Bestimmungen, die mit dem Geiste dieses Grundgesetzes nicht im Einklange sind“ von der Formulierung in § 26 Abs. 2 KonV („Bestimmungen, welche mit dem Geiste dieses Grundgesetzes, aber nicht im Einklange sind“) übernommen wurde, spricht dagegen, dass der Verfassungsgeber damit ausdrücken wollte, dass es einen Geist der Verfassung gibt, der über „der“ Verfassung steht. Eher kann vermutet werden, dass „Geist des Grundgesetzes“ das meint, was Wilhelm Beck in seinem Vorschlag als „Sinn“ der Verfassung bezeichnete. „Geist“ und „Sinn“ der Verfassung wären damit das Gegenstück zum Wortlaut der Verfassung. Damit ist gesagt, dass nicht nur eine Norm gegen die Verfassung verstossen kann, die so offensichtlich im Widerspruch zu einer Verfassungsbestimmung steht, dass sich dies bereits aus dem Wortlaut der Verfassungsnorm ergibt. Wie ein Vergleich mit dem Text des heutigen Art. 114 LV zeigt, ging der Verfassungsgeber von § 86 Verfassungsentwurf Prinz Karl aus.[18] Die Verfassungskommission ergänzte in der ersten Satzhälfte bei der Umschreibung der Rechtsfolgen des Widerspruchs zur Verfassung das Partizip „aufgehoben“ durch die Erläuterung „beziehungsweise unwirksam“.[19] Abs. 2 von § 86 Verfassungsentwurf Prinz Karl wurde praktisch unverändert zur zweiten Satzhälfte von Art. 114 LV. Die ebenfalls von der Verfassungskommission vorgenommene Ergänzung „Gesetz, Verordnungen und statutarische Bestimmungen“ wurde wie folgt erklärt: „Die Einschaltung der «statutarischen Bestimmungen» erfolgte deshalb, weil verschiedene, die innere Einrichtung halb öffentlicher Korporationen, wie Alpgenossenschaften u.s.w., regelnde Statuten derzeit noch Bestimmungen enthalten, die mit dem Geiste der neuen Verfassung nicht wohl vereinbarlich erscheinen.“[20]C. Verfassungsrevision von 2003Art. 113 LV der Version vom 5. Oktober 1921 wurde anlässlich der Revision von 2003[21] textlich unverändert zu Art. 114 LV. Der vorherige Art. 114 blieb als Art. 115 LV fortbestehen. Gestrichen wurde im Jahr 2003 nur sein dritter Absatz über den Ablauf der Amtsdauer des Landtages Ende des Jahres 1921.[22] Hierzu fand sich eine kurze Bemerkung in BuA Nr. 87/2001: „Absatz 3 stellte nur eine Übergangsbestimmung aus dem Jahre 1921 dar, welche nicht mehr notwendig ist.“[23] Zu Art. 113 und Art. 114 erfolgten keine Äusserungen. Ob es sich bei ihnen auch um Übergangsbestimmungen mit zeitlich begrenzter Wirkung handelte oder welche Bedeutung ihnen heute zukommen soll, lässt sich den Materialien zur Verfassungsrevision nicht entnehmen. Angesichts des Schweigens der Materialien muss offenbleiben, ob 2003 überhaupt eine Diskussion über die beiden Bestimmungen erfolgte. Mit der Verfassungsrevision von 2003 wurde die Überschrift „XII. Hauptstück: Schlussbestimmungen“ eingeführt. In der Verfassung vom 5. Oktober 1921 fanden sich sowohl die beiden Bestimmungen über die Verfassungsgewähr als auch die beiden jetzt im XII. Hauptstück untergebrachten Bestimmungen im IX. Hauptstück mit der Überschrift „Verfassungsgewähr und Schlussbestimmungen“.[24] Das Verschieben der beiden allerletzten Bestimmungen der Verfassung in ein eigenes Hauptstück mit dem Titel „Schlussbestimmungen“ könnte als Hinweis interpretiert werden, dass der Verfassungsgeber im Jahr 2003 die unbefristete (über die Umsetzung der Totalrevision vom Jahr 1921 hinaus gehende) Wirkung von Art. 113 und 114 LV (die neu zu Art. 114 und 115 LV wurden) betonen wollte. Gleichzeitig akzentuierte er mit der gesonderten Behandlung der beiden Bestimmungen ihre Verhaftung in der Verfassungsgebung vom Jahr 1921. Dazu kommt, dass sich Regelungen für die Übergangszeit nach dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes üblicherweise in einem „Schlussbestimmungen“ genannten Kapitel befinden, womit klargemacht wird, dass ihre Hauptaufgabe in der Klärung des Verhältnisses zum alten, vor der Revision erlassenen Recht besteht.II. Bedeutung von Art. 114 LVWie in Kapitel I.A gezeigt, weist Art. 114 LV eine enge Verwandtschaft zu § 26 KonV und § 120 KonV auf. Beim Inkrafttreten der Konstitutionellen Verfassung von 1862 waren diese beiden Bestimmungen über das Verhältnis der Verfassung zu den älteren gesetzlichen Bestimmungen notwendig, weil die Verfassung nicht über den Gesetzen stand. Ob dem damaligen Art. 113 1921 eine Bedeutung zukam und welche Wirkungen Art. 114 LV heute entfaltet, gilt es nun zu klären.A. Notwendige Regelung für die Zeit unmittelbar nach Inkrafttreten der neuen Verfassung1. Nichtigkeit von Normen1921 war es sinnvoll, den Umgang mit der bei der Totalrevision der Verfassung angetroffenen Rechtsmasse zu regeln, strebte doch die Verfassung von 1921 eben gerade keinen Bruch an. Bereits bestehende Erlasse konnten im Widerspruch zu dieser stehen. Die Verfassung von 1921 schuf zwar die Grundlagen für die Errichtung des StGH und damit für die Überprüfung von Erlassen auf ihre Verfassungsmässigkeit. Bis der StGH aber tatsächlich seine Arbeit aufnehmen konnte und die ersten Beschwerdeführer die Aufhebung von verfassungswidrigen Normen erstreiten konnten, musste es notwendigerweise mehrere Monate, wenn nicht Jahre dauern. Mit der neuen Verfassung im Widerspruch stehende Erlasse für unwirksam zu erklären, sorgte in dieser Übergangsphase grundsätzlich für Rechtssicherheit. Problematisch war jedoch, dass die verfassungswidrigen Erlasse als „aufgehoben beziehungsweise unwirksam“ bezeichnet wurden. Zwar hat der Verfassungsgeber das Recht zu erklären, dass Erlasse (auch solche von Privaten wie der von der Verfassungskommission angesprochenen Alpgenossenschaften), die gegen die Verfassung verstossen, ab dem Inkrafttreten der Verfassung keine Rechtswirkung mehr entfalten und damit nichtig sind. Schwierig war es jedoch zu ermitteln, für welche Erlasse dies galt.[25] Die Rechtsunterworfenen konnten sich deshalb kaum ohne Anrufung eines Gerichts oder Nachfrage bei der Regierung oder Verwaltung auf die Nichtigkeit einer ihnen zweifelhaft erscheinenden Norm verlassen.[26]Vor allem wenn es sich um Bewilligungen für andauernde Tätigkeiten, um Subventionen, die über einen längeren Zeitraum auszuschütten waren, oder um Statuten von fortbestehenden Vereinigungen handelte, genügte es nicht, die Nichtigkeit der betreffenden Normen festzustellen. Vielmehr brauchten die Betroffenen in diesen auf Dauer angelegten Konstellationen eine verfassungskonforme Lösung für die Zukunft.2. Verpflichtung des GesetzgebersDass der Gesetzgeber ein Auge auf das bereits erlassene Recht hat und spätestens bei Neuregelungen die Normen des betreffenden Themenbereichs auf Verfassungsmässigkeit überprüft, sollte mit Blick auf den Stufenbau der Rechtsordnung[27] und der Einheit der Rechtsordnung[28] eine Selbstverständlichkeit darstellen. Verpflichtet doch die Verfassung jedermann inklusive Gesetzgeber zum Respekt vor der Verfassung.[29] Es hätte deshalb keiner ausdrücklichen Regelung bedurft. Offenbar war es dem Verfassungsgeber aber ein Anliegen, den Gesetzgeber explizit in die Pflicht zu nehmen. Sonst hätte er auch nicht in Art. 114 Abs. 2 (heute: Art. 115 Abs. 2 LV) für die neu zu erlassenden Gesetze entsprechend nachgehakt. Befremdend ist hingegen, dass sich die in der zweiten Satzhälfte von Art. 114 LV enthaltene Pflicht des Gesetzgebers nur auf die „mit dem Geiste dieses Grundgesetzes nicht im Einklang“ stehenden Erlasse bezieht. Also auf diejenigen Normen, die nicht im Sinne der ersten Satzhälfte nichtig sind, sondern bis zu ihrer Aufhebung Gesetzeskraft haben. Einer Lösung hätte es doch eher für die wegen ihres deutlichen Widerspruchs zur neuen Verfassung in der ersten Satzhälfte für unwirksam erklärten Erlasse bedurft, die auf Dauer angelegte Konstellationen regelten.[30] Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Gesetzgeber auch ohne die Aufforderung in Art. 114 LV die Befugnis hat, jederzeit eine Gesetzesrevision in Angriff zu nehmen.B. Keine Bedeutung mehr der ersten SatzhälfteAnlässlich der Verfassungsrevision von 2003 bestand eine gute Gelegenheit, den damaligen Art. 113 aufzuheben. Es erfolgte jedoch kein entsprechender Schritt, sondern Art. 113 wurde unverändert zu Art. 114 LV. Gleichwohl kann Art. 114 erste Satzhälfte LV mit Blick auf den in Art. 104 LV vorgegebenen Weg für die Prüfung von Gesetzen und Staatsverträgen auf ihre Verfassungsmässigkeit und für die Kassation von Regierungsverordnungen, die nicht gesetzmässig sind, seit der Arbeitsaufnahme durch den StGH nicht mehr zur Anwendung gelangen. Wie mit Bestimmungen eines Gesetzes, einer Verordnung oder eines Staatsvertrages zu verfahren ist, die einer bereits bestehenden oder einer neu in Kraft tretenden Verfassungsbestimmung widersprechen, regelt nicht Art. 114 LV, sondern ergibt sich aus der in Art. 104 f. LV verankerten Verfassungsgerichtsbarkeit. Liechtenstein kennt eine auf den StGH konzentrierte (und nicht eine diffuse) Verfassungsgerichtsbarkeit. Umso mehr ist es zwingend, dass über die Verfassungsmässigkeit von Normen ein Entscheid des StGH ergeht und er die betreffenden Normen ausdrücklich aufhebt[31]. Für den StGH spielt es dabei keine Rolle, für wie gravierend er den Widerspruch zur Verfassung einschätzt. Eine simple Verfassungsverletzung genügt.[32] Die von Art. 114 LV vorgenommene Unterscheidung in Widerspruch zu einer „ausdrücklichen [Verfassungs-]Bestimmung“ und zum „Geiste dieses Grundgesetzes“ kommt hierbei keinerlei Bedeutung zu.C. Bloss noch deklaratorische Bedeutung der zweiten SatzhälfteDie zweite Satzhälfte von Art. 114 LV, die den Gesetzgeber in die Pflicht nimmt, die notwendigen Revisionen vorzunehmen, ruft – wie bereits in Kapitel A.2 ausgeführt – bereits bestehende Pflichten in Erinnerung. Sie kann als Ermahnung an den Gesetzgeber weiterhin in der Verfassung stehen bleiben, auch wenn ihr keine normative Kraft mehr zukommt. Der Gesetzgeber hat gemäss Art. 64 LV jederzeit das Recht, Gesetze zu ändern. Selbst dann, wenn sie nicht in einem Konflikt zur Verfassung stehen. Das war 1921 so und ist heute so. Dazu braucht es keiner zusätzlichen Ermächtigung in den Schlussbestimmungen. Wenn eine Verfassungsänderung erfolgt, ergibt sich die Pflicht zur Prüfung, welche Änderungen die Verfassungsrevision auf Stufe Gesetz nach sich ziehen muss, aus dem Prinzip des Stufenbaus der Rechtsordnung.[33] Dieselbe Pflicht zur näheren Prüfung gilt für den Fall, dass der Gesetzgeber aus einem anderen Grund (z.B. anlässlich der Behandlung eines parlamentarischen Einganges im Landtag) an der Verfassungsmässigkeit von bestehenden Normen zweifelt.[34]D. WürdigungDie hier vorgenommene Auslegung begreift Art. 114 erste Satzhälfte LV als intertemporales Recht. Also als Antwort auf die Frage der Weitergeltung des alten Gesetzesrechts unter der 1921 neu erlassenen Verfassung. Art. 114 erste Satzhälfte LV und auch die zweite Satzhälfte verankern demnach nicht den Stufenbau der Rechtsordnung in der Verfassung. Dies zeigt sich auch darin, dass das Völkerrecht in Art. 114 LV überhaupt nicht erwähnt wird. Ginge es Art. 114 LV darum, die Verfassung in der Hierarchie der Rechtsnormen zu verorten, müssten – mindestens seit der Revision von 2003, deren Anliegen es unter anderem war, die Staatsverträge besser in der Verfassung einzubinden[35] – zwingend auch die Staatsverträge genannt werden. Es fällt überdies auf, dass die Konstitutionelle Verfassung von 1862 im Jahr 1921 in der neuen Verfassungsurkunde nicht ausdrücklich ausser Kraft gesetzt wurde. Dass sie mit dem Inkrafttreten der Verfassung vom 5. Oktober 1921 keinerlei Wirkungen mehr entfalten konnte, war jedoch jedermann klar. Ebenso fehlt es an einer Regelung zum Verhältnis zwischen neu erlassenen und älteren Verfassungsbestimmungen. Mangels einer expliziten Regelung in der Verfassung beantwortet sich diese Frage gestützt auf die allgemeinen Auslegungsregeln.[36] Das heisst, es ist insbesondere der Grundsatz lex posterior derogat legi priori zu beachten. |
1) Mit der Durchführung dieser Verfassung ist Meine Regierung betraut.Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteDie heute in Art. 115 Abs. 1 LV anzutreffende Formulierung „Mit der Durchführung dieser Verfassung ist Meine Regierung betraut.“ stammt aus der Regierungsvorlage von Josef Peer.[1] Im Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck war dieser Satz noch nicht enthalten. Art. 86 Abs. 3 Verfassungsentwurf Beck hatte lediglich gelautet: „Die in der Verfassung vorgesehenen Gesetze sind mit tunlichster Beförderung von der Regierung zu entwerfen und verfassungsmässig zu behandeln und zu erlassen.“[2] Dieser Vorschlag wurde sprachlich leicht abgeändert 1921 zu Art. 114 Abs. 2 und bei der Verfassungsrevision von 2003[3] zum heutigen Art. 115 Abs. 2 LV.Ergänzt wurde Art. 114 von 1921 bis zur Verfassungsrevision von 2003 durch einen dritten Absatz mit der Formulierung: „Der gegenwärtige Landtag bleibt bis Ende dieses Jahres im Amt.“ Nach diesem Datum sollte ein nach den Vorgaben der totalrevidierten Verfassung gewählter Landtag die in der Verfassung vorgesehenen Aufgaben übernehmen. Zu diesen gehörte unter anderem, die notwendigen Gesetze zu verabschieden, so wie es der damalige Art. 114 Abs. 2 (und heutige Art. 115 Abs. 2 LV) explizit verlangte. Der erst 1921 vom Regierungschef im Landtag eingebrachte Art. 114 Abs. 3 LV[4] wurde anlässlich der Revision von 2003 gestrichen. Begründet wurde diese Streichung in BuA Nr. 87/2001, S. 42, wie folgt: „Absatz 3 stellte nur eine Übergangsbestimmung aus dem Jahre 1921 dar, welche nicht mehr notwendig ist.“[5] Nachdem sich der Landtag im Jahr 1922 gemäss den Vorgaben der Verfassung konstituiert hatte, verlor Art. 114 Abs. 3 seine Bedeutung. Es war deshalb folgerichtig, dass er 2003 aufgehoben wurde.Zur Bedeutung von Art. 114 Abs. 1 und 2, die in der Verfassungsrevision von 2003 zu Art. 115 Abs. 1 und 2 LV wurden, erfolgten überhaupt keine Aussagen. Art. 115 Abs. 1 und 2 LV (und damit die ursprünglichen Art. 114 Abs. 1 und 2) stehen seit dem Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 1921 unverändert in Kraft. Ob ihnen heute noch eine Bedeutung zukommt, soll im Folgenden beantwortet werden.[6]Bereits 1862 war der Erlass der konstitutionellen Verfassung einher gegangen mit der Bestellung des Parlaments, gab es doch zuvor keinen Landtag im Sinne der KonV. Am gleichen Tag wie die KonV wurde die Fürstliche Verordnung betreffend Ausschreibung der Landtagswahlen und Einberufung des Landtags[7] erlassen. Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 enthielt hingegen keine den Regelungen von Art. 115 Abs. 1 und 2 LV entsprechenden Bestimmungen.II. „Meine Regierung“ respektive „Die Regierung“Es war 1921 in Art. 114 Abs. 1 und ist heute in Art. 115 Abs. 1 LV das einzige Mal in der Verfassung, dass von „Meiner Regierung“ die Rede ist. Possessivpronomen (insbesondere „Mein Fürstentum“ und „Mein Land“) finden sich ansonsten nur in dem der Verfassung angehefteten Schreiben von Fürst Johann II. an Josef Ospelt, in dem der Fürst der Verfassung seine Sanktion erteilte, und im Schreiben an Prinz Karl, in dem Fürst Johann II. diesen zur Unterzeichnung der Verfassungsurkunde aufforderte.Durch das stilistische Mittel der Bezeichnung der Regierung als „Meine Regierung“ wurde 1921 ein unmittelbarer Bezug des damaligen Art. 114 (und heutigen Art. 115 LV) zu den beigefügten beiden Schreiben hergestellt. Auch wenn diese der aktuell gültigen Version der Verfassung in der elektronischen Publikation immer noch beigefügt werden, sind sie doch ohne rechtliche Bedeutung. Schliesslich steht unzweifelhaft fest, dass die Verfassung unterzeichnet wurde und in Kraft getreten ist. Immerhin machte die Formulierung „Meine Regierung“ klar, dass damit nicht der Landesfürst gemeint war, sondern die Kollegialregierung im Sinne von Art. 78 LV.Verfassungsrechtlich ist die Bezeichnung „Meine Regierung“ nicht richtig, sind doch die Mitglieder der Kollegialregierung nicht nur dem Landesfürsten verantwortlich, sondern gleichermassen auch dem Landtag. Art. 78 LV formulierte dies so in der Version von 1921. Art. 78 Abs. 1 LV hält die Formulierung „dem Landesfürsten und dem Landtag verantwortliche Kollegialregierung“ heute noch fest. Jedes einzelne Regierungsmitglied braucht nicht nur für die Ernennung, sondern während seiner gesamten Amtszeit die Unterstützung des Landesfürsten und von Seiten des Landtages[8].III. „Durchführung dieser Verfassung“Die Formulierung „Mit der Durchführung ist betraut“ scheint von Art. 152 B-VG inspiriert. Dieser allerletzte Artikel des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 lautete nämlich: „Mit dem Vollzuge dieses Gesetzes ist die Staatsregierung betraut.“[9] Der Begriff „Durchführung“ fand sich weder in der KonV noch ist er in der schweizerischen Rechtssprache heimisch. Er scheint deshalb dem österreichischen Recht entlehnt zu sein. So spricht nämlich Art. 11 Abs. 3 B-VG von „Durchführungsverordnungen“ zu Gesetzen und Art. 16 B-VG von der „Durchführung von Staatsverträgen“. In diesem letzteren Verfassungsartikel wird klargestellt, dass damit „Massnahmen“ wie die „Erlassung der notwendigen Gesetze“ gemeint sind. In diesem Sinne ist auch Art. 115 Abs. 1 LV zu verstehen.Art. 115 Abs. 1 LV verpflichtet somit die Regierung zum Vollzug der Verfassung. Die Regierung soll alle Massnahmen treffen, damit die Vorgaben der Verfassung von allen Organen umgesetzt werden und der Verfassungstext seine volle Wirkung entfalten kann. Wie ein Blick in die Schlossabmachungen zeigt, hatte sich Fürst Johann II. auch dazu bereit erklärt, die Regierung mit weiteren Aufträgen zu versehen. So insbesondere mit der „Regelung der zoll- und handelspolitischen Beziehungen zu einem Nachbarstaate“.[10] Hierzu bedurfte es mehr als des blossen Erlasses eines Gesetzes. Dem trägt Art. 115 Abs. 1 LV mit seiner weit gefassten Formulierung Rechnung, die nicht nur auf die Initiierung der Gesetzgebung beschränkt ist.IV. Gesetze „mit tunlichster Beförderung“ zu entwerfenFür das Zustandekommen von Gesetzen bedurfte und bedarf es des Zusammenwirkens von Landtag, Volk und Fürst. Der Regierung kam und kommt lediglich die Funktion zu, Gesetzesvorschläge einzubringen (siehe Art. 64 Abs. 1 LV). Dem trug Art. 114 Abs. 2 LV in der Version von 1921 Rechnung, indem er der Regierung nur die Aufgabe zuwies, die durch den Erlass der neuen Verfassung notwendig gewordenen Gesetze rasch zu entwerfen und dann dem Landtag zur Behandlung vorzulegen. Die Verfassung machte demgegenüber dem Landtag keine Vorgaben.Art. 115 Abs. 2 LV darf nicht so verstanden werden, dass nur die Regierung dazu befugt ist, Gesetze zu initiieren, welche die Vorgaben der Verfassung umsetzen. Art. 64 Abs. 1 lit. b LV erklärt seit 1921 in bis heute unveränderter Formulierung auch den Landtag zur Einbringung von Gesetzesvorschlägen zuständig.[11] Sind Abgeordnete der Ansicht, dass einer neuen oder auch einer schon länger bestehenden Verfassungsbestimmung nur Genüge getan wird, wenn ein neues Gesetz erlassen oder ein bestehendes geändert wird, so können sie mittels eines parlamentarischen Einganges das Gesetzgebungsverfahren in Gang setzen. Dasselbe gilt gemäss Art. 64 Abs. 2 LV für 1000 Stimmberechtigte oder 3 Gemeinden.Angesichts der beschränkten Ressourcen des Landtages (erst mit der Revision durch LGBl. 1988 Nr. 11 wurde die Anzahl der Abgeordneten von 15 auf 25 erhöht) war es im Jahr 1921 sinnvoll, ausdrücklich die Regierung damit zu betrauen, den bestehenden Rechtsbestand durchzusehen und die notwendigen Anträge zu entwerfen. Die von Wilhelm Beck formulierte Wendung „mit tunlichster Beförderung“ versteht sich vor dem politischen Hintergrund der Jahre 1920 und 1921. Die von Beck und der Christlich-sozialen Volkspartei gestellten Forderungen nach Änderungen in den politischen Institutionen sollten nicht auf die lange Bank geschoben werden. Gleichwohl konnte Art. 114 Abs. 2 LV in der Version von 1921 nicht verhindern, dass sich der Erlass einzelner Gesetze lange hinzog.[12]Mit der Erwähnung der „verfassungsmässigen Behandlung“ der Gesetze wurde klargestellt, dass die notwendigen Erlasse nicht über den Kopf von Landtag, Volk und Landesfürst hinweg erlassen werden durften, sondern dass die Regierung nur (aber immerhin) von ihrem Initiativrecht Gebrauch machen sollte.V. BedeutungArt. 115 LV stellte 1921 (damals noch als Art. 114) eine Ergänzung zu Art. 114 LV (damals Art. 113) dar. In Art. 114 Abs. 2 LV geht es um das Verhältnis der Verfassung zu dem von ihr 1921 angetroffenen Rechtsbestand. Demgegenüber betrifft Art. 115 LV Lücken im bestehenden Recht, die dadurch entstanden, dass die neue Verfassung von 1921 verschiedene Staatsaufgaben aufzählte und die Verabschiedung verschiedener Gesetze verlangte.[13]Indem beide Absätze von Art. 115 LV der Regierung den Auftrag erteilen, für die Umsetzung der Vorgaben der Verfassung zu sorgen, handelt es sich eigentlich um eine unnötige Wiederholung. Historisch betrachtet war es jedoch sinnvoll, zwischen dem allgemeinen Auftrag an die Regierung und ihrem spezifischen Auftrag im Bereich der Gesetzgebung, dem in der ersten Zeit der Geltung der totalrevidierten Verfassung eine besondere Bedeutung zukam, zu unterscheiden.Heute hat Art. 115 LV keine Bedeutung mehr, weisen doch die einschlägigen Verfassungsbestimmungen in den Hauptstücken über den Landtag (siehe v.a. Art. 62 ff. LV) und über die Regierung (siehe v.a. Art. 92 f. LV) diesen alle Aufgaben und die nötigen Kompetenzen zu. Dazu gehört selbstverständlich, dass die Vorgaben der Verfassung umgesetzt werden und beim Erlass neuer Verfassungsbestimmungen geprüft wird, welche Gesetzesänderungen und sonstigen Anpassungen sie erfordern.[14] Bleibt der Gesetzgeber (trotz der Verpflichtung zum „tunlichsten“ Handeln) untätig oder tragen seine Regelungen den Interessen einzelner Personengruppen zu wenig differenziert Rechnung, so werden sich diese nicht auf Art. 115 LV stützen, sondern auf die thematisch einschlägigen Verfassungsbestimmungen und/oder den Gleichheitsgrundsatz.[15] |
1) Dem Landesfürsten steht das Recht der Begnadigung, der Milderung und Umwandlung rechtskräftig zuerkannter Strafen und der Niederschlagung eingeleiteter Untersuchungen zu.2) Only upon the request of Parliament shall the Reigning Prince exercise his right of pardon or mitigation in favour of a Minister sentenced on account of his official acts.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteArt. 12 LV, der sich auf das sogenannte Gnadenrecht des Staatsoberhauptes[1] bezieht, ist seit 1921 unverändert. Die Bestimmung bot im Rahmen der Erarbeitung der neuen Verfassung offenbar auch keinen Anlass zu besonderer Diskussion: Sie war bereits in der Regierungsvorlage Peer in unveränderter Form enthalten. In den Schlossabmachungen war die Frage des Gnadenrechtes des Staatsoberhauptes nicht thematisiert worden, wurde also offenbar als selbstverständlich mit der Funktion des (monarchischen) Staatsoberhauptes verknüpft gesehen. Im rechtshistorischen Vergleich ist das Gnadenrecht lange als Ausfluss monarchischer Prärogative betrachtet worden. Trotz teilweise heftiger Kritik der Lehre wurde es in die ersten konstitutionellen Verfassungen übernommen,[2] wie im Übrigen auch der fortschrittliche Verfassungsentwurf des Verfassungsrates 1848 in seinem § 36 das Begnadigungs- und Strafmilderungsrecht des Fürsten ausdrücklich erwähnte. Mit Blick auf Österreich ist erwähnenswert, dass § 52 des liberalen Kremsierer Entwurfs in gleicher Weise wie zuvor die Pillersdorfsche Verfassung 1848 (Art. 13) und später die Märzverfassung 1849 (§ 21) ein Recht des Kaisers vorsah, die Strafen, die von den Richtern ausgesprochen wurden, zu erlassen oder zu mildern.[3] Art. 13 des Staatsgrundgesetzes über die richterliche Gewalt vom 21. Dezember 1867 erkannte dem Kaiser schliesslich das Recht zu, die Strafen, welche von den Gerichten ausgesprochen wurden, zu erlassen oder zu mildern sowie die Rechtsfolgen von Verurteilungen nachzusehen, dies allerdings unter dem Vorbehalt der im Gesetze über die Verantwortlichkeit der Minister enthaltenen Beschränkungen.[4]Trotz seines monarchischen Ursprungs wurde das Gnadenrecht in Liechtenstein demgegenüber in der Konstitutionellen Verfassung 1862 gar nicht erwähnt.[5] Dies bedeutet allerdings nicht, dass es kein Gnadenrecht des Landesfürsten gegeben hätte: Das Gnadenrecht wurde von der Verfassung offenbar vorausgesetzt.[6] Immerhin findet sich das Gnadenrecht in der „Amts-Instruktion für die Staatsbehörden des souveränen Fürstenthums Liechtenstein“ vom 26. September 1862 in § 93 Z. 6 erwähnt:[7] Demnach zählten die Gnadensachen und Strafnachlässe zu jenen Angelegenheiten, die der landesherrlichen Verfügung unterstanden und „von der Regierung mittelst Bericht durch die fürstliche Hofkanzlei in Wien an den Landesfürsten zu leiten“ waren. Auf der gesetzlichen Ebene wurde das Gnadenrecht zunächst nur vereinzelt erwähnt: Die Strafprozessnovelle vom 24. August 1881[8] sah in ihren §§ 12 Abs. 2 und 18 Abs. 4 Bestimmungen über die Ausübung des Gnadenrechtes durch den Landesfürsten im Falle von Verurteilungen zum Tode des Angeklagten vor. Die mit 31. Dezember 1913 eingeführte liechtensteinische Strafprozessordnung orientierte sich in ihrem § 2 hinsichtlich des Rechts zur Niederschlagung von Strafverfahren (sog. Abolitionsrecht) an der österreichischen Regelung des Jahres 1873 und benannte den Landesfürsten als Träger dieses Rechtes.[9] In § 236 wurden detaillierte Regelungen betreffend die Milderung oder Nachsicht einer verwirkten Strafe durch den Landesfürsten erlassen, die im Wesentlichen auch Inhalt der geltenden Strafprozessordnung sind (§ 256).[10]Das Gnadenrecht war wohl auch nicht auf die Strafgerichtsbarkeit beschränkt. Art. 145 Abs. 4 LVG sieht nämlich vor, dass durch die Bestimmungen des Art. 145 Abs. 1 bis 3 LVG über die Strafnachsicht, Strafniederschlagung und den gnadenweisen Nachlass das dem Landesfürsten zustehende Recht auf Begnadigung nicht berührt wird. Es ist anzunehmen, dass diese im Jahre 1922 zeitnah zur Verfassung von 1921 entstandene Regelung entweder eine bestehende Praxis aus der Zeit der konstitutionellen Monarchie beibehalten wollte oder Art. 12 Abs. 1 LV in dem Sinne interpretierte, dass er auch Verwaltungsstrafen umfasste. So gesehen war die explizite verfassungsrechtliche Verankerung (und damit auch Limitierung) des Gnadenrechtes des Landesfürsten ein Fortschritt, was dadurch unterstrichen wird, dass im Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck das Gnadenrecht wie folgt umschrieben war: Der Vorschlag Becks orientiert sich in Abs. 1 offenkundig am Entwurf des Verfassungsrates 1848, in Abs. 3 an den während der Monarchie in Österreich geltenden Regelungen.[11] Damit wurden also Regelungen, die in konstitutionellen Verfassungen typischer Weise verankert waren, in die neue liechtensteinische Verfassung übernommen, obwohl es gerade hier keine Vorläuferregelung gegeben hatte.II. Das Gnadenrecht des StaatsoberhauptesA. Das Gnadenrecht in Monarchie und RepublikWie dargestellt, handelt es sich beim Gnadenrecht des Staatsoberhauptes um eine typisch monarchische Prärogative, die in den Republiken auf das dortige Staatsoberhaupt übergegangen ist.[12]Das Gnadenrecht gemäss Art. 12 LV umfasst, worauf noch näher zurückzukommen ist, verschiedene Kategorien, nämlich: Diese Kategorien stellten das typische Instrumentarium des Gnadenrechts des konstitutionellen Monarchen dar. Art. 12 LV hat somit nachvollzogen, was in den nach dem Ersten Weltkrieg untergegangen Monarchien der damaligen Zeit bereits kodifiziert war. In ihrer äusseren Form kann die Begnadigung auf grundsätzlich zwei Arten erfolgen, nämlich im Rahmen einer sogenannten Amnestie, worunter die Begnadigung eines generell-abstrakt umschriebenen Personenkreises nach bestimmten Kriterien verstanden wird,[14] oder als Begnadigung im Einzelfall, die sich auf eine bestimmte, einzelne Person bezieht.[15]Während der Wortlaut des Art. 12 LV und offenbar auch die Staatspraxis keine Differenzierung vornehmen,[16] ist in Österreich auf Grund der geltenden Verfassungsrechtslage die Erlassung einer Amnestie ausdrücklich einer gesetzlichen Regelung vorbehalten. Der Bundespräsident darf auf der Grundlage von Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG lediglich Begnadigungen im Einzelfall aussprechen.[17] Das Begnadigungsrecht des österreichischen Bundespräsidenten bezieht sich ebenfalls auf die oben dargestellten Kategorien, das Abolitionsrecht jedoch mit der Einschränkung, dass es sich um ein von Amts wegen zu verfolgendes strafgerichtliches Verfahren handeln muss.[18] Ausserdem kann der Bundespräsident nach ausdrücklicher Anordnung des Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG auch von den Rechtsfolgen (etwa Verlust eines öffentlichen Amtes), die mit der betreffenden strafbaren Handlung verbunden sind, absehen bzw. auch die Unbescholtenheit durch Tilgung der Verurteilung aus dem Strafregister wieder herstellen.[19]Das Begnadigungsrecht des deutschen Bundespräsidenten gemäss Art. 60 Abs. 2 GG für den Bund bezieht sich ebenfalls nur auf den Einzelfall.[20] Der deutsche Bundespräsident kann rechtskräftig verhängte Sanktionen, soweit es sich um Justizakte des Bundes handelt, ganz oder teilweise erlassen, sie umwandeln oder ihre Vollstreckung aussetzen.[21] Amnestien sind dem Parlament vorbehalten, die Abolition liegt überhaupt ausserhalb der Kompetenz des Bundespräsidenten.[22]In der Schweiz werden Begnadigungen gemäss Art. 173 Abs. 1 lit. k BV durch die Bundesversammlung ausgesprochen, sie entscheidet weiters über Amnestien. Der Begriff der Begnadigung knüpft an Art. 383 chStGB an, der darunter den Verzicht auf die Vollstreckung der in einem gegen eine bestimmte Person ausgesprochenen rechtskräftigen Strafurteil verhängten Strafe der deren Umwandlung in eine mildere Strafart versteht.[23] Voraussetzung ist allerdings, dass das Strafurteil vom Bundesstrafgericht oder einer Verwaltungsbehörde des Bundes gefällt wurde.[24] Im Übrigen sind gemäss Art. 381 lit. b chStGB die Begnadigungsbehörden der Kantone zuständig.[25]Das internationale Recht kennt übrigens mit Art. 6 Z. 4 UNO-Pakt II auch ein explizites Recht eines jeden zum Tod Verurteilten, um Begnadigung oder Umwandlung der Strafe zu bitten.[26] Insoweit dürfte also das Gnadenrecht des Staatsoberhauptes aus völkerrechtlichen Gründen nicht ausgeschlossen sein. Diese Frage ist aber obsolet, da gemäss Art. 27ter Abs. 2 LV die Todesstrafe in Liechtenstein ohnehin verboten ist.[27]Unabhängig davon, ob es sich um eine Monarchie oder Republik handelt: In einem demokratischen Rechtsstaat steht das Gnadenrecht vor der Aufgabe, das Vertrauen der Öffentlichkeit einschliesslich der Opfer einer Straftat in einem vom Grundsatz der Legalität geleitete Strafrechtspflege gegen die berücksichtigungswürdigen Interessen des Täters und die öffentlichen, staatspolitischen Interessen abzuwägen.[28] Dabei muss bei der blossen Milderung oder Umwandlung einer Strafe kein so strenger Massstab angewendet werden wie bei der Niederschlagung eines strafgerichtlichen Verfahrens, die einen massiven Eingriff in die Strafjustiz darstellt.[29]Das Recht zur Niederschlagung eingeleiteter Untersuchungen durch den Landesfürsten ist im internationalen Vergleich jedenfalls ungewöhnlich,[30] auch wenn, wie dargestellt, der österreichische Bundespräsident ein vergleichbares Recht besitzt. Es ist daher angebracht zwischen einem Gnadenrecht im engeren Sinn, das die Begnadigung, die Strafmilderung und die Umwandlung der Strafe umfasst, und dem Abolitionsrecht zu unterscheiden und die verschiedenen Begriffe unter dem Gnadenrecht im weiteren Sinn zusammenzufassen. Die Problematik des Abolitionsrechtes besteht im Übrigen nicht nur im Eingriff in die Strafjustiz, bevor ein Urteil gesprochen ist, sondern auch darin, dass sie dem Beschuldigten die Möglichkeit nimmt, seine Unschuld zu beweisen, wie im Übrigen auch dem Opfer einer Straftat, seine Sicht der Dinge darzulegen.[31] Allerdings steht auch dem Beschuldigten selbst kein rechtliches Instrument zur Verfügung, auf die Abolition gleichsam zu verzichten. Das Abolitionsrecht des Landesfürsten ist im Übrigen von der Staatengruppe des Europarats gegen Korruption (GRECO) in einem Evaluationsbericht 2011[32] kritisiert worden. Empfohlen wurde, „die Befugnisse des Fürsten zu überprüfen, wonach er gemäss Art. 12 der Landesverfassung und anderen gesetzlichen Bestimmungen strafrechtliche Untersuchungen und Verfahren verhindern oder einstellen kann.“[33]B. Die Funktion des GnadenrechtsDas Gnadenrecht bezweckt, die in der Rechtsanwendung unvermeidlich hervortretenden Härten, die in der Allgemeinheit des Gesetzes begründet sind, im Einzelfall auszugleichen.[34] Als Repräsentant des Staates soll das Staatsoberhaupt im Einzelfall durchsetzen, dass höhere Erwartungen der Gerechtigkeit den Verzicht auf die Durchsetzung des Rechts bedingen können.[35]Das Wesen des Gnadenrechts entzieht sich weitgehend gesetzlicher Regelung, weshalb die ausführenden Bestimmungen in § 256 StPO lediglich rudimentäre Regelungen über das einzuhaltende Verfahren aufweisen.[36]Aus dem Wesen des Gnadenrechts ergibt sich weiters, dass es nur in Ausnahmefällen anzuwenden ist. Ansonsten würde die Rechtsprechung untergraben und das Vertrauen in die Arbeit der Gerichte und Behörden nachhaltig geschädigt. Der Landesfürst als Staatsoberhaupt soll nicht in die Funktion einer Rechtsmittelinstanz treten und die gerichtlichen Entscheidungen einer Überprüfung unterziehen, sondern nur aus besonderen Gründen tätig werden. Dies gilt im Falle der Niederschlagung einer laufenden Untersuchung umso mehr. Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass aus unsachlichen Motiven in die Tätigkeit der Justiz eingegriffen wird.III. Kategorien des Gnadenrechts im engeren SinnA. Begnadigung, Milderung und Umwandlung rechtskräftiger StrafenUnter Begnadigung ist im Kontext der Formulierung des Art. 12 Abs. 1 LV die gänzliche Strafnachsicht zu verstehen. Die Milderung setzt die Höhe der verhängten Strafe herab, während die Umwandlung darin besteht, dass eine Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt wird oder eine unbedingte in eine bedingte Strafe.[37]Während Begnadigung und Milderung im Vollzug wenig problematisch sind, trifft dies bei der Umwandlung nur für den Fall zu, dass eine unbedingte Strafe in eine bedingte umgewandelt wird. Die Umwandlung einer Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe muss dagegen für den Verurteilten abhängig von der jeweiligen Höhe der beiden Strafen nicht zwangsläufig als eine Verbesserung empfunden werden. Hier wird es erforderlich sein, dass der Landesfürst in seiner Entscheidung eingehend abwägt, ob die Umwandlung vom Betroffenen tatsächlich in dieser Weise gewünscht ist. Die blosse Löschung der Verurteilung im Strafregister[38] wird man ebenfalls als Teil einer Strafmilderung betrachten können. Sie wäre demnach ebenfalls vom Gnadenrecht des Staatsoberhauptes erfasst.[39]Die Begnadigung, Milderung oder Umwandlung wirkt sich lediglich auf den Urteilsspruch und dessen Rechtsfolgen aus. Die Feststellungen in der Urteilsbegründung, insbesondere, was die Schuld des Verurteilten betrifft, bleiben davon unberührt. Dies bedeutet, dass auch im Falle einer Begnadigung von den Berechtigten weiterhin zivilrechtliche Ansprüche, die sich auf die Feststellungen im Strafurteil gründen, geltend gemacht werden können. Überhaupt beziehen sich Begnadigung, Milderung und Umwandlung lediglich auf den Strafanspruch des Staates. In die Ansprüche Dritter darf mit diesem Instrument nicht eingegriffen werden. Art. 12 Abs. 1 LV knüpft die Begnadigung, Milderung und Umwand an das Vorliegen einer rechtskräftigen Strafe. Solange ein Verfahren hingegen noch anhängig ist, kommt lediglich die Abolition in Betracht. Von Rechtskraft ist dann zu sprechen, wenn ein innerstaatliches Rechtsmittel nicht mehr zur Verfügung steht, also auch die Beschwerde an den Staatsgerichtshof nicht mehr ergriffen werden kann. Diese könnte nämlich zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, sodass die Entscheidung über ein Gnadengesuch, solange der Staatsgerichtshof über eine anhängige Beschwerde nicht entschieden hat, unzweckmässig wäre. Der Umstand, dass eine Beschwerde an den EGMR erhoben wurde, über die noch nicht entschieden ist, steht der Ausübung des Gnadenrechts jedoch nicht entgegen. Eine Verurteilung Liechtensteins durch den EGMR verpflichtet das Land gemäss Art. 46 EMRK zur Wiedergutmachung und dazu, die Verletzung abzustellen, würde aber die innerstaatliche Verbindlichkeit einer rechtskräftigen Entscheidung liechtensteinischer Behörden und Gerichte, solange das Verfahren nicht wieder aufgenommen ist, nicht aufheben.[40]Ohne Belang ist es, ob der Betroffene das gegen ihn ergangene Urteil überhaupt angefochten hat.[41]Der Begriff der „Strafe“ wird, wie überhaupt die Institution des Gnadenrechts,[42] weit verstanden und umfasst nicht nur von den Gerichten verhängte Strafe, sondern auch solche von Verwaltungsbehörden Art. 145 Abs. 4 LVG. Daraus ergibt sich, dass auch von Disziplinarerkenntnisse von gesetzlich dazu berufenen Einrichtungen der beruflichen Selbstverwaltung „Strafen“ im Sinne Art. 12 LV sein können. Die gesetzliche Ausgestaltung des Gnadenrechts, die im Wesentlichen bereits von der Verfassung 1921 vorgefunden wurde (dazu näher unter C. 1.) lässt im Übrigen bezweifeln, dass das Gnadenrecht gemäss Art. 12 LV auch Amnestien umfasst. Schliesslich stellt § 256 StPO auf das individuelle Gnadengesuch und den Einzelfall ab, während die Amnestie Personen nach bestimmten allgemeinen Kriterien begnadigt.[43] Eine Amnestie in diesem Sinne kann nach der hier vertretenen Auffassung nur durch den Gesetzgeber vorgenommen werden.[44]Der Wortlaut des Art. 12 LV und auch Sinn und Zweck des Gnadenrechtes stehen einer posthumen Begnadigung nicht entgegen. Das Gnadengesuch im Sinne des § 256 StPO wird in diesem Fall von Rechtsnachfolgern des Verurteilten einzubringen sein.[45]B. Die gesetzliche Ausgestaltung des Gnadenrechts im engeren SinnDas Recht der Begnadigung, Strafmilderung und Umwandlung im gerichtlichen Verfahren findet sich in § 256 StPO näher präzisiert, der wie folgt lautet:[46]§ 256Auffallend ist, dass die heute geltende Bestimmung wortident mit § 236 Strafprozessordnung 1914 ist, die zum Zeitpunkt der Verfassung 1921 in Kraft gestanden war. Daraus ist abzuleiten, dass die Verfassung 1921 bewusst an die damals geltenden gesetzlichen Regelungen anknüpfte, die, wörtlich interpretiert, eine bemerkenswerte Einschränkung des monarchischen Gnadenrechtes des Landesfürsten enthielten: Demnach konnte bereits damals das Obergericht die Gnadengesuche, wenn es diese als unbegründet betrachtete, „sogleich zurückweisen“ mit der Folge, dass sie gar nicht dem Landesfürsten vorzulegen waren.[47]In historischer Interpretation ist auch hinsichtlich dieser Bestimmung anzunehmen, dass die Verfassung von 1921 in materieller Hinsicht an das solcherart eingeschränkte, von der Vorlage durch das Obergericht gebundene Gnadenrecht des Landesfürsten, anknüpfen wollte.[48]Dies ist insoweit relevant, als die Einschränkung des Gnadenrechtes gemäss Art. 12 LV durch § 256 Abs. 1 StPO in der jüngeren Vergangenheit vor dem Staatsgerichtshof als verfassungswidrig gerügt worden war.[49] Der Staatsgerichtshof konnte jedoch auf die Prüfung nicht eintreten, da im konkreten Fall die Bestimmung des § 256 StPO nicht präjudiziell war.[50] In einem anderen Fall, in dem sich diese Frage hätte stellen können, wurde die Beschwerde vom Staatsgerichtshof zurückgewiesen, weil auf die Ausübung des Gnadenrechtes ohnehin kein subjektiver Rechtsanspruch besteht und daher eine Verletzung in subjektiven Rechten von vornherein nicht gegeben sein konnte, sodass auch eine Gesetzesprüfung nicht stattfinden konnte.[51]In älterer Rechtsprechung judizierte der Staatsgerichtshof indessen, dass beim Einreichen eines Gnadengesuches direkt beim Landesfürsten dieser nicht nur das Gnadengesuch an das Gericht erster Instanz übersenden könnte, sondern das begutachtende Gericht anweisen könne, auch im Falle einer ablehnenden Empfehlung das Gnadengesuch wieder vorzulegen, womit im Ergebnis § 256 StPO umgangen wird.[52] Dieser Auffassung, die sich offenbar auch auf die österreichische Rechtslage stützt,[53] ist entgegen zu halten, dass weder die Verfassung noch die Strafprozessordnung eine derartige „Anweisung“ des Gerichtes durch den Landesfürsten kennen. Im Gegenteil: Der Wortlaut des § 256 Abs. 1 StPO ist eindeutig: Zweifellos kann der Landesfürst gegenüber dem Gericht den Wunsch äussern, das Gnadengesuch samt entsprechenden Gutachten jedenfalls vorzulegen, er kann seine Auffassung aber nicht gegen die Haltung des Gerichtes durchsetzen. Vor einer unbesehenen Gleichsetzung mit der geltenden österreichischen (einfachgesetzlichen) Rechtslage, ist jedenfalls zu warnen, ordnet doch § 507 öStPO ausdrücklich an, dass die Begnadigung durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung oder des von ihr ermächtigten Bundesministers für Justiz stattfindet. Eine Weisung an das Gericht, ein Gnadengesuch samt Begutachtung dem Landesfürsten vorzulegen, könnte allenfalls im Rahmen der Justizverwaltung durch das zuständige Regierungsmitglied ergehen.[54] Im Sinne einer Gewaltenbalance wäre diese Lösung einer unmittelbaren Weisungsbefugnis des Landesfürsten gegenüber den Gerichten vorzuziehen. Sie ginge auch mit Art. 10 LV, wonach der Landesfürst „durch die Regierung“ handelt, konform. Aber auch diese Variante ist nur dann rechtlich zulässig, sofern die Behandlung von Gnadengesuchen überhaupt als eine Angelegenheit der Justizverwaltung betrachtet wird, wofür freilich spricht, dass der Gnadenakt ein solcher eines Staatsorgans ist, mit dem in die Gerichtsbarkeit eingegriffen wird.[55]Somit hat das Verfahren der Begnadigung dergestalt abzulaufen, dass der Verurteilte[56] sich zunächst an das Landgericht zu wenden hat (§ 256 Abs. 1 zweiter Satz StPO). Auch der Landesfürst hätte ein bei ihm eingelangtes Gnadengesuch an das Landgericht weiterzuleiten. Dieses hat dem Obergericht die Akten vorzulegen und ein Gutachten zu erstatten. Das Obergericht kann nun, wenn es das Gnadengesuch als unbegründet betrachtet, dieses sogleich zurückweisen oder, unabhängig davon, ob es das Gnadengesuch befürwortet oder ablehnt, mit einem eigenen Gutachten zusätzlich zu jenem des Landgerichtes an den Landesfürsten vorlegen.[57] Wenn das Gnadengesuch in jedem Fall samt Gutachten dem Landesfürsten vorgelegt werden soll, bedarf es wie dargestellt einer Weisung des zuständigen Regierungsmitglieds an den Präsidenten des Obergerichtes im Rahmen der Justizverwaltung. Eine Begnadigung setzt in jedem Fall ein individuelles Gnadengesuch voraus. Auch daraus ergibt sich, dass eine generelle Amnestie das Gnadenrecht des Staatsoberhauptes überschreitet. Dies wiederum schliesst nicht aus, dass der Landesfürst auch eine grössere Zahl von Personen begnadigt, solange dies in Form von Einzelakten erfolgt.[58]Aus der Verwendung des Begriffs „Gutachten“ ergibt sich nach der Rechtsprechung, dass es sich um „Empfehlungen, Vorschläge, also gutachterliche Stellungnahmen (handelt), die als Grundlage für die Entscheidung über das Gnadengesuch dienen sollen und können.“[59] Die Gutachten verfolgen den Zweck, das Staatsoberhaupt über den Fall zu orientieren und ihm eine Entscheidungsgrundlage zu liefern. Dem Wesen eines Gutachtens entspricht es nach Auffassung des Staatsgerichtshofes, dass bei seiner Erstellung im Regelfall kein förmliches Verfahren mit verpflichtender Anhörung der Parteien stattfindet, sondern dass es von seinem Ersteller nach eigener Einschätzung erstattet wird.[60]Die Gutachten sind nicht nur vor den Gerichten nicht rechtsmittelfähig, sondern stellen auch keine Akte der öffentlichen Gewalt dar, gegen die gemäss Art. 15 Abs. 1 StGHG Beschwerde vor dem Staatsgerichtshof geführt werden könnte.[61] Selbst wenn das Gericht – irrtümlich – das Gutachten in Beschlussform erstellt, wird dieses dadurch nicht anfechtbar.[62]Die Begnadigung des Verurteilten, die Milderung, Umwandlung oder Neubemessung einer Strafe ist gemäss Art. 2 Abs. 1 Z. 4 lit. c) Tilgungsgesetz[63] in das Strafregister aufzunehmen. Dies bedeutet, dass auch nach der Begnadigung die Verurteilung im Strafregister grundsätzlich weiter aufscheint, jedoch eben mit dem Hinweis auf den erfolgten Gnadenakt.[64] Die Tilgung erfolgt demnach erst nach Ablauf der entsprechenden – von der jeweiligen Straftat abhängigen – Tilgungsfrist (Art. 10 Tilgungsgesetz). Die Staatspraxis kennt offenbar auch die vorzeitige Tilgung der Strafe im Strafregister,[65] die man als Teil der „Strafmilderung“ betrachten kann. Im Verwaltungsstrafverfahren statuiert Art. 145 Abs. 1 LVG die Möglichkeit der Strafnachsicht durch die Regierung sowie, gegenüber Jugendlichen, in Art. 145 Abs. 2 LVG durch die Behörde. Art. 145 Abs. 4 LVG sieht nun vor, dass durch diese Bestimmungen das dem Landesfürsten zustehende Recht auf Begnadigung nicht berührt wird. Dies kann wohl nur so interpretiert werden, dass dem Landesfürsten auch im Verwaltungsstrafverfahren ein Gnadenrecht zukommt.[66] Sonst wäre nämlich die Erwähnung dieses Rechtes in Art. 145 Abs. 4 LVG gar nicht erforderlich, weil von vornherein klar ist, dass eine Strafnachsicht durch die Regierung oder eine Behörde im Verwaltungsstrafverfahren das Begnadigungsrecht des Landesfürsten im gerichtlichen Verfahren nicht konkurrenzieren kann. Kritisch ist zu einem Gnadenrecht im Verwaltungsstrafverfahren anzumerken, dass gerade die Geringfügigkeit eines Deliktes das Gnadenrecht des Staatsoberhauptes entwerten kann. Dennoch spricht der Wortlaut des LVG dafür, dass, soweit dieses Gesetz anzuwenden ist, dem Landesfürsten auch in Verwaltungsstrafverfahren ein Gnadenrecht zukommt. Mit Art. 12 LV ist dies prinzipiell trotz der erwähnten rechtspolitischen Bedenken vereinbar, ergibt sich doch immerhin aus einem Grössenschluss, dass, wenn das Staatsoberhaupt schwerwiegende Strafen nachsehen kann, dies auch hinsichtlich solcher Delikte, die im Regelfall geringfügigere Strafen beinhalten, möglich sein muss.[67]Allerdings sieht Art. 145 LVG hinsichtlich der Ausübung des Gnadenrechtes durch den Landesfürsten im Gegensatz zu § 256 StPO kein spezifisches Verfahren vor. In praktischer Hinsicht wird davon auszugehen sein, dass der Landesfürst „durch die Regierung“ (Art. 10 Abs. 1 LV) von der Behörde eine Orientierung über den Fall und die Vorlage von Akten verlangen kann, um das Gnadenrecht ausüben zu können.IV. Das Abolitionsrecht des LandesfürstenA. AllgemeinesZum Begriff der Niederschlagung eingeleiteter Untersuchungen finden sich in den historischen Materialien, in Judikatur und Meinungsstand der Lehre praktisch keine verwertbaren Aussagen. Auch der Vergleich mit der Verfassungsrechtslage in Österreich (in Deutschland und der Schweiz gibt es kein vergleichbares Recht eines Staatsorgans) stösst auf Grund der Unterschiedlichkeit der verwendeten Formulierungen an Grenzen, da Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG deutlich präzisier ist.[68] Das Recht des österreichischen Bundespräsidenten erstreckt sich auf die „Niederschlagung des strafgerichtlichen Verfahrens bei den von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlungen“. Damit ist in Österreich klargestellt, dass eine Niederschlagung in Privatanklagesachen unzulässig ist und dass es sich um ein strafgerichtliches Verfahren handeln muss.[69]Zum Zeitpunkt der Erlassung der Verfassung von 1921 war die Strafprozessordnung aus dem Jahre 1914[70] in Kraft. Diese sah in ihrem § 2 vor, dass die strafgerichtliche Verfolgung wegen einer Tat, die nicht nur auf Begehren eines Beteiligten zu bestrafen war, womit die sogenannten Privatanklagedelikte gemeint waren, nicht stattfindet, wenn der Landesfürst anordnet, dass ein strafgerichtliches Verfahren nicht eingeleitet oder das eingeleitete wieder eingestellt werden soll.[71]Auf diese Bestimmung bezog sich offenkundig der Verfassungsentwurf Wilhelm Becks, dessen Art. 33 vorsah, dass der Landesfürst die bereits eingeleitete Untersuchung „nur auf Grund der Strafprozessordnung“ niederschlagen durfte. Auch wenn Art. 12 LV schliesslich auf die explizite Einschränkung des Abolitionsrechtes auf Verfahren gemäss der die Strafprozessordnung verzichtete, ist vor dem Hintergrund, dass die Verfassung von 1921 monarchische Rechte keineswegs erweitern wollte, nicht anzunehmen, dass das Niederschlagungsrecht nun auf sämtliche Verfahren, in denen Behörden „Untersuchungen“ gegen Personen vornehmen, ausgedehnt werden sollte, etwa auf Verwaltungsstrafverfahren oder Disziplinarverfahren.[72] Es ist daher davon auszugehen, dass sich das Niederschlagungsrecht auf strafprozessuale Verfahren bezieht, die von einem öffentlichen Ankläger einzuleiten sind.[73]B. Die gesetzliche Ausgestaltung des Abolitionsrechts§ 2 Abs. 6 StPO sieht vor, dass die öffentliche Anklage erlischt, sobald der Landesfürst anordnet, dass wegen einer strafbaren Handlung kein strafgerichtliches Verfahren eingeleitet oder das eingeleitete Verfahren wieder eingestellt werden soll. Die Formulierung des § 2 Abs. 6 stimmt mit § 2 der Strafprozessordnung aus dem Jahre 1914 überein, was die Wortfolge betrifft, dass „ein strafgerichtliches Verfahren nicht eingeleitet oder das eingeleitete wieder eingestellt werden soll.“ Damit ist die einfachgesetzliche Rechtslage auch hinsichtlich des Niederschlagungsrechtes seit Erlassung der Verfassung 1921 unverändert geblieben. Die Bestimmung wirft zunächst die Frage auf, innerhalb welcher Zeiträume der Landesfürst das Verfahren niederschlagen kann. Der Begriff „eingeleitete Untersuchung“ in Art. 12 Abs. 1 LV kann wohl nur so interpretiert werden, dass gegen eine betreffende Person bereits eine behördliche Verfolgungshandlung eingeleitet worden sein muss. Dies können beispielsweise auch selbständige Erhebungen der Polizei sein. Daher kann der Landesfürst nicht schon von vornherein Ermittlungen in irgendeiner Angelegenheit unterbinden, solange noch keine konkrete Person als Beschuldigter geführt wird. Eine präventive Niederschlagung kommt daher nicht in Betracht.[74] Da bereits § 2 der Strafprozessordnung 1914§ 2 der Strafprozessordnung 1914 das Niederschlagungsrecht auf Offizialdelikte beschränkte, geht die Verfassung offenkundig davon aus, dass die Abolition nur zur Anwendung gelangen kann, wenn es sich bei der Tat, wegen welcher Untersuchung geführt wird, um ein Offizialdelikt handelt.[75]Ab dem Zeitpunkt, an dem die zur Verfolgung strafbarer Handlungen zuständigen Organe, das sind die Staatsanwaltschaft und die Polizei, gegen eine bestimmte Person ermitteln, kann das Verfahren niedergeschlagen werden. Dies ergibt sich aus der Formulierung des § 2 Abs. 6 StPO, wonach der Landesfürst anordnen kann, dass wegen einer strafbaren Handlung kein strafgerichtliches Verfahren eingeleitet wird. Gemeint ist damit: Der Landesfürst kann mittels seines Niederschlagungsrechtes verhindern, dass die Erhebungen der Staatsanwaltschaft und bzw. oder der Polizei fortgesetzt werden. Ist ein strafgerichtliches Verfahren bereits eingeleitet, also etwa eine Anklage erhoben worden, kann der Landesfürst die Einstellung anordnen. Damit erlischt die öffentliche Anklage (§ 2 Abs. 6 StPO). Die Abolition schafft ein prozessuales Verfolgungshindernis. Auch Privatbeteiligte können nicht mehr als Subsidiarankläger auftreten.[76] Ein dennoch ergehendes Urteil wäre, selbst wenn es sich um ein freisprechendes Urteil handeln würde, im Sinne des § 221 Z. 1 StPO mit einem materiellen Nichtigkeitsgrund behaftet, weil die Verfolgung wegen der betreffenden Straftat ausgeschlossen ist. Das Niederschlagungsrecht kommt aber wohl nur solange in Betracht, als die Staatsanwaltschaft über eine einmal erhobene Anklage noch disponieren kann. Diese Verfügungsmöglichkeit endet im Falle einer Verurteilung mit dem Schluss der Hauptverhandlung.[77] Nach diesem Zeitpunkt, beispielsweise im Rechtsmittelverfahren, ist daher danach auch keine Niederschlagung mehr möglich.[78] Wird dem Strafantrag vom Gericht allerdings nicht oder nur teilweise gefolgt, wäre es denkbar, dass eine Abolition durch Unterlassung der Erhebung eines Rechtsmittels durch den Staatsanwalt zustande kommt.V. Ausübung des Gnadenrechtes im weiteren Sinn durch den LandesfürstenA. Das Gnadenrecht als hoheitlicher AktDer Staatsgerichtshof hat die Regelungen des § 256 StPO als „lediglich rudimentäre Bestimmungen“ bezeichnet und dies mit dem Wesen des Gnadenrechts erklärt, das sich weitgehend gesetzlicher Regelung entziehe.[79]Die Ausübung des Gnadenrechts durch den Landesfürsten selbst wird vom Staatsgerichtshof als ein Akt freien, ungebundenen Ermessens bezeichnet, auf den niemandem ein Rechtsanspruch zukommt.[80] Dies ist insoweit zu präzisieren, als dem Landesfürsten zwar tatsächlich ein inhaltlich freies Ermessen zukommt, das keiner weiteren Nachprüfung unterliegt, er aber doch gehalten ist, dieses pflichtgemäss auszuüben.[81] Dies bedeutet, dass der Landesfürst in der Ermessensübung sachliche Motive walten lassen muss. Der Gnadenakt darf die durch die Verfassung des Staates vorgegebenen Grundnormen der Rechtsgemeinschaft nicht verlassen und insbesondere auch nicht die durch die Verfassung garantierten Grundrechte, wie etwa das Willkürverbot, verletzen.[82] Dies gilt insbesondere bei der Ausübung des Abolitionsrechts, das in laufende Verfahren eingreift. Zu berücksichtigen sind dabei auch die Interessen allfälliger Privatbeteiligter an einer strafgerichtlichen Entscheidung, die durch die Niederschlagung des laufenden Verfahrens beeinträchtigt werden.[83]Ein verfassungsmässig gewährleistetes Recht auf Gnade besteht jedenfalls nicht.[84]Der erlassene Gnadenakt stellt einen Hoheitsakt der Staatsfunktion Verwaltung dar, die auf der Grundlage des Art. 12 LV in die Staatsfunktion Gerichtsbarkeit eingreift.[85] Die Ablehnung des Gnadengesuches stellt nun ebenso wie seine Annahme durch den Landesfürsten einen Hoheitsakt dar.[86] Eine Anfechtung beim Staatsgerichtshof auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 StGHG scheitert allerdings daran, dass auf die Ausübung des Gnadenrechtes wie dargestellt kein Rechtsanspruch besteht. Sofern der Landesfürst das Gnadengesuch unerledigt lässt, liegt kein Hoheitsakt vor. Eine rechtliche Möglichkeit, den Landesfürsten zur Setzung eines derartigen Aktes zu verhalten, besteht seitens des Gesuchstellers ebenfalls nicht.B. Gegenzeichnungspflicht?Die Frage, ob die Ausübung des Gnadenrechtes durch den Landesfürsten der Gegenzeichnung unterliegt, ist in der Literatur höchst umstritten, wird teilweise bejaht,[87] verschiedentlich aber bezweifelt[88] oder überhaupt verneint.[89]Wie im Falle der Richterernennung[90] ist an Art. 85 zweiter Satz LV anzuknüpfen, wonach der Regierungschef die Gegenzeichnung der vom Fürsten oder einer Regentschaft ausgehenden Erlässe und Verordnungen besorgt. Nach der hier vertretenen Auffassung könnten auch Gnadenakte als derartige „Erlässe“ verstanden werden, zumal der historische, bereits in der Konstitutionellen Verfassung verwendete Begriff der „Erlässe“ zweifellos sehr umfassend zu verstehen ist.[91] Hingegen kommt Art. 86 Abs. 2 LV als Anknüpfung für eine Gegenzeichnungspflicht nicht in Betracht, da diese Bestimmung sich auf die über Antrag des Regierungschefs ergehenden landesherrlichen Resolutionen bezieht. Das Gnadengesuch ergeht jedoch wie dargestellt nicht über Antrag des Regierungschefs.[92]Gewichtiger ist der Einwand, dass die Ausübung des Gnadenrechts ein von der Verfassung so vorgesehenes Interventionsrecht des Staatsoberhauptes in die Gerichtsbarkeit darstellt. Die Ausgestaltung des Gnadenrechtes trifft dafür Sorge, dass zumindest eine rechtliche Einbeziehung der Regierung, also der Verwaltung, in die Ausübung des Gnadenrechtes nicht stattfindet. Durch die Gegenzeichnung des Regierungschefs würde diese Gewaltentrennung unterlaufen und dieser für einen Akt des Landesfürsten in der Gerichtsbarkeit verantwortlich gemacht.[93] Ausserdem würde das freie Ermessen des Landesfürsten, das ihm die Verfassung mit der Einräumung des Gnadenrechtes überträgt, unterlaufen.[94]Dem wiederum wird entgegen gehalten, dass gerade die Begnadigung und die Abolition als Eingriff der Verwaltung in die Unabhängigkeit der Justiz im Wege des Staatsoberhauptes ebenfalls der Gegenzeichnung bedürfe.[95] Weiters wird argumentiert, dass die Gegenzeichnung besonders bedeutungsvoll dort sei, wo der Fürst ohne Mitwirkung des Landtages handeln könne und sogar ein Strafverfahren niederschlagen könne.[96]Diese an der praktischen Notwendigkeit orientierte Argumentation hat einiges für sich. Dennoch wird man gerade im Hinblick auf Art. 12 Abs. 2 LV, wo die Gegenzeichnung durch den Regierungschef bedeuten würde, dass er der Begnadigung eines Regierungsmitglieds zustimmt, den systematischen Erwägungen nach der hier vertretenen Auffassung Vorrang einräumen müssen: Es ist davon auszugehen, dass die Verfassung die Übernahme von Verantwortung durch den gegenzeichnenden Regierungschef im Falle eines Begnadigungsaktes nicht vorsieht, daher auch keine Gegenzeichnungspflicht besteht.[97]C. Die Beteiligung des LandtagesEine Einschränkung erfährt das Gnadenrecht des Staatsoberhauptes durch Art. 12 Abs. 2 LV: Zugunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurteilten Mitgliedes der Regierung darf der Landesfürst sein Recht zur Begnadigung oder Strafmilderung nur auf Antrag des Landtages ausüben.[98] Diese Befugnis des Landtages hat die Funktion, die Ministerverantwortlichkeit sicherzustellen, da sonst der Landesfürst Verurteilungen verantwortlicher Minister unterlaufen könnte.[99]Das Antragsrecht des Landtages bezieht sich nur auf Verurteilungen wegen strafgesetzwidriger Amtshandlungen des fraglichen Regierungsmitglieds durch die ordentlichen Gerichte oder auf eine Verurteilung durch den Staatsgerichtshof aufgrund eines Ministeranklageverfahrens gemäss Art. 62 lit. g LV.[100] Das Gnadenrecht des Staatsoberhauptes bleibt somit in Fällen, in welchen ein Regierungsmitglied wegen Straftaten im privaten Bereich verurteilt wurde, uneingeschränkt aufrecht. Hingegen kann der Landesfürst ein Ministeranklageverfahren vor dem Staatsgerichtshof nicht niederschlagen,[101] weil sich sein Abolitionsrecht wie dargestellt (III. B.). nur auf strafprozessuale Verfahren bezieht, was von jenen Meinungen, die ein ohne die Mitwirkung des Landtages ausgeübtes Abolitionsrecht des Landesfürsten im Ministeranklageverfahren bejahen, übersehen wird.[102] Daran ändert nichts, dass zufolge der Verweisung des Art. 30 Abs. 1 StGHG auf das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof, sofern das StGHG keine speziellen Vorschriften beinhaltet, die Bestimmungen der Strafprozessordnung anzuwenden sind. Bemerkenswerterweise ist die Formulierung des Art. 12 Abs. 2 LV, wo vom Recht des Landesfürsten zur Begnadigung und Strafmilderung gesprochen wird, nicht völlig auf Abs. 1 abgestimmt, wo von Begnadigung, Milderung und Umwandlung gesprochen wird. Es ist anzunehmen, dass der Begriff der „Strafmilderung“ in Abs. 2 nicht nur, die Herabsetzung der Höhe einer Strafe, sondern wohl auch die Umwandlung einer Strafe zum Vorteil des Verurteilten, also einer Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe meint. Der unterschiedlichen Terminologie von Abs. 2 und Abs. 1 käme nach diesem Verständnis keine Bedeutung zu. Der in Art. 12 Abs. 2 LV angesprochene Antrag des Landtages meint einen Landtagsbeschluss, der durch die absolute Stimmenmehrheit bei einer Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten zustande kommt (Art. 58 Abs. 1 LV). Eine erfolgte Begnadigung oder Strafmilderung, die ohne den erforderlichen Antrag des Landtages zustande gekommen wäre, stellt einen fehlerhaften Staatsakt des Landesfürsten dar.[103] Da die Verfassung für einen derartigen Vorgang keine Überprüfung durch den Staatsgerichtshof vorsieht (der Akt wäre zwar als solcher der öffentlichen Gewalt i.S. des Art. 15 Abs. 1 StGHG zu qualifizieren, es wäre ja – mit Ausnahme des Begünstigten – kein Anfechtungsberechtigter vorhanden), geht die Verfassung wohl davon aus, dass ein solcher Akt des Landesfürsten absolut nichtig wäre.D. Die StaatspraxisÜber die Handhabung sowohl des Begnadigungs- als auch des Abolitionsrechtes ist wenig bekannt. Die jeweiligen Akte des Landesfürsten erlangen nur ausnahmsweise Publizität.[104] Diese Intransparenz ist besonders hinsichtlich des ohnedies heiklen Abolitionsrechtes kritisch.[105] Winkler[106] listet für einen Zeitraum von 1981 bis 2004 insgesamt acht Begnadigungsakte als „Beispiele“ auf. Ob diese Darstellung für den genannten Zeitraum vollständig ist, kann nicht beurteilt werden.[107] In den angeführten Fällen wurde insgesamt sechs Mal eine Freiheitsstrafe gänzlich oder teilweise unter Festsetzung einer Probezeit bedingt nachgesehen. In zwei Fällen wurde Rechtsnachfolgern von Verurteilten die Bezahlung von noch offenen Geldstrafen erlassen. In einem der von Winkler aufgelisteten Fälle wurde das Begnadigungsgesuch abgelehnt. In der Staatspraxis dürften Gnadenakte des Landesfürsten einschliesslich der Abolitionen bisher grundsätzlich nicht gegengezeichnet worden sein.[108] In den letzten Jahren erfolgte Begnadigungen vonseiten des Landesfürsten bzw. des Erbprinzen ergingen jedenfalls ohne Gegenzeichnung.[109] Dies galt allerdings nicht hinsichtlich der Amnestie des Jahres 1956 aus Anlass der 150-Jahrfeier des Fürstentums: Diese wurde „über Vorschlag Meiner Regierung“ (!) erlassen und trug entsprechend Art. 86 Abs. 2 LV die Gegenzeichnung des Regierungschefs.[110] |
Jeder Thronfolger wird noch vor Empfangnahme der Erbhuldigung unter Bezug auf die fürstlichen Ehren und Würden in einer schriftlichen Urkunde aussprechen, dass er das Fürstentum Liechtenstein in Gemässheit der Verfassung und der übrigen Gesetze regieren, seine Integrität erhalten und die landesfürstlichen Rechte unzertrennlich und in gleicher Weise beobachten wird. Every successor to the throne shall, prior to receiving the oath of allegiance, declare upon his Princely honour and dignity in a written proclamation that he will reign over the Principality of Liechtenstein in accordance with the Constitution and the other laws, that he will maintain its integrity, and that he will observe the rights of the Reigning Prince indivisibly and equally.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteA. Die historische Bedeutung der ErbhuldigungDie Bestimmung des Art. 13 LV reicht in ihrer historischen Bedeutung weit in die Verfassungsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein zurück. Der in ihr verwendete Begriff der „Huld“ (ab etwa dem 14. Jahrhundert „Huldigung“) kennzeichnet seit dem frühen Mittelalter den Treueeid zwischen Untertanen und Herrschaft bzw. zwischen Vasall und Herrn.[1] Die Huldigung begründete in rechtlich verbindlicher Weise Treuebeziehungen.[2]Der Huldigungseid verpflichtete die schwörenden Untertanen zur Treue und Gehorsam gegenüber der Herrschaft, die gegebenenfalls auch auf bestimmte Dienste und Leistungen Anspruch hatte. Mit der Huldigung der Untergebenen war allerdings auch das Versprechen und die Garantieerklärung des Herrn verbunden, die Freiheiten und Rechte der Untertanen sowie deren Gebräuche und Gewohnheiten zu achten und zu schützen. Huldigung war somit kein einseitiger Akt, sondern von Reziprozität geprägt und hatte damit Vertragscharakter.[3]Die klassische Untertanenhuldigung fand allgemein im 18. und 19. Jahrhundert mit der Herausbildung des souveränen Verfassungsstaates, der von der Person des jeweiligen Herrschers losgelöst war, ihr Ende.[4]Im Kontext der liechtensteinischen Verfassungsgeschichte ist Folgendes festzuhalten: 1718[5] versprach anlässlich der Erbhuldigung der Untertanen der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg für Fürst Anton Florian von Liechtenstein der Gesandte, die Untertanen in seinen Schutz und Schirm aufzunehmen und bestätigte ihnen die althergebrachten Rechte und Freiheiten. Im Gegenzug schworen die Untertanen, dem Fürsten „getreu, gehorsam, gewartig, bottmässig, steür-, frohn- und dienstbahr zu seyn.“[6]Der stark ritualisierte und formalisierte Huldigungsakt 1718 weist einige beachtenswerte Eigenschaften auf, wie etwa die Abwesenheit des Landesherrn, was nach Holenstein auch eine Abkehr von der personalen Herrschaftskonstruktion indiziert und die zunehmende Identifikation der Gehorsamspflicht der Untertanen gegenüber dem Staat.[7] Die Interaktion des Versprechens des fürstlichen Gesandten betreffend Schutz und Schirm der Untertanen und deren Gehorsamsgelöbnis deutet einen gewissen Vertragscharakter an.[8] Damit wird auch die gedankliche Konstruktion des Herrschaftsvertrages der Aufklärung in gewisser Hinsicht vorweggenommen, mit dem die Machtfülle des vormals absolutistischen Herrschers eingeschränkt wurde.Mit dem Schwurakt wurde die Verfassung des schwörenden Herrschaftsverbandes aktualisiert, erneuert und in ihrer Gültigkeit fortgeschrieben.[9]Im Verfassungsstaat ist der Huldigungsakt durch das Volk bzw. seine Repräsentanten gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt ein im Grunde überholter Anklang an das einstige Untertanenverhältnis.[10] Die liechtensteinische Verfassung hat diesen Akt im Zusammenhang mit der Erklärung des Thronfolgers, verfassungsgemäss und rechtskonform zu handeln, dennoch beibehalten, was in der nachfolgenden Darstellung der historischen Entwicklung veranschaulicht wird.[11]B. Die RechtsentwicklungDie landständische Verfassung 1818 erwähnte weder einen Huldigungsakt noch eine damit korrelierende Zusicherung des Landesfürsten auf die Einhaltung der Verfassung, was nicht bedeutete, dass in der Praxis derartige Vorgänge nicht stattfanden. Sie bewegten sich jedoch auf einer Ebene ausserhalb des positivierten Rechts.[12] Hingegen sah der Entwurf des Verfassungsrates 1848 in zwei getrennten Bestimmungen einerseits eine Verpflichtung des Fürsten vor, auf die Einhaltung der Verfassung zu schwören (§ 41), worauf nach der so erfolgten Angelobung als Regenten eine Huldigung durch das Volk erfolgen sollte (§ 42). Der Entwurf des Verfassungsrates versuchte damit das korrespondierende Verhältnis von Fürst und Volk, das frühere Verhältnis von Herrscher und Untertanen, in ein einem Verfassungsstaat angemessenes Regelungswerk zu flechten. § 123 KonV vermischte die beiden Elemente des Verhältnisses von Fürst und Volk (Einhaltung der Verfassung durch den Fürsten und Anerkennung der Legitimität der Herrschaft durch das Volk bzw. seine Repräsentanten) in einer einzigen Bestimmung, die wie folgt lautete: Die Verfassung legte nunmehr gleichsam in Umkehrung des früheren Verhältnisses das rechtliche Schwergewicht auf die Zusicherung des Landesfürsten, die Verfassung und die übrigen Gesetze einzuhalten und die Integrität des Landes zu bewahren. Die Erbhuldigung wurde dem Begriff nach erwähnt, ohne Inhalt und Vorgang näher festzulegen. Dies war eine Konsequenz daraus, dass in der konstitutionellen Monarchie der Staat an die Stelle des Landesfürsten trat und dieser lediglich ein, wenngleich das höchste Organ dieses Staates war. Die Erbhuldigung war und blieb demnach ein formalisierter, aber rechtlich unverbindlicher Akt: Viel grössere Relevanz kam der Bestätigung des Monarchen zu, die Verfassung und die übrigen Gesetze einzuhalten, denn sie war ja nach dem Wortlaut der Verfassung Voraussetzung für die Erbhuldigung. Die Bestimmung des § 123 KonV wurde im Zuge der Erarbeitung der neuen Verfassung 1921 einerseits als wenig umstritten, andererseits offenbar als notwendig betrachtet: Art. 84 des Verfassungsentwurfs Wilhelm Becks übernahm § 123 KonV mit geringfügigen Abweichungen: Auffallend ist, dass Beck an Stelle des Begriffs des „Regierungsnachfolgers“ den zutreffenderen des „Thronfolgers“ wählte und die umständliche Formulierung des Jahres 1862 nicht nur in eleganter Weise straffte, sondern auch von der Konnotation, dass sich der Schwur des Landesfürsten auf seine eigenen landesfürstlichen Rechte bezog, befreite. Die Regierungsvorlage Peer folgte in § 13 Abs. 1 freilich dem Vorbild der konstitutionellen Monarchie und übernahm § 123 KonV wörtlich. Weiter wurde in § 13 Abs. 2 eine Bestimmung über die Stellvertretung eingefügt. Diese Bestimmung war im weiteren Verlauf der Verfassungsdiskussion offenbar unbestritten und wurde ohne weitere inhaltliche Änderung zu Art. 13 der Verfassung 1921. 1984 wurde Art. 13 Abs. 2 aufgehoben und eine gesonderte Regelung über die Stellvertretung in Art. 13bis LV aufgenommen.[14] Im Zuge der Verfassungsrevision 2003 wurde der Begriff „Regierungsnachfolger“ durch „Thronfolger“ ersetzt, wie dies bereits von Wilhelm Beck 1920 vorgeschlagen worden war.II. Die ThronfolgeA. FallkonstellationenDer in Art. 13 LV bezeichnete Vorgang setzt voraus, dass die Thronfolge eingetreten ist, was bedeutet, dass die Funktion des Staatsoberhauptes vakant ist und durch den Thronfolger zu besetzen ist. Unter welchen Umständen der Tatbestand der Thronfolge erfüllt ist, wird von der Verfassung nicht näher geregelt, sondern von Art. 3 LV an das Hausgesetz delegiert („Die im Fürstenhause Liechtenstein erbliche Thronfolge (…) werden durch das Fürstenhaus in der Form eines Hausgesetzes geordnet.“).[15]Das Hausgesetz[16] sieht folgende Fallkonstellationen der Thronfolge vor: B. Verfahrensfragen bei Absetzung und AmtsenthebungDie Tatbestände des Thronverzichts, der Absetzung oder Amtsenthebung des Landesfürsten erfordern ein verfahrensmässiges Vorgehen, um den Vorgang rechtswirksam machen: In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass gemäss Art. 13 Abs. 2 Hausgesetz auch jeder Prinz nach dem Eintritt seiner Volljährigkeit durch ausdrückliche und schriftliche Erklärung gegenüber dem Fürsten und dem Familienrat auf die Thronfolge verzichten kann. Der Verzicht ist unwiderruflich und gilt nur für die Person des Verzichtenden. Er hat keine Auswirkungen auf die Thronfolge der übrigen Mitglieder des Fürstenhauses.[20] Kritisch ist zu sehen, dass Aussenstehende, also insbesondere die Regierung oder der Landtag, nach den Bestimmungen des Hausgesetzes nicht über einen derartigen Verzicht informiert werden müssen, mitunter also sogar eine problematische Unklarheit über die Thronfolgeordnung bestehen kann. Die Kundmachung im Landesgesetzblatt hat lediglich deklarative Bedeutung, was bedeutet, dass der Thronverzicht nicht erst mit der Kundmachung im Landesgesetzblatt wirksam wird. Eine andere Auffassung hätte zur Konsequenz, dass die Regierung, die gemäss Art. 2 Kundmachungsgesetz das Landesgesetzblatt herausgibt, den Zeitpunkt des Thronverzichts durch verzögerte oder beschleunigte Kundmachung im Landesgesetzblatt bestimmen könnte. Dies wäre bei einem staatsrechtlich so bedeutsamen Akt wohl nicht tolerierbar und würde ausserdem den Landesfürsten der Disposition über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens seines Thronverzichts berauben. Hinsichtlich der Absetzung des Landesfürsten als Disziplinarmassnahme des Familienrates gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c Hausgesetz ordnet Art. 14 Abs. 2 lit. d an, dass das Disziplinarerkenntnis im Falle der Rechtskraft allen Mitgliedern des Fürstenhauses und dem Regierungschef zuzustellen ist. Mit dieser Information ist die Absetzung rechtswirksam. Die gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. e Hausgesetz vorgesehene Veröffentlichung im Landesgesetzblatt hat ebenfalls lediglich deklarative Bedeutung, da sonst die Regierung den konkreten Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Absetzung des Landesfürsten bestimmen würde. Dieselben verfahrensmässigen Grundsätze gelten für die Amtsenthebung gemäss Art. 15 Abs. 2 Hausgesetz. Schliesslich bestimmt Art. 16 Abs. 2 Hausgesetz, dass im Falle einer Absetzung oder Amtsenthebung auf Grund eines Misstrauensantrages gemäss Art. 13ter LV von der getroffenen Entscheidung oder sonstigen Erledigung samt der erforderlichen Begründung „das nach der Verfassung berufene Organ des liechtensteinischen Volkes ungesäumt in Kenntnis zu setzen“ ist. Das nach der Verfassung berufene Organ im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Hausgesetz ist gemäss Art. 13ter letzter Satz LV der Landtag, dem der Landesfürst die gemäss dem Hausgesetz getroffene Entscheidung bekannt geben muss. Daraus ergibt sich, dass die Absetzung oder Amtsenthebung auf Grund eines Misstrauensantrags erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstenhauses an den Landtag durch den Landesfürsten rechtswirksam wird. Würde die Absetzung oder Amtsenthebung nämlich bereits mit der Entscheidung wirksam, wäre der Landesfürst im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe gegenüber dem Landtag nicht mehr in dieser Funktion.C. Anspruch auf ThronfolgeFür die Thronfolge gilt gemäss Art. 12 Abs. 1 Hausgesetz der Grundsatz der männlichen Primogenitur.[21] Somit ist stets der Erstgeborene der ältesten Linie zur Thronfolge berufen. Das Alter einer Linie wird nach ihrer Abstammung vom Fürsten Johann I. von Liechtenstein (1760 bis 1836) beurteilt. Die sich daraus ergebende Rangordnung ist in den Matriken festzuhalten.[22]Die Matrikenführung über die Mitglieder des Fürstlichen Hauses obliegt dem Sekretariat des Fürsten unter dessen Verantwortung (Art. 4 Abs. 1 Hausgesetz). Die Matriken sind lediglich familienöffentlich (Art. 4 Abs. 5 Hausgesetz). Eine öffentliche Bekanntmachung ist nicht vorgesehen. Vielmehr sind Auskünfte an Aussenstehende nach Bescheinigung eines rechtlichen Interesses nur mit Genehmigung des Fürsten zulässig. Die Thronfolge kann nur antreten, wer gemäss dem Hausgesetz stimm- und wahlberechtigt ist (vgl. Art. 9 Hausgesetz).[23] Damit setzt die Thronfolge Volljährigkeit und Handlungsfähigkeit voraus (Art. 9 Abs. 1 Hausgesetz), ebenso wie das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe gemäss Art. 9 Abs. 3 Hausgesetz.[24]Der Umstand, dass die Thronfolgeordnung, was die konkreten Personen betrifft, entsprechend dem Hausgesetz nicht öffentlich ist, ist staatsrechtlich problematisch.[25] Der Begriff des rechtlichen Interesses, dessen Vorliegen die Erteilung einer Auskunft überhaupt erst ermöglicht (Art. 4 Abs. 5 Hausgesetz), bedeutet, dass ein bloss faktisches Interesse, etwa wenn eine Person die Reihenfolge der möglichen Staatsoberhäupter Liechtensteins wissen will, wohl nicht ausreicht. Ein derartiges rechtliches Interesse ist hingegen der Regierung zuzubilligen, schliesslich muss sie wissen, welche Personen unter welchen Voraussetzungen Thronfolger werden könnten. Ist der gemäss den Matriken zur Thronfolge Berufene noch minderjährig, kann der Familienrat gemäss Art. 6 Abs. 2 Hausgesetz diesen als volljährig erklären. Zu seinen Lebzeiten kann der Landesfürst selbst seinen Thronfolger für volljährig erklären. Erfolgt dies nicht, so kommt es nach allerdings nicht völlig klaren Bestimmungen des Art. 17 Abs. 2 Hausgesetz zu einer Regentschaft durch das nach der Thronfolgeordnung nächstberufene stimmberechtigte Mitglied des Fürstlichen Hauses.[26]Der gemäss Art. 12 Abs. 1 Hausgesetz zur Thronfolge Berechtigte besitzt einen subjektiv-öffentlichen Anspruch, der freilich nicht in einem förmlichen Verfahren durchgesetzt werden kann.[27] Nicht völlig klar scheint dabei, zu welchem Zeitpunkt die Thronfolge und damit verbunden die Übernahme der Funktion als Staatsoberhaupt eintritt. Dies wird unter III.A. näher behandelt.III. Zum normativen Inhalt des Art. 13 LVA. Der Ausspruch gemäss Art. 13 LV1. Formale Erfordernisse und inhaltliche BedeutungDie in Art. 13 LV geforderte Erklärung des Thronfolgers steht in Zusammenhang mit Art. 51 Abs. 1 LV, wonach im Thronfolgefall der Landtag innerhalb 30 Tagen zu einer ausserordentlichen Sitzung zwecks Entgegennahme der im Art. 13 vorgesehenen Erklärung des Landesfürsten und der Leistung der Erbhuldigung einzuberufen ist. Bemerkenswert ist, dass die Verfassung einerseits vom Thronfolger verlangt, den Ausspruch gemäss Art. 13 LV in einer schriftlichen Urkunde noch vor Empfangnahme der Erbhuldigung zu leisten, andererseits wie dargelegt Art. 51 Abs. 1 LV eine Entgegennahme der Erklärung gemäss Art. 13 LV durch den Landtag vorsieht. Der Thronfolger kann, wie es der Praxis entspricht (siehe näher D.), die Erklärung bereits unmittelbar nach dem Eintritt des Thronfolgefalles abgeben, er hat sie jedoch spätestens anlässlich der Sitzung des Landtages gemäss Art. 51 Abs. 1 LV zu leisten. Der in der Verfassung selbst nur am Rande, nämlich in Art. 85 LV und Art. 87 LV erwähnte Regent ist nämlich kein Thronfolger, sondern lediglich eine Person, die übergangsweise, bis der Thronfolger sein Amt antreten kann, die Funktionen des Staatsoberhauptes ausübt.[28] Da der Regent nicht „Thronfolger“ ist, hat er nach der hier vertretenen Auffassung allerdings keine Erklärung nach Art. 13 LV abzugeben, weshalb auch keine Erbhuldigung stattzufinden hat.[29] Daran, dass der Regent wie der Fürst an die Verfassung gebunden ist, ändert sich dadurch freilich nichts. In welcher Form der Ausspruch erfolgt, wird durch Art. 13 LV dahingehend näher bestimmt, dass die Erklärung in einer „schriftlichen Urkunde“ zu erfolgen hat.[30] Diese Erklärung, in der Literatur auch als Legalitätserklärung bezeichnet,[31] wird in der Praxis auch im Landesgesetzblatt kundgemacht. Wenn die Bestimmung des Art. 13 LV, wie noch zu zeigen sein wird, Rechtswirkungen entfalten soll, ergibt sich in der Tat, dass der Ausspruch des Landesfürsten eine gewisse Aussenwirksamkeit nach sich ziehen muss. Sie wird durch die amtliche Publikation der Erklärung im Landesgesetzblatt tatsächlich am besten erzielt.[32] Die Kundmachung im Landesgesetzblatt ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten: Die geforderte Publizität der Erklärung ist nämlich spätestens mit ihrer Entgegennahme durch den Landtag gemäss Art. 51 Abs. 1 LV erfüllt. Die bewusst an Art. 7 Abs. 1 LV anknüpfende Wortfolge „…das Fürstentum Liechtenstein in Gemässheit der Verfassung und der übrigen Gesetze regieren“ meint die Bindung des Landesfürsten an die gesamte Rechtsordnung, also nicht nur an die Verfassung und die Gesetze, sondern auch an die auf der Grundlage von Verfassung und Gesetzgebung erlassenen Verordnungen.[33] Sie verpflichtet den Landesfürsten, sich bei der Ausübung seiner Befugnisse und Aufgaben am Geist der Verfassung zu orientieren. Der Begriff „regieren“ weist keine eigenständige Bedeutung auf und verleiht dem Landesfürsten keine Rechte, die nicht bereits sonst in der Verfassung verankert sind.[34] Der Landesfürst ist auf der Grundlage der Verfassung 1921 das Staatsoberhaupt und kein Mitglied der Regierung. Die Erhaltung der Integrität Liechtensteins bezieht sich darauf, dass der Landesfürst von sich aus nichts unternehmen wird, das die Einheit des Landes in territorialer aber auch politischer Hinsicht gefährdet. Die Bestimmung ist heute besonders vor dem Hintergrund des Art. 4 LV zu sehen, der eine Sezessionsmöglichkeit von Gemeinden vorsieht. Unter Erhaltung der Integrität ist aber wohl auch zu verstehen, dass der Landesfürst politischen und gesellschaftlichen Spaltungstendenzen nach Möglichkeit entgegen wirkt. Der Landesfürst hat daher ausgleichend zu wirken und auf die Erzielung von Konsens hinzuarbeiten. Eine „unzertrennliche und in gleicher Weise“ erfolgte Beobachtung der landesfürstlichen Rechte setzt voraus, dass sich der Landesfürst gerade auch der Schranken, die die Rechtsordnung seinen Rechten setzt, bewusst ist. Die Verfassung betont mit der Verwendung der Wortfolge „in gleicher Weise“ das Erfordernis der Kontinuität und Vorhersehbarkeit des Handelns des Landesfürsten. Der Begriff „beobachten“ ist, wie auch an anderer Stelle der Verfassung,[35] im Sinne von „beachten“ zu verstehen.[36] Der Begriff „landesfürstliche Rechte“ meint den gesamten Aufgabenkomplex, den die Verfassung dem Staatsoberhaupt überträgt, also beispielsweise das Sanktionsrecht (Art. 9 LV), die Erlassung von Notverordnungen (Art. 10 LV), die Richterernennung (Art. 11 LV) und die Ausübung des Gnadenrechts (Art. 12 LV).2. RechtswirkungenNach Auffassung Batliners tritt die Thronfolge mit dem Tode des vorangegangenen Fürsten oder mit dessen Thronverzicht ein.[37] Demnach erfolge „nach dem bisher praktizierten, durch die absolutistische Verengung geführten, durchaus plausiblen Verfassungsverständnis mit dem Tode eines Fürsten nicht nur der Thronwechsel, sondern auch der Amtsantritt des Thronfolgers mit all seinen Wirkungen“.[38] Daran ändere auch die Regelung des Art. 13 LV nichts, dass der Thronfolger den Ausspruch leistet, wonach er in Gemässheit der Verfassung und der übrigen Gesetze regieren, die Integrität Liechtensteins erhalten und die landesfürstlichen Rechte unzertrennlich und in gleicher Weise beobachten wird.[39] Nach dieser Meinung handelt es sich bei Art. 13 LV im Ergebnis um eine Verfassungsvorschrift ohne weitere Rechtswirkungen.[40]Der automatische Übergang des Thrones im Falle des Wirksamwerdens des Thronfolgefalles an den Thronfolger ist nicht nur ein Kennzeichen des Absolutismus, sondern auch ein Merkmal der konstitutionellen Monarchie.[41] Eine allfällige Unterlassung des geforderten Gelöbnisses beim Antritt des neuen Kaisers wurde etwa in Österreich noch im gängigen Werk Ulbrichs 1909 zwar als verfassungswidrig, jedoch als rechtlich folgenlos qualifiziert.[42] Diese Auffassung dürfte auch in den deutschen konstitutionellen Monarchien des 19. Jahrhunderts vertreten worden sein.[43]Unterschiedlich wird dagegen in Republiken beurteilt, welche Rechtswirkungen das von den Verfassungen verlangte Gelöbnis des Bundespräsidenten zukommt: So wird dem Eid des Bundespräsidenten in Art. 56 GG Deutschland keine konstitutive Wirkung beigemessen. Der neugewählte Bundespräsident befindet sich bereits in der Funktion des Staatsoberhauptes.[44] In Österreich wird hingegen die Angelobung des Bundespräsidenten als Voraussetzung für den Amtsantritt qualifiziert.[45]Der Auffassung Batliners steht nun freilich gegenüber, dass gemäss Art. 17 Abs. 2 Hausgesetz in dem Fall, dass der Fürst rechtskräftig gemäss Art. 14 abgesetzt oder gemäss Art. 15 seines Amtes enthoben oder entmündigt wurde, seine Rechte und Pflichten „bis zum Eintritt der Thronfolge“ von einem Regenten ausgeübt werden.[46] Dies kann nicht anders interpretiert werden, als dass das Hausgesetz zumindest in diesen Fällen davon ausgeht, dass zumindest der Eintritt der Rechtswirkungen der Thronfolge aufgeschoben wird. Auch die Wortwahl in Art. 12 Abs. 3, wonach die Thronfolge nur „antreten“ kann, wer gemäss dem Hausgesetz stimm- und wahlberechtigt ist, spricht gegen eine von selbst eintretende Thronfolge in allen ihren Rechtswirkungen. Bedeutet dies, dass im Fall des Todes des Fürsten die Thronfolge eben nicht automatisch eintritt, sondern erst mit der Erklärung gemäss Art. 13 LV? Art. 13 LV spricht seit der Verfassungsrevision 2003 vom „Thronfolger“ (und zwar in einem zeitlichen Zusammenhang, der noch vor Empfangnahme der Erbhuldigung und der Abgabe der geforderten Erklärung) und nicht etwa von der „zur Thronfolge berechtigten Person“, aber auch nicht vom Landesfürsten. Die Abkehr von dem bis zu diesem Zeitpunkt verwendeten Begriff des „Regierungsnachfolgers“ begründeten die Materialien mit dem generellen Bestreben der Verfassungsrevision, den Begriff „Regierung“ nur im Zusammenhang mit der Regierung im eigentlichen Sinne zu verwenden und nicht für die Person des Fürsten.[47] Damit ist eine terminologische Präzisierung erfolgt, die jedoch keine weiteren rechtlichen Konsequenzen nach sich gezogen hat. Es stellt sich somit die Frage, ob die Bestimmungen des Hausgesetzes aus dem Jahre 1993 über die Absetzung und Amtsenthebung lediglich mangelhaft mit der bis 1862 zurückreichenden Formulierung des Art. 13 LV abgestimmt sind, oder ob „das bisher praktizierte (…)Verfassungsverständnis“ (Batliner)[48] dem modernen Verfassungsstaat, den die Verfassung von 1921 eingeleitet hatte, angemessen ist. Die Tatsache, dass Art. 13 LV vom „Thronfolger“ (ursprünglich Regierungsnachfolger) und eben nicht vom Landesfürsten spricht,[49] deutet darauf hin, dass der Thronfolger mit Eintritt des Thronfolgefalles nicht automatisch alle Funktionen des Landesfürsten ausübt.[50]Zur Staatspraxis ist zu erwähnen, dass Hans-Adam erklärte, „als Fürst Hans-Adam II.“ die Regierung zu übernehmen.[51] Auch diese Formulierung weist darauf hin, dass der Thronfolger erst mit seiner Erklärung gemäss Art. 13 LV sein Amt als Landesfürst verfassungskonform ausübt. Gleichlautende Formulierungen enthielten das Höchste Handschreiben vom 26. Juli 1938 betreffend die Übernahme der Regierung durch Seine Durchlaucht Fürst Franz Josef II.[52] sowie das Höchste Handschreiben vom 12. Februar 1929 betreffend die Übernahme der Regierung durch Seine Durchlaucht Fürst Franz I.[53] Weitere Vergleichsfälle gibt es nicht, da der Regierungsantritt Fürst Johann II. im Jahre 1858 noch vor der Erlassung der Konstitutionellen Verfassung erfolgte, die mit § 123 KonV die Vorgängerbestimmung zu Art. 13 LV enthielt. Zu den von der Staatspraxis durchaus gestützten Regelungen des Hausgesetzes tritt hinzu, dass es mit dem Verfassungsstaat kaum vereinbar erscheint, dass eine Bestimmung der Verfassung völlig ohne Rechtswirkungen bleiben soll. Art. 13 LV erzeugt daher nach der hier vertretenen Meinung insoweit konstitutive Wirkung, als erst mit der Leistung der geforderten Erklärung der Thronfolger die ihm als Staatsoberhaupt zukommenden Rechte und Pflichten verfassungsmässig ausüben kann.[54] Schliesslich wäre es auch denkbar, dass der Erbprinz noch vor dem Antritt der Thronfolge auf den Thron verzichten will. Das Unterlassen des Ausspruchs nach Art. 13 LV zur Gänze wie auch der Verzicht auf einzelne Teile des von Art. 13 LV vorgeschriebenen Inhalts würde demnach dazu führen, dass die vom Thronfolger in seiner Funktion als Staatsoberhaupt in weiterer Folge getätigten Akte nicht auf verfassungsmässige Weise zustande gekommen wären. In Konsequenz dessen hätte auch die Erbhuldigung zu unterbleiben. Setzt der Landesfürst im Rahmen seiner Amtstätigkeit Handlungen, die als Nichtbeachtung der mit der Erklärung gemäss Art. 13 LV geleisteten Zusicherung zu qualifizieren wären, so bleibt dies grundsätzlich rechtlich folgenlos. Der Landesfürst untersteht gemäss Art. 7 Abs. 2 erster Satz LV nicht der Gerichtsbarkeit und ist rechtlich nicht verantwortlich. Denkbar wäre allerdings ein Misstrauensantrag gemäss Art. 13ter LV mit der Konsequenz, dass im Falle einer Annahme des Misstrauensantrags durch das Volk das Verfahren gemäss Art. 16 Hausgesetz durchzuführen wäre.B. Gegenzeichnungspflicht des Ausspruchs gemäss Art. 13 LVWas die Frage betrifft, ob die Erklärung gemäss Art. 13 LV der Gegenzeichnung unterliegt, ist zunächst wie im Falle der Richterernennung und der Ausübung des Gnadenrechts[55] an Art. 85 zweiter Satz LV anzuknüpfen, wonach der Regierungschef die Gegenzeichnung der vom Fürsten oder einer Regentschaft ausgehenden Erlässe und Verordnungen besorgt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist auch die Erklärung gemäss Art. 13 LV als derartiger „Erlass“ zu verstehen, zumal der historische, bereits in der Konstitutionellen Verfassung verwendete Begriff der „Erlässe“, zweifellos umfassend zu interpretieren ist.[56] Hingegen kommt Art. 86 Abs. 2 LV als Anknüpfung für eine Gegenzeichnungspflicht nicht in Betracht, da diese Bestimmung sich auf die über Antrag des Regierungschefs ergehenden landesherrlichen Resolutionen bezieht. Die Erklärung gemäss Art. 13 LV ergeht jedoch nicht über Antrag des Regierungschefs. Winkler vertritt jedoch die Meinung, dass die Erklärung keine Gegenzeichnung des Regierungschefs erfordert,[57] offenbar deshalb, weil er sie nicht als ein „Erlass“ im Sinne des Art 85 zweiter Satz LV qualifiziert. Dies ist jedoch eine verengende Interpretation, der auch ein Grössenschluss entgegen zu halten ist: Weshalb sollte ausgerechnet der wohl wichtigste Staatsakt des Landesfürsten, nämlich sein eigener Amtsantritt, von der Gegenzeichnung befreit sein? Mit der Gegenzeichnung beurkundet der Regierungschef die Legalität des Vorgangs, nämlich, dass es sich um eine auf Grund der Verfassung und des von ihr delegierten Hausgesetzes vorgesehene Thronfolge und nicht um eine Usurpation einer Funktion handelt. In der Staatspraxis ist beim Regierungsantritt Franz Josef II. eine Gegenzeichnung erfolgt.[58] Auch das Fürstliche Handschreiben vom 13. November 1989 hinsichtlich der Thronfolge durch Landesfürst Hans-Adam II. trägt die Gegenzeichnung des Regierungschefs.[59]Im Übrigen bedarf aus denselben Erwägungen nicht nur der Amtsantritt des Landesfürsten der Gegenzeichnung, sondern auch der contrarius actus, der Amtsverzicht.[60]C. Die Bedeutung der Erbhuldigung in politischer und staatsrechtlicher HinsichtDer altertümliche Ausdruck Erbhuldigung bedeutet den korrespondierenden Akt zum Ausspruch des Landesfürsten gemäss Art. 13 LV i.V.m. Art. 51 LV. Wie dargestellt, beinhaltete er in rechtshistorischer Hinsicht die Erklärung des Volkes, dem Herrscher gehorsam zu sein. Im modernen staatsrechtlichen Kontext stellt sich der Vorgang als eine Erklärung staatlicher Organe, im Thronfolger das neue Staatsoberhaupt zu sehen, dar. Die Erbhuldigung erfolgt im Rahmen einer Erklärung des Landtages.[61] Der Landtagspräsident erklärt dabei im Namen des Landtages, dass die Volksvertretung ihre Aufgaben auf Grund des auf die Verfassung geleisteten Eides und zum Wohle des Fürstenhauses wahrnehmen werde.[62] Die Anwesenheit des Landesfürsten wird als nicht erforderlich betrachtet.[63]Eine verfassungsrechtliche Relevanz weist die Erbhuldigung nicht auf.[64] Der Landesfürst, der den Ausspruch gemäss Art. 13 LV geleistet hat, wird dadurch zum Staatsoberhaupt. Das Unterlassen einer Erbhuldigung wäre ohne rechtliche Konsequenzen. In politischer Hinsicht wird durch den Akt der Erbhuldigung nach aussen sichtbar verdeutlicht, dass der Landesfürst legitimes Staatsoberhaupt Liechtensteins ist. Sie ist somit auch von identitätsstiftender Bedeutung.D. Bemerkungen zur StaatspraxisDer Ausspruch gemäss Art. 13 LV wird in der Staatspraxis durch eine schriftliche Erklärung geleistet, in welcher der Landesfürst die erforderliche Erklärung gibt, das Fürstentum Liechtenstein in Gemässheit seiner Verfassung und der übrigen Gesetze zu regieren, seine Integrität zu erhalten und die landesfürstlichen Rechte unzertrennlich und in gleicher Weise zu beobachten.[65]Die Erbhuldigung erfolgte seit 1921 jeweils unmittelbar nach dem Amtsantritt von Franz I.,[66] Franz Josef II.[67], und Hans-Adam II.[68] Es handelt sich dabei um keine Eidesleistung oder eine einer solchen vergleichbaren Handlung, sondern um einen symbolischen Akt der Anerkennung der legitimen Thronfolge.[69] Zwischen der Übernahme der Thronfolge mit der Abgabe der Erklärung gemäss Art. 13 LV und der Erbhuldigung liegen in der Staatspraxis, wie dies ja in Art. 51 LV zum Ausdruck gelangt, unterschiedlich lange Zeiträume.[70]Eine in der Verfassung nicht vorgesehene Huldigung erfolgte am 29. Mai 1939 auf der Schlosswiese in Vaduz, als vom liechtensteinischen Volk selbst ein so bezeichneter „Fürstenschwur“ geleistet wurde. Dieser Anlass ist vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu erklären, als es angesichts der Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutschland und einer mit dem Reich sympathisierenden Bewegung in Liechtenstein galt, Geschlossenheit gegenüber aussen zu zeigen und die Souveränität Liechtensteins zu demonstrieren.[71] Auch im Falle Hans-Adams II. wurde eine in der Verfassung nicht vorgesehene, dadurch auch nicht weiter rechtserhebliche „Huldigungsfeier des Volkes“ abgehalten.[72] |
Der Landesfürst kann den nächsterbfolgeberechtigten volljährigen Prinzen seines Hauses wegen vorübergehender Verhinderung oder zur Vorbereitung für die Thronfolge als seinen Stellvertreter mit der Ausübung ihm zustehender Hoheitsrechte betrauen. The Reigning Prince may entrust the next Heir Apparent of his House who has attained majority with the exercise of the sovereign powers held by him as his representative should he be temporarily prevented or in preparation for the Succession. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteArt. 13bis regelt die Stellvertretung des Monarchen in seiner Funktion als Staatsoberhaupt. Dabei handelte es sich in der Geschichte Liechtensteins stets um eine bedeutsame Frage, wenngleich zunächst im Kontext, dass der weit entfernte Landesfürst eines Repräsentanten bedurfte, der vor Ort die Administration führte. Dieser Stellvertreter wurde als Landvogt bezeichnet.[1]Die Landständische Verfassung von 1818 erwähnte in ihrem § 9, wenngleich eher beiläufig, die Aufgaben des Landvogtes „in Vaduz, als Unser landesfürstlicher Commissarius“ im Zusammenhang mit den Sitzungen des Landtages.Im Übrigen blieb der Landvogt oder Landesverweser, wie er ab 1848 genannt wurde,[2] sowohl in der Verfassung von 1818 als auch in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 ungeregelt. Die Verfassung von 1862 erwähnte die Stellvertretung des Landesfürsten ebenfalls nur im Zusammenhang mit der Eröffnung und Schliessung des Landtages (§§ 103 und 105 KonV), wo davon die Rede war, dass der Landtag von einem „Bevollmächtigten“ des Landesfürsten eröffnet werden (§ 103 KonV) und von einem „landesherrlichen Commissär“ geschlossen werden konnte. In beiden Fällen war der Landesverweser gemeint.Die konstitutionellen Monarchien des 19. Jahrhunderts unterschieden ganz allgemein zwischen der Regierungsstellvertretung[3] und einer Regentschaft, diese wiederum unterteilt in eine ordentliche (im Falle der Minderjährigkeit des Monarchen)[4] und ausserordentliche Regentschaft (bei Vorliegen sonstiger Gründe, die die Handlungsfähigkeit des Monarchen ausschlossen).[5] Die Regierungsstellvertretung unterschied sich von der Regentschaft dahingehend, dass in ersterem Falle der Stellvertreter über Auftrag des Monarchen tätig wurde, im letzteren Fall, dass der Regent ex lege an Stelle des Monarchen agierte.[6]Die Einrichtung eines Landesverwesers in Liechtenstein bildete demnach einen Fall von Regierungsstellvertretung. Die Regentschaft war im Übrigen in der Konstitutionellen Verfassung ebenfalls nur am Rande erwähnt (§ 29 KonV) und zwar in einem ähnlichen Zusammenhang wie heute in Art. 85 LV.[7]Die Verfassung von 1921 wurde, was verfassungsrechtlich nicht erforderlich gewesen wäre,[8] durch Prinz Karl, den Neffen des Landesfürsten Johann II., nach erfolgter Sanktionserteilung am 5. Oktober 1921 mit der Formulierung „in Meiner Stellvertretung“ unterzeichnet. Eine derartige Unterzeichnung in Stellvertretung war nach der KonV nicht vorgesehen, aber, da ja der Landesfürst die Sanktion förmlich erteilt hatte, auch nicht verfassungswidrig.[9]Die Verfassung 1921 machte die bisherige Form der Stellvertretung des Landesfürsten durch den Landesverweser obsolet, denn sie kreierte mit der dem Landesfürsten und dem Landtag verantwortlichen Kollegialregierung ein neues Staatsorgan, das für den Vollzug der vom Landtag beschlossenen und vom Landesfürsten sanktionierten Gesetze zuständig war.[10] Allerdings stellte sich das Problem der Stellvertretung für die Zeitgenossen, denen es ein Anliegen war, dass die Staatsorgane ihre Tätigkeit möglichst im Lande entfalten sollten, in anderer Hinsicht: Pkt. 2.) der Schlossabmachungen vom 15. September 1920 fixierte an prominenter Stelle: „Der Landesfürst wird bei längerer Abwesenheit jährlich auf eine gewisse Zeit und ausserdem fallweise nach Bedarf einen Prinzen aus seinem Hause ins Land entsenden und ihn als seinen Stellvertreter mit der Ausübung ihm zustehender Hoheitsrechte betrauen.“[11]Den Beteiligten war diese Kompromissformulierung offenbar so wichtig, dass sie von Landesverweser Peer trotz nicht zu übersehender Unklarheiten praktisch unverändert in seine Regierungsvorlage übernommen wurde, von der Verfassungskommission so akzeptiert und vom Landtag letztlich beschlossen wurde. Art. 13 Abs. 2 LV lautete daher in der Fassung von 1921:1984 wurde die Bestimmung über die Stellvertretung revidiert. Art. 13 Abs. 2 LV wurde aufgehoben und seiner Stelle Art. 13bis LV eingeführt. Die Verfassungsänderung ging auf den Wunsch von Fürst Franz Josef II. zurück, seinen ältesten Sohn Hans-Adam zum Stellvertreter zu ernennen.[13] Im Zuge der Abklärungen stellte sich heraus, dass Art. 13 Abs. 2 in der Version von 1921 „genereller gefasst“ werden sollte.[14] Fürst Franz Josef II. beauftragte deshalb die Regierung, die Verfassung so zu ändern, dass „der Landesfürst den nächsterbfolgeberechtigten Grossjährigen mit seiner Stellvertretung betrauen kann“.[15] Mit der Verfassungsrevision 2003 erfolgte eine geringfügige terminologische,[16] aber keine inhaltliche Änderung von Art. 13bis LV. Die Institution der Regentschaft findet sich in der Verfassung 1921 in den Art. 85 und 87 erwähnt, jedoch nicht näher ausgeführt. Auf die Abgrenzung von der Stellvertretung wird noch einzugehen sein (siehe VI.).II. Voraussetzung der StellvertretungA. AllgemeinesDie Stellvertretung ist gemäss Art. 13bis LV an das Vorliegen von zwei Tatbeständen geknüpft, die nach dem klaren Wortlaut alternativ vorliegen müssen, und zwar dieDiese beiden Tatbestände werden nachstehend unter B. und C. näher behandelt. Die Einsetzung einer Stellvertretung aus anderen Gründen ist verfassungsrechtlich unzulässig.[17] Der blosse Wunsch des Landesfürsten nach einer Entlastung von bestimmten Aufgaben würde demnach nicht für die Einsetzung einer Stellvertretung hinreichen. Allerdings ermöglicht die Offenheit der verwendeten Begriffe, wie noch zu zeigen sein wird, eine flexible Staatspraxis.B. Vorübergehende VerhinderungDie „vorübergehende Verhinderung“, die Art. 13bis LV anspricht, kann durch mehrere Faktoren erfüllt sein. In Betracht kommen eine Abwesenheit des Landesfürsten oder etwa eine Erkrankung. Während letzterer Fall relativ klar durch den Zeitpunkt der Erkrankung bzw. der Genesung umgrenzt ist, wirft der Begriff der Abwesenheit des Landesfürsten die grösseren Unschärfen auf. Zunächst stellt sich die Grundsatzfrage, ob eine Residenzpflicht des Landesfürsten in Liechtenstein besteht.[18] Eine solche wird nach Auffassung von Schiess Rütimann von der Verfassung vorausgesetzt.[19] Wie oben (siehe I.) dargestellt, war die Frage der Abwesenheit des Landesfürsten in den Schlossabmachungen diskutiert worden, eine konkrete Residenzpflicht des Landesfürsten allerdings nicht explizit formuliert worden. Schiess Rütimann führt den Wortlaut des seinerzeitigen Art. 13 Abs. 2 LV („Der Landesfürst wird bei längerer Abwesenheit vom Lande jährlich auf eine gewisse Zeit und ausserdem fallweise einen Prinzen seines Hauses ins Land entsenden und ihn als seinen Stellvertreter mit der Ausübung ihm zustehender Hoheitsrechte betrauen.“) ins Treffen, der durch den Gebrauch der Worte „bei längerer Abwesenheit vom Lande“, eine solche Residenzpflicht stütze. Auch der Umstand, dass der seinerzeitige Art. 108 LV davon sprach, dass sämtliche Behörden ins Land zu verlegen waren, was umso mehr für den Landesfürsten gelten mochte, könne als Argument für eine Residenzpflicht gelten.[20]Ob im Rahmen der Schlossabmachungen und im nachfolgenden Prozess der Verfassungsgebung tatsächlich daran gedacht wurde, dass der damals 81-jährige Landesfürst Johann II. seinen ständigen Wohnsitz in Liechtenstein nehmen würde, muss man allerdings bezweifeln.[21] Dazu kommt die Wendung „jährlich auf eine gewisse Zeit und ausserdem fallweise“ hinsichtlich der Einsetzung des Stellvertreters, die keinen Sinn machen würde, wenn der Landesfürst ohnehin grundsätzlich seinen Wohnsitz im Land hätte. In diesem Sinne formulieren auch die Materialien der Verfassungsrevision[22] hinsichtlich der Einführung einer Stellvertretung aus dem Jahre 1984, dass es dem Wunsch der liechtensteinischen Bevölkerung 1921 entsprochen habe, dass der damals nicht im Lande wohnhafte Landesfürst „jährlich auf eine gewisse Zeit und ausserdem fallweise einen Prinzen seines Hauses ins Land entsenden und ihn als seinen Stellvertreter mit der Ausübung ihm zustehender Hoheitsrechte betrauen werde.“ Nach der hier vertretenen Auffassung ging die Verfassung 1921 einen Kompromiss ein, indem sie den Landesfürsten zwar nicht förmlich verpflichtete, im Land Wohnsitz zu nehmen, indem sie es eben zuliess, dass er auch einen Prinzen entsendete, aber durch die Formulierung „Abwesenheit vom Lande“ zum Ausdruck brachte, dass eine solche Wohnsitznahme von der Verfassung gewünscht ist.[23]Es stellt sich somit die Frage, ob sich an diesem Verständnis durch die Aufhebung des Art. 13 Abs. 2 LV und der Neuformulierung des Art. 13bis LV, der eben nicht mehr von der „Abwesenheit vom Lande“ spricht, etwas geändert haben könnte. Die Materialien aus dem Jahre 1984 führen dazu aus, dass sich durch die Wohnsitznahme des Landesfürsten im Lande selbst die Situation in Bezug auf eine Regelung der Stellvertretung zumindest teilweise geändert habe, sodass eine generellere Regelung zielführend erscheine.[24]Die Materialien 1984 knüpfen somit an das Faktum der Wohnsitznahme des Landesfürsten seit 1938 in Liechtenstein an und gehen möglicherweise auch davon aus, dass ein verfassungsrechtlicher Appell an den Landesfürsten zur Wohnsitznahme entbehrlich geworden ist, weil sie für den Verfassungsgeber 1984 gleichsam selbstverständlich geworden war.[25]Trotzdem wird man daraus noch nicht schliessen können, dass sich die Beantwortung der Frage, ob der Landesfürst vorübergehend verhindert ist, danach bemisst, ob er sich im Land aufhält oder nicht. Schliesslich besagt auch Art. 1 Abs. 2 LV lediglich, dass Vaduz der Sitz des Landtages und der Regierung ist. Vom Landesfürsten wird in dieser Bestimmung nicht gesprochen. Auch wenn sich der Landesfürst ausserhalb des Landes befindet, bedeutet dies noch nicht, dass er auch ständig „verhindert“ ist: Verlegt der Landesfürst seinen Wohnsitz an einen Ort ausserhalb Liechtensteins, so liegt auch hier ein Fall einer zulässigen Einsetzung eines Stellvertreters vor.[26] Ein Wegzug des Landesfürsten aus Liechtenstein bedürfte daher auch keiner Verfassungsänderung.[27]Der Begriff der „vorübergehenden Abwesenheit“ belässt freilich erheblichen Spielraum und seine Abgrenzung zur dauerhaften Abwesenheit ist fliessend. Nach der hier vertretenen Auffassung ermöglicht die Bestimmung dem Landesfürsten auch einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt, nicht aber, dass sich der Landesfürst etwa für mehrere Jahre ins Ausland begibt mit der mehr oder weniger unbestimmten Absicht, irgendwann zurückzukehren.Unter umgekehrten Vorzeichen ermöglicht die Bestimmung eine Stellvertretung allerdings auch bereits dann, wenn der Auslandsaufenthalt voraussichtlich sehr kurz sein wird, also beispielsweise nur wenige Stunden dauern wird.C. Vorbereitung auf die ThronfolgeDer zweite Tatbestand, den Art. 13bis als Fall eine Stellvertretung vorsieht, ist die Vorbereitung für die Thronfolge. Die Beurteilung, ob es sich um eine Vorbereitung für die Thronfolge handelt und ob eine solche zweckmässig ist, obliegt dem Landesfürsten.Die Stellvertretung für die Vorbereitung auf die Thronfolge ist unabhängig vom Aufenthaltsort des Landesfürsten zu sehen. Die Offenheit des Begriffes „Vorbereitung auf die Thronfolge“ lässt es auch zu, dass der Landesfürst, wenn er sich etwa aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sieht, sein Amt in vollem Umfang auszuüben, den Erbprinzen mit der Stellvertretung betraut, unabhängig davon, ob dieser objektiv betrachtet einer solchen Vorbereitung noch bedarf (siehe auch die Ausführungen unter III.A.).D. Die persönlichen Voraussetzungen des StellvertretersZur Stellvertretung berufen werden kann nach dem Verfassungswortlaut lediglich der „nächsterbfolgeberechtigte volljährige Prinz“. Welche Person dies ist, muss dem Hausgesetz entnommen werden, das zufolge der Delegation des Art. 3 LV u.a. die Thronfolge regelt. Art. 12 Abs. 1 Hausgesetz normiert den Grundsatz der (männlichen) Primogenitur, wonach stets der Erstgeborene der ältesten Linie zur Thronfolge berufen ist. Die Rangordnung der Thronfolge ist in der Matrikenführung festzuhalten (Art. 4 Abs. 2 Hausgesetz).Lediglich der sich aus der Matrikenführung ergebende Thronfolger kann als Stellvertreter eingesetzt werden. Die Stellvertretung kann in dem Fall, dass der Erbprinz diese nicht wahrnehmen will, nicht weitergereicht werden. Hat der nach der Thronfolgeordnung nächsterbfolgeberechtigte Prinz auf die Thronfolge verzichtet (Art. 13 Abs. 2 Hausgesetz), kann dieser nicht mehr zur Stellvertretung berufen werden. Als Stellvertreter kommt in diesem Fall der nach dem ausgeschiedenen Erbprinzen wiederum nächsterbfolgeberechtigte Prinz in Betracht.[28] Ein nach den Bestimmungen des Art. 13 Abs. 2 Hausgesetz ausgesprochener Verzicht auf die Thronfolge ist unwiderruflich, es ist daher ausgeschlossen, dass ein Mitglied des fürstlichen Hauses, das einmal rechtswirksam auf die Thronfolge verzichtet hat, zu einem späteren Zeitpunkt zum Stellvertreter bestimmt werden kann. Da die Thronfolge nur antreten kann, wer gemäss dem Hausgesetz stimm- und wahlberechtigt ist (Art. 12 Abs. 3 Hausgesetz) und das Stimm- und Wahlrecht u.a. an die Handlungsfähigkeit geknüpft ist (Art. 9 Abs. 1 Hausgesetz), kommt daher ein Prinz, dem ein Beistand bestellt ist, für die Stellvertretung nicht in Betracht. Die Bestellung eines Beistands (in der Terminologie des ABGB nunmehr Sachwalter)[29] gegenüber einem Mitglied des Fürstlichen Hauses obliegt gemäss Art. 17 Abs. 1 Hausgesetz dem Fürsten, der dabei liechtensteinisches Recht anzuwenden hat.[30]III. Die Einsetzung der StellvertretungA. Keine Verpflichtung zur Einsetzung eines StellvertretersDer Wortlaut des Art. 13bis LV ermächtigt den Landesfürsten unter den dort angeführten Voraussetzungen zur Einsetzung eines Stellvertreters, verpflichtet ihn aber nicht. Es entscheidet der Fürst, ob und falls ja wann er den nächsterbfolgeberechtigten volljährigen Prinzen seines Hauses zum Stellvertreter ernennt. Allerdings wird der Landesfürst sein Ermessen pflichtgemäss ausüben und die Verantwortung für das Staatsganze im Auge behalten müssen:[31] Sieht er sich beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, sein Amt in vollem Umfang auszuüben, wird er verpflichtet sein, für eine entsprechende Stellvertretung Sorge zu tragen. Dasselbe gilt im Falle einer längeren Abwesenheit: Es ist die Pflicht des Landesfürsten, dafür Sorge zu tragen, dass die staatlichen Abläufe weiterhin geordnet vor sich gehen. Das einzige Instrument, das die Verfassung für einen solchen Fall zur Verfügung stellt, ist die Stellvertretung. Umgekehrt kann jedoch, selbst dann, wenn der Landesfürst objektiv nicht mehr in der Lage ist, sein Amt verfassungsgemäss auszuüben, eine Stellvertretung nicht durchgesetzt werden.[32]Umgekehrt stellt sich die Frage, ob der Erbprinz verpflichtet ist, die Einsetzung als Stellvertreter anzunehmen, bzw. ob die Verfassung die Stellvertretung (auch) von einem Willensakt des Erbprinzen abhängig macht. Vergleicht man die Situation des zum Stellvertreter eingesetzten Erbprinzen mit jener des Thronfolgers im Zeitpunkt der Thronfolge, so ist auch letztere von keinem Willensakt des Thronfolgers abhängig mit der Ausnahme, dass er den Ausspruch gemäss Art. 13 LV tätigen muss, wenn er das Amt verfassungskonform ausüben will. Will der Thronfolger die Möglichkeit der Thronfolge ausschliessen, muss er auf den Thron verzichten. Nicht anders ist daher auch die Situation des Erbprinzen, der zum Stellvertreter eingesetzt wird: Er hat lediglich die Wahl, das Amt anzunehmen oder nach den Bestimmungen des Hausgesetzes unwiderruflich auf den Thron zu verzichten (Art. 13 Abs. 2 Hausgesetz). Dies gilt wohl auch dann, wenn der Thronfolger die Stellvertretung beenden will, ohne dass der Landesfürst bereit wäre, die Stellvertretung zu widerrufen. In diesem Fall bliebe dem Thronfolger wiederum keine andere Alternative als gemäss Art. 13 Abs. 2 Hausgesetz zu verzichten.B. Umfang und Dauer der StellvertretungDer Begriff „ihm zustehende Hoheitsrechte“ weist bereits darauf hin, dass es die Verfassung dem Landesfürsten überlässt, in welchem Umfang er den Erbprinzen als Stellvertreter beruft, da sie eben nicht auf alle dem Landesfürsten zustehenden Hoheitsrechte abstellt.[33] Der Landesfürst hat es in der Hand zu bestimmen, wie umfangreich die dem Thronfolger übertragenen Befugnisse sein sollen.[34]Mit Blick auf das Ziel, den Thronfolger auf seine künftige Tätigkeit vorzubereiten, erscheint es ebenfalls zulässig, ihm nicht sofort alle Kompetenzen einzuräumen. Diesen Schluss bestätigen auch die Materialien.[35]Ob der Landesfürst dem Erbprinzen das Recht auf Stellvertretung wieder entziehen darf, wenn er ihn für die Vorbereitung auf die Thronfolge zum Stellvertreter ernannt hat, lässt der Text von Art. 13bis LV offen. Den Materialien zufolge muss ein Rückzug der Vollmacht jedoch jederzeit möglich sein.[36] Dies bedeutet, dass nach dem historischen Willen des Verfassungsgebers der Landesfürst jederzeit wieder an die Stelle des Stellvertreters treten kann. Auch teleologische Gründe sprechen dafür, dass der Landesfürst als Staatsoberhaupt nicht nur den Zeitpunkt der Einsetzung des Stellvertreters, sondern auch den Entzug der Befugnis zur Stellvertretung bestimmt. Aus einem Grössenschluss ergibt sich somit aber auch, dass der Umfang der Stellvertretung nachträglich auch wieder verkleinert werden kann. Wenn die Stellvertretung durch fürstliche Verordnung (siehe dazu näher die Ausführungen unter IV.A.) angeordnet wird, muss sie daher auch durch eine solche Verordnung wieder ausser Kraft gesetzt oder gegebenenfalls verringert werden.[37]Soweit der Stellvertreter lediglich wegen vorübergehender Verhinderung eingesetzt wurde, ist es offensichtlich, dass die Stellvertretung von vornherein befristet ist. Aber auch die Stellvertretung zur Vorbereitung auf die Thronfolge kann, wenn schon ein Entzug der Stellvertretung jederzeit möglich ist, bereits von Beginn an befristet werden. In einem solchen Fall bedarf es keiner weiteren Verordnung mehr, da die ursprüngliche Verordnung mit Ablauf der Befristung ausser Kraft tritt.Erfolgt keine Befristung so bleibt die Stellvertretung bestehen bis sie entweder durch den Landesfürsten beendet wird oder der Thronfolgefall eintritt.C. RechtswirkungenDie Errichtung der Stellvertretung bewirkt,[38] dass der Landesfürst die von der Stellvertretung erfassten Handlungen nicht mehr ausüben darf.[39] Aus diesem Grund kann es nicht sein, dass der Landesfürst den Thronfolger mit der Ausübung aller Hoheitsrechte betraut, sich aber gleichzeitig vorbehält, von Fall zu Fall die entsprechenden Kompetenzen auszuüben.[40] Es darf nicht soweit kommen, dass der Stellvertreter eine Handlung vornimmt, die der Landesfürst später unwirksam erklärt. Oder dass der Landesfürst öffentlich erklärt, wie er in einer Angelegenheit zu handeln gedenkt, der Stellvertreter dann aber das Gegenteil davon tut. In solchen Konstellationen könnte es nur eine Lösung geben: Die Handlungen des Landesfürsten wären wegen Nichtigkeit unbeachtlich.[41]Inwieweit der Stellvertreter beim Landesfürsten Rat holt und Entscheide auf eine gemeinsame Erörterung zurückgehen, bleibt dem Einvernehmen von Landesfürst und Erbprinz überlassen. Unbestritten dürfte sein, dass der Landesfürst weiterhin rein repräsentative Aufgaben übernehmen kann. Sobald es sich jedoch um formelle Akte handelt wie z.B. die Sanktion von Gesetzen, darf der Landesfürst nicht mehr handeln, sofern er diese Aufgabe übertragen hat. Die Abgrenzung zwischen formellen Akten und repräsentativen Handlungen ist nicht immer einfach. Bei den Begegnungen mit Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stellt sich die Frage, wieweit der Landesfürst seinen Stellvertreter über den Inhalt der Gespräche informieren muss. Die Einsetzung der Stellvertretung bzw. eine allfällige Kompetenzabgrenzung zwischen Landesfürst und Stellvertreter, könnte durchaus auch Gegenstand eines Verfahrens vor dem Staatsgerichtshof sein: Ein Gesetz, das vom Erbprinzen sanktioniert würde, obwohl die Voraussetzungen der Stellvertretung nicht vorlagen, wäre jedenfalls nicht verfassungsgemäss zustande gekommen. Dasselbe gilt für die Sanktionierung eines Gesetzes durch den Landesfürsten, wenn die Ausübung dieses Hoheitsrechtes auf den Stellvertreter übertragen wäre. Dieselben Erwägungen gelten für die Genehmigung von Staatsverträgen (Art. 8 LV) oder die Erlassung von Notverordnungen (Art. 10 Abs. 2 LV). Eine weitere Frage, die allerdings sowohl den Landesfürsten als auch seinen Stellvertreter betrifft, ist die nach der Abgrenzung zwischen Auftritten als Staatsoberhaupt und Auftritten als Privat- respektive Geschäftsmann.[42] Die Funktion des liechtensteinischen Staatsoberhauptes ist auf Grund seiner besonderen Kompetenzen stärker vergleichbar mit derjenigen von Staatsoberhäuptern nicht monarchisch konzipierter Länder, freilich auch abhängig vom Amtsverständnis des jeweiligen Landesfürsten.[43] Deshalb drängt es sich m.E. auf, Handlungen von Landesfürst und Stellvertreter im Zweifelsfall als Akte des Staatsoberhauptes zu qualifizieren.[44]IV. Formale AspekteA. Form der Einsetzung des StellvertretersArt. 13bis LV regelt nicht, in welcher Form der Beschluss des Landesfürsten ergehen muss und wie ihm die nötige Publizität verschafft wird. Unbestritten ist jedoch (siehe auch Art. 67 LV), dass die Einsetzung des Stellvertreters und der Umfang der Stellvertretung öffentlich bekannt gemacht werden müssen. In der Staatspraxis wählten Fürst Franz Josef II. und Fürst Hans-Adam II. die Rechtsform der fürstlichen Verordnung, liessen sie durch den Regierungschef gegenzeichnen und im Landesgesetzblatt veröffentlichen.[45] Durch fürstliche Verordnung vom 15. August 2004 (LGBl. 2004 Nr. 171 LR 110.012) betraute Fürst Hans-Adam II. seinen ältesten Sohn, Erbprinz Alois, mit der folgenden Formulierung mit den ihm zustehenden Hoheitsrechten.[46] Hans-Adam II. orientierte sich offensichtlich an der praktisch wortidenten fürstlichen Verordnung seines Vaters vom 26. August 1984.[47]Die Befugnis des Landesfürsten, die Stellvertretung ohne Beizug des Landtages einzurichten, ergibt sich aus der Verfassung, weist doch Art. 13bis LV dem Landesfürsten diese Kompetenz unmissverständlich zu. Folglich kommt die Form des Gesetzes nicht in Frage, schliesslich bedarf gemäss Art. 65 Abs. 1 LV jedes Gesetz der Zustimmung des Landtages. Ebenso wenig kann sich der Landesfürst auf Art. 10 Abs. 1 LV stützen. Bei der Einsetzung des Stellvertreters handelt es sich nämlich nicht bloss um einen Vollzugsakt,[48] sondern um die Übertragung der Ausübung von Hoheitsrechten, deren Umfang erst noch definiert werden muss.[49] Sie kann nicht in der Form eines Vertrages erfolgen, zeigt die Stellvertretung doch nicht nur zwischen Stellvertreter und Landesfürst Wirkungen.[50] Von daher überzeugt die Wahl der Rechtsform der fürstlichen Verordnung, also eines Erlasses mit rechtsetzendem Charakter. Erwähnt wird die fürstliche Verordnung einzig in Art. 49 Abs. 3 LV bei der Wiedereinberufung des Landtages. Sie wird weder in der Verfassung noch in einem Gesetz definiert, obwohl es sich um ein altes Instrument handelt.[51] Anwendung gefunden hat sie nach 1921 nur für die Errichtung der Stellvertretung, die Einberufung des Landtages[52] und im Rahmen von Notverordnungen gemäss Art. 10 LV.[53] Es fehlt an einer Aufzählung aller für Erlasse zulässigen Formen. Angesichts dessen und angesichts der Tatsache, dass in beiden Fällen der volle Wortlaut der fürstlichen Verordnung im Landesgesetzblatt veröffentlicht wurde,[54] sind die vom Legalitätsprinzip[55] und von Art. 85 LV gestellten Anforderungen erfüllt.B. GegenzeichnungspflichtDie Bestellung eines Stellvertreters unterliegt der Gegenzeichnung.[56] Die Einsetzung des Stellvertreters hat nämlich, wie dargelegt, mittels Verordnung zu erfolgen, womit der Tatbestand des Art. 85 zweiter Satz LV erfüllt ist.[57]Im Übrigen unterliegen die Akte des Stellvertreters im selben Ausmass wie jene des Landesfürsten der Gegenzeichnung.[58] Dies bedeutet, dass jene Akte, die der Stellvertreter in Ausübung der ihm vom Landesfürsten übertragenen Hoheitsrechte setzt, nach Massgabe der Art. 85 und 86 Abs. 2 LV der Gegenzeichnung unterliegen.[59]V. Stellvertretung ohne Stellvertreter?Die Regelung des Art. 13bis LV lässt die Frage offen, ob es, wenn der Landesfürst keinen Stellvertreter bestellt hat, überhaupt keine Stellvertretung bei wichtigen Staatsoberhauptsfunktionen gibt. Es ist nämlich zu beachten, dass sonst, wenn der Landesfürst aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage ist, seine Funktion auszuüben, wichtige Bereiche der Staatstätigkeit paralysiert sein können.[60] So könnten beispielsweise keine Gesetze sanktioniert (Art. 9 LV) und keine Staatsverträge (Art. 8 LV) unterzeichnet werden. Während für die dauerhafte Amtsunfähigkeit des Fürsten gemäss Art. 15 Hausgesetz zumindest ein Verfahren zur Verfügung steht, das zu einer Entmündigung und in weiterer Konsequenz dazu führt, dass seine Rechte und Pflichten bis zum Eintritt der Thronfolge von einem Regenten ausgeübt werden, ist dies im Falle einer vorübergehenden Amtsunfähigkeit nicht der Fall. Ist daher kein Stellvertreter bestellt, ist nach der Verfassung im Falle der vorübergehenden Amtsunfähigkeit keine Lösung gefunden. Der Landesfürst kann seine Rechte erst wieder im Falle der Erlangung seiner Amtsfähigkeit ausüben. Bis dahin ruhen alle Geschäfte, die dem Staatsoberhaupt zugewiesen sind. Insgesamt stellt das fehlende „Notstandsrecht“ in dem Fall, dass der Landesfürst keinen Stellvertreter eingesetzt hat, bzw. wenn auch der Stellvertreter sein Amt nicht ausüben kann, eine nicht zu unterschätzende Gefahr für das Funktionieren des Staatsganzen dar.VI. Die Abgrenzung zur RegentschaftIm Hausgesetz findet die Stellvertretung jeweils zusammen mit dem Institut der Regentschaft Erwähnung, woraus sich auch dieselben Regelungen ergeben: Art. 6 Abs. 2, Art. 15 Abs. 3 und Art. 17 Abs. 5 Hausgesetz. Wie sich Stellvertretung und Regentschaft unterscheiden,[61] wird nicht gesagt.[62] Auf das historische Verständnis (siehe oben unter I.) ist an dieser Stelle jedoch zu verweisen, an welches sowohl Art. 85 LV und Art. 87 LV als auch das Hausgesetz offenkundig anknüpfen. Demnach ist die Regentschaft die selbständige Ausübung der monarchischen Befugnisse kraft eigenen Rechts an Stelle des regierungsunfähigen Monarchen.[63] Allerdings sieht, wie nachstehend dargelegt wird, Art. 17 Abs. 5 Hausgesetz auch eine Einsetzung des Regenten durch den Fürsten selbst, also eine Art gewillkürte Regentschaft vor. Das Hausgesetz unterscheidet in Art. 17 Abs. 2 und 5 zwei verschiedene Arten von Regentschaft: In den Konstellationen von Art. 17 Abs. 2 darf der Landesfürst nicht mehr handeln, da er entweder gemäss Art. 14 abgesetzt oder gemäss Art. 15 Hausgesetz seines Amtes enthoben oder entmündigt ist. Die Regentschaft überbrückt in diesen Fällen die Übergangszeit bis zur Thronfolge. Überdies ist klar vorgegeben, welches männliche Familienmitglied Regent wird. Folglich liesse sich diese Konstellation nicht nur unter die Vormundschaft,[64] sondern auch unter die von Art. 3 LV genannte Thronfolge subsumieren.[65] Art. 17 Abs. 5 Hausgesetz ermöglicht es demgegenüber, dass der Landesfürst, das nach der Thronfolgeordnung nächstberufene stimmberechtigte Mitglied des Fürstlichen Hauses als Regenten oder Stellvertreter einsetzen kann. Allerdings fragt sich, welche verfassungsrechtliche Grundlage diese Bestimmung haben könnte. Mit Vormundschaft oder Thronfolge hätte eine solche gewillkürte Regentschaft nichts tun. Indem Art. 13bis LV die Stellvertretung regelt, die Regentschaft aber nicht vorsieht,[66] bleibt jedoch nach dieser Bestimmung kein Raum für das Einsetzen eines Regenten durch den Landesfürsten auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 5 Hausgesetz.[67] Dies muss umso mehr gelten, als aus dem Hausgesetz nicht hervorgeht, welche Kompetenzen dem Regenten zukommen würden und wie lange die Regentschaft dauern darf oder muss. Nun verweist Art. 17 Abs. 5 Hausgesetz darauf, dass sich die Regentschaft wie die Stellvertretung auf alle „alle drei in Art. 12 erwähnten Funktionen oder auf Teile davon erstrecken“ darf. Diese drei Funktionen sind die in der Landesverfassung mit der Funktion des Staatsoberhauptes verbundenen Rechte und Pflichten (Art. 12 Abs. 5 Hausgesetz), die Funktion als Regierer des Fürstlichen Hauses (Art. 12 Abs. 6) und als Vorsitzender der Fürstlichen Stiftungen und Nutzniesser des Fürstlichen Vermögens (Art. 12 Abs. 7). Inwieweit der Landesfürst für die Tatbestände des Art. 12 Abs. 6 oder 7 Hausgesetz einen Regenten oder Stellvertreter einsetzt und wie sich diese beiden Institutionen zueinander verhalten, ist verfassungsrechtlich irrelevant, da es sich um kein Handeln im staatsrelevanten Bereich handelt.[68] Der Landesfürst dürfte demnach die betreffende Person mit einer von diesen beiden Funktionen oder beiden betrauen.[69] Zwar bestimmt Art. 12 Abs. 4 Hausgesetz, dass die genannten drei Funktionen nicht getrennt werden dürfen,[70] Art. 12 Abs. 4 Satz 2 sieht jedoch eine Ausnahme für den „mit Art. 17 Abs. 5 geregelten besonderen Fall“ vor. Allerdings regelt Art. 17 Abs. 5, nimmt man die Bestimmung beim Wort, eben gerade zwei Fälle, nämlich eine Stellvertretung und eine Regentschaft. Da die Stellvertretung, wie sie Art. 17 Abs. 5 Hausgesetz vor Augen hat, den Tatbeständen Art. 3 LV (Thronfolge, Volljährigkeit, Vormundschaft) nicht untergeordnet werden kann und Art. 13bis LV eben nur die Stellvertretung und nicht die Regentschaft meint,[71] ist es ausgeschlossen, auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 5 Hausgesetz eine Regentschaft zwecks Stellvertretung des Landesfürsten in seiner Funktion als Staatsoberhaupt einzusetzen.[72] |
Wenigstens 1 500 Landesbürgern steht das Recht zu, gegen den Landesfürsten einen begründeten Misstrauensantrag einzubringen. Über diesen hat der Landtag in der nächsten Sitzung eine Empfehlung abzugeben und eine Volksabstimmung (Art. 66 Abs. 6) anzuordnen. Wird bei der Volksabstimmung der Misstrauensantrag angenommen, dann ist er dem Landesfürsten zur Behandlung nach dem Hausgesetz mitzuteilen. Die gemäss dem Hausgesetz getroffene Entscheidung wird dem Landtag durch den Landesfürsten innerhalb von sechs Monaten bekannt gegeben. Not less than 1,500 Liechtenstein citizens shall have the right to submit a reasoned motion of no-confidence against the Reigning Prince. Parliament shall issue a recommendation on such a motion at its next meeting and order a popular vote (article 66 paragraph 6). If the motion of no-confidence is adopted in the popular vote, it shall be communicated to the Reigning Prince for consideration according to the Law on the Princely House. Within six months, the Reigning Prince shall announce to Parliament the decision made in accordance with the Law on the Princely House. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteArt. 13ter LV ist Resultat der Verfassungsrevision 2003. Die Idee der Einführung eines Misstrauensantrags (damals gekoppelt mit einem darauf folgenden Verfahren zur Abschaffung der Monarchie) war von Landesfürst Hans-Adam II. allerdings bereits 1993 propagiert worden.[1] Im damaligen Verfassungsvorschlag des Landesfürsten war der Misstrauensantrag gegen den Fürsten ebenfalls als Art. 13ter vorgesehen.[2] Um eine von massgebenden politischen Kräften in Liechtenstein geäusserte Forderung oder eine in der öffentlichen Diskussion aufgeworfene Frage handelte es sich beim Instrument des Misstrauensantrags allerdings nicht. Freilich sollte auch nach den damaligen Vorstellungen das letzte Wort im Falle eines vom Volk angenommenen Misstrauensantrags das Fürstenhaus haben.[3] Im Hausgesetz vom 26. Oktober 1993 wurde mit Art. 16 über den Misstrauensantrag eine die spätere verfassungsrechtliche Regelung ausführende Bestimmung gleichsam vorweggenommen.[4] Die Regelung beanspruchte allerdings solange keine unmittelbare Anwendbarkeit, als der „nach der Verfassung zulässige Misstrauensantrag“, auf den sie sich bezog, in der Verfassung eben noch nicht verankert war.[5]Während die Regelung über den Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten in den ersten Verfassungsvorschlägen des Fürstenhauses[6] jeweils einem neuen Art. 112 LV, in dem auch die Abschaffung der Erbmonarchie geregelt werden sollte,[7] zugeordnet war, bildete sie in der Initiative des Fürstenhauses vom 2. August 2002, welche in der Volksabstimmung vom 16. März 2003 angenommen wurde, den neuen Art. 13ter LV. Den Erläuterungen zum ursprünglich geplanten Art. 112 LV ist zu entnehmen, dass die Regelung über den Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten es ermöglichen soll, im Fall eines „unüberbrückbaren Konfliktes zwischen Volk und Fürst“ auch eine weniger radikale Massnahme als die Abschaffung der Erbmonarchie zu wählen und „die Institution der Erbmonarchie von der Person des Fürsten zu trennen.“[8]II. Der Misstrauensantrag gegen den LandesfürstenA. Staatspolitische BedeutungEin Misstrauensantrag des Volkes gegen das Staatsoberhaupt ist nicht nur in Erbmonarchien einzigartig,[9] sondern auch in parlamentarischen Regierungssystemen, in welchen die Regierung vom Vertrauen des Parlaments und nicht des Volkes abhängig ist.[10] In der parlamentarischen Monarchie ist ein Misstrauensantrag gleich von welchem Organ systemwidrig, da es an einer persönlichen Politikbefugnis des Monarchen fehlt.[11]In Liechtenstein, wo der Landesfürst expliziter Träger von Staatsgewalt ist (Art. 2 LV) und über wichtige politische Befugnisse verfügt, welche er auch ausübt (z.B. das Sanktionsrecht von Gesetzen gemäss Art. 9 LV), wurde der Institution eines Misstrauensantrags attestiert, das demokratische Element grundsätzlich zu stärken.[12] Die konkrete Ausprägung der Regelung, die keine Vermittlung in diesem Konflikt vorsieht und die Letztentscheidung den stimmberechtigten Mitgliedern des Fürstlichen Hauses überlässt, verunmögliche dies jedoch.[13]Eine Staatspraxis gibt es zu dieser Bestimmung noch keine. Es wurde bisher weder ein Misstrauensantrag eingebracht noch in der Öffentlichkeit zur Unterstützung eines solchen aufgerufen. Die rechtliche Unverbindlichkeit des Instruments darf nicht darüber hinweg täuschen, dass ein Misstrauensantrag wohl zu einer politischen Spaltung des Landes führen würde, sofern sich der Fürst durch sein bisheriges Verhalten nicht bereits völlig delegitimiert hätte. Gerade die Auseinandersetzung im Vorfeld des Referendums wäre für einen monarchischen Staat besonders problematisch, da die Einigungskraft der Monarchie in Frage gestellt wäre bzw. bestehende Konfliktlagen auf die Spitze getrieben würden.[14] Es ist nämlich durchaus unsicher, ob im Konfliktfall – so führen es aber die Materialien aus – die Diskussion auf die Person beschränkt bliebe und nicht die Monarchie als solche betreffen würde. Unter diesen staatspolitischen Erwägungen wurde die Einführung des Misstrauensantrages gegenüber dem Landesfürsten von der Lehre überwiegend kritisch beurteilt. Kritisiert wurde insbesondere die fehlende Verbindlichkeit[15] (über den Misstrauensantrag entscheiden die stimmberechtigten Mitglieder der Fürstlichen Familie, siehe dazu die Ausführungen unter III.D.). Ein Verfahren, in dem nach Abstimmung aller Wahlberechtigten der Landesfürst die Möglichkeit habe, dennoch im Amt zu bleiben, widerspreche dem Art. 2 LV und seiner Verankerung der demokratischen und parlamentarischen Grundlage der Erbmonarchie.[16]Kritisiert wurde auch die mangelnde Anonymität der geforderten 1.500 Unterstützungen des Misstrauensantrags, die sich zwar von anderen Initiativen nicht grundsätzlich unterscheidet, aber bei einer ad personam gerichteten Initiative besonders problematisch ist.[17] Auch der Umstand, dass die Tatsache der Nichteinbringung eines Misstrauensantrags in der Praxis vom Landesfürsten dazu benutzt werden kann, sich auf eine bestehende Legitimation durch das Volk zu berufen, wurde kritisch betrachtet.[18]Dem steht gegenüber, dass das Instrument tatsächlich in Konfliktfällen eine Art „Notbremse“ sein kann. Ein massiv unterstütztes Misstrauensvotum würde wohl die Mitglieder des Fürstlichen Hauses veranlassen, im Interesse der Rettung der Erbmonarchie auf Absetzung oder zumindest Verwarnung[19] des Landesfürsten zu entscheiden. Eine andere Vorgangsweise würde vermutlich in eine Initiative zur Abschaffung der Monarchie (Art. 113 LV) münden. Gerade darin ist aber auch eine Schwäche zu sehen, da ein Verfahren zur Vermittlung konfligierender Standpunkte nämlich nicht stattfindet.[20]Insgesamt ist daher der Misstrauensantrag als ein Instrument zu qualifizieren, das dem Volk in einer krisenhaften Situation die Möglichkeit gibt, seine Ablehnung gegenüber dem Landesfürsten zu artikulieren. Die staatspolitischen Probleme, die die Bestimmung aufwirft, sind allerdings unübersehbar.B. Begründung des MisstrauensantragsDie Verfassung fordert einen begründeten Misstrauensantrag.[21] Welchen Anforderungen die Begründung genügen muss, geht aus der Verfassung nicht hervor. Die Verfassung selbst fordert eine „Begründung“ für die Initiative des Volkes sonst nur in Art. 48 Abs. 2 LV, wo die Einberufung der Landtages u.a. an das begründete schriftliche Verlangen von wenigstens 1.000 wahlberechtigten Landesbürgern geknüpft ist.[22]Man wird an die Begründung keine allzu hohen Anforderungen stellen dürfen, es muss aber jedenfalls aus dem Text hervorgehen, aus welchen Gründen die Initianten dem Landesfürsten das Misstrauen aussprechen. Ob die Begründung auf korrekten Annahmen beruht, ob sie dem Landesfürsten zu Recht oder Unrecht ein bestimmtes Verhalten unterstellt, ist rechtlich irrelevant und nicht justiziabel: Es reicht, dass der Misstrauensantrag erkennen lässt, weshalb die Initianten dem Landesfürsten misstrauen. Inwieweit die Mehrheit des Volkes deren Auffassung teilt, bleibt – falls die Initiative ausreichend Unterstützung findet und zur Abstimmung gelangt – dem Ergebnis der Abstimmung, überlassen. Dem Landesfürsten wiederum bleibt es anheimgestellt, ob und in welcher Weise er sich zur Initiative äussert. Da der Misstrauensantrag zwangsläufig gegen ihn persönlich gerichtet ist, wird man ihm zubilligen müssen, der vorgebrachten Kritik aus seiner Sicht entgegen zu treten. Er wird also von der vom Staatsgerichtshof vertretenen Auffassung, der Landesfürst müsse in seiner Amtsausübung, gerade vor Urnengängen, eine zurückhaltende Position einzunehmen, abgehen dürfen.[23]III. VerfahrenA. Die VolksinitiativeMit dem Verweis auf Art. 66 Abs. 6 LV wird angeordnet, dass sich das über den Misstrauensantrag einzuhaltende Verfahren nach den Regeln bestimmt, die für eine Gesetzesinitiative gelten, die vom Landtag abgelehnt wurde. Dies bedeutet, dass auf das Verfahren zur Einbringung und Behandlung des Misstrauensantrags die Bestimmungen des VRG über die Gesetzesinitiative zur Anwendung gelangen (Art. 80 ff. VRG).[24]Demnach ist der Misstrauensantrag gemäss Art. 80 Abs. 4 lit. a VRG bei der Regierung anzumelden. Im Falle eines formellen Mangels, etwa vonseiten der Initianten oder bei Fehlen einer Begründung, hätte die Regierung den Misstrauensantrag zurückzuweisen.[25]Die erforderlichen 1.500 Unterschriften von „Landesbürgern“ sind innerhalb einer Frist von sechs Wochen (vgl. Art. 80 Abs. 4 lit. b i.V.m. Art. 70 lit. b VRG) der Regierung zu Handen des Landtags vorzulegen.[26]Mit dem Begriff „Landesbürger“ sind die „Landesangehörigen“ (Art. 29 LV) gemeint, die Träger der staatsbürgerlichen Rechte sind.[27] Dies bedeutet, dass nur jene Personen einen Misstrauensantrag unterstützen dürfen, die über die liechtensteinische Staatsbürgerschaft verfügen.[28] Die Formulierung des Art. 13ter LV enthält weder ein Alterslimit noch eine Beschränkung auf Personen, die ihren Wohnsitz in Liechtenstein haben. Es kann indessen kein Zweifel bestehen, dass die Bestimmung an die allgemeine Regel des Art. 29 Abs. 2 LV anknüpft, wonach in Landesangelegenheiten die politischen Rechte allen Landesangehörigen zustehen, die das 18. Lebensjahr vollendet, im Lande ordentlichen Wohnsitz haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind.B. Die Rolle des LandtagsArt. 13ter LV erfordert im Weiteren, dass der Landtag in der nächsten Sitzung (nach Einbringung des Misstrauensantrags bei der Regierung zu Handen des Landtags) eine Empfehlung abzugeben und die Volksabstimmung anzuordnen hat. Dieses Verfahren unterscheidet sich insoweit vom sonstigen, für Volksinitiativen geltenden Verfahren, als dem Landtag keine Entscheidungsbefugnis zukommt.[29] Er hat lediglich den Misstrauensantrag zu behandeln und eine Empfehlung abzugeben. Der Landtag kann in dieser Äusserung den Misstrauensantrag unterstützen oder ablehnen und die für den jeweiligen Standpunkt sprechenden Gründe vorbringen. Hinsichtlich des Inhalts ist der Landtag somit völlig frei. Der Landtag darf sich jedoch nach dem Wortlaut der Verfassung („…hat der Landtag […] eine Empfehlung abzugeben“) der Positionierung nicht entziehen, sondern muss sich äussern. Die Verwendung des Begriffs „Empfehlung“ führt weiters zum Schluss, dass sich der Landtag dahingehend äussern muss, ob die Stimmberechtigten nach seiner Auffassung den Misstrauensantrag unterstützen oder ablehnen sollen.C. VolksabstimmungIn sinngemässer Anwendung des Art. 72 Abs. 1 VRG hat die Regierung spätestens innerhalb von 14 Tagen nach der Abgabe der Empfehlung des Landtages die Volksabstimmung anzuordnen, die innerhalb von drei Monaten durchzuführen ist.[30] In sinngemässer Anwendung des Art. 83 Abs. 1 VRG wird die Fragestellung zu lauten haben: „Wollt ihr den Misstrauensantrag annehmen?“ Die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses hat nach Massgabe des Art. 84 VRG zu erfolgen.D. Die Behandlung nach dem Hausgesetz1. Einlangen des MisstrauensantragsWird bei der Volksabstimmung der Misstrauensantrag angenommen, so ist er (der Misstrauensantrag) dem Landesfürsten zur Behandlung nach dem Hausgesetz[31] mitzuteilen (Art. 13ter dritter Satz LV). Diese Aufgabe kommt der Regierung zu. Eine andere Rechtsfolge ergibt sich vorerst nicht. Das Recht auf Ausübung der Staatsoberhauptsfunktionen des Landesfürsten endet nicht mit der Annahme des Misstrauensantrags durch das Volk.[32] Hingegen erlischt gemäss Art. 80 Abs. 1 LV für die Regierung die Befugnis zur Ausübung des Amtes, wenn sie das Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages verliert. Der Landesfürst kann bis zur Entscheidung der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses seine Funktionen ungehindert ausüben.2. Einleitung des VerfahrensDer mit einem vom Volk angenommenen Misstrauensantrag konfrontierte Landesfürst hat nun das weitere Verfahren einzuleiten, denn er ist der Vorsitzende des nach Art. 16 Abs. 1 lit. a Hausgesetz entscheidungsberechtigten Organs, der stimmberechtigten (also männlichen) Mitglieder des Fürstlichen Hauses (vgl. Art. 9 Abs. 5 Hausgesetz).[33] An dieser Vorsitzendeneigenschaft ändert auch nichts, dass der Landesfürst ein Verfahren in eigener Sache führen muss. Der Landesfürst ist, wie sich aus Art. 9 Abs. 6 Hausgesetz ergibt („Bei Abstimmungen, welche die Person oder die persönliche Rechtssphäre eines Familienmitgliedes unmittelbar betreffen, ist dieses Familienmitglied von der Ausübung des Stimmrechtes ausgeschlossen. Dies gilt auch für den Fürsten unbeschadet seiner Vorsitzendeneigenschaft“), lediglich von der Ausübung des Stimmrechts ausgeschlossen. Das Hausgesetz bietet hinsichtlich des weiteren Verfahrens gemäss Art. 16 Abs. 1 bemerkenswerterweise zwei Varianten an, nämlich eine Erledigung nach Art. 14 (sinngemässe Anwendung der Bestimmungen über disziplinäre Massnahmen gegen den Fürsten) oder Art. 15 (Amtsenthebung und Entmündigung des Fürsten).[34]Die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses werden das Verfahren nach Art. 14 zu wählen haben, wenn das Volk dem Landesfürsten das Misstrauen auf Grund eines Verhaltens ausgesprochen hat, das nicht mit einem schweren körperlichen oder seelischen Leiden In Verbindung steht. Das Verfahren gemäss Art. 15 gelangt hingegen zur Anwendung, wenn das Misstrauen auf Grund eines körperlichen oder seelischen Leiden des Landesfürsten ausgesprochen wurde. Welches Verfahren gewählt wird, hängt nicht zuletzt vom Landesfürsten selbst als Vorsitzendem der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses ab.[35] Ob und wie die übrigen Angehörigen des Organs ihre Meinung gegebenenfalls gegen jene des Fürsten artikulieren und auch durchsetzen können, lässt das Hausgesetz offen. Man wird davon ausgehen müssen, dass die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses auch verfahrensleitende Entscheidungen[36] treffen können (mit der erforderlichen absoluten Mehrheit gemäss Art. 9 Abs. 5 Hausgesetz).[37]Dass dies zu einer geradezu paradoxen Situation führen kann, indem der Fürst ein Verfahren führt, in dem es um die Frage geht, ob er auf Grund eines schweren körperlichen oder seelischen Leidens unfähig ist, seine Funktionen auszuüben, liegt auf der Hand. Im Verfahren nach Art. 15 Hausgesetz wäre es in dem Fall, dass der Fürst das gegen ihn gerichtete Verfahren durch Inaktivität hemmt, möglich, durch Bestellung eines Regenten oder Stellvertreters gemäss Art. 15 Abs. 3 Hausgesetz Abhilfe zu schaffen. Der Regent bzw. Stellvertreter hätte dann an Stelle des Fürsten das Verfahren zu leiten. Im Verfahren unter sinngemässer Anwendung des Art. 14 Hausgesetz besteht eine derartige Möglichkeit hingegen nicht. Dies bedeutet, dass in diesem Fall der Fürst durch blosse Inaktivität das Verstreichen der Entscheidungsfrist gemäss Art. 16 Abs. 1 lit. b Hausgesetz herbeiführen könnte. Dies würde die Ablehnung des Misstrauensantrags bedeuten. Auch wenn beide Verfahren letztlich in der Entscheidung münden, ob der Landesfürst seines Amtes enthoben wird oder nicht, so ist die Vorgehensweise doch eine unterschiedliche: Bei sinngemässer Anwendung der Regelungen über das Disziplinarverfahren (Art. 14 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 Hausgesetz) ist dem Fürsten zunächst Gelegenheit zu geben, sich schriftlich zu den ihm zur Last gelegten Vorwürfen zu äussern. Dies kann auf den Misstrauensantrag umgelegt nur bedeuten, dass er sich zu den Gründen, die im Misstrauensantrag angeführt sind, äussern darf. Der Fürst kann demnach auch, soweit erforderlich, die Amtshilfe der Regierung und die Rechtshilfe des Gerichtes in Anspruch nehmen.[38]Wird hingegen das Verfahren in sinngemässer Anwendung des Art. 15 Abs. 1 Hausgesetz durchgeführt, so hätten die Mitglieder des Fürstlichen Hauses (dem Familienrat käme gemäss Art. 16 Abs. 1 lit. a Hausgesetz ein Antragsrecht zu, das er binnen zwei Monaten bei sonstigem Verlust auszuüben hat)[39] gemäss Art. 15 Abs. 1 den Fürsten „nach sorgfältiger Klärung des Sachverhaltes“ zum Thronverzicht aufzufordern. Der Landesfürst hätte jedoch die Möglichkeit, sich innerhalb angemessener Frist zu äussern, es sei denn, der Versuch einer Kontaktnahme mit dem Fürsten erschiene von vornherein als aussichtslos (Art. 15 Abs. 2 Hausgesetz).3. Entscheidung über den MisstrauensantragIm Anschluss auf diese oder gegebenenfalls weitere Anhörungen gemäss Art. 14 oder 15 Hausgesetz hätten die Mitglieder des Fürstlichen Hauses innerhalb von sechs Monaten eine Entscheidung über die Absetzung zu treffen. Bei Fristüberschreitung gilt der Misstrauensantrag ohne Weiteres als abgelehnt (Art. 16 Abs. 1 lit. b) Hausgesetz). Im Sinne des Art. 9 Abs. 5 Hausgesetz hat die Annahme eines Antrags, der gegen den Fürsten gerichtet ist, mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstenhauses zu erfolgen. Nach dieser Bestimmung erfolgt die Abstimmung ausserdem in der Regel auf der Grundlage einer den Stimmberechtigten gegebenen Sachverhaltsdarstellung samt Fragekatalog auf schriftlichem Weg mittels Stimmzetteln geheim und im Zirkularweg. Dazu ist allerdings festzuhalten, dass gerade eine Abstimmung im Zirkularweg die Geheimhaltung des Abstimmungsvorgangs nicht gewährleisten kann. Das Hausgesetz lässt die nähere Form wie die Abstimmung im Zirkularweg erfolgen soll, im Übrigen offen. Die Formulierung, dass die Abstimmung schriftlich mit Stimmzetteln erfolgen soll, würde eine Entscheidung im Rahmen einer Sitzung, Telefon- oder Skypekonferenz jedenfalls ausschliessen. Die Formulierung „in der Regel“ eröffnet allerdings Spielraum für eine Abweichung im Einzelfall, ohne dass klar ist, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmass von diesen Grundsätzen abgewichen werden darf. Man wird wohl davon ausgehen müssen, dass eine solche Abweichung nur bei Vorliegen sachlicher Gründe erfolgen darf. Stimmenthaltungen sind entsprechend Art. 9 Abs. 5 Hausgesetz zulässig, die Bestimmung wird aber so zu interpretieren sein, dass der Antrag jedenfalls einer Zustimmung von zwei Dritteln der insgesamt Stimmberechtigten[40] bedarf, sodass die Stimmenthaltung de facto eine Ablehnung des Antrags bedeutet. Der Umstand, dass die Entscheidung von den stimmberechtigten Mitgliedern des Fürstenhauses zu treffen ist, hat zur Konsequenz, dass mitunter auch Personen stimmberechtigt sein können, die nicht nur keinen Wohnsitz in Liechtenstein besitzen, sondern auch zum Fürsten wenig persönlichen Kontakt haben. Art. 9 Abs. 5 Hausgesetz wirft ausserdem die Frage auf, über welchen Antrag überhaupt abgestimmt wird. Der Wortlaut „Misstrauensantrag gegen den Fürsten“ (Art. 16 Hausgesetz) lässt darauf schliessen, dass es eben der Misstrauensantrag ist, über den abgestimmt wird und nicht etwa der Antrag eines stimmberechtigten Mitgliedes des Fürstlichen Hauses, den Misstrauensantrag abzulehnen (der dann konsequenterweise ebenfalls einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmberechtigten bedürfte, was wiederum zumindest bis zur Fristverstreichung von sechs Monaten zu einer Situation führen könnte, in welcher es keine Entscheidung gibt). Die Fragestellung hätte im Fall des Vorgehens nach Art. 14 Hausgesetz wohl zu lauten: „Soll eine disziplinäre Massnahme gegen den Fürsten ergriffen werden? Wenn ja, Verwarnung oder Absetzung? Wird nach Art. 15 Hausgesetz vorgegangen, müsste die Frage gestellt werden, ob eine Amtsenthebung infolge eines schweren körperlichen oder seelischen Leidens erfolgen soll. Über den Zeitpunkt, wann der Fristenlauf beginnt, trifft das Hausgesetz keine Aussage, es ist wohl anzunehmen, dass dieser mit dem Einlangen der in Art. 13ter dritter Satz LV vorgesehenen Mitteilung beginnt. Die Frist von sechs Monaten ist gemäss Art. 16 Abs. 1 lit. b) Hausgesetz nur gewahrt, wenn auch die Verständigung über die getroffene Entscheidung innerhalb bei dem nach der Verfassung berufenen Organ, das ist gemäss Art. 13ter dritter Satz LV der Landtag, einlangt. In staatsorganisatorischer Hinsicht ist festzuhalten, dass auf Grund der Verweisung des Art. 13ter LV auf das Hausgesetz das zuständige Entscheidungsorgan, das sind die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses, zu einem quasi-Verfassungsorgan wird.[41] Auf die Problematik, die sich daraus ergibt, dass die Mitglieder des Fürstlichen Hauses nicht alle namentlich bekannt sind[42] und dass somit der Landtag keine Gewissheit hat, wer die ihm mitgeteilte Entscheidung getroffen hat und ob sie rechtmässig zustande gekommen ist, ist hinzuweisen.[43]4. Mitteilung der getroffenen Entscheidung oder sonstigen ErledigungDie getroffene Entscheidung oder sonstige Erledigung ist mit der erforderlichen Begründung dem nach der Verfassung berufenen Organ des liechtensteinischen Volkes ungesäumt zur Kenntnis zu bringen (Art. 16 Abs. 2 Hausgesetz). Das nach der Verfassung berufene Organ des liechtensteinischen Volkes ist der Landtag (Art. 13ter letzter Satz LV). Eine „sonstige Erledigung“ würde wohl dann vorliegen, wenn die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses die Entscheidungsfrist versäumt hätten und deshalb der Misstrauensantrag als abgelehnt gelten würde. Denkbar wäre aber auch, dass der Fürst von sich aus auf den Thron verzichten würde, sodass die Fortsetzung des Verfahrens obsolet würde. Das Ausmass der „erforderlichen Begründung“ der Entscheidung oder sonstigen Erledigung, die im Übrigen nicht in der Verfassung, sondern lediglich im Hausgesetz verankert ist, wird stark von der Konstellation des Falles abhängen und ist nicht justiziabel.IV. Rechtsfolgen einer Absetzung des LandesfürstenEntscheiden die stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses, dem Misstrauensantrag nicht zu entsprechen, sei es durch ausdrückliche Entscheidung oder durch Verstreichenlassen der Frist gemäss Art. 16 Abs. 1 lit. b Hausgesetz, verbleibt der Landesfürst in seinem Amt. Ein neuerlicher Misstrauensantrag könnte allerdings jeder Zeit eingebracht werden. Wird auf die Amtsenthebung entschieden, so gelangen die Thronfolgeregelungen zur Anwendung (Art. 12 Hausgesetz). Allerdings bestimmt Art. 17 Abs. 2 Hausgesetz, dass im Falle einer Absetzung (Art. 14) oder Amtsenthebung (Art. 15) des Fürsten, welche ja bei der Entscheidung über einen Misstrauensantrag als Alternativen zur Verfügung stehen, die Rechte und Pflichten bis zum Eintritt der Thronfolge von einem Regenten auszuüben wären. Die Regentschaft würde solange dauern, bis der Erbprinz die Erklärung gemäss Art. 13 LV abgibt, was freilich im Falle seiner Minderjährigkeit eine beträchtliche Zeitspanne bedeuten könnte. Wird auf eine Verwarnung entschieden (Art. 14 Abs. 2 lit. c Hausgesetz), kann der Landesfürst seine Hoheitsrechte weiterhin ohne Beeinträchtigung ausüben. Er wird jedoch das gerügte Verhalten entsprechend zu ändern haben. Die Entscheidung ist nicht reversibel. Nach der Thronfolgeordnung des Hausgesetzes ist es auch ausgeschlossen, dass der einmal abgesetzte Fürst in irgendeiner Weise nochmals Thronfolger werden könnte. Eine vom Hausgesetz nicht geklärte Frage ist, welche Rechtsfolgen damit verbunden sind, wenn das Verfahren nach dem Hausgesetz mangelhaft war, sei es, dass an sich stimmberechtigte Mitglieder nicht beigezogen wurden oder umgekehrt, nicht stimmberechtigte Mitglieder mitentschieden haben oder die Abstimmung mit schweren Mängeln behaftet war. Man wird davon auszugehen haben, dass eine unter Ausserachtlassung des Hausgesetzes und elementarer Prinzipien eines solchen Verfahrens erfolgte Absetzung oder Amtsenthebung des Landesfürsten mangels einer gerichtlichen Überprüfungskompetenz des Vorganges eine absolute Nichtigkeit des Aktes bewirkt. Dies bedeutet, dass ein solcherart fehlerhaft abgesetzter Landesfürst weiterhin im Amt bliebe und der Erbprinz keine berechtigten Ansprüche auf den Thron geltend machen könnte, ebenso wenig, wie er verfassungskonform Hoheitsakte setzen könnte. Dass mit einer solchen Situation eine ernsthafte Staatskrise verbunden wäre, liegt auf der Hand und unterstreicht die Problematik des bestehenden Regelungskomplexes von Art. 13ter LV und den einschlägigen Bestimmungen des Hausgesetzes. |
Die oberste Aufgabe des Staates ist die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechtes und für den Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes. The highest responsibility of the State shall be to promote the overall welfare of the People. For this purpose, the State shall be responsible for establishing and safeguarding law and for protecting the religious, moral and economic interests of the People. Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteDas Wohl des Volkes und die Wohlfahrt fanden schon in früheren Verfassungstexten Erwähnung.[1] Insofern wurde mit Art. 14 LV nichts gänzlich Neues geschaffen. Wilhelm Beck stellte in seinem Entwurf vom Januar 1919 Art. 4 dem II. Hauptstück über die Staatsaufgaben voran. Er lautete: „Der Staat setzt sich zur Aufgabe die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt, die Schaffung und Wahrung des Rechts und Schutz der religiösen, wirtschaftlichen und sittlichen Volksinteressen.“ Seine definitive Formulierung fand der nunmehr zu § 14 RV gewordene Artikel im Regierungsentwurf Peer. Elegant nutzte Josef Peer – indem er die Förderung der Wohlfahrt als „oberste Aufgabe“ bezeichnete – § 14 RV noch besser als Beck für die Einleitung in das Hauptstück über die Staatsaufgaben. § 14 RV wurde ohne jegliche Diskussion im Landtag zu Art. 14 LV und ist seit 1921 unverändert in Kraft.Als Vorbild für den Entwurf von Beck diente offenbar die Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890. Sie wurde mit dem Abschnitt „Aufgaben des Staates“ eingeleitet. Art. 1 KV Kanton SG 1890 lautete: „Der Staat setzt sich zur Aufgabe die Förderung der gesamten Volkswirtschaft.“ Für den zweiten Satz von Art. 14 LV findet sich hingegen soweit ersichtlich keine Vorlage.Die Regierungsvorlage von Josef Peer unterschied sich vom Entwurf von Wilhelm Beck darin, dass sie die Förderung der Wohlfahrt als „oberste Aufgabe“ bezeichnete und „Schaffung und Wahrung des Rechtes“ sowie Schutz der „Interessen des Volkes“ als sich daraus ableitende Aufgaben nannte. M.E. erfolgte dadurch keine Herabstufung dieser beiden Ziele, sondern vielmehr eine Aufwertung. Indem sie nicht wie bei Beck nach der Förderung der Wohlfahrt als weitere Aufgaben genannt werden, denen dann die übrigen in Art. 15 ff. LV aufgezählten Aufgaben folgen, sondern unmittelbar in Beziehung gesetzt werden zur obersten Aufgabe, wird ihre besondere Bedeutung hervorgehoben.Am 25./27. November 2005 wurde über das ausformulierte Initiativbegehren „Für das Leben“ und über den Gegenvorschlag des Landtags abgestimmt. Der Gegenvorschlag wurde angenommen, das Initiativbegehren abgelehnt.[2] Mit dem Gegenvorschlag gelangten Art. 27bis LV und Art. 27ter LV in die Verfassung.[3] Das Initiativbegehren hätte demgegenüber eine Änderung von Art. 14 LV zur Folge gehabt. Art. 14 LV hätte neu lauten sollen:[4] „Die oberste Aufgabe des Staates ist der Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod sowie die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechtes und für den Schutz sowohl der Menschenwürde als auch der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes.“Die Initiative wurde im Landtag abgelehnt. Die Abgeordneten fanden es sinnvoller, für die einzelnen Fragen zu Lebensbeginn und -ende sowie zur medizinischen Forschung im Gesetz adäquate Lösungen zu treffen. Lediglich eine Abgeordnete sprach sich aus systematischen Überlegungen für das Initiativbegehren aus. Sie argumentierte damit, dass die Verankerung des Schutzes der Menschenwürde bei den Staatsaufgaben der Regierung einen klaren Handlungsauftrag erteile.[5] Der ihr folgende Redner wies wohl deshalb darauf hin, dass der Schutz des Lebens den Grundrechten zuzuordnen und deshalb im IV. Hauptstück besser aufgehoben sei.[6] Dass die Initiative eine zweite oberste Aufgabe statuieren wollte und welche Konsequenzen dies gehabt hätte, wurde von den Abgeordneten nicht erläutert. Weil keine weiteren Ausführungen zum Charakter der Staatsaufgaben erfolgten und sich kein Abgeordneter zum Text von Art. 14 LV äusserte, können aus der Diskussion über das Initiativbegehren „Für das Leben“ für die Auslegung von Art. 14 LV keine Schlüsse gezogen werden.II. Art. 14 LV ist keine KompetenznormBei Art. 14 LV handelt es sich wie bei Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV um einen Zweckartikel[7] respektive gemäss österreichischer Terminologie um eine Staatszielbestimmung[8]. Die Frage, ob die Zweckartikel[9] als Kompetenznormen dienen dürfen, wäre falsch gestellt. Liechtenstein ist ein Einheitsstaat.[10] Darum müssen hier – anders als im Bundesstaat[11] – Kompetenzen nicht dem Land oder den Gliedstaaten zugewiesen werden. Es gibt keine Gliedstaaten. Wie zu Art. 110 LV ausgeführt,[12] liegen die Kompetenzen beim Land und nicht bei den Gemeinden. Die Gemeinden sind nur soweit autonom, als ihnen das Landesrecht Raum lässt.[13] Insofern bedarf es für das Verhältnis Land – Gemeinden keiner Kompetenzzuweisung. Allerdings darf das Land in den Bereichen, welche die Verfassung als Aufgabe der Gemeinden erwähnt (wie in Art. 25 LV das öffentliche Armenwesen), nicht sämtliche Kompetenzen an sich ziehen. Wenn nun Art. 14 LV die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt als oberste Aufgabe des Staates[14] bezeichnet und das III. Hauptstück eine Liste von Staatsaufgaben enthält, überlagern sie die Regelungen des X. Hauptstückes nicht. Die in Art. 25 LV und Art. 110 LV vorgenommene Zuweisung von Aufgaben an die Gemeinden bleibt unverändert.Eine andere Frage ist, ob das Land unmittelbar gestützt auf Art. 14 LV, also ohne gesetzliche Grundlage, aber mit der Begründung, die anvisierten Massnahmen dienten der gesamten Volkswohlfahrt, eine Aufgabe an sich ziehen darf. Um ein Beispiel zu nennen: Dürfte das Land die Mittagsverpflegung aller Schulkinder im Schulhaus für zwingend erklären mit der Begründung, eine ausgewogene, auf die Erfordernisse der Beanspruchung durch die Schule abgestimmte Ernährung im Kreis der Schulkameraden und mit Betreuung von Fachpersonen fördere die schulischen Leistungen der Kinder, was ihrer Entfaltung diene und dem Wirtschaftsstandort Liechtenstein zugutekomme?Die Antwort lautet „nein“. Art. 14 LV kann als offen formulierter Zweckartikel nicht als unmittelbare Grundlage für Eingriffe in die Positionen Einzelner dienen.[15] Für solche Eingriffe in die Rechte von Eltern und Kindern braucht es eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage. Die Umsetzung des Ziels, Schulkindern mittels optimaler Ernährung und Betreuung schulischen Erfolg zu ermöglichen, bedürfte deshalb der konkreten Umsetzung durch den Gesetzgeber. VGH 2007/024, Erw. 13 führte aus: „Gemäss Art. 14 LV ist die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt die oberste Aufgabe des Staates. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechts und für den Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes. Art. 14 LV beinhaltet lediglich eine Ziel- und Zweckbestimmung, die für die Gestaltung des staatlichen Tuns massgebend sein soll, ohne dass dabei aber Mittel, Verfahren und Organe bezeichnet werden. Art. 14 LV bezieht sich auf die gesamte staatliche Aktivität und drückt die generelle Grundeinstellung des Staates aus, d.h. dieser Wohlfahrtsartikel setzt Richtpunkte für das Verhalten aller staatlichen Behörden, (…) bedürfen doch solche Verfassungsbestimmungen, die einen programmatischen Gehalt haben, zusätzlich der weiteren Konkretisierung durch den Gesetzgeber (…).“Der Gesetzgeber darf sich eines Themenbereiches auch dann annehmen, wenn dieser in der Verfassung nicht ausdrücklich genannt wird.[16] Der liechtensteinische Gesetzgeber ist deshalb nicht verpflichtet, für jedes einzelne Gesetz und damit für jedes einzelne Thema, das er einer Regelung zuführt, explizit eine Grundlage in der Verfassung zu nennen. Er ist deshalb nicht gezwungen, sich auf Art. 14 LV zu stützen und auf die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt Bezug zu nehmen, wenn sich keine spezifischere Verfassungsnorm für den betreffenden Themenbereich, den er regeln möchte, findet.III. Art. 14 LV begründet keine subjektiven RechteAus Art. 14 LV können keine individuellen Rechte und Ansprüche abgeleitet werden.[17] Art. 14 LV statuiert kein verfassungsmässig gewährleistetes Recht, das die Individualbeschwerde an den StGH eröffnen würde. Vielmehr formuliert Art. 14 LV den Staatszweck. Es geht demnach um institutionelle Aspekte, nicht um individuelle. Art. 14 LV auferlegt dem Staat jedoch keine so klar umrissenen Aufgaben, dass gestützt auf ihn einzelne Pflichten abgeleitet werden können, denen er nachkommen muss. Insofern verpflichtet Art. 14 LV den Gesetzgeber auch nicht zum Erlass bestimmter Gesetze mit klar vorgegebenem Inhalt.[18]Zu Art. 20 LV, der enger abgefasst ist als Art. 14 LV und präziser erkennen lässt, in welchen Bereichen der Staat aktiv werden muss, führte StGH 2011/81, Erw. 3 aus: „Der von den Beschwerdeführern angerufene Art. 20 LV beinhaltet kein verfassungsmässig gewährleistetes Recht, sondern enthält die Kompetenz des Landes zur Förderung und Unterstützung von Land- und Alpwirtschaft, Gewerbe und Industrie. Eine Berufung auf diese Bestimmung ist im Rahmen einer Individualbeschwerde gemäss Art. 15 Abs. 1 StGHG nicht möglich, da sie dem Einzelnen kein subjektives Recht einräumt bzw. keine individualschützende Funktion hat (vgl. Höfling, Die Verfassungsbeschwerde, S. 114 f.). Sie hat vielmehr eine Staatsaufgabe zum Gegenstand (so die Überschrift des III. Hauptstückes). Ein Förder- oder Schutzanspruch lässt sich daraus nicht ableiten.“IV. Förderung der VolkswohlfahrtA. Der Begriff „gesamte Volkswohlfahrt“Wie die verschiedenen, den Begriff „Wohl“ enthaltenden Wendungen in der Konstitutionellen Verfassung[19] und den noch älteren Texten[20] zeigen, bestand 1921 keine gefestigte Vorstellung über den Inhalt des Begriffs „Volkswohlfahrt“. Die inhaltlichen Konturen von „Wohl“ und „Wohlfahrt“ waren nicht scharf gezeichnet. Monnier notierte (bezogen auf Art. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung von 1848, der bei der Totalrevision von 1874 unverändert blieb und als Zweck die „Beförderung“ der „gemeinsamen Wohlfahrt“ der Eidgenossen nannte), dass dem Begriff „Wohlfahrt“ eine Bezugnahme auf die Gemeinschaft innewohnte.[21] Für die Zeit nach 1798 stellte er fest, dass (nicht zuletzt wegen der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung in der Schweiz) mit dem Begriff „Wohlfahrt“ nun stärker das einzelne Individuum anvisiert wurde.Für Liechtenstein scheint ein solcher mehr das individuelle Wohlergehen betonende Bedeutungswandel nicht überzeugend,[22] nicht zuletzt weil Art. 14 LV ausdrücklich von „Volkswohlfahrt“ spricht und ihr das Adjektiv „gesamte“ beifügt. Im III. Hauptstück finden sich nicht nur Bestimmungen, die Einzelnen Vorteile bringen (wie die Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts gemäss Art. 16 Abs. 3 LV oder die Errichtung von Sozialversicherungen gemäss Art. 26 LV), sondern auch viele, die dem Einzelnen höchstens indirekt Vorteile bringen (z.B. indem gestützt auf Art. 24 Abs. 1 LV ein gerechtes Steuersystem implementiert wird oder Hoheitsrechte normiert werden). Überdies erwähnt auch Art. 10 Abs. 1 LV im Zusammenhang mit dem Notstandsrecht „die Sicherheit und Wohlfahrt des Staates“ als Ziele. „Volkswohlfahrt“ darf deshalb nicht gleichgesetzt werden mit finanziellen Vorteilen für den Einzelnen[23] oder Leistungen, von denen nur eine „beschränkte Anzahl von Personen“ profitieren können.[24] Vielmehr verdeutlicht das Adjektiv „gesamte“, dass nicht einzelne Personen, Berufsgruppen, Schichten oder Regionen günstige Bedingungen oder handfeste materielle Vorteile erhalten sollen, sondern dass das Wohlergehen aller anzustreben ist.[25] Würde hierbei einzig an wirtschaftliche Interessen gedacht, müssten diese im zweiten Satz nicht wiederholt werden. Auch durch die explizite Erwähnung der religiösen und sittlichen Interessen wird klargestellt, dass es nicht allein um finanzielle Belange gehen kann, sondern um das, was heutzutage Gemeinwohl genannt wird.[26] Es muss an anderen Kriterien gemessen werden als an den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen. Als Kriterien bieten sich z.B. gesunde Wohnverhältnisse, eine intakte Umwelt, Erwerbsmöglichkeiten, der Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung sowie kulturelle Angebote und die Möglichkeit, Beziehungen zu pflegen und über die Gestaltung des engeren Umfeldes mitzuwirken, an. Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Steuern sagte BGE 133 I 206 E. 7.4 S. 220: „In der Förderung der gemeinsamen Wohlfahrt gemäss Art. 2 Abs. 2 BV kommt der Sozialstaatsgedanke und die soziale Verantwortung des Gemeinwesens zum Ausdruck (…[27]).[28] Grundvoraussetzung für die persönliche und wirtschaftliche Entfaltung des Individuums ist Solidarität zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten, Altersgruppen usw.“ Dieser soziale Gedanke wohnt auch Art. 14 LV inne. Welche Aspekte wie stark gewichtet werden und was damit als Gemeinwohl angesehen wird, unterliegt der Verantwortung der politischen Entscheidungsträger. Sie haben hierbei einen grossen Spielraum.B. Der Begriff „Förderung“ der VolkswohlfahrtDas Verb „fördern“ und entsprechend das Substantiv „Förderung“ bezeichnen (da Förderung auf sehr unterschiedliche Art und Weise geschehen kann) nicht so sehr eine konkrete Tätigkeit, als dass sie ein Ziel vorgeben: Was gefördert worden ist, präsentiert sich nach einer gewissen Zeit als besser, grösser, schöner, effizienter etc. Kann keine Veränderung gegenüber vorher festgestellt werden, stellen die ergriffenen Massnahmen keine Förderung dar. Deshalb hat der Staat seine Aufgabe nicht bereits dann erfüllt, wenn er in irgendeiner Weise tätig wird. Vielmehr muss er Massnahmen treffen, von denen zu erwarten ist, dass sie zur Erreichung des Ziels führen. Ihr Erfolg ist regelmässig zu überprüfen.Diese Zielgerichtetheit findet sich in Art. 14 LV („Förderung der gesamten Volkswohlfahrt“) und in Art. 20 Abs. 1 LV („Hebung der Erwerbsfähigkeit“ und „Pflege seiner wirtschaftlichen Interessen“). Den beiden Verfassungsartikeln ist gemeinsam, dass der Bereich, in dem die Verbesserung eintreten soll, weit gefasst ist und die Erreichung des Ziels nicht durch das Messen eines einzigen Parameters festgestellt werden kann. Immerhin aber führt Art. 20 Abs. 1 LV aus, in welchen Bereichen (Land- und Alpwirtschaft, Gewerbe und Industrie) die Verbesserung erreicht werden soll. Art. 14 LV ist demgegenüber viel offener.C. Hervorgehobene Stellung von Art. 14 LVArt. 14 LV hebt sich insofern von den anderen Bestimmungen des III. Hauptstückes ab, als er nicht irgendeine Aufgabe näher umschreibt, sondern die „oberste“.Art. 15 LV nennt konkrete Ziele (religiös-sittliche Bildung der Jugend, Verinnerlichen einer vaterländischen Gesinnung und Vorbereitung auf die künftige berufliche Tätigkeit). Es handelt sich dabei um Ziele, die durch das Erziehungs- und Bildungswesen erreicht werden sollen. Hier ist der Kreis der Adressaten und des Bereiches, in dem das Ziel erreicht werden soll, viel enger gefasst als bei der Förderung der Volkswohlfahrt, die weder einem einzigen Akteur aufgetragen noch einem bestimmten Tätigkeitsbereich zugeordnet wird. Enge Ziele finden sich mit der Besserung von Trinkern und arbeitsscheuen Personen auch in Art. 18 LV, mit der gerechten Besteuerung, Hebung der finanziellen Lage des Staates, Erschliessung neuer Einnahmequellen in Art. 24 LV und in Art. 27 LV mit dem effizienten Verfahren.[29]Im Vergleich mit diesen Bestimmungen und den übrigen Verfassungsartikeln, in denen das Verb „fördern“ (meist in Zusammenhang mit dem Verb „unterstützen“) genannt wird, kommt Art. 14 LV nicht nur wegen der Erwähnung der „obersten Aufgabe“ eine besondere Bedeutung zu, sondern auch aufgrund der offenen Umschreibung, die sich nicht auf einzelne (Wirtschafts-)Bereiche erstreckt, sondern eine allgemeine Richtschnur vorgibt.[30] Anstatt von oberster Aufgabe zu sprechen, erscheint es deshalb sinnvoll, die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt als Staatsziel oder Staatszweck zu bezeichnen.[31]D. Verhältnis von Art. 14 LV zu Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LVNeben Art. 14 LV nennt seit der Verfassungsrevision von 2003 auch Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV einen Staatszweck. Er lautet: „Das Fürstentum Liechtenstein soll den innerhalb seiner Grenzen lebenden Menschen dazu dienen, in Freiheit und Frieden miteinander leben zu können.“ Art. 14 LV und Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV sind die einzigen Bestimmungen, welche sich nicht zur Staatsform respektive zu den Staatsorganen äussern, keine konkreten Aufgaben zuweisen oder Grundrechte gewährleisten, sondern Antwort auf die Frage geben, was das Ziel der staatlichen Ordnung ist, wozu sich Liechtenstein inhaltlich verpflichtet fühlt.[32] Man könnte es auch so formulieren: Die liechtensteinische Verfassung gibt die Ziele Freiheit und Friede für alle im Land Wohnenden, Wohlfahrt für das gesamte Volk, Recht, Schutz der religiösen und sittlichen Interessen sowie Befriedigung der wirtschaftlichen Interessen vor. An diesen Zielen ist das gesamte staatliche Handeln zu messen. An ihnen hat sich die Auslegung zu orientieren.[33]Die in Art. 14 LV und Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV genannten Ziele ergänzen sich und bedingen sich ein Stück weit gegenseitig.[34] Eine beständige Rechtsordnung und eine erfolgreiche Wirtschaft fördern das friedliche Zusammenleben, zugleich wirkt sich eine freiheitliche Ordnung, in der die Menschen friedlich zusammenleben, positiv auf die Wirtschaft aus. Insofern ist auch die Frage müssig, ob dem einen oder anderen Zweckartikel mehr Bedeutung zukommt.E. Verhältnis vom ersten zum zweiten Satz von Art. 14 LVDie Formulierung „in diesem Sinne“ schafft eine Verbindung zwischen dem Zweck „Förderung der gesamten Volkswohlfahrt“ und den im zweiten Satz genannten Aspekten Schaffung und Wahrung des Rechts und Schutz der Interessen des Volkes. Dies ist so zu verstehen, dass mit der Konzentration auf Gesetzgebung, Durchsetzung des Rechts und Massnahmen zum Schutz der genannten Bedürfnisse die Wohlfahrt gefördert wird. Mit einer solchen Auslegung, die den zweiten Satz als Ergänzung und Präzisierung des ersten Satzes auffasst, gewinnt dieser Konturen.F. Programmatischer Charakter von Art. 14 LVBei Art. 14 LV handelt es sich um eine programmatische Bestimmung,[35] aus der keine individuellen Ansprüche abgeleitet werden können.[36] Im Gegenzug verpflichtet Art. 14 LV auch nicht ein bestimmtes Organ. Vielmehr braucht es zum Erreichen des Gemeinwohls Anstrengungen verschiedener Organe (Gesetzgeber, Amtsstellen, Schulen, öffentlich-rechtliche Unternehmen etc.).[37] Die „gesamte Staatstätigkeit“ ist auf diese Ziele auszurichten.[38] Oder wie es bereits VBI 1994/11, Erw. 2.c (= LES 1994, 122 [125]) ausführte: „Art 14 LV bezieht sich auf die gesamte staatliche Aktivität und drückt die generelle Grundeinstellung des Staates aus. Dieser Wohlfahrtsartikel setzt Richtpunkte für das Verhalten aller staatlichen Behörden.“ Insofern kommt Art. 14 LV durchaus eine normative Bedeutung zu.Wie sich aus der in Art. 25 LV verwendeten Terminologie ergibt, ist mit „Staat“ das Land gemeint. Das Land würde seiner Verpflichtung nicht nachkommen, wenn es zulassen würde, dass eine Gemeinde seine Bemühungen torpediert, z.B. indem sie nur für ihre Einwohner wirtschaftliche oder sonstige Vorteile zulasten anderer Teile Liechtensteins zu erlangen versuchen würde oder aus finanziellen Erwägungen Teile ihre Einwohner unter unwürdigen Bedingungen dahinvegetieren liesse. Art. 14 LV verpflichtet die Gemeinden jedoch nicht unmittelbar, selber aktiv zu werden oder Aktivitäten des Landes zu unterstützen.[39]Was Bussjäger zu Art. 1 LV ausführt,[40] gilt auch für Art. 14 LV: Auch ihm kommt lediglich eine „bescheidene normative Bedeutung“ zu.[41] Dennoch stellt Art. 14 LV eine rechtlich verbindliche Handlungsrichtlinie dar und dient als Richtschnur des politischen Handelns für die Zukunft. Er gibt eine „inhaltliche Grundentscheidung“ vor.[42] StGH 2010/100, Erw. 4 bezeichnete die Bestimmungen des III. Hauptstückes denn auch als „einen Katalog von Staatsaufgaben, die als Programmsätze und Staatsziele Leitlinien des staatlichen Handelns vorgeben.“Indem Art. 14 LV die grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung aller Staatstätigkeiten bestimmt, trägt er dazu bei, dass die Verfassung ihre Gestaltungs- und Steuerungsfunktion wahrnehmen kann.[43] Oder wie es Frick formulierte: „Der Wohlfahrtsartikel ist allerdings weniger als vorrangiges, denn mehr als überdachendes Prinzip zu betrachten und stellt demzufolge eine generelle Auslegungsregel dar.“[44] In der Tat verpflichtet Art. 14 LV dazu, bei mehreren möglichen Auslegungen einer Norm diejenige Interpretation zu wählen, die dem Gemeinwohl am umfassendsten dient.[45] Er kann überdies bei der Konkretisierung der verschiedenen öffentlichen Interessen von Nutzen sein.[46]V. Schaffung und Wahrung des RechtsIm Begriff „Schaffung und Wahrung des Rechts“ eine Aussage über die Herkunft und Geltung des Rechts zu suchen, ginge zu weit. Angesichts der wirtschaftlichen Not und der Umwälzungen in Liechtenstein, die in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zur Reorganisation des Staatsaufbaus und neu im Land zu liegenden Institutionen führten,[47] ist vielmehr davon auszugehen, dass mit „Schaffung des Rechts“ die Rechtsetzung und mit „Wahrung des Rechts“ die Rechtsprechung gemeint ist. Die Bedeutung von wirksamen Gesetzen und die Rechtsdurchsetzung durch Behörden und Gerichte in den Vordergrund zu rücken und als Staatsaufgaben zu nennen, welche der allgemeinen Wohlfahrt dienen, ist sinnvoll. Die Verfassung regelt ja auch ausführlich, wie die Gesetzgebung erfolgt (Art. 9, Art. 62, Art. 64, Art. 65, Art. 66, Art. 67 LV). Die Verpflichtung in Art. 14 LV auf „das Recht“ ist jedoch in jedem Fall nicht als Verpflichtung auf einen bloss positivistischen Begriff des Rechts zu verstehen, sondern als eine Verpflichtung, zur konstanten Pflege des Rechtsstaates. Die Verfassung sagt nirgends explizit, dass dem Land die Kompetenz für die Gesetzgebung im Privat-, Handels- und Strafrecht[48] zukommt oder dass es Register führen muss. Lediglich Urheberrecht (Art. 34 Abs. 2 LV), Prozess- und Vollstreckungsrecht (Art. 27 Abs. 1 LV) sowie Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsorganisation (Art. 27 Abs. 1 und Art. 94 LV) werden als vom Staat zu regelnde Materien aufgezählt. Dies ist insofern verständlich, als 1921 für das Privat-, Handels- und Strafrecht bewährte Kodifikationen vorlagen. In diesen Bereichen musste demnach die Verfassung dem Gesetzgeber keine Aufträge mehr erteilen.VI. Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des VolkesArt. 14 zweiter Satz LV nennt den Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volks als Mittel zur Erreichung der Volkswohlfahrt. Heute würde man eher von „Bedürfnissen“ sprechen, die zu berücksichtigen und wenn möglich zu befriedigen sind.Art. 15 LV strebt eine „religiös-sittliche Bildung“ der heranwachsenden Jugend an, und Art. 37 Abs. 2 LV nennt für die nicht katholischen Religionsgemeinschaften die Sittlichkeit und öffentliche Ordnung als Grenze ihrer Betätigung, während Art. 40 LV für die Meinungsfreiheit die Schranke bei Gesetz und Sittlichkeit zieht. Dies zeigt, dass die Verfassung mit „Sittlichkeit“ diejenigen ungeschriebenen Normen und Verhaltensweisen meint, die von jedermann unabhängig von seinem Bekenntnis befolgt werden. Bei der Formulierung von Art. 14 LV wurde demnach mit der Erwähnung der religiösen und der sittlichen Interessen nicht ein Gegensatz kreiert. Vielmehr sollen sich die beiden Begriffe verstärken und zeigen, dass nicht nur die Bedürfnisse der Angehörigen einer bestimmten Konfession Berücksichtigung finden sollen.Berücksichtigt werden sollen auch wirtschaftliche Interessen, und zwar – wie ausgeführt[49] – nicht bloss die von einzelnen Ständen oder Berufsgruppen. Damit zeichnet Art. 14 LV vor, dass zugunsten von (wirtschaftlich) Schwächeren Einschränkungen der (wirtschaftlich) Stärkeren erfolgen dürfen. Art. 14 LV sagt jedoch nicht, in welchen Bereichen und in welcher Form der Gesetzgeber Einschränkungen vorzunehmen hat. Ebenso wenig kann aus Art. 14 LV eine Verpflichtung von Privaten abgeleitet werden, sich an den Zielen des Staates auszurichten und aktiv zur Verwirklichung des Gemeinwohls beizutragen. Art. 14 LV steht einer Verpflichtung von Privaten durch den Gesetzgeber jedoch auch nicht entgegen. StGH 2004/76, Erw. 8.b[50] schien den Eindruck zu erwecken, als ob Art. 14 LV als Grundlage für einschränkende Vorschriften gegenüber Privaten dienen könnte. In der Folge stellte die Urteilsbegründung jedoch klar, dass nicht Art. 14 LV die Grundlage bilden würde, sondern vom Gesetzgeber zu erlassende Normen.[51]VII. Das Volk, dessen Interessen geschützt werdenDie Verfassung verwendet den Begriff „Volk“ nicht in allen Bestimmungen mit derselben Bedeutung. Mehrfach sind damit (so bereits 1921, aber auch in der aktuellen Version) nur die Staatsangehörigen oder die Wahl- und Stimmberechtigten gemeint (siehe insbesondere Art. 46 Abs. 1 LV). Bei Art. 14 LV kann dies weder bezogen auf die „Volkswohlfahrt“ noch bei der Erwähnung der verschiedenen Interessen „des Volkes“ der Fall sein. Während es bezüglich einzelner wirtschaftlicher Massnahmen (z.B. bei der Ausschüttung von Stipendien) denkbar wäre, sie nur zugunsten von Alteingesessenen oder Personen mit liechtensteinischer Staatsangehörigkeit zu ergreifen, ist nicht ersichtlich, wie religiöse und sittliche Bedürfnisse der Liechtensteiner Bürger befriedigt werden könnten, ohne dass von den Massnahmen auch weitere Einwohner profitieren würden. Überdies würden an der Staatsangehörigkeit ansetzende Ungleichbehandlungen das friedliche Zusammenleben gefährden, womit dem Gemeinwohl nicht gedient wäre.Angesichts der nach dem Ersten Weltkrieg erhobenen Forderungen der im Ausland lebenden Liechtensteiner ist anzunehmen, dass Wilhelm Beck auch an sie dachte und sie insbesondere im III. Hauptstück – wo es um die wirtschaftliche Entwicklung Liechtensteins geht und nicht um individuell-konkrete Rechte, die einzelnen Personen zugeordnet werden müssen – nicht ausgeschlossen werden sollten. Anders als bei Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV, der explizit die innerhalb der Grenzen des Landes lebenden Menschen als Nutzniesser nennt, ist der Kreis der Begünstigten bei Art. 14 LV weiter gezogen. Art. 14 LV steht deshalb Massnahmen zugunsten von Personen mit liechtensteinischem Pass und Wohnsitz im Ausland oder zugunsten von im Ausland lebenden Menschen ausländischer Nationalität, die eine gewisse Beziehung zu Liechtenstein aufweisen, nicht entgegen, sondern verlangt im Gegenteil, dafür zu sorgen, dass sich niemand mehr wie in der Zeit als die Verfassung verabschiedet wurde, wegen wirtschaftlicher Not gezwungen sieht, das Land zu verlassen.In Art. 14 LV ist demnach mit dem Begriff „Volk“ die Gesamtheit der Bevölkerung Liechtensteins gemeint inklusive der vorübergehend oder dauerhaft im Ausland leben Liechtensteiner. Auch für ihre Belange kann und soll sich der Staat einsetzen.[52] |
Der Staat wendet seine besondere Sorgfalt dem Erziehungs- und Bildungswesen zu. Dieses ist so einzurichten und zu verwalten, dass aus dem Zusammenwirken von Familie, Schule und Kirche der heranwachsenden Jugend eine religiös-sittliche Bildung, vaterländische Gesinnung und künftige berufliche Tüchtigkeit zu eigen wird. The State shall devote special attention to education and schooling. Education and schooling shall be designed and administered so that, through the cooperation of family, school and church, the members of the younger generation are endowed with religious and moral learning, patriotic attitudes, and skills for their future occupations.Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteZur Entstehungsgeschichte siehe Schiess Rütimann, Einführende Bemerkungen zu den Verfassungsbestimmungen über die Bildung.II. Besondere Sorgfalt für das Erziehungs- und Bildungswesen„Der Staat wendet seine besondere Sorgfalt … zu“ ist eine im Kontext einer Verfassung eher seltene Formulierung. Sie findet sich jedoch auch in Art. 20 Abs. 2 LV betreffend Verkehrswesen.Da es nicht heisst „sorgt für“, könnte behauptet werden, dass Bildung keine staatliche Aufgabe ist. Aus Art. 16 und 17 LV geht jedoch deutlich hervor, dass sich der Staat in verschiedener Form (zu nennen sind insbesondere unentgeltlicher Unterricht in öffentlichen Schulen, Stipendien, Aufsicht) engagieren muss. Art. 15 zweiter Satz LV spricht ebenfalls dafür, indem er sagt, dass das Erziehungs- und Bildungswesen „einzurichten“ und „zu verwalten“ ist. In welchem Umfang und welcher Form dies geschieht, und welche Aufgaben vom Land und welche von den Gemeinden zu übernehmen sind, bestimmt der Gesetzgeber, da die Verfassung weder das „Erziehungs- und Bildungswesen“ noch die in Art. 16 Abs. 3 LV erwähnten „öffentlichen Schulen“ näher definiert. Als die Verfassung erlassen wurde, gab es in Liechtenstein bereits Kindergärten und verschiedene Schultypen.[1] Es war keine Rede davon, dass sich der Staat von seinen bereits eingegangenen Verpflichtungen zurückzieht. Auch deshalb war es nicht nötig, nähere Ausführungen in die Art. 15 bis 17 LV aufzunehmen.Wie in den Einführenden Bemerkungen zu den Verfassungsbestimmungen über die Bildung Kapitel IV.A. ausgeführt wird, weisen die Begriffe Erziehungs-, Bildungs- und Unterrichtswesen keine scharfen Konturen auf. Der Begriff „Bildungswesen“ weist jedoch mit Sicherheit über den Bereich der öffentlichen Schule hinaus. Genauso der Begriff „Erziehungswesen“, der auf die Erziehung als umfassendes Bemühen um die Vermittlung von Fähigkeiten und Werten verweist. Es besteht deshalb eine sehr weit reichende Pflicht des Staates, sich gestützt auf Art. 15 LV der Bildung von Kindern und Jugendlichen anzunehmen.Der Staat kann jedoch nicht für den Erfolg seiner Bemühungen garantieren. Art. 15 LV weist denn auch darauf hin, dass neben der Schule weitere Akteure wie die Familie und die Kirche auf die jungen Menschen einwirken. Dies entbindet den Staat jedoch nicht davon, eine Gesamtschau vorzunehmen, Ziele zu definieren und entsprechend Strategien zu entwickeln.[2]Eine Verpflichtung der Eltern, ihren Kindern eine religiöse Bildung zukommen zu lassen und dafür zu garantieren, dass sie eine vaterländische Gesinnung an den Tag legen, enthält Art. 15 LV nicht. Ebenso können weder die Eltern noch die Schule dafür haftbar gemacht werden, wenn schulischer oder beruflicher Erfolg ausbleibt. Bei Art. 15 LV handelt es sich nämlich um eine Bestimmung, die Staatsziele vorgibt,[3] nicht um eine Norm, die den Privaten Ansprüche gewährt oder Pflichten auferlegt.III. Zusammenwirken von Familie, Schule und KircheArt. 15 LV weist einen engen Zusammenhang mit Art. 14 LV auf. Während Art. 14 LV die „religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes“ nennt, erwähnt Art. 15 LV eine „religiös-sittliche Bildung“, eine „vaterländische Gesinnung“ und die „berufliche Tüchtigkeit“ als Ziel für die Bildung der jungen Menschen.[4] Diese vor bald 100 Jahren formulierten Ziele stehen in einem gewissen Kontrast zu neueren Texten, welche die Bildung als „Grundbedingung für Freiheit“ bezeichnen[5] und Chancengleichheit einfordern.[6] Dieses emanzipatorische Element der Bildung steht regelmässigen Schulleistungserhebungen[7] und der Prüfung, ob die Schulabgänger die Voraussetzungen für den erfolgreichen Übertritt in die Berufswelt oder an weiterführende Schulen erfüllen, selbstverständlich nicht entgegen.Die beiden genannten Verfassungsbestimmungen ergänzen sich. Das in Art. 14 LV angesprochene wirtschaftliche Vorwärtsstreben Liechtensteins wird in Art. 15 LV untermauert durch das Bestreben, die jungen Menschen zu guten Berufsleuten zu erziehen. Die gute Ausbildung soll den Grundstein dafür legen, dass sie für sich sorgen können und zur Wohlfahrt Liechtensteins beitragen.Während Art. 14 LV lediglich den Staat adressiert, werden in Art. 15 LV auch Erwartungen an die Familie und die Kirche (gemeint war die römisch-katholische Landeskirche) formuliert. In der Tat werden Kinder nicht allein durch die Schule sozialisiert. Der heftige Widerstand von Landtag und Regierung gegen die durch den Churer Bischof eingebrachten Vorschläge[8] verpflichtet jedoch, das in Art. 15 LV angesprochene „Zusammenwirken“ mit der Kirche eng auszulegen. Ansprüche auf eine bevorzugte Information oder über das in Art. 16 LV bezüglich des Religionsunterrichts Gewährleistete hinaus gewährt Art. 15 LV nicht. Art. 16 LV ist die massgebende Bestimmung für das Verhältnis zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Staat im Bereich der Bildung.[9]Aus Art. 15 LV kann nicht mehr herausgelesen werden als die an sich selbstverständliche Pflicht der für das Bildungswesen Verantwortlichen, im Dialog mit der Gesellschaft zu bleiben. 1921 stand hierbei die römisch-katholische Kirche im Vordergrund. Heute sind es nicht nur die Religionsgemeinschaften, sondern auch weitere Institutionen und Organisationen wie die Pfadfinder und Pfadfinderinnen Liechtensteins, Sportverbände, die Offene Jugendarbeit oder auch Kinderärzte und Psychologen, die in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen deren Bedürfnisse kennenlernen und wertvolle Ansprechpartner für die öffentliche Hand sein können.IV. Religiös-sittliche BildungDass eine Verfassung Werte nennt und nicht näher definierte (aber klar als christlich erkennbare) „religiös-sittliche“ Werte als Grundlage und Ziel für den Unterricht vorgibt, ist nicht aussergewöhnlich. In vielen Schulgesetzen aus dem deutschsprachigen Raum finden sich entsprechende Beteuerungen. Die Bezugnahme auf Religion und Sitte lässt erkennen, dass junge Menschen nicht allein auf wirtschaftlichen Erfolg gedrillt werden dürfen.Art. 2 zweiter Satz Schulgesetz von 1929[10] nahm eine Engführung vor, als er ausführte: „Der gesamte Schulunterricht richtet sich nach den Grundlagen katholischer Weltanschauung.“ Eine solche konfessionelle Ausrichtung der öffentlichen Schule wäre nach geltendem Verständnis der Religionsfreiheit nicht mehr möglich,[11] soll doch jedes Kind, unabhängig von seinem religiösen Bekenntnis, dem Unterricht in der öffentlichen Schule folgen können. Dies gilt in Liechtenstein umso mehr als der Schulbesuch durch Art. 16 Abs. 2 LV obligatorisch erklärt wird. Überdies verbieten internationale Garantien eine Indoktrination in den Schulen.[12]Aus Art. 15 LV kann keine Pflicht der Eltern abgeleitet werden, ihre Kinder religiös zu erziehen.[13] Im Gegenteil. Aus der Religionsfreiheit und der Achtung des Familienlebens sowie Art. 2 1. ZP EMRK ergibt sich der Anspruch der Eltern, ihren Kindern die ihnen wichtigen Werte zu vermitteln.[14] Den Eltern können nur soweit einschränkende Vorschriften gemacht werden (z.B. bezüglich der Gestaltung des Tagesablaufes zur Respektierung der Unterrichtszeiten, einer zweckmässigen Bekleidung für Sportstunden, Zwischenverpflegungen), als sich hierfür eine gesetzliche Grundlage findet und das öffentliche Interesse (insbesondere die Erreichung der Lernziele und die Gewährleistung eines geordneten Unterrichts[15]) dies erfordern.V. Vaterländische GesinnungKeine scharfen Konturen zeigt die in Art. 15 zweiter Satz LV genannte „vaterländische Gesinnung“.[16] Sie wird in Art. 16 und 17 LV nicht nochmals aufgegriffen. Auch im Schulgesetz von 1929 wurde sie nicht erwähnt.[17] Es fügte aber Staatskunde als neues Fach ein.[18]Wenn mit dem Vermitteln einer vaterländischen Gesinnung gemeint ist, dass den Kindern Kenntnisse zu Liechtenstein, seiner Geschichte, Geographie, Staatsform, seinen Sagen und Märchen, Traditionen etc. vermittelt werden,[19] so dass die Kinder eine emotionale Bindung zu ihrer Heimat aufbauen können, hält dies vor der Verfassung und den völkerrechtlichen Garantien stand.[20] Hingegen ginge es wegen der auch Minderjährigen garantierten Meinungsfreiheit[21] nicht, gestützt auf Art. 15 LV von den Schülerinnen und Schülern ein Bekenntnis zu verlangen und ihre persönliche Einstellung zu Liechtenstein und seinen politischen Institutionen zu erfragen. Wie der EGMR immer wieder betont hat, müssen sich die Schulen von Indoktrination fernhalten.[22]Wie alle staatlichen Angestellten haben die Lehrpersonen eine gewisse minimale Loyalität zum Arbeitgeber aufzubringen.[23] Es ist jedoch zu unterscheiden zwischen dem Verhalten in der Schule und in deren Umfeld – dem eine gewisse Vorbildwirkung zukommt und in dem die Indoktrination der Kinder und Jugendlichen untersagt ist – und Äusserungen, die Lehrpersonen im privaten Rahmen oder in einer anderen Funktion, z.B. als Vereinsmitglied oder in einem politischen Amt, machen. Solche Stellungnahmen dürfen durchaus kritisch sein. So darf ein Biologielehrer die Umweltpolitik des Landes kritisieren oder eine Kindergartenlehrperson sich aus religiöser Überzeugung für Flüchtlinge einsetzen und die Asylpolitik des Landes beanstanden. Die Pflicht zur „Unparteilichkeit und Uneigennützigkeit“ erstreckt sich nur auf den Dienstauftrag der Lehrpersonen.[24] StGH 1985/7[25] hielt demgegenüber fest, ein Lehrer solle Vorbild sein. Es werde von ihm „ein besonders lauteres Verfahren verlangt. Selbst in seiner Kritik ausserhalb der Schule hat er sich so zu verhalten, dass die Achtung und das Vertrauen in die Lehrer und auch in die Schule gewahrt bleiben.“[26] Diese Auffassung findet keine Grundlage im geltenden Recht. Gemäss Art. 18 Lehrerdienstgesetz (LdG)[27] sind die Lehrpersonen in erster Linie dazu verpflichtet, das Wohl der Schulkinder zu beachten. Die Verpflichtung auf Unparteilichkeit und Uneigennützigkeit erstreckt sich gemäss Art. 18 LdG auf ihre dienstlichen Angelegenheiten, nicht auf ihre übrigen Tätigkeiten. Neuere Judikatur zur Frage, wie heftig Kritik durch Lehrpersonen ausfallen darf und wann ihre Äusserungen in einem Zusammenhang mit der Schule (inklusive Verhältnis zum Schulamt und zum Ministierium für Bildung) stehen und deshalb vor allem im Ton mehr Zurückhaltung verlangen, existiert nicht. Von den Lehrerinnen und Lehrern ein christliches Glaubensbekenntnis zu verlangen, wäre umso mehr unzulässig, als der Religionsunterricht ja gemäss Art. 16 Abs. 4 LV durch kirchliche Organe erteilt wird. Überdies können sich auch Lehrpersonen auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit von Art. 37 Abs. 1 LV berufen.VI. ChancengleichheitHeute ist unbestritten, dass die Schule die Chancengleichheit fördern muss.[28] Bildung dient generell als „Grundlage zur Verwirklichung von Chancengleichheit“.[29] Gleichzeitig stellt sie aus menschenrechtlicher Sicht auch ein „individuelles Recht des Kindes auf Persönlichkeitsentwicklung“ dar.[30]In der Verfassung von 1921 wurde die Chancengleichheit – abgesehen von dem in Art. 17 Abs. 2 LV aufgegriffenen Teilaspekt, für „gut veranlagte Schüler“ Stipendien bereitzustellen – nicht erwähnt. Der Verfassungstext steht der Bekämpfung von diskriminierendem Verhalten, der Förderung der Integration von Kindern mit schwierigeren Startbedingungen[31] und dem Erlernen von Verhaltensweisen, welche die Teilhabe aller fördern, aber auch nicht entgegen. Im Gegenteil, statuiert doch Art. 31 Abs. 1 LV ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot.Art. 15 bis 17 LV schufen weder in ihrer ursprünglichen Version von 1921 noch in der heute gültigen Version eine Grundlage für die Ungleichbehandlung von Knaben und Mädchen. Gleichwohl war den Mädchen und jungen Frauen wegen der nach Geschlecht getrennten Schulen und einem einzigen, lediglich Knaben offenstehenden Gymnasium jahrzehntelang eine gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung verunmöglicht. Dieser Missstand ist unterdessen behoben.[32]Der ECRI-Bericht begrüsst alle Massnahmen zur frühkindlichen Spracherziehung und zusätzliche Deutschkurse für Kinder nicht deutscher Muttersprache. Er kritisiert die Übervertretung von Kindern mit Migrationshintergrund in den schwächeren Schulstufen und fordert Liechtenstein zu weiteren Anstrengungen auf.[33]Mit dem Heilpädagogischen Zentrum des Fürstentums Liechtenstein HPZ[34] hat Liechtenstein bereits in den 1960er-Jahren eine Institution mit einem breit gefächerten Therapieangebot, einer sonderpädagogischen Schule und einer Sprachheilschule geschaffen.[35] Die heute gültigen gesetzlichen Grundlagen für die pädagogisch-therapeutischen Massnahmen, die Ausbildung nach heilpädagogischen Gesichtspunkten und die Sonderschulung wurden mit LGBl. 2001 Nr. 22 in das Schulgesetz aufgenommen.[36] |
1) Das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen steht, unbeschadet der Unantastbarkeit der kirchlichen Lehre, unter staatlicher Aufsicht.Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteZur Entstehungsgeschichte siehe Schiess Rütimann, Einführende Bemerkungen zu den Verfassungsbestimmungen über die Bildung. Dass Art. 16 Abs. 6 und 7 LV durch LGBl. 1972 Nr. 8 ohne jegliche Diskussion aufgehoben wurden, wird in den Einführenden Bemerkungen zu den Verfassungsbestimmungen über die Bildung in Kapitel III. ausgeführt.Wie die Einführenden Bemerkungen zu den Verfassungsbestimmungen über die Bildung Kapitel II.C. darlegen, hatte Bischof Georg Schmid von Grüneck, der Bischof von Chur, verlangt, das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen auf den „katholischen Geist“ auszurichten.[1] Erfolg hatte er lediglich insofern, als der Religionsunterricht gemäss Art. 16 Abs. 1 und 4 LV – wie sogleich gezeigt wird – nur in begrenztem Umfang unter staatlicher Aufsicht steht.II. Staatliche Aufsicht über das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen (Abs. 1)A. Gegenstand der AufsichtDer Staat übt die Aufsicht über das „gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen“[2] aus, also nicht bloss über die öffentliche Schule, sondern auch über den weiter unten im Verfassungsartikel genannten Privatunterricht und in einem gewissen Umfang sogar über den konfessionellen Religionsunterricht.[3] Überdies würden – wenn solche eines Tages wieder errichtet würden – auch Schulen mit einer römisch-katholischen oder einer sonstigen religiösen Trägerschaft der staatlichen Aufsicht unterliegen. Dieser Pflicht, die öffentlichen Schulen und die von Kindern und Jugendlichen an deren Stelle besuchten Einrichtungen mit privater Trägerschaft zu überwachen, kann sich der Staat nicht entziehen. Art. 16 Abs. 1 LV verlangt von ihm ausdrücklich die Beaufsichtigung des gesamten Unterrichtswesens.Für die als öffentliche Unternehmen ausgestaltete Universität,[4] für die Stiftung Erwachsenenbildung Liechtenstein[5] sowie für die Musikschule[6] und die Kunstschule[7] regeln die einschlägigen Spezialgesetze das Notwendige. Überdies gelangt auf sie das ÖUSG[8] zur Anwendung. Die Aufsicht über die berufliche Bildung wird in Art. 37 f. Berufsbildungsgesetz[9] geregelt.[10] Dass das Gesetz für die berufliche Bildung klare Regelungen trifft und auch die Leitung und Beaufsichtigung der öffentlichen Anbieter aus dem Bereich Aus- und Weiterbildung regelt, steht nicht im Widerspruch zu Art. 16 Abs. 1 LV. Es kann offen bleiben, ob ganz oder zu einem grösseren Teil von Erwachsenen besuchte Bildungsanbieter unter den Begriff des „Erziehungs- und Unterrichtswesens“ im Sinne der Art. 15 bis 17 LV fallen.[11] Entsprechende öffentliche Institutionen unterstehen auf jeden Fall der öffentlichen Aufsicht.Spielgruppen, Jugendorganisationen wie die Pfadfinder oder Sportclubs mit Angeboten für Kinder und Jugendliche etc. unterstehen hingegen nicht der in Art. 16 Abs. 1 LV verankerten Aufsicht, weil sie nicht zum Privatunterricht im Sinne von Art. 16 Abs. 8 LV gezählt werden können[12] und auch nicht Teil des staatlichen Erziehungswesens sind. Der Beaufsichtigung bedürfen demgegenüber alle Institutionen, denen Kinder und Jugendliche zur Erziehung anvertraut sind. Also diejenigen Einrichtungen wie Kinderheime oder begleitete Wohngruppen, die an Stelle der Eltern und für mehr als bloss einzelne Tage solcherart auf Kinder und Jugendliche einwirken, dass sie ihren Weg als verantwortungsbewusste Erwachsene werden gehen können.[13]B. Akteur der Aufsicht: Der StaatDas Adjektiv „staatlich“ steht in Art. 16 Abs. 1 LV in Abgrenzung zu „kirchlich“. Hatte doch, wie ausgeführt,[14] der damalige Bischof versucht, den Einfluss der Kirche über die Schule auszudehnen. Der Begriff „staatlich“ ist jedoch nicht so zu verstehen, dass die Aufsicht zwingend durch Behörden des Landes erfolgen muss. Vielmehr kann das Gesetz auch Behörden der Gemeinden mit Aufgaben betrauen. Oder es könnte spezielle Gremien schaffen wie einen durch die Regierung oder den Landtag gewählten Bildungsrat oder eine Bildungsinspektion mit Expertinnen und Experten aus dem In- und Ausland. Werden Bildungsinstitutionen gemeinsam mit ausländischen Partnern geführt, ist es zulässig, die Aufsicht den entsprechenden ausländischen Institutionen zu überlassen, sofern diese dem Land die erforderlichen Informationen zukommen lassen. Liechtenstein muss nämlich seine Rechte in der Trägerschaft angemessen wahren können.Nicht zulässig wäre es hingegen, die Aufsicht gewerbsmässig agierenden, auf Gewinnerzielung ausgerichteten privaten Unternehmen wie einem Bildungsanbieter oder einer Beratungsgesellschaft zu übertragen. Aus dem Aufbau und den Formulierungen in Art. 15 bis 17 LV sowie aus der Erwähnung gleich zu Beginn des III. Hauptstückes geht nämlich unmissverständlich hervor, dass es sich bei Bildung und Erziehung um für den Staat wichtige Aufgaben handelt. Im Zeitpunkt der Ausarbeitung der Verfassung wäre es für den Verfassungsgeber undenkbar gewesen, diese Aufgaben aus der Hand zu geben. Zu regeln war vielmehr, welche Kompetenzen den weltlichen und welche kirchlichen Behörden (konkret: Vertretern der römisch-katholischen Kirche) zustehen sollten. Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften steht heute – abgesehen für den Bereich des Religionsunterrichtes – nicht mehr im Vordergrund. Demgegenüber hat sich nichts daran geändert, dass der Aufsicht über die Schulen und die Einrichtungen für die Erziehung von Kindern, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen können, eine grosse Bedeutung für das Land und sein Selbstverständnis zukommt.[15]C. Umfang der AufsichtDer Begriff „Aufsicht“ ist zu eng gefasst. Gemeint ist, dass die öffentlichen Schulen nicht bloss beaufsichtigt werden im Sinne von Kontrollbesuchen, sondern dass sie von der öffentlichen Hand geführt und alimentiert werden.[16] Ebenso besteht eine Verpflichtung des Staates, Lehrpläne zu verabschieden, für die Rekrutierung der Lehrkräfte zu sorgen, die notwendigen Gebäude etc. bereitzustellen und die Entwicklungen (z.B. bezüglich Schülerzahl oder neuen Anforderungen, welche die Berufswelt an die Schulabgänger stellt) aufmerksam zu verfolgen. Damit diese Aufgaben wahrgenommen werden können, bedarf es der Definition von Zielen und der Einigung über die notwendigen Strategien. Da dies schon vor dem Erlass der Verfassung von 1921 so praktiziert worden war, war es nicht notwendig, dies im Verfassungstext ausdrücklich festzuschreiben. Überdies bringt auch Art. 15 erster Satz LV mit dem Terminus „besondere Sorgfalt zuwenden“ zum Ausdruck, dass die Verpflichtungen des Staates weit über ein bloss kontrollierendes Beobachten hinausgehen.Auch gegenüber den von privater Seite errichteten Schulen ist die Bezeichnung „Beaufsichtigung“ zu kurz gegriffen. Wie ausgeführt wird,[17] hat die öffentliche Hand nicht nur das Recht, private Institutionen zu kontrollieren, sondern sie hat unter Wahrung der Garantien von Art. 16 Abs. 8 LV das Recht, proaktiv tätig zu werden und den Rahmen abzustecken, in dem sich die Privaten bewegen dürfen.Auch für Einrichtungen zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen müssen Vorgaben erlassen werden. Erst dann kann überprüft werden, ob die Einrichtungen ihren Auftrag korrekt umsetzen.III. Allgemeine Schulpflicht (Abs. 2 und Abs. 5)A. Adressaten und Dauer der SchulpflichtDie allgemeine Schulpflicht wird gleich in zwei Absätzen verankert. Sie erstreckt sich grundsätzlich auch auf Kinder mit Behinderung.[18] Da Art. Art. 16 Abs. 5 LV ausdrücklich nur die Kinder und Jugendliche erwähnt, könnte sich eine entsprechende Pflicht für Erwachsene nicht auf Art. 16 LV stützen. Sollen Personen, die der allgemeinen Schulpflicht vom Alter her entwachsen sind, z.B. zu Deutschkursen oder zur Teilnahme an einem Alphabetisierungsprogramm verpflichtet werden, so sind die gesetzlichen Grundlagen hierfür in den Erlassen betreffend Migration und Integration sowie Sozialhilfe oder Arbeitslosenunterstützung vorzusehen. Erwachsene solcherart zum Erwerb von Bildung zu verpflichten, stellt keinen Verstoss gegen Art. 16 Abs. 2 und 5 LV dar, insbesondere da Art. 17 LV die Förderung der Aus- und Weiterbildung dem Staat ausdrücklich vorschreibt.Während Abs. 2 neutral formuliert ist und damit die Kinder und Jugendlichen direkt verpflichtet, wird Abs. 5 konkreter. Er verpflichtet auch die Eltern, Pflegeeltern, Verantwortliche von Heimen etc. dazu, für die Beschulung der ihnen Anvertrauten zu sorgen. Wie die historischen Ausführungen zeigen,[19] dauerte es in Liechtenstein lange, bis alle Kinder regelmässig die Schule besuchten.Die Verfassung gibt nicht vor, auf wie viele Jahre sich die Schulpflicht erstreckt. Es obliegt demnach dem Gesetz festzulegen, in welchem Alter die Schulpflicht beginnt und wie lange sie dauert. Dass von Schulpflicht gesprochen wird, schliesst nicht aus, auch den Besuch des Kindergartens oder einer anderen Form der vorschulischen Bildung für obligatorisch zu erklären,[20] nicht aber ab Geburt.[21] „Schule“ setzt im landläufigen Sinn nämlich voraus, dass die Kinder in einem Alter sind, in welchem sie bereits sprechen, laufen und stillsitzen können.Die Verfassung gibt auch nicht vor, wie die Schulstufen zu gliedern sind respektive ob es eine Gesamtschule geben soll und nach wie vielen Schuljahren ein Übertritt in die nächste Stufe erfolgt. Ebenso bestimmt das Gesetz, ob die berufliche Ausbildung auch noch zur obligatorischen Pflichtschule gezählt werden soll.B. Inhalt der SchulpflichtWie in StGH 2014/39 Erw. 4.2.2 festgehalten, erstreckt sich die Schulpflicht „auf den ganzen Schulunterricht, also auch auf den Sexualkundeunterricht“. Bereits in StGH 2012/130Erw. 3.2.2 war der StGH zum Schluss gekommen, dass der Lehrplan eine genügende gesetzliche Grundlage für Eingriffe in Grundrechte darstelle, da Art. 8 SchulG die Regierung mit der Festsetzung der Lehrpläne beauftrage. Im konkreten Fall ging es um den im Lehrplan obligatorisch erklärten Schwimmunterricht. Die allgemeine Schulpflicht erstreckt sich auch auf ihn.[22]Die Schule erfüllt eine „Sozial- und Integrationsfunktion“.[23] Wie der EGMR[24] betont auch der StGH das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des ganzheitlichen Bildungsauftrages der Schule und daran, dass keine Parallelgesellschaften entstehen.[25] Er weist darauf hin, dass gewisse Lernziele „lediglich in einer sozialen Gemeinschaft von Gleichaltrigen“ vermittelt und erreicht werden können.[26] Es steht deshalb weder den Eltern noch den Kindern frei auszuwählen, welche Fächer sie besuchen. Vielmehr setzt Integration voraus, dass grundsätzlich alle Kinder einer Klasse gemeinsam den Unterricht besuchen und an Anlässen wie Sporttagen, Schulreisen, Theateraufführungen etc. teilnehmen. Dies schliesst nicht aus, Kinder – vornehmlich aus religiösen Gründen – unter besonderen Umständen von einzelnen Aktivitäten zu dispensieren.Die allgemeine Schulpflicht begründet keinen Anspruch eines Kindes oder Jugendlichen, eine bestimmte Schule zu besuchen. Sie macht die Schliessung eines Kindergartens oder das Aufgeben eines Schulstandortes nicht unmöglich, selbst wenn dies dazu führt, dass die in der Nähe wohnenden Kinder und Jugendlichen einen weiteren Schulweg haben. Aus der Schulpflicht ergibt sich auch kein Anspruch darauf, den Schultyp oder das Schulhaus frei zu wählen.[27] Vielmehr regelt das Gesetz, wer gestützt auf Noten oder die Beurteilung der Lehrkräfte zu welcher Schule zugelassen wird und welches Organ dafür zuständig ist, die Kinder und Jugendlichen den Schulhäusern und Klassen zuzuteilen.Zum grundsätzlichen Ausschluss des Homeschooling siehe die Ausführungen zu Abs. 8 in Kapitel VI.B.2.IV. Unentgeltlicher obligatorischer Unterricht (Abs. 3)Aus Art. 16 Abs. 3 LV geht eindeutig hervor, dass es in Liechtenstein eine öffentliche Schule geben muss. Es würde deshalb einen Verstoss gegen die Verfassung darstellen, wenn sich das Land aus dem Bereich der Grundschulbildung zurückziehen und stattdessen mit einem Leistungsauftrag dafür sorgen würde, dass Private den Schulunterricht anbieten.Der Anspruch auf Unentgeltlichkeit des obligatorischen Unterrichts erstreckt sich nur auf die öffentlichen Schulen. Private Schulen sind nicht verpflichtet, ihren Unterricht kostenfrei anzubieten. Ebenso ergibt sich kein Anspruch der eine gegen Bezahlung angebotene Schule besuchenden Kinder und ihrer Eltern, vom Land eine Unterstützung zu erhalten.Wegen des eng gefassten Wortlautes von Art. 16 Abs. 3 LV stellt sich die Frage, ob tatsächlich nur der Unterricht gratis sein soll, oder ob sich dieser Anspruch auch auf die für den Unterricht benötigten Materialien (wie Bücher, Schreibhefte, Computer, Turnschuhe, Schwimmkleidung) und auf die von der Schule organisierten, obligatorisch zu besuchenden Aktivitäten wie Schulreisen und Exkursionen erstreckt. Es würde dem in StGH 2014/39 unterstrichenen Auftrag der Schule zur Integration widersprechen, wenn Kinder aus finanziellen Gründen nicht an Anlässen teilnehmen könnten, die für alle Kinder obligatorisch sind oder zwar nicht formell obligatorisch erklärt worden sind, bei denen jedoch davon ausgegangen wird, dass alle Kinder im Klassenverband teilnehmen und kein gleichwertiges kostenloses Ersatzprogramm angeboten wird.Diesem Anliegen der Chancengleichheit würde auch dann Rechnung getragen, wenn Kinder von finanziell schlecht gestellten Eltern von der Kostentragung befreit werden und dies so gehandhabt wird, dass die Kinder nicht stigmatisiert werden, sondern die Eltern ohne Aufwand um Kostenbefreiung nachsuchen können.Es würde demnach der Verfassung nicht widersprechen, wenn von denjenigen Eltern, die dazu in der Lage sind, ein Beitrag an spezielle schulische Aktivitäten verlangt würde, die mit besonderen Ausgaben für Transport, auswärtige Verpflegung und Unterkunft, Eintritte in Ausstellungen etc. verbunden sind.Der Gesetzgeber hat bereits mit der Revision durch LGBl. 2007 Nr. 98 beschlossen, dass „bei Schulveranstaltungen wie Schul- oder Klassenlagern, Klassenreisen, Exkursionen, Theaterbesuchen und dergleichen“ in Kindergarten, Primar- und Sonderschule sowie in den Sekundarschulen der Stufen 1 bis 4 nur für die Kosten der Verpflegung Elternbeiträge eingehoben werden dürfen (Art. 7 Abs. 3 SchulG).[28] Er kam damit bereits zehn Jahre früher zu der nun gemäss BGE 144 I 1 auch in der Schweiz geltenden Regelung.[29]Nicht obligatorisch zu besuchende, sondern von der Schule in Randstunden ergänzend bereitgestellte zusätzliche Angebote wie Mittagstische, spezielle Lektionen in zusätzlichen Sportarten oder Ateliers während der Schulferien müssen von Verfassungs wegen nicht gratis angeboten werden.[30]Art. 16 Abs. 3 LV betrifft nur das Verhältnis zwischen den Schulkindern respektive ihren Eltern und der Schule. Er sagt nichts darüber aus, ob das Land oder die Gemeinden für den Unterricht aufkommen müssen respektive welche Schulen vom Land und welche von den Gemeinden zu alimentieren sind.V. Verhältnis zu den ReligionsgemeinschaftenA. Aktuelle Ausgestaltung des ReligionsunterrichtsAus der Verbindung von Art. 15 LV mit Art. 16 Abs. 4 LV ergibt sich, „dass der Religionsunterricht ein Teil des staatlichen Bildungsauftrages ist“[31] und die Religionslehrer „mit den anderen Lehrern im Lehrkörper gleichberechtigt“[32] sind.[33] Bis heute gelten der römisch-katholische und der evangelische Religionsunterricht auf der Primarstufe als obligatorisch.[34] Auf der Sekundarstufe I werden der katholische und der evangelische Religionsunterricht als Wahlpflichtfach geführt, ebenso das konfessionsneutral ausgestaltete Fach „Religion und Kultur“.Demgegenüber wird der islamische Religionsunterricht vom Schulamt organisiert, ohne „Bestandteil des ordentlichen Schulbetriebs zu sein“.[35] Gemäss Ansicht der Regierung stellt der islamische Religionsunterricht keinen Religionsunterricht im Sinne von Art. 16 Abs. 4 LV dar.[36] Für diese Ansicht könnte angeführt werden, dass die Inhalte nicht eigenständig durch die Moscheegemeinden erarbeitet wurden,[37] sondern von einer vom Staat eingesetzten Arbeitsgruppe, die sich an österreichischen Vorbildern orientierte.[38] Überdies werden die Lehrkräfte vom Schulamt angestellt.[39] Finden die Inhalte und die Lehrkräfte die Anerkennung der verschiedenen muslimischen Gemeinschaften in Liechtenstein, so spricht meiner Ansicht nach trotz Art. 16 Abs. 4 LV nichts dagegen, diese Unterweisung in der muslimischen Glaubenspraxis als Religionsunterricht zu qualifizieren. Wie sogleich in Kapitel B gezeigt wird, schützen Art. 16 Abs. 1 und 4 LV die Religionsgemeinschaften vor staatlichen Eingriffen. Sie verpflichten diese hingegen nicht, die Inhalte des Religionsunterrichts in eigener Regie vor Ort in Liechtenstein zu entwickeln. Dass die Lehrkräfte des islamischen Religionsunterrichts wie die Lehrkräfte für den katholischen und evangelischen Unterricht von staatlicher Seite entschädigt werden (wenn auch nicht gestützt auf dieselben Normen), spricht ebenfalls für die Qualifikation als konfessioneller Religionsunterricht.Während rund 20 Lehrkräfte den katholischen[40] und reformierten Unterricht erteilen, sind seit dem Schuljahr 2007/2008 zwei Lehrpersonen für den muslimischen Religionsunterricht zuständig und über ein Dutzend Personen für das Fach „Religion und Kultur“.[41] Seit langem kommt die öffentliche Hand für die Kosten des katholischen und evangelischen Religionsunterrichts auf,[42] seit neuerem wie soeben ausgeführt auch für den islamischen Unterricht.[43]Art. 16 Abs. 4 LV wurde bisher in Verbindung mit Art. 15 LV so ausgelegt, dass der römisch-katholische Religionsunterricht als Teil des obligatorischen Unterrichts zu betrachten und deshalb von der öffentlichen Hand zu bezahlen ist. Im Laufe der Jahre wurde auch der evangelische Religionsunterricht einbezogen. Mit Blick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung sollte dieser Schritt nun auch für den muslimischen Unterricht erfolgen. Aus der Verfassung selbst ergibt sich meines Erachtens jedoch kein Anspruch der Religionsgemeinschaften darauf, dass ihre Lehrkräfte des konfessionellen Unterrichts durch die öffentliche Hand entschädigt werden.[44]Anders sieht es aus für einen neutralen, über verschiedene Religionen informierenden Unterricht wie das Fach „Religion und Kultur“, wenn er wie die übrigen Fächer für alle Kinder obligatorisch ist und seine Inhalte durch den Staat erarbeitet werden.Da sich das geltende Schulgesetz nur in Art. 8 SchulG betreffend die Lehrpläne zum Religionsunterricht äussert,[45] wäre eine gesetzliche Klärung betreffend Gleichstellung des katholischen, evangelischen und muslimischen Religionsunterrichts und betreffend das Vorgehen, wenn weitere Religionsgemeinschaften Interesse an einer Unterweisung ihrer Kinder an der öffentlichen Schule zeigen, sehr zu begrüssen.[46] Entsprechende Vorarbeiten waren im Religionsgemeinschaftengesetz (RelGG) erfolgt.[47] Es wurde jedoch nie in Kraft gesetzt.[48]B. Unantastbarkeit der kirchlichen Lehre (Abs. 1)Die Formulierung „unbeschadet der Unantastbarkeit der kirchlichen Lehre“ stellte 1921 ein Entgegenkommen an den Bischof von Chur dar, dessen weitergehenden Forderungen nicht berücksichtigt worden waren.[49] Es ist jedoch im Lichte der Bekenntnisfreiheit[50] kein Grund ersichtlich, warum die öffentliche Hand heute gegenüber anderen Religionsgemeinschaften mehr Eingriffsrechte haben sollte als gegenüber der katholischen Kirche und diesen im Bereich der Schule nicht dieselben Rechte zukommen lassen dürfte.[51] In Art. 37 Abs. 1 erster Satz LV wird der römisch-katholischen Kirche als Landeskirche „voller Schutz“ gewährt. Es findet sich aber in den Verfassungsartikeln über die Glaubens- und Gewissensfreiheit keine Pflicht des Staates, andere Bekenntnisse schlechter zu stellen. Der Schutz vor Eingriffen erstreckt sich demnach auf sämtliche Religionsgemeinschaften, die in Liechtenstein Religionsunterricht erteilen. Da sich die Bestimmung in Art. 16 LV findet, ist klar, dass damit nur religiöser Unterricht gegenüber Kindern und Jugendlichen im Sinne von Art. 16 Abs. 4 LV gemeint sein kann, nicht auch die Unterweisung von Erwachsenen. Nicht von der öffentlichen Hand erbrachte Angebote für Erwachsene fallen nämlich unabhängig von ihrem Inhalt nicht unter die staatliche Aufsicht. Diese erstreckt sich, wie in Kapitel II.A ausgeführt, nur auf den in den öffentlichen Schulen und im Privatunterricht im Sinne von Art. 16 Abs. 8 LV erteilten Unterricht.Führt ein katholisches Kloster ein Internat oder gründet eine muslimische Einrichtung einen Kindergarten, so unterliegt die Prüfung der Qualität des Mathematikunterrichts genauso wie der Qualifikationen der Kindergartenlehrpersonen – um nur zwei Beispiele zu nennen – der staatlichen Kontrolle, so wie es Art. 16 Abs. 8 LV für jeden Privatunterricht vorsieht. Von der Aufsicht ausgenommen ist nur die „kirchliche Lehre“, also die religiösen Inhalte. Sie werden von den Religionsgemeinschaften festgelegt.[52] Es steht dem Staat gemäss geltendem Recht nicht zu, die Inhalte des Religionsunterrichts[53] oder die fachliche Befähigung der Lehrerinnen und Lehrer bezogen auf die Kenntnisse der betreffenden Religion vorzugeben.[54] Art. 8 Abs. 3 SchulG regelt denn auch: „Die Lehrpläne für den Religionsunterricht werden hinsichtlich des Lehrstoffes und seiner Aufteilung auf die einzelnen Schulstufen von der betreffenden Kirche im Rahmen der für den Religionsunterricht staatlich festgesetzten Wochenstunden erlassen und von der Regierung bekanntgemacht. Den zuständigen kirchlichen Organen ist vor der Festsetzung und vor jeder Änderung der Wochenstundenzahl Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.“Entsprechend ordnet die zuständige staatliche Stelle die Lektionen für den Religionsunterricht in den Stundenplan ein.[55] Vereinfacht es die Organisation, so dürfen die Lektionen auf Randzeiten gelegt werden. Die Verfassung gibt keiner Religionsgemeinschaft einen Anspruch auf eine bestimmte Anzahl Lektionen zu der von ihr gewünschten Zeit.Dem Staat kommt das Recht und die Pflicht zu, die übrigen Aspekte des Religionsunterrichts zu beaufsichtigen, insbesondere ob der Religionsunterricht pädagogisch adäquat erfolgt. Wobei „Aufsicht“ wiederum in dem weiten Sinn wie in Kapitel II.C verstanden wird. Es geht also nicht nur um die Kontrolle, sondern auch um die entsprechenden Vorgaben. Sind z.B. körperliche Strafen an den öffentlichen Schulen verboten und müssen Lehrkräfte über einen untadeligen Leumund und didaktische Fähigkeiten verfügen sowie bereit sein, mit Lehrkräften anderer Fachrichtungen den Austausch zu pflegen und sich gegenseitig zu unterstützen (z.B. wenn eine Lehrperson das Schulzimmer wegen Unpässlichkeit verlassen muss), so gilt dies – um nur ein paar Beispiele zu nennen[56] – auch für den konfessionellen Religionsunterricht und seine Lehrkräfte. Selbstverständlich darf von den Lehrkräften des konfessionellen Religionsunterrichts wie von allen Lehrerinnen und Lehrern an den staatlichen Schulen verlangt werden, dass sie sich mit Respekt über Andersgläubige und Atheisten äussern sowie zum Dialog mit allen Lehrkräften bereit sind.Art. 16 Abs. 1 LV statuiert kein Aufsichtsrecht gegenüber religiös geprägtem Unterricht und anderen Formen der Kinder- und Jugendarbeit, die nicht im schulischen Kontext stattfinden, sondern z.B. in den Jugendräumen einer Pfarrei, als Vorbereitung vor einem religiösen Fest oder in einem Ferienlager, das für Kinder einer Religionsgemeinschaft von Verantwortlichen derselben organisiert wird. Hierauf erstreckt sich das Aufsichtsrecht von Art. 16 Abs. 1 LV nämlich grundsätzlich nicht.C. Religionsunterricht durch die kirchlichen Organe (Abs. 4)Art. 16 Abs. 4 LV garantiert, dass der Religionsunterricht, also die Unterweisung der Schülerinnen und Schüler in ihrer eigenen Religion, nicht durch staatliche Lehrkräfte erfolgt.[57] Der Verfassungswortlaut behält dieses Recht vielmehr den „kirchlichen Organen“ vor. Adressiert wurden damit 1921 die von der römisch-katholischen Kirche mit dem Religionsunterricht betrauten Geistlichen und die von ihr geschulten Laien. Der Schutz erstreckt sich jedoch auf sämtliche Religionsgemeinschaften.[58] Es würde vor der Religionsfreiheit nicht standhalten, einer Religionsgemeinschaft vorzuschreiben, dass Lehrerinnen oder Lehrer der öffentlichen Schule an ihrer Stelle konfessionellen Unterricht erteilen. Geht es doch bei der Katechese um einen wichtigen Gehalt der Religionsfreiheit: Religiöse Inhalte und die religiöse Praxis sollen von Personen vermittelt werden, die den von der Religionsgemeinschaft aufgestellten Kriterien (bezüglich Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft, Ausbildung etc.) genügen. Überdies stünde eine solche Schlechterstellung gegenüber der römisch-katholischen Kirche im Widerspruch zum Gebot der Rechtsgleichheit.Von kleineren Religionsgemeinschaften zu verlangen, dass sie für die Kinder aus mehreren Schulhäusern gemeinsame Lektionen vorsehen, würde hingegen vor dem Grundsatz der Gleichbehandlung standhalten. Ebenso, wenn eine Mindestanzahl von Schülerinnen und Schülern verlangt würde, damit Räume im Schulhaus zur Verfügung gestellt werden.[59]Unbenommen ist es dem Land, wie bereits in Kapitel A ausgeführt, ein Fach „Religion“ (oder terminologisch besser: „Religionen“) in den obligatorischen Unterricht aufzunehmen, das religionsgeschichtliches Wissen vermittelt und verschiedene Religionen sowie religiöse Riten und Bräuche vorstellt. Ein solcher Unterricht durch die staatlichen Lehrkräfte unterscheidet sich vom konfessionellen Religionsunterricht dadurch, dass von den Kindern und Jugendlichen kein Bekenntnis verlangt wird und sie nicht in religiöse Handlungen einbezogen werden.[60]Aus Art. 16 Abs. 4 LV ergibt sich nicht, dass jedes Kind einen Religionsunterricht besuchen muss.[61] Gerade weil nicht alle Kinder denselben Religionsunterricht besuchen, kann nicht mit der Notwendigkeit argumentiert werden, dass die Klasse als solche geschlossen daran teilnehmen muss. Bereits in Art. 50 des Schulgesetzes von 1929 waren die nicht katholischen Kinder von der Pflicht entbunden, den öffentlichen Religionsunterricht zu besuchen. Dieser erfolgte nämlich „nach der Lehre und den Satzungen der römisch-katholischen Kirche“. Ist in einem Schulhaus der Religionsunterricht so organisiert, dass ihn die verschiedenen Religionsgemeinschaften gleichzeitig anbieten, so darf aber verlangt werden, dass Kinder, die aus welchen Gründen auch immer,[62] keinem Religionsunterricht folgen, ein staatliches Ersatzangebot besuchen. So wird verhindert, dass sie während der betreffenden Zeit unbeaufsichtigt sind und mehr Freizeit haben als ihre Klassenkameraden und dadurch gegenüber diesen privilegiert scheinen.VI. Privatunterricht (Abs. 8)Für Liechtenstein gilt es zu berücksichtigen, dass die im Land gelegenen Privatschulen von einem verhältnismässig grossen Anteil von Kindern und Jugendlichen aus dem Ausland besucht werden. Gleichzeitig besuchen liechtensteinische Schülerinnen und Schüler staatliche und private Bildungseinrichtungen im Ausland.[63]Den im Ausland gelegenen Privatschulen kann Liechtenstein keine Vorgaben machen. Das Land entscheidet, ob die im Ausland erworbenen Qualifikationen denjenigen der öffentlichen Schulen Liechtensteins gleichwertig sind. Diese Prüfung erfolgt nicht unter dem Titel von Art. 16 Abs. 8 LV, sondern mit Blick darauf, ob die Schulpflicht durch den Besuch der ausländischen Einrichtung erfüllt wird.[64]A. Grundrechtscharakter des PrivatunterrichtsDie neuere Gesetzgebung im Bereich der Privatschulen ist stark von der Rechtsprechung des StGH beeinflusst.[65] Der StGH hat Art. 16 Abs. 8 LV Grundrechtscharakter zugebilligt.StGH 1995/34 Erw. 2.3[66] sprach Art. 16 Abs. 8 LV „die Struktur eines Freiheits- bzw. Abwehrrechts gegenüber dem Staat im Sinne der klassischen Grundrechte“ zu.[67] Die Freiheit der Errichtung und des Betriebs von Privatschulen[68] setze „an sich keine staatlichen Leistungen voraus und ist insoweit wie klassische Grundrechte klagbar und justiziabel.“ Weil Art. 2 1. ZP EMRK den grundrechtlichen Anspruch auf freie Errichtung und Betrieb von Privatschulen gewährleiste, liess es StGH 1995/34 offen, „ob ein entsprechendes Grundrecht allein aus dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 8 LV abgeleitet werden kann.“ Er kam jedoch in Erw. 2.5 zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin „einen grundrechtlichen Anspruch auf den möglichst ungehinderten Betrieb der Liechtensteinischen Waldorfschule“ habe.[69] Damit ist klar, dass Private – wenn auch nicht uneingeschränkt,[70] wie schon der Wortlaut von Abs. 8 mit dem „soferne“ klar macht – Schulen errichten dürfen und Eltern nicht verboten werden darf, ihre Kinder eine Privatschule besuchen zu lassen. Dass Art. 16 Abs. 8 LV keinen Anspruch auf positive Leistungen des Staates vermittelt, wird sogleich in Kapitel C.3 und C.4 erörtert. Bloss der Vollständigkeit halber sei bereits hier erwähnt, dass gegenüber den Privatschulen der Grundsatz der Gleichbehandlung gilt. Privatschulen haben keinen Anspruch darauf, gleich wie die öffentlichen Schulen behandelt zu werden. Sie müssen jedoch untereinander nach Massgabe ihrer Gleichheit gleichbehandelt werden.Ob Art. 2 1. ZP EMRK einen Anspruch die Einrichtung von Privatschulen gewährleistet, ist nicht so eindeutig. Zwar gibt es entsprechende ältere Urteile des EGMR und Stimmen in der Lehre, die ein Schulmonopol des Staates als Verletzung des in Art. 2 1. ZP EMRK verankerten Rechts auf Bildung sehen.[71] Grabenwarter/Pabel bejahen nur die Pflicht des Staates, ein Schulsystem zu errichten, dessen Organisation und inhaltliche Ordnung die Respektierung der religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern ermöglicht.[72] Selbst wenn ein Staat Privatschulen zulässt, müssen die öffentlichen Schulen entsprechend ausgerichtet sein.[73] Zusätzlich darf der Staat die Privatschulen zur Einhaltung bestimmter Standards verpflichten. Unbestritten dürfte hierbei sein, dass die Vorgaben für private Grundschulen strenger sein dürfen als für private Institutionen der höheren Bildung.[74] Unterstützen muss der Staat private Schulen nicht.[75] Je höher jedoch sein finanzielles Engagement ist, desto grösser wird sein Spielraum für Vorgaben.[76]B. Der Begriff „Privatunterricht“1. Privatunterricht umfasst Privatschulen und PrivatlehrerDie Verfassung verwendet den Begriff „Privatunterricht“, ohne ihn näher zu definieren. Das Schulgesetz von 1929 unterschied in Art. 69 ff. „Privatunterricht als Einzelunterricht“ und „gemeinschaftlicher Unterricht in privaten Unterrichtsanstalten“. Das geltende Schulgesetz verwendet den Begriff „Privatunterricht“ nur noch für den Einzelunterricht (siehe Art. 73 SchulG), in Abgrenzung zu den Privatschulen (Art. 60 ff. SchulG). Daraus darf nicht geschlossen werden, dass Privatschulen von Art. 16 Abs. 8 LV nicht erfasst sind. Vielmehr ist der von der Verfassung verwendete Begriff als Sammelbegriff für Unterricht zu verstehen, der nicht durch die öffentliche Schule erbracht wird. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Erwähnung der Schulpflicht in Art. 16 Abs. 2 und Abs. 5 LV sowie aus dem Vergleich des Privatunterrichts in Abs. 8 mit den Bedingungen des Unterrichts in den öffentlichen Schulen.Eine andere Frage ist, ob mit Privatunterricht im Sinne von Art. 16 Abs. 8 LV jegliche Unterweisung und jedes Training in Fertigkeiten gemeint sind, oder ob nur diejenigen Angebote den in Abs. 8 statuierten Vorgaben genügen müssen, deren Annahme den gleichzeitigen Besuch der öffentlichen Schule ausschliessen. Für diese letztere Auslegung spricht der Wortlaut von Art. 16 Abs. 8 LV. Er nimmt auf die gesetzlichen Bestimmungen für die öffentlichen Schulen Bezug. Er sorgt dafür, dass der von Privatlehrern und Privatschulen alternativ zu den öffentlichen Schulen angebotene Unterricht denselben inhaltlichen Vorgaben bezüglich Dauer, Zielen und Ausstattung der Räumlichkeiten entspricht.Alle anderen Bildungsangebote (z.B. in den Bereichen Sport, Kunst, Babysitting, Persönlichkeitsentwicklung, spirituelle Vervollkommnung), welche die öffentlichen Schulen nicht ersetzen, sondern deren Angebot ergänzen, gelangen uneingeschränkt in den Genuss der Handels- und Gewerbefreiheit von Art. 36 LV. Das gilt auch für Unterrichtsgegenstände (wie zum Beispiel Fremdsprachen oder Programmieren), die auch an den öffentlichen Schulen behandelt werden, sofern der Private seine Kurse als Ergänzung zum öffentlichen Angebot präsentiert und ihn die Schüler in ihrer Freizeit besuchen.[77] Obwohl die Rechtsprechung Art. 16 Abs. 8 LV Grundrechtscharakter zugebilligt hat,[78] gelten damit für den Privatunterricht im Sinne von Abs. 8, der den Besuch der öffentlichen Schulen substituiert, von Verfassungs wegen strengere Vorschriften als für die von Privaten ergänzend angebotenen Kurse.Die Ausführungen in VGH 2012/85[79] sind deshalb nicht korrekt, weil der VGH die Antwort auf die Frage, was mit „Privatunterricht“ gemeint ist, im Gesetz suchte und nicht eine Auslegung von Art. 16 Abs. 8 LV vornahm. Eine andere Frage ist, ob Angebote von Privaten, die nicht als Privatunterricht im Sinne von Art. 16 Abs. 8 LV gelten und demnach nicht dessen Vorgaben genügen müssen, den Bestimmungen des Gewerbegesetzes (GewG) unterstehen.[80] Gemäss Art. 3 lit. g GewG findet es auf die „Ausübung der Erwerbszweige des Privatunterrichts und der Erziehung und den Betrieb jener Anstalten, die diesen Aufgaben dienen, sowie die gewerblichen Arbeiten von öffentlichen Schulen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Privatschulen“ keine Anwendung. Gleichwohl waren offenbar (so jedenfalls VGH 2012/85 Tatbestand Ziff. 1) „Gewerbebewilligungen für verschiedene Arten von Sportunterricht, so für Skischulen, Reitschulen, Tanzschulen etc.“ vom Amt für Volkswirtschaft erteilt worden. VGH 2012/85 kam jedoch zum Schluss, dass es „für die Erteilung von Schwimmtrainings und -kursen keiner Gewerbebewilligung bedarf.“2. Kein Anspruch auf HomeschoolingEs fragt sich, ob „Privatunterricht“ auch das Homeschooling („Heimunterricht“) umfasst, also das Recht der Eltern, ihre Kinder von öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen fernzuhalten und stattdessen selber zu Hause zu unterrichten.Als die Verfassung verabschiedet wurde, war Privatunterricht durch bezahlte Hauslehrer nicht unüblich. Das Schulgesetz von 1929 regelte denn auch den Einzelunterricht (Art. 96 ff. SchulG von 1929) und verlangte für ihn (Art. 97 SchulG von 1929), dass er nur von Lehrkräften erteilt wird, „die vom Landesschulrat geprüft oder genehmigt sind“. Dabei wurde nicht an Mütter und Väter ohne pädagogische Ausbildung und Lehrerfahrung gedacht. Art. 16 LV lässt vielmehr erkennen, dass die Kinder das elterliche Haus verlassen, um unter staatlicher Aufsicht gemeinsam mit anderen Kindern und Jugendlichen unterrichtet zu werden. Überdies herrschte damals in Liechtenstein Lehrermangel. Es war deshalb nicht damit zu rechnen, dass ausgebildete Lehrkräfte auf eine Anstellung verzichteten, um stattdessen unentgeltlich ihre eigenen Kinder zu unterrichten.Ergänzend weist StGH 2014/39, Erw. 4.2.4 darauf hin, dass „gewisse Lernziele“ „lediglich in einer sozialen Gemeinschaft von Gleichaltrigen, so in einer Schulklasse,[81] vermittelt und erreicht werden können. Dies gilt insbesondere für den in der 6. und 7. Schulstufe gültigen Lehrinhalt Freundschaft, Sexualität, Suchtmittel, partnerschaftlicher Umgang, Geschlechtsreife und Pubertät.“Die Verfassung garantiert demnach keinen Anspruch der Eltern darauf, ihre Kinder selber zu Hause zu unterrichten.[82] Auch aus Art. 2 1. ZP EMRK erwächst kein entsprechendes Recht der Eltern. Vielmehr schützte der EGMR die deutschen Behörden,[83] welche Eltern von Primarschulkindern verpflichteten, diese in einer öffentlichen oder privaten Schule anzumelden. Der EGMR erklärte sich einverstanden mit der Argumentation der Behörden, der Besuch einer Grundschule bezwecke nicht zuletzt die Integration von Kindern und ermögliche ihnen erste Erfahrungen mit dem Leben in der Gesellschaft. Es sei ein legitimes Interesse des Staates, durch die Pflicht, eine öffentlich anerkannte Schule zu besuchen, das Entstehen von Parallelgesellschaften zu verhindern und die Integration von Minderheiten zu fördern.[84]C. Umfang des Schutzes des Privatunterrichts1. Geschützter Inhalt des PrivatunterrichtsEs stellt sich die Frage, welche Rechte sich für die Betroffenen aus Abs. 8 ergeben respektive wie weit sie eingeschränkt werden dürfen.[85] Wie StGH 2009/90 Erw. 2.2 ausführte, vermittelt die Privatschulfreiheit „aus sich selbst heraus keinen Anspruch auf staatliche Anerkennung der Abschlüsse von Privatschulen. Die damit angesprochene Ordnung des Öffentlichkeitsrechts und der damit verbundenen Rechtswirkungen ist, auch wenn der Betrieb der Privatschule bewilligt worden ist, Sache des Gesetzgebers. Demnach kann aus Art. 16 Abs. 8 LV auch kein Recht auf absolute Gleichstellung der öffentlichen und privaten Schulen abgeleitet werden.“Diese Ausführungen liegen auf der Linie des EGMR. Er hat mehrfach hervorgehoben, dass die nationalen Regelungen im Bildungswesen je nach Zeit und Ort unterschiedlich sein können, entsprechend den Bedürfnissen und Ressourcen einer Gesellschaft und dem Niveau der Schulstufe.[86] Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der Staat auch für Verletzungen der Grundrechte verantwortlich ist, die den Schülern (z.B. durch Körperstrafen) in privaten Schulen zugefügt werden.[87]2. Zulässige BewilligungspflichtAus Art. 16 Abs. 8 LV geht klar hervor, dass Privatunterricht, den Kinder und Jugendliche besuchen, anstatt in die öffentliche Schule zu gehen, gewisse minimale Vorgaben erfüllen muss. Indem der Verfassungsgeber „Schulzeit“, „Lehrziele“ und „Einrichtungen“ nennt, macht er deutlich, dass sich die Qualität des Privatunterrichts nicht nur an den vermittelten Inhalten misst, sondern dass er der Pflichtschulzeit und dem Umfang der Lektionen genügen muss. Überdies erwähnt „Einrichtungen“ eine Selbstverständlichkeit, nämlich dass es für den Schulunterricht geeignete Lehrmittel und Materialien braucht und an die kindlichen Bedürfnisse angepasste und dem Lehrgegenstand (z.B. in Chemie oder Sport) angemessene Räumlichkeiten und Einrichtungen.Es obliegt dem Gesetzgeber, die Voraussetzungen näher zu umschreiben. Dabei hat er einen grossen Spielraum, insbesondere wenn es darum geht, Vorgaben bezüglich der Lernziele zu statuieren und wie sie zu erreichen sind. In diesem Zusammenhang ist es dem Gesetzgeber unbenommen, auch Anforderungen an die Ausbildung der Lehrpersonen zu stellen oder den Gebrauch einzelner Lehrmittel vorzuschreiben. Möchte der Gesetzgeber, so wie er es bereits im Schulgesetz von 1929 machte, die Gründung von Privatschulen und das Engagieren eines Privatlehrers bewilligungspflichtig erklären, steht dem nichts entgegen. Art. 16 Abs. 8 LV erklärt den Privatunterricht nicht unbeschränkt für zulässig. Überdies erstreckt sich das Aufsichtsrecht des Staates gemäss Art. 16 Abs. 1 LV auf sämtlichen Unterricht. Das heisst, dass auch Privatschulen mit kirchlicher Trägerschaft oder mit einer religiösen Ausrichtung den Regelungen für Privatschulen unterstehen und dieselben Voraussetzungen erfüllen müssen. Lediglich die Inhalte der religiösen Unterweisung und sakrale Handlungen wie Schulgebete dürfen vom Land nicht überprüft werden.[88]Der Gesetzgeber darf – sofern er hierzu einen Grund anführen kann – auch Unterscheidungen treffen zwischen Schulen mit einer gemeinnützigen Trägerschaft und Schulen in der Hand von auf Gewinn ausgerichteten Trägern.[89] Zu berücksichtigen sind allerdings die Vorgaben des EWR-Rechts. So ist eine Bevorzugung von Trägern mit Sitz in Liechtenstein gegenüber solchen mit Sitz in einem anderen EWR-Staat grundsätzlich unzulässig.3. Verleihung des ÖffentlichkeitsrechtsArt. 16 Abs. 8 LV schweigt sich darüber aus, welche Folgen die Zulassung einer Privatschule hat. StGH 2009/90 Erw. 2.2 kam zum Schluss: „Die Privatschulfreiheit vermittelt also aus sich selbst heraus keinen Anspruch auf staatliche Anerkennung der Abschlüsse von Privatschulen.“ StGH 1995/34 Erw. 2.7[90] hatte ausgeführt, die Nichtgewährung des Öffentlichkeitsrechts sei als Grundrechtseinschränkung zu qualifizieren. Er kam jedoch zum Schluss, dass es gerechtfertigt ist, zwischen der Erteilung der Bewilligung für den Betrieb der Schule und der Erteilung des Öffentlichkeitsrechts zu unterscheiden. Ersteres zieht Zweiteres nicht automatisch nach sich.Indem der Vierte Abschnitt des Zweiten Hauptstückes des Schulgesetzes mit „Öffentlichkeitsrecht“ überschrieben ist, wird deutlich, dass das liechtensteinische Recht Anleihen am österreichischen Recht nahm. Wie bereits BuA Nr. 63/1999, S. 17 ff., aufführte, finden sich Unterschiede in den beiden Rechtsordnungen. Überdies ergibt sich der Inhalt der Verfassung nicht aus dem Gesetz. Sondern umgekehrt: Das Gesetz hat sich an den von der Verfassung vorgegebenen Rahmen zu halten.Mit Öffentlichkeitsrecht ist gemeint, dass die von der Schule ausgestellten Zeugnisse dieselben Wirkungen entfalten wie die Zeugnisse der öffentlichen Schulen. Sprich: Ob Privatschüler mit einem bestimmten Notendurchschnitt und/oder der Empfehlung der Lehrerschaft so wie die Schüler der öffentlichen Schulen prüfungsfrei oder zu denselben Bedingungen in eine höhere Schulstufe wechseln können und die Schule ihre Abschlussprüfungen selbständig vornehmen kann (sog. Hausmatura).In VGH 2005/56[91] kam das Gericht zum Schluss, dass es sich bei den damals im Gesetz fehlenden Regelungen der Hausmatura für private Gymnasien um eine Rechtslücke handle. Diese schloss der Gesetzgeber mit LGBl. 2007 Nr. 98. Diese Revision des Schulgesetzes wurde wiederum angefochten.In StGH 2009/071 machte die Beschwerdeführerin geltend, die in LGBl. 2007 Nr. 98 getroffenen Regeln für die staatliche Maturitäts- und Berufsmaturitätsprüfungen für Privatschüler (die der Beschwerdeführerin die Durchführung der Hausmatura verunmöglichten) verstiessen gegen die Verfassung. StGH 2009/071 Erw. 8.2 führte aus,[92] dass die Privatschulfreiheit von Art. 16 Abs. 8 LV zwar „aus sich selbst heraus keinen Anspruch auf staatliche Anerkennung der Abschlüsse von Privatschulen“ vermittle. Aus Art. 16 Abs. 8 LV könne „auch kein Recht auf absolute Gleichstellung der öffentlichen und privaten Schulen abgeleitet werden“. Dem Gesetzgeber komme „bei der Regelung der Privatschulen qua Verfassung Ermessensfreiheit“ zu, er müsse jedoch die Grundsätze der Gleichbehandlung und Verhältnismässigkeit wahren. Unbestritten sei die Bewilligungspflicht für Privatschulen.Im Ergebnis qualifizierte StGH 2009/071, Erw. 8.3 die damalige „Sonderlösung für anerkannte Privatschulen“ als unverhältnismässig und damit willkürlich.[93] Wegen der fehlenden Inputkontrolle eine Outputkontrolle durchzuführen, liesse sich nur für Privatschulen rechtfertigen, die keiner Bewilligungspflicht unterstehen. In der Folge erliess der Gesetzgeber Vorgaben über die Zulassung zur Matura und zur Durchführung der Maturaprüfungen an den Privatschulen.[94]Das in Art. 2 1. ZP EMRK verankerte Recht auf Bildung steht staatlichen Vorgaben für die Ausbildung an Privatschulen nicht entgegen. Der EGMR argumentierte hierfür in einem Fall betreffend eingeschränkter Zulassung zum Medizinstudium an staatlichen und privaten Universitäten in Italien[95] sowohl damit, dass die Privatuniversitäten auch von staatlicher Seite finanziell unterstützt würden, als auch damit, dass es Aufgabe des Staates sei, für Gleichbehandlung zu sorgen. Es gehe nicht an, dass der Zugang zu einer von privater Seite vermittelten Ausbildung allein von den finanziellen Möglichkeiten der Studierenden und nicht von ihren Qualifikationen und ihrer Eignung für den betreffenden Beruf abhänge.4. Kein Anspruch auf öffentliche Finanzierung des PrivatunterrichtsIn Art. 16 Abs. 3 LV wird die Unentgeltlichkeit des obligatorischen Unterrichts statuiert. Der Anspruch erstreckt sich jedoch explizit nur auf den Unterricht in der öffentlichen Schule.[96] Eine staatliche Finanzierung privater Schulen respektive die finanzielle Unterstützung von Eltern, die ihre Kinder in eine Privatschule schicken oder einen Privatlehrer engagieren, wird durch die Verfassung und durch auch Art. 2 1. ZP EMRK [97] nicht verlangt. Sie wird aber auch nicht ausgeschlossen, weder in Art. 16 LV noch in Art. 17 LV. In BuA Nr. 63/1999, S. 3, begründete die Regierung die in Zukunft leicht grosszügigere, aber noch immer „bescheidene“ Subventionierung damit, dass alternative Schulangebote eine „Bereicherung des Schulangebotes“ darstellen und die Wahlmöglichkeiten in Konfliktfällen eine Lösung sein könnten. An der finanziellen Unterstützung von Privatschulen oder von Eltern, die ihre Kinder im In- oder Ausland in eine Privatschule schicken, kann in der Tat ein öffentliches Interesse bestehen.Der Gesetzgeber ist frei, Bestimmungen über die Subventionierung zu erlassen und Privatschulen respektive Eltern Subventionen auszurichten. Wichtig ist – dies betonte auch der EGMR[98] –, dass dabei dem Grundsatz der Gleichbehandlung nachgelebt wird und Privatschulen vergleichbarer Art gleich behandelt werden. Demgegenüber ist das Land nicht verpflichtet, Privatschulen gleich zu behandeln wie die öffentlichen Schulen. Dass die Verordnung vom 25. April 2000 über die Subvention von Privatschulen[99] pro Kind nur einen fixen Betrag an die Schule vorsieht und nicht dieselbe Summe, wie der Unterricht eines Kindes gleichen Alters in einer öffentlichen Schule kostet, hält vor der Verfassung stand. Eine Ungleichbehandlung rechtfertigt sich nur schon deshalb, weil die öffentlichen Schulen verpflichtet sind, jederzeit neu zugezogene Kinder oder Kinder, welche zuvor eine Privatschule besucht haben, sofort einer Schulklasse zuzuteilen. Demgegenüber können Privatschulen die Schülerzahl festlegen und entsprechend längerfristig kalkulieren.In StGH 1995/34[100] forderte die mit einer unbefristeten Betriebsbewilligung versehene Liechtensteinische Waldorfschule erfolglos die Verleihung des Öffentlichkeitsrechts und jährliche Zuschüsse in der Höhe von mindestens dem jährlichen Defizit.[101] Der StGH qualifizierte die Nichtgewährung des Öffentlichkeitsrechts als Grundrechtseinschränkung. Nach der Auseinandersetzung mit der damals gültigen Fassung von Art. 69 f. SchulG kam er unter anderem zum Schluss, es bestehe ein Unterschied zwischen der unbefristeten Erteilung der Bewilligung für den Betrieb einer Privatschule und der Verleihung des Öffentlichkeitsrechts und bezeichnete den Eingriff als zulässig.Ausgehend von diesem Fall beantragte die Regierung in der Folge eine umfangreichere Gesetzesänderung. Insbesondere sollte in Zukunft die Erteilung des Öffentlichkeitsrechts nicht mehr Voraussetzung für die Gewährung von Subventionen sein.[102]Die Verordnung vom 25. April 2000 über die Subvention von Privatschulen[103] regelt die Höhe der Beiträge so, dass die Tagesschule formatio und die Liechtensteinische Waldorfschule auch Beiträge für Schüler mit ausländischem Wohnsitz erhalten und Gelder für den Besuch von Maturitätsvorbereitungsschulen für Waldorfschüler im Ausland gesprochen werden können. Wann die Voraussetzungen von Art. 129 SchulG[104] erfüllt sind, sagt die Verordnung nicht. Ebenso wenig, ob in jedem Fall, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, Gelder gesprochen werden. Immerhin handelt es sich in Art. 129 SchulG um eine Kann-Bestimmung.[105] Grenzen setzen dem Entscheid der Regierung das Rechtsgleichheitsgebot und das Willkürverbot. Angesichts dessen, dass es sich sowohl bei der Waldorfschule als auch bei der bilingualen Privatschule formatio um Einrichtungen handelt, die schon seit geraumer Zeit in Liechtenstein aktiv sind, dürfte es für neu gegründete Privatschulen schwierig sein, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gleichbehandlung vorzuweisen.Dass die Regierung bereits 1973 mittels Vereinbarung dem „Verein für Heilpädagogische Hilfe“ die Sonderschulung in verschiedenen Bereichen übertragen hatte,[106] rechtfertigt eine Ungleichbehandlung des HPZ. Das HPZ wurde mit dem Zweck gegründet, staatliche Aufgaben im Bereich der Erziehung und Bildung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen zu übernehmen, die von der öffentlichen Schule nicht abgedeckt wurden.[107] Aus den finanziellen Zuwendungen an das HPZ können andere Privatschulen deshalb keine Ansprüche ableiten. |
1) Der Staat unterstützt und fördert das Unterrichts- und Bildungswesen.2) It shall provide appropriate stipends to help talented students without financial means attend institutes of higher education. Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteZur Entstehungsgeschichte siehe Schiess Rütimann, Einführende Bemerkungen zu den Verfassungsbestimmungen über die Bildung. Art. 17 LV war in der ursprünglichen Formulierung von 1921[1] weitgehend von Art. 7 Verfassungsentwurf Beck[2] übernommen worden. Art. 7 Abs. 3 Verfassungsentwurf Beck seinerseits war inspiriert von Art. 10 KV Kanton SG 1890.[3] In den Schlossabmachungen wurde in Ziff. 8 bei der Schaffung von Gesetzen zur Förderung des Bildungswesens ausdrücklich auf die spezielle Berücksichtigung der „haus- und landwirtschaftlichen, sowie der gewerblichen Fortbildung“ hingewiesen.In der ursprünglichen Version von Art. 17 LV von 1921 war klar, dass sich alle Ausführungen auf den nachobligatorischen Unterricht erstrecken.[4] In der aktuellen Version, die 1971 verabschiedet worden war, glaubt man in Abs. 1 eher eine Doppelung von Art. 15 LV zu lesen. Eine Wiederholung von bereits Gesagtem macht jedoch wenig Sinn. Überdies scheint es, dass der Begriff „Unterrichts- und Bildungswesen“ schlicht aus dem ursprünglichen Wortlaut übernommen worden war. Bis zur Revision von 1971 war nämlich in Art. 17 Abs. 1 LV von „Fortbildungs- und Realschulwesen“ sowie vom „hauswirtschaftlichen, landwirtschaftlichen und gewerblichen Unterrichts- und Bildungswesen“ die Rede. Die aktuelle Formulierung von Art. 17 Abs. 1 LV kann damit als eine Verkürzung der ursprünglichen Fassung verstanden werden. Auch die Materialien sprechen für eine solche die Kontinuität wahrende Auslegung.Dass anlässlich der Revision durch LGBl. 1972 Nr. 8 die Anträge der Regierung ohne Diskussion übernommen wurden, ist in den Einführenden Bemerkungen zu den Verfassungsbestimmungen über die Bildung Kapitel III. nachzulesen. Als Begründung für die Revision war von der Regierung angeführt worden, dass es schon seit längerem keine Fortbildungsschulen mehr gab. Überdies sollten die konkreten Bezeichnungen von Schularten aus der Verfassung gestrichen werden.[5] Es wurde jedoch nicht in Frage gestellt, dass Art. 17 LV seinen Schwerpunkt weiterhin in den den obligatorischen Unterricht ergänzenden Angeboten haben soll.II. AnwendungsbereichDa bereits Art. 16 Abs. 3 LV die staatliche Pflicht statuiert, den obligatorischen Unterricht an öffentlichen Schulen zu gewährleisten, ist zu erwarten, dass die in Art. 17 Abs. 1 LV verankerte Pflicht zur Förderung des Unterrichts- und Bildungswesens nicht denselben Gegenstand beschlägt. Die Wortwahl („Unterrichts- und Bildungswesen“ in Art. 17 Abs. 1 LV gegenüber „öffentliche Schulen“ in Art. 16 Abs. 1 LV) spricht dafür, dass die hier verankerte Pflicht zur Unterstützung und Förderung einen weiteren Anwendungsbereich hat und den Staat verpflichtet, auch Angebote zu unterstützen, die über diejenigen hinausgehen, die alle Kinder und Jugendlichen obligatorisch absolvieren müssen.Art. 17 Abs. 2 LV spricht von „höheren Schulen“. Weil hierfür Stipendien errichtet werden sollen, ist davon auszugehen, dass es sich um Bildungseinrichtungen handelt, für die ein Schulgeld zu entrichten ist oder für deren Besuch die Schülerin oder der Schüler wegen der Entfernung nicht mehr bei den Eltern wohnen kann oder bereits in einem Alter ist, in dem dies nicht mehr zumutbar ist.III. Unterstützung und Förderung des Unterrichts- und Bildungswesens (Abs. 1)Art. 17 LV enthält keine unmittelbare Verpflichtung Hochschulen, Universitäten, Forschungsinstitutionen, Angebote der Erwachsenenbildung oder des Kunst- und Musikunterrichts zu errichten.[6] Indem der Staat das Unterrichts- und Bildungswesen ganz allgemein unterstützen und fördern soll,[7] steht es ihm selbstverständlich auch zu, solche Institutionen selber zu betreiben. Art. 17 Abs. 1 LV vermittelt jedoch keinen Anspruch darauf, dass entsprechende Gründungen vorgenommen werden oder von Privaten gegründete Einrichtungen vom Staat finanziell unterstützt werden.Indem sich das Land an Berufsschulen und Fachhochschulen im Ausland beteiligt, eine öffentliche Universität sein eigen nennt,[8] mit den Nachbarstaaten Vereinbarungen geschlossen hat, die jungen Liechtensteinerinnen und Liechtensteinern den Zugang zu deren Hochschulen ermöglichen,[9] und mit der Musikschule und der Kunstschule öffentliche Unternehmen betreibt[10] und über die Stiftung Erwachsenenbildung Liechtenstein verschiedene Anbieter und Angebote unterstützt[11], kommt es seiner durch die Verfassung statuierten Verpflichtung nach. Dies umso mehr, als Art. 17 Abs. 1 LV keinen Mindestumfang der staatlichen Verpflichtung festlegt.Die Verpflichtung des Landes schliesst entsprechende Aktivitäten von Gemeinden, kirchlicher und privater Seite nicht aus. Wie weit die Freiheit der Privaten reicht, Schulen zu errichten, ergibt sich aber nicht aus Art. 17 LV, sondern aus Art. 16 Abs. 8 LV.IV. Gewährung von Stipendien (Abs. 2)A. Sinn und Zweck von StipendienSchon Ende 17. Jahrhundert waren erste Stipendien ausgerichtet worden. Wie Landesverweser Carl von In der Maur für die 1880er-Jahre berichtete, wurde nicht zuletzt angehenden Lehrern der Besuch von auswärtigen Lehrerbildungsanstalten ermöglicht.[12] Liechtenstein kannte demnach beim Inkrafttreten von Art. 17 LV bereits öffentliche Stipendien und von privater Seite gewährte Stipendien.Art. 17 Abs. 2 LV verpflichtet den Staat zur Ausschüttung von „angemessenen Stipendien“. Aus der Formulierung geht hervor, wozu diese dienen sollen: Sie sollen die Fortsetzung der Aus- und Weiterbildung über das absolute Minimum der von der Schulpflicht erfassten Schuljahre hinaus ermöglichen. Indem diese Beihilfen Personen, welche nicht über genügend eigene Mittel verfügen, eine Erst- bzw. Grundausbildung oder eine darüber hinaus gehende Weiterbildung ermöglichen, dienen sie der Verwirklichung der Chancengleichheit.[13]B. Grosse Freiheit des Gesetzgebers bei der Wahl der MittelDie Unterstützung muss meines Erachtens nicht in der Form von finanziellen Beiträgen an Einzelpersonen geleistet werden. Das Land würde seiner Verpflichtung z.B. auch nachkommen, indem es in Universitätsstädten Studentenwohnheime errichtet, die von Studierenden aus Liechtenstein kostengünstig benützt werden können, so dass auch Kinder aus finanziell schlecht gestellten Familien ein Studium in Angriff nehmen können.Indem Liechtenstein mit einzelnen Bildungseinrichtungen oder Staaten Vereinbarungen abschliesst, die es den jungen Bildungswilligen aus Liechtenstein ermöglicht, sich dort kostenlos oder zumindest stark vergünstigt aus- und weiterbilden zu lassen, kommt es seiner Pflicht ebenfalls nach.[14] Bei „Stipendium“ handelt es sich nämlich um einen weit gefassten Begriff. In der Tat ist der Betrag, den Liechtenstein an Universitäten und Fachhochschulen im Ausland ausrichtet, höher als die Summe der Stipendien, die an einzelne Personen ausgerichtet werden.[15]Von grosser Bedeutung ist die Interkantonale Universitätsvereinbarung,[16] welche die Studienanwärter aus Liechtenstein an den Schweizer Universitäten den Maturanden aus der Schweiz gleichstellt. Entsprechend hat Liechtenstein gestützt auf diese Vereinbarung mit den Schweizer Kantonen dieselben Pauschalbeiträge pro Student zu entrichten wie die Kantone für ihre Maturanden, die eine Universität in einem anderen Kanton besuchen.Vom Begriff „Stipendium“ sind nicht nur à fonds perdu gewährte Beiträge erfasst (also Beiträge, die nicht rückerstattet werden müssen), sondern auch Darlehen. Dies gilt jedoch nur, sofern die Darlehen zu Konditionen gewährt werden, die junge Menschen dazu motivieren, sich weiterzubilden und sie nicht für Jahre in eine Verschuldung treiben. In einem solchen Fall könnte nicht ernsthaft von einer „Erleichterung“ im Sinne von Art. 17 Abs. 2 LV gesprochen werden.C. Grosse Freiheit des Gesetzgebers bei der Bestimmung der StipendienberechtigtenGemäss dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 LV sollen die Unterstützungsleistungen „unbemittelten, gut veranlagten Schülern“ zugutekommen. Dies verpflichtet den Gesetzgeber dazu – sofern er Einzelpersonen Leistungen zukommen lassen will und nicht wie in Kapitel B ausgeführt, mittels Strukturen die Aus- und Weiterbildung so günstig gestaltet, dass sie jedermann offensteht – gesetzliche Grundlagen für die Ausschüttung von Stipendien zu schaffen. Die Stipendien müssen nach „transparenten und einheitlichen Kriterien vergeben“ werden,[17] und im Budget sind entsprechende Gelder vorzusehen.Aus Art. 17 Abs. 2 LV lässt sich trotz des Adjektivs „angemessen“ kein Anspruch auf ein Stipendium in einer gewissen Höhe ableiten.[18] Ebenso wenig besteht eine Pflicht des Staates, den grundsätzlich zu Stipendien Berechtigten jede gewünschte Ausbildung in unbeschränkter Dauer an einer beliebigen Bildungseinrichtung zu ermöglichen. Art. 17 Abs. 2 LV statuiert keine grundrechtlich geschützten Ansprüche, sondern legt ein Staatsziel fest.Der Begriff „unbemittelte Schüler“ muss vom Gesetzgeber definiert werden. Häufig verfügen junge Menschen nämlich auch dann über kein Einkommen und Vermögen, wenn ihre Eltern wohlhabend sind.[19] Wenn es der Gesetzgeber für sinnvoll erachtet, darf er auch die Ausbildung von jungen Menschen aus einem finanziell gut gestellten Elternhaus oder mit einem gewissen eigenen Vermögen und/oder Einkommen unterstützen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Verfassungsgeber nur die allerärmsten Jugendlichen und jungen Erwachsenen berücksichtigt haben wollte. Vielmehr ist angesichts der sehr angespannten Staatsfinanzen nach dem Ersten Weltkrieg davon auszugehen, dass der Verfassungsgeber zumindest den in finanzieller Hinsicht am schlechtesten gestellten Schulabgängern eine Unterstützung gewähren wollte.Gemäss dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 LV sind die Stipendien für „gut veranlagte Schüler“ vorgesehen. Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, wie eng er dieses Kriterium fassen will. Er kann sich zum Beispiel an den Abschlussnoten der Schule orientieren oder an den bereits im Studium oder in der Ausbildung erbrachten Leistungen. Zulässig wäre es aber auch, alle Absolventen des Gymnasiums als gut veranlagt zu bezeichnen (schliesslich wurden ihre Leistungen während der gesamten Schulzeit immer wieder geprüft) oder alle Jugendlichen, die einen Lehrvertrag vorweisen können (schliesslich halten die betreffenden Lehrbetriebe die Jugendlichen für geeignet). Anstatt solcherart auf die Beurteilung durch Dritte abzustellen, könnte die zuständige Stelle auch selber Tests durchführen, um die bereits vorhandenen Kenntnisse und das Potenzial der jungen Menschen zu ergründen.Der Verfassungstext verbietet es nicht, Stipendien auch an ältere Menschen auszurichten. Es hält jedoch vor dem Grundsatz der Gleichbehandlung stand, wenn der Gesetzgeber eine Alterslimite einführt. Stipendien verfolgen nicht nur den Zweck, dem Empfänger Chancen zu eröffnen, sondern sollen zusätzlich auch das Reservoir an gut ausgebildeten Arbeitnehmern in Liechtenstein vergrössern. Je kürzer die Zeitspanne ist, die eine geförderte Person voraussichtlich im Erwerbsleben verbringen wird, desto geringer ist der Nutzen für das Land. Beschränkte staatliche Mittel gezielt einzusetzen und darum z.B. Studierende bestimmter Studienrichtungen, an denen im Land ein grosser Bedarf herrscht, bevorzugt zu behandeln, würde – sofern die gesetzlichen Grundlagen hierfür vorliegen – ein legitimes öffentliches Interesse darstellen. Dem Gesetzgeber kommt bei der Ausgestaltung des Stipendienwesens nämlich grosse Freiheit zu. Er hat einen weiten Spielraum „hinsichtlich der Beantwortung der Frage, welche Tatbestände unter dem Aspekt der Ausbildungsförderung gleich und welche als ungleich zu behandeln sind.“[20] Die Verfassung macht ihm hierzu keine Vorgaben.[21] Sie begründet keinen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes System der Ausbildungsförderung.[22]Zum Stipendiengesetz[23] besteht eine umfangreiche Rechtsprechung, z.B. zur Ermittlung des massgebenden Vermögens,[24] zur Frage, ob zumutbare, kostengünstigere Alternativen zur Verfügung stehen,[25] zur Ermittlung der Maximaldauer der Unterstützung[26] oder zur Rückforderung von Ausbildungsbeihilfen[27].StGH 2011/101, Erw. 4.5 führte aus, dass die Berufswahlfreiheit nicht verletzt sei, wenn ein Student die von ihm gewünschte Studienrichtung am bevorzugten Studienort frei wählen könne, jedoch kein Zusatzstipendium erhalte. Die Nichtgewährung eines Zusatzstipendiums stelle keinen Eingriff dar, „da aus der Berufswahlfreiheit kein verfassungsmässig gewährleistetes Recht auf finanzielle Unterstützung des frei gewählten Studiums abgeleitet werden kann“. Auch das Stipendiengesetz begründe keinen unbedingten Anspruch, dass jede Erstausbildung, die Kosten von über 50'000 Fr. verursacht, mit einem Zusatzstipendium unterstützt werden müsste. |
Der Staat sorgt für das öffentliche Gesundheitswesen, unterstützt die Krankenpflege und strebt auf gesetzlichem Wege die Bekämpfung der Trunksucht sowie die Besserung von Trinkern und arbeitsscheuen Personen an. The State shall be responsible for the public health system, shall support measures for the care of the sick, and shall seek by way of law to combat alcoholism and to reform alcoholics and work-shy persons. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine BemerkungenA. Grosse Freiheit des GesetzgebersArt. 18 LV spricht mit der Nennung von verschiedenen Verpflichtungen des Staates im Gesundheitswesen einen weiten Bereich an. Dies hängt damit zusammen, dass bereits der Begriff der Gesundheit weit gefasst ist.[2]In Art. 18 LV findet sich weder ein abstraktes Leitbild noch ein konkretes Modell, wie Liechtensteins Gesundheitswesen ausgestaltet sein soll.[3] Diesen Grundsatzentscheid hat der Gesetzgeber zu fällen. Er muss immer wieder prüfen, ob die einmal gewählte Ordnung im Detail (z.B. bezüglich der bewilligungspflichtigen Tätigkeiten) (noch) den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht. Art. 18 LV verpflichtet nämlich den Staat, für eine kohärente Organisation des gesamten Gesundheitswesens zu sorgen, planend und steuernd tätig zu werden und zu kontrollieren.[4] Er statuiert weder ein soziales Grundrecht noch einzelne klagbare Ansprüche, sondern nennt ein Staatsziel.[5] Ob ein medizinisches und pflegerisches Angebot im Inland durch die öffentliche Hand angeboten wird oder die Versorgung der Bevölkerung auf andere Art und Weise sichergestellt wird, entscheidet der Gesetzgeber. Hierbei geht die Verpflichtung des Staates bezüglich Krankenpflege weiter als im Gesundheitswesen insgesamt, verpflichtet doch die Verfassung zur „Unterstützung“ der Krankenpflege.[6] Art. 18 LV schützt damit vor einer vollständigen Verstaatlichung der Krankenpflege.[7] Einen Gesetzgebungsauftrag nennt Art. 18 LV bezüglich des Umganges mit „Trinkern“ und „Arbeitsscheuen“.[8]B. Der Begriff der GesundheitDie Weltgesundheitsorganisation WHO[9] definiert die Gesundheit wie folgt: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease[10] or infirmity.“[11] Der UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) umschreibt die im Recht auf Gesundheit enthaltenen Ansprüche in seinem Kommentar zu Art. 12 UNO-Pakt I in Ziff. 8 folgendermassen:[12] „The freedoms include the rights to control one’s health and body, including sexual and reproductive freedom, and the right to be free from interference, such as the right to be free from torture, non-consensual medical treatment and experimentation.“ Die Regierung hat Gesundheit einmal als „Harmonie von Körper, Seele und Geist, eingebettet in ein unterstützendes soziales Umfeld“ definiert.[13] Gesundheit meint auf jeden Fall mehr als die Abwesenheit von Beeinträchtigungen körperlicher Art.[14]Ebenso mannigfaltig sind die Themen, die einer Regelung bedürfen. Beispielhaft seien genannt: Qualitätskontrolle der Medizinalpersonen, Zugang zu Medikamenten, Präventionskampagnen, Gesundheitsunterricht in der Schule, Unterstützung von Selbsthilfegruppen für Suchtkranke, Zugang von Unternehmen der Medizinaltechnik zu internationalen Märkten, Kooperation mit ausländischen Kliniken und Heimen. Neben längerfristig wirksamen Massnahmen wie Studien über die Versorgung der Bevölkerung sind (z.B. bei Epidemien) aber auch rasche Entscheide und (z.B. bei der Verhängung einer Quarantäne) einschneidende Massnahmen gefordert. Überdies ist die Frage nach der Finanzierung zu diskutieren.[15]II. EntstehungsgeschichteIn der Landständischen Verfassung von 1818 fanden sich keine Hinweise, dass mit Gebhard Schädler bereits 1809 ein Landesphysikus (Amtsarzt) bestellt worden war. Das Gesundheitswesen wurde nicht erwähnt. Auch im Verfassungsentwurf von Peter Kaiser vom März 1848 wurden weder der Amts- noch der Tierarzt erwähnt oder Massnahmen der Gesundheitspolizei vorgesehen. § 87 lit. l und § 96 Verfassungsentwurf des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 hingegen war zu entnehmen, dass es ein „Sanitätswesen“ gab, hätte doch die Staatsverwaltung dem Landtag entsprechend Bericht erstatten und der Landesverweser „die Besorgung des öffentlichen Gesundheitszustandes“ überwachen müssen. Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 sagte hinwiederum nichts zum Gesundheitswesen.Gemäss Art. 8 Abs. 1 Verfassungsentwurf Beck „pflegt“ das Land „das öffentliche Gesundheitswesen, unterstützt die öffentliche Krankenpflege und beteiligt sich an der Gründung und dem Betriebe eines Krankenhauses.“[16] Mit dieser Formulierung lehnte sich Wilhelm Beck an eine Bestimmung der St. Galler Verfassung von 1890 an.[17] Art. 8 Abs. 2 Verfassungsentwurf Beck wollte für die „Besserung von Trinkern, arbeitsscheuen und liederlichen Personen“ sorgen.[18] Die Schlossabmachungen zählten in Ziffer 8 die „Förderung des Unterrichts-, Erziehungs- und Pflegewesens“ auf, ohne auf vorhandene oder neu zu schaffende Institutionen Bezug zu nehmen. Der Verfassungsentwurf von Regierungschef Josef Peer setzte die Vorgaben unter Bezugnahme auf den Entwurf von Wilhelm Beck in § 18 RV um.[19] In der Landtagssitzung vom 24. August 1921 wurde die Ergänzung „Bekämpfung der Trunksucht“ eingebracht.[20] Seit dem Inkrafttreten der Verfassung wurde Art. 18 LV nie geändert.Die Materialien enthalten keine Begründung für die unterschiedlichen Formulierungen. Dass sich Josef Peer für „öffentliches Gesundheitswesen“ (wie Wilhelm Beck) und „Krankenpflege“ (und nicht wie Wilhelm Beck für „öffentliche Krankenpflege“) entschied, könnte sprachliche Gründe haben. Die von Beck aus der St. Galler Verfassung übernommene Formulierung „unterstützt die öffentliche Krankenpflege“ erscheint nämlich wenig überzeugend, zeichnet sich doch öffentliche Krankenpflege per Definition dadurch aus, dass sie in der einen oder anderen Form unterstützt wird. Offenbar herrschte Einigkeit, dass das Land die Pflege nicht vollumfänglich zu einer staatlichen Aufgabe machen sollte. Dies entsprach dem nach dem Ersten Weltkrieg in Liechtenstein angetroffenen Zustand, war doch 1912 ein privater Kranken-Unterstützungsverein gegründet worden.[21]III. Übersicht über die Entwicklung des GesundheitswesensA. Die Entwicklung des medizinischen Angebots im 19. Jahrhundert und im frühen 20. Jahrhundert1801 eröffnete mit Gebhard Schädler der erste an einer Universität ausgebildete Arzt seine Praxis in Liechtenstein. Er wurde 1809 Landesphysikus.[22] Seit Beginn des 19. Jahrhunderts war der Landesphysikus mit der Behandlung der armen Bevölkerung und der Ausbildung der Hebammen[23] beauftragt.[24] Ab 1873 hatten die Gemeinden für ihre Armen mit Ärzten eine entsprechende Regelung zu treffen,[25] wobei der Landesphysikus auch später noch Behandlungen minderbemittelter Personen übernehmen musste.[26] Trotzdem verzichteten auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kranke aus finanziellen Gründen auf einen Arztbesuch.[27]Bereits 1812 war auf Antrag von Landesphysikus Schädler die Pockenschutzimpfung obligatorisch erklärt worden.[28] Während des 19. Jahrhunderts gehörte die Tuberkulose zu den häufigsten Krankheiten. Zwischen 1880 und 1890 forderte sie besonders viele Menschenleben.[29] Landesphysikus Martin Risch wertete 1936 die Todesfallstatistik der Gemeinde Triesen von 1831 bis 1930 aus. Häufigste Todesursache war die Tuberkulose, dicht darauf folgten Herzerkrankungen und andere Lungenerkrankungen.[30] Die höchsten Sterbezahlen waren für 1918 (Grippe) zu verzeichnen. Im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Niederkunft verschieden „nur“ 9 Frauen (auf 2669 Geburten).[31] Hingegen starben sehr viele Kleinkinder.[32]Ende 19. Jahrhundert wurde mit dem Kurbetrieb in Gaflei und im Kurhaus Sücka begonnen. Während des Ersten Weltkrieges kam der Betrieb zum Erliegen, konnte aber nach dem Krieg wieder aufgenommen werden.[33] Trotz verschiedener Bemühungen während und nach dem Ersten Weltkrieg kam es nicht zum Bau eines Krankenhauses, wohl aber entwickelte sich aus der Krankenabteilung des Vaduzer Bürgerheims nach Umgestaltungen in den 1920er-Jahren und mit dem Anbau eines Operationssaales in den Jahren 1930/31 das Landesspital.[34] Bereits 1911 wurde mittels Vertrag die Unterbringung von psychisch Kranken in der „Heil- und Pflegeanstalt St. Pirminsberg“ (Pfäfers, Kanton SG)[35] ermöglicht. Bezüglich der „Landesirrenanstalt Valduna“ und der „Landeswohltätigkeitsanstalt Valduna“ in Rankweil (Vorarlberg) kam es nicht zu einem Vertrag. Beide Anstalten nahmen (und nehmen) jedoch liechtensteinische Patienten auf.[36] Dasselbe galt (und gilt) für das Spital in Grabs (Kanton SG).1870 wurde die erste Fabrikkrankenkasse gegründet. Ab 1891 hatten alle drei Textilunternehmen eine Krankenversicherung, die von Lohnabzügen und Beiträgen der Unternehmen gespiesen wurde.[37] Ab 1886 waren alle Industriearbeiter bei einer österreichischen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfälle versichert.[38] Erst 1894 stand mit dem „Allgemeinen Kranken-Unterstützungsverein für das Fürstentum Liechtenstein“ jedermann eine Krankenversicherung offen. Wegen verhältnismässig hoher Prämien und schlechten Leistungen bei Mutterschaft traten ihr jedoch nur wenige Personen bei.[39] Erst als 1926 und 1932 zwei Schweizer Krankenkassen eine Niederlassung in Liechtenstein errichteten, stieg die Anzahl der versicherten Personen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war knapp die Hälfte aller Einwohner gegen Krankheit versichert.[40]Private gründeten mit kirchlicher Hilfe 1912 einen Krankenpflegeverein. Er stellte bei Geburtskomplikationen und längerer Krankheit Pflegerinnen für die Pflege zu Hause bereit.[41] In den 1950er- und 1960er-Jahren kam es in den Gemeinden zur Gründung von Vereinen der so genannten Familienhilfe und in den 1980er-Jahren zum Ausbau von Dienstleistungen, welche Kranken, Betagten und Behinderten den Verbleib in der eigenen Wohnung ermöglichen.[42]B. Das Sanitätsgesetz von 1874 und seine NachfolgerDie Polizeiordnung vom 1. Januar 1844[43] enthielt verschiedene gesundheitspolizeiliche Vorschriften, so insbesondere eine Beschränkung der „Ausübung der Arzneikunde“ auf „befugte Ärzte und Wundärzte“ und die Beschränkung des Verkaufes von „Gift“ auf Apotheker und Handelsleute mit Erlaubnis (§§ 31 und 34 ff.), Vorgaben für den Umgang mit Infektionskrankheiten (§ 33 Abs. 2)[44] und Leichen (§ 42) sowie für den Fleischverkauf (§§ 57 ff.). Ähnliche Themen regelte das Sanitätsgesetz vom 8. Oktober 1874.[45] Es bezeichnete den Landesphysikus und den Landestierarzt als Vollzugsorgane der „Medizinalpolizei sowie der Gesetze und Verordnungen über das Gesundheitswesen“ (§ 2). Der Regierung wies es die Leitung und Beaufsichtigung „des Sanitätswesens“ und die „Handhabung der Gesundheitspolizei“ zu (§ 1). Der Landesphysikus überwachte die Medizinalpersonen (inklusive Hebammen), die Arzneimittel, die Behandlung der ärmeren Kranken, die Leichenschau und fungierte als Gerichtsarzt (§§ 6 ff.). In den Anforderungen an die Ärzte (Diplom einer österreichischen Universität, § 24 Abs. 1) und bei den Medikamenten (§ 28) zeigte sich die Nähe zu Österreich.Der Zollvertrag von 1923 zählte in Anlage I Buchstaben B.c und E.d einige Schweizer Erlasse aus dem „Gesundheitsamt“ und dem „Veterinäramte“ auf, die fortan in Liechtenstein Anwendung fanden. Das Einführungs-Gesetz zum Zollvertrag[46] brachte einschneidende Änderungen, regelte es doch insbesondere Herstellung und Verkauf von gebrannten Wassern (Art. 19 ff.), Epidemien (Art. 32 ff.) und Tierseuchen (Art. 68 ff.) sowie die Lebensmittel- und die Viehinspektion (Art. 55 ff. und Art. 72 ff.).Entsprechend wurde das Sanitätsgesetz von 1874 revidiert.[47] „Für die Ausübung der Berufstätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Tierarzt oder Apotheker“ brauchte es weiterhin die Zulassung durch die Regierung. Angeknüpft wurde nun aber nicht mehr an ein Studium in Österreich, sondern an „abgeschlossene Hoch- oder Fachschulstudien“.Die nächste Revision 1945 stellte eine Totalrevision dar.[48] Das Gesetz erstreckte sich wiederum auf die Gesundheit von Mensch und Tier. Als ständige Vollzugsbehörde für die Humanmedizin und die Hygiene richtete es eine dreiköpfige Sanitätskommission unter dem Vorsitz des Regierungsmitglieds ein (Art. 2). Der Kommission oblag insbesondere die Konzessionserteilung zur Ausübung des ärztlichen, zahnärztlichen und Apothekerberufes[49] sowie für Betriebe wie Privatkliniken und Sanatorien (Art. 6 Abs. 1). Die Konzessionen für die übrigen Medizinalberufe (insbesondere Hebammen, Fürsorgerinnen, Krankenpfleger, Fusspfleger, Masseure und Drogisten) erteilte die Regierung (Art. 32 Abs. 1). Als ausführendes Organ der Sanitätskommission fungierte der Landesphysikus (Art. 9 Abs. 1), der wie bisher v.a. mit der Aufsicht und als Gerichtsarzt beschäftigt war. Des Weiteren regelte das Sanitätsgesetz von 1945 die Kompetenzen des Ärztevereins als „einzige gesetzliche anerkannte Berufs- und Standesvertretung“ (Art. 23 Abs. 1), die Aufgaben des Landestierarztes und den Handel mit Heilmitteln, wobei auf die Pharmacopoea Helvetica (Art. 38 Abs. 1 lit. a) Bezug genommen wurde.Eine Trennung der Regelungen für Mensch und Tier erfolgte erst 1966 mit dem Gesetz über das Veterinärwesen.[50] Es ist unter dem Namen „Tierseuchenpolizeigesetz“ noch immer in Kraft.[51] Tierärzte können ihre Tätigkeit seit der Revision vom 1. Dezember 2016[52] in einer juristischen Person ausüben.[53] Überdies erlaubt das Gesetz neu komplementärmedizinische Leistungen.[54] Umfangreiche Bestimmungen zum Veterinärwesen finden sich überdies im EWR-Recht.[55]In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Sanitätsgesetz durch Verordnungen ergänzt.[56] Immer mehr im Gesetz nur kurz[57] oder nicht erwähnte Bereiche wurden einer eigenständigen Regelung zugeführt, wie z.B. die Schulzahnpflege.[58]Wie seine Vorgängerin sah auch das totalrevidierte Sanitätsgesetz von 1985[59] eine Sanitätskommission mit dem Landesphysikus als ausführendem Organ vor. Neu war insbesondere, dass das Gesetz Kompetenzen zwischen Land und Gemeinden verteilte (Art. 12),[60] Gesundheitsvorsorge (Art. 11) sowie Obduktion und Organspende (Art. 13 f.) und die Rechtsform der Betriebe der Gesundheitspflege und Arztpraxen (Art. 45) ausdrücklich regelte. Das Sanitätsgesetz von 1985 wurde mehrfach revidiert.[61] 2008 trat eine Totalrevision in Kraft. Das mit dem Gesundheitsgesetz (GesG) vom 13. Dezember 2007[62] neu geschaffene Amt für Gesundheit ist für den Vollzug und damit insbesondere für die Berufsausübungsbewilligungen[63] und die Bewilligungen für Einrichtungen des Gesundheitswesens zuständig.[64] Der Amtsarzt ist in das Amt integriert (Art. 50 Abs. 1 lit. d GesG). Das Gesetz regelt die Rechte und Pflichten der Angehörigen der Gesundheitsberufe, nimmt aber die Ärzte und Tierärzte ausdrücklich von der Regelung aus (Art. 2 GesG).C. Das Heilmittelgesetz1971 wurde das Sanitätsgesetz um eine Verordnung über die Heilmittel ergänzt.[65] Ab 1990 übernahm das Heilmittelgesetz[66] die Regelung des Verkehrs mit Heilmitteln. Als Heilmittel sind – wie in der Schweiz[67] – die Arzneimittel[68] und Medizinprodukte[69] zu verstehen.[70] 2015 trat ein totalrevidiertes Heilmittelgesetz in Kraft.[71] Es setzt die gemäss Zollvertrag geltenden Normen um.[72] Vereinbarungen mit der Schweiz[73] ermöglichen Liechtenstein den Bezug von Heilmitteln aus der Schweiz und die Zusammenarbeit mit Swissmedic,[74] der schweizerischen Zulassungs- und Kontrollbehörde für Heilmittel.[75] Überdies besteht seit 2010 ein Abkommen mit Österreich über die automatische Anerkennung der Zulassung bzw. Registrierung von Arzneimitteln.[76] Für die Umsetzung des EWR-Abkommens[77] relevante Bestimmungen finden sich im EWR-Arzneimittelgesetz.[78] Wichtig ist die korrekte Qualifikation der Produkte als Heilmittel, Lebensmittel[79] oder Kosmetika.[80]D. Das Ärztegesetz von 2003Die ärztliche Berufsausübung und die Standesvertretung[81] regelt das Ärztegesetz von 2003.[82] Es nennt die Voraussetzungen für die Berufsausübung (so genannte Berufsausübungsbewilligung, Art. 6). Bei Vorliegen aller Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf die Bewilligung (Art. 9 Abs. 1).[83] Des Weiteren finden sich im Gesetz die Bestimmungen über die Ärztegesellschaften (Art. 15a ff.), die Disziplinarverfahren (Art. 26 ff.), die Ärztekammer[84] (Art. 38 ff.) sowie die grenzüberschreitende Berufsausübung.Welche Ärzte zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung abrechnen dürfen (Zulassung zur so genannten OKP),[85] zeigen die Websites von Ärztekammer[86] und Krankenkassenverband.[87] Es handelt sich um die Ärzte mit einer Bedarfsstelle gemäss der Verordnung über die Bedarfsplanung[88].[89] Der Anhang der Verordnung listet die Höchstzahl der zugelassenen Ärzte pro Fachgruppe auf.Zahlreich waren die Diskussionen bezüglich der Organisation der Arztpraxen. Die Verordnung vom 17. Dezember 1996 betreffend die Abänderung der Verordnung über die medizinischen Berufe[90] hielt explizit fest, dass Ärzte und Zahnärzte nur in einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis selbständig tätig sein und nicht mehr als eine Praxis führen dürfen (so genannte single practice rule). Der EFTA-Gerichtshof kam 2001 in drei Entscheiden (Rs E-06/00 Dr. Jürgen Tschannett,[91] Rs E-05/00 Dr. Josef Mangold und Rs E-04/00 Dr. Johann Brändle) zum Schluss, die single practice rule stelle eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.[92] Weil sie „weder erforderlich noch angemessen [sei], um die Möglichkeit für Ärzte zu begrenzen, eine künstliche Nachfrage nach ihren Leistungen zu schaffen“, lasse sie sich nicht mit Art. 31 EWRA vereinbaren.[93]Die ursprüngliche Version des Ärztegesetzes vom 22. Oktober 2003[94] kannte nur die freiberufliche Tätigkeit in Praxisgemeinschaft und die Anstellung in einem Betrieb der Gesundheitspflege.[95] Erst mit der Revision vom 20. Oktober 2010[96] – sie ging auf StGH 2008/38 zurück – wurden (inspiriert vom Rechtsanwaltsgesetz[97]) mit Art. 15a ff. Ärztegesetz die Grundlagen für Ärztegesellschaften geschaffen.[98] Auch für die übrigen Gesundheitsberufe wurden entsprechende Regelungen getroffen.[99] Mit der Revision vom 1. Dezember 2016[100] wurde eine Angleichung der Gesundheitsberufe an die Ärztegesellschaften angestrebt und die letzten Spuren[101] des Verbotes von multidisziplinären Gesundheitsberufegesellschaften, das StGH 2014/25[102] für verfassungswidrig erklärt hatte, beseitigt.[103] Ärzte dürfen jedoch weiterhin nur mit anderen Ärzten eine juristische Person gründen.[104]E. Das Liechtensteinische LandesspitalDas Liechtensteinische Landesspital entstand, indem die Gemeinde Vaduz der Stiftung öffentlichen Rechts „Liechtensteinisches Landesspital“ im Jahr 2000 ihr Spitalgebäude inklusive Aktiven und Passiven übertrug[105].[106] Konzipiert ist das Spital als Belegarztspital. Das Gesetz vom 21. Oktober 1999 über das Liechtensteinische Landesspital[107] hat bis jetzt erst eine Revision erfahren.[108] Sie war dem Erlass des ÖUSG[109] geschuldet.Am 28./30. Oktober 2011 wurde der Kredit für einen Neubau von den Stimmberechtigten abgelehnt.[110] In der Folge beauftragte der Landtag die Regierung mit einer neuen Standortevaluation.[111] Die entsprechenden Arbeiten führten nicht zu einem Bauprojekt. Nach umfangreichen Abklärungen der Regierung, deren Arbeit von der Besonderen Landtagskommission Landespital begleitet und kontrolliert wurde, stimmte der Landtag nach einer Diskussion der Berichte von Landtagskommission und Regierung[112] der neuen Eignerstrategie für das Landesspital zu.[113] Gestützt auf diese erfolgten Anpassungen in der Organisation und bauliche Sanierungen.[114]Wichtig war die 2015 geschlossene vertikale Kooperation[115] mit dem Kantonsspital Graubünden in Chur.[116] Die „medizinischen Partnerschaften“ des Landesspitals werden in den Geschäftsberichten genannt.[117] Die Vereinbarungen Liechtensteins mit verschiedenen Partnern in der Schweiz und in Österreich sind bezüglich Aufnahme und Behandlung von Liechtensteiner Patienten auf der Website des Kassenverbandes zugänglich.[118]Einer Beteiligung Liechtensteins und einzelner liechtensteinischer Einrichtungen an ausländischen Netzwerken, Stiftungen, Kliniken etc., öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur, steht aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts entgegen. So ist Liechtenstein z.B. seit 1966 Stiftungsträger des Kinderspitals in St. Gallen.[119]2013 wurde eine provisorische Betriebsbewilligung für eine Privatklinik in Bendern erteilt.[120] Sie eröffnete den Betrieb Anfang 2017.F. Heime und ambulante HilfsangeboteWichtig für die Versorgung v.a. der betagten Einwohner ist die Stiftung des öffentlichen Rechts „Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe" (LAK).[121] Sie betreibt die vier[122] Alters- und Pflegeheime in Eschen, Schaan, Triesen und Vaduz sowie eine Pflegewohngruppe in Triesenberg (Art. 3 Abs. 2 LAKG).[123] In Balzers werden das Pflegeheim Schlossgarten[124] und die Familienhilfe durch die „Lebenshilfe Balzers“ betrieben. Für alle anderen Gemeinden ist die Familienhilfe Liechtenstein zuständig.[125]Die als Verein organisierte Familienhilfe bietet zu Hause lebenden Personen Unterstützung in Pflege (oft als Spitex bezeichnet), Betreuung und im Haushalt. Überdies betreibt sie die Fachstelle für häusliche Betreuung und Pflege,[126] welche Aufgaben im Zusammenhang mit der Ausschüttung des Betreuungs- und Pflegegeldes übernimmt.[127]Verschiedene weitere privatrechtliche Organisationen erbringen Leistungen zur Aufrechterhaltung und/oder Wiedererlangung der physischen und psychischen Gesundheit, oder sie helfen Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags. Es sind dies – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:[128] Der 1989 gegründete Verein für betreutes Wohnen (VBW).[129] Er erbringt verschiedene durch die öffentliche Hand (mit-)finanzierte[130] Leistungen in der sozialpsychiatrischen, sozialtherapeutischen und sozialpädagogischen Grundversorgung,[131] sowohl stationär (v.a. mit der therapeutischen Wohngemeinschaft) als auch mobil.[132] Über Leistungsvereinbarungen mit der Regierung und öffentliche Gelder verfügt auch das Heilpädagogische Zentrum (HPZ).[133] Es wird von einer privatrechtlichen Stiftung getragen und führt insbesondere die Sonderpädagogische Tagesschule, Werkstätten und Wohnmöglichkeiten. Der 1994 gegründete Liechtensteiner Seniorenbund[134] ist als Verein konstituiert. Sein Zweck besteht in der Wahrung der Interessen der Senioren sowie in der Unterstützung hilfsbedürftiger Senioren in ausgewählten Bereichen des täglichen Lebens. Er betreibt unter anderem die Informations- und Beratungsstelle Alter (IBA). Ebenfalls als Verein organisiert und beratend tätig ist die 1988 gegründete Krebshilfe Liechtenstein.[135] Seit 2001 begleitet die Hospizbewegung Liechtenstein[136] schwer kranke und sterbende Menschen. Berührungspunkte mit dem Gesundheitswesen finden sich auch beim Liechtensteinischen Roten Kreuz,[137] organisiert es doch unter anderem Blutspendeaktionen sowie die Mütter- und Väterberatung.Die dem Amt für Soziale Dienste angegliederte Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen[138] hilft beim Aufbau neuer Gruppen und vermittelt den Kontakt zu bestehenden. Viele von ihnen stehen Personen offen, die unter einer bestimmten Krankheit leiden oder eine solche Person in der Familie haben.Darüber hinaus gibt es v.a. im Bereich der Pflege, Betreuung und Unterstützung im Haushalt private Anbieter.[139] Sie profitieren von dem in Art. 3octies ELG verankerten Betreuungs- und Pflegegeld, das dauernd betreuungs- oder pflegebedürftigen Personen einen Beitrag an die Ausgaben für häusliche Betreuung erstattet.[140]IV. Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Grenzen der Regelungen betreffend Gesundheitswesen, Sozialversicherungen und SozialhilfeA. Enge VerbindungenWegen der vom Tier auf den Menschen übertragbaren Krankheiten und der Bedeutung einer ausreichenden, ausgewogenen einwandfreien Ernährung weist die Sorge um die Gesundheit des Menschen eine enge Verbindung zu Tiergesundheit, Landwirtschaftspolitik und Lebensmittelverarbeitung[141] auf. Schon im Sanitätsgesetz von 1874 wurden Landesphysikus und Landestierarzt in einem Atemzug genannt.[142]Wegen ihrer Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden können auch Massnahmen des Umweltschutzes und der Raumplanung (wie die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung[143] oder der Schutz von Naherholungsgebieten), der Schutz vor gefährlichen Stoffen,[144] Hygienekontrollen, die Minimierung von Unfallrisiken in Unternehmen und auf der Strasse sowie Angebote für Sport und Erholung[145] zur Gesundheitspolitik in einem weiteren Sinn gezählt werden.[146] Sie gehören aber nicht zum Gesundheitswesen.Seit jeher weisen Gesundheit und sozialer Status einen engen Bezug auf. Wer gesund ist und einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, kommt seltener in finanzielle Not als Kranke und Behinderte. Wer finanziell gut gestellt ist, hat mehr Möglichkeiten, sich gesund zu ernähren, sich zu erholen, Sport zu betreiben oder sich bei Krankheit oder Unfall pflegen zu lassen. Es ist denn auch kein Zufall, dass die Verfassung von 1921 das Gesundheitswesen und die übrigen Aufgaben im sozialen Bereich hintereinander im III. Hauptstück regelt. Art. 18 LV regelt das öffentliche Gesundheitswesen, die Unterstützung der Krankenpflege und die Bekämpfung von Alkoholismus und Arbeitsscheu.[147] Art. 19 LV verpflichtet den Staat dazu, die Arbeitnehmenden von Gewerbe und Industrie vor den typischen Gefahren zu schützen, denen sie ausgesetzt sind.[148] In Art. 25 LV finden sich Antworten auf Fragen, die heute einerseits von der Sozialhilfe, andererseits von Sozialversicherungen und dem Gesundheitswesen beantwortet werden. Art. 26 LV konzentriert sich auf die Sozialversicherung.[149]B. Grenzen der Pflichten von Art. 18 LVDer Auftrag von Art. 18 LV geht nicht so weit, mittels Massnahmen in der Wohnungs- und Beschäftigungspolitik, einem Engagement in der Kultur etc. für optimale Lebensbedingungen und damit für den bestmöglichen Gesundheitszustand jedes einzelnen Einwohners zu sorgen. Art. 18 LV statuiert weder ein soziales Grundrecht noch verschafft er konkrete grundrechtliche Ansprüche, sondern er nennt ein Staatsziel.[150] Folgen also z.B. Grundsatzerklärungen zur Bedeutung einer intakten Naturlandschaft für die Gesundheit von Mensch und Tier keine Massnahmen, werden für sinnvoll erachtete Kliniken nicht errichtet oder private Heime, die dringend benötigte Betreuungsleistungen anbieten, nicht staatlich unterstützt, vermittelt Art. 18 LV keine durchsetzbaren Ansprüche. Ebenso wenig, wenn Leistungen abgebaut werden. Sei es dergestalt, dass öffentliche Institutionen wie das Landesspital bestimmte Angebote nicht mehr weiterführen und Patienten auf private Anbieter oder Institutionen im Ausland ausweichen müssen. Oder sei es, dass medizinische Leistungen oder nicht mehr von der Sozialversicherung bezahlt werden.[151]Angesichts der hier vertretenen Ansicht, dass der Staat nur verpflichtet ist, das öffentliche Gesundheitswesen zu planen, zu steuern und zu kontrollieren,[152] zwingt Art. 18 LV nicht zur Bereitstellung von Infrastruktur und zum Angebot von Dienstleistungen durch die öffentliche Hand.M.E. ist dem Auftrag von Art. 18 LV Genüge getan, wenn der Staat durch den Abschluss von Vereinbarungen mit Nachbarstaaten oder Einrichtungen gewährleistet, dass alle Einwohner Zugang zu den notwendigen Leistungen haben. Ebenso, wenn er per Gesetz dafür sorgt, dass Private die Leistungen anbieten und ihre Bezahlung (z.B. dank einer Versicherung) allen Menschen möglich ist.[153] Es ganz dem Markt zu überlassen, welche Gesundheitsdienstleistungen der Bevölkerung zugänglich sind, würde dem in Art. 18 LV statuierten Auftrag, für das öffentliche Gesundheitswesen zu „sorgen“ nicht gerecht.Wenn der Staat bei einer drohenden Gefahr (z.B. Epidemie oder Chemieunfall) nicht aktiv wird[154] oder bei Schädigungen durch mangelhaft ausgebildetes oder unsorgfältig arbeitendes medizinisches Personal und gegenüber zu schlecht ausgestatteten Institutionen nicht eingreift, kann eine Verletzung der Verfassung vorliegen. In diesen Fällen sind allerdings die Grundrechte Recht auf Leben (Art. 27ter LV) und Menschenwürde (Art. 27bis LV) einschlägig, nicht Art. 18 LV. Aus dem ungeschriebenen Grundrecht auf ein Existenzminimum[155] kann überdies ein Anspruch auf Hilfe in einer akuten Notlage abgeleitet werden.V. Charakteristika des GesundheitswesensA. Grosse finanzielle Bedeutung des GesundheitswesensDie öffentlichen Ausgaben sind im Bereich des Gesundheitswesens hoch.[156] Die Kostenentwicklung hat einen grossen Einfluss auf die Landesrechnung.[157] An der Veröffentlichung entsprechender Daten[158] besteht deshalb ein öffentliches Interesse.[159] Nur in Kenntnis der Fakten kann eine qualitativ hochstehende, gleichzeitig aber auch finanzierbare Gesundheitsversorgung erreicht werden.[160]Das Gesundheitswesen ist ein wichtiger Arbeitgeber.[161] 2007 gab die Regierung zwei Studien über seine ökonomischen Aspekte in Auftrag.[162] Dabei interessierte vor allem die Wertschöpfung durch Gesundheitsdienstleistungen ausserhalb der OKP.[163] Demgegenüber beschränkte sich die umfassende „Gesamtschau und Weiterentwicklung des liechtensteinischen Gesundheitswesens“ (BuA Nr. 51/2010) auf die medizinische Versorgung im Bereich der OKP. Die finanziellen Aspekte der Krankenversicherung werden in der jährlichen Krankenkassenstatistik[164] erörtert.B. Nebeneinander von Land und GemeindenBesondere Rechte und Pflichten der Gemeinden ergeben sich aus Art. 25 LV. Die Gemeinden sind gestützt auf Art. 27 SHG[165] verpflichtet, die Hälfte der Kosten der stationären Betreuung von Hilfsbedürftigen und der Betriebsdefizite für die von der öffentlichen Hand geführten Alters- und Pflegeheime zu tragen, und zwar im Verhältnis der Anzahl ihrer Einwohner. Die andere Hälfte übernimmt das Land.Art. 18 LV gewährt den Gemeinden keine Rechte und auferlegt ihnen auch keine Pflichten. Dies schliesst nicht aus, dass einzelne Gesetze den Gemeinden Freiräume für eine autonome Regelung lassen[166] oder ihnen wie das Gesundheitsgesetz Aufgaben zuweisen (Art. 53 GesG).[167]Abschliessend vom Land geregelt sind die Voraussetzungen für die Zulassung zum Arzt- und den übrigen Gesundheitsberufen. Hingegen dürfen Gemeinden zum Beispiel durch Vorkehren baulicher Art versuchen, Leistungserbringer zur Ansiedlung zu motivieren[168] oder sich stärker in das Verfahren der OKP-Zulassung für Hausärzte einzubringen.[169]C. Asymmetrisches Verhältnis zwischen Patient und LeistungserbringerDas Verhältnis zwischen Patient und Arzt (und anderen Personen des Gesundheitswesens) zeichnet sich dadurch aus, dass sich Patienten dann in Behandlung begeben, wenn sie wegen eines Leidens auf dringende Unterstützung angewiesen sind.Auch wegen des Fachwissens ist die Beziehung zwischen Arzt und Patient asymmetrisch. Dass verschiedene Informationen über medizinische Themen (im Internet etc.) frei zugänglich, aber nur selten für Laien verständlich sind, erleichtert die Behandlung nicht automatisch.D. Gegensatz verschiedener InteressenIm Gesundheitswesen stehen sich verschiedene Interessen gegenüber. Die in BuA Nr. 51/2010 vorgenommene Gesamtschau der OKP unterscheidet Versicherte/Patienten, Leistungserbringer, Krankenkassen, Politik/Staat.[170] Am schwierigsten zu organisieren sind die Interessen der Bevölkerung,[171] die mittels Steuern und Beiträgen an die Sozialversicherungen einen grossen Teil der Kosten begleicht, aber nur gelegentlich von Leistungen profitiert, dann aber meist möglichst rasch und lange die bestmögliche Behandlung wünscht.Art. 36 GesG sieht für die Angehörigen der im Gesetz geregelten Berufe Vereinigungen gemäss Vereinsrecht ohne öffentlich-rechtliche Befugnisse vor. Per Gesetz können ihnen „bestimmte Geschäfte zur selbstständigen Erledigung übertragen werden“. Die Vereine[172] sind in einem Dachverband zusammengeschlossen. Viele sind überdies Mitglied im entsprechenden schweizerischen Fachverband.Gemäss Art. 38 Abs. 1 Ärztegesetz gehören sämtliche Ärzte der Ärztekammer an. Es handelt sich bei dieser Standesorganisation gemäss Art. 38 Abs. 2 Ärztegesetz um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.[173] Sie hat deshalb keine Beschwerdelegitimation, wenn sie von einem Entscheid nicht wie ein Privater betroffen ist.[174] Neben der Aufgabe, die „gemeinsamen beruflichen und wirtschaftlichen Belange der Ärzte wahrzunehmen und zu fördern sowie (…) für die Wahrung des ärztlichen Berufsansehens und der ärztlichen Berufspflichten zu sorgen“ (Art. 39 Abs. 1 Ärztegesetz), überträgt ihr das Gesetz weitere Aufgaben. Von Bedeutung ist z.B. der Abschluss von Tarifverträgen mit den Trägern der Sozialversicherungen (Art. 39 Abs. 2 lit. h Ärztegesetz).[175]Wegen der vielfach gegenläufigen Interessen der Akteure bedeutet „für das öffentliche Gesundheitswesen zu sorgen“, dass die staatlichen Organe den Interessen derjenigen Personen besondere Beachtung zu schenken haben, die besonders verletzlich sind oder ihre Anliegen nicht selber vorbringen können. Es entspricht dem Auftrag von Art. 18 LV, mittels beratender Gremien, welche die Anliegen verschiedener Personengruppen kennen, und über Interessenverbände Meinungen und Erfahrungen einzuholen. Ebenso dient es der Sorge für das Gesundheitswesen, Verbände und Informationsstellen sowie Anlässe, welche Informationen zu gesundheitsrelevanten Themen vermitteln, mit öffentlichen Geldern zu unterstützen. In welchem Umfang dies zu geschehen hat, gibt die Verfassung nicht vor.VI. Pflicht zur Sorge für das öffentliche GesundheitswesenA. Der Begriff „Gesundheitswesen“Das Gesundheitswesen erstreckt sich über viel mehr Bereiche als die, welche – wenn es um den Schutz öffentlicher Güter vor Gefahren geht – unter den Begriff der „öffentlichen Gesundheit“[176] subsumiert werden.Zum Gesundheitswesen gehören staatliche Massnahmen und Aktivitäten von Privaten.[177] Jedermann soll mit ärztlichen und pflegerischen Leistungen sowie Betreuung, mit Medikamenten, Hilfsmitteln und Informationen versorgt werden, wenn er wegen einer vorübergehenden oder bleibenden physischen und/oder psychischen Beeinträchtigung auf Hilfe angewiesen ist. Zudem sollen künftige gesundheitliche Belastungen vermieden oder zumindest hinausgezögert werden. Somit gehören insbesondere auch Hilfsmittel und Hilfeleistungen, die den Alltag von behinderten, chronisch kranken oder betagten Menschen erleichtern, zum Gesundheitswesen.[178] Wichtig sind auch Präventionsmassnahmen, helfen sie doch, Leid zu verringern und Kosten zu sparen.[179]Vielfältig sind auch die Institutionen, die zum Gesundheitswesen gezählt werden können: Spitäler, Ambulatorien, Arztpraxen, ärztlicher Notfalldienst, Rettungsdienst, Apotheken, Unternehmen der Medizinaltechnik, Einrichtungen, die sich der medizinischen Forschung und/oder Ausbildung von Medizinalpersonen widmen, etc.Die Ursachen der Beeinträchtigung, die das Aufsuchen dieser Institutionen oder den Bezug von ihren Leistungen nötig machen, sind vielfältiger Natur. Insbesondere können Krankheit, Unfall, Schwangerschaft und Niederkunft, Behinderung oder Altersgebrechen den Bedarf nach Unterstützung auslösen.Der Begriff „Gesundheitswesen“ meint somit die Gesamtheit von Personen, Institutionen, Gegenständen und Aktivitäten, die in ein sinnvolles Verhältnis zueinander und vor allem zu den Personen, die ein Bedürfnis nach professionell erbrachten Leistungen haben, gebracht werden müssen. Die Endung „-wesen“ wird in der Verfassung auch für andere Bereiche verwendet, in denen der Staat eine Ordnung errichten muss.[180]B. Kein klagbarer Anspruch auf kostenlose BehandlungArt. 18 LV garantiert, wie in Kapitel IV.B ausgeführt, nicht grundrechtlich geschützte Ansprüche, sondern formuliert ein Staatsziel. Dass der Staat für das öffentliche Gesundheitswesen sorgt, meint nicht, dass alle Leistungen kostenlos angeboten werden müssen. Dies kann nicht zuletzt aus Art. 16 Abs. 3 LV geschlossen werden: Art. 15, Art. 16 und Art. 17 LV übertragen dem Staat Aufgaben im Bereich der Erziehung und Bildung. In Art. 16 Abs. 3 LV wird ausdrücklich festgehalten, welche Leistungen kostenlos erbracht werden müssen. Entsprechend müsste auch Art. 18 LV sagen, welche Leistungen des Gesundheitswesens kostenlos zur Verfügung stehen.Überdies zeigt die konsequente Wortwahl der Verfassung (mit der Unterscheidung zwischen „sorgen“ und „unterstützen“[181]), dass es im ersten Satzteil von Art. 18 LV nicht um eine finanzielle Verpflichtung des Staates geht. Erst bei der Wendung „Unterstützung der Krankenpflege“ kommt dieser Aspekt ins Spiel. „Für das öffentliche Gesundheitswesen sorgen“ meint darum, dass der Staat dazu verpflichtet ist, sich für eine zielgerichtete, in den einzelnen Elementen aufeinander abgestimmte Organisation des Gesundheitswesens einzusetzen.[182] Die Pflicht, entsprechende Regelungen zu treffen, erstreckt sich nicht nur auf die von öffentlicher Seite angebotenen und/oder finanzierten Leistungen, sondern auf alle Akteure.Art. 12 UNO-Pakt I garantiert keine klar umrissenen einklagbaren Rechte.[183] Er enthält jedoch insofern eine finanzielle Komponente, als die Gesundheitsdienste jedermann zugänglich sein müssen (Art. 12 Abs. 2 lit. d UNO-Pakt I).[184] Im Völkerrecht[185] wird Wert auf einen diskriminierungsfrei ausgestalteten Zugang zum Gesundheitswesen gelegt.[186] Er umfasst die Verpflichtung, auch für unbemittelte Personen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsrecht, für ein Minimum an medizinischen und sonstigen Leistungen zu sorgen.[187] Art. 12 UNO-Pakt I macht aber keine präzisen Vorgaben, welche Leistungen in welcher Situation wie lange kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssen, weil sie unabdingbar sind. Der Anspruch auf Gleichbehandlung ergibt sich in Liechtenstein aus dem in Art. 31 LV verankerten Anspruch auf Gleichbehandlung.C. Pflicht zur PlanungDie Versorgungsplanung gehört zwingend zu den von der öffentlichen Hand zu erbringenden Aufgaben.[188] Damit sie die Entwicklung steuern kann, muss sie wissen, welche Behandlungen wirksam sind,[189] welche Leistungen voraussichtlich nachgefragt werden,[190] welche Behandlungsengpässe entstehen könnten, wo Fehlentwicklungen z.B. durch Prävention[191] und bessere Information vermieden werden können oder wo grosse finanzielle Belastungen von Individuen oder Institutionen drohen.[192] Planung ist zwingend eine staatliche Aufgabe. Private können im Auftrag des Staates einzelne Aufgaben übernehmen und z.B. Daten erheben und Strategien ausarbeiten,[193] aber nicht für die Gesamtschau und das Setzen von Prioritäten verantwortlich zeichnen.Es ist zulässig, dass private Anbieter neue Bedürfnisse erkennen und entsprechende Ausbildungen für Medizinalpersonen anbieten oder neuartige Angebote für Kranke und Betagte bewerben. Es bedarf jedoch der politischen Entscheidfindung,[194] wenn die Prioritäten in der Ausgestaltung der Sozialversicherung und im Leistungsangebot öffentlich (mit-)finanzierter Institutionen anders gesetzt werden, bisher mit öffentlicher Hilfe erbrachte Leistungen nicht mehr unterstützt oder private Angebote neu von der öffentlichen Hand subventioniert werden sollen.[195]D. Pflicht zur SteuerungPlanung und Steuerung können nahtlos ineinander gehen.[196] Das Gesundheitswesen zeichnet sich wegen des gesetzlich umschriebenen Leistungsumfanges der obligatorischen Krankenversicherung und den staatlichen Einrichtungen (Landesspital, LAK etc.) durch eine hohe Regulierungsdichte aus. Es ist deshalb unerlässlich, dass die verfassungsrechtlichen Prinzipien (insbesondere das Legalitätsprinzip und das Gebot der Rechtsgleichheit) und die Vorgaben des EWR-Rechts bei allen lenkenden Massnahmen beachtet werden.Weil die Ressourcen des Staates begrenzt sind, müssen sie effizient eingesetzt werden.[197] Politik und Verwaltung müssen Prioritäten setzen und angesichts der technischen Entwicklung und neuer Bedürfnisse der Bevölkerung immer wieder prüfen, welche Leistungen der Staat erbringt respektive (mit-)finanziert und welche nicht[198].[199] Die Sorge für die Gesundheit der Bevölkerung ist nur eine unter vielen wichtigen Aufgaben des Staates. Das Leben von kranken und verunfallten Menschen zu verlängern sowie die Lebensqualität von Kranken, Verunfallten, Behinderten und Betagten zu verbessern, ist nicht a priori höher einzustufen als der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die Sorge für das Bildungswesen und eine leistungsfähige Infrastruktur, um nur einige andere wichtige Staatsaufgaben zu nennen.E. Pflicht zur KontrolleZum Entscheid, welche Leistungen staatlich erbracht oder (mit-)finanziert werden, gehört es auch festzulegen, in welchem Umfang sie überprüft werden sollen. Kontrolle ist eine unumgängliche staatliche Aufgabe. Nicht jede Kontrolle muss durch staatliche Organe vorgenommen werden. Wohl aber ist von staatlicher Seite festzulegen, welche Ziele erreicht werden müssen und gestützt auf welche Parameter dies beurteilt werden soll. Die bei der Kontrolle gewonnenen Erkenntnisse müssen wiederum in die Planung und Steuerung einfliessen.Eine staatliche Aufsicht kann zum Schutz von öffentlichen Gütern (wie die öffentliche Gesundheit) auch dort notwendig sein, wo die öffentliche Hand finanziell nicht beteiligt ist.[200] Gerade bezüglich Handlungen und Substanzen, welche auf den Körper und Psyche einwirken sollen, ist zu gewährleisten, dass Hilfsbedürftige sowie Personen, die vorübergehend (z.B. wegen Bewusstlosigkeit) oder dauernd (z.B. wegen starker intellektueller Beeinträchtigung) nicht in der Lage sind, ihre Interessen wahrzunehmen, keine Nachteile erleiden. Die notwendigen Vorkehren zu treffen (z.B. bei der Zulassung von Heilmitteln, der Unterbringung von Personen wegen Selbst- oder Fremdgefährdung[201] oder durch die Möglichkeit, eine Patientenverfügung zu errichten[202]) und den Rahmen für die entsprechenden Tätigkeiten (z.B. mittels Bewilligungs- oder Rechenschaftspflichten) vorzugeben, darf nicht an Private delegiert werden.VII. Die Unterstützung der KrankenpflegeArt. 18 LV unterscheidet zwischen „öffentlichem Gesundheitswesen“ und „Krankenpflege“. Das heisst nicht, dass der Staat nicht auch für die Krankenpflege zu sorgen hat. Sie ist als Teil des Gesundheitswesens auch Gegenstand von Planung, Steuerung und Kontrolle. Dazu gesellt sich der Auftrag, sie besonders zu fördern.A. Der Begriff „Unterstützung“Indem Art. 18 LV – wie Art. 26 LV – das Verb „unterstützt“ verwendet, zeigt er, dass das Land zumindest eine minimale Unterstützung erbringen muss. Sie hat nicht zwingend in finanzieller Form zu erfolgen. Eine unterstützende Wirkung haben z.B. auch das Bereitstellen von Daten für die Forschung über Pflege und Betreuung, Stipendien oder das Vermitteln von Beratern.[203]Entscheidet sich das Land, die Krankenpflege finanziell zu fördern, stehen ihm verschiedene Möglichkeiten offen. Denkbar ist z.B. die Übernahme von Weiterbildungskosten oder die Besoldung von Pflegefachpersonen, insbesondere wenn es den Menschen, die solcher Dienstleistungen bedürfen, nicht möglich wäre, die Leistungserbringer zu bezahlen und sie folglich auf Hilfe verzichten würden. Ein anderer Ansatz besteht darin, den Pflegebedürftigen respektive ihren Familien Mittel zukommen zu lassen, sei es unmittelbar[204] oder mittels Versicherung, wobei die staatliche Leistung auch lediglich darin bestehen kann, die Versicherung zu implementieren und so für den Ausgleich innerhalb des Versichertenkollektivs zu sorgen. Dass sich die verschiedenen Ansätze verknüpfen lassen, versteht sich von selbst. Ein Verstoss gegen Art. 18 LV läge nur dann vor, wenn das Land auf jegliche Massnahme verzichten würde.B. Der Begriff „Krankenpflege“Weil schon vor dem Ersten Weltkrieg ein privater Krankenpflegeverein gegründet worden war, dessen Pflegerinnen Kranken und Wöchnerinnen zu Hause beistanden,[205] ist davon auszugehen, dass mit „Krankenpflege“ nicht die Pflege in Spitälern und Heimen gemeint ist,[206] sondern die Versorgung zu Hause. Ob es sich bei den Leistungen um solche der Pflege in einem engeren Sinn handelt oder hauswirtschaftliche Leistungen im Vordergrund stehen,[207] spielt keine Rolle. Werden Personen, die nicht für sich selber sorgen können, mit Nahrung, frischen Kleidern etc. eingedeckt und Kinder oder andere von ihnen abhängige Angehörige versorgt, fördert dies die Erholung und damit die Genesung der Betroffenen ebenfalls.Die Verfassung verpflichtet das Land, Unterstützungsleistungen zu erbringen, lässt dabei jedoch dem Gesetzgeber die Wahl, welche Leistungen er fördern will, welche Zielgruppe von Hilfsbedürftigen er vor Augen hat, ob er die notwendigen Fachkräfte selber schulen möchte, mit privaten Anbietern zusammenarbeitet, den Nachfragern Möglichkeiten bereitstellt, Leistungen abzurufen etc. Klar ist hingegen, dass der Verfassungsgeber davon ausgeht, dass entsprechende Leistungen (auch) von privater Seite angeboten werden und es demnach nicht Aufgabe des Landes ist, flächendeckend umfassende Leistungen zu implementieren. Den Verfassungsauftrag würde das Land dann nicht erfüllen, wenn es nur für einzelne Leistungen, die nur wenige Personen nachfragen, die überdies nicht besonders belastet sind durch ihre Beeinträchtigungen, Unterstützung anböte[208] oder wenn es alle Unterstützungsmassnahmen streichen würde.C. Unterschied zwischen Pflege und BetreuungDas Gesetz[209] grenzt die Pflege von der Betreuung ab, ohne sie zu definieren. Unter Betreuung sind landläufig haushaltsnahe Dienstleistungen zu verstehen inklusive Körperpflege, Hilfe beim An- und Ausziehen, Aufstehen und beim Gang zur Toilette. Es finden jedoch keine unmittelbaren Eingriffe in den Körper wie Spritzensetzen oder Auswahl und Verabreichen der Medikamente statt.In Liechtenstein ist die Betreuung wie in der Schweiz nicht durch das KVG erfasst. Der Aufwand für Betreuungsleistungen wird bei den zu Hause lebenden hilfsbedürftigen Menschen bis zu einem gewissen Umfang[210] durch das Betreuungs- und Pflegegeld[211] abgedeckt. Überdies gibt es die Hilflosenentschädigung (siehe Art. 3bis ELG) und haben Bezüger von AHV/IV unter bestimmten Voraussetzungen (siehe Art. 1 ff. ELG) Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Es muss im konkreten Fall abgeklärt werden, wer einen Anspruch auf welche Leistungen hat und wie sie zusammenwirken.[212] Unbestritten ist, dass die Kosten vieler Handreichungen, auf die in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen angewiesen sind, nicht von den Sozialversicherungen übernommen werden.Wenn wegen des wachsenden Anteils an hochbetagten Menschen über die Einführung einer Pflegeversicherung diskutiert wird, muss gesagt werden, ob es um die Finanzierung von pflegerischen Leistungen geht[213] oder ob auch die Betreuung einbezogen werden soll. Bis jetzt hat der liechtensteinische Gesetzgeber die Einführung einer Pflegeversicherung nicht für vordringlich erachtet, obwohl Einigkeit herrscht, dass viele alte Menschen beim Eintritt von Pflegebedürftigkeit finanziell überfordert sind. Die starke Nachfrage nach Ergänzungsleistungen wird mit Sorge betrachtet.[214]VII. Bedarfsplanung und TarifverträgeWie VGH 2010/70, Erw. 5, ausführte, ist „der Bereich der Sozialversicherung und damit auch die obligatorische Krankenversicherung der Wirtschaftsfreiheit durch öffentlich-rechtliche Regelungen weitgehend entzogen“. Dies versteht sich in Liechtenstein mit dem immerhin 33 Mio. Fr. umfassenden Staatsbeitrag an die obligatorische Krankenpflegeversicherung[215] (Art. 24a KVG) und der Prämienverbilligung für einkommensschwache Versicherte (Art. 24b KVG) gut. Zudem gewährt die Wirtschaftsfreiheit – wie VGH 2010/70, Erw. 5, in Erinnerung rief – „keinen Anspruch auf staatliche Förderung von Betrieben, weswegen diese keinen Anspruch darauf haben, in beliebiger Höhe Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenversicherung zu generieren“.A. BedarfsplanungAmbulante Leistungen zulasten der OKP darf nur erbringen, wer zur Krankenversicherung zugelassen ist (Art. 16a Abs. 2 und Abs. 3 KVG)[216] und sich verpflichtet hat, die Tarifbestimmungen zu beachten (Art. 16d Abs. 1 KVG).Wie viele Ärzte welcher Fachrichtung zugelassen werden, ergibt sich nicht aus Art. 18 LV, sondern aus der Bedarfsplanung.[217] Sie wird von der Liechtensteinischen Ärztekammer und dem Kassenverband gemeinsam erstellt (Art. 16b Abs. 1 KVG) und von der Regierung genehmigt (Art. 16b Abs. 3 KVG).[218] Die Bedarfsplanung soll sicherstellen, „dass einerseits eine ausreichende Versorgung der Versicherten gewährleistet ist und ihnen eine angemessene Auswahl an Grundversorgern und Spezialärzten zur Verfügung steht und andererseits eine Überversorgung vermieden wird“ (Art. 16b Abs. 1 lit. a KVG). Wer die in der Planung vorgesehenen Stellen (die so genannten Bedarfsstellen) erhält, bestimmen Ärztekammer und Kassenverband gemeinsam gestützt auf die Reihungskriterien[219] (Art. 16b Abs. 6 KVG). Seit der Revision vom 1. Oktober 2015[220] verlangt das Gesetz, dass der Umfang[221] und die Art der Tätigkeit der Ärzte mit Bedarfsstelle klarer geregelt werden.[222] Überdies erfolgt eine Überwachung von Art und Umfang der Leistungserbringung (Art. 16d Abs. 6 KVG).[223] Der Kassenverband nimmt zusätzlich eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vor (Art. 19 Abs. 2b KVG),[224] seit der Revision vom 1. Oktober 2015 wieder eng angelehnt an die Schweizer Praxis.[225] Dies bedeutet, dass keine „Vollüberprüfung sämtlicher Rechnungen und Patientendossiers“ notwendig ist.[226] Die Verträge über die Zulassung zur OKP können von den Leistungserbringern jederzeit ohne Angabe von Gründen und vom Kassenverband beim Vorliegen wichtiger Gründe gekündigt werden (Art. 19c KVG).[227]Die Regierung kann auch für andere Leistungserbringer eine Bedarfsplanung einführen, wobei sie sich an den für die Ärzte geltenden Regeln orientiert (Art. 16b Abs. 7 KVG). Aktuell ist dies für Psychotherapeuten und Chiropraktoren[228] der Fall.[229]B. TarifverträgeFür die in der OKP erbrachten Leistungen erstellen die Leistungserbringer ihre Rechnungen nach Tarifen[230] und Preisen (Art. 16c Abs. 1 KVG)[231]. Die Tarifverträge werden zwischen dem Kassenverband und den Verbänden der Leistungserbringer[232] vereinbart (Art. 16c Abs. 1 KVG).[233] Für die ärztlichen Leistungen in der OKP gilt seit der Revision vom 1. Oktober 2015 der so genannte Tarmed, ohne dass er namentlich im Gesetz erwähnt wird:[234] Es wird dort auf die „gesamtschweizerische Tarifstruktur“ verwiesen.[235]Finden sich im Inland keine Leistungserbringer, kann der Kassenverband im Einvernehmen mit dem liechtensteinischen Berufsverband mit Leistungserbringern im Ausland einen Tarifvertrag abschliessen (Art. 16d Abs. 4 KVG).[236]IX. Private GesundheitsanbieterGrundsätzlich können sich alle Personen, die einen medizinischen oder pflegerischen Beruf ausüben, Medikamente oder Hilfsmittel herstellen, Einrichtungen für Kranke oder Behinderte betreiben, oder in anderer Art und Weise eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit im Bereich des Gesundheitswesens ausüben, auf die in Art. 36 LV verankerte Handels- und Gewerbefreiheit berufen.[237] Wie StGH 2006/44 ausführt, auferlegt sich der StGH jedoch Zurückhaltung bei der Beurteilung von Einschränkungen.[238] Noch nicht im Detail geklärt ist überdies, inwieweit sich Ärzte für die im Bereich der OKP erbrachten Leistungen auf die Wirtschaftsfreiheit stützen können.[239] Sicher ist, dass die Wirtschaftsfreiheit dem einzelnen Arzt keinen Anspruch darauf gibt, „in beliebiger Höhe Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenversicherung zu generieren.“[240]StGH 2004/14, Erw. 6, brachte die einander gegenüberstehenden Interessen gut zum Ausdruck: „Dabei ist zu beachten, dass die Handels- und Gewerbefreiheit (…) durch das Versicherungsobligatorium und das Leistungsobligatorium schon weitgehend eingeschränkt ist. Auf der einen Seite steht die Gesundheit der Bevölkerung und deren Sicherung zu finanziell verkraftbaren Mitteln, auf der anderen Seite die freiheitliche Regelung der medizinischen Berufe aufgrund der Handels- und Gewerbefreiheit. Aufgabe in erster Linie des Gesetzgebers ist es, beide Rechtsgüter möglichst zur Entfaltung zu bringen. Die vollständige Aufhebung der Handels- und Gewerbefreiheit gewinnstrebiger Privatspitäler stellt unter diesem Aspekt kein unerlässliches Mittel dar, eine sozialverträgliche Grundversorgung (….) sicherzustellen.“Bezüglich Substanzen, Gegenständen und Handlungen, die Wirkungen im Körper entfalten oder auf die Psyche einwirken (sollen), bestehen viele Einschränkungen. Einerseits werden sie mit dem öffentlichen Interesse am Schutz der Gesundheit begründet.[241] Andererseits erfolgen sie wie ausgeführt wegen des Interesses an einem verantwortungsbewussten Umgang mit den beschränkten öffentlichen Mitteln. Sie finden sich besonders dort, wo Leistungen in öffentlichen Institutionen erbracht werden oder durch öffentliche Mittel (mit-)finanziert werden.[242] Der Gesetzgeber darf, die Verhältnismässigkeit vorausgesetzt, private Aktivitäten einschränken, wenn ein genügend starkes öffentliches Interessen wie der Schutz der Patienten[243] gegeben ist. Bei drohender Gefahr wie z.B. einer Pandemie sind einschneidende Massnahmen gegenüber Medizinalpersonen (Herbeiziehung zur Hilfeleistung) und Kranken (Quarantäne), aber auch gegenüber Gesunden (Reiseverbote oder Gesundheitskontrollen) zulässig, bei Dringlichkeit auch ohne gesetzliche Grundlage.[244]Art. 18 LV äussert sich – abgesehen davon, dass er im Bereich der Krankenpflege Leistungen durch Private voraussetzt[245] – nicht zu den privaten Gesundheitsanbietern. Er gibt deshalb z.B. nicht vor, wer zur Ausübung des Arztberufes berechtigt ist, wie weit die Auflagen für Privatkliniken gehen dürfen und ob in der Grundversicherung die freie Arztwahl gilt. Diese Entscheide hat der Gesetzgeber unter Respektierung der von der Verfassung vorgegebenen Grundrechte und Grundsätze (insbesondere Erfordernis des öffentlichen Interesses, Respektierung der Verhältnismässigkeit und der Rechtsgleichheit) und der völkerrechtlichen Vorgaben[246] zu treffen.[247]X. Trinker und ArbeitsscheueArt. 18 LV verpflichtet den Gesetzgeber „zur Bekämpfung der Trunksucht“ sowie zur „Besserung von Trinkern und arbeitsscheuen Personen“. Angesichts dessen, dass die „Versorgung von Waisen, Geisteskranken, Unheilbaren und Altersschwachen“ 1921 in Art. 25 LV als Sache der Gemeinden bezeichnet wird, erscheint es sinnvoll, dass für den Umgang mit Alkoholkranken – also für eine Aufgabe mit einem Bezug zum Armenwesen – die Kompetenzen geregelt werden.[248] Indem das Land „auf gesetzlichem Weg“ aktiv werden muss, wird sichergestellt, dass entsprechende Massnahmen öffentlich verhandelt werden und sich die Gemeinden in die Diskussion einbringen können, ohne allein für die Bekämpfung der negativen Folgen des Alkoholismus verantwortlich zu sein.[249]Seit längerer Zeit ist unbestritten, dass die Behandlung der Abhängigkeit von Alkohol und anderen Substanzen (z.B. Betäubungsmittel, Medikamente) oder von Verhaltensweisen (z.B. Spielsucht) in die Hände von Fachleuten gehört.[250] Insofern kommt der besonderen Erwähnung in Art. 18 LV heute bloss noch die Bedeutung zu, zu garantieren, dass sich der Gesetzgeber seiner Pflicht, Grundlagen für Massnahmen zu treffen, nicht plötzlich entzieht. Süchtige müssen an Personen und/oder Institutionen gelangen können, die sie bei der Bekämpfung ihrer Sucht unterstützen. Einen Anspruch auf einen sofort verfügbaren Behandlungsplatz, auf eine Therapie in einer inländischen Einrichtung oder auf eine kostenlose Behandlung garantiert ihnen die Verfassung nicht.Art. 18 LV verpflichtet nicht zu einer Politik der völligen Abstinenz, spricht er doch lediglich von der Bekämpfung der Sucht, nicht von einem Alkoholverbot (für ehemalige Süchtige oder gar für die ganze Bevölkerung). Wie der Gesetzgeber den Auftrag, die Sucht zu bekämpfen angeht (z.B. Hilfe an Süchtige, die abstinent werden wollen, Einschränkung von Verkauf und Ausschank von Alkohol, Präventionskampagnen), ist sein Entscheid. Gemäss dem Wortlaut von Art. 18 LV hat er jedoch die Pflicht, auch den Fall zu regeln, dass sich Süchtige nicht freiwillig mit ihrem Verhalten auseinandersetzen.Dasselbe gilt für Personen, welche die Verfassung als „arbeitsscheu“ bezeichnet. Gemäss dem Wortlaut sind auch für sie Gesetzesbestimmungen zu erlassen, die sie ein anderes Verhalten an den Tag legen lassen. Das in Art. 18 LV erwähnte Ziel der Besserung kann jedoch nicht unmittelbar als Grundlage herhalten für Massnahmen.[251] Die Pflicht, eine Ausbildung zu absolvieren, an Integrationsprogrammen oder sonstigen Veranstaltungen für Arbeitslose teilzunehmen und andere Pflichten, welche in die Gestaltung des Alltages und in den Entscheid über die persönliche Lebensführung eingreifen, bedürfen als Eingriffe in die persönliche Freiheit von Art. 32 LV und/oder in die Handels- und Gewerbefreiheit von Art. 36 LV einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, müssen im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Indem Art. 18 LV die Besserung von arbeitsscheuen Personen zum Ziel erklärt, statuiert er ein öffentliches Interesse an entsprechenden Massnahmen.Die Verfassung sagt nicht, was sie unter „arbeitsscheu“ versteht. Sicher ist, dass Arbeitslosigkeit nicht mit Arbeitsscheu gleichgesetzt werden kann. Nach dem Ersten Weltkrieg war die wirtschaftliche Situation in Liechtenstein sehr schwierig. Aus diesem Grund nennt Art. 20 Abs. 3 LV die Erschliessung neuer Verdienstquellen als Ziel, ohne Personen ohne Arbeit einem Vorwurf auszusetzen. Art. 18 LV nimmt demgegenüber ein Unwerturteil vor. Da Trinker und Arbeitsscheue gleich behandelt werden, könnte die drohende Verwahrlosung den Verfassungsgebers motiviert haben. Eine Pflicht, gesetzliche Grundlagen dafür zu schaffen, dass Alkoholkranke oder Personen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wollen, sanktioniert werden können, findet sich nicht in Art. 18 LV. Der Verfassungsartikel verpflichtet lediglich dazu, per Gesetz die Bekämpfung der Sucht und die Besserung von Süchtigen und Arbeitsscheuen anzustreben. Dies kann der Gesetzgeber z.B. auch mittels Anreizen.Hervorzuheben ist, dass die liechtensteinische Verfassung mit der Bezugnahme auf moralisch korrektes Verhalten bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses eine Ausnahme darstellte.XI. Verpflichtungen aus VölkerrechtDas Gesundheitswesen ist stark vom Völkerrecht (insbesondere vom EWR-Recht) geprägt, vor allem was Herstellung und Verkehr von Medikamenten, Anbieten von medizinischen Leistungen über Staatsgrenzen hinweg, Anerkennung ausländischer Ausbildungsabschlüsse und Leistungen der Sozialversicherung für Personen, die im Laufe ihres Lebens in verschiedenen Staaten arbeiten und/oder wohnen,[252] angeht. Diese Themen beschlagen die durch das EWR-Abkommen garantierten Grundfreiheiten[253] sowie seine Vorgaben zum Wettbewerbsrecht.[254] Zusätzlich enthält das Gesundheitsrecht verschiedene menschenrechtlich relevante Aspekte.[255]A. Normen von UNO und EuroparatObwohl Liechtenstein als UNO-Mitglied der UN-Sonderorganisation WHO (Weltgesundheitsorganisation) beitreten darf,[256] ist es bis heute nicht Mitglied. Das heisst aber nicht, dass Liechtenstein die Werte und Ziele der WHO nicht teilt.Mit der Unterzeichnung von völkerrechtlichen Übereinkommen[257] hat sich Liechtenstein verpflichtet, für die Gesundheit seiner Einwohner zu sorgen.[258] Wegweisend für die staatlichen Organe sind insbesondere Art. 25 Allgemeine Menschenrechtserklärung und die von der UNO-Generalversammlung am 11. Dezember 1969 verabschiedete Erklärung über Fortschritt und Entwicklung auf sozialem Gebiet[259]. Aus beiden können Individuen keine Rechtsansprüche ableiten.[260] Weitere Normen zur physischen und psychischen Gesundheit finden sich insbesondere in Art. 12 UNO-Pakt I. Er verpflichtet die Vertragsstaaten, „das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit“ anzuerkennen,[261] und Art. 7 UNO-Pakt II verbietet medizinische Versuche ohne Zustimmung des Betroffenen. Überdies enthalten verschiedene von Liechtenstein ratifizierte UN-Übereinkommen zum Schutz bestimmter Bevölkerungsgruppen Vorgaben zur Ausgestaltung der sozialen Sicherheit.[262]Die revidierte Europäische Sozialcharta vom 3. Mai 1996,[263] die ein Recht auf Schutz der Gesundheit vorsieht, hat Liechtenstein nicht ratifiziert.[264] Die übrigen Aktivitäten des Europarates erstrecken sich v.a. auf den Umgang mit Heilmitteln, Blut und menschlichen Organen sowie auf die Biomedizin.[265] Liechtenstein hat mehrere Übereinkommen unterzeichnet oder ist über den Zollvertrag mit der Schweiz[266] an sie gebunden.[267]Der EGMR hatte Gelegenheit – oft gestützt auf das in Art. 8 EMRK[268] verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens – sich zu Fragen wie Umgang mit dem (eigenen) Körper (in concreto: Zugang zu Sterbehilfe[269] und Abbruch von lebensverlängernden Massnahmen[270]), Fortpflanzungsmedizin,[271] Organisation des Gesundheitswesens[272] und medizinische Betreuung von Personen in seinem Gewahrsam zu äussern.B. EuroparechtVon grosser praktischer Bedeutung sind der im EWR-Recht verankerte freie Warenverkehr und der freie Dienstleistungsverkehr[273], betreffen sie doch insbesondere Ausländer, die medizinische Leistungen oder Pflege- und Betreuungsleistungen anbieten oder entsprechende Waren vertreiben und sich hierzu in Liechtenstein niederlassen wollen, ausländische Anbieter, welche ihre Leistungen und Waren nach Liechtenstein bringen möchten, oder Liechtensteiner, die im Ausland Leistungen oder Waren beziehen oder von Liechtenstein aus Waren und Dienstleistungen ins Ausland liefern.Wichtig ist die Berufsanerkennungsrichtlichtlinie,[274] welche die Ausübung eines reglementierten Berufes in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Berufsqualifikation erworben wurde, zum Gegenstand hat.[275] Sie findet Anwendung im EWR[276] und fand deshalb Eingang in das Ärzte- und das Gesundheitsgesetz (GesG).C. Zollvertrag und weitere StaatsverträgeDie Anlage I zum Zollvertrag[277] zählt unter der „Ordnungsnummer 81 Gesundheit“ eine ganze Reihe von Erlassen des Bundes auf, die in Liechtenstein zur Anwendung kommen. Sie erstrecken sich über verschiedene Themen, unter anderem auf Heil-, Lebens- und Betäubungsmittel, Transplantationen und Forschung am Menschen. Zum Umweltschutz ist ebenfalls eine ganze Reihe von Schweizer Erlassen zu berücksichtigen, ebenso bezüglich Tierseuchen (unter Ordnungsnummer 916).Darüber hinaus schloss Liechtenstein mit der Schweiz[278] und Österreich[279] Staatsverträge, insbesondere betreffend die grenzüberschreitende Betätigung von medizinischem Personal und zur Ausbildung. Die liechtensteinische Regierung kann mit beratender Stimme an den Plenarversammlungen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK) teilnehmen.[280]Die Vereinbarung mit dem Kanton St. Gallen vom 28. September 1977 über die Aufnahme von Patienten im Kantonsspital St. Gallen und in den kantonalen Spitälern Grabs und Walenstadt[281] garantiert den in Liechtenstein wohnhaften Patienten die Gleichbehandlung mit den aus dem Kanton St. Gallen stammenden Patienten. Im Gegenzug beteiligt sich Liechtenstein an den Aufwendungen für das Kantonsspital St. Gallen und die Spitäler Grabs und Walenstadt. Dazu kommen die in Kapitel VIII erwähnten Tarifverträge mit einer Vielzahl von Kliniken in der Schweiz, in Vorarlberg und Tirol sowie auf der deutschen Seite des Bodensees.[282] |
1) Der Staat schützt das Recht auf Arbeit und die Arbeitskraft, insbesondere jene der in Gewerbe und Industrie beschäftigten Frauen und jugendlichen Personen.2) Sundays and holidays recognized by the State shall be observed as public days of rest, without prejudice to the legal provisions governing rest on Sundays and holidays. Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteIn der konstitutionellen Verfassung von 1862 fanden sich keine Bestimmungen über die Arbeit und die öffentlichen Ruhetage. Erst der Verfassungsentwurf Wilhelm Becks griff dieses Thema auf. Inspiration dürfte er in der Schweiz gefunden haben. Verschiedene Kantonsverfassungen enthielten nämlich Ende des 19. Jahrhunderts Bestimmungen, die den Gesundheitsschutz für Arbeitnehmende und Ruhetage miteinander verknüpften.[1] Die Kinderarbeit war in Liechtenstein bereits durch die Gewerbeordnung von 1865 verboten worden, wenn auch nicht absolut.[2] Das Verbot wurde 1910 bekräftigt, zusammen mit Vorgaben für die Beschäftigung von jugendlichen Arbeitnehmenden und Frauen.[3]Art. 9 Verfassungsentwurf Beck lautete: „Abs. 1 Das Land schützt die Arbeitskraft, insbesondere diejenige von Frauen und Kindern, die in Gewerbe und Industrie beschäftigt sind. Abs. 2 Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage sind öffentliche Ruhetage.“ Die Schlossabmachungen sprachen sich für die Achtung der wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung und für die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten aus,[4] ohne den Schutz der Arbeitskraft und die Ruhetage explizit zu erwähnen. § 19 RV setzte Becks Entwurf inhaltlich unverändert um: „Abs. 1 Der Staat schützt die Arbeitskraft, insbesonders jene der in Gewerbe und Industrie beschäftigten Frauen und jugendlichen Personen. Abs. 2 Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage sind öffentliche Ruhetage.“ Art. 19 Abs. 2 LV erhielt seine heute noch gültige Form durch die Verfassungskommission. § 19 VK lautete: „Der zweite Absatz des § 19 hat zu lauten: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage sind unbeschadet gesetzlicher Regelung der Sonn- und Feiertagsruhe öffentliche Ruhetage.“ Die Wendung „Recht auf Arbeit“ wurde erst durch den Landtag in Art. 19 Abs. 1 LV eingefügt, und zwar auf Anregung des Regierungschefs.[5]II. Recht auf ArbeitMit der Formulierung „Recht auf Arbeit“ ist nicht ein klagbarer Anspruch auf eine Erwerbsmöglichkeit oder eine bestimmte Arbeitsstelle der öffentlichen Hand oder eines Privaten gemeint. Ebenso wenig schützt Art. 19 Abs. 1 LV vor Einschränkungen, die sich nachteilig auf das Ausüben einer konkreten Erwerbstätigkeit auswirken.[6] Dass weder der Vorschlag von Wilhelm Beck noch die Regierungsvorlage die Wendung „Recht auf Arbeit“ enthielten – sie war erst im Landtag „auf Anregung des Regierungschefs“ eingefügt worden – spricht ebenfalls gegen eine Qualifikation als verfassungsmässiges Recht. Weder Regierung noch Landtag hatten ein Interesse, das nach dem Ersten Weltkrieg mit Finanzproblemen belastete Land zu kostenintensiven Leistungen zu verpflichten. Wohl aber konnte die Regierung ein Interesse an einer Verpflichtung haben, sich für Arbeitsplätze einzusetzen. Im ersten Teil der Schlossabmachungen Ziff. 10 hiess es denn auch: „Im Interesse der arbeitenden Bevölkerung ist auf die Schaffung von Arbeitsgelegenheit im Lande kräftig Bedacht zu nehmen.“Dennoch legt Art. 19 LV die Perspektive auf das Individuum. Er anerkennt das Bedürfnis des Menschen, seinen Lebensunterhalt selber verdienen zu können, so wie dies auch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 lit. a UNO-Pakt I sowie Art. 23 Allgemeine Menschenrechtserklärung garantieren.[7] Angesichts der Armut der liechtensteinischen Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg ist nicht davon auszugehen, dass die Selbstverwirklichung durch eine sinnstiftende Berufstätigkeit im Vordergrund stand. Es spricht jedoch nichts dagegen, in Art. 19 Abs. 1 LV heute auch diesen Aspekt zu erblicken.Ob sich die Aufforderung an das Landesgefängnis, Personen, die für eine längere Zeit inhaftiert sind, Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen,[8] auch auf Art. 19 Abs. 1 LV stützen könnte, kann angesichts der einschlägigen völkerrechtlichen Vorgaben[9] offen bleiben.Die Verfassung von 1921 statuierte ein „Recht auf Arbeit“ und nicht eine „Pflicht zur Arbeit“, obwohl damals eine Versuchung, Zwangsrekrutierungen für die Infrastrukturbauten vorzunehmen, hätte bestehen können.[10] Im Gegenteil, Art. 19 Abs. 1 LV bekräftigt mit der Verankerung des Schutzes der Arbeitskraft vielmehr, dass jeder Arbeitnehmer, wer auch immer sein Arbeitgeber ist, so behandelt wird, dass er seine Gesundheit und damit seine Arbeitskraft bewahrt und dauerhaft für sich sorgen kann. Für Zwangsarbeit war und ist kein Platz. Das Armengesetz vom 20. Oktober 1869[11], das erst 1965 totalrevidiert wurde, sah allerding in § 11 Ziff. 5, § 13 und § 15 die Beschäftigung der Hilfsbedürftigen und Massnahmen gegen „Arbeitsscheue“ vor.Heute schützen Art. 4 EMRK, Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 3 UNO-Pakt II sowie das ILO-Übereinkommen Nr. 29[12] vor Zwangsarbeit, wobei Liechtenstein mangels personeller Ressourcen nicht Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO, eine Sonderorganisation der UNO) ist und folglich deren Übereinkommen nicht unterzeichnen darf.[13] Wer nicht auf staatliche Leistungen angewiesen ist,[14] sich nicht im Strafvollzug befindet[15] oder der Hilfe eines Vormunds und Sachwalters bedarf, kann – geschützt durch die in Art. 36 LV garantierte Handels- und Gewerbefreiheit – frei entscheiden, ob er eine Aus- oder Weiterbildung antritt, einer bezahlten Arbeit oder unbezahlten Beschäftigung nachgeht.Art. 19 Abs. 1 LV gewährt nicht jedermann freien Zugang zum liechtensteinischen Arbeitsmarkt. Welche Bedingungen für Ausländer mit Wohnsitz im Ausland, die in Liechtenstein erwerbstätig werden wollen, für Ausländer, die zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach Liechtenstein ziehen möchten, und für die verschiedenen Kategorien von Ausländern mit Wohnsitz in Liechtenstein gilt, regeln völkerrechtliche Verträge und das Gesetz. Die Grundlage hierfür findet sich in Art. 28 Abs. 2 LV. Von grösster Bedeutung ist die Personenverkehrsfreiheit, eine der vier Grundfreiheiten.[16] Das EWR-Abkommen (insbesondere Art. 28 und Art. 31 EWRA) verankert die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Niederlassungsfreiheit. Diese werden im PFZG umgesetzt.[17]III. Schutz der ArbeitskraftDie Arbeitskraft jedes Arbeitnehmers ist zu schützen, nicht nur die von Frauen und Jugendlichen[18], dies zeigt die Wendung „insbesondere“. Gemeint ist damit gemäss StGH 2010/100, Erw. 4, dass die „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Gewerbe und Industrie beschäftigt sind, vor den typischen Gefahren, denen diese Personen ausgesetzt sind“, geschützt werden.Frauen und junge Menschen besonders zu erwähnen, ist insofern sinnvoll, als sie wegen ihres in der Regel (noch) schwächeren Körperbaus und der besonderen Verletzlichkeit (insbesondere während einer Schwangerschaft und nach der Niederkunft[19] sowie wegen der – sofern sie in traditionellen Familienformen leben – Dreifachbelastung durch Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung/Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen und Hausarbeit) besonderen Schutzes bedürfen.[20] Die Gesetzgebung hat sich in den letzten Jahrzehnten – nicht zuletzt durch Vorgaben der EU[21] – dahin entwickelt, für Frauen und Männer dieselben Normen vorzugeben und Frauen nur im Zusammenhang mit Mutterschaft zu schützen[22]. In der Tat brauchen auch Männer Schutz, nicht zuletzt wenn sie Betreuungspflichten wahrnehmen.[23] Frauen wie Männer sind besonders verletzlich, wenn sie physisch und/oder psychisch vorbelastet sind.[24] Würde eine Heraufsetzung des Rentenalters um mehrere Jahre in Erwägung gezogen, wären Schutzmassnahmen für ältere Arbeitnehmende zu prüfen, gerade weil die physischen und psychischen Kräfte nicht bei jedem Menschen in gleichem Masse abnehmen.Art. 19 Abs. 1 LV verpflichtet den Staat, Massnahmen zu ergreifen, verschafft dem einzelnen Arbeitnehmer jedoch keinen klagbaren Anspruch auf eine bestimmte Massnahme, weder gegenüber seinem privaten oder staatlichen Arbeitgeber noch gegenüber der öffentlichen Hand.[25] Gegen die Annahme eines entsprechenden verfassungsmässigen Rechtes spricht auch, dass Art. 19 Abs. 1 LV Frauen und „jugendliche Personen“ zwar hervorhebt, aber nicht ausführt, welche Umstände besonders geschützt werden sollen. Der Verfassungstext lässt auch nicht erkennen, welche Leistungen die öffentliche Hand erbringen muss. In Frage kommen nämlich verschiedene wie z.B. Statuierung von Pflichten der Arbeitgeber, Kontrollen in Arbeitsstätten, Unterstützung von Arbeitnehmerverbänden, Präventionsprogramme für Arbeitnehmende, Forschung zur ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen.Konkrete Ansprüche gegen den Staat finden ihre Grundlage im Gesetz, nicht in der Verfassung. In der Verfassung verankert ist die Pflicht des Gesetzgebers, Massnahmen zum Gesundheitsschutz zu ergreifen. Es trifft ihn ein Gesetzgebungsauftrag.[26] Dieser erstreckt sich auf Regeln für alle Wirtschaftszweige und Beschäftigten, die Gefahren ausgesetzt sind. 1921 wurden nur die Industrie und das Gewerbe genannt, obwohl die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft, in privaten Haushalten und in der Heimarbeit für Kinder[27] und Jugendliche[28], Knechte, Mägde und Hausangestellte mitunter noch prekärer als in Industrie und Gewerbe waren. Erkennbar ist jedoch bereits 1921, dass der Gesetzgeber gefährdete Arbeitnehmer schützen wollte. Vorkehren zum Gesundheitsschutz müssen deshalb heute alle Arbeitnehmer erfassen, die Gefahren ausgesetzt sind, unabhängig von der Branche.[29] Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem Völkerrecht. Art. 7 lit. b und lit. d UNO-Pakt I sowie Art. 12 Abs. 2 lit. b UNO-Pakt I sehen verschiedene Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden vor. Das in Art. 2 EMRK verankerte Recht auf Leben stellt sogar eine zwingende Verpflichtung des Staates dar.[30] Gemäss Rechtsprechung des EGMR[31] erstreckt sich die Pflicht der Staaten, schützende Massnahmen[32] zu treffen, auch auf Arbeitsplätze.[33] Ausführlich und detailliert sind die von der EU erarbeiteten Normen, auf die Art. 67 EWRA bezüglich Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verweist. Im EWR gelten bezüglich Arbeitnehmerschutz dieselben Bestimmungen wie in der EU.[34]Den Vorschriften über den Gesundheitsschutz, die Ruhe- und die Arbeitszeit gehen im liechtensteinischen Arbeitsgesetz ausführliche Bestimmungen über ihren betrieblichen und persönlichen Geltungsbereich voraus (siehe Art. 1 ff. ArG). Es ist deshalb für den einzelnen Arbeitnehmer zu prüfen, welche Bestimmungen des Gesetzes und der Verordnungen aufgrund seines Arbeitsortes (siehe z.B. Art. 27 f. ArG) respektive Arbeitgebers (siehe die Bestimmungen für die Familienbetriebe in Art. 4 ArG) und der Stellung, die er im Betrieb einnimmt, auf ihn Anwendung finden. Die Vorschriften über den Gesundheitsschutz sind auf mehr Personen anzuwenden als die Bestimmungen über die Ruhe- und Arbeitszeit (siehe z.B. die Arbeitnehmer mit einer höheren leitenden Tätigkeit oder einer wissenschaftlichen oder selbständigen künstlerischen Tätigkeit, die nur in Art. 3a Abs. 1 ArG genannt werden).Besondere Vorschriften für industrielle Betriebe sind nicht zu beanstanden. Ebenso wenig, dass diese Betriebe erst durch Unterstellungsverfügung der Regierung unter die entsprechenden Bestimmungen fallen (Art. 5 Abs. 1 ArG). Dieses Prozedere sorgt dafür, dass allen Beteiligten klar ist, welche Normen für sie gelten.Ziel der Verpflichtung des Staates zum Gesundheitsschutz war es 1921, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmenden ihr Leben lang in der Lage bleiben, ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen. Dies zeigen die von Art. 19 Abs. 1 LV gewählte Formulierung und die Tatsache, dass es 1921 noch keine alle Erwerbstätigen obligatorisch erfassende Versicherung gab, welche den wegen Krankheit, Invalidität oder durch hohes Alter bedingte Gebrechlichkeit ausbleibenden Verdienst ersetzte.[35] Das Erhalten der Arbeitskraft war essentiell.[36] Dass die Gesundheit mit Lebensfreude und Entfaltungsmöglichkeiten verbunden ist, war und ist ein positiver Nebeneffekt. Ebenso, dass es sich für die Staatsfinanzen positiv auswirkt, wenn Unfälle und Berufskrankheiten vermieden werden.IV. Öffentliche RuhetageA. Gleichstellung von Sonntagen und gesetzlichen FeiertagenIm Verfassungsentwurf Beck (Art. 9) und in der Regierungsvorlage Peer (§ 19 RV) lautete Abs. 2 gleich: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage sind öffentliche Ruhetage.“ Dies zeigt, dass „öffentliche Ruhetage“ als Oberbegriff dient. Eine Regelung der öffentlichen Ruhetage, die Sonn- und Feiertage gleich behandelt, ist sinnvoll, steht doch beide Male das Ruhen der Erwerbstätigkeit im Vordergrund.Der Einschub „unbeschadet gesetzlicher Regelung der Sonn- und Feiertagsruhe“ erfolgte erst durch die Verfassungskommission, ohne überlieferte Begründung. „Unbeschadet“ kann gemäss Duden zwei Bedeutungen haben: „ohne Rücksicht auf, ungeachtet, trotz“ und „ohne Schaden, ohne Nachteil für, im Einklang mit“. In Art. 19 Abs. 2 LV kann nur die zweite Bedeutung gemeint sein, was bedeutet: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage sind im Einklang mit der gesetzlichen Regelung der Sonn- und Feiertagsruhe öffentliche Ruhetage.“Die Verfassung garantiert demnach, dass die Sonntage Ruhetage sind und dass es neben den Sonntagen weitere für alle Arbeitnehmenden geltende Feiertage gibt. Der Gesetzgeber erhält damit den verbindlichen Auftrag, Feiertage zu bestimmen und eine Ausgestaltung der Ruhetagsregelung vorzunehmen. Diese Verpflichtung ist so konkret ausgestaltet, dass jeder Arbeitnehmer einen Anspruch hat, dass eine entsprechende Regelung getroffen wird.[37] Würden die bestehenden Vorschriften ersatzlos aufgehoben oder würde es den Arbeitgebern anheimgestellt, völlig frei zu entscheiden, wann in ihrem Unternehmen gearbeitet wird und wer an welchem Wochentag und wie viele Tage hintereinander aufgeboten wird, könnten Arbeitnehmer wegen der vom Staat nicht ausgeübten Schutzpflicht die Verletzung eines verfassungsmässigen Rechtes geltend machen. Art. 19 Abs. 2 LV verschafft dem einzelnen Arbeitnehmer jedoch keinen Anspruch, an einem bestimmten Sonn- oder Feiertag nicht arbeiten zu müssen oder für die von ihm an einem Sonn- oder Feiertag erbrachte Arbeitsleistung einen Lohnzuschlag zu erhalten oder an einem nach Belieben gewählten anderen Tag frei zu nehmen.B. Sinn und Zweck von öffentlichen RuhetagenSonn- und Feiertage dienen der Erholung und Entfaltung im Kreise der Familie und Freunde, in der Natur oder an anderen frei gewählten Orten. Insofern unterstützt Art. 19 Abs. 2 LV den in Art. 19 Abs. 1 LV verankerten Gesundheitsschutz. Art. 7 lit. d UNO-Pakt I erwähnt denn auch „Arbeitspausen, Freizeit, eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit, regelmässigen bezahlten Urlaub sowie Vergütung gesetzlicher Feiertage“ zusammen mit den Bestimmungen, die dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden dienen. Und Art. 24 Allgemeine Menschenrechtserklärung hält schlicht und einfach fest: „Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmässigen bezahlten Urlaub.“Ruhetage verschaffen jedermann, der durch Lärm, Russ, Erschütterungen oder andere Belästigungen, die von industrieller und gewerblicher Produktion oder z.B. auch vom Handel herrühren, Ruhe und Erholung, unabhängig davon, ob er als Arbeitnehmer, Selbständigerwerbender, Anwohner, Tourist oder in einer anderen Art und Weise von den Auswirkungen beruflicher Tätigkeiten betroffen ist.Öffentliche Ruhetage erfüllen aber auch eine gesellschaftliche Funktion. Auf die Feste der katholischen Kirche abgestimmte staatliche Feiertage ermöglichen Katholiken (und Angehörigen weiterer christlicher Bekenntnisse) die Religionsausübung, ohne dass sie hierfür Ferientage aufwenden müssen.[38] Auf diese Art und Weise wird dem in Art. 37 Abs. 2 BV verankerten Status der römisch-katholischen Kirche als Landeskirche Rechnung getragen.[39] Angesichts der zunehmenden Heterogenität der liechtensteinischen Bevölkerung bezüglich religiösem Bekenntnis[40] könnte der Gesetzgeber auch nicht christliche Feste zu Feiertagen erklären. Dies stünde nicht im Widerspruch zu Art. 37 Abs. 2 LV, gewährleistet doch dieser auch den nicht christlichen Religionsgemeinschaften die Ausübung des Gottesdienstes. Das vom Landtag verabschiedete,[41] noch nicht in Kraft gesetzte Religionsgemeinschaftengesetz enthält allerdings gar keine Regelung der Feiertage.[42]Nicht religiös begründete Feiertage[43] geben dem Staat ein Gepräge, indem sie z.B. die gemeinschaftliche Pflege von Brauchtum oder die kollektive Erinnerung an historische Ereignisse ermöglichen. Ruhe- und Feiertage können von Verbänden und Privaten genutzt werden, um ihre Mitglieder respektive Gleichgesinnte zu versammeln.C. Die Bestimmung der gesetzlichen FeiertageGemäss den durch den Zollanschlussvertrag massgebenden Bestimmungen hätte Liechtenstein nur acht Tage als gesetzliche Feiertage bezeichnen dürfen. Der Bundesrat erklärte sich jedoch auf Bitte der liechtensteinischen Regierung 1924 damit einverstanden, dass Liechtenstein zwölf Feiertage beibehielt.[44] Dadurch dass liechtensteinische Arbeitnehmende bis heute mehr Ruhetage haben als das Gesetz in der Schweiz vorschreibt, werden Schweizer Unternehmen nicht in verbotener Art und Weise konkurrenziert.[45]Eine Auflistung der gesetzlichen Feiertage findet sich in Art. 102 Abs. 1 Einführungs-Gesetz vom 13. Mai 1924 zum Zollvertrag mit der Schweiz vom 29. März 1923[46] und in Art. 18 Abs. 2 ArG.[47] Die beiden Aufzählungen stimmen nicht überein.[48] Der 1. Mai[49] und Mariä Geburt[50] werden lediglich im Arbeitsgesetz als gesetzliche Feiertage genannt. Dazu kommt, dass das Arbeitsgesetz (siehe Art. 1 Abs. 1 ArG) einen beschränkten Anwendungsbereich hat, wobei die Regelung über die Feiertage als Teil des Kapitels über die Ruhe- und Arbeitszeiten immerhin eine relativ weite Geltung erlangt (siehe Art. 3a Abs. 2 ArG). Es fehlt an einem Gesetz,[51] das sämtliche gesetzlichen Feiertage aufzählt, Vorschriften betreffend die Sonn- und Feiertagsruhe für alle Kategorien von Arbeitnehmenden enthält, und den Verzicht auf störende Aktivitäten regelt, die nicht auf eine Erwerbstätigkeit zurückzuführen sind.Das Arbeitsgesetz regelt in Art. 9 ff. die Arbeits- und Ruhezeit und dabei auch die gesetzlichen Feiertage. Es ist jedoch (siehe Art. 1–5 ArG) im Detail abzuklären, auf welche Beschäftigten sich welche Bestimmungen erstrecken und wer Ausnahmen zu bewilligen hat. Für die Angestellten des Staates finden sich die Vorgaben betreffend Arbeitszeit in Art. 37 ff. StPV.[52] Die auf Art. 31 GewG gestützte Verordnung vom 10. März 1992 über die Sonn- und Feiertagsruhe und den Ladenschluss[53] erstreckt sich gemäss Art. 1 Abs. 1 nur auf die dem Gewerbegesetz unterstellten Betriebe. Sie nimmt[54] keine Definition der Feiertage vor.[55] Was bezüglich des Fristenlaufs für gerichtliche Verfahren gilt, stellt wiederum eine andere Frage dar.[56] Überdies erlaubt Art. 34 Abs. 1 StPG[57] der Regierung, „weitere Tage“ dienstfrei zu erklären.[58] Dass die Landesverwaltung neben den Feiertagen auch dienstfreie Tage kennt, zeigt der online publizierte Ferienkalender. Unter www.gesetze.li findet sich jedoch nirgends eine Zusammenstellung der dienstfreien Tage.Im „Entwurf des Abkommens mit dem Heiligen Stuhl“, dem so genannten „Konkordat“, das Anfang 2013 veröffentlicht wurde, aber noch nicht unterzeichnet ist, findet sich folgender Art. 5: „Der katholischen Kirche und ihren Gläubigen ist die Festtagsruhe an den Sonntagen und den Feiertagen gemäss Anhang 2 gewährleistet.“ Im Anhang 2 werden Karfreitag, Ostersonntag, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen und Weihnachten (25. Dezember) als Feiertage aufgezählt. Damit existiert nun eine dritte Auflistung von Feiertagen. Immerhin finden sich die aufgezählten Feiertage – als Kernbestand hoher katholischer Feiertage – auch in den beiden anderen Listen. Unklar ist die Formulierung „ihren Gläubigen ist die Festtagsruhe (…) gewährleistet“. Soll mit Art. 5 Konkordatsentwurf dem einzelnen Katholik (aber nicht Angehörigen anderer Konfessionen und Religionen) ein (gegenüber dem Land als Arbeitgeber und gegenüber privaten Arbeitgebern) einklagbarer Anspruch geschaffen werden, an Sonntagen und an den genannten Feiertagen nicht arbeiten zu müssen? Der Wortlaut könnte so verstanden werden. Die bisherige gesetzliche Regelung spricht jedoch gegen eine solche Auslegung. Der Gesetzgeber hat bei den Sonn- und Feiertagen noch nie Unterschiede bezüglich der Religionszugehörigkeit der Arbeitnehmenden getroffen und immer Ausnahmen für notwendige Arbeitstätigkeiten vorgesehen.Art. 5 Konkordatsentwurf kann demnach nur so verstanden werden, dass er – gerade weil Art. 19 Abs. 2 LV die Feiertage nicht aufzählt – den Gesetzgeber verpflichtet, einen Minimalbestand an hohen katholischen Festtagen auch dann als gesetzliche Feiertage anzuerkennen, wenn die römisch-katholische Kirche ihren Status als Landeskirche verliert.D. Die Ausgestaltung der Sonn- und FeiertagsruheStGH 2003/2, Erw. 4.2 kam zum Schluss, dass es genauso verfassungskonform wäre, wenn der Gesetzgeber entscheiden würde, dass sämtliche Lebensmittelgeschäfte und weitere Detail- und Dienstleistungsgeschäfte an Sonntagen geöffnet haben dürfen wie wenn er Lebensmittelgeschäften verbieten würde, am Sonntag zu öffnen. In der Tat stellt die Sonntagsruhe weder einen Teilgehalt der Religionsfreiheit noch des Rechts auf Familie dar. Hingegen hätte der StGH Art. 19 Abs. 2 LV beiziehen müssen. Er verlangt nicht, dass jedes Unternehmen an Sonn- und Feiertagen geschlossen bleibt, zeigt aber, dass die Verfassung von einem Rhythmus von Werk- und Ruhetagen ausgeht. Wie gross der Unterschied zwischen den Arbeits- und den Ruhetagen sein soll (insbesondere wie viele und welche Unternehmen an Ruhetagen produktiv sein dürfen, für wie viele und welche Kategorien von Arbeitnehmenden Sonn- und Feiertage keine Ruhetage sind), entscheidet der Gesetzgeber.Die gesetzliche Regelung der Sonn- und Feiertagsruhe hat nicht nur Vorgaben für Unternehmen und ihre Beschäftigten zu enthalten, sondern sollte alles regeln, was notwendig ist, um den betreffenden Tagen den Charakter eines Ruhetages zu verleihen. Dazu kann es z.B. gehören, Vorschriften für Vereinsanlässe und sonstige Veranstaltungen mit einem grösseren Menschenauflauf zu erlassen, aber auch Zeiten festzulegen, an denen störende Betätigungen wie Rasenmähen, Heckenschneiden oder Holzhacken auch auf dem eigenen Grundstück verboten sind. Gemäss Art. 12 Abs. 2 lit. h GemG obliegt es den Gemeinden, für „die Aufrechterhaltung von Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ zu sorgen. Entsprechend haben sie die notwendigen Reglemente zu erlassen[59] und Anweisungen zu treffen. Indem die Verordnung über die Öffnungszeiten von gastgewerblichen Betrieben und die Dauer von Veranstaltungen zur Wahrung der Nachtruhe[60] die Öffnungszeiten der Gaststätten festlegt (sog. Polizeistunde) und die Dauer von öffentlichen und privaten Veranstaltungen und Versammlungen vorgibt, ist der Handlungsspielraum der Gemeinden allerdings begrenzt.[61]V. Massgebendes ausländisches RechtDer Zollanschlussvertrag vom 29. März 1923 (siehe Anlage I Ziffer E. Volkswirtschaftsdepartement)[62] listete verschiedene schweizerische Gesetze zum Arbeitnehmerschutz als für Liechtenstein anwendbar auf. Als sie per 1. Januar 1966 aufgehoben wurden, entschloss sich Liechtenstein, eigene Gesetze[63] zu erlassen. Vorerst musste jedoch mit dem Gesetz vom 21. Dezember 1965 betreffend die Arbeit in den Fabriken[64] (es führte das aufgehobene Schweizer Gesetz weiter) befristet ein Gesetz erlassen werden bis das Arbeitsgesetz (vom 29. Dezember 1966[65] ausgearbeitet war.[66] Bis dahin hatte das Schweizerische Arbeitsinspektorat des Kreises IV (St. Gallen) auch die liechtensteinischen Unternehmen überprüft.In der aktuellen Kundmachung vom 10. Mai 2016 der aufgrund des Zollvertrages im Fürstentum Liechtenstein anwendbaren schweizerischen Rechtsvorschriften (Anlagen I und II)[67] finden sich keine Schweizer Erlasse aus dem Bereich „Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel“ mehr. Wohl aber enthält das von der Stabsstelle EWR der Regierung des Fürstentums Liechtenstein herausgegebene Register der EWR-Rechtssammlung im Kapitel XVIII „Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Arbeitsrecht sowie Gleichbehandlung von Männern und Frauen“ eine längere Liste mit massgebenden Rechtsakten.[68] |
Das Fürstentum ist eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage (Art. 79 und 80); die Staatsgewalt ist im Fürsten und im Volke verankert und wird von beiden nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung ausgeübt.The Principality is a constitutional, hereditary monarchy on a democratic and parliamentary basis (articles 79 and 80); the power of the State is embodied in the Reigning Prince and the People and shall be exercised by both under the conditions set forth in the provisions of this Constitution.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteDie Bestimmung des Art. 2 LV ist seit 1921 unverändert. Sie hatte jedoch Vorläufer aus der Zeit noch vor der konstitutionellen Monarchie: So sah bereits der Verfassungsentwurf des Verfassungsrates 1848 in seinem § 3 als Regierungsform des Fürstentums „die monarchisch konstitutionelle“ vor und bezeichnete das Staatsoberhaupt als „konstitutionellen Fürsten“.[1] Die Bezeichnung „konstitutionell“ trug die Konstitutionelle Verfassung 1862 in ihrem Titel, erwähnte das Wort sonst jedoch nicht. § 2 bestimmte, dass der Landesfürst das „Oberhaupt des Staates (ist), (…) in sich alle Rechte der Staatsgewalt vereinigt und (…) sie unter den in gegenwärtiger Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen (ausübt).“ Seine Person wurde als „heilig und unverletzlich“ erklärt. Diese Bestimmung wurde praktisch unverändert der Rezeptionsvorlage entnommen.Die Idee des Konstitutionalismus besteht in der Machteinschränkung monarchischer Herrschaft durch eine Verfassung. Abhängig von der Verteilung des Einflusspositionen handelte es sich um eine konstitutionelle Monarchie mit dominierendem Parlament oder um eine solche mit Vorrang des Monarchen.[2] Liechtenstein war in der Zeit der Konstitutionellen Verfassung dieser zweiten Variante zuzuordnen. Dies zeigt sich auch daran, dass § 2 KonV noch von Art. 57 der Wiener Schlussakte der deutschen Bundesakte vom 15. Mai 1820 inspiriert war, wonach die „gesammte Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben“ müsse.[3]In der Verfassung von 1921 wurde der Inhalt des § 2 KonV weitgehend in Art. 7 LV übernommen, jedoch ohne die Wendung, wonach der Landesfürst in sich alle Rechte der Staatsgewalt vereinigt. Regelungen über die Staatsgewalt wurden hingegen in Art. 2 LV vorgesehen, jedoch mit der wesentlichen Änderung gegenüber § 2 KonV, dass die Staatsgewalt seither im Fürsten und im Volke verankert ist (dazu näher unter IV.). Damit waren Bestimmungen über die Staatsform (konstitutionelle Erbmonarchie und ihre Grundlage) sowie die Verankerung der Staatsgewalt in einer Bestimmung zusammengefasst. Das Bestreben, die demokratische und parlamentarische Verankerung der Staatsgewalt hervorzuheben, bildete 1921 ein zentrales Anliegen der Volkspartei. So war im Verfassungsentwurf Wilhelm Becks bereits in Art. 1 Abs. 1 vorgesehen, dass das Fürstentum Liechtenstein eine „souveräne demokratische Monarchie auf parlamentarischer Grundlage“ bilden sollte.[4] In Art. 3 war geplant, dass die Staatsgewalt „auf dem Landesfürsten und dem Volke“ beruhen und „nach den Bestimmungen dieser Verfassung durch den Landesfürsten und die Volksvertretung ausgeübt“ werden sollte.[5] Im Verfassungsentwurf des Prinzen Karl waren derartige Regelungen noch nicht vorgesehen, im Gegenteil: Der Fürst sollte gemäss § 3 weiterhin alle Rechte der Staatsgewalt in sich vereinigen.[6]Der heutige Art. 2 LV stellt eine wesentliche Errungenschaft der Schlossabmachungen vom 11. September 1920 dar. In der Entschliessung von Fürst Johann mit Datum 11. September 1920 wird an erster Stelle ausgeführt:[7]Fürst Johann änderte diesen Punkt mit Entschliessung vom 13. September 1920 dahingehend ab, dass zwischen die Worte „demokratischer“ und „Grundlage“ die Worte „und parlamentarischer“ einzuschalten seien.[8]In einer bereinigten Fassung der Schlossabmachungen, die offenbar am 15. September 1920 erstellt wurde, aber ebenfalls das Datum 11. September 1920 trägt,[9] finden sich die Wortfolgen „demokratischer und parlamentarischer Grundlage“ und „Staatsgewalt ist im Fürsten und im Volke verankert“ im Original handschriftlich unterstrichen. Wenngleich sich nicht mehr eruieren lässt, wer die Unterstreichung wann vorgenommen hat, liegt die Bedeutung der Änderung schon angesichts der prominenten Stelle in den Aufzeichnungen über die Schlossabmachungen auf der Hand.[10]Art. 2 LV in der heute geltenden Fassung war im Wesentlichen bereits in der Regierungsvorlage des Landesverwesers Peer enthalten.[11] Die Verfassungskommission nahm gegenüber der Regierungsvorlage lediglich die Modifikation vor, dass nach den Worten „parlamentarischer Grundlage“ der Klammerausdruck „(Art. 79 und 80)“ eingefügt wurde.[12] Eine Begründung für die Änderung ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Da sich die Bestimmungen einerseits auf das Vorschlagsrecht des Landtages hinsichtlich der Bestellung der Regierung und das erforderliche Einvernehmen mit dem Landesfürsten (Art. 79) bzw. auf die politische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Landtag (Art. 80) beziehen, ist jedoch offenkundig, dass damit die parlamentarische Grundlage der Monarchie herausgestrichen werden sollte.[13]Der Bestimmung des Art. 2 LV wurde im Vergleich mit anderen Verfassungen besondere Eigentümlichkeit und Einzigartigkeit attestiert.[14] Tatsächlich erweist sich die Bestimmung als in hohem Ausmass auslegungsbedürftig, was in den folgenden Ausführungen noch vertieft wird.II. Die konstitutionelle ErbmonarchieA. Monarchien im VergleichEnde 2013 gab es unter den 193 UNO-Mitgliedstaaten 43 Monarchien, unter ihnen 16 Commonwealth-Staaten, die Queen Elizabeth II. als Staatsoberhaupt aufweisen.[15] Als Fürstentümer bezeichnen sich gegenwärtig insgesamt drei Staaten: Neben Liechtenstein sind dies Andorra und Monaco. Staatsrechtlich ist diese Bezeichnung allerdings ohne Belang, sie besagt lediglich, dass das Staatsoberhaupt die Bezeichnung „Fürst“ trägt. Es gibt verschiedene Einteilungen der Monarchien: Abhängig von der Art der Bestellung des Monarchen spricht man von Erbmonarchien und Wahlmonarchien.[16] Während eine Erbmonarchie ein vererbliches Staatsoberhaupt aufweist, wird in der Wahlmonarchie das Staatsoberhaupt gewählt, zumeist auf Lebenszeit.[17]Hinsichtlich der verfassungsmässigen Ausgestaltung wird zwischen absoluten, konstitutionellen und parlamentarischen Monarchien unterschieden.[18] Die in der Allgemeinen Staatslehre dazu geprägten Definitionen sind allerdings nicht völlig einheitlich.[19] Nach der hier vertretenen Auffassung ist die absolute Monarchie dadurch gekennzeichnet, dass der Monarch die volle und unbeschränkte Herrschaftsgewalt ausübt, ohne an das gesatzte Recht gebunden zu sein. Es handelt sich somit um eine Kombination von monarchischer Staatsform und monokratischer Regierungsform.[20]In der konstitutionellen Monarchie ist das Staatsoberhaupt dagegen durch eine Verfassung in seiner Herrschaftsausübung beschränkt. Diese Verfassung muss nicht nur die Grundrechte gewährleisten, sondern auch eine demokratische Regierungsform zulassen.[21]Die parlamentarische Monarchie geht über die Beschränkung des Monarchen durch die Verfassung hinaus und reduziert seine Rechte auf solche vorwiegend repräsentativer und formaler Natur.[22] Das monarchische Element ist in solchen Monarchien zum „dignified part of the constitution“ geworden.[23]Durch ihre Bezeichnung als „konstitutionelle Erbmonarchie“ weist sich die Verfassung Liechtensteins selbst grundsätzlich den konstitutionellen Monarchien zu. Im internationalen Vergleich wird das Fürstentum ebenfalls, wohl wegen der starken Stellung des Landesfürsten (vgl. etwa Art. 9 LV, wonach jedes Gesetz zu seiner Gültigkeit der Sanktion des Landesfürsten bedarf) in der Gesamtbeurteilung den konstitutionellen Monarchien zugeordnet.[24] Es darf aber nicht verkannt werden, dass die Verfassung bewusst von einer demokratischen und parlamentarischen „Grundlage“ spricht, sie begründet deshalb eben nicht nur eine konstitutionelle Monarchie, auch wenn sie den Weg hin zu einer parlamentarischen Demokratie nicht zu Ende gegangen ist.[25]B. Die ErbmonarchieDas Fürstentum deklariert sich in Art. 2 ausdrücklich als Erbmonarchie, was bedeutet, dass Liechtenstein ein vererbliches Staatsoberhaupt aufweist. Zur Erbmonarchie hat bereits Jellinek 1914 ausgeführt: „Dass in der Erbmonarchie nur im bildlichen Sinne von der Erblichkeit der Krone gesprochen werden kann, bedarf vom Standpunkte der heutigen Staatsordnung kaum näherer Ausführung. Nicht der Monarch erbt die Krone, sondern die Krone den Monarchen; die bleibende staatliche Institution nimmt beim Thronwechsel einen neuen Organträger auf.“[26] Die Monarchie ist somit durch die Verfassung einer Dynastie anvertraut.[27]Über die Ausgestaltung der Thronfolge trifft Art. 2 LV keine weiteren Regelungen. Art. 3 LV verweist diesbezüglich auf das Hausgesetz, das die Thronfolge in seinem Art. 12 regelt. Es gilt der Grundsatz der (männlichen) Primogenitur.C. Die Verfassung und die MonarchieDie Verfassung ist die rechtliche Grundlage des Fürstentums. Es handelt sich um keine oktroyierte, also vom Fürsten dem Volk verliehene Verfassung, sondern eine, die in historischer Perspektive im Zusammenwirken von Fürst und Volk zustande gekommen ist.[28]Bereits die Präambel der Konstitutionellen Verfassung von 1862 berief sich auf die „zwischen Uns und den Ständen erzielte Vereinbarung“, welche die Grundlage dieser Verfassung bildete. Auch sie war bereits in einer gewissen Form von Dialog zwischen dem Fürsten und dem Volk zustande gekommen.[29] Dessen ungeachtet handelte es sich um eine typisch für das Zeitalter des Konstitutionalismus vom Fürsten erlassene Verfassung. Der Entstehung der Verfassung von 1921 waren unruhige Zeiten vorausgegangen: Am 7. November 1918 war Landesverweser Imhof vom Landtag in einer Art Putsch gegen den Willen des Fürsten aus dem Amt gedrängt worden.[30] In der Folge wurde im Dezember 1918 zwischen dem Landtag und Prinz Karl ein Neun-Punkte-Programm ausgehandelt, das als Grundlage für eine Verfassungsrevision dienen sollte.[31] Verschiedene Verfassungsentwürfe, sowohl von der Seite des Fürstenhauses als auch von Wilhelm Beck als Repräsentant der Volkspartei wurden im Laufe der Jahre 1919 und 1920 vorgelegt.[32] Schliesslich erzielten im Rahmen der sogenannten „Schlossabmachungen“ vom September 1920 Vertreter der Volkspartei mit dem Fürstenhaus über die Grundzüge des auszuarbeitenden Verfassungsentwurfs Einigung.[33]Die Verfassung von 1921 hingegen wurde nach den Bestimmungen des § 121 KonV, der eine solche Verfassungsrevision durchaus vorsah,[34] im Landtag beschlossen. Der Fürst erteilte dazu die Sanktion.[35] Anders als etwa in Österreich, wo zwischen der Dezemberverfassung von 1867 und dem B-VG von 1920 keine rechtliche Kontinuität besteht, letztere also auf revolutionären Wege zustande gekommen ist, besteht in Liechtenstein somit seit 1862 Verfassungskontinuität. Es ist dennoch unzutreffend, aus dem letztlich zustande gekommenen Einvernehmen zwischen Landtag und Fürst über die Ausgestaltung der Verfassung von 1921 einen „demokratischen Grundvertrag“[36] zwischen Fürst und Volk zu konstruieren: Nach Auffassung von Winkler hätten sich nämlich „der Fürst und – für das Volk – der Landtag von Liechtenstein (…) im Jahr 1921 aufgrund der sogenannten „Schlossabmachungen“ durch einen staatsrechtlichen Vertrag auf die als Grundgesetz des Staates (…) geltende Verfassung geeinigt.“[37] Diesen Ausführungen ist aus historischer Sicht entgegenzuhalten, dass an den Schlossabmachungen nicht der Landtag, sondern unmittelbar lediglich einige Akteure der Volkspartei, die noch dazu nur die Minderheit im Landtag stellte,[38] beteiligt waren.[39] Die Verabschiedung der Verfassung von 1921 durch den Landtag samt der dazu erteilten Sanktion des Landesfürsten erfolgte wie dargestellt auf der Basis damals geltenden Verfassungsrechts. Es besteht keine Veranlassung, diese Vorgänge als ein Vertragsverhältnis zu betrachten, das wohl nur ausserhalb des Rechts stehen könnte.[40] Der hier vertretenen Auffassung, die die Verfassung als Grundlage der Monarchie versteht und nicht als ein mystifizierter „Grundvertrag“,[41] steht nicht entgegen, dass die Monarchie vom Fürstenhaus Liechtenstein in ihrer historischen Ausprägung niemals usurpiert worden ist, sondern sich stets (und gerade auch 1921) auf einen von grossen Teilen der Bevölkerung getragenen Grundkonsens berufen konnte. Dies stellt jedoch die historische, nicht die rechtliche Legitimation der Verfassung dar.[42]Während die Monarchie von 1862 bis 1921 eine typisch konstitutionelle Verfassung aufwies, mit einer parlamentarischen Mitwirkung des Volkes an der Gesetzgebung, jedoch ohne eine Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Landtag vorzusehen, und mit der „Vereinigung der Staatsgewalt“ im Fürsten, steht die Verfassung von 1921 auf moderneren Grundlagen: Die Staatsgewalt ist seither „im Fürsten und im Volke verankert“ und damit zwischen ihnen geteilt.[43] Die Verfassung ist gleichzeitig Grundlage und Schranke dieser Staatsgewalt.[44] Insbesondere ist die Rechtsposition des Landesfürsten ausschliesslich aus der Verfassung abgeleitet.[45] Dennoch wurde das monarchische Element mit der Verankerung der Staatsgewalt auch im Fürsten betont. Die Verfassung streicht weiters die „demokratische und parlamentarische Grundlage“ der konstitutionellen Erbmonarchie hervor. Trotz starker Mitwirkungsrechte des Fürsten – wie insbesondere dem Sanktionsrecht gemäss Art. 9 LV oder der Verantwortlichkeit der Regierung auch dem Fürsten gegenüber (Art. 80 LV) – wird also der demokratische und parlamentarische Grundcharakter der Verfassung hervorgehoben. Dennoch: Die starke rechtliche Stellung des Fürsten gerade auch in Fragen der Revision der Verfassung macht die Verfassung zu einer sogenannten Mischverfassung.[46] Auch der Umstand, dass die Abschaffung der Monarchie nach Art. 113 LV nicht der Zustimmung des Landesfürsten bedarf (Art. 112 LV), ändert daran nichts.III. Die demokratische und parlamentarische GrundlageA. Demokratie und ParlamentarismusDie offenkundige Differenzierung zwischen einer „demokratischen“ und einer „parlamentarischen“ Grundlage der Monarchie erweckt den Eindruck als sei der Parlamentarismus ein Aliud zur Demokratie. Zum Vergleich sei auf Art. 1 B-VG verwiesen, wo statuiert wird: „Österreich ist eine demokratische Republik.“ Nach dem dort vorherrschenden Verständnis umfasst der Begriff der Demokratie die Komponenten der parlamentarischen (repräsentativen) Demokratie wie auch der plebiszitären (direkten) Demokratie.[47] Diese Unterscheidung wird auch in der Allgemeinen Staatslehre vorgenommen, wobei verschiedentlich auch die semi-direkte Demokratie als Zwischenform genannt wird.[48]Nach heutigem Verständnis kann weder die repräsentative noch die direkte Demokratie für sich beanspruchen, die „wahre“ oder „richtige“ oder „ursprüngliche“ Demokratie zu sein. Es geht viel eher darum, in welchem Ausmass das Prinzip der Repräsentation durch direktdemokratische Elemente ergänzt werden soll.[49] Allerdings ist beispielsweise das schweizerische Demokratieverständnis viel stärker auf die unmittelbaren Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger an den politischen Entscheidungen ausgerichtet, als etwa in Österreich und Deutschland.[50] Dieses Verständnis liegt offenkundig auch der liechtensteinischen Verfassung zugrunde, insbesondere, wenn sie durch die Reihung der demokratischen vor der parlamentarischen Grundlage auch eine gewisse Priorisierung zum Ausdruck bringt. Sie stellt klar, dass dem Parlament auch das Volk mit eigenständiger Gesetzgebungsgewalt gegenüber steht und dass die Repräsentationsfunktion des Parlaments vom Volk abgeleitet ist.[51]Andererseits treten die beiden Komponenten auch nicht in Widerspruch zueinander, sondern bilden vielmehr eine Symbiose: In der direkten Demokratie tritt das Volk als Souverän selbst in Erscheinung, in der parlamentarischen Demokratie handeln die vom Volk gewählten Repräsentanten. Beide Elemente stellen klar, dass die Monarchie ihre Grundlage im Volk hat und dass es das Volk ist, das sich die Verfassung in der bestehenden Form im Zusammenwirken mit dem Landesfürsten gegeben hat. Eine demokratische Grundordnung Liechtensteins ist allerdings nicht nur in der Verfassung selbst, sondern auch in internationalem Recht grundgelegt: Art. 3 1. ZP EMRK enthält mit seiner Formulierung, wonach sich die Vertragsparteien verpflichten, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, die die freie Äusserung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Organe gewährleisten, nach heutigem Verständnis die Kerngarantie eines demokratischen Systems.[52] Es handelt sich dabei, obwohl dem Wortlaut zufolge eine ausschliessliche Staatenverpflichtung, um ein individuelles Recht des Einzelnen auch hinsichtlich der Einrichtung demokratischer Strukturen.[53] Der Umstand, dass die EMRK freie Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften garantiert, beinhaltet auch, dass ein System, in dem der Regierungschef die Möglichkeit hat, durch Verordnungen ohne parlamentarische Zustimmung zu regieren, ausgeschlossen ist.[54] Der Umstand, dass das Staatsoberhaupt, wie dies in einer Monarchie der Fall ist, nicht gewählt wird, wird hingegen als mit Art. 3 1. ZP EMRK nicht unvereinbar betrachtet.[55]Ähnliche Garantien enthalten Art. 21 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und Art. 25 UNO-Pakt II.[56] Sie sind vermöge Art. 15 Abs. 2 StGHG ebenfalls als individuelle Rechte „einklagbar“. Allerdings verlangt auch Art. 25 UNO-Pakt II kein spezifisches Demokratiemodell. So stellt es keine Verletzung von Art. 25 lit. a UNO-Pakt II dar, wenn das Staatsoberhaupt durch monarchische Erbfolge bestimmt wird.[57]B. Die normative Bedeutung der demokratischen und parlamentarischen GrundlageArt. 2 LV verlangt, dass die demokratische und parlamentarische Grundlage der Monarchie im Staatswesen verwirklicht sein müssen. Auch wenn sich die konkrete Ausgestaltung der demokratischen und parlamentarischen Grundlage vor allem auch aus den weiteren Bestimmungen der Verfassung ergibt (insbesondere aus dem V. Hauptstück in den Bestimmungen über den Landtag und die Referendumsdemokratie), ist Art. 2 LV doch zu entnehmen, dass zu den Strukturprinzipien der Verfassung auch das demokratische Prinzip zählt.[58] Art. 2 LV bildet insoweit auch einen Prüfungsmassstab einfachgesetzlichen Rechts, das der demokratischen und parlamentarischen Grundlage der Monarchie ebenfalls zum Durchbruch verhelfen muss. Der Staatsgerichtshof hat in seinem Gutachten vom 6. März 1987[59] unter Hinweis auf Art. 2 LV ausgeführt: Art. 2 erster Halbsatz LV postuliert das demokratische Strukturprinzip der Verfassung. Seine konkrete Ausformung ergibt sich aus den weiteren Bestimmungen der Verfassung, die dem einfachen Gesetzgeber die Grundsätze für die Ausgestaltung der Referendumsdemokratie und des Wahlrechts vorgeben.[61] So werden etwa in Art. 46 LV die Zahl der Abgeordneten, ihre Aufteilung auf die beiden Wahlkreise Ober- und Unterland sowie die sogenannte Sperrklausel[62] (nur jene Parteien erlangen Mandate, die wenigstens acht Prozent der im ganzen Land abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben) festgelegt. In Art. 64 LV wird beispielsweise bestimmt, wem das Recht der Initiative in der Gesetzgebung zusteht sowie in Art. 66 LV, unter welchen Voraussetzungen Gesetzes- und andere Beschlüsse des Landtages dem Referendum unterliegen. Auch die Ausformung des Wahlrechts, wie die Beschränkung des Stimmrechts auf jene Landesangehörigen, die das 18. Lebensjahr vollendet und ihren ordentlichen Wohnsitz im Land haben, zieht den demokratischen Rechten der Landesangehörigen Grenzen (Art. 29 Abs. 2 LV). Dies schliesst nicht aus, dass auch die gesetzlichen Bestimmungen über die Volksrechte ihrer Ausübung Schranken setzen, wie dies etwa in der Vorprüfung von Gesetzesinitiativen auf ihre Verfassungskonformität[63] zum Ausdruck gelangt oder in der Präzisierung, wonach stimmberechtigt nur solche Landesangehörige sind, die ihren ordentlichen Wohnsitz seit mindestens einem Monat vor der Wahl oder Abstimmung im Land haben.[64] Solche Regelungen sind typischerweise erforderlich, um auf der gesetzlichen Ebene die politischen Rechte des Volkes umzusetzen. Sie waren auch schon in den Grundzügen von der Verfassung 1921 vorgefunden.[65] Das in Art. 2 erster Halbsatz LV verankerte demokratische Strukturprinzip beschränkt in Zusammenhang mit den anderen einschlägigen Bestimmungen der Verfassung jedoch den Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers. Die demokratische und parlamentarische Grundlage der Verfassung bedeuten im Weiteren, dass es, von den in der Verfassung selbst vorgesehenen Ausnahmen Hausgesetz (vgl. Art. 3 LV) und Notstandsrecht (Art. 10 Abs. 2 LV) abgesehen, keine Gesetzgebung am Volk oder dem Landtag vorbei geben darf. In einem Rechtsstaat, der von der „rule of law“ geprägt ist, bedeutet dies aber auch, dass allgemeinverbindliche Normen, die Rechte und Pflichten der Normadressaten beinhalten, vorbehaltlich der Sanktion des Landesfürsten (Art. 9 LV) nur vom Volk oder dem Landtag verabschiedet werden dürfen, bzw. wie dies etwa beim EWR-Recht der Fall ist, ihre rechtliche Grundlage in einem Zustimmungsakt des Volkes und/oder des Landtages haben müssen. Insoweit ist die Gesetzgebung untrennbar mit Demokratie und Parlamentarismus verbunden. Der Verweis auf Art. 79 und 80 LV soll, was dem historischen Verfassungsgeber offenkundig besonders bedeutsam war, auf die Rolle des Parlaments bei der Regierungsbildung (Art. 79 LV) und die demokratische Verantwortlichkeit der Regierung (Art. 80 LV) hinweisen.[66]Der programmatischen Erklärung des Art. 2 LV ist zu entnehmen, dass bei der Ausgestaltung der konstitutionellen Erbmonarchie die demokratische und die parlamentarische Grundlage grundsätzlich gleichrangig sein sollen. Dies bedeutet, dass die Verfassung an sich selbst und insbesondere den einfachen Gesetzgeber dahingehend in die Pflicht nimmt, dass direkte und repräsentative Demokratie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen sollen.[67]Diesem Grundsatz hat der Staatsgerichtshof in seinem Gutachten StGH 1986/10 Erw. 4 dahingehend Ausdruck verliehen, dass er eine Regelung, die ein doppeltes oder mehrfaches Ja bei Mehrfachabstimmungen untersagte, als verfassungswidrig beurteilte, da diese die Stimmbürger im Ausdruck ihrer Präferenzen bei Abstimmungen beschränkte und den bestehenden Rechtszustand in einer Art und Weise privilegierte, welche die Gefahr schaffe, dass der demokratische Entscheidungsprozess verfälscht werde.[68]Art. 2 LV gilt, wie sich gerade aus dem Verweis auf Art. 79 und 80 LV ergibt, nicht nur für die Gesetzgebung, sondern auch für die Vollziehung. Es darf, von verfassungsrechtlich explizit verankerten Ausnahmen abgesehen (vgl. etwa die Notverordnungen gemäss Art. 10 LV), keinen Akt der Vollziehung geben, der nicht seine Grundlage in einer Entscheidung des Volkes oder des Landtages hat und der nicht demokratischer und parlamentarischer Kontrolle unterliegt. Die Verfassung unterwirft auch den Landesfürsten, den gegenüber dem Landtag keine rechtliche oder politische Verantwortlichkeit trifft,[69] der Kontrolle durch das Volk gemäss Art. 13ter LV. Demnach steht wenigstens 1‘500 Landesbürgern das Recht zu, gegen den Landesfürsten einen Misstrauensantrag einzubringen.[70] Auch wenn die Letztentscheidung nach Art. 13ter LV dem Hausgesetz bzw. den nach dem Hausgesetz dazu berufenen Organen übertragen ist,[71] stellt die Bestimmung doch eine gewisse Kontrollmöglichkeit des Volkes gegenüber dem Landesfürsten her. Dies unterstreicht auch Art. 113 LV, wonach, das Durchlaufen eines komplexen Verfahrens vorausgesetzt, auch die Abschaffung der Monarchie Gegenstand des Volksentscheids sein kann. Freilich handelt es sich in keiner Weise um eine mit der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Landtag vergleichbare demokratische Verantwortlichkeit, nicht nur, weil das Staatsoberhaupt gemäss Art. 7 Abs. 2 LV ausdrücklich als rechtlich nicht verantwortlich deklariert wird, sondern vor allem auch, weil zumindest die Absetzung des Landesfürsten ohne gleichzeitige Änderung der Staatsform nicht durchgesetzt werden kann.[72]IV. Verankerung und Ausübung der StaatsgewaltA. Der dualistische bzw. „elliptische Staat“Gemäss der Anordnung des Art. 2 zweiter Halbsatz LV ist die Staatsgewalt im Fürsten und im Volke verankert. Die Bestimmung stellt vor ihrem zeithistorischen Hintergrund 1921 eine Absage an die vormalige Formulierung des § 2 KonV dar, nach welcher der Fürst alle Rechte der Staatsgewalt in sich vereinigte. Mit der seinerzeitigen Formulierung war noch dem klassischen monarchischen Prinzip Ausdruck verliehen worden.[73]Seit 1921 ist auch das Volk Träger der Staatsgewalt, jedoch nicht ausschliesslich, sondern gemeinsam mit dem Landesfürsten.[74] Das monarchische Prinzip ist nicht, wie in anderen Monarchien, aufgehoben worden, sondern steht dem demokratischen Prinzip gleichrangig gegenüber.[75] Dieser Regelung wird in der vergleichenden Staatsrechtslehre Einzigartigkeit in Europa zugebilligt.[76]Auf Grund dieser Teilung der Staatsgewalt zwischen Volk und Fürsten wurde der Begriff „Dualismus“[77] geprägt, oder, wie Gerard Batliner anschaulich formulierte, von einem „elliptischen Staat“[78] gesprochen. Die verfassungsrechtliche Problematik dieses Dualismus besteht darin, dass sie keine Lösung für den Konfliktfall bereit hält.[79] So reicht die Verweigerung der Sanktion eines Gesetzes durch den Landesfürsten (Art. 9 LV) hin, das Inkrafttreten des Gesetzes auf Dauer zu verhindern, wenngleich nur wesentliche staatspolitische Interessen oder eine offensichtliche Verfassungswidrigkeit die Nichterteilung der Sanktion rechtfertigen und ausserdem von einer Begründungspflicht einer solchen Entscheidung auszugehen ist.[80] Die Möglichkeit, die Monarchie im Wege des Verfahrens gemäss Art. 113 LV abzuschaffen, mag ein letzter Ausweg sein, bürdet aber letztlich dem Volk als Reaktion auf einen mitunter verhältnismässig geringfügigen Anlass eine Entscheidung von erheblicher Tragweite auf. Die Formulierung darf nicht den Blick darauf verstellen, dass es die Verfassung ist, die diese Anordnung trifft und dass das Recht des Fürsten an der Staatsgewalt, das er mit dem Volk teilt, und dessen augenscheinlichste Ausprägung das Sanktionsrecht gemäss Art. 9 LV ist,[81] aus der Verfassung resultiert und nicht etwa aus einem prärechtlichen oder präkonstitutionellen Machtverhältnis.[82]Anschaulich ist der Vergleich der Bestimmungen mit anderen Verfassungen: Art. 1 B-VG statuiert: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke aus.“ Damit wird, ganz im Sinne der Rechtstheorie Hans Kelsens klargestellt, dass es im modernen Rechtsstaat keine „Gewalten“ geben kann, sondern nur durch das Recht geformtes staatliches Handeln. Dieser Gedanke liegt auch Art. 5 Abs. 1 BV zugrunde, wonach Grundlage und Schranke staatlichen Handelns das Recht ist. Allerdings spricht auch Art. 148 Abs. 1 BV davon, dass die Bundesversammlung die „oberste Gewalt“ im Bund ausübt und verwendet diesen Begriff damit ebenfalls für die Ausübung staatlicher Hoheit. Art. 20 Abs. 2 erster Satz GG formuliert wiederum: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Diese Bestimmung nimmt im Gegensatz zum Vergleichsbeispiel aus Österreich den Begriff „Staatsgewalt“, der im Übrigen ein weiterhin gebräuchlicher Terminus des Völkerrechts und der Allgemeinen Staatslehre ist,[83] ebenfalls auf. Allerdings ist auch die Staatsgewalt im Sinne des Art. 2 zweiter Halbsatz LV eine solche, die ihre Grundlage im positiven Recht der Verfassung findet und durch das Recht begrenzt ist.[84] Es gibt keinen Rechtstitel „vor“ und „ausserhalb“ der Verfassung, die zu rechtmässigem Handeln staatlicher Organe ermächtigen könnten.[85]B. Die Verfassung als Schranke der StaatsgewaltArt. 2 zweiter Halbsatz LV bringt zum Ausdruck, dass die Verfassung konstituierende und begrenzende normative Grundlage jedweder staatlichen Entscheidungsgewalt ist.[86] Er trägt dem Landesfürsten und dem Volk auf, von ihrer Staatsgewalt ausschliesslich nach Massgabe der Bestimmungen der Verfassung Gebrauch zu machen. Dies bedeutet, dass Landesfürst und Volk ausschliesslich soweit tätig werden können, als die Verfassung dazu die entsprechenden Ermächtigungen vorsieht. Mit dieser Formulierung wird auch das Rechtsstaatsprinzip, das noch weitere Verankerungen in der Verfassung findet[87] zum Ausdruck gebracht: Jedes staatliche Handeln muss mit dem Recht in Einklang stehen und seine Grundlage im Recht finden.[88]Soweit die Verfassung dabei bestimmte Freiräume gewährt (z.B. etwa in der Ausübung der Staatsoberhauptfunktion des Landesfürsten gemäss Art. 7 LV), ist eine Orientierung am Geist der Verfassung und den ihr zugrunde liegenden Prinzipien vorzunehmen. Insbesondere das in Art. 2 LV zum Ausdruck gelangende Gleichgewicht von Fürst und Volk ist ein Auftrag, auf einvernehmliches Vorgehen und Vermeidung von Konflikten hinzuarbeiten, da sonst eine das Land lähmende Pattstellung eintreten kann.[89] Es wurde daher auch zu Recht von einem monarchisch-demokratischen Konsensprinzip gesprochen: Fürst und Volk bzw. das Parlament als Repräsentant des Volkes haben einvernehmlich vorzugehen. Dieses gesollte Einvernehmen, auf das die Verfassung an verschiedenen Stellen auch ausdrücklich Bezug nimmt,[90] ist der Geist der Verfassung.[91] Gerade angesichts der Tatsache, dass das Mehrheitsprinzip in der Natur der Demokratie liegt und die Unterschiedlichkeit der politischen Auffassungen im Wesen des Parlamentarismus, ist die Macht, die die Verfassung dem Landesfürsten überträgt, gleichzeitig Auftrag, ausgleichend zu wirken.[92] In diesem Sinne wird man aber auch die Mitwirkung des Landesfürsten an der Gesetzgebung nicht als Ausdruck freien Ermessens verstehen können, auch er hat den Geist der Verfassung zu berücksichtigen, der auf das Einvernehmen ausgerichtet ist.[93]Freilich hält die Verfassung keine Lösung für den Fall bereit, dass dieses Einvernehmen oder der Ausgleich nicht herzustellen ist (etwa, wenn der Fürst die Sanktion eines Gesetzes verweigert, oder umgekehrt das Parlament handlungsunfähig wäre). Der Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten (Art. 13ter LV) oder gar die Abschaffung der Monarchie (Art. 113 LV) als Instrument des Volkes auf der einen Seite und die Notverordnung (Art. 10 Abs. 2 LV) auf der anderen Seite könnten jeweils nur ultima ratio sein.C. Art. 2 LV als Ausdruck der GewaltenteilungDie Gewaltenteilung in Liechtenstein manifestiert sich in der Trennung von Landtag (V. Hauptstück), Regierung (VII. Hauptstück) und Gerichtsbarkeit (VIII. Hauptstück).[94] Der Staatsgerichtshof bezeichnet in seiner neueren Judikatur die Gewaltenteilung als „zentralen Grundsatz des Rechtsstaates“,[95] zuweilen ohne sie in konkreten Bestimmungen zu verorten.[96] Der Grundsatz der Gewaltenteilung bildet auch kein eigenständiges Grundrecht.[97] Daneben sieht die Verfassung aber auch verschiedene Fälle der Gewaltenverschränkung vor, etwa bei der Kontrolle des Gesetzgebers durch den Staatsgerichtshof (Art. 104 LV), die Kontrolle der Verwaltung durch den Verwaltungsgerichtshof (Art. 102 LV) sowie bei der Bestellung der Richter durch den Landtag und den Landesfürsten (Art. 96 und Art. 105 LV).Die Gewaltenteilung wurde vom Staatsgerichtshof in seiner älteren Judikatur auch unter ausdrücklicher Bezugnahme aus Art. 2 und Art. 7 LV abgeleitet.[98] Diese Auffassung trifft insoweit zu, als die beiden Bestimmungen ein Gegenüber von Fürst und Volk zum Ausdruck bringen. Aus Art. 7 Abs. 1 LV ergibt sich die Staatsoberhauptfunktion des Landesfürsten, wobei die Verfassung zudem klarstellt, dass der Landesfürst nur jene Rechte an der Staatsgewalt ausüben darf, die ihm die Verfassung zuweist. Art. 2 LV, wonach die Staatsgewalt im Fürsten und im Volke verankert ist, deutet zunächst auf eine Gewaltenvermischung hin, welche auch, indem Art. 9 LV dem Landesfürsten ein massgebliches Mitwirkungsrecht in der Gesetzgebung überträgt, tatsächlich stattfindet.[99] Gewaltentrennend wirkt allerdings auch hier die Anordnung, dass Fürst und Volk ihren jeweiligen Anteil an der Staatsgewalt nach Massgabe der Bestimmungen der Verfassung ausüben.[100]Bedeutsamer im Hinblick auf die Gewaltenteilung ist die Aussage, dass Fürst und Volk ihre Staatsgewalt nach den Bestimmungen der Verfassung ausüben. Damit wird einer vertikalen Gewaltenteilung Ausdruck verliehen: Die gesamte Staatsgewalt ist an die Verfassung gebunden. Die Organe, die an der Verfassungsgebung beteiligt sind (das Volk und der Landtag als Repräsentant des Volkes sowie der Landesfürst, der seine Sanktion gemäss Art. 9 LV zu erteilen hat), haben das Handeln der Gesetzgebung und der Exekutive zu binden und vorherzubestimmen.[101] Dort, wo die Verfassung Ermessensspielräume überträgt, haben die Organe der Gesetzgebung und der Exekutive dieses Ermessen im Geiste der Verfassung auszuüben.[102]Die konkrete Ausprägung des Gewaltenteilungsgrundsatzes in Liechtenstein wird näher im Zusammenhang mit den Staatsfunktionen Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit untersucht. |
1) Zur Hebung der Erwerbsfähigkeit und zur Pflege seiner wirtschaftlichen Interessen fördert und unterstützt der Staat Land- und Alpwirtschaft, Gewerbe und Industrie; er fördert insbesondere die Versicherung gegen Schäden, die Arbeit und Güter bedrohen und trifft Massregeln zur Bekämpfung solcher Schäden.3) It shall support landslide control measures, afforestation and drainage operations and shall turn its attention to and promote all efforts to open up new sources of income.Entstehung und MaterialienLiteraturI.Allgemeines und EntstehungsgeschichteArt. 20 LV, der seit 1921 unverändert in Kraft ist, legt die Grundlage für die Wirtschaftsförderung. Die im Verfassungsartikel genannten Verpflichtungen zur Förderung und Unterstützung stellen Staatsaufgaben dar. Wie in den Einleitenden Bemerkungen zum III. Hauptstück ausgeführt,[1] bedeutet dies, dass der Staat diese Aufträge ausführen muss. Wo er Schwerpunkte setzt und welche Mittel er wann anwendet, bestimmen Gesetzgebung und Vollzug. Art. 20 LV lässt ihnen einen grossen Spielraum.[2] Wie zu zeigen sein wird,[3] kann aus der Verpflichtung zum Schutz vor Schäden in Art. 20 Abs. 1 LV und aus der Pflicht zum Schutz vor Naturgefahren in Art. 20 Abs. 3 LV eine Schutzpflicht abgeleitet werden, nicht aber aus den anderen Pflichten zur Unterstützung und Förderung.Bemühungen zur Gewinnung von Kulturland finden sich schon sehr früh in den liechtensteinischen Gesetzen. Die Dienstinstruktionen von 1808 schufen die Grundlage für die Abschaffung des Gemeindenutzens und die Aufteilung der betreffenden Flächen unter die Gemeindebürger, um sie zu Kulturland zu machen (Dienstinstruktion 3tio).[4] Ebenso wurde die Entwässerung der Riete (Dienstinstruktion 4to) und die Anpflanzung von Obstbäumen angeordnet (Dienstinstruktion 31tens).In den Dienstinstruktionen fanden sich auch Pläne zur Nutzung des Torfs (Dienstinstruktion 44tens). Die Verbesserung der Strassen, Eindämmung der Gefahren des Rheins und Suche nach neuen Einnahmequellen (insbesondere Heimarbeit oder Textilbranche) waren ebenfalls schon früh ein Anliegen des Fürstenhauses: 1808 in den Dienstinstruktionen für Landvogt Schuppler, 1846 nach einer verheerenden Überschwemmung[5] : Gemäss dem Fürstlichen Erlass vom 7. April 1848 Ziff. 8 sollte der Landtag oder ein Ausschuss über die „Hebung der Gewerbe“ und Massnahmen der Wirtschaftsförderung beraten. Im Erlass wurden Massnahmen in dem „in allen seinen Zweigen so wichtigen Ackerbau“ gleichwertig neben Gewerbe, Handel und Handwerk angesprochen. Den Bemühungen zur Förderung des Gewerbes war jedoch im 19. Jahrhundert nur geringer Erfolg beschieden. Erst der Zollvertrag mit Österreich von 1852 brachte eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse.[6]In der Konstitutionellen Verfassung war die Wirtschaftsförderung kein Thema.Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck sprach in Art. 10 alle Themen von Art. 20 LV an. Art. 10 lautete: „Abs. 1 Zur Hebung der Erwerbsfähigkeit des Volkes und zur Pflege seiner wirtschaftlichen Interessen fördert und unterstützt der Staat Landwirtschaft, Alpwirtschaft, Gewerbe und Industrie, insbesondere auch durch Förderung der Versicherung gegen Schaden, welche den Arbeiter und den Landwirt bedrohen und Anordnung von Massregeln zur Bekämpfung solcher Schaden; ferner durch Unterstützung der Bestrebungen zur Einführung neuer Verdienstquellen und moderner Verkehrsmittel und zur Verbesserung schon bestehender. Abs. 2 Das Land unterstützt die Rüfeverbauungen, Aufforstungen, Güterzusammenlegungen und Entsumpfungen.“ Ziff. 10 Schlossabmachungen bekräftigten den Willen, Verdienstmöglichkeiten zu schaffen.[7] Seine definitive Formulierung fand Art. 20 LV – bis auf eine kleine Änderung in Art. 20 Abs. 2 LV, welche auf die Verfassungskommission zurückgeht[8] – in der Regierungsvorlage von Josef Peer.[9]Art. 20 LV hat seit dem Inkrafttreten im Jahr 1921 noch keine Änderung erfahren.II. Die Ziele von Art. 20 LVArt. 20 Abs. 1 und 3 LV nennen – historisch bedingt[10] – das Schaffen von Arbeitsstellen als vordringliches Ziel. Art. 19 und 20 LV zählen hierzu verschiedene (Teil-)Ziele auf:Art. 20 LV nennt wirtschaftspolitische Ziele im Interesse der gesamten Bevölkerung, nicht rein finanzielle Ziele des Staates. Art. 10 Verfassungsentwurf Beck brachte dies mit der Formulierung „Zur Hebung der Erwerbsfähigkeit des Volkes und zur Pflege seiner wirtschaftlichen Interessen“ noch besser zum Ausdruck.Häufig ist es schwierig, die langfristigen Folgen von Massnahmen zu messen. Noch schwieriger ist es, Effekte vorauszusagen. Das entbindet den Staat jedoch nicht davon, solche Massnahmen zu ergreifen, die sich positiv auswirken sollen. Eine andere Frage ist, ob wegen der Formulierung „zur Hebung der Erwerbsfähigkeit“ jede Fördermassnahme unmittelbar die Beschäftigung anheben muss oder ob es genügt, wenn Wirtschaftsförderungsmassnahmen z.B. Diversifikation, geringere Abhängigkeit von Importen oder ausländischen Ausbildungsstätten oder mehr Innovation im eigenen Land anstreben.Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Pflicht, die Art. 20 LV dem Staat auferlegt, und den Freiheiten, die dem Gesetzgeber deswegen zustehen, weil sämtliche Kompetenzen, die nicht explizit den Gemeinden zugewiesen sind, beim Land liegen.[11] Es ist daran zu erinnern, dass der Gesetzgeber auch ohne ausdrückliche Ermächtigung in der Verfassung tätig werden darf.[12] Ihm steht es deshalb – im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen[13] – frei, Grundlagen für die Unterstützung einzelner Branchen, die Ansiedlung neuer Technologien oder z.B. auch für Imagekampagnen zugunsten Liechtensteiner Produkte und Dienstleistungen zu schaffen. Dabei muss er das explizit in der Verfassung genannte Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen, respektieren. Massnahmen, die sich mit Sicherheit nicht nur kurzfristig negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken, würden Art. 20 LV verletzen.Art. 20 Abs. 1 und 3 LV verpflichten den Staat ausdrücklich, Massnahmen zu treffen, die sich positiv auf die Qualifikation und die Beschäftigung auswirken. Das bedeutet, dass die öffentliche Hand die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt verfolgen und bei Bedarf nach geeigneten Massnahmen suchen muss. Bliebe sie gänzlich untätig, wenn Unternehmen zum Erhalt von Arbeitsplätzen um Hilfe bitten oder im grösseren Stil Arbeitsplätze verschwinden, verhielte sie sich verfassungswidrig. Einzelne Stellensuchende können aus Art. 20 LV jedoch keinen Anspruch auf Bereitstellung einer Stelle oder andere Massnahmen geltend machen. Art. 20 Abs. 1 und 3 LV sind zu abstrakt formuliert, als dass ein Schutzanspruch entstehen könnte.[14]III. Die einzelnen Elemente von Art. 20 Abs. 1 LVA. Hebung der Erwerbsfähigkeit1. Hebung der Qualifikationen und Verbesserung der RahmenbedingungenVom Wortlaut her kann „Hebung der Erwerbsfähigkeit“ zweierlei bedeuten. Entweder: Die Bewohner des Landes dazu befähigen, erwerbstätig zu werden respektive zu bleiben (z.B. mit Angeboten zur Aus- und Weiterbildung). Oder: Die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass im Land Arbeitsplätze geschaffen werden und sich die Anzahl der Bewohner, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen (können), erhöht oder.Art. 20 Abs. 3 LV verpflichtet den Staat, die „Erschliessung neuer Verdienstquellen“ aufmerksam zu verfolgen und zu fördern. Deshalb könnte argumentiert werden, dass es nicht logisch ist, wenn Abs. 1 und 3 dasselbe vorsehen, weshalb in Abs. 1 die Förderung der Qualifikation der einzelnen Erwerbstätigen gemeint sein müsste. Man kann aber genauso gut vorbringen, dass der Verfassungsgeber die Schaffung von Arbeitsstellen für so vordringlich hielt, dass er sie doppelt erwähnte.[15] M.E. umfasst Art. 20 Abs. 1 LV beide Aspekte. Die Verfassungsbestimmungen zur Bildung (Art. 16 f. LV) zeigen das Bestreben, die Qualifikation der Einwohner zu heben und sie fähig zu machen, ihren Beruf gut auszuüben respektive im Laufe ihres Lebens flexibel auf Schwankungen im Arbeitsmarkt zu reagieren, während die Erwähnung von Branchen, die gefördert werden sollen (Art. 20 Abs. 1 LV), nicht auf die einzelne Person abzielt.Dass sich Art. 20 Abs. 1 LV an Art. 15 KV Kanton SG 1890 orientierte, aber nicht alle Aspekte der St. Galler Regelung übernahm (insbesondere findet das Genossenschaftswesen[16] keine Erwähnung), hat für Liechtenstein nichts zu bedeuten. Selbst die im Verfassungstext nicht erwähnte Förderung von Genossenschaften und anderen Formen der Selbsthilfe ist zulässig, verbietet die Verfassung der öffentlichen Hand doch nicht, sich Themen zuzuwenden, die sie nicht erwähnt. Dienlich kann z.B. auch das Errichten oder Unterstützen von Einrichtungen der familienexternen Kinder-, Behinderten- und Betagtenbetreuung sein. Sie ermöglichen es vor allem – aber nicht nur – Frauen, berufstätig zu sein.Die Verfassung gibt nicht vor, wo die Massnahmen zu treffen sind.[17] Die liechtensteinische Regierung bemühte sich Anfang der 1920er-Jahre um den besseren Zugang zu Arbeitsstellen in der Schweiz.[18] Die dauerhafte Auswanderung von Liechtensteinern zu fördern, stünde hingegen im Widerspruch zu Art. 14 LV. Er nimmt nämlich Bezug auf das gesamte Volk. Es wäre deshalb nicht zulässig, einzelne Staatsangehörige mit mehr oder weniger Zwang aus dem Land zu schicken.2. Problematische Bewilligungspflicht im GewerbegesetzGemäss Art. 1 Abs. 1 lit. c Gewerbegesetz (GewG) soll dieses gewährleisten, „dass die Wettbewerbsfähigkeit des liechtensteinischen Gewerbes durch die Sicherstellung eines hohen Qualitätsstandards erhalten bleibt und gestärkt wird.“ Entsprechend statuiert Art. 7 GewG eine Bewilligungspflicht.[19] Die Gewerbebewilligung wird gemäss Art. 7 Abs. 1 GewG durch das Amt für Volkswirtschaft erteilt. Voraussetzung hierfür ist insbesondere die fachliche Eignung (Art. 8 Abs. 1 lit. d GewG). Wer über die entsprechenden Fachkenntnisse verfügt, hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung.[20]Die fachliche Eignung für ein qualifiziertes Gewerbe[21] „ist gegeben, wenn der Antragsteller aufgrund einer spezifischen Ausbildung und praktischen Erfahrung über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die ihn zur Ausübung des entsprechenden Gewerbes befähigen.“ (Art. 10 Abs. 1 GewG).[22] Welche Tätigkeiten als qualifiziertes Gewerbe gelten und damit den Nachweis einer entsprechenden Ausbildung verlangen, wird im Anhang 1 zur Gewerbeverordnung aufgelistet.[23]Bei der nicht zuletzt wegen Anpassungen an das EWR-Recht notwendig gewordenen Totalrevision des Gewerbegesetzes von 1969[24] wurde 2005/2006 das Beibehalten der Bewilligungspflicht mit dem Konsumentenschutz und der Unterstützung der Berufsausbildung begründet.[25] Gegenüber dem Gewerbegesetz von 1969 stellte die Totalrevision von 2006 eine massive Liberalisierung dar.[26]Mit dem Urteil vom 10. Mai 2016 in der Rs E-19/15 ESA v. Liechtenstein stellte der EFTA-Gerichtshof fest, dass Art. 7 und Art. 21 GewG[27] sowohl gegen mehrere Artikel der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt[28] verstossen als auch gegen Art. 31 und Art. 36 EWR-Abkommen. Überdies verstossen Art. 8 Abs. 1 lit. e („erforderliches Personal“) und lit. g („notwendige Kenntnisse der deutschen Sprache“) GewG gemäss EFTA-Gerichtshof gegen die genannte Richtlinie, weil sie zu wenig klar und eindeutig formuliert sind.[29] Gemäss EFTA-Gerichtshof ist die „Vorabgenehmigungsregelung“ von Art. 7 GewG nicht verhältnismässig. Die Pflicht, eine vorgängige Genehmigung einzuholen, müsse die Ausnahme bilden. Eine nachträgliche Prüfung sei genügend.[30] Liechtenstein muss überdies eine angepasste Regelung finden für Gewerbe, welche bereits im Ausland geprüft worden sind.[31]Der Gesetzgeber wird nicht umhin kommen, die in Art. 7 GewG verankerte Bewilligungspflicht und die in Art. 21 GewG statuierte Meldepflicht entweder ganz aufzuheben (und soweit nötig durch ein System nachträglicher Kontrolle zu ersetzen) oder auf einzelne wenige Gewerbe, in denen ein besonders grosses Risiko für die Konsumenten und/oder die öffentliche Hand besteht, einzuschränken.[32]Art. 20 LV macht bezüglich des einzuschlagenden Wegs keine Vorgaben, setzt er doch beim Ziel – Qualifikation der Erwerbstätigen und Vielfalt der Arbeitsmöglichkeiten im Land an – und nicht bei den Mitteln.B. Förderung und Unterstützung der Land- und AlpwirtschaftArt. 20 Abs. 1 erster Halbsatz LV verpflichtet den Staat zur Förderung und Unterstützung der Land- und Alpwirtschaft[33]. Positiv[34] können sich nicht nur Massnahmen[35] auswirken, welche die Ernte reicher ausfallen lassen, neue Absatzmärkte erschliessen oder durch die gezielte Pflege der Kulturlandschaft mehr Touristen anziehen, sondern auch Massnahmen, welche negativen Entwicklungen entgegentreten.[36] Die Landwirtschaftspolitik trifft im 21. Jahrhundert auf andere Herausforderungen[37] als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts[38] oder nach dem Ersten Weltkrieg,[39] als Art. 20 LV formuliert wurde. Art. 20 Abs. 1 LV ist offen, so dass der Gesetzgeber freie Hand hat, Schwerpunkte zu setzen und die geeigneten Mittel zu bestimmen. Wegen der ausdrücklich formulierten Verpflichtung zur Unterstützung der Land- und Alpwirtschaft, die an erster Stelle genannt wird und im Zeitpunkt des Erlasses der Verfassung bereits über eine längere Tradition verfügte[40], wäre es hingegen nicht zulässig, wenn keine Daten zur Entwicklung mehr erhoben würden und die öffentliche Hand keinerlei Aktivität mehr zeigen oder der Gesetzgeber gar beschliessen würde, andere Nutzungen des Bodens gegenüber der Urproduktion konsequent zu bevorzugen.Die Unterstützung muss nicht zwingend in finanzieller Form an die einzelnen Landwirte erfolgen, sondern sie kann z.B. auch darin bestehen, dass der Staat Studien in Auftrag gibt, Weiterbildungsangebote oder Experten zur Verfügung stellt oder mit raumplanerischen Massnahmen versucht, geeignete Böden für die Urproduktion dauernd zu erhalten. In den letzten Jahren machte die Verbesserung der landwirtschaftlichen Einkommen der Inhaber der rund 100 anerkannten Landwirtschaftsbetriebe[41] den grössten Posten der staatlichen Aufwendungen aus.[42] Während die Zahl der Betriebe in den letzten Jahrzehnten stark sank, stieg die Zahl der im Vollerwerb und damit von gut ausgebildeten Fachleuten geführten Betriebe.[43]Die Interessen der Land- und Alpwirtschaft, des Weinbaus, der Bäuerinnen und Bauern sowie ihr nahestehender Bereiche wahrt die VBO, die Vereinigung bäuerlicher Organisationen im Fürstentum Liechtenstein. Ihr wurden mittels Leistungsvereinbarung für die Jahre 2015 bis 2018 verschiedene öffentliche Aufgaben, insbesondere aus dem Bereich der Aus- und Weiterbildung übertragen.[44]Bei der Förderung der Land- und Alpwirtschaft gilt es, die vom Zollanschlussvertrag gesetzten Grenzen zu beachten. Die Kundmachung der anwendbaren schweizerischen Rechtsvorschriften[45] erklärt das schweizerische Landwirtschaftsgesetz[46] für anwendbar und zählt dann diejenigen Bestimmungen auf, die in Liechtenstein nicht zur Anwendung gelangen. Auch eine ganze Reihe von Verordnungen v.a. betreffend die Bezeichnung und Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und betreffend die Agrareinfuhren müssen von Liechtenstein angewendet werden. Bezüglich der Fördermassnahmen verfügt Liechtenstein über weitergehende Freiheiten.[47] Bei dem 2008 erlassenen Landwirtschaftsgesetz[48] handelt es sich um ein Rahmengesetz.[49] Durch den Zollanschlussvertrag ist Liechtenstein in eine ganze Reihe von (Freihandels-)Abkommen einbezogen, welche die Schweiz im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der WTO und in der EFTA sowie eigenständig mit der EU und anderen Staaten geschlossen hat.[50] Liechtenstein richtet seine aktuelle Agrarpolitik wegen der grossen Bedeutung der Milchwirtschaft[51] und anderen Unterschieden zu den Landwirtschaftsbetrieben in der Schweiz in verschiedenen Punkten bewusst nicht an der Schweizer Agrarpolitik 14-17[52] aus.[53]C. Förderung und Unterstützung von Gewerbe und Industrie1. AllgemeinesNeben der Förderung und Unterstützung der Land- und Alpwirtschaft verlangt Art. 20 Abs. 1 LV auch die Förderung von Gewerbe und Industrie. Man kann sich fragen, warum z.B. Handel und Tourismus sowie die Forstwirtschaft nicht erwähnt werden. Sind sie unter „Gewerbe“ respektive „Land- und Alpwirtschaft“ zu subsumieren? Die Frage kann offen bleiben. Die Materialien geben nämlich keinen Anlass zur Annahme, dass der Verfassungsgeber anderen Branchen eine Förderung grundsätzlich versagen wollte.[54] Vielmehr ist davon auszugehen, dass es ihm 1921 darum ging, die Bedingungen in der für die Ernährung der Bevölkerung unerlässlichen Landwirtschaft zu verbessern und die Wirtschaft anzukurbeln.Ob, wann und wie wer respektive was gefördert wird, entscheidet der Gesetzgeber nach Abwägen der verschiedenen Argumente frei, wenn er die entsprechenden Erlasse ausarbeitet. Art. 20 LV überlässt es ihm zu entscheiden, in welchen Bereichen Aktivitäten von Privaten unterstützt werden sollen und wo die öffentliche Hand selber Organisationseinheiten (wie z.B. „Liechtenstein Marketing“) schafft. Individualansprüche von Unternehmen oder Betriebsinhabern können sich nicht direkt auf Art. 20 Abs. 1 LV stützen, sondern bedürfen einer konkreten gesetzlichen Grundlage.Mit dem Standortförderungsgesetz (SFG)[55] wurde 2011 das Tourismus-Gesetz[56] aufgehoben, dessen Zweck einzig in der Förderung des Tourismus bestanden hatte.[57] Demgegenüber wird mit dem SFG die Vermarktung, Förderung und Weiterentwicklung Liechtensteins als international anerkannter Wirtschaftsstandort und attraktive Tourismusdestination (so Art. 2 Abs. 2 lit. b SFG) angestrebt. Indem die auf das Gesetz gestützten Massnahmen von „Liechtenstein Marketing“ der Tourismusbranche helfen sollen und Liechtenstein generell als attraktiv für die Wirtschaft dargestellt werden soll, dient das Gesetz dem in Art. 20 Abs. 1 LV verankerten Auftrag, die wirtschaftliche Entwicklung Liechtensteins zu fördern. Einen klagbaren Anspruch vermittelt das SFG niemandem.Auch das Gesetz vom 18. Dezember 1997 über die Finanzierung von Massnahmen zur Wirtschaftsförderung[58] verankert keine Ansprüche von einzelnen natürlichen oder juristischen Personen. Das lediglich aus einem[59] Artikel[60] bestehende Gesetz hält lediglich fest, dass das Land Beiträge leistet für förderungswürdige Massnahmen, wobei diese in Art. 1 Abs. 2 weiter ausgeführt werden. Wer Empfänger der Massnahmen sein soll, lässt das Gesetz offen. Aus der Formulierung der Massnahmen geht zumindest hervor, dass Gelder nicht (oder allerhöchstens in einem Härte- oder Notfall) unmittelbar an Industrie- oder Gewerbebetriebe ausbezahlt werden sollen.[61]2. Grenzen der WirtschaftsförderungDie liechtensteinische Wirtschaft hatte nach dem Ersten Weltkrieg grosse Probleme, weshalb bei Erlass von Art. 20 LV keine Vorbehalte gegen staatliche Massnahmen bestanden, mit denen die schwierige Situation der von Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Armut Betroffenen zumindest gelindert werden sollte. Frick meint denn auch, Art. 20 Abs. 1 LV übertrage dem Staat „eine weitreichende Verantwortung für die wirtschaftliche Prosperität des Landes“.[62] Besondere Voraussetzungen wurden weder an die Ausgangssituation, welche ein Eingreifen des Staates erlaubt (wie z.B. Marktversagen), noch an die Ausgestaltung der zu ergreifenden Massnahmen (z.B. Wettbewerbsneutralität) gestellt.Eine Unterscheidung in wirtschaftspolitische und wirtschaftspolizeiliche Massnahmen nimmt Art. 20 LV explizit[63] nicht vor.[64] 1921 wurde mit Sicherheit auch an wirtschaftspolitische Massnahmen gedacht, mit denen gezielt ein Eingriff in den freien Wettbewerb erfolgt.[65] Sofern solche Massnahmen zu einem Eingriff in die Handels- und Wirtschaftsfreiheit von Privaten führen, sind die von Art. 36 LV gesetzten Schranken zu berücksichtigen.[66] Generell setzen die Grundrechte (insbesondere das Gleichbehandlungsgebot von Art. 31 LV und die Eigentumsgarantie) Grenzen. Wenn sich Private durch Förder- oder andere Massnahmen beeinträchtigt sehen, ist demnach insbesondere zu prüfen, ob allenfalls eine Verletzung von Art. 31 LV, Art. 34 LV oder Art. 36 LV vorliegt.Das EWRA gewährleistet die vier Grundfreiheiten (freier Warenverkehr,[67] Personenfreizügigkeit,[68] freier Dienstleistungsverkehr,[69] freier Kapitalverkehr[70] ) und statuiert einheitliche Wettbewerbsregeln inklusive Vorgaben zum Beihilfenrecht. Liechtenstein ist deshalb als EWR-Mitglied zur Beachtung verschiedener zentraler Bestimmungen des EU-Rechts zur Wahrung des Wettbewerbs verpflichtet.[71] In den von Art. 20 LV angesprochenen Gebieten sind insbesondere die in der EWR-Rechtssammlung im Anhang XV „Staatliche Beihilfen“[72] und die im Anhang XVI „Öffentliches Auftragswesen“[73] genannten Erlasse zu berücksichtigen.[74]Wirtschaftsvölkerrechtliche Vorgaben finden sich des Weiteren im WTO-Recht.[75] Liechtenstein trat der WTO (Welthandelsorganisation = World Trade Organization) am 1. September 1995 bei.[76] Folglich gelten insbesondere das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (= General Agreement on Tariffs and Trade [GATT von 1947[77] und von 1994][78] ),[79] das Abkommen über Subventionen und Ausgleichmassnahmen (= Agreement on Subsidies and Countervailing Measures [ASCM-Abkommen oder SCM-Abkommen])[80] , das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (= General Agreement on Trade in Services [GATS][81] ) und das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (Agreement on Government Procurement [GPA][82] ) auch in Liechtenstein. Gleich wie die Schweiz und die EU nimmt Liechtenstein an den Verhandlungen zum Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (= Trade in Services Agreement [TiSA]) teil.[83]Darüber hinaus entfaltet eine Vielzahl von Freihandelsabkommen, welche die EFTA-Staaten mit anderen Staaten unterzeichnet haben,[84] für das EFTA-Mitglied Liechtenstein Gültigkeit.[85] Dasselbe gilt für die von respektive mit der Schweiz[86] ausgehandelten Freihandelsabkommen.[87]Massnahmen, mit welchen liechtensteinische Akteure im Warenhandel oder in der Erbringung von Dienstleistungen bevorzugt würden, wären deshalb daraufhin zu prüfen, ob sie den von Liechtenstein eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen entsprechen. Überdies obliegt es dem Gesetzgeber und der Rechtsanwendung sich selbst dort, wo keine verbindlichen internationalen Normen vorliegen, zu fragen, ob die von ihm vorgeschlagenen Massnahmen respektive die von ihr befolgte Praxis der von Liechtenstein angestrebten Liberalisierung des Marktzuganges[88] dienen.IV. Versicherung gegen Schäden und Schutz vor NaturgefahrenUm die Grundlagen für die wirtschaftliche Betätigung zu bewahren und damit Verdienstmöglichkeiten zu schützen, sieht Art. 20 Abs. 1 LV im zweiten Halbsatz die Förderung einer Versicherung vor. Der Blick auf Art. 15 lit. c KV Kanton SG 1890,[89] der offensichtlich Pate stand bei der Formulierung, macht zweierlei klar: In Liechtenstein soll eine solche Versicherung nicht nur der Landwirtschaft dienen, sondern neben den landwirtschaftlichen Flächen, Gebäuden und Einrichtungen auch andere Arbeitsstätten und Wohngebäude schützen. Überdies geht es nicht um Schäden durch Arbeitstätigkeit (wie Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten) oder um die Absicherung bei Arbeitslosigkeit, sondern um eine Versicherung der wirtschaftlichen Folgen, wenn Ereignisse wie Hochwasser, Steinschläge, Lawinen oder Erdbeben Arbeits- oder Wohnstätten in Mitleidenschaft ziehen. Für die Förderung einer Brandversicherung – Brände stellen in dem häufig von Föhn betroffenen Land eine grosse Gefahr dar – schaffte Art. 26 LV eine explizite Pflicht.Wie die Implementierung der Versicherung von statten gehen soll und welche Risiken erfasst sein sollen, gibt Art. 20 Abs. 1 LV nicht vor.[90] Sie überlässt es dem Gesetzgeber, die Einrichtung einer besonderen Versicherungsanstalt vorzusehen, bestehende Versicherungsunternehmen zu entsprechenden Angeboten zu motivieren, oder die künftigen Versicherten mit Anreizen zum Abschluss von Versicherungen zu bewegen.Indem Art. 20 Abs. 1 LV den Staat dazu verpflichtet, „Massregeln zur Bekämpfung solcher Schäden“ an Arbeit und Gütern zu treffen,[91] wird das Land über die Förderung von Versicherungen hinaus zum Handeln in besonderen und ausserordentlichen Lagen verpflichtet. Diese Verpflichtung wird in Art. 20 Abs. 3 LV bekräftigt durch die Pflicht des Staates, Rüfeverbauungen,[92] Aufforstungen[93] und Entwässerungen zu unterstützen.[94] „Rüfeverbauungen, Aufforstungen und Entwässerungen“ stellt m.E. keine abschliessende Aufzählung dar. Vielmehr stehen diese Massnahmen gegen Murgänge, Erosion und Versumpfung/Überschwemmungen[95] stellvertretend für den Schutz vor Naturgefahren.[96] Das bedeutet, dass der Staat auch dazu verpflichtet ist, weitere Massnahmen wie z.B. Lawinenverbauungen, Dämme oder die Renaturierung von Gewässern vorzunehmen, wenn dies für den Schutz von Leib und Leben sowie Hab und Gut notwendig ist. Angesichts neuer Erkenntnisse im Umgang mit Gefahren sind heute andere Methoden anzuwenden als 1921. Ob z.B. eine Entsumpfung heute noch sinnvoll wäre, hat der Gesetzgeber nach Konsultation von Experten zu entscheiden.Das Land muss demnach Regelungen vorsehen für die zu einem gewissen Grad unvorhersehbare Situation einer Katastrophe,[97] in der die zur Verfügung stehenden Mittel in sachlicher und personeller Hinsicht regelmässig nicht genügen und zeitliche Dringlichkeit gegeben ist.[98] Das Land muss nicht zwingend Organisationen wie ein Katastrophencorps errichten,[99] aber es muss vorgeben (der Staat „trifft Massregeln“), wer für präventive Massnahmen zuständig ist,[100] wie Warnungen ausgesprochen werden,[101] wie im Krisenfall Hilfe geleistet wird, wie der Wiederaufbau nach einer Katastrophe erfolgen soll etc.[102] Dies geht nur, wenn Zuständigkeiten (inklusive für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit[103] und für die Zuteilung von nicht mehr ausreichend vorhandene lebenswichtige Güter und Dienstleistungen[104] ) geklärt werden und ein zumindest minimales Arsenal an Massnahmen (wie z.B. Beschlagnahmung von Fahrzeugen und Räumen,[105] Verpflichtung von Personen zum Arbeitseinsatz,[106] Grundlage für Evakuierung[107] ) bereit steht, das im Notfall aktiviert werden kann. Zur Prävention[108] und Bekämpfung von Katastrophen, handle es sich um Naturkatastrophen oder Man-made-Disaster, ist das Land durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 LV ebenso wie durch völkerrechtliche Vorgaben[109] verpflichtet.[110]Die Feuerwehr ist gemäss Feuerwehrgesetz[111] ein polizeiliches Organ der Gemeinde (Art. 1 FWG). Indem das Gesetz den Gemeinden ihre Aufgaben vorgibt und die Aufsicht über das Feuerwehrwesen regelt, erfüllt das Land die ihm übertragene Pflicht zur Bekämpfung von Schäden. Zu ergänzen ist, dass die Feuerwehr nicht nur bei Bränden zum Einsatz kommt, sondern bei allen Elementarereignissen ebenso wie bei Unglücksfällen und Katastrophen und im Rahmen der Katastrophenorganisation (Art. 3 Abs. 1 FWG). Präventive Massnahmen gegen Brände in Bauten, Einrichtungen, Lagern, Anlagen und gefährlichen Tätigkeiten werden durch das Brandschutzgesetz[112] vorgesehen. Prävention wird auch im Umweltschutzgesetz[113] gross geschrieben.[114]Ähnlich wie die Feuerwehr kommt auch die Landespolizei[115] bei Unglücksfällen und Katastrophen zum Einsatz.[116] Ihr kommt dabei gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. i Polizeigesetz[117] die Gesamteinsatzleitung zu.[118] Anders als bei der Feuerwehr handelt es sich bei der Landespolizei um eine bewaffnete Organisation (Art. 3 Polizeigesetz). „Sofern die Landespolizei aus eigenen Kräften ihre Aufgaben nicht zu erfüllen vermag“, darf die Regierung ausländische Polizeikräfte um Unterstützung bitten, die dann die gleichen Rechte und Pflichten wie die liechtensteinischen Polizeibeamten haben (Art. 6 Abs. 1 Polizeigesetz).Zum „Schutz der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen“ sieht das Bevölkerungsschutzgesetz (BSchG)[119] Massnahmen vor, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen, und zwar bereits bei der „Vorbereitung auf Schadenereignisse“ bis hin zur „Wiederherstellung geordneter Verhältnisse“.[120] Zum Ergreifen der in besonderen oder ausserordentlichen Lagen notwendigen Massnahmen werden nicht spezielle Organe geschaffen. Vielmehr sieht Art. 5 BSchG ein Verbundsystem vor.[121] Es regelt, welche Organe, Dienste und Personen zusammenwirken müssen.[122] Der in besonderen und ausserordentlichen Lagen zum Einsatz kommende Landesführungsstab (Art. 6 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BSchG) setzt sich aus Vertretern von Land und Gemeinden zusammen (Art. 9 Abs. 2 BSchG).[123] Diese Regelung geht konform mit Art. 20 Abs. 1 zweiter Halbsatz LV. Die Verfassungsbestimmung verbietet dem Staat nicht, in Erfüllung des Auftrages mit den Gemeinden zusammenzuarbeiten und sie in die Entscheidfindung einzubeziehen.Wenn die in den betreffenden Erlassen vorgesehenen Massnahmen nicht ergriffen werden können oder nicht die erwünschten Wirkungen zeigen, und die Behörden nicht innert nützlicher Frist dazu in der Lage sind, eine minimale Ordnung wieder herzustellen, liegt ein „dringender Fall“ im Sinne von Art. 10 Abs. 1 LV vor, in dem der Fürst als „Notstandsgesetzgeber“ amtet.[124]V. Besondere Sorgfalt für das VerkehrswesenDer Automobilverkehr setzte in Liechtenstein um 1900 ein.[125] Mit der Verordnung vom 18. Juni 1906 betreffend den Betrieb von Automobilen und Motorrädern[126] war eine umfassende Regelung für Autos und Motorräder getroffen worden (inklusive Verkehrsvorschriften). Dass viele der auf den Strassen anzutreffenden Fahrzeuge Personen mit Wohnsitz im Ausland gehörten,[127] zeigte die Verordnung vom 17. Juni 1911 betreffend Einführung von Taxen für den Automobilverkehr[128] . Heute weist die Bevölkerung Liechtensteins die höchste Automobildichte auf.[129] In den Stosszeiten kommt es regelmässig zu Überlastungen des Strassennetzes.[130]Mit der 1872 erstellten Bahnlinie Feldkirch (A) – Schaan (FL) – Buchs (CH)[131] war Liechtenstein nicht besonders glücklich, führte die Linie ausser bei Schaan doch durch weitgehend unbewohntes Gebiet. Vor und unmittelbar nach der Jahrhundertwende erfolgten letztlich erfolglose Bemühungen um eine Verlängerung der Arlbergbahn über Balzers bis Sargans und für einen Anschluss an die Rhätische Bahn.[132] Das Eisenbahngesetz von 2011[133] setzt die EWR-rechtlichen Vorgaben (insbesondere den freien Zugang zur Schieneninfrastruktur) um und soll die Grundlagen schaffen für die von Liechtenstein gewünschten Verbesserungen im Personennahverkehr.[134] Ob die nicht zuletzt auch im Mobilitätskonzept „Mobiles Liechtenstein 2015“ von 2008 als anzustrebend dargestellte S-Bahn FL.A.CH[135] jemals Wirklichkeit wird, ist nachwievor ungewiss.Ab 1922[136] verkehrten die ersten beiden Fahrzeuge auf der Postautolinie von Eschen nach Balzers. 1925 und 1927 wurden grenzüberschreitende Verbindungen nach Buchs und Feldkirch eröffnet.[137] Nach der Auflösung des Postvertrages mit der Schweiz[138] musste Liechtenstein eigenständig gesetzliche Grundlagen für die Personenbeförderung auf der Strasse schaffen. Dies erfolgte durch das Personenbeförderungsgesetz von 1998.[139] Seine Revision vom 17. September 2009[140] setzte die europarechtliche Vorgabe nach einer klaren Trennung zwischen Besteller und Ersteller von Verkehrsleistungen um.[141] Mit der Revision vom 29. Juni 2011[142] wurde der „Verkehrsbetrieb LIECHTENSTEINmobil“ in eine selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt. Seine Aufgaben erstrecken sich nicht allein auf den Busverkehr, sondern auf die Steuerung aller[143] öffentlichen Verkehrsdienste.[144]Art. 10 Abs. 1 zweite Satzhälfte lautete im Verfassungsentwurf Beck wie folgt: „Zur Hebung der Erwerbsfähigkeit (….) fördert und unterstützt der Staat (…); ferner durch Unterstützung der Bestrebungen zur Einführung neuer Verdienstquellen und moderner Verkehrsmittel und zur Verbesserung schon bestehender.“ § 20 Abs. 2 RV formulierte diese nicht leicht verständliche Passage neu: „Er wendet seine besondere Sorgfalt einer den Bedürfnissen des modernen Verkehres entsprechenden Ausgestaltung des Kommunikationswesens zu.“ Diese Version scheint weiter zu gehen als die in die definitive Version der Verfassung aufgenommene Wendung von Art. 20 Abs. 2 LV „Er wendet seine besondere Sorgfalt einer den modernen Bedürfnissen entsprechenden Ausgestaltung des Verkehrswesens zu.“Da sowohl die definitive Version als auch der Entwurf von Beck nur den Verkehr erwähnen, bietet Art. 20 Abs. 2 LV m.E. keinen Anknüpfungspunkt für Post (inklusive Telekommunikation),[145] Presse, Medien und weitere Technologien, welche der Kommunikation dienen können. Wie ausgeführt,[146] steht einer gesetzlichen Regelung dieser Materien aber nichts im Weg, auch wenn sie in der Verfassung nicht explizit erwähnt sind. Dazu kommt, dass Art. 20 Abs. 2 LV zwar einen Auftrag an den Gesetzgeber richtet, jedoch so ausgestaltet ist, dass niemand daraus einen Anspruch ableiten kann. In welchem Umfang Mobilität ermöglicht oder gar gefördert wird, welche Verkehrsmittel priorisiert werden, ob öffentliche Verkehrsunternehmen geschaffen werden und wenn ja, ob die notwendige Infrastruktur wie z.B. Reparaturstätten für Autobusse im Inland errichtet wird oder die Versorgung durch eine Beteiligung an einem ausländischen Unternehmen sichergestellt wird, wie die Lastenverteilung erfolgt und weitere Fragen überlässt die Verfassung dem Gesetzgeber. Dieser hat insofern grosse Freiheit, als der Zollanschlussvertrag Liechtenstein im Bereich Verkehr einen grossen Spielraum belässt.[147] Wohl aber sind die durch den EWR verbindlich erklärten europarechtlichen Erlasse zu berücksichtigen.[148]Art. 20 Abs. 2 LV gibt lediglich vor, dass Möglichkeiten zum Transport von Personen und Gütern im und durch das Land bestehen müssen, dass sie zumindest in einem minimalen Umfang aufeinander abzustimmen sind (wäre dies nicht der Fall, könnte nicht von Verkehrs“wesen“ gesprochen werden) und dass den aktuellen Bedürfnissen Rechnung zu tragen ist. Dieser Pflicht kann der Staat nur nachkommen, wenn er die Entwicklung der Mobilität aufmerksam begleitet, insbesondere durch Erheben von Daten. Art. 20 Abs. 2 LV verpflichtet den Staat jedoch nicht, die notwendige Infrastruktur mit eigenen Mitteln zu errichten[149] und den Betrieb von Strassen, Transportunternehmen etc. durch eine öffentlich-rechtliche Organisation sicherzustellen.Dass die Verbesserung des Verkehrswesens in Art. 20 LV und damit im Zusammenhang mit der Beschäftigungspolitik und der Wirtschaftsförderung genannt wird, überrascht nicht.[150] Eine gute Verkehrsinfrastruktur dient der Wirtschaft. Art. 20 Abs. 2 LV verlangt jedoch nicht, dass jede neu angelegte Strasse, jede mit öffentlichen Mitteln unterstützte Buslinie und jede Vorstudie für ein neues Verkehrskonzept unmittelbar Arbeitsplätze schafft oder einen Gewinn abwirft. Art. 20 Abs. 2 LV verpflichtet den Staat mit der Bezugnahme auf die „modernen Bedürfnisse“ vielmehr dazu, das Thema Verkehr ganzheitlich anzuschauen. Es genügt heute nicht (mehr), jedem Bewohner eine schnelle Fortbewegung zu ermöglichen. Vielmehr gehören z.B. auch die Lärmbekämpfung[151] und die Reduktion von Schadstoffen sowie das Bereitstellen von Flächen für den sog. Langsamverkehr zu einer zukunftsgerichtet ausgestalteten Verkehrspolitik. |
Dem Staate steht das Hoheitsrecht über die Gewässer nach Massgabe der hierüber bestehenden und zu erlassenden Gesetze zu. Die Benützung, Leitung und Abwehr der Gewässer soll auf gesetzlichem Wege unter Bedachtnahme auf die Entwicklung der Technik geregelt und gefördert werden. Das Elektrizitätsrecht ist gesetzlich zu regeln. The State shall have sovereign rights over bodies of water under the conditions set forth in the laws existing or to be enacted in this regard. The use, channelling of, and defence against the bodies of water shall be regulated by way of law and promoted, with due regard to the development of technology. Electricity rights shall be regulated by law. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine BemerkungenA. Umfassender GesetzgebungsauftragWie in Kapitel III ausgeführt wird, trifft die Verfassung an mehreren Stellen Regelungen mit einem Bezug zu den Gewässern. Art. 21 LV stellt insofern die zentrale Bestimmung dar, als er dem Staat das Hoheitsrecht über sämtliche Gewässer zuweist. Er trifft damit keine Aussage über das Eigentum an den Gewässern, sondern weist dem Staat unabhängig von den sachenrechtlichen Verhältnissen das Recht und die Pflicht zu, Regelungen zu treffen für den Umgang mit den verschiedenen Gewässern.[1] Der Gesetzgebungsauftrag wird verdeutlicht, indem in jedem der drei Sätze explizit („zu erlassende Gesetze“, „auf gesetzlichem Wege“, „gesetzlich“) erwähnt wird, dass der Gesetzgeber aktiv werden muss.Art. 21 LV nennt die Themenbereiche „Benützung“, „Leitung“ und „Abwehr“ der Gewässer und verlangt die Regelung des Elektrizitätsrechts[2]. Damit werden wie im ersten Satz mit dem Begriff „Hoheitsrecht“ alle Aspekte, die sich im Zusammenhang mit der rechtlichen Erfassung des Wassers eröffnen, abgedeckt.Da sich keine andere Verfassungsbestimmung mit dem Thema Energie beschäftigt, folgen in dieser Kommentierung auch Ausführungen zur Energie im Allgemeinen.[3] Überdies ist ein Kapitel der elektronischen Kommunikation gewidmet.[4]B. Schutz vor den GewässernVerbauungen zur Verhinderung von Überschwemmungen[5] waren lange Zeit Aufgabe der Gemeinden. Mangels finanzieller Mittel kam das Rheinkorrektionswerk nur langsam vorwärts.[6] Erst mit dem Rheinwuhrgesetz vom 17. Oktober 1865[7] erhielt das Land weitergehende Kompetenzen und engagierte sich auch finanziell stärker.[8] Heute regelt das Rheingesetz[9] das Eigentum an den Rheinparzellen sowie den Unterhalt der Schutzbauten.Der Staatsvertrag vom 30. Dezember 1892 zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn über die Regulierung des Rheines von der Illmündung stromabwärts[10] betrifft den Rhein, nachdem er Liechtenstein passiert hat.[11] Dennoch waren der untere Durchstich bei Fussach, der obere Durchstich bei Diepoldsau, die Normalisierung und Flussbetteintiefung und die weiteren baulichen Massnahmen sowie die Einsetzung der internationalen Rheinregulierungs-Kommission[12] (Art. 9 Staatsvertrag) auch für Liechtenstein von Bedeutung. Dasselbe gilt für die 1924 vereinbarte Vorstreckung der Regulierungswerke des Fussacher-Durchstiches auf dem Schuttkegel im Bodensee und weitere Massnahmen.Liechtenstein schloss am 23. Juni 1931 mit Österreich den „Vertrag über die Festlegung gemeinsamer Grundlagen für die Regulierung des Rheins von der schweizerisch-liechtensteinischen Staatsgrenze bis zur Mündung des Illflusses, sowie über die Regelung der Ableitung liechtensteinischer Binnengewässer auf liechtensteinischem und österreichischem Gebiete und über die damit zusammenhängende Regulierung des Spirsgrabens, des Frickgrabens und der Esche“.[13] Er ermöglichte Liechtenstein den Bau des fast 25 km langen Binnenkanals. Er wurde zwischen 1931 und 1943 errichtet.[14]C. Nutzung der GewässerDer Rhein sowie die Liechtensteiner Bäche und Weiher wurden seit jeher vielseitig genutzt (Trink- und Brauchwasser,[15] Fischerei, Transport und Flösserei, Energiegewinnung, Erholung).[16] Entwässerungen, Rheindamm, Binnenkanal und Wasserkraftwerke griffen massiv in die Landschaft ein, was zum Verschwinden der Auen und Riede und zu einer Abnahme der Artenvielfalt führte sowie den Grundwasserspiegel beeinflusste.[17] Verschiedene Revitalisierungsprojekte[18] streben nun Verbesserungen an.1883 erstellten die Liechtensteiner Textilunternehmen eigene Elektrizitätswerke. Erst 1901 baute die Gemeinde Vaduz das erste öffentliche Elektrizitätswerk. Ab 1906 lieferten die Stadtwerke Feldkirch Strom an Gemeinden im Unterland, ab 1920/21 an alle Gemeinden.[19] Die ungenügende Stromversorgung behinderte die wirtschaftliche Entwicklung bis in die 1920er-Jahre.[20]1915 hatte die Gemeinde Triesen dem Land die Rechte an den Quellen des oberen Lawenatales verkauft.[21] Der Bau des Kraftwerkes musste im Sommer 1921 wegen Zahlungsunfähigkeit des Landes eingestellt werden. Erst 1925 wurden die Arbeiten nach Zustimmung von Landtag und Stimmberechtigten zur Errichtung des Landeswerkes Lawena[22] fortgesetzt.[23] Auch nach seiner Inbetriebnahme wurde bis 1949 weiterhin Strom aus Feldkirch benötigt.[24] Selbstversorgung war in Liechtenstein nur von 1949 bis 1956/57 möglich.[25] 1949, nach Erstellung des Saminawerks, wandte sich Liechtenstein (zuerst für den Export, dann für den Import) Schweizer Kraftwerken zu und bezog erst ab 2007 wieder Strom aus Österreich.[26]Im Sachenrecht vom 31. Dezember 1922[27] widmete sich ein ganzer Abschnitt der Nutzung der Wasserkraft und der Einrichtung der Wasserversorgung (Art. 454-483 Sachenrecht). Bereits im Gesetz vom 7. März 1864 betreffend die Benützung der Gewässer im Fürstentum Liechtenstein[28] fanden sich Vorgaben (insbesondere eine Bewilligungspflicht) für die Errichtung von Wasserwerken und die Durchführung von Entwässerungen. Heute regelt das Wasserrechtsgesetz vom 10. November 1976 die Nutzung der öffentlichen und privaten Gewässer.[29]II. Entstehungsgeschichte von Art. 21 LVDie Dienstinstruktionen von 1808 forderten dazu auf, die Riede urbar zu machen[30] und den Torf zu nutzen. Hingegen enthielten sie keine Vorgaben für den Umgang mit Gewässern. Auch der Verfassungsentwurf von Peter Kaiser äusserte sich nicht zu den Gewässern. Der Entwurf des Verfassungsrates von 1848 sah die Information des Landtages über die Dämme und Wuhren vor (§ 87 lit. g VV 1848), äusserte sich aber sonst nicht zu den Gewässern. In der Konstitutionellen Verfassung von 1862 waren sie kein Thema.In den Schlossabmachungen wurden die Gewässer nicht erwähnt, obwohl Art. 11 Verfassungsentwurf Beck lautete: „Abs. 1 Dem Staate steht das Hoheitsrecht über die Gewässer zu. Abs. 2 Die Benützung derselben soll auf gesetzlichem Wege geregelt und gefördert werden und es kann hiebei die elektrische Weiterleitung von Wasserkräften unter Vorbehalt allfälliger Privatrechte als Sache des Landes erklärt werden.“ Augenfällig ist die Nähe von Becks Vorschlag zur Verfassung des Kantons St. Gallen von 1890. Nachdem diese in Art. 16 die Grundlage für kantonale Beiträge an die Korrektion von Gewässern und Entsumpfungen schuf und die Beaufsichtigung von Schutzbauten statuierte, formulierte Art. 18 KV Kanton SG 1890: „Dem Staate steht das Hoheitsrecht über die Gewässer zu. Die Benutzung derselben soll auf dem Wege der Gesetzgebung geregelt und gefördert werden. Hiebei kann die elektrische Weiterleitung von Wasserkräften als Sache des Staates erklärt werden.“ Aus Becks Feder stammte demnach lediglich der Einschub „unter Vorbehalt allfälliger Privatrechte“, der sich auf die „elektrische Weiterleitung von Wasserkräften“ bezog.Josef Peer hingegen statuierte in der Regierungsvorlage eine andere Einschränkung. § 21 RV lautete: „Dem Staate steht das Hoheitsrecht über die Gewässer nach Massgabe der hierüber bestehenden und zu erlassenden Gesetze zu. Die Benützung, Leitung und Abwehr der Gewässer soll auf gesetzlichem Wege unter Bedachtnahme auf die Entwicklung der Technik geregelt und gefördert werden. Das Elektrizitätsrecht ist gesetzlich zu regeln.“ Warum Peer anders formulierte als Beck, ist nicht bekannt.[31] Bei Peer scheint der Schutz von privaten Rechten an Gewässern – weil er nicht im Zusammenhang mit der Nutzung des Wassers für die Gewinnung von Elektrizität erfolgt, sondern zusammen mit dem Hoheitsrecht über die Gewässer genannt wird – weiter zu gehen. Dass Wilhelm Beck auf „Privatrechte“ Bezug nahm, während die Regierungsvorlage von Peer mit der Formulierung „bestehende und zu erlassende Gesetze“ indirekt auf Rechte Bezug nahm, die gestützt auf vor Erlass der Verfassung erlassene Gesetze erworben worden waren, macht m.E. keinen Unterschied. Peers Begriff „Gesetze“ ist als Oberbegriff zu verstehen, der z.B. auch Rechte umfasst, die auf einem Vertrag beruhen.[32] Überdies zeigt seine Formulierung, dass Eingriffe in bestehende Rechte mittels Gesetz erfolgen müssen. Die von Josef Peer vorgenommene Ausdehnung der Verpflichtung des Landes, nicht nur die „Benützung der Gewässer“ zu regeln, sondern auch ihre Leitung und den Schutz vor den Gewässern, verdeutlicht Wilhelm Becks Vorschlag. Es obliegt dem Landtag zu entscheiden, welche Aspekte des Umganges mit dem Wasser er wann wie regeln möchte. Indem die Verfassungstext gewordene Regierungsvorlage das Elektrizitätsrecht benennt und nicht nur die „elektrische Weiterleitung“, wird deutlich, dass sich der Gesetzgeber des ganzen Themenkomplexes annehmen soll.Die von Josef Peer erstellte Formulierung von Art. 21 LV ist seit dem Inkrafttreten der Verfassung unverändert in Kraft.III. Umfassende Regelungen der Gewässer in der VerfassungGewässer werden in der Verfassung mehrfach angesprochen. Art. 20 Abs. 3 LV verpflichtet den Staat zur Unterstützung von Entwässerungen, was 1921 sinnvoll war, um Ackerland zu gewinnen.[33] Überdies muss der Staat gestützt auf Art. 20 Abs. 1 LV die Versicherung gegen die Schäden von Naturgefahren fördern und Massnahmen treffen, um Schäden durch Katastrophen wie Hochwasser und Ereignisse wie Rüfen zu vermeiden respektive rasch zu beseitigen.[34] Art. 21 LV bekräftigt die Pflicht zur Abwehr der von den Gewässern ausgehenden Gefahren, ohne dem Staat weitergehende Kompetenzen oder Pflichten als die bereits in Art. 20 Abs. 1 LV verankerten aufzuerlegen. Es ist deshalb hier nicht weiter auf den Schutz vor Gewässern einzugehen. Erwähnt sei lediglich, dass sich der Fokus im Laufe der Zeit änderte. Bei Eingriffen wird heutzutage mehr Wert darauf gelegt, die Auswirkungen auf das Ökosystem gering zu halten und Verbesserungen der Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen zu erreichen.[35]Der Schwerpunkt von Art. 21 LV liegt mit der Erwähnung der „Benützung“ der Gewässer und des Elektrizitätsrechts in der Nutzung der Gewässer. Art. 22 LV ergänzt um die Regelung einer spezifischen Nutzung, indem er dem Staat die Hoheit über die Fischerei gibt.Wie die Gesetze zeigen, sind die Gemeinden für die Wasserversorgung[36] und die Reinigung des Abwassers[37] zuständig. Soweit das Gesetz der Regierung Kompetenzen zuweist (wie insbesondere bezüglich der Erteilung von Konzessionen für die Wassernutzung), kommt den Gemeinden keine Autonomie zu.[38] Sämtliche Gemeinden haben sich zum Abwasserzweckverband der Gemeinden Liechtensteins (AZV) zusammengeschlossen,[39] der die Abwasserreinigungsanlage betreibt. Im Zweckverband wurde ein Abwasserreglement ausgearbeitet,[40] das von den Gremien der einzelnen Gemeinden verabschiedet wurde.[41] Die Wasserversorgung liegt demgegenüber in der Hand der als Genossenschaft der fünf Unterländer Gemeinden gebildeten „Wasserversorgung Liechtensteiner Unterland WLU“[42] und dem Zweckverband „Gruppenwasserversorgung Liechtensteiner Oberland GWO“ der Gemeinden Balzers, Triesen, Triesenberg, Vaduz und Schaan.[43] Die Gemeinden beteiligen sich des weiteren an Revitalisierungen und anderen Massnahmen zur Erreichung der Umweltziele[44].Die übrigen Aufgaben befinden sich gemäss geltendem Recht in der Hand des Landes. Die von den Gesetzen vorgenommene Aufteilung der Aufgaben hält vor der Verfassung stand. Indem Art. 21 LV dem Staat die Hoheit über die Gewässer zuweist, erhält der Gesetzgeber die Kompetenz zu entscheiden, welche Aufgaben die Gemeinden, öffentliche Unternehmen oder Private ausüben sollen.Der Schutz der Gewässer wird in Art. 21 LV nicht angesprochen. Überhaupt findet sich in der gesamten Verfassung keine Bestimmung über den Umweltschutz. Das bedeutet jedoch nicht, dass dem Staat die Hände gebunden wären.[45] Er hat jederzeit das Recht, eine gesetzliche Regelung vorzunehmen und entsprechende Aktivitäten zu entfalten. Liechtenstein ist entsprechend mit seinen Nachbarstaaten in Kontakt. So ist Liechtenstein unter anderem Partner in der Internationalen Bodenseekonferenz IBK, deren Ziel die „Erhaltung und Förderung der Bodenseeregion als attraktiver Lebens-, Natur-, Kultur- und Wirtschaftsraum sowie Stärkung der regionalen Zusammengehörigkeit“ ist.[46] Verschiedene völkerrechtliche Übereinkommen trennen nicht scharf zwischen dem Schutz vor dem Wasser und dem Schutz des Wassers. Den Schutz regelt heute das Gewässerschutzgesetz (GSchG) vom 15. Mai 2003.[47]IV. Hoheitsrechte über die Gewässer und private Rechte an GewässernDie Verfassung von 1921 verwendete den Begriff „Hoheit“ in verschiedenem Zusammenhang.[48] Es kann deshalb nicht allein aus der Formulierung geschlossen werden, welchen Auftrag der Verfassungsgeber dem Staat im Zusammenhang mit den Gewässern erteilt.Die auf Josef Peer zurückgehende, noch heute gültige Formulierung überträgt die Hoheitsrechte „nach Massgabe der hierüber bestehenden und zu erlassenden Gesetze“. Damit kommt zum Ausdruck, dass mit der Verfassung von 1921 nicht eine neue Eigentumsordnung errichtet werden sollte, die dem Staat Grundeigentum an Gewässern und den anliegenden Grundstücken verschafft oder der Stellung eines Grundeigentümers ähnliche Rechte zukommen lässt. Vielmehr erhält der Staat die Kompetenz, die Nutzung aller Gewässer gesetzlich zu regeln, eben gerade unabhängig vom Eigentum an den einzelnen Gewässern.[49]Im Einzelfall kann die Ausgestaltung eines konkreten Projekts zur Nutzung der Wasserkraft oder z.B. auch ein Projekt zum Schutz vor Hochwasser dazu führen, dass Grundeigentum an einem Gewässer oder Nutzungsrechte eines Privaten an einem Gewässer entzogen werden müssen. Art. 21 Abs. 1 erster Satz LV kann nicht so verstanden werden, dass sämtliche vor dem Inkrafttreten der Verfassung bestehenden Rechte an Gewässern niemals angetastet werden dürfen. Dasselbe gilt umso mehr für nach 1921 begründete Rechte von Privaten. Auch solche Rechte, die durch die Eigentumsgarantie von Art. 34 LV geschützt sind, können – sofern die Voraussetzungen gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse und Verhältnismässigkeit gegeben sind – eingeschränkt oder gar ganz entzogen werden.Das Sachenrecht vom 21. Dezember 1922[50] sah vor, dass bestehende „Wasserrechte, Flössereirechte und dergleichen“ von Privaten zugunsten von Wasserwerken, die dem allgemeinen Wohle dienen, enteignet werden können (Art. 459 Sachenrecht), ebenso das Nutzungsrecht und bereits errichtete Anlagen (Art. 467 Abs. 2 Sachenrecht). Unter bestimmten Umständen bedurfte die „Errichtung von Wasserwerken an Privatgewässern“ einer Genehmigung durch die Regierung. Für die Nutzung der Wasserkraft von öffentlichen Gewässern und für die „Herstellung einer Wasserversorgung“ aus einem öffentlichen Gewässer („Gewässer, an denen kein Privateigentum nachgewiesen werden kann“) war eine Verleihung durch die Regierung einzuholen (Art. 454 Sachenrecht). Mit dem Wasserrechtsgesetz vom 10. November 1976[51] wurden diese Bestimmungen aufgehoben.[52]Das Wasserrechtsgesetz von 1976 unterscheidet zwischen privaten Gewässern,[53] öffentlichen Gewässern auf privatem Grund[54] und öffentlichen Gewässern auf öffentlichem Grund. Per Gesetz (Art. 2 Abs. 2 Wasserrechtsgesetz) gelten Binnenkanal, Spirsbach, Saminabach und ihre Zuflüsse, der Rhein, alle übrigen Gewässer, die mit öffentlichen Mitteln verbaut werden, alle Grundwasservorkommen und Quellen von einer mittleren Ergiebigkeit, die 500 Liter in der Minute übersteigt, als öffentliche Gewässer. Vor Erlass des Wasserrechtsgesetzes konnten die betreffenden Grundstückseigentümer das Grundwasser als Bestandteil ihres Grundstückes[55] uneingeschränkt nutzen.[56] Die Nutzung privater Gewässer kann heute gemäss Art. 24 Abs. 1 Wasserrechtsgesetz zur Verfolgung bestimmter öffentlicher Interessen eingeschränkt werden. Für die über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung von öffentlichen Gewässern ist eine Konzession (Art. 7 ff. Wasserrechtsgesetz) erforderlich.[57]V. WassernutzungA. Kein Grundrecht auf WasserIm internationalen Recht findet sich keine explizite Verankerung eines Grundrechts auf (Trink-)Wasser und auf Zugang zu Sanitäreinrichtungen. Gleichwohl bejahen die Lehre und internationale Organisationen gestützt auf verschiedene völkerrechtliche Bestimmungen insbesondere zum Schutz der Gesundheit einen Anspruch auf Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen und Waschgelegenheiten.[58] Diese völkerrechtlichen Ansprüche beinhalten kein Recht auf eine jederzeit uneingeschränkte Wassernutzung, schon gar nicht zu gewerblichen Zwecken. Sie stehen bei akutem Wassermangel einer Einschränkung der Wassernutzung nicht entgegen. Im Gesetz findet sich eine Grundlage (Art. 22 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 2 Wasserrechtsgesetz[59]) für die Einstellung der Nutzung öffentlicher Gewässer und für die Zuteilung von Wasser aus privaten Gewässern wegen „dringlicherer Bedürfnisse“ an Dritte.Zu bemängeln ist, dass das Gesetz die „dringlicheren Bedürfnisse“ nicht näher umschreibt und keine Priorisierung verschiedener Bedürfnisse vornimmt. Vor der Verfassung hält es stand, erst in einer konkreten Notsituation (z.B. aussergewöhnliche Trockenheit oder Verschmutzung eines Gewässers) gestützt auf die polizeiliche Generalklausel zu entscheiden, wer in welchem Umfang mit Trink- und Brauchwasser versorgt wird. Angesichts dessen, dass längere Trockenperioden immer wieder auftreten, ohne dass deswegen in jedem Fall bereits das Vorliegen einer Notsituation bejaht werden muss, würde den öffentlichen Interessen (Schutz von Fauna und Flora, Ausgleich der öffentlichen und privaten Interessen) besser Rechnung getragen, wenn per Gesetz festgelegt würde, welche Interessen wie stark zu gewichten sind und aus welchen Gewässern Wasserentnahmen für Landwirtschaft und Industrie (bei welcher Intensität von Trockenheit) nur beschränkt oder gar nicht zulässig sind.[60]Almestad kommt zum Schluss,[61] dass die allgemeinen Regeln des EWR-Abkommens auch für die natürlichen Ressourcen gelten und die im EWR enthaltenen Bestimmungen über die Investitionen in diesem Bereich den Bestimmungen des EU-Rechts entsprechen. Generell gilt es deshalb auch für die Nutzung von Gewässern und den Energiesektor an die allgemeinen Vorgaben des EWR-Abkommens bezüglich Gleichbehandlung, Wettbewerb, öffentliche Vergaben etc. zu erinnern. Es steht Liechtenstein gestützt auf Art. 125 EWRA frei, im Gesetz vorzusehen, dass das Eigentum an Wasserkraftwerken[62] und anderen Anlagen in öffentlicher Hand bleibt.[63] Ebenso kann Liechtenstein Massnahmen zum Schutz der Umwelt und zur Sicherung der Energieversorgung ergreifen.[64]B. Europarechtliche Vorgaben zur nachhaltigen WassernutzungVon Bedeutung für Liechtenstein ist die in das EWR-Abkommen (Anhang XX [Umweltschutz]) aufgenommene[65] so genannte „EU-Wasserrahmenrichtlinie“ WRRL ( Richtlinie 2000/60/EG vom 23. Oktober 2000), die bereits mehrmals revidiert worden ist.[66] Sie stellt Qualitätsziele für alle Arten von Gewässern (Flüsse, Seen, Meeresküsten, Grundwasser) auf[67] und gibt Methoden an, wie die angestrebten Verbesserungen der „aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete“ (siehe Art. 1 WRRL) erreicht werden sollen.[68] Entsprechend auferlegt sie den Staaten konkrete Pflichten zur Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung. So müssen Behörden benannt, der Zustand der Gewässer überwacht und entsprechende Berichte abgeliefert werden. Für das so genannte Einzugsgebiet (d.h. für die [grenzüberschreitenden] Landgebiete, aus denen grössere Flusssysteme ihren Abfluss beziehen) sind Bewirtschaftungspläne zu erstellen. Überdies ist – in der EU, aber nicht im EWR[69] – für die Wassernutzung das Verursacherprinzip (inklusive Kostendeckung) einzuführen.Liechtenstein hat mit dem Bericht „Bestandsaufnahme und Überwachungsprogramm“ den ersten Schritt der von der EU-Wasserrahmenrichtlinie geforderten Massnahmen getroffen[70] und insbesondere die Liechtensteiner Fliessgewässer analog zu den österreichischen Bioregionen typisiert,[71] den Zustand des Grundwassers analysiert und die wirtschaftliche Bedeutung des Wassers untersucht.[72] Der Bericht umfasst des Weiteren ein Überwachungsprogramm und eine Einschätzung, ob die ökologischen Qualitätsziele erreicht werden können.Der Bericht „Bewirtschaftungsplan“ fasst die Grundlagen für die Bewirtschaftungsplanung der Oberflächengewässer und Grundwasservorräte in Liechtenstein zusammen. Er enthält die Ergebnisse des Berichts „Bestandsaufnahme und Überwachungsprogramm“, die aktuellen Bewirtschaftungsziele und Massnahmenprogramme. Veröffentlicht ist erst das Inhaltsverzeichnis[73].[74]C. GewässerschutzBis auf zwei Artikel betreffend Abfalldeponien ist die schweizerische Abfallverordnung[75] gestützt auf den Zollvertrag in Liechtenstein anwendbar. Sie soll Menschen, Tiere und Pflanzen sowie Gewässer, Boden und Luft schützen. Zahlreich sind auch die Verordnungen des UVEK[76] über Chemikalien (wie z.B. Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, Dünger), die auch in Liechtenstein anwendbar sind. Von Bedeutung ist auch die schweizerische Verordnung über Trink-, Quell- und Mineralwasser[77], weil sie sich unter anderem auf Trinkwasserversorgungsanlagen bezieht.Darüber hinaus hat Liechtenstein mit dem Gewässerschutzgesetz (GSchG) vom 15. Mai 2003[78] eigene Normen zum Schutz der Gewässer (inklusive Grund- und Quellwasser)[79] sowie zur Erhaltung und Wiederherstellung natürlicher Lebensräume im und am Wasser erlassen. Liechtenstein setzt damit auch EWR-Bestimmungen um.[80]VI. Energie im AllgemeinenA. EnergiestrategieDie Quote der Energieversorgung aus einheimischen Energieressourcen[81] an der gesamten Energieversorgung erhöhte sich in Liechtenstein 2015 von 8.0% auf 10.8% (133‘629 MWh).[82] 2015 stellte die Elektrizität[83] mit „31.8% den wichtigsten Energieträger dar, gefolgt von Erdgas (20.6%), Heizöl (12.8%), Diesel (11.0%), Benzin (9.2%) und Fernwärme aus Kehricht (8.5%). Die übrigen Energieträger Holz, Flüssiggas, Sonnenkollektoren[84] und Biogas hatten einen Anteil von insgesamt 6.1%.“[85]2012 verabschiedete die Regierung die „Energiestrategie 2020“.[86] Dabei setzte sich Liechtenstein mit der Formel „20:20:20“ folgende Ziele: 20% Erhöhung der Energieeffizienz zur Verbrauchsstabilisierung; 20% einheimische, erneuerbare Energien; 20% weniger Treibhausgase gegenüber 1990.[87] Dies, nachdem sich die 2004 im „Energiekonzept 2013“ für einen Zeithorizont von 10 Jahren genannten Ziele als nicht mehr rechtzeitig erreichbar erwiesen.[88] Das Energiekonzept 2013 hatte in erster Linie eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen durch Massnahmen im Gebäudesektor vorgesehen.[89] Demgegenüber strebt die Energiestrategie 2020 ein noch umfassenderes Ziel an, nämlich eine „sichere, nachhaltigere und bezahlbare Energieversorgung“. Energieeffizienz und erneuerbare Energien stehen hierfür im Zentrum.[90] Seit 2012 erfüllen sämtliche Liechtensteiner Gemeinden[91] die Voraussetzungen, um sich „Energiestadt“ nennen zu dürfen.[92]Liechtenstein hat sich im Laufe der Jahrzehnte durch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge[93] und durch die Mitgliedschaft im EWR zu einer modernen, am Ideal der Nachhaltigkeit ausgerichteten Energiewirtschaft verpflichtet.B. Offenheit für technische und andere EntwicklungenDie Verfassung steht einer Ausrichtung auf erneuerbare Energien nicht entgegen. Vielmehr zeigt sie bereits 1921 bezüglich Nutzung der Gewässer und Schutz vor dem zerstörerischen Potenzial der Gewässer Offenheit für „die Entwicklung der Technik“. Der Gesetzgeber darf sich deshalb gegenüber neuen Erkenntnissen der Energieeffizienz und erneuerbaren Energien nicht prinzipiell verschliessen. Ein individueller Anspruch auf die Förderung entsprechender Massnahmen kann aus Art. 21 LV jedoch nicht abgeleitet werden. Indem Art. 21 zweiter Satz LV für die „Benützung, Leitung und Abwehr der Gewässer“ ausdrücklich auf die „Entwicklung der Technik“ verweist, macht der Verfassungsgeber klar, dass er den technischen Fortschritt nicht voraussehen kann und ihm nicht grundsätzlich negativ gegenübersteht.Die Erwähnung des Elektrizitätsrechts in Art. 21 dritter Satz LV ist auf keinen Fall dergestalt als aus- oder abschliessend zu werten, dass andere Energieformen ausgeschlossen wären. Schliesslich wurde in Liechtenstein z.B. seit jeher auch Holzwirtschaft betrieben.C. Verpflichtungen aus VölkerrechtGestützt auf den Zollvertrag ist Liechtenstein verpflichtet, verschiedene Bestimmungen der schweizerischen Energiegesetzgebung anzuwenden. In der Regel sind jedoch nur einzelne Bestimmungen der Gesetze und Verordnungen zu berücksichtigen.[94] Von grösserer Bedeutung sind die Vorgaben des EWR.1. EuroparechtObwohl die meisten EU-Richtlinien und Verordnungen den Vermerk „Text von Bedeutung für den EWR“ tragen, sind viele neuere Rechtsakte der EU[95] (insbesondere die Akte des so genannten „Dritten Energiepakets“ von 2009[96]) (noch[97]) nicht in das EWR-Abkommen übernommen worden.[98] Bezüglich der Verwirklichung des Binnenmarktes[99] befinden sich die EWR-Staaten in den Bereichen Strom, Gas, Energieeffizienz etc. nicht auf demselben Stand wie die EU-Staaten. Auch für die übernommenen Richtlinien und Verordnungen sind einzelne Befreiungen[100] und Anpassungen für Liechtenstein vorgesehen.[101]Für den Energiesektor sind die Vorgaben des Wettbewerbsrechts[102] (inklusive der Regeln für staatliche Beihilfen[103] und für das Vergabewesen[104]) und natürlich auch die Grundfreiheiten[105] von grosser Bedeutung. In diesem Bereich ergingen denn auch verschiedene Entscheide der ESA und des EFTA-Gerichtshofes.[106]2. Energiecharta sowie Mitgliedschaft in IRENA und IAEALiechtenstein hat den Vertrag über die Energiecharta vom 17. Dezember 1994[107] ratifiziert.[108] Der Vertrag dient dem Schutz von Auslandsinvestitionen im Energiebereich (Art. 2 und Art. 10 Abs. 1). Er fördert einen offenen und wettbewerblichen Energiemarkt (Art. 3), schützt jedoch die nationale Souveränität über die Energieressourcen (Art. 18). Auch das zum Vertrag gehörende Protokoll über Energieeffizienz[109] wurde von Liechtenstein ratifiziert. Es bezweckt insbesondere, „Produzenten und Verbraucher dazu [zu] bewegen, Energie so sparsam, effizient und umweltfreundlich wie möglich zu nutzen, insbesondere durch die Schaffung effizienter Energiemärkte und eine umfassendere Einbeziehung von Umweltkosten und -nutzen“ (Art. 1 Abs. 2 lit. b).Seit ihrer Gründung[110] ist Liechtenstein Mitglied der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien IRENA.[111] IRENA „fördert die umfassende und verstärkte Einführung sowie die nachhaltige Nutzung aller Formen von erneuerbaren Energien[112]“ (Art. II IRENA-Satzung). Sie agiert als „Kompetenzzentrum für Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien und als Vermittlerin und Impulsgeberin“ (Art. IV IRENA-Satzung).[113] Ohne Atomstrom zu produzieren, ist Liechtenstein Mitglied der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA),[114] einer autonomen wissenschaftlich-technischen Organisation der Vereinten Nationen.VII. Elektrizität im SpeziellenAls Antwort auf eine Kleine Anfrage bezeichnete der Regierungschef-Stellvertreter eine Strommangellage und eine Pandemie als die derzeit „grössten Risiken“, v.a. wenn man die Eintretenswahrscheinlichkeit mitberücksichtigt.[115]Für die Erzeugung von Strom ist das Gesetz vom 19. November 2009 über die Liechtensteinischen Kraftwerke[117] (LKWG) von Bedeutung.[118] Es regelt nämlich die „Liechtensteinischen Kraftwerke“ (LKW), eine selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit (Art. 1 Abs. 1 LKWG). Sie betreibt rund ein Dutzend Wasserkraftwerke, darunter das Pumpspeicherkraftwerk Samina.[119] Aufgabe der LKW ist es nicht nur, elektrische Energie zu erzeugen, sondern auch zu beschaffen, zu übertragen und zu verteilen und eine Netzinfrastruktur für die elektronische Kommunikation zur Verfügung zu stellen (Art. 3 bis 5 LKWG). Art. 18 LKWG erteilt den LKW „das ausschliessliche Recht der Auswertung der Wasserkräfte des Lawenabaches sowie des Saminabaches und dessen Zuflüssen (Malbunbach und Valorschbach) von der Quelle bis zur Landesgrenze.“VIII. Elektronische KommunikationDie technischen Aspekte der Kommunikation sind kein Thema in der Verfassung von 1921. Sie erwähnt nicht einmal die 1921 bereits bestehenden Postdienste. Dies hinderte die rasante technische Entwicklung der Kommunikation und die entsprechende Normsetzung nicht, hat doch der Gesetzgeber freie Hand, auch diejenigen Themen einer Regelung zuzuführen, die nicht Eingang in die Verfassung gefunden haben.[120]Schranken setzt hingegen das EWR-Recht. Dies zeigt sich nicht zuletzt im Bereich der elektronischen Kommunikation.[121] Das Kommunikationsgesetz,[122] das die Bevölkerung „mit elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten auf hohem Niveau“ versorgen möchte, setzt eine ganze Reihe von Richtlinien und Verordnungen um, die insbesondere den Wettbewerb bei der Bereitstellung von elektronischen Kommunikationsnetzen und beim Anbieten elektronischer Kommunikationsdienste sowie eine Grundversorgung gewährleisten. Wichtige Aufgaben kommen dabei der Regulierungsbehörde zu.[123] In diesen Punkten zeigt sich – in Übereinstimmung mit den im EWR-Abkommen verankerten Grundfreiheiten (einschlägig sind v.a. der freie Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) sowie wettbewerbsrechtlichen Vorgaben und den auf europäischer Ebene angestossenen Liberalisierungsbestrebungen – die Nähe der Regelung der elektronischen Kommunikation zur Regelung der Versorgung mit Strom und Gas, die ebenfalls von zentraler Bedeutung sind für Bevölkerung und Wirtschaft[124] und genauso wie die elektronische Kommunikation auf Netze angewiesen sind.[125]IX. Überregionale ZusammenarbeitGewässer kümmern sich seit jeher nicht um Landesgrenzen. Umso wichtiger ist deshalb die überregionale Zusammenarbeit zu ihrem Schutz und zum Schutz vor ihrem zerstörerischen Potenzial.[126]Liechtenstein hat das im Rahmen der KSZE (heute: OSZE[127]) ausgearbeitete Übereinkommen vom 17. März 1992 zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen[128] unterzeichnet. Es sieht unter anderem Massnahmen zur Vermeidung, Kontrolle und Verringerung der Abgabe von gefährlichen Stoffen in die Umwelt von Gewässern vor. Bereits am 5. Juli 1893 war die „Bregenzer Übereinkunft betreffend die Anwendung gleichartiger Bestimmungen für die Fischerei im Bodensee“ beschlossen worden. Auf sie geht die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF)[129] zurück, die ihr Schwergewicht heute ebenfalls auf ökologische Massnahmen legt.Dem Umweltschutz dient auch das Übereinkommen über den Schutz des Bodensees von 1960.[130] Liechtenstein hat es nicht unterzeichnet. Das Land schickt jedoch Vertreter in die Kommissionen der durch das Übereinkommen begründeten Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB).[131] Dasselbe gilt für das Übereinkommen vom 12. April 1999 zum Schutz des Rheins,[132] gestützt auf dessen Vorgängerin[133] die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR)[134] gegründet wurde. Auch hier engagiert sich Liechtenstein, ohne Vertragsstaat zu sein.[135]Liechtenstein ist Mitglied der Internationalen Regierungskommission Alpenrhein (IRKA).[136] Bei dieser handelt es sich um eine gemeinsame Plattform der vier Regierungen von Graubünden, St. Gallen, Liechtenstein und Vorarlberg, die dem Austausch, der Entscheidungsfindung und Planung wasserwirtschaftlicher Massnahmen am Alpenrhein dient. Die IRKA und die aus dem österreichisch-schweizerischen Staatsvertrag hervorgegangene Internationale Rheinregulierung (IRR) haben 2005 mit „Zukunft Alpenrhein“ eine gemeinsame Plattform für die Zusammenarbeit der Regierungen von Liechtenstein, Vorarlberg sowie der Kantone Graubünden und St. Gallen und der zuständigen Bundesstellen in Bern und Wien geschaffen „zum Wohle des Alpenrheins“. Beim Hochwasserschutzprojekt Rhesi (Rhein – Erholung und Sicherheit) handelt es sich um „die erste grosse Etappe der Umsetzung des Entwicklungskonzepts Alpenrhein“. In Liechtenstein bestehen allerdings noch keine konkreten Pläne für die Sanierung von Dämmen und für die im Projekt vorgesehenen, aber nicht unmittelbar verbindlichen Rheinaufweitungen.Die Mitgliedschaft in überregionalen Gremien oder auch das blosse Engagement ohne vertragliche Bindung kann im Einzelnen dazu führen, dass sich Liechtenstein an Massnahmen beteiligt, noch bevor entsprechende Verpflichtungen im EWR-Recht geschaffen worden sind.[137] Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dies unproblematisch, solange sich die Aktivitäten auf völkerrechtliche Übereinkommen stützen können oder im nationalen Recht die erforderlichen Grundlagen geschaffen werden. |
Der Staat übt die Hoheit über Jagd, Fischerei und Bergwesen aus und schützt bei Erlassung der diesbezüglichen Gesetze die Interessen der Landwirtschaft und der Gemeindefinanzen. The State shall exercise sovereignty over hunting, fishing and mining; when enacting laws in this regard, it shall protect the interests of agriculture and of municipal finances. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeines und EntstehungsgeschichteA. Allgemeine BemerkungenArt. 22 LV verankert das Landesregal[1] an Jagd, Fischerei und Bergwesen in der Verfassung. Bei den Regalen an Jagd, Fischerei und Bergwesen handelt es sich um die in verschiedenen Staaten anzutreffenden traditionellen Monopole an Grund und Boden,[2] welche „bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten dem Gemeinwesen vorbehalten“.[3] Sie erlauben es dem Staat, die betreffenden „Bodenschätze“ zu gewinnen und Einnahmen zu generieren[4]. Diese historischen Regale beziehen sich „auf vorbestehende, nur beschränkt vorhandene, wirtschaftlich nutzbare Naturgüter“.[5] Jagd und Fischerei sind hierbei sehr weit zu verstehen. Sie erfassen die Nutzung sämtlicher Wildtiere. Demgegenüber meint Bergwesen nur die Gewinnung von Mineralien.[6]Staatliche Monopole jeglicher Art (also auch die traditionellen Regale) schliessen Private per Definition von der betreffenden wirtschaftlichen Nutzung aus.[7]Die von Art. 22 LV bestätigten Monopole an Jagd, Fischerei und Bergewesen stehen in einem engen Zusammenhang mit den öffentlichen Sachen. Sie knüpfen jedoch eben gerade nicht an der Eigentümerstellung (des Landes) an den betreffenden Sachen an.[8] Vielmehr erstrecken sie sich umfassend auf die Jagd, die Fischerei und das Bergwesen, unabhängig davon, wem das Eigentum an den einzelnen Gewässern, Wäldern und sonstigen Grundstücken zukommt.Art. 22 LV verwendet ebenso wie Art. 21 erster Satz LV den Begriff „Hoheit“, weist aber einen anderen Hintergrund und einen anderen Zweck auf.[9] Art. 21 LV weist dem Staat unabhängig von den sachenrechtlichen Verhältnissen das Recht und die Pflicht zu, Regelungen für den Umgang mit den verschiedenen Gewässern zu treffen.[10] Demgegenüber führt Art. 22 LV die bereits zuvor bestehenden Regale weiter und entzieht damit die aufgezählten wirtschaftlichen Tätigkeiten Jagd, Fischerei und Bergbau dem Anwendungsbereich der Handels- und Gewerbefreiheit.[11] Mit der Bestätigung der Regale geht selbstverständlich das Recht des Landes einher, Regelungen zu treffen für Jagd, Fischerei und Bergbau. Zum Beispiel obliegt es dem Gesetzgeber, einzelne Tierarten unter Schutz zu stellen und damit von der Jagd auszunehmen,[12] bestimmte Fangmethoden in den liechtensteinischen Gewässern zu verbieten[13] und über die Verwendung der Einnahmen aus der Verpachtung der Jagdreviere zu beschliessen.[14] Regelungen mit Bedeutung für Jagd und Fischerei finden sich nicht nur im Jagdgesetz[15] und im Fischereigesetz[16], sondern insbesondere auch in den Erlassen zum Naturschutz[17] und zum Wald.B. Historische Situation bis und mit Erlass der Verfassung von 19211. Landesherrliches Regal bis 1849Bei der Jagd handelte es sich seit dem Frühmittelalter um ein landesherrliches Regal. Dies bedeutete für die Bevölkerung nicht nur ein allgemeines Jagdverbot, sondern auch die Pflicht zu Hilfeleistungen bei der fürstlichen Jagd und Abgaben.[18] Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wurde die so genannte Niederjagd in verschiedenen Gebieten Liechtensteins an den Meistbietenden verpachtet.[19]Im Frühling 1848 formulierten Untertanen in einer Eingabe an Fürst Alois II. ihre Wünsche und Forderungen betreffend eine neue Verfassung und andere Reformen.[20] Sie verlangten darin in Ziff. IV.2: „Jagd und Fischerei soll frei sein.“[21] In der Erklärung vom 7. April 1848[22] versprach Fürst Alois dem Landtag in Ziff. 5.d „Die Umarbeitung des Forstgesetzes [vorzulegen],[23] damit den Gemeinden und den Privatbesitzern jene Freiheit der Verwaltung eingeräumt werde, welche mit dem öffentlichen Wohle verträglich erscheint.“ Auch im Verfassungsentwurf des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 waren Jagd und Fischerei ein Thema. § 28 VV 1848 lautete: „Die Jagd und Fischerei bleiben für immer ein Landesregale. Die Art ihrer Ausübung bestimmt nachträglich ein Gesetz.“2. Landesregal ab 1849Fürst Alois schaffte die Pflicht zu den Hilfeleistungen bei der Jagd zusammen mit den übrigen Frondiensten 1849 ab.[24] Jagd, Fischerei und Bergbau wurden mit den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen vom 7. März 1849 zum Landesregal.[25] Das Regierungsamt nahm die Verpachtung der Reviere für die Niederjagd vor.[26] Die Verpachtung der Hochjagd erfolgte an den Fürsten,[27] der einige Jagdreviere in Unterpacht gab.[28] Die provisorische Jagdordnung vom 27. Juli 1849[29] gab nämlich die Jagd nicht frei. Vielmehr verbot sie Ausländern die Jagd kategorisch und verlangte von den Einheimischen das Lösen eines Patentes. Das Jagdgesetz vom 3. Oktober 1872[30] bestätigte, dass die Jagd ein Landesregal darstellt.[31] Sie regelte die Verpachtung der Jagdbezirke und ging im Detail auf die Bestrafung wegen unberechtigten Jagens ein. Dazu gehörte nicht nur das Anwenden von verbotenen Methoden und von Jagden während der Schonzeit, sondern auch das Jagen in Gebieten, für welche der Betroffene keine Berechtigung vorweisen konnte (§ 13).Ende 1874 war ein Wilderer von einem fürstlichen Forstadjunkten auf frischer Tat ertappt und erschossen worden,[32] woraufhin mehrere Abgeordnete und neun Gemeinden eine Revision des Jagdgesetzes von 1872 forderten.[33] Gemäss ihren Vorstellungen hätten die Pachtverträge jederzeit gekündigt und die Jagd sogar ganz freigegeben werden können. Der längere Zeit schwelende Konflikt um die Regelung des Jagdwesens wurde offenbar durch Unstimmigkeiten unter den beteiligten Abgeordneten genährt, die in anderen Bereichen bestanden.[34]Die Fischereirechte waren bis 1848 ebenfalls ein herrschaftliches Regal. Sie wurden an Private verpachtet.[35] 1848 gelangten sie wie das Jagdrecht an das Land, durch das sie seither verpachtet werden.[36] Die Einnahmen aus der Verpachtung der Fischereirechte waren geringer als die Einnahmen aus der Verpachtung der Jagdreviere.[37] Das Fischerei-Gesetz vom 16. November 1869[38] stellte klar (Art. 1 Abs. 1), dass sich das Landesregal nur auf Gewässer bezieht, die nicht im Eigentum von Privaten oder Gemeinden standen.[39] Frei war lediglich das Fischen mit einer Angelrute im Rhein (Art. 2 Abs. 4 Satz 2). Alle übrigen Gewässer, auf die sich das Landesregal erstreckte, wurden verpachtet, und zwar nur ausnahmsweise an Ausländer (Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2).[40] Die Fischerei musste der Pächter persönlich ausüben (Art. 12). Des weiteren fanden sich im Gesetz verschiedene Bestimmungen zum Schutz der Gewässer und ihrer unmittelbaren Umgebung sowie der Fische (Verbot verschiedener Fangmethoden; Verbot, Jungtiere zu fischen; Schonzeiten). Art. 10 schuf eine Grundlage für die staatliche Unterstützung der Fischzucht. Das Fischereigesetz von 1869 blieb bis zur Totalrevision durch das Fischereigesetz vom 16. Mai 1990[41] in Kraft. Es erfuhr jedoch durch die Einführung der Fischereikarten[42] im Jahr 1922 Änderungen.3. Die verschiedenen Entwürfe der VerfassungsbestimmungOffenbar herrschte bezüglich der Regelung der Jagd schon mehrere Jahre vor dem Erlass der Verfassung Unzufriedenheit. In der öffentlichen Landtagssitzung vom 7. Januar 1918 z.B. hatte der Landtag eine Motion beschlossen auf Übergang des landschaftlichen Jagdregals auf die Gemeinden.[43] Eine Gesetzesänderung in Vorarlberg scheint den dortigen Gemeinden höhere Einnahmen aus der Jagd beschert zu haben. Die Volkspartei bewarb ihre Kandidaten für die Landtagswahl von 1918 mit dem Argument, „dass das Jagdgesetz endlich einmal zu Gunsten des Landwirtes und der Gemeinden abgeändert werde“.[44]Art. 11 Abs. 3 Verfassungsentwurf Beck lautete schlicht und einfach: „Das Land übt die Hoheit über Jagd und Fischerei aus und sorgt für die den landwirtschaftlichen Interessen entsprechenden Gesetze.“Über die Unterredungen der Vertreter der Volkspartei mit dem Fürsten im Rahmen der Schlossabmachungen wurde im Protokoll von Gustav Schädler vermerkt: „Es wird sodann der Übelstand hinsichtlich Jagdverpachtung eingehend beleuchtet und von den 3 Vertretern vorgeschlagen, die Jagd vom Forstamt zu trennen. Der Fürst sei, sagt Dr. Martin, über die Jagdverhältnisse unrichtig orientiert gewesen; denn er habe geglaubt, es gebe im Lande wenig Interessenten. Insbesondere sei er bereit, soviel Pacht zu bezahlen wie jeder andere Bewerber.[45] Kabinettschef Martin verspricht Abhilfe, Forstinspektor Pittmann [Otto Bittmann] wird nach Liechtenstein kommen, um die Sache zu untersuchen und Vorschläge auszuarbeiten.“[46]In Ziff. 9 der Schlossabmachungen wurde denn auch eine rasche Regelung des Jagdwesens in Aussicht gestellt: „(…) Das Jagdwesen ist im Interesse der Landwirtschaft und der Gemeindefinanzen ehestens zu regeln. (…)“. Entsprechend wurde RV § 22 wie folgt formuliert: „Der Staat übt die Hoheit über Jagd und Fischerei aus und schützt bei Erlassung der diesbezüglichen Gesetze die Interessen der Landwirtschaft und der Gemeindefinanzen.“ Die Verfassungskommission ergänzte den Regierungsentwurf von Josef Peer in den Sitzungen vom 15. und 18. März 1921[47] folgendermassen: „In § 22 wird nach dem Worte „Fischerei“ eingesetzt „und Bergwesen“.Josef Peer führte am 18. April 1921 zu den Ergebnissen der Kommissionsberatungen aus:[48] „In Betreff der Ausarbeitung eines Jagdgesetzentwurfes habe ich in Wien und Feldsberg dahin Fühlung genommen, dass ein mit dem Forstwesen vollkommen vertrauter Beamter des Fürsten auf dessen Besitzungen damit betraut wird, an Hand ihm von der Regierung beizustellender Grundlagen, in denen die besonderen Verhältnisse des Landes in jagdlicher Beziehung darzustellen sind, einen modernen Jagdgesetzentwurf auszuarbeiten. Diese Grundlagen dürften wohl zweckmässig auf Grund einer mit Vertretern des Ober- und Unterlandes abzuhaltenden Besprechung durch den Herrn Forstverwalter [Julius] Hartmann ausgearbeitet werden.“C. ZwischenfazitDie ersten Formulierungen von Art. 22 LV hatten lediglich die Regelung von Jagd und Fischerei zum Gegenstand. Die Rücksichtnahme auf die Interessen der Landwirtschaft wurden erstmals durch Wilhelm Beck erwähnt. Die Finanzen der Gemeinden kamen in den Schlossabmachungen dazu und das Bergwesen sogar erst in den Beratungen der Landtagskommission.[49] Gleichwohl wirkt Art. 22 LV weder unausgewogen noch überladen. Anders als bezüglich Jagd und Fischerei war das Bergregal jedoch soweit ersichtlich nie Gegenstand öffentlich ausgetragener Streitigkeiten. Sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert wurde heftig über den Zugang zur Jagd gestritten. Protagonisten waren dabei nicht einfache Leute, die durch die Jagd ihren Speisezettel attraktiver gestalten wollten, sondern vermögende Liechtensteiner, die der Jagd aus Passion nachgehen wollten.Die definitive Fassung von Art. 22 LV wurde – abgesehen von der mangels Sanktion durch den Landesfürsten nicht in Kraft getretenen Revision vom 8./9. Dezember 1961[50] – bis heute nie geändert.II. Definition von Jagd und FischereiDie Verfassung kommt ohne Definition von Jagd, Fischerei und Bergewesen[51] aus. Die Legaldefinitionen im Jagd- und im Fischereigesetz sind sehr offen formuliert, so dass sich erst aus den weiteren Bestimmungen der beiden Gesetze ergibt, welches Verhalten erlaubt ist. Art. 1 Abs. 1 Jagdgesetz ist lediglich zu entnehmen, dass mit Jagd das Nachstellen, Fangen und Erlegen der „jagdbaren Tiere“[52] und das „Sichaneignen“ der erlegten Tiere gemeint ist. Art. 3 Abs. 1 zweiter Satz Fischereigesetz definiert das „Recht der Fischerei“ wie folgt: „Es umfasst das Recht, Fische, Krebse und Fischnährtiere zu hegen, zu fangen und zu verwerten.“Es liegt im Ermessen des Gesetzgebers, diejenigen Tiere zu bezeichnen, die gejagt und gefangen werden dürfen und die zulässigen Methoden festzulegen. Gerade weil es sich um Landesregale handelt, welche die Handels- und Gewerbefreiheit von Art. 36 LV ausschliesst,[53] besteht kein Anspruch darauf, dass die einschlägigen Bestimmungen nicht geändert werden. Während der vereinbarten Pachtdauer sind Einschränkungen der zuvor gewährten Rechte jedoch nur in beschränktem Masse zulässig. Es ist hierbei zu klären, welche Positionen der Pächter als wohlerworbene Rechte zu qualifizieren sind und dadurch den Schutz durch die Eigentumsgarantie von Art. 34 Abs. 1 LV geniessen.Ob die betreffenden Tätigkeiten gewerbsmässig ausgeübt werden[54] oder bloss zum Zeitvertreib, ist unerheblich. Die Verfassung und die Gesetze nehmen keine Unterscheidung vor. Das Jagdgesetz listet in Art. 3 Jagdgesetz die jagdbaren Tiere auf. Wer die Berechtigung hat, in einem Jagdrevier der Jagd nachzugehen, darf allen jagdbaren Tieren nachstellen. Es gibt keine Unterscheidung in Hochjagd und Niederjagd mehr.III. Die Entwicklung des Jagdgesetzes nach Erlass der VerfassungBereits im Oktober 1921 wurde ein Jagdgesetz erlassen.[55] Es wurde 1930[56], 1931[57], 1942[58] und 1953[59] geändert. Das aktuelle Jagdgesetz datiert vom 30. Januar 1962[60].[61]A. Jagdgesetz von 1921Das Jagdgesetz von 1921 unterschied zwischen Tieren, die unter Schonung gestellt wurden, Tieren, die durch die Jagdpächter und ihre Mitpächter in dem von ihnen gepachteten Jagdbezirk gejagt werden durften, und Tieren (konkret: Bären, Luchse, Fischotter und Wildkatzen), die jedermann, der zuvor eine Jagdkarte erworben hatte, jagen durfte. Es wurden Schonzeiten festgelegt und bestimmte Formen der Jagd (wie z.B. Fangeisen und Fallen) verboten. Die von den Jagdpächtern zu entrichtenden Gebühren (so genannter Jagdpachtschilling) leitete das Land zur Hälfte an die Gemeinden und Alpgenossenschaften weiter, und zwar im Verhältnis der auf ihrem Gebiet angesiedelten Jagdbezirke (Art. 16).[62] Die Jagdpächter wurden – wie auch heute noch – zur Vergütung der Wildschäden verpflichtet.Das Gesetz von 1921 lässt klar erkennen, dass die Jagd für das Land (und durch die teilweise Weitergabe der Pachtgebühren) auch für die Gemeinden und Alpgenossenschaften eine interessante Einnahmequelle darstellte. Nur wenige Einheimische waren in der Lage, bei den Versteigerungen erfolgreich mitzubieten.[63]1931 wurde der Liechtensteinische Landes-Jagdschutzverein gegründet.[64] Zwischen 1938 und 1950 scheint er nicht sehr aktiv gewesen zu sein.[65] In seinen Reihen zählte er einige Ausländer, was ihn Ende der 1950er-Jahre in eine schwierige Situation brachte, als einheimische Jagdinteressenten forderten, bei der Neuverpachtung von 1962 stärker berücksichtigt zu werden.[66]B. Formuliertes Initiativbegehren von 1961 zur Änderung des Jagdgesetzes1961 brachten Liechtensteiner Jagdinteressenten ein formuliertes Initiativbegehren ein. Die Initiative verlangte die Änderung des Jagdgesetzes.[67] Die Initianten wollten bei der 1962 fällig werdenden Neuverpachtung der Jagdreviere eine Neueinteilung der Jagdreviere und eine Bevorzugung „der Inländer gegenüber dem Ausländer“.[68]Der Landtag beauftragte am 23. Juni 1961 in seiner ersten Lesung die Regierung mit der Ausarbeitung eines Gegenvorschlages zum ausformulierten Initiativbegehren innert sechs Wochen.[69] Überdies verlangte die Regierung am 27. Juni 1961 ein Gutachten des Staatsgerichtshofes bezüglich der Verfassungsmässigkeit von Art. 7 Abs. 2 der Initiative.[70] Der StGH erklärte Art. 7 Abs. 2 in seinem Gutachten StGH 1961/3 am 27. Juli 1961[71] für verfassungswidrig, weil er mit der Anknüpfung am Wohnsitz[72] eine Verletzung der Rechtsgleichheit zur Folge habe.[73] Die Regierung stellte daraufhin die Verfassungswidrigkeit des Initiativbegehrens fest und beantragte dem Landtag im BuA vom 10. August 1961, S. 7, ebenfalls die Verfassungswidrigkeit festzustellen. Die Regierung führte aus:[74] „Verfassungswidrige Begehren können dem Volke nicht zur Abstimmung vorgelegt werden, da der Landesfürst ja auf die Einhaltung der Verfassung verpflichtet ist, er also bei einer eventuellen Annahme der Vorlage durch das Volk ihr die Sanktion verweigern müsste. Ebenso könnte der Chef der Regierung die nötige Gegenzeichnung nicht vornehmen, da er ja auf die Einhaltung der Verfassung vereidigt ist.“Getreu dem Auftrag des Landtages vom 23. Juni 1961 legte die Regierung mit dem BuA vom 10. August 1961 einen Gegenvorschlag vor. Eine Kommission des Landtages suchte daraufhin das Gespräch mit den Initianten und dem Jagdschutzverein, allerdings ohne Erfolg.[75] In seiner Sitzung vom 5. Oktober 1961 (zweite Lesung) verabschiedete der Landtag die Regierungsvorlage unter Vornahme einzelner Änderungen, die von der Landtags-Kommission[76] und der Regierung[77] beantragt worden waren.[78] Sowohl die Regierung als auch der Landtag wollten dem Anliegen der Initianten „möglichst vielen Liechtensteinern auf nicht allzu teure Art und Weise die Jagd zu ermöglichen“, Rechnung tragen.[79] Im Landtag wurde jedoch darauf hingewiesen, dass es nicht zu einer übermässigen Dezimierung des Wildes kommen dürfe und dass der Landtag nicht ohne Verfassungsänderung auf das Regal (und die damit verbundenen Einnahmen[80]) verzichten könne.[81] Regierung und Landtag gingen davon aus, dass mit der am 5. Oktober 1961 verabschiedeten Gesetzesrevision „ca. 80 Jagdinteressenten die Möglichkeit [hätten], die Jagd auszuüben.“[82] Einstimmig unterwarf der Landtag am 5. Oktober 1961 die Revision der Volksabstimmung.[83] Dieser Beschluss wurde jedoch hinfällig, weil in der Volksabstimmung vom 7./8. Dezember 1961 betreffend Abänderung von Artikel 22 der Verfassung die Initiative der Jagdinteressenten mit einem Mehr von 57 Stimmen angenommen wurde.C. Verfassungsinitiative von 1961 betreffend Revision des JagdgesetzesNachdem der StGH Art. 7 Abs. 2 des ausformulierten Initiativbegehrens am 27. Juli 1961 für verfassungswidrig erklärt hatte und ihm Regierung und Landtag gefolgt waren,[84] wurde am 6. September 1961 aus den Kreisen der Jagdinteressenten[85] ein Initiativbegehren auf Änderung von Art. 22 LV angemeldet. Es wurde mit 1171 Unterschriften versehen am 19. Oktober 1961 eingereicht.[86] Es verlangte folgende neue Formulierung von Art. 22 LV: Der Landtag sprach sich in seiner Sitzung vom 21. November 1961 einhellig gegen das Initiativbegehren aus.[88] Es gelangte am 7./8. Dezember 1961 zur Volksabstimmung und wurde mit einem Mehr von 57 Stimmen angenommen.Fürst Josef II. erklärte am 20. Dezember 1961 vor Regierung, Landtagspräsidium und Pressevertretern, dass und warum[89] er die entsprechende Verfassungsänderung nicht sanktionieren werde.[90] Innert kürzester Zeit wurde ein gemeinsamer (neuer)[91] Antrag von Regierungschef, Landtagspräsident und vizepräsident für die Revision des Jagdgesetzes vorbereitet.[92] Eine Änderung von Art. 22 LV war dabei kein Thema. Sinn und Zweck eines Landesregals waren nicht Gegenstand der Diskussion. Vielmehr ging es wie bei der am 5. Oktober 1961 vom Landtag verabschiedeten Vorlage um eine Anpassung des Jagdgesetzes.D. Revision des Jagdgesetzes im Jahr 1962Im BuA vom 24. Januar 1962 betreffend den Erlass eines neuen Jagdgesetzes war ein Schreiben des Landesfürsten vom 2. Januar 1962 abgedruckt.[93] In diesem Schreiben nahm der Fürst Bezug auf sein Initiativrecht von Art. 64 LV. Er beauftragte die Regierung, „umgehend eine Jagdgesetzvorlage einzureichen“, die vier näher ausgeführte Grundsätze[94] berücksichtigt. Schon am 30. Januar 1962 konnte der Landtag diesen neuen Antrag der Regierung verhandeln.[95] Im Landtag wurden die Zielkonflikte,[96] die sich bei der Regelung der Zuweisung der Jagdreviere (Art. 7 und 8 Jagdgesetz) zeigen, thematisiert.[97] Es handelte sich um die folgenden Probleme:Schliesslich nahm der Landtag in seiner Sitzung vom 30. Januar 1962 die im BuA vom 24. Januar 1962 vorgeschlagene Regelung der Zuweisung der Jagdreviere an. Das von der Gruppe der Jagdinteressenten ergriffene Referendum fand in der Volksabstimmung vom 23./25. Februar 1962 keine Mehrheit. Einen Monat später erfolgte die Neuverpachtung der 19 Jagdreviere. Die im Parlament umstrittene freihändige Vergabe kam nur in vier Revieren zur Anwendung. In allen anderen erhielten die Meistbietenden den Zuschlag.[100]Die 1962 getroffene Regelung für die Zuteilung der Jagdreviere ist – bis auf geringfügige Änderungen in Art. 8 Jagdgesetz über die freihändige Verpachtung[101] – heute noch geltendes Recht. Vor Art. 31 Abs. 3 LV halten Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 Jagdgesetz[102], welche Inländer bei der Verpachtung bevorzugen, stand. Näher zu klären ist hingegen, ob sie mit dem EWR-Recht vereinbar sind.[103]E. Abgelehntes Jagdgesetz von 1984Mit BuA Nr. 33/1984 vom 12. September 1984 unterbreitete die Regierung den Vorschlag für eine Totalrevision des Jagdgesetzes von 1962. Sie begründete ihn mit den in der Zwischenzeit eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen[104] Liechtensteins und mit dem Auftrag, die Lebensräume der Wildtiere zu schützen.[105] An der Zuteilung der Jagdreviere wäre nichts geändert worden.[106]Im Landtag[107] war die Mehrheit der Artikel nicht umstritten. Hingegen herrschte keine Einigkeit, was gegen Wildschäden und was gegen den schlechten Zustand der Wälder[108] unternommen werden sollte und ob das Wild bereits zu stark dezimiert worden war oder im Gegenteil stärker auf die Einhaltung der Abschusspläne gepocht werden müsste.In der auf ein Referendum zurückgehenden Volksabstimmung vom 3. Februar 1985 wurde die vom Landtag ausgearbeitete Vorlage deutlich abgelehnt.F. Geltendes RechtDie Fragen nach der angemessenen Anzahl der verschiedenen Wildtiere[109] und dem besten Schutz des Waldes vor Verbiss[110] und anderen Wildschäden[111] stellen sich bis heute.[112] Die Verfassung lässt dem Gesetzgeber hierbei freie Hand.Gemäss Art. 2 des geltenden Jagdgesetzes verpflichtet die weidgerechte Jagd „zur Hege des Wildes“ sowie zur „Erhaltung und Pflege dessen Lebensraumes unter Bedachtnahme auf die Interessen der Land- und Forstwirtschaft.“ Bei Konflikten zwischen Land- und Forstwirtschaft auf der einen und der Jagd auf der anderen Seite gebührt gemäss Art. 2 Jagdgesetz den Interessen der Land- und Forstwirtschaft der Vorrang. Entsprechend finden die Wildschäden im Wald und an den landwirtschaftlichen Kulturen Eingang in den Abschussplan (Art. 33 Jagdgesetz). Gemäss Art. 47 Abs. 1 Jagdgesetz haben die Jagdgemeinschaften alle Wild-[113] und Jagdschäden zu ersetzen, soweit nicht besondere Vereinbarungen getroffen werden. Im Anschluss an VGH 2005/6 wurde die Tragung der Kosten der Wildschadenverhütung vom Gesetzgeber neu geregelt.[114] Detailliert werden überdies die Pflichten der Jagdaufseher zusammengestellt, die durch die Jagdgemeinschaften[115] bestellt werden (Art. 27 Abs. 1 Jagdgesetz).Die geltenden Bestimmungen über die Jagd lassen den im Laufe der Jahre stärker von ökologischen Gesichtspunkten geprägten Umgang mit den Wildtieren und den Wäldern erkennen.[116] Die „Naturschutz‐ und Jagdplanung in Liechtenstein [lehnt sich] stark an diejenige der Schweiz an (…)“,[117]dies gilt insbesondere für den Umgang mit den Tieren.[118] Ergänzend sei angemerkt, dass die so genannte Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie RL 92/43/EWG[119] nicht in das EWRA übernommen wurde.Demgegenüber unterscheidet sich der Zugang zur Jagd in Liechtenstein bis heute von dem in den meisten Schweizer Kantonen.[120] Während im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bis auf eine Ausnahme alle Schweizer Kantone das Patentsystem kannten,[121] sieht das liechtensteinische Recht die Revierjagd vor.[122] Bei dieser werden die Gebiete an Jagdgesellschaften verpachtet, die das Gebiet daraufhin exklusiv bejagen dürfen. Demgegenüber erlaubt es das Patentsystem jedermann, der gewisse Voraussetzungen erfüllt, im ganzen Kanton auf die Jagd zu gehen.[123] Art. 22 LV macht dem Gesetzgeber keine Vorgaben über das zu wählende System. Er dürfte demnach von der Revierjagd absehen und zu einer Form des Patentsystems mit Jagdlizenzen wechseln.Gemäss Art. 4 Jagdgesetz wird das ganze Staatsgebiet in Jagdreviere[124] eingeteilt, wobei vorgängig die betroffenen Gemeinden, Alpgenossenschaften und Bürgergenossenschaften angehört werden. Die einzelnen Reviere dürfen nicht kleiner als 500 ha und in der Regel nicht grösser als 1500 ha sein. Die Zuweisung der Reviere erfolgt durch öffentliche Versteigerung[125] an Gruppen von mindestens vier Personen[126] (Art. 5 Abs. 1 Jagdgesetz),[127] es sei denn, es erfolge eine freihändige Verpachtung gestützt auf Art. 8 Jagdgesetz.[128] Die Pachtperioden werden von der Regierung[129] festgesetzt, wobei die Pachtdauer zwischen acht und zehn Jahren liegt (Art. 5 Abs. 2 Jagdgesetz).[130] Ebenso ist es an der Regierung, den so genannten Jagdwert festzulegen (Art. 6 Abs. 2 Jagdgesetz).Wer in Liechtenstein die Jagd ausübt, muss Inhaber einer liechtensteinischen Jagdkarte sein (Art. 22 Jagdgesetz).[131] Voraussetzung hierfür ist insbesondere das Ablegen einer Eignungsprüfung (Art. 23 Abs. 1 lit. b Jagdgesetz).Der Rechenschaftsbericht listet für das Jahr 2016 Einnahmen[132] aus Jagdabgabe (97‘000 Fr.), Jagdkarten (18‘000 Fr.), Rückbehalt Jagdpachtschilling (180‘000 Fr.)[133] und Jagdprüfungen (20‘000 Fr.) auf.[134] Das Statistische Jahrbuch nennt die Anzahl erlegter Tiere.[135]Die Vereinigungen der Jäger werden im Jagdgesetz nicht erwähnt. Entsprechend werden ihnen vom Gesetz auch keine Aufgaben übertragen. Bei der „Liechtensteiner Jägerschaft“[136] handelt sich um einen Verein gemäss PGR. Die Mitgliedschaft hängt nicht davon ab, ob die betreffende Person Pächter oder Mitpächter eines Jagdreviers ist. Abgestellt wird vielmehr darauf, ob die Interessenten die Voraussetzungen für die Jagdkarte[137] erfüllen.[138] Für die Pächter und Mitpächter eines Jagdreviers ist die Mitgliedschaft in Verein Liechtensteiner Jägerschaft nicht obligatorisch. Sie haben vor ein paar Jahren die „Vereinigung Liechtensteiner Jagdpächter“ gegründet.Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen hiergegen keine Einwände. Art. 22 LV macht keine Vorgaben zur Organisation der Jäger. Hält auch der Gesetzgeber eine solche nicht für notwendig, so kann sie unterbleiben.IV. Die gesetzliche Regelung der FischereiA. Regelung bis 1990Ergänzt wurde das Fischereigesetz von 1869[139] durch die Verordnung vom 21. Juli 1920 betreffend die Angelfischerei im Rhein, welche das Angeln im Rhein bewilligungs- und gebührenpflichtig erklärte.[140] Im Januar 1922 wurde das Gesetz betreffend die Einführung von Fischereikarten erlassen.[141] Es regelte die Abgabe der Fischereikarten. Sie legitimierten zum Fischen während einer Dauer von einem Monat bis zu drei Jahren in einem oder mehreren Fischereibezirken. Das Gesetz legte überdies die Gebühr fest. Für Ausländer galt ein Zuschlag von 50%. Die Gebühren wurden 1942 angepasst, wobei kein Unterschied mehr gemacht wurde zwischen In- und Ausländern.[142] Ab 1942 konnten neu auch Karten für lediglich 1-2 Tage bezogen werden. Diese Fischereikarten ergänzten das System der im Fischereigesetz vorgesehenen Pacht. Die Fischereipächter hatten keine Gebühren für Fischereikarten zu entrichten, hingegen ihre Mitpächter.[143] Mit der Verordnung vom 5. Juli 1951 betreffend die Fischereikarten[144] wurden Karten mit neuer Gültigkeitsdauer ausgegeben und die Gebühren geändert.Der Fischereiverein Liechtenstein wurde 1953 gegründet. Bis dahin waren die Gewässer meist von begüterten Einzelpersonen gepachtet worden.[145] Ab 1953 trat der Fischereiverein als Pächter in Erscheinung. Dies fand weder im Gesetz vom 3. Oktober 1954 über die Fischereikarten[146] noch im Fischerei-Gesetz vom 16. November 1869[147] seinen Niederschlag, obwohl dem Verein ca. zwei Drittel der Reviere freihändig verpachtet wurden und nur noch ca. ein Drittel zur öffentlichen Versteigerung gelangte.[148] Heute ist der Fischereiverein Pächter sämtlicher Gewässer.[149]1953 waren 91 Fischereikarten ausgegeben worden, wobei 53 auf nicht in Liechtenstein wohnhafte Ausländer entfielen. Dabei – so wurde es zumindest im Landtag behauptet[150] – hatten Liechtensteiner, in Liechtenstein wohnhafte Ausländer und Ausländer mit Wohnsitz im Ausland denselben Betrag zu entrichten.[151] Eine Gesetzesinitiative verlangte deshalb 1954 eine Einschränkung für die im Ausland wohnhaften Ausländer (kürzere Gültigkeitsdauer der Fischereikarte, höhere Gebühr).[152] Überdies wurde auch eine faire Behandlung der auf mehrere Jahre gebundenen Pächter gefordert. Der Landtag formulierte die Initiative geringfügig um. Sie wurde in der Volksabstimmung vom 3. Oktober 1954 angenommen.[153] Neu erfolgte gemäss Gesetz vom 3. Oktober 1954 über die Fischereikarten[154] für Ausländer ohne dauernden Wohnsitz in Liechtenstein eine Beschränkung auf höchstens zweimal sieben Tage plus ein Zuschlag von 50% auf die Gebühren.[155]B. Regelung seit 1990Das Fischereigesetz vom 16. Mai 1990[156] vereinigte das Fischereigesetz von 1869 und die Gesetze über die Fischereikarten in einem einzigen Erlass. Es hat gleich wie sein Vorgänger den Schutz der Fische, Krebse und Fischnährtiere sowie ihrer Lebensräume zum Ziel. Das Regal des Landes (im Gesetz „Recht der Fischerei“ genannt) erstreckt sich gemäss Art. 3 Abs. 1 Fischereigesetz auf alle öffentlichen Gewässer, es sei denn, Berechtigte könnten ein anderslautendes Sonderrecht nachweisen. Die Fischereiberechtigung wird mittels Verpachtung für mehrere Jahre verliehen und mittels Fischereikarten für eine Dauer von einem Tag bis zu einem Jahr (Art. 5 und Art. 7 Abs. 2 Fischereigesetz). Für die Verpachtung werden gemäss Art. 6 dritter Satz Fischereigesetz Vereine bevorzugt, die einer „angemessenen Zahl von Fischern die Fischerei ermöglichen“. Zur Pacht sind gemäss Art. 6 erster Satz Fischereigesetz nur Inländer zugelassen. Aus der Verordnung (Art. 3 FischV) ergibt sich,[157] dass sämtliche Gewässer ein einziges Pachtgebiet bilden.In der Tat erfolgt die Verpachtung seit Jahren an den Fischereiverein Liechtenstein. Gestützt auf Art. 6 Abs. 3 FischV gibt der Fischereiverein die Fischereikarten ab. Gemäss seinen Statuten nimmt er nur Liechtensteiner und Ausländer mit Niederlassung und Wohnsitz in Liechtenstein als Mitglied auf. Personen mit Wohnsitz im Ausland können für bis zu sechs Tage pro Jahr gegen Gebührenzuschlag Fischereikarten erhalten.[158] Verlangt werden für In- und Ausländer die nötigen Fachkenntnisse (Art. 5 Abs. 2 Fischereigesetz).Das Fischereigesetz enthält des weiteren Vorgaben bezüglich Fang der Fische.[159] Es regelt die Aufsicht über die Fischerei und enthält Grundlagen für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Wassertiere.C. ZwischenfazitAngesichts dessen, dass die Verfassung in Art. 21 LV das Hoheitsrecht über die Gewässer dem Land zuweist und die Fischerei seit 1849 ein Landesregal darstellt, was Art. 22 LV zum Ausdruck bringt, ist der beschränkte Zugang zur Fischerei grundsätzlich nicht zu kritisieren.[160] Ebenso wenig, dass nicht separate Erlasse für das als Hobby betriebene Angeln und für die Berufsfischerei erlassen wurden. Indem die Verfassung die historisch gewachsenen Regale weiterführt, schliesst sie die Anwendung der Handels- und Gewerbefreiheit für die betroffenen Tätigkeiten explizit aus.[161] Sie erlaubt es damit dem Land, im betreffenden Bereich Einnahmen zu generieren.[162]Ein Regal verpflichtet das Land jedoch nicht, möglichst hohe Einnahmen durch die Nutzung zu erzielen. Dass die Verordnung (Art. 3 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 1 FischV) den Pachtzins verhältnismässig tief ansetzt,[163] verstösst demnach nicht gegen die Verfassung. Dies gilt umso mehr, als Gesetz und Verordnung dem Fischereiverein als Pächter verschiedene Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen, zuweisen. Auch aus anderen Gründen, insbesondere Umweltschutz, kann es für das Land angezeigt sein, Beschränkungen in der Nutzung vorzusehen und damit auf Einnahmen zu verzichten.[164]V. Vorgaben für Jagd und FischereiA. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Jagd und FischereiArt. 22 LV gibt nicht vor, welche Personen (z.B. Einzelpersonen, Vereine oder öffentlich-rechtliche Institutionen) mit welchen Eigenschaften (z.B. liechtensteinische Staatsangehörigkeit, Wohnsitz in Liechtenstein, kein Bezug zu Liechtenstein) in welchem Verfahren zur Jagd und zur Fischerei zugelassen werden sollen. Ebenso wenig sagt Art. 22 LV, ob das Reviersystem oder die Patentjagd zu bevorzugen ist. Entsprechend gross ist die Freiheit des Gesetzgebers.Die Gewässer sind dem (privatrechtlich organisierten) Fischereiverein Liechtenstein verpachtet.[165] Dies hat unter anderem zur Folge, dass die Einnahmen des Landes aus der Verpachtung moderat sind.[166] Andererseits hat es für das Land den Vorteil, dass er einem einzigen, gut organisierten Partner gegenüber steht, der den öffentlichen Interessen insbesondere aus dem Bereich des Umweltschutzes die notwendige Beachtung schenkt. Entsprechend übertragen Gesetz und Verordnung dem Verein verschiedene Aufgaben.[167]Demgegenüber werden die 18 Jagdreviere an Jagdgemeinschaften verpachtet, die ihrerseits aus je mindestens vier Personen zusammengesetzt sind. Da das Eigentum an den Grundstücken, die zusammen ein Jagdrevier bilden, in verschiedenen Händen liegt (Gemeinden, Bürgergenossenschaften, Alpgenossenschaften, Private), wirkt an der Verpachtung jeweils eine grössere Anzahl Akteure mit.B. Schutz der BiodiversitätBetrachtet man die Forderungen nach Freigabe der Jagd respektive nach einem erleichterten Zugang zur Jagdpacht, so wird deutlich, dass 1921 nicht der Schutz der Wildtiere und ihrer natürlichen Lebensräume im Vordergrund stand. Dies schliesst jedoch nicht aus, die Erhaltung und wo nötig Förderung der Biodiversität heute als wichtige staatliche Aufgabe anzuerkennen und ihr bei der Ausgestaltung der Vorgaben für Jagd, Fischerei, Bergbau, Landwirtschaft, Siedlungsbau etc. Rechnung zu tragen. Liechtenstein hat denn auch entsprechende Übereinkommen unterzeichnet.[168]Dass die Verfassung keine Bestimmung über den Umweltschutz und die Förderung der natürlichen Lebensgrundlagen enthält, bedeutet nicht, dass dem Staat die Hände gebunden wären.[169] Er hat – unter Wahrung der Rechte der Betroffenen – jederzeit das Recht, eine gesetzliche Regelung vorzunehmen und entsprechende Aktivitäten zu entfalten. Dass Art. 22 LV die Jagd und die Fischerei erwähnt, bedeutet nicht, dass sie jederzeit in einem bestimmten Umfang möglich sein müssen. Im Gegenteil. Indem Art. 22 LV die Tradition der Landesregale fortsetzt, bringt die Verfassung ausdrücklich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber alle ihm notwendig erscheinenden Entscheide treffen soll. Überdies erwähnt Art. 22 LV mit der Nennung der Interessen der Landwirtschaft und mit den Gemeindefinanzen bereits Anliegen, welche in die Interessenabwägung einbezogen werden müssen.Gemäss dem Nationalen Bericht zur Umsetzung des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt[170] stellen in Liechtenstein die „Zerstörung von Lebensräumen durch die Zunahme von Siedlungsflächen und Infrastrukturen“ und die „intensivere Freizeit und Erholungsnutzung“ die grösste Bedrohung für die Biodiversität dar.[171] Ein weiteres Problem sind die gebietsfremden Arten (Neophythen).[172]C. Schutz der Interessen der LandwirtschaftAus den Materialien geht nicht hervor, an welche konkreten „Interessen der Landwirtschaft“ beim Erlass der Verfassungsbestimmung gedacht wurde. Sicher ist wegen des Wortlautes nur, dass es dabei nicht um den Schutz einzelner Landwirte gehen kann. Wenn Art. 2 zweiter Satz Jagdgesetz[173] sagt: „Im Widerstreit der Interessen zwischen Land- und Forstwirtschaft und der Jagd gebührt jenen der Land- und Forstwirtschaft der Vorrang“, so setzt dies die Vorgabe von Art. 22 LV, die Interessen der Landwirtschaft zu achten, korrekt um, ist aber gleichfalls wenig aussagekräftig.Interessen von Landwirten sind sicher dann betroffen, wenn Wildtiere ihre Kulturen zerstören oder auf Nutztiere übertragbare Krankheiten einschleppen oder wenn der Landwirtschaftsbetrieb Tiere verliert, weil sie gerissen oder zu Tode gehetzt werden. In diesen Konstellationen liegt jedoch nicht zwingend ein Konflikt zwischen Landwirtschaft und Jägerschaft vor. Sind sich Jäger und Landwirte einig, dass Wildtiere mit schädigendem Potential aus dem betreffenden Gebiet entfernt werden sollen, so manifestiert sich der Konflikt eher zwischen den Interessen der Landwirte und dem Schutz frei lebender Tiere. Anders sähe es aus, wenn durch die Jagd Wildtiere über Felder getrieben würden oder sich Jäger weigern würden, die im Abschussplan vorgesehen Anzahl Wildtiere zu erlegen.Ob und wie viele Wildtiere in welchen Gegenden beheimatet sein sollen, in welchem Umfang durch Wildtiere entstandene Schäden ersetzt werden und ob eine naturnahe Landwirtschaft mit Sömmerung auf den Alpweiden gefördert werden soll, beantwortet nicht Art. 22 LV, sondern bedarf einer Abwägung der Interessen, insbesondere der verschiedenen Zweige der Landwirtschaft und von Tier- und Umweltschutz. Art. 22 LV kommt damit lediglich eine eingeschränkte Bedeutung zu: Nämlich den Gesetzgeber daran zu erinnern, dass das Land trotz der Regalrechte und des Rechts, einschlägige Regeln zu erlassen, diese nur in Abstimmung mit anderen Interessen wie eben denen der Landwirtschaft ausüben darf. Art. 22 LV bekräftigt damit Art. 20 Abs. 1 LV, der die Förderung der Land- und Alpwirtschaft ausdrücklich verlangt.D. Schutz der finanziellen Interessen der GemeindenBereits gestützt auf das Jagdgesetz von 1921[174] wurde die Hälfte der Einnahmen aus dem Jagdpachtschilling an die Gemeinden weitergeleitet. Insofern partizipieren die Gemeindefinanzen an den Erträgen aus der Verpachtung der Jagdreviere. Es stellt sich die Frage, ob damit der Vorgabe von Art. 22 LV Genüge getan wird. Art. 22 LV verweist ausdrücklich nur auf die finanziellen Interessen der Gemeinden. Um solche handelt es sich z.B. auch, wenn eine Gemeinde zur Werbung als Tourismusort darauf angewiesen ist, dass eine Mindestzahl Murmeltiere, Adler oder Steinböcke beobachtet werden kann. Art. 22 LV wird deshalb meines Erachtens nicht nur dann erfüllt, wenn die Gemeinden an den Einnahmen aus der Verpachtung der Jagdreviere partizipieren. Art. 22 LV verlangt nämlich nicht, dass die Gemeinden eine Zahlung erhalten. Es genügt, dass finanzieller Schaden von den Gemeinden abgewehrt wird. Dies kann z.B. auch dadurch erfolgen, dass der Gesetzgeber die Jäger verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Wildtiere nicht ins Siedlungsgebiet eindringen. Indem der Verfassungstext ausdrücklich auf die „Erlassung von Gesetzen“ hinweist, bringt er zum Ausdruck, dass dem Gesetzgeber bei der Wahl der Mittel, wie er zur Schonung der Gemeindefinanzen beiträgt, ein grosses Ermessen zusteht. Anders als die Gemeinden können die Alpgenossenschaften aus Art. 22 LV keine Ansprüche ableiten.[175]VI. Das BergregalDas Bergwesen wurde erst durch die Verfassungskommission zu einem Gegenstand der Verfassungsgebung. Die Beschlüsse der Verfassungskommission lauteten: „In § 22 wird nach dem Worte „Fischerei“ eingesetzt „und Bergwesen.““ Josef Peer führte am 18. April 1921 zu diesem Ergebnis der Kommissionsberatungen aus:[176] „§ 22 Die Einschaltung „und Bergwesen“ mag zwar für heute noch nicht aktuell erscheinen, könnte es aber in der Folge werden.“Gipsabbau war seit dem 18. Jahrhundert bis um 1890 in Liechtenstein betrieben worden.[177] Es brauchte hierzu bis 1871 eine Konzession.[178] Daneben existierten und existieren mehrere Steinbrüche.[179] Bis zum heutigen Tag hat der Gesetzgeber jedoch keine gesetzgeberischen Aktivitäten bezüglich der Gewinnung von Mineralien entwickelt, wohl mangels entsprechender Funde von Gold, Silber oder von Erzen.[180] Traditionell erstreckt sich das Bergregal nämlich nur auf die bergmännisch gewonnenen Mineralien,[181] nicht auf die im Steinbruch gewonnenen Steine oder auf Naturprodukte wie Kies, Sand, Lehm oder Torf. Mangels Ausführungen in den Materialien und wegen der Nennung zusammen mit den historischen Regalen bezüglich Fischerei und Jagd ist davon auszugehen, dass mit „Bergwesen“ nur die Gewinnung von Mineralien gemeint ist.VII. Das SalzregalDas Salzregal gehört wie Jagd, Fischerei und Bergregal zu den traditionellen Regalen.[182] Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bezog Liechtenstein das Salz aus Österreich, wobei die vereinbarten Liefermengen die Nachfrage häufig nicht zu decken vermochten.[183] Salz war nicht zuletzt wichtig für die Konservierung von Lebensmitteln und für das Vieh. Entsprechend wurde im Rahmen der Aushandlung des Zollvertrages mit der Schweiz ab 1920 auch über den Bezug des Salzes aus der Schweiz gesprochen.[184]Das Gesetz vom 10. Mai 1924 betreffend das Salzmonopol[185] gestattete einzig dem Staat den Salzverkauf und die Errichtung von Salzlagern. Die Einwohner wurden verpflichtet, das Salz im Lande einzukaufen.[186] Damit wurde nichts Neues bestimmt, gab es doch bereits im 19. Jahrhundert Vorgaben über den Bezug des Salzes und mit der Salzsteuer eine Abgabe. Abgelöst wurde das Gesetz von 1924 durch das Gesetz vom 12. September 1990 über das Salzmonopol[187]. Es erfüllt noch immer denselben Zweck, nämlich dem Staat das Recht vorzubehalten, Salz zu verkaufen und die Monopolgebühren aus dem Salzverkauf einzustreichen. Seit 1995 liefert es die Grundlage für die Beteiligung des Landes an Salinen. Liechtenstein hält nämlich seit dem Jahr 1990 Aktien an den „Schweizer Salinen AG“, die sich vollständig im Eigentum der Kantone und Liechtensteins befinden.[188] In den letzten Jahren argumentierten die Kantone zur Aufrechterhaltung des Salzmonopols vor allem mit der Budgetsicherheit und der garantierten Versorgung mit Auftausalz in Extremwintern.[189] Überdies erhalten Liechtenstein und die Kantone jährlich einen Anteil aus der Regalgebühren-Verteilung.Anlässlich des EWR-Beitritts musste das Gesetz über das Salzmonopol ergänzt werden[190] um Regeln für Salz, Salzgemische und Sole mit EWR-Ursprung in einem Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes. Gemäss Protokoll 8 zum EWRA [über staatliche Monopole] findet Art. 16 EWRA Anwendung auf „das liechtensteinische Salz- und Schiesspulvermonopol“. Dies hindert nicht, dass auch auf den aus einem EWR-Staat bezogenen Salz die Salzsteuer erhoben wird.[191]VIII. Verpflichtungen aus VölkerrechtA. EuroparechtJagd, Fischerei und Bergbau betreffen natürliche Ressourcen. Die Vorgabe von Art. 16 EWRA[192], dass bei allen staatlichen Handelsmonopolen jede Diskriminierung zwischen den Angehörigen der EG-Mitgliedstaaten und der EFTA-Staaten ausgeschlossen sein muss, gilt für alle Arten von Monopolen. Monopole an natürlichen Ressourcen sind vom Prinzip der Nicht-Diskriminierung nicht ausgeschlossen.[193]1. Unzulässige HandelsmonopoleDie Vorgaben bezüglich Monopole sind im EWR-Recht dieselben wie in der EU.[194] Sie schliessen nicht aus, dass die öffentliche Hand Eigentümerin natürlicher Ressourcen ist.[195] Art. 125 EWRA[196] überlässt nämlich die „wirtschaftspolitisch motivierte Eigentumszuordnung in private oder öffentliche Trägerschaft“ den einzelnen Mitgliedstaaten.[197] Entscheidet sich ein Staat dazu, dass natürliche Ressourcen (im betreffenden Fall ging es um die Nutzung der Wasserkraft) im Eigentum öffentlicher Unternehmen stehen, darf dieses Ziel angestrebt werden, solange dies in einer nicht diskriminierenden Art und Weise und mit angemessenen Mitteln erfolgt.[198]Indem Protokoll 8 über die staatlichen Monopole Art. 16 EWRA ausdrücklich das liechtensteinische Salz- und Schiesspulvermonopol für anwendbar erklärt, wird offensichtlich, dass die aus historischen Gründen an natürlichen Ressourcen bestehenden Monopole durch den EWR-Beitritt nicht hinfällig wurden. Sie müssen jedoch wettbewerbskonform ausgestaltet werden, um der Grundregel des freien Warenverkehrs Genüge zu leisten.[199] Dies ist mit dem Erlass des Gesetzes über den Bezug von Salz in den Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes[200] geschehen. Es ermöglicht den Bezug von Salz, Salzgemischen und Sole aus Mitgliedstaaten des EWR.[201] Die abzuliefernde Salzsteuer ist gleich hoch wie bei einem Bezug über die im Gesetz vom 12. September 1990 über das Salzmonopol[202] angegebenen Bezugsstellen.Die gestützt auf Art. 22 LV getroffenen Regelungen betreffend Jagd und Fischerei fallen demgegenüber nicht unter Art. 16 EWRA. Sie haben weder die Ein- noch die Ausfuhr von Waren zum Gegenstand.[203] Protokoll 9 zum EWRA [über den Handel mit Fisch und anderen Meereserzeugnissen][204] trifft Regeln für Einfuhrbeschränkungen, Einfuhrzölle, Abgaben, staatliche Beihilfen.[205] Art. 22 LV macht jedoch keine Vorgaben für den Handel mit Fisch, sondern hält fest, wer (nämlich der Staat) über die Nutzung der Früchte der einheimischen Gewässer und Wälder bestimmt.2. Unzulässige Einschränkungen im Zugang zu DienstleistungenWie in Kapitel III.B ausgeführt, wird in Liechtenstein beim Zugang zur Fischerei unterschieden zwischen Personen mit Wohnsitz in Liechtenstein und anderen Personen. Auch das Jagdgesetz[206] weist Ausländern mit Wohnsitz im Ausland eine schlechtere Position zu als Inländern. Es soll nun geprüft werden, ob diese Einschränkungen vor dem EWR-Recht standhalten.Das Landesabgabenamt für Vorarlberg hatte 2007 von zwei Schweizer Bürgern mit Wohnsitz in der Schweiz für den von ihnen abgeschlossenen Jagdpachtvertrag eine höhere Jagdabgabe verlangt als für Angehörige der Mitgliedstaaten der EU. Vor Gericht brachten die beiden Jäger vor, es handle sich bei ihrer Jagd um eine wirtschaftliche Tätigkeit. Das von ihnen geschossene Wild werde in Österreich verkauft. Darauf ging der EuGH (Rechtssache C-70/09, Hengartner und Gasser) nicht näher ein. Vielmehr betraf seiner Meinung nach der Pachtvertrag eine Dienstleistung mit grenzüberschreitendem Charakter. Folglich bezeichnete der EuGH die Beschwerdeführer als „Empfänger einer Dienstleistung“, die „darin besteht, dass ihnen gegen Entgelt in einem bestimmten Gebiet befristet die Nutzung eines Jagdrechts eingeräumt wird“.[207]Zum selben Ergebnis kam der EuGH in der Rechtssache C-451/06, Walderdorff, betreffend der Verpachtung von Fischereirechten im Waldviertel (Österreich), und zwar sowohl bezüglich des Rechts zu fischen, welches der Verpächterin gestützt auf ihre Stellung als Grundeigentümerin zukam, als auch bezüglich des Rechts zur Ausübung der Fischerei „in einem im öffentlichen Gut befindlichen Fischereirevier“, an dem die Verpächterin „ein im Fischereikataster eingetragenes Fischereirecht“ hatte.[208] Bereits in der Rechtssache C-97/98, Jägerskiöld, hatte der EuGH das Zurverfügungstellen von Gewässern gegen Entgelt als Dienstleistung qualifziert.[209]Würde es sich bei der von den Interessenten angestrebten Fischerei und Jagd um eine Erwerbstätigkeit handeln,[210] wäre die Niederlassungsfreiheit zu berücksichtigen.[211] Die Berechtigung, in Liechtenstein der Jagd nachzugehen oder zu fischen, ermöglicht jedoch gemäss geltendem Recht keine stabile und kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben.[212]Im EuGH-Urteil C-70/09 zur Jagdabgabe in Vorarlberg war das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz anzuwenden. Es enthält „keine spezifische Regelung, wonach Dienstleistungsempfängern der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Rahmen der Anwendung fiskalischer Regelungen über gewerbliche Transaktionen, die eine Dienstleistung zum Gegenstand haben, zugutekommt.“[213] Der EuGH schützte deshalb die Ungleichbehandlung der beiden Schweizer. Für die dem damaligen Recht Vorarlbergs ähnlichen liechtensteinischen Regelungen müsste der EFTA-Gerichtshof bezogen auf Jäger und Fischer aus dem EWR-Raum, für den die Bestimmungen über den Binnenmarkt gelten,[214] zu einem anderen Resultat kommen. Art. 36 EWRA garantiert nämlich die Dienstleistungsfreiheit.Wie in Kapitel I.A ausgeführt, dürfen Regalien von Verfassungs wegen zur Erzielung von Einnahmen eingesetzt werden. Dem steht auch das Europarecht nicht entgegen. Hingegen können ökonomische Gründe nicht zur Legitimation von Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit gegenüber Angehörigen anderer EWR-Staaten angeführt werden.[215] Sind mit anderen öffentlichen Interessen begründete Einschränkungen zusätzlich ökonomisch motiviert, steht dies ihrer Zulässigkeit hingegen nicht entgegen.Meines Erachtens stellen die Ungleichbehandlungen bei der Versteigerung der Jagdreviere, bei der freihändigen Verpachtung und der Mitpacht eine Verletzung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Art. 7 Abs. 3 Jagdgesetz, der Ausländer, deren Heimatstaat gegenüber der Regierung eine Gegenrechtserklärung abgegeben hat, den liechtensteinischen Landesbürgern gleichstellt, kommt faktisch keine Bedeutung mehr zu. Angehörige von EWR-Mitgliedstaaten können sich direkt auf die Freiheiten des EWR-Abkommens berufen.Unzulässig ist auch der Gebührenzuschlag für die Fischereikarten für Personen mit Wohnsitz im Ausland. Solange der Fischereiverein Liechtenstein gestützt auf Art. 3 Abs. 1 FischV einziger Pächter sämtlicher Fischgewässer ist und Personen ohne Mitgliedschaft in einem Fischereiverband lediglich Fischereikarten für sechs Tage pro Jahr erhalten (Art. 7 Abs. 3 Fischereigesetz), darf Angehörigen von EWR-Mitgliedstaaten der Beitritt zum Verein nicht per se verweigert werden.Wie der EFTA-Gerichtshof in Rs E-02/06 darlegte, können bezüglich der Nutzung von natürlichen Ressourcen der Eigentümerschaft, welche die Energiegewinnung vornimmt, aus Gründen des Umweltschutzes und der Sicherheit der Energieversorgung Vorgaben gemacht werden.[216] Die Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit, mit denen private Eigentümer bei der Nutzung natürlicher Ressourcen schlechter gestellt werden als Unternehmen der öffentlichen Hand, müssen jedoch geeignet und verhältnismässig sein.[217] Dasselbe gilt für eine Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs. Dass die Kontrolle über ausländische Jäger und Fischer administrativ aufwendiger ist, stellt keinen Rechtfertigungsgrund dar.[218] Ebenso wenig könnte vorgebracht werden, dass Jäger oder Fischer mit Wohnsitz im Ausland weniger sorgfältig vorgehen oder den Forderungen des Umweltschutzes weniger engagiert nachleben als Einheimische.[219]B. Weitere grenzüberschreitende ZusammenarbeitGemäss dem Zollvertrag vom 29. März 1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein (Anlage I, Buchstabe B)[220] waren in Liechtenstein verschiedene Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1888 betreffend die Fischerei samt Vollzugsverordnung vom 3. Juni 1889 und des Bundesgesetz vom 24. Juni 1904 über Jagd und Vogelschutz und seiner Vollziehungsverordnung anzuwenden. Noch heute finden gestützt auf den Zollvertrag Bestimmungen des schweizerischen Jagdgesetzes[221] und der Jagdverordnung[222] in Liechtenstein Anwendung.[223] Hingegen findet sich in der Gesetzessammlung LILEX kein Staatsvertrag, der die Fischerei im Rhein zum Gegenstand hat.[224]Das Amt für Umwelt arbeitet in der Internationalen Bevollmächtigten Konferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) mit. Dieser Zusammenschluss von Baden-Württemberg, Bayern, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz dient zur Festlegung gleichartiger Regelungen zur Ausübung der Berufsfischerei und der Angelfischerei auf der Grundlage gemeinsamer Bewirtschaftungsgrundsätze und Beschlüsse.[225] Er findet seine Grundlage in der so genannten Bregenzer Übereinkunft von 1893.[226]Bezüglich der Vielfalt der in Liechtenstein anzutreffenden Fischarten sieht es nicht gut aus.[227] Dies ist jedoch nicht auf eine Überfischung zurückzuführen, sondern auf die ökomorphologische Beeinträchtigung der Gewässer.[228] Probleme zeigen sich auch in vielen Wäldern. Vor allem junge Bäume in höheren Lagen sind von Verbiss betroffen. Zwischen Jägern und Förstern besteht keine Einigkeit, wie die durch das Wild angerichteten Schäden einzudämmen sind. Ebenso fehlt es bis jetzt an einem grenzüberschreitenden Konzept von Österreich, Liechtenstein und der Schweiz im Umgang mit dem Wild, das sich seinerseits durch Staatsgrenzen nicht irritieren lässt. |
Die Regelung des Münz- und öffentlichen Kreditwesens ist Sache des Staates. The currency and public credit system shall be regulated by the State. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeines und EntstehungsgeschichteA. Allgemeine BemerkungenArt. 23 LV betrifft wichtige Aspekte für die liechtensteinische Volkswirtschaft, nämlich das Geld- und Währungswesen sowie Kredite und Banken.[1] Wie die Materialien zeigen, wurden die Regelungen für Geldwesen, Zölle und Steuern in einem Atemzug diskutiert. Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck hatte in Art. 11a die Hoheit über das Münzwesen noch zusammen mit einer gerechten Steuergesetzgebung genannt. In der definitiven Version der Verfassung finden sich die Grundsätze für die Besteuerung in einem eigenen Artikel wieder (Art. 24 LV).Die enge wirtschaftliche Verzahnung mit der Schweiz aufgrund von Zollanschlussvertrag, Währungsvertrag und Börsenkotierung mehrerer liechtensteinischer Firmen an der SIX Swiss Exchange[2] sowie die Einbindung Liechtensteins in Europa via EWR haben in der Verfassung keinen Niederschlag gefunden. Ebenso lässt sie die Bedeutung des Finanzmarktes für Liechtenstein nicht erahnen. Es fehlt der Verfassung – wie sich am Beispiel von Art. 23 LV in besonderem Masse zeigt – an Gestaltungskraft für das wirtschaftliche Handeln von Staat und Privaten.B. EntstehungsgeschichteWährungs- und Wirtschaftspolitik waren kein Thema der Konstitutionellen Verfassung von 1862. Es fand sich kein Hinweis auf den 1852 erfolgten Beitritt zum österreichischen Zoll- und Steuergebiet (sog. Zollvertrag mit Österreich)[3] , der den freien Warenverkehr zwischen Liechtenstein und Österreich ermöglichte (siehe insbesondere Art. 9 Zollvertrag) und Liechtenstein verpflichtete (Art. 12 Zollvertrag), das österreichische Münzsystem zu übernehmen.[4] Ebenso ging aus der KonV nicht hervor, dass Liechtenstein per 1. Januar 1859 die österreichische Währung zur Landeswährung erklärt hatte. Obwohl Liechtenstein 1876 seine Währungshoheit zurückerhielt, verfügte es bis auf das Notgeld der 1920er-Jahre, das als Ergänzung zu den im Umlauf befindlichen österreichischen Kronen und Schweizer Franken diente, nie über eine eigene Währung.[5]Gestützt auf einen Landtagsbeschluss kündigte Prinz Eduard im Auftrag der Regierung mit Schreiben vom 12. August 1919 den Zollvertrag auf. Als Begründung brachte er vor, „dass dem Fürstentume die aus dem Zollvertrage gebührenden Einnahmen eine Zeit lang gar nicht zuflossen und in letzter Zeit nur in dem garantierten Mindestausmasse zukommen, während der gleiche Vertrag dem Lande nicht nur eine 350%ige Erhöhung der Zölle, sondern auch eine sehr fühlbare Erhöhung der Verzehrungssteuer und die gleichzeitige Münzunion eine furchtbare Devalierung seiner Valuta eingebracht hat (…)“.[6] Der Zollanschlussvertrag mit der Schweiz[7] wurde nach längeren Verhandlungen erst 1923, also nach Inkrafttreten der Verfassung von 1921, unterzeichnet.[8] Der Währungsvertrag[9] wurde sogar erst 1980 geschlossen.[10]Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck fasste sich betreffend der Materien der heutigen Art. 23 und 24 LV kurz. Art. 11a Verfassungsentwurf Beck lautete: „Das Land übt die Hoheit über das Münzwesen aus, sorgt für eine gerechte Steuergesetzgebung.“ Art. 12a konkretisierte die Grundsätze der gerechten Steuergesetzgebung. Banken, Kredite und das Finanzwesen wurden nicht erwähnt.In den Schlossabmachungen vom September 1920 wurden Zölle, Geldwesen, Währung, Steuern und die Staatsfinanzen wiederum gemeinsam erwähnt, nicht aber das Kreditwesen. Die Formulierung in Ziff. 9[11] nahm nicht den später in der Verfassung anzutreffenden Wortlaut vorweg. Vielmehr hielt sie die Notwendigkeit fest, rasch eine Klärung der offiziellen Währung Liechtensteins und eine Senkung der Zölle herbeizuführen.[12] 1919 informierte sich die Regierung über die Möglichkeit, eine eigene Währung einzuführen. Sie holte überdies bei einem Schweizer Experten und einem österreichischen Beamten Gutachten zum Wechsel auf Schweizer Franken ein.[13] Die schwierigste Frage war, zu welchem Kurs die Kronen in Franken umgetauscht worden sollten.[14] Das Thema wurde auch in der Öffentlichkeit rege diskutiert.[15]In der Regierungsvorlage von Januar und März 1921 wurden die Themen Geldwesen und Steuern auf zwei Artikel verteilt. § 23 RV lautete in beiden Fassungen: „Die Regelung des Münzwesens ist Sache des Staates.“ Erst die Verfassungskommission ergänzte § 23 RV und schlug vor: „Die Regelung des Münz- und öffentlichen Kreditwesens ist Sache des Staates.“ Eine Begründung für die Umformulierung wurde nicht genannt. Josef Peer führte zu den Ergebnissen der Kommissionsberatungen am 18. April 1921 aus[16]: „Die beantragte Änderung nimmt darauf Bedacht, dass im Laufe der Zeit auch Papiergeld, öffentliche Schuldtitel u.s.w. in Umlauf gesetzt werden könnten.“[17] Bei der Verabschiedung der Verfassung durch den Landtag im August 1921 gab § 23 zu keinen Bemerkungen Anlass.[18] Art. 23 LV wurde seither nie geändert.II. Geld- und WährungswesenA. Historische Entwicklung: Von der österreichischen Währung zum Schweizer FrankenDa sich in Liechtenstein mehrere Handelswege kreuzten, waren im Land immer verschiedene Münzen im Umlauf.[19] Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden in Liechtenstein bayerische neben österreichischen Gulden verwendet. Mit dem Wiener Münzvertrag von 1857[20] wurde Liechtenstein Teil einer „Münzkonvention, die sich von Norddeutschland bis Österreich erstreckte“.[21] Der Münzvertrag sah für Liechtenstein und Österreich den Fünfundvierzig-Gulden-Fuss vor.[22]Bereits in Art. 12 Zollvertrag von 1852[23] hatte sich Liechtenstein verpflichtet, „dasselbe Gewicht, Mass und Münzsysteme im Fürstenthume einzuführen, welches die kaiserliche Regierung mit Abänderung des jetzt bestehenden Systems in Vorarlberg einzuführen sollte.“ Per 1. Januar 1859 wurde die österreichische Guldenwährung zur Landeswährung.[24]Mit der Erneuerung des Zollvertrages im Jahr 1876[25] erlangte Liechtenstein die Währungshoheit zurück:[26] Art. 26 des erneuerten Zollvertrages machte Liechtenstein Vorgaben für den Fall, dass es eine andere Landeswährung einführte.[27] Die am 23. Dezember 1876 durch den Landtag beschlossene Einführung der Goldwährung[28] (und damit faktisch des Schweizer Frankens) führte zu so heftigen, mehrere Monate andauernden Spannungen zwischen den Bewohnern des Oberlandes und des Unterlandes (so genannte Münzwirren), dass Fürst Johann II. das Parlament auflöste und das Münzgesetz mittels Notverordnung ausser Kraft setzte. Liechtenstein blieb damit beim österreichischen Silbergulden. Die Bewohner des Oberlandes, die vor allem Beziehungen in die Schweiz pflegten, hatten damit wegen des gesunkenen Wertes der österreichischen Währung ein Problem.Liechtenstein liess (abgesehen von den Jahren 1862, 1898[29] bis 1915[30] sowie 1920[31] ) weder eigene Münzen prägen noch druckte es Papiergeld. Das Land blieb bis zur Aufkündigung des Zollvertrages am 12. August 1919 von Österreich abhängig. Es litt während und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg unter dem Verfall der österreichischen Krone.[32] Bereits ab 1917 wurde im Alltag der Schweizer Franken verwendet,[33] in den folgenden Jahren immer stärker auch durch Behörden.[34] Anfang April 1919 erfolgte in Absprache mit Österreich ein so genannter Notenumtausch. Zahlungskraft hatten ab dem 9. April 1919 nur noch Noten mit dem Aufdruck „Deutschösterreich“.[35] Am 8. März 1920 wurde sämtliches österreichisches Notengeld im Land gezählt.[36] Im Frühling 1920 waren die Vorarbeiten für die Einführung liechtensteinischer Frankennoten schon so weit vorangekommen, dass der Druckauftrag erteilt wurde. Er wurde jedoch im September 1920 eingestellt.[37] Am 27. August 1920 war nämlich einstimmig das Gesetz betreffend Umwandlung der Kronenbeträge in Schweizerfranken[38] erlassen worden.[39] Damit war der Entscheid für den Wechsel zum Schweizer Franken gefallen. Nach verschiedenen Nachfragen und Besprechungen in der Schweiz und der Erklärung derselben, der Einführung des Schweizer Frankens stehe nichts entgegen,[40] führte Liechtenstein 1924 die Frankenwährung als gesetzliche Währung ein.[41] Das Gesetz ermächtigte die Sparkassa, liechtensteinische Banknoten und Münzen auszugeben (Art. 1 Abs. 4). Von diesem Recht machte sie jedoch keinen Gebrauch, nachdem eine mit Zustimmung der Schweiz 1924 erfolgte Prägung von liechtensteinischem Silbergeld zu Verstimmungen im Kanton St. Gallen geführt hatte.[42]Erst mit dem Währungsvertrag von 1980[43] wurde die Geldversorgung durch die Schweiz staatsvertraglich geregelt. Auf liechtensteinischer Seite bestand ein Interesse an einer Regelung insbesondere deshalb,[44] weil die Eidgenossenschaft ab Mitte der 1960er-Jahren Schutzmassnahmen zugunsten ihrer Volkswirtschaft traf, die liechtensteinische Unternehmen und Private wie übrige Ausländer behandelten und Liechtenstein zum Devisenausland erklärten.[45] Die Initiative auf Abschluss des Vertrages war von der Schweizerischen Nationalbank ausgegangen. Sie wollte, dass das einschlägige Schweizer Recht auch in Liechtenstein Gültigkeit erlangte und durch schweizerische Behörden angewendet werden konnte.[46] Vor der Unterzeichnung musste Liechtenstein Änderungen an seinem Gesellschaftsrecht vornehmen, um Missbräuche zu verhindern.[47]B. Gehalt des Begriffs „Münzwesen“Mit dem Begriff „Münzwesen“ ist das Geldwesen gemeint,[48] nicht bloss der Umgang mit Münzen, sondern auch mit Banknoten[49] und anderen Formen staatlich anerkannter Zahlungsmittel[50] . Es findet sich in den Materialien kein Anhaltspunkt dafür, dass der Verfassungsgeber das Land nur mit der Sorge um die Münzen, nicht auch mit einer angemessenen Ausstattung mit Papiergeld betrauen wollte.[51] „Münzwesen“ steht für alle Fragen, die sich im Zusammenhang mit einer eigenen Währung[52] respektive beim Gebrauch einer fremden Währung stellen.Angesichts der 1921 bereits laufenden Verhandlungen mit der Schweiz über einen Zollvertrag und des informellen Gebrauchs des Schweizer Frankens stand die Einführung einer eigenen Währung nicht im Vordergrund. Es erstaunt daher nicht, dass in der Verfassung weder Aussagen zur Ausgabe von Münzen und Banknoten erfolgten noch eine Zentralbank erwähnt wurde. Es gab keine und es war auch keine geplant. Ziff. 9 der Schlossabmachungen[53] liess deutlich erkennen, dass Liechtenstein eine Lösung in Zusammenarbeit mit „einem Nachbarstaate“ anstrebte.Es ist jedoch nichts anderes denkbar, als dass das Land, das ausdrücklich zur Regelung des Geldwesens im Allgemeinen zuständig erklärt wird, den Entscheid fällt, ob eine eigene Währung geschaffen wird oder ob und in welcher Form die Zusammenarbeit bezüglich Geld und Währungspolitik mit einem anderen Staat erfolgt. Die Wendung „Die Regelung des Münzwesens ist Sache des Staates“ statuiert also die Währungshoheit[54].Art. 23 LV verbietet es Liechtenstein, unwiderruflich auf seine Währungshoheit zu verzichten. Wie sogleich in Kapitel C ausgeführt wird, hat Liechtenstein mit dem Abschluss des Währungsvertrages nicht auf seine Währungshoheit verzichtet. Es lässt lediglich sein Recht, Geld auszugeben, ruhen. Dies steht im Einklang mit Art. 23 LV. Dieser verlangt nämlich nicht, dass Liechtenstein über eine eigene Währung verfügt und im Land Noten gedruckt und Münzen geprägt werden.C. Die Währungsunion mit der SchweizGemäss Art. 2 Abs. 1 Währungsvertrag[55] bleibt „die liechtensteinische Währungshoheit unberührt“. Während der Dauer des Vertrages verzichtet Liechtenstein jedoch darauf, eigene Banknoten auszugeben.[56] Münzen darf es im Einvernehmen mit dem eidgenössischen Finanzdepartement ausgeben (Art. 2 Abs. 2 Währungsvertrag), und zwar, wie die (schweizerische) Botschaft zum Währungsvertrag präzisierte, nicht als Zahlungsmittel, sondern „zu einem besonderen Anlass und in beschränkter Anzahl“[57] . Die Schweizerische Nationalbank (SNB)[58] übt in Liechtenstein gegenüber Banken sowie anderen Personen und Gesellschaften die gleichen Befugnisse aus wie in der Schweiz (Art. 3 Abs. 1 Währungsvertrag). Die liechtensteinischen Behörden haben auf Antrag der Nationalbank deren rechtskräftige Verfügungen und Urteile des Bundesgerichts zu vollziehen (Art. 5 Abs. 1 Währungsvertrag), wobei der Währungsvertrag die Zusammenarbeit der Behörden der beiden Staaten detailliert regelt. Können Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder die Anwendung des Währungsvertrages nicht anders beigelegt werden, ist ein Schiedsgericht gemäss den Vorgaben von Art. 14 Währungsvertrag zu bilden.Sinn und Zweck des Währungsvertrages ist der Schutz der Schweizer Währung. Der Währungsvertrag erklärt deshalb in Art. 1 Abs. 1 die schweizerischen Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Geld-, Kredit- und Währungspolitik für verbindlich.[59] Ein Einbezug Liechtensteins in den Gesetzgebungsprozess und die Entscheidfindung der SNB ist nicht vorgesehen. Nur in dem Fall, dass sich „wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse unzumutbare Härten“ für Liechtenstein ergeben, ist mittels Absprachen eine einvernehmliche Lösung anzustreben (Art. 1 Abs. 2 Währungsvertrag). Per Gesetz ist die SNB dazu verpflichtet, „die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes“ (gemeint sind die Interessen der Eidgenossenschaft) zu führen.[60] Liechtenstein und seine Interessen werden im Nationalbankgesetz nicht erwähnt. Immerhin ist die SNB gemäss Art. 99 Abs. 2 BV mit Unabhängigkeit ausgestattet.[61] Sie sollte deshalb nicht Gefahr laufen, „kurzfristigen politischen Zwängen“ von Schweizer Seite ausgesetzt zu sein.[62] Das in Art. 5 Abs. 1 Nationalbankgesetz genannte Ziel der Preisstabilität[63] liegt auf jeden Fall im Interesse Liechtensteins.Da Liechtenstein während der Geltungsdauer des Währungsvertrages – abgesehen von den bereits erwähnten Gedenkmünzen[64] – kein eigenes Geld ausgibt, kann es keine Geldpolitik betreiben und somit das Geldangebot und die Geld- und Kreditnachfrage nicht steuern.[65] Ebenso ist ihm eine eigenständige Währungspolitik versagt. Liechtenstein muss seine Wirtschafts- und Konjunkturpolitik[66] mit anderen Mitteln betreiben,[67] ist hierzu jedoch ausdrücklich berechtigt.[68]Der Währungsvertrag ist gemäss Art. 15 für beide Seiten unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres kündbar. Darüber hinaus hat Liechtenstein das Recht, innerhalb eines Monats nach Erlass relevanter schweizerischer Vorschriften vom Vertrag zurückzutreten.Die SNB ist weder dem individuellen Gläubiger- und Konsumentenschutz noch der Kriminalitätsbekämpfung verpflichtet.[69] Entsprechend hat Liechtenstein mit der FMA und der Stabsstelle Financial Intelligence Unit (SFIU) eigenständige Aufsichtsgremien geschaffen.[70]D. Keine Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds IWF und in der WeltbankLiechtenstein ist nicht Mitglied im Internationalen Währungsfonds IWF (International Monetary Fund IMF)[71] , obwohl die Regierung die Mitgliedschaft im Februar 2010 erwogen hatte.[72] Die Regierung gab der Expertengruppe Finanzstabilität den Auftrag, eine Analyse zu erstellen und ihr diese bis Ende 2011 vorzulegen.[73] Bereits anlässlich der Diskussion der Interpellationsbeantwortung[74] betreffend den Beitritt Liechtensteins zum internationalen Währungsfonds und zur Weltbankgruppe im Mai 2011 zeigte sich die kritische Einstellung vieler Abgeordneter zum IWF, nicht zuletzt wegen der auf 50 Mio. USD geschätzten Beitrittskosten.[75]Beim IWF handelt es sich um eine Sonderorganisation der UNO.[76] Sein Hauptziel ist die Stabilität des internationalen Währungssystems, also des Systems der Wechselkurse und des internationalen Zahlungsverkehrs. Er fördert die globale Währungszusammenarbeit und vergibt Kredite an Mitgliedstaaten mit Zahlungsschwierigkeiten[77] [78] .Ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld des IWF stellen Überwachungsmassnahmen[79] dar.[80] Im Rahmen von Monitoring-Verfahren und Besuchen vor Ort identifiziert der IWF Risiken und spricht Empfehlungen aus, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten und die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität zu fördern.[81] Der liechtensteinische Finanzsektor und die FMA wurden 2008 einem umfangreichen Assessment unterzogen.[82]Wie Regierungschef Klaus Tschütscher 2010 im Landtag ausführte,[83] sind die Resultate dieser Länderprüfungen „massgebend, um im internationalen Kontext als verlässlicher, glaubwürdiger und gut regulierter Finanzplatz wahrgenommen zu werden. Liegt ein ungenügendes Prüfergebnis vor, so können damit Sanktionen oder Diskriminierungen verbunden werden, welche zu weitreichenden wirtschaftlichen Konsequenzen führen können, wie etwa der Nichtzugang zu anderen Finanzplätzen für liechtensteinische Institutionen.“[84]Liechtenstein ist bis heute auch nicht Mitglied der zweiten „Bretton Woods Institution“, der Weltbank (World Bank).[85] Mitglied der Weltbank kann nur werden, wer bereits Mitglied des IWF ist.[86]Das Financial Stability Board (FSB)[87] ist eine weitere internationale Organisation, welche das globale Finanzsystem überwacht und Empfehlungen ausgibt. Sein Ziel ist die Stärkung des Finanzsystems. Es ist insbesondere mit der Koordination der Arbeit der internatoinalen Standardsetter betraut.[88] Das FSB arbeitet mit „key standards“ sowie mit Monitoring, wobei es auch Beurteilungen zu Staaten abgibt, die nicht Mitglied sind. Bezüglich der Aufsichtsstandards im Bereich internationale Zusammenarbeit und Informationsaustausch[89] attestierte das FSB dem Nicht-Mitglied Liechtenstein, in die beste der drei Kategorien zu gehören.[90]III.KonjunkturpolitikDurch die mit dem Währungsvertrag erfolgte Bindung an die Schweiz verzichtet Liechtenstein auf eine eigenständige Währungspolitik.[91]Liechtenstein hat trotzdem gewisse Möglichkeiten, Konjunkturpolitik zu betreiben. Konjunkturpolitik wird definiert als „Massnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik, die einen hohen Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten (v.a. einen hohen Beschäftigungsstand) sowie ein stabiles Preisniveau und eine ausgeglichene Zahlungsbilanz erreichen und sichern sollen.“[92] Das Land kann insbesondere mit der geschickten Terminierung von staatlichen Aufträgen, mit dem Steuerrecht und weiteren Bestimmungen (wie z.B. im Bereich des Arbeitsrechts oder der Raumplanung und des Baurechts) und mit Standortförderung[93] versuchen, ausgeglichene Verhältnisse und damit günstige Rahmenbedingungen zu schaffen.In der Verfassung findet sich weder eine ausdrückliche Verpflichtung noch eine Ermächtigung zu konjunkturpolitischen Massnahmen. Dass solche zulässig sind, steht dennoch ausser Frage, darf sich doch das Land auch dann einem Bereich widmen, wenn er in der Verfassung nicht erwähnt wird.[94] Grenzen setzen – wie bei jedem staatlichen Tun – die Grundrechte und die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Liechtenstein eingegangen ist[95] . In Art. 19 Abs. 1 LV und Art. 20 LV finden sich Hinweise, welche wirtschaftspolitischen Massnahmen beim Erlass der Verfassung als besonders dringlich erachtet wurden. Sie stehen in Einklang mit dem Ziel, dauerhaft einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen. Es obliegt dem Gesetzgeber, die gesetzlichen Grundlagen für eine aktive Wirtschaftspolitik (inklusive Massnahmen mit einem positiven Einfluss auf die Konjunktur) zu schaffen und Regierung und Verwaltung die entsprechenden Vorgaben zu machen.[96]IV. Bank- und KreditwesenA. Historischer ÜberblickDominierend sind heute in Liechtenstein drei Banken: Die lange Zeit Spar- und Leihkasse genannte liechtensteinische Landesbank LLB, die LGT Bank in Liechtenstein und die VP-Bank.Die Hypothekarverschuldung war in Liechtenstein im 19. Jahrhundert hoch.[97] Bis zu der vom Landesverweser angeregten Gründung der Sparkassa im Jahr 1861[98] stammten die Kredite vor allem von Privaten aus Graubünden und Vorarlberg.[99] Ab 1899 wurden die von der Landeskasse verwalteten Stiftungen und Fonds in die Sparkassa überführt.[100] 1864 war sie nämlich als „Landesanstalt“ gegründet worden.[101] Gemäss § 20 des Gesetzes von 1864 musste ihre Rechnung durch den Landtag kontrolliert werden. Das Land übernahm gemäss § 2 „für die Sicherheit der geschehenen Einlagen sowohl, als auch für allenfallsige sich auf der Treditierung ergebende Verluste die Garantie.“1875[102] und per 1. Januar 1892 erhielt die Sparkassa neue Statuten.[103] An ihrer Ausgestaltung als Landesanstalt, die der „Leitung und den Anweisungen“ des Landesverwesers unterstand und durch eine vom Landtag gewählte Sparkassenkommission kontrolliert wurde (§ 1 Statuten von 1892) und an der Staatsgarantie (§ 2 Statuten von 1892)[104] wurde nichts geändert.Durch die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg waren sowohl die Spareinlagen als auch die Hypothekardarlehen vernichtet worden. Die Sparkassa konnte keine Hypothekardarlehen mehr ausgeben.[105] Auch in den fast drei Jahrzehnten danach herrschte Geldknappheit. Bis zum Zweiten Weltkrieg mussten viele Darlehensnehmer auf Banken im Kanton St. Gallen ausweichen.[106]Erst nach Inkrafttreten der Verfassung wurde die Sparkassa zu einer selbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts und aus der Landesverwaltung ausgegliedert.[107]Ende der 1920er-Jahre belastete der so genannte Sparkassaskandal Liechtenstein sowohl wirtschaftlich als auch politisch schwer.[108] Zwischen 1926 und 1928 hatten vier Verwalter der Bank Gelder veruntreut. Sie wurden verurteilt. Auch die Mitglieder des Verwaltungsrates wurden vor Gericht gestellt. Das Land bürgte mit der Staatsgarantie. Insgesamt musste es zwei Jahresbudgets dafür aufwenden.[109] Die Verfehlungen wurden der regierenden Volkspartei angelastet. Der Fürst erzwang am 15. Juni 1928 die Demission der Regierung und löste am nächsten Tag den Landtag auf. In den Neuwahlen obsiegte die Fortschrittliche Bürgerpartei. Sie blieb bis 1970 stärkste Partei.[110] Trotz der gravierenden Probleme der Sparkassa und des Landes behielt auch das Gesetz vom 12. Juni 1929 betreffend die Sparkasse für das Fürstentum Liechtenstein[111] die unbeschränkte Staatsgarantie bei (Art. 1 Abs. 1 und Art. 4). Die nächsten Totalrevisionen des Gesetzes erfolgten 1955 (wobei die Umbenennung in Landesbank erfolgte)[112] , 1981[113] und 1992[114] . 1992 wurde aus der Anstalt eine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft, an welcher das Land mindestens 51% der Aktien hält (siehe Art. 1 und Art. 6 Abs. 2).[115] Die EFTA Surveillance Authority ESA qualifizierte die in Art. 5 LLBG[116] vorgesehene Staatsgarantie („Bürgschaft“) als Beihilfe. Aus diesem Grund ist nun die Garantie in der Höhe beschränkt. Überdies hat die LLB dem Land eine Abgeltung für die Staatsgarantie zu leisten.[117]Die LGT Bank in Liechtenstein wurde 1920 als Bank in Liechtenstein AG gegründet.[118] Die Regierung hatte nach Interessenten für die Gründung einer Bank gesucht.[119] 1930 wurden – auf Ersuchen von Regierung und Bank – über 90% der Aktien der Bank in Liechtenstein vom Fürstenhaus übernommen, um eine Übernahme durch deutsche Interessenten zu vermeiden.[120] Anders als die Sparkassa konzentrierte sich die Bank in Liechtenstein nicht auf die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung und von Gewerbe und Industrie, sondern auf die Betreuung ausländischen Vermögens und ausländisch beherrschter Sitzunternehmen.[121] 1970 wurden die Aktien der Bank in die neu gegründete Fürst von Liechtenstein-Stiftung übernommen. Die LGT Bank AG ist heute Teil der LGT Gruppe.1956 wurde die Verwaltungs- und Privatbank (VP Bank) gegründet, vornehmlich für die Kundschaft des Allgemeinen Treuunternehmens.[122] Zum Schutz der Landesbank, die den Kreditmarkt beherrschte,[123] erhielt sie erst 1975 eine Vollkonzession.[124] Bereits das PGR von 1926 kannte eine Konzessionspflicht für den „gewerbsmässigen Betrieb von Bankgeschäften jeder Art, von Spar- und Leihkassen oder dergleichen“. Die Regierung hatte bei der Erteilung der Erlaubnis „auf die Interessen der Landesbank“ Rücksicht zu nehmen.[125] Das Bankengesetz von 1960[126] enthielt bis 1992 eine Bedürfnisklausel. Banken bedurften einer Konzession der Regierung, die durch den Landtag zu bestätigen war (siehe Art. 4 Abs. 2). Gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b Bankengesetz von 1960 durfte keine Konzession erteilt werden, „wenn sie unter Berücksichtigung der örtlichen und der gesamtwirtschaftlichen Bedürfnisse nicht gerechtfertigt erscheint“.[127]Diese drei grossen Banken gründeten 1969 den Liechtensteinischen Bankenverband LBV.[128] Erst nach Aufhebung der Bedürfnisklausel im Jahr 1992 wurden weitere Banken im Land gegründet. Überdies eröffneten nach dem Beitritt Liechtensteins zum EWR auch ausländische Geldinstitute Filialen in Liechtenstein.[129]B. Gegenstand der Regelung: Das öffentliche KreditwesenArt. 23 LV erklärt das „öffentliche Kreditwesen“ zur Sache des Staates, ohne es zu definieren. Es ist deshalb zu klären, was mit dem Begriff gemeint ist.Josef Peer hatte ausgeführt,[130] die Verfassungskommission habe die neue Formulierung von § 23 RV („Die Regelung des Münz- und öffentlichen Kreditwesens …“ statt „Die Regelung des Münzwesens …“)[131] gewählt, weil „im Laufe der Zeit auch Papiergeld, öffentliche Schuldtitel u.s.w. in Umlauf gesetzt werden könnten.“ Folgt man dieser Ansicht, so würde der Begriff „öffentliches Kreditwesen“ den Begriff „Münzwesen“ um einen Aspekt ergänzen, der in „Münzwesen“ bereits mitgedacht war. Setzt man öffentliches Kreditwesen mit Staatsanleihen gleich, würde Art. 23 LV eine Selbstverständlichkeit festhalten und eine Wiederholung von dem darstellen, was unter Art. 62 lit. d LV als Kompetenz des Landtages[132] aufgeführt wurde: Kredite und Bürgschaften einzugehen sowie Staatsanleihen auszugeben.Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass – auch wenn dies von Josef Peer nicht erwähnt wurde – bereits 1921 im Zusammenhang mit „Geld“ auch an die Banken gedacht wurde. Immerhin befindet sich Art. 23 LV im Hauptstück über die Staatsaufgaben, in denen die Grundlagen für staatliche Tätigkeiten zur Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung gelegt und weder technische Fragen zum Finanzhaushalt geregelt noch Kompetenzen zwischen Regierung und Landtag verteilt werden.Bussjäger weist darauf hin,[133] dass das liechtensteinische Haushaltsrecht den Begriff „Kredit“ als Ermächtigung versteht, „für einen bestimmten Zweck bis zu einer bestimmten Höhe Verpflichtungen einzugehen“. Diese Verwendung des Begriffes „Kredit“ im Haushaltsrecht steht einem anderen Gebrauch des Begriffes im Hauptstück über die Staatsaufgaben nicht entgegen. Bussjäger selber kommt zum Schluss,[134] dass „auch klassische Darlehensaufnahmen als vom Tatbestand des Art. 62 lit. d LV erfasst zu betrachten [sind], da solche systematisch auch zu den übrigen in Art. 62 lit. d verwendeten Begriffen wie ‚Bürgschaften und Anleihen zu Lasten des Landes‘ passen.“ Diese Auslegung von „Kredit“ als Darlehensaufnahme muss umso mehr für den Begriff „öffentliches Kreditwesen“ in Art. 23 LV gelten, der keinen direkten Bezug zu haushaltsrechtlichen Fragen aufweist.Der in Art. 23 LV verwendete Begriff „öffentliches Kreditwesen“ umfasst nach der hier vertretenen Ansicht die Gesamtheit der Privaten und der öffentlichen Hand gewährten Kredite und Darlehen. Da die Vergabe von Krediten und Darlehen traditionell Aufgabe der Banken[135] ist,[136] steht der Begriff „öffentliches Kreditwesen“ für „das Bankenwesen“ und die Regelung aller weiteren Kredite und Darlehen, die nicht bloss in der Familie oder unter Freunden gewährt werden.[137]1921 hatte Liechtenstein schon seit Jahrzehnten eine vom Land geführte Bank, die den Zweck verfolgte, den „Kredit und Geldverkehr im Land zu fördern und den Bewohnern Liechtensteins die sichere und fruchtbringende Anlage von Ersparnissen, sowie die Aufnahme von Gelddarlehen zu erleichtern“[138] . Kurz vor Erlass der Verfassung war mit der Bank in Liechtenstein eine zweite Bank gegründet worden. Es machte deshalb Sinn, mit Art. 23 LV daran zu erinnern, dass das Land Normen für die Banken erlassen soll.Gerade weil der Begriff „Kreditwesen“ in der Verfassung nicht definiert wird, muss im Gesetz klargestellt werden, welche Tätigkeiten und Institutionen von welcher Regelung erfasst sind. Das Bankengesetz von 1960[139] knüpfte an die „öffentliche Empfehlung“ gegenüber der Kundschaft an.[140] Das aktuelle Gesetz stützt sich auf die Gewerbsmässigkeit.[141] Sie ist ebenfalls nur gegeben, wenn Geschäfte über den engeren persönlichen Bereich hinaus getätigt werden.C. Inhalt der RegelungDie Formulierung „ist Sache des Staates“ entspricht derjenigen von Art. 25 LV („Das öffentliche Armenwesen ist Sache der Gemeinden (…).“), in dem eine Zuordnung von Kompetenzen vorgenommen wird. Anders als für das Armenwesen war und ist für die Banken jedoch unbestritten, dass Regelungen auf Ebene des Landes erfolgen müssen.Art. 23 LV enthält nicht selber eine inhaltliche Regelung. Vielmehr erinnert er daran, dass das Land dem Bankensektor eine Ordnung vorgeben darf und soll. Welcher Schutzbereich hierbei im Vordergrund stehen soll,[142] entscheidet der Gesetzgeber. Die Verfassung macht keine Vorgaben.Regelungen für das Bankenwesen haben der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Banken Rechnung zu tragen und entsprechend für den Funktionsschutz zu sorgen. BuA Nr. 92/2016, S. 11, brachte die Besonderheiten des liechtensteinischen Bankensektors auf den Punkt: „Im internationalen Vergleich ist das Verhältnis der Bankbilanzsummen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes in Liechtenstein wohl einzigartig hoch. Das Eigenkapital aller Banken entspricht mehr als 110% des gesamten BIP. Die Verbindlichkeiten gegenüber Kunden sind mit 572% des BIP sogar mehr als das Doppelte als im Fall der Schweiz. Die Stabilität des gesamten Landes und der Volkswirtschaft hängt damit wesentlich von der Stabilität der Banken ab.“Art. 23 LV verpflichtet nicht dafür zu sorgen, dass eine bestimmte Anzahl Banken ihre Dienste anbieten und dass unter ihnen auch eine Bank im Eigentum des Landes steht. So wenig wie die Verfassung das Führen der Landesbank als Universalbank mit Staatsgarantie[143] vorschreibt, so wenig beschneidet sie die per Gesetz geschaffene Sonderstellung der Landesbank als öffentliches Unternehmen. In der Verfassung findet sich weder ein Bekenntnis zur Staatsfreiheit der Wirtschaft noch eine Aufforderung zur Wettbewerbsneutralität.Ein Blick in die weiteren Bestimmungen des III. Hauptstückes (siehe insbesondere Art. 19 und Art. 20 LV bezüglich der Schaffung von Arbeitsstellen und Art. 24 LV bezüglich der „Hebung der finanziellen Lage des Staates“) zeigt, dass das Ziel der Verfassung von 1921 stabile Verhältnisse und eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen waren, nicht der Schutz eines Unternehmens oder einer einzelnen Branche.Wenn BuA Nr. 92/2016[144] zum Schluss kommt, dass der Zahlungsverkehr und die damit verbundene Führung von Konten, die Aufrechterhaltung und die Versorgung mit KMU-Krediten und das Weiterlaufen der Hypothekarkredite unabdingbar sind für das Funktionieren der liechtensteinischen Volkswirtschaft, so verpflichtet dies den Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass diese Funktionen so gut als möglich auch in einer Krisenzeit ausgeübt werden können.V. FinanzmarktaufsichtFür den liechtensteinischen Finanzmarkt[145] und die Aufsicht über seine Akteure sind sowohl europarechtliche Vorgaben[146] als auch die Empfehlungen etc. weiterer internationaler Organisationen von grosser Bedeutung. Dies gilt selbst für Organisationen und Ausschüsse, denen Liechtenstein nicht beigetreten und in denen es nicht vertreten ist.A. Internationale und nationale Organe der AufsichtLiechtenstein ist nicht Mitglied der FATF (Financial Action Task Force[147]),[148] die sich dem Kampf gegen Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung verschrieben hat. Ihr Sekretariat ist bei der OECD beheimatet. Sie erlässt Empfehlungen und nimmt Evaluationen der Mitglieder vor. Gleichzeitig versucht sie, als „High-Risk and Non-Cooperative Jurisdictions“ bezeichnete Nicht-Mitglieder zu Verbesserungen ihrer Gesetzgebung und Praxis zu bewegen.Liechtenstein ist Mitglied von Moneyval (Committee of Experts on the Evaluation of Anti-Money Laundering Measures and the Financing of Terrorism),[149] des Expertenausschusses des Europarats zur Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung, der die Mitgliedstaaten gestützt auf die Vorgaben der FATF prüft.[150] 2007[151] und 2013[152] wurden Liechtensteins Massnahmen gegen Geldwäscherei und Terrorismusbekämpfung von IWF und Moneyval evaluiert.Die FMA Liechtenstein beaufsichtigt[153] als integrierte Aufsichtsbehörde[154] neben Banken und Versicherungen[155] auch weitere Teilnehmer auf dem Finanzmarkt.[156] Banken, Versicherungen und die übrigen Finanzintermediäre werden – abgesehen von Art. 20 Abs. 1 LV, welcher die Förderung der „Versicherung gegen Schäden, die Arbeit und Güter bedrohen“, vorsieht – in der Verfassung nicht erwähnt. Sie sind jedoch von grosser wirtschaftlicher Bedeutung.Die FMA Liechtenstein muss „für die Gewährleistung der Stabilität des Finanzmarktes Liechtenstein, den Schutz der Kunden, die Vermeidung von Missbräuchen sowie die Umsetzung und Einhaltung anerkannter internationaler Standards“ sorgen (Art. 4 FMAG).[157] Bei der FMA handelt es sich um eine selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit.[158] Das Gesetz garantiert ihre Unabhängigkeit (Art. 3 FMAG). Die FMA erlangte im Oktober 2016 die Vollmitgliedschaft bei den drei Europäischen Aufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA.[159]Die Stabsstelle Financial Intelligence Unit (SFIU)[160] findet ihre Grundlage im Gesetz vom 14. März 2002 über die Stabsstelle Financial Intelligence Unit (FIU-Gesetz; FIUG)[161] , das in den letzten Jahren mehrere umfangreiche Revisionen durchlief: LGBl. 2016 Nr. 32, BuA Nr. 75/2015[162] und BuA Nr. 127/2016; LGBl. 2017 Nr. 163, BuA Nr. 159/2016[163] und BuA Nr. 13/2017[164] . Diese Stabsstelle ist die zentrale Behörde zur Beschaffung und Analyse von Informationen, die zur Erkennung von Geldwäscherei, Vortaten der Geldwäscherei, organisierter Kriminalität und Terrorismusfinanzierung notwendig sind.[165]B. Internationale StandardsWelchen Normen die Finanzintermediäre und die mit ihrer Aufsicht betrauten staatlichen Organe genügen müssen, ergibt sich nicht aus der Verfassung und nur zum Teil aus staatsvertraglichen, europarechtlichen oder gesetzlichen Bestimmungen. Relevant sind auch die von internationalen Organisationen[166] und Ausschüssen erlassenen Regelwerke (v.a. bezüglich Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung). Das Financial Stability Board FSB[167] zum Beispiel gibt regelmässig ein Kompendium mit internationalen Finanzmarktstandards heraus.[168]Werden die entsprechenden Normen nicht in das EWR-Abkommen aufgenommen und handelt es sich bei ihnen auch nicht um klassische völkerrechtliche Normen, stellt sich mangels völkerrechtlicher Verbindlichkeit die Frage nach ihrer Wirkung. Grundsätzlich bedürfen internationale Standards einer Umsetzung in nationales Recht, um Verbindlichkeit zu erlangen und vor Gericht durchgesetzt werden zu können.[169] Gemäss Art. 4 FMAG ist es jedoch ausdrückliche Aufgabe der FMA, „für die Einhaltung anerkannter internationaler Standards“ zu sorgen. Wie aus BuA Nr. 9/2004 hervorgeht,[170] handelt es sich bei Art. 4 FMAG um einen „Zweck- und Programmartikel“, welcher der FMA keine „unmittelbaren Kompetenzen erteilt“ und keine klagbaren Ansprüche verschafft. Er erinnert jedoch daran, dass sich die FMA als Aufsichtsbehörde und damit auch sämtliche ihrer Aufsicht unterstellten Finanzintermediäre an den auf internationaler Ebene erlassenen Empfehlungen orientieren sollen. Zuständig für die Umgiessung der internationalen Standards in verbindliche Normen ist der Gesetzgeber. Faktisch besteht – durch die Überwachung durch internationale Organisationen und Ausschüsse – ein grosser Druck zur Umsetzung,[171] was den Gesetzgeber fordert.[172]Zu den internationalen Standards hinzu kommen im Rahmen der Selbstregulierung ausgearbeitete Standards wie z.B. die Standesregeln der Treuhandkammer.[173]C. Weitere nationale OrganeDie dem Ministerium für Präsidiales und Finanzen zugeordnete Stabsstelle für internationale Finanzplatzagenden (SIFA)[174] ist mit der Beobachtung und Analyse der internationalen Entwicklungen betraut und berät die Regierung bei der Weiterentwicklung der Finanzplatzstrategie. Sie vertritt Liechtensteins Interessen in verschiedenen internationalen Organen wie insbesondere in der OECD, im Global Forum und in der EU und führt internationale Finanzplatzverhandlungen.[175]Die Stabsstelle Finanzen (SF)[176] erfüllt eine andere Funktion: Sie berät die Regierung und die Amtsstellen in finanziellen, finanzhaushaltsrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen. Überdies koordiniert sie die Planungsprozesse (Voranschlag, Finanzplanung); sie ist die zentrale Koordinationsstelle im Bereich Interne Kontrollsysteme (IKS) und die zentrale Koordinationsstelle im Bereich Steuerung und Überwachung öffentlicher Unternehmen (Corporate Governance) und arbeitet an der Erstellung der Landesrechnung mit.[177]Die Finanzkontrolle[178] hat ebenfalls keine Funktion im Finanzsektor, sondern ist organisatorisch dem Landtag zugeordnet. Sie ist das oberste Fachorgan der Finanzaufsicht und unterstützt den Landtag sowie die Geschäftsprüfungskommission bei der Wahrnehmung ihrer Finanzkompetenzen sowie der Oberaufsicht über das öffentliche Finanzgebaren und die öffentliche Rechnungslegung. Ebenso unterstützt sie die Regierung bei der Ausübung ihrer Aufsichtsfunktion.VI. Verpflichtungen aus der EWR-MitgliedschaftLiechtenstein nimmt als EWR-Mitglied am Binnenmarkt der EU teil. Die Wirtschafts- und Währungspolitik ist vom EWRA[179] nicht erfasst. Das EWRA „umfasst weder die einheitliche Währung noch die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- und Wechselkurspolitik.“[180] Gleichwohl ist das dynamische europäische Finanzmarktrecht mit seiner hohen Regulierungsdichte[181] und den EU-Behörden EBA (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), ESMA (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) und EIOPA (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung)[182] von grosser Bedeutung für Liechtenstein.[183] Im Geschäftsbericht der FMA wird denn auch regelmässig erwähnt, welche neuen Regelungen auf europäische Vorgaben zurückgehen.[184]Das EWRA wurde nach der Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion nicht geändert. Bei der Aufnahme der neuen Verordnungen und Richtlinien der EU in das EWRA kommt es zum Teil zu massiven Verzögerungen. Dadurch geht die Schere zwischen dem EWR-Recht und den in der EU geltenden Normen immer weiter auf.[185] Dies stellt für die liechtensteinischen Akteure einen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren Mitkonkurrenten im EU-Raum dar. Liechtenstein ist deshalb dazu übergegangen, neue Rechtsakte der EU aus dem Finanzmarktbereich autonom und vorab umzusetzen.[186] StGH 2015/081 hat die vereinfachte Kundmachung von rein innerstaatlichem Recht, das einen Verweis auf eine EU-Richtlinie und eine EU-Verordnung enthielt,[187] die noch nicht ins EWRA aufgenommen worden waren, für verfassungsmässig erklärt,[188] wenn auch nicht vorbehaltlos. Wegen des in Art. 97 ff. EWRA vorgegebenen Weges, den das Beschlussverfahren für neue Rechtsvorschriften zu nehmen hat, ist die liechtensteinisches Praxis kritisch zu sehen.[189]Seit Ende 2016, als der Anhang IX (Finanzdienstleistungen) des EWRA durch die Ziffern 31.f bis 31.i ergänzt wurde,[190] ist Liechtenstein in das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS) integriert. Das Übernahmeverfahren für die entsprechenden Verordnungen wurde bereits 2010 eingeleitet, konnte aber erst 2014 zu einem für die drei EWR/EFTA-Staaten und die EU-Seite befriedigenden Abschluss gebracht werden.[191] Wegen der in den drei Verordnungen vorgesehenen Übertragung von Kompetenzen an die drei Behörden (EBA, ESMA und EIOPA – ESAs genannt) und des zuerst vorgesehenen Instanzenzuges an den EuGH ergaben sich für Island und Norwegen Probleme.[192] Auch aus liechtensteinischer Sicht stellte sich die Frage der Vereinbarkeit der Kompetenzen der neuen Aufsichtsbehörden mit der liechtensteinischen Verfassung.[193] Die Übernahme in das EWRA wurde durch Anpassungen für die EWR/EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen möglich. Sie beruhen darauf, dass der EFTA-Überwachungsbehörde (EFTA Surveillance Authority ESA) die Kompetenz übertragen wurde, „verbindliche Massnahmen gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden der EWR/EFTA‐Staaten und gegenüber Finanzintermediären, die in den EWR/EFTA‐Staaten angesiedelt sind, zu erlassen.[194] Die Kompetenz für den Erlass von Massnahmen unverbindlicher Natur, sowohl gegenüber den nationalen Finanzaufsichtsbehörden und Finanzintermediären der EU als auch gegenüber den EWR/EFTA‐Staaten, verbleibt weiterhin bei den ESAs im EU-Pfeiler. Die Zuständigkeit für den Erlass von verbindlichen und unverbindlichen Massnahmen wurde somit zwischen den ESAs und der EFTA-Überwachungsbehörde – dem Aufbau des EWR-Abkommens entsprechend – aufgeteilt.“[195] Es ist somit die EFTA Surveillance Authority, die unmittelbar auf die nationalen Aufsichtsbehörden (wie die FMA Liechtenstein) und – in besonderen Situationen – auch auf die Finanzintermediäre zugreifen kann. Der Rechtsweg geht an den EFTA-Gerichtshof.Eine der letzten grossen Revisionen des Bankengesetzes[196] , die mit dem Erlass das Gesetzes vom 4. November 2016 über die Sanierung und Abwicklung von Banken und Wertpapierfirmen (Sanierungs- und Abwicklungsgesetz; SAG)[197] verbunden wurde, stützte sich auf die Richtlinie 2014/59/EU (Bank Recovery and Resolution Directive BRRD)[198] . Diese Richtlinie ist bis heute[199] nicht in das EWRA übernommen worden. Sie ist eine Antwort auf die Finanzkrise. Folglich verfolgt sie das Ziel, die Insolvenz von Banken zu vermeiden respektive ihre Auswirkungen abzufedern und für den Fall einer Abwicklung ein effizientes Verfahren bereitzustellen.[200]Pro memoria sei darauf hingewiesen, dass der in Art. 40 ff. EWRA verankerte freie Kapitalverkehr Diskriminierungen insbesondere (siehe Art. 42 Abs. 1 EWRA) im Kapitalmarkt und Kreditwesen verbietet. Im Bereich des Bank- und Kreditwesens sind bei weitem nicht nur die detaillierten europarechtlichen Bestimmungen über den Finanzmarkt von Bedeutung, sondern auch die Grundfreiheiten[201] und die allgemeinen Bestimmungen betreffend Beihilfen und Wettbewerb. |
1) Der Staat sorgt im Wege zu erlassender Gesetze für eine gerechte Besteuerung unter Freilassung eines Existenzminimums und mit stärkerer Heranziehung höherer Vermögen oder Einkommen.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine BemerkungenA. Rudimentäre Regelung trotz grosser Bedeutung der SteuernIn der liechtensteinischen Verfassung findet sich kein eigenes Kapitel über die Haushaltsführung und die finanziellen Mittel zur Aufgabenerfüllung.[1] Zu den Steuern sind wichtige Aussagen über drei Bestimmungen verteilt: auf Art. 24 LV sowie Art. 62 LV und Art. 68 LV. Art. 24 Abs. 1 LV formuliert einen zentralen Besteuerungsgrundsatz, weshalb die in StGH 2010/82 Erw. 5 vorgenommene Bezeichnung als „Ziel und Auftragsnorm“ nicht passt. Auf Art. 24 Abs. 2 LV, der den Willen zeigt, aus der schwierigen finanziellen Situation nach dem Ersten Weltkrieg herauszufinden und zu einem Haushaltsgleichgewicht zu gelangen,[2] trifft die Bezeichnung als „Ziel und Auftragsnorm“ hingegen zu. Die Vorgaben von Art. 24 LV stehen unmittelbar nach der Regelung des Münz- und öffentlichen Kreditwesens. In der Tat weisen die Steuern einen engen Bezug zur Währung sowie zum Bank- und Kreditwesen auf.Aus Art. 24 LV allein kann genauso wenig auf die Finanzverfassung Liechtensteins geschlossen werden wie aus Art. 14 LV auf die Wirtschaftsverfassung. Erst durch das Zusammenspiel von Art. 24 LV, Art. 62 lit. c und lit. d LV, Art. 63ter LV, Art. 64 Abs. 3 LV, Art. 66 Abs. 1 LV, Art. 68 LV, Art. 69 LV und Art. 70 LV ergibt sich ein Gesamtbild.Regeln, welche Steuern und Abgaben geschuldet sind und welches Organ ihre Art und Höhe bestimmt, gehören in jede Verfassung. Sinn und Zweck jeder Besteuerung ist es nämlich, dem Staat die für die Finanzierung der öffentlichen Aufgaben notwendigen Mittel bereitzustellen.Die Steuern stellen die wichtigste Einnahmequelle des Landes dar. Dem betrieblichen Aufwand von 789 Mio. Fr. (Vorjahr: 793 Mio. Fr.) standen im Jahr 2017 Einnahmen aus Steuern und Abgaben in der Höhe von 733 Mio. Fr. (Vorjahr: 727 Mio. Fr.) gegenüber[3] (davon Ertragssteuer [der Unternehmen] 247 Mio. Fr. (Vorjahr: 252 Mio. Fr.),[4] Mehrwertsteuer 201 Mio. Fr. (Vorjahr: 215 Mio. Fr.), Vermögens- und Erwerbssteuer [der natürlichen Personen] 98 Mio. Fr. (Vorjahr: 93 Mio. Fr.)). Die Zollerträge (inklusive Erträge aus der Mineralölsteuer) standen auf der Einnahmenseite (mit 33 Mio. Fr. [Vorjahr: 34 Mio. Fr.]) erst an fünfter Stelle, nach den Stempelabgaben.[5] Das bedeutet, dass die Einnahmen von Ertragssteuer (31,0%, Vorjahr: 35%) und Mehrwertsteuer (33,4%, Vorjahr: 29%) zusammen deutlich mehr als die Hälfte der Einnahmen aus Steuern und Abgaben ausmachen.[6] Das Total der Entgelte (dies meint die Einnahmen aus Gebühren, Kostenweiterverrechnungen und Bussen) betrug zum Vergleich im Jahr 2017 nur 32,4 Mio. Fr. (Vorjahr 34 Mio. Fr.).[7]Art. 110 Abs. 2 lit. b LV garantiert den Gemeinden den Erwerb und die selbständige Verwaltung von Vermögen.[8] Es findet sich jedoch keine Norm in der Verfassung, die den Gemeinden das Recht zugestehen würde, selbständig Steuern zu erheben. Entsprechend partizipieren die Gemeinden nur soweit am Steueraufkommen, als dies das Gesetz vorsieht.Solange die römisch-katholische Kirche gestützt auf Art. 37 Abs. 2 LV Landeskirche ist, stellt sich die Frage nach der Ausgestaltung einer allfälligen Kirchensteuer nicht.[9] Wohl aber fragt es sich, ob die Weitergabe allgemeiner Steuermittel an die römisch-katholische Kirche, welche diese auch für Kultuszwecke einsetzen darf, vor der Glaubens- und Gewissensfreiheit von Art. 37 Abs. 1 LV und Art. 9 EMRK standhält.[10]B. Unterscheidung der öffentlichen Abgaben in Steuern und KausalabgabenDie Verfassung unterscheidet in Art. 62 LV und Art. 68 LV Steuern, öffentliche Abgaben und Leistungen. Art. 62 lit. c LV macht klar, dass die Steuern als öffentliche Abgaben zu qualifizieren sind.[11] Damit verwendet Liechtenstein dieselbe Terminologie wie die Schweiz:[12] „Öffentliche Abgaben“ ist der Oberbegriff. Die öffentlichen Abgaben umfassen die beiden grossen Kategorien Kausalabgaben und Steuern. Sie können definiert werden als „Geldleistungen, welche die Privaten kraft öffentlichen Rechts dem Staat schulden“.[13]Da Art. 62 und 68 LV sowohl für die Bewilligung der Steuern als auch aller anderen Abgaben dieselben Zuständigkeiten und dasselbe Verfahren vorsehen, spielt die Unterscheidung zwischen Abgaben und Steuern in diesem Bereich keine Rolle. Ebenso erfolgt durch Art. 62 und 68 LV keine Beschränkung auf eine bestimmte, zum voraus festgelegte Zahl oder auf einen numerus clausus der Arten von öffentlichen Abgaben.[14] Hingegen enthält Art. 24 Abs. 1 LV Vorgaben für die Ausgestaltung der Steuern.[15] Deshalb ist es notwendig, den Begriff „Besteuerung“ zu definieren und festzuhalten, für welche Geldleistungen die in Art. 24 Abs. 1 LV genannten Besteuerungsgrundsätze gelten.[16] Für die Kausalabgaben (d.h. für alle nicht als Steuern qualifizierten öffentlichen Abgaben) gelten nämlich nicht die in Art. 24 Abs. 1 LV genannten Grundsätze, sondern grundsätzlich[17] das Kostendeckungsprinzip und das Äquivalenzprinzip.[18] Sie begrenzen die geschuldeten Geldleistungen in ihrer Höhe, aber nicht nach sozialen Kriterien wie Art. 24 Abs. 1 LV, sondern im Verhältnis zum Wert der vom Staat bezogenen Leistungen.Steuern werden definiert als voraussetzungslos geschuldete öffentliche Abgaben.[19] Ihnen steht keine direkte Gegenleistung des Staates an den Steuerzahler gegenüber.[20] Vielmehr dienen sie der Finanzierung aller vom Staat gegenüber der Öffentlichkeit erbrachten Leistungen.[21] Dies schliesst nicht aus, dass die Einnahmen einzelner Steuern als gebundene Einnahmen für die Finanzierung bestimmter öffentlicher Aufgaben reserviert sind. Welche Einnahmen in die allgemeine Kasse fliessen und welche als Sondersteuern[22] ausgestaltet werden, gibt Art. 24 LV nicht vor.Anstatt nach der Verwendung der eingenommenen Mittel können Steuern auch dadurch unterschieden werden, wie und vor allem bei wem sie erhoben werden. Von direkten Steuern spricht man dann, wenn der Steuerpflichtige (wie bei der Einkommenssteuer) auch diejenige Person ist, welche ökonomisch durch die Steuer belastet wird.[23] Bei den indirekten Steuern (wie insbesondere bei der Mehrwertsteuer) kann sich hingegen diejenige Person, welche die Steuer entrichtet, anderweitig schadlos halten.[24]Den Steuern stehen die Kausalabgaben als die andere grosse Kategorie der öffentlichen Abgaben gegenüber. Sie gelten eine spezielle Leistung des Staates oder die bevorzugte Sonderstellung eines Begünstigten ab. Ihnen liegt also ein besonderer Entstehungs- oder Rechtsgrund zu Grunde.[25] Sie können ihrerseits in verschiedene Untergruppen (insbesondere in Beiträge und Gebühren) gegliedert werden. Entscheidend für die Abgrenzung zu den Steuern ist, dass eine individuelle Zurechenbarkeit der staatlichen Leistungen vorliegt.[26] Demgegenüber sind die Steuern unabhängig davon zu entrichten, ob der Pflichtige eine staatliche Leistung in Anspruch nimmt oder nicht.[27] Die Kausalabgaben sollen zur Selbstfinanzierung der jeweiligen Aufgabe führen.Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Begriff „Gebühr“ in der Verfassung lediglich in der Form von Gerichtsgebühren vorkommt (Art. 97 Abs. 2 LV und Art. 103 LV). In verschiedenen Gesetzen und Verordnungen finden sich jedoch die Grundlagen für die Einhebung von Gebühren. Gebühren sind hierbei zu verstehen als „Entgelt für eine bestimmte, von der abgabepflichtigten Person veranlasste Amtshandlungen oder für die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung“.[28] Es handelt sich bei ihnen um eine Untergruppe der Kausalabgaben.[29]Der Begriff „Zölle“ findet in der Verfassung gar keine Erwähnung. Ob Zölle als Unterart der Steuern zu qualifizieren sind,[30] spielt insofern keine Rolle, als gestützt auf den Zollanschlussvertrag in Liechtenstein die schweizerische Zollgesetzgebung Anwendung findet[31] und daneben (siehe Art. 3 der Vereinbarung vom 2. November 1994 zum Zollanschlussvertrag[32]) im Verhältnis zu den EWR-Vertragsparteien das EWR-Recht.C. Internationale VerflechtungHeute ist der Gesetzgeber in der Gestaltung der Steuerpolitik viel stärker eingeschränkt als 1923, als der Landtag erstmals ein auf die neue Verfassung gestütztes Steuergesetz[33] erliess. Einschränkungen ergeben sich einerseits durch die Selbstverpflichtung mittels Unterzeichnung von völkerrechtlichen Verträgen,[34] andererseits aus dem Wunsch nach einer guten Reputation und der Anerkennung des Finanzplatzes sowie seiner juristischen Personen im Ausland.[35]Die grosse Bedeutung der internationalen Verpflichtungen widerspiegelt sich nicht in der Verfassung. Art. 24 LV kommt diesbezüglich keine Gestaltungskraft zu. Die Verfassung steht dem Engagement in internationalen Organisationen und der Befolgung internationaler Vorgaben aber auch nicht entgegen. Liechtenstein wollte 1921 und will auch heute ein respektiertes Mitglied der Staatengemeinschaft sein.[36] Insofern ist es konsequent, wenn sich Liechtenstein auch bei den Steuern an den Vorgaben internationaler Organisationen und dem Beispiel anderer Staaten orientiert und sich in den länderübergreifenden Dialog einbringt.II. EntstehungsgeschichteA. 19. JahrhundertFür das Einheben von Steuern brauchte es schon sehr früh eine Grundlage in der Verfassung[37]. Entsprechende Regelungen finden sich in den Dienstinstruktionen von 1808, in der Landständischen Verfassung von 1818 und in den verschiedenen Texten von 1848.Bereits die Landständische Verfassung von 1818 enthielt eine Verpflichtung auf die Gleichbehandlung.[38] Die in Art. 24 Abs. 1 LV genannten sozialen Aspekte, die eine Beachtung der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit und die Schonung der finanzschwächeren Steuerpflichtigen fordern, kennen hingegen keine Vorläufer.In der Konstitutionellen Verfassung von 1862 wurde die Steuerbewilligung geregelt (§ 40 lit. b und § 43 KonV). Ohne Zustimmung des Landtages konnten keine Steuern erhoben werden. Der Landtag musste auch „die Art der Umlegung und Vertheilung aller öffentlichen Abgaben und Leistungen auf Personen und Gegenstände, so wie die Erhebungsweise“ genehmigen (§ 43 Abs. 2 KonV). Die KonV gab hingegen nicht vor, nach welchen Grundsätzen die Höhe der Steuern festzusetzen war.Das provisorisches Steuergesetz vom 20. Oktober 1865 (LGBl. 1866 Nr. 1) enthielt die erste Unternehmensbesteuerung. Im Laufe der Jahre gesellten sich weitere Gesetze über Abgaben hinzu.[39] Gemäss In der Maur[40] setzte sich das „Landeseinkommen“ 1896 zusammen aus Steuern, Abgaben, Pachtschillingen sowie „Interessen der im Eigenthume des Landes stehenden Fonde und aus den Erträgnissen, welche aufgrund der zwischen Oesterr.-Ungarn und L. festgesetzten Zoll- und Steuereinigung resultieren.“ Anschliessend zählte In der Maur auch „sonstige Abgaben, Taxen und Gebüren“ auf. Hierbei erwähnte er die „Salzauflage, die Hundesteuer, die Taxen für verschiedene Licenzen“ etc.[41] In der Maur nannte als direkte Landessteuern im Sinne des Steuergesetzes von 1865: Grundsteuer, Gewerbsteuer und „Personalclassensteuer, welche das persönliche Einkommen (…) trifft (…).“[42]Für die indirekten Steuern („Zölle, Staatsmonopole, Verzehrungssteuern und Stempel auf Kalender, Zeitungen und Spielkarten“) verwies er auf den „Zoll- und Steuervereinsvertrag“ von 1876[43] und auf eine Additionalconvention vom 27. November 1888.B. Die Diskussionen von 1920Noch vor Erlass der Verfassung war die Möglichkeit der Pauschalierung für ausländisch beherrschte Gesellschaften geschaffen worden.[44] Pauschalierungsverträge wurden bis 1963 abgeschlossen. 1993 liefen die letzten Verträge aus.[45] Bei der Totalrevision des Steuergesetzes, die zum Steuergesetz vom 11. Januar 1923[46] führte, wurden die Privilegien der Kapitalgesellschaften ausgebaut.[47] Für die so genannten Sitzunternehmen galten andere Bedingungen als für die in Liechtenstein tätigen Unternehmen.Im Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck wurde die Verpflichtung auf eine „gerechte Steuergesetzgebung“ gleich zweifach erwähnt, nämlich in Art. 11a und Art. 12a Verfassungsentwurf Beck: „Art. 11a Das Land übt die Hoheit über das Münzwesen aus, sorgt für eine gerechte Steuergesetzgebung.“ „Art. 12a Das Land sorgt für eine gerechte Steuergesetzgebung, die insbesondere Vermögen und Einkommen zu progressiver Besteuerung unter Berücksichtigung des Existenzminimums heranzieht.“ Art. 48 lit. c und Art. 51[48] Verfassungsentwurf Beck wiederholten die bereits in § 40 lit. c und § 43 KonV verankerten Kompetenzen des Landtages.Die Verpflichtung auf „gerechte Steuergesetze“ wurde in Ziff. 9 der Schlossabmachungen wiederholt.[49] Hier findet sich auch erstmals die in Art. 24 Abs. 2 zum Verfassungstext gewordene Pflicht, neue Einnahmequellen zu erschliessen.Die Regierungsvorlage von Josef Peer (§ 24 RV) goss die Verpflichtung auf eine gerechte Steuerordnung in Anlehnung an die von Wilhelm Beck gewählte Formulierung in die folgenden Worte um: „Abs. 1 Der Staat sorgt für eine gerechte Besteuerung unter Freilassung eines Existenzminimums und mit stärkerer Heranziehung höherer Vermögen oder Einkommen. Abs. 2 Die finanzielle Lage des Staates ist nach Tunlichkeit zu heben und es ist besonders auf die Erschliessung neuer Einnahmsquellen[50] zur Bestreitung der öffentlichen Bedürfnisse Bedacht zu nehmen.“ Per Beschluss der Verfassungskommission wurde in § 24 VK „nach den ersten drei Worten «Der Staat sorgt» eingesetzt «im Wege zu erlassender Gesetze».“Warum der von Wilhelm Beck verwendete Begriff „progressive Besteuerung“ nicht in den Verfassungstext Eingang fand, lässt sich den vorhandenen Materialien nicht entnehmen. Inhaltlich bringt die Formulierung „stärkere Heranziehung höherer Vermögen oder Einkommen“ dasselbe zum Ausdruck. Überdies finden sich keine Hinweise darauf, dass Josef Peer, die Verfassungskommission oder der Landtag vom Grundsatz der progressiven Besteuerung abweichen wollten und aus diesem Grund eine andere Formulierung wählten als Wilhelm Beck.III. LegalitätsprinzipDie Antwort auf die Frage nach der Gesetzmässigkeit von Steuern und Kausalabgaben, das so genannte Legalitätsprinzip im Abgaberecht, findet sich nicht in Art. 24 LV. Vielmehr findet das Gesetzmässigkeitsprinzip im Abgaberecht seine Grundlage im allgemeinen Gesetzmässigkeitsprinzip von Art. 92 Abs. 2 LV und Art. 78 Abs. 2 LV.[51] Nach ständiger Rechtsprechung des StGH stellt der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der öffentlichen Abgaben ein ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht dar, dessen Verletzung selbständig geltend gemacht werden kann.[52]Es soll hier nicht weiter auf die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage von Steuern eingegangen werden.[53] Hervorzuheben ist einzig, dass die in Art. 24 Abs. 1 LV gemachten Vorgaben ihren Niederschlag in einem Gesetz finden müssen. Mit dem Erlass des Steuergesetzes,[54] das in Art. 10 und 15 SteG das steuerfreie Vermögen respektive den steuerfreien Erwerb regelt und in Art. 19 SteG gestaffelte Tarife vorsieht, ist dieser Anforderung Genüge getan.[55]IV. Gehalt von Art. 24 Abs. 1 LVBei Art. 24 Abs. 1 LV handelt es sich nicht um eine Kompetenzen begründende Norm, sondern um eine Vorgabe an den Gesetzgeber, wie er das Steuergesetz und insbesondere die Steuerbemessung auszugestalten hat. StGH 1994/6[56] führte aus: „Zunächst ist festzuhalten, dass das Erfordernis einer gerechten Besteuerung nach Art. 24 LV nicht zum Katalog der verfassungsmässig gewährleisteten Rechte des IV. Hauptstücks der LV gehört und gegebenenfalls im Gleichheitsgrundsatz von Art. 31 Abs. 1 LV aufginge.“ Entsprechend prüfte der StGH die Mehrbesteuerung von Ehepaaren gegenüber Konkubinatspaaren mit gleichem Gesamteinkommen lediglich auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 31 Abs. 1 LV.[57]Art. 24 Abs. 1 LV gibt keine konkrete Antwort darauf, was unter einer gerechten Besteuerung zu verstehen ist.[58] Die Wortwahl lässt jedoch deutlich erkennen, dass der Gesetzgeber auf die Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit verpflichtet wird.[59] Überdies geht aus Art. 24 Abs. 1 LV hervor, dass sowohl Vermögen als auch Einkommen besteuert werden können und dass das Vermögen und das Einkommen auch gleichzeitig besteuert werden dürfen.A. AnwendungsbereichArt. 24 Abs. 1 LV äussert sich zur Ausgestaltung der Steuern, nicht zur Festsetzung der Höhe der übrigen öffentlichen Abgaben. Dies ist auch nicht nötig, gelten doch für diese das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip.[60] Art. 24 Abs. 1 LV erstreckt sich nur auf die Steuern, also auf die von jedermann zu entrichtenden Geldleistungen, denen weder eine bestimmte Leistung der öffentlichen Hand noch ein konkreter Wert gegenübersteht. Dass das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und die Verpflichtung auf ein progressives System nur für die Steuern gilt, schliesst nicht aus, dass sich auch Subventionen oder Gebühren für öffentliche Leistungen (wie z.B. die Betreuung von Kindern in von der öffentlichen Hand subventionierten Kindertagesstätten) nach den finanziellen Möglichkeiten der Empfänger der staatlichen Leistungen richten. „Vermögen und Einkommen“ liegen bei natürlichen Personen vor, nicht bei juristischen. Die Pflicht des Gesetzgebers, „ein Existenzminimum“ freizulassen und ein progressives System zu errichten, gilt deshalb nur für die Steuern der natürlichen Personen.[61] Dies hindert den Gesetzgeber jedoch nicht daran, auch für juristische Personen und weitere Steuersubjekte im Rahmen des gemäss den Prinzipien der Allgemeinheit der Besteuerung und der Gleichmässigkeit der Besteuerung Zulässigen einen Freibetrag vorzusehen.B. Grundsätze der Besteuerung1. Allgemeinheit der Besteuerung und Gleichmässigkeit der BesteuerungFür alle Steuern sind die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit zu beachten. Diese beiden Grundsätze sind in der Verfassung nicht ausformuliert. Sie werden von Lehre und Rechtsprechung nicht aus Art. 24 LV abgeleitet, sondern aus dem Gleichheitssatz von Art. 31 LV.[62]Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung meint, dass alle Personen und Personengruppen nach der gleichen gesetzlichen Ordnung erfasst werden müssen.[63] Es geht also in erster Linie darum, wer der Steuerpflicht unterliegt (Bestimmung des Kreises der Steuerpflichtigen).Der Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung ist verwandt mit der Allgemeinheit der Besteuerung[64] und dem Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Er besagt, dass Personen in gleichen Verhältnissen in derselben Weise durch die Steuern belastet werden sollen.[65]Problematisch ist es deshalb, wenn Eigentümer von Altliegenschaften wegen eines seit Jahren nicht mehr überprüften sehr tiefen Steuerschätzwertes, der unter dem Versicherungswert angesetzt ist, viel tiefere Beträge entrichten als die Eigentümer von Neuliegenschaften. Dazu kommt, dass sich die Ungleichbehandlung noch erhöht, weil die Mieteinnahmen nicht als Einkommen zu versteuern sind. Eigentümer von Grundstücken mit einem sehr tiefen Steuerschätzwert werden auch gegenüber den Eigentümern anderer Vermögenswerte privilegiert.[66] Trotz dieser bekannten Unzulänglichkeiten[67] in der Besteuerung der Immobilien der natürlichen Personen, welche nur schwer mit der Rechtsgleichheit in Einklang gebracht werden können, lehnte der Landtag im November 2017 ein Postulat zur steuerlichen Bewertung von Liegenschaften ab.[68]2.Besteuerung nach der wirtschaftlichen LeistungsfähigkeitLehre und Rechtsprechung bejahten das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.[69] Sie nahmen dabei Bezug auf die Lehre und Rechtsprechung aus der Schweiz und nannten den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz von Art. 31 LV als Grundlage des Gebots.[70] StGH 2010/70 Erw. 3.1 führte ergänzend aus: Art. 24 LV „nennt das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht explizit, doch kann ihm dieser Grundsatz im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz entnommen werden.“ Diesen Satz wiederholte StGH 2010/82 Erw. 5 und fuhr dann fort: „Dabei ist aber anzuerkennen, dass der Grundsatz ein hohes Abstraktionsmass aufweist und dem Gesetzgeber in beachtlichem Umfang Regelungsverantwortung einräumt (…).“[71]StGH 2010/70 Erw. 3.1 sagte unter Verweis auf ausländische Autoren: „Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kann durchaus als Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung im Sinne eines Steuerlastverteilungsgrundsatzes im Bereich der Einkommens- und Vermögensbesteuerung betrachtet werden“.[72] In StGH 2010/70 war zu klären, ob die Ausgestaltung der Besteuerung der privaten Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Beteiligungen mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu vereinbaren war. StGH 2010/82 Erw. 5 ergänzte, dass sich der Verfassung „auch bei Berücksichtigung von Art. 24 LV keine Vorschrift entnehmen [lasse], dergemäss der Gesetzgeber verpflichtet wäre, das Steuersystem ausschliesslich aus Steuern zu gestalten, die dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen.“3. Verpflichtung auf ein progressives SystemMit der Verpflichtung auf eine „gerechte Besteuerung unter Freilassung eines Existenzminimums und mit stärkerer Heranziehung höherer Vermögen oder Einkommen“ ist – wie sich aus den Materialien ergibt[73] und wie es auch der wörtlichen Auslegung entspricht – ein progressives System vorgegeben.[74] Es wäre nicht zulässig, von höheren Tarifen für wirtschaftlich besser Gestellte abzusehen mit dem Hinweis, dass die Schwelle, ab der die Besteuerung der Personen in schwierigen finanziellen Verhältnissen greift, angehoben worden ist. Art. 24 Abs. 1 LV verlangt sowohl eine komplette Entlastung für die finanziell Schwächsten (indem jedermann ein Existenzminimum belassen wird) als auch eine stärkere Belastung der in finanzieller Hinsicht Gutgestellten.[75] Die Einführung einer Flattax (d.h. ein proportionaler Tarif) oder gar eines degressiven Tarifs[76] ist demnach für natürliche Personen ausgeschlossen.VGH 2008/147 Erw. 26 bezeichnet den Progressionsvorbehalt denn auch als „Bestandteil des liechtensteinischen Verfassungsrechts“.[77]Nach einer strikt wörtlichen Auslegung dürfte wegen des „oder“ („mit stärkerer Heranziehung höherer Vermögen oder Einkommen“) nicht sowohl das hohe Einkommen als auch das hohe Vermögen stärker belastet werden. Meines Erachtens hält eine gleichzeitige progressive Besteuerung von Einkommen und Vermögen jedoch vor der Verfassung stand. Erstens wegen der ursprünglichen Formulierung von Wilhelm Beck.[78] Zweitens scheint es wahrscheinlich, dass es Josef Peer mit dem „oder“ zwischen Vermögen und Einkommen dem Gesetzgeber offen lassen wollte, die Besteuerung auf das eine oder andere zu konzentrieren. Hätte er „mit stärkerer Heranziehung höherer Vermögen und Einkommen“ geschrieben, hätte dies wie in der ursprünglichen Formulierung von Wilhelm Beck als Verpflichtung des Gesetzgebers gelesen werden können, in jeder Konstellation immer sowohl das Vermögen als auch das Einkommen zu besteuern.[79] Die Materialien schweigen jedoch zur Frage, warum Josef Peer nicht die Formulierung von Wilhelm Beck übernahm.Weil sich Art. 24 Abs. 1 LV nicht dazu äussert, wie finanziell Gut- von Schlechtgestellten abgegrenzt werden und in welchem Umfang die Belastung höherer Einkommen und Vermögen ansteigen muss, kommt dem Gesetzgeber ein grosser Gestaltungsspielraum zu.[80] Was StGH 2011/13 Erw. 2 allgemein für die „Ausgestaltung des Steuersystems“ ausführte, gilt auch bezüglich der Ausgestaltung der Progression: Es handelt sich „um politische Fragen, die nicht von der Regierung oder von Verwaltungsbehörden, sondern vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber (…) entschieden werden müssen (…).“[81] StGH 2010/82 Erw. 5 ergänzte, dass sich der Gesetzgeber „bei seiner weitgehenden Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht namentlich von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen und steuertechnischen Erwägungen leiten lassen“ darf.[82]4. Verbot der konfiskatorischen und der prohibitiven BesteuerungAus der Eigentumsgarantie als Institutsgarantie ergibt sich das Verbot der konfiskatorischen oder prohibitiven Besteuerung.[83] Die stärkere Belastung von materiell gut gestellten Steuerpflichtigen findet deshalb trotz der in Art. 24 Abs. 1 LV vorgesehenen Progression eine obere Grenze.5. Gleichbehandlung der Bewohner der verschiedenen Gemeinden?Wie in Kapitel I.A ausgeführt, regelt das Landesrecht die Einnahmen der Gemeinden aus den Steuern. Spricht sich der Gesetzgeber dafür aus, dass die Gemeinden – so wie im geltenden Recht – innerhalb eines gewissen Rahmens Einfluss nehmen auf die Höhe der Steuern der in ihrem Gebiet Ansässigen, und resultiert daraus je nach Wohnort respektive Sitz eine unterschiedliche Steuerbelastung, so ist dies vereinbar mit dem Grundsatz der Gleichheit der Steuern und mit der Vorgabe nach einer gerechten Ausgestaltung der Steuern.C. Steuerfreies Existenzminimum als GrundrechtStGH 2004/048 Erw. 2.1 führte aus: „Der Staatsgerichtshof hat in den StGH-Entscheidungen 1997/24 und 25 Art. 24 Abs. 1 LV, welcher ein steuerfreies Existenzminimum normiert, als Grundrecht anerkannt; dies obwohl diese Verfassungsbestimmung zum III. Hauptstück der Verfassung («Von den Staatsaufgaben») und nicht zum IV. Hauptstück («Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen») gehört, wo unbestrittenermassen die individuellen Grundrechte (und -pflichten) enthalten sind. Der Staatsgerichtshof führte aus, dass das steuerfreie Existenzminimum keine eigentliche Staatsaufgabe mit entsprechenden staatlichen Leistungen darstelle, sondern vielmehr die Abwehr ungerechter Besteuerung aufgrund der Nichtberücksichtigung des Existenzminimums bezwecke. Art. 24 Abs. 1 LV sei deshalb bezüglich der «Freilassung eines Existenzminimums» bei der Besteuerung wie ein klassisches Grundrecht klagbar und justiziabel.“In StGH 2014/043 Erw. 3 wurde präzisiert, dass Art. 24 Abs. 1 LV kein Recht auf Existenzsicherung gewährleistet, sondern nur die „Garantie des steuerfreien Existenzminimums“. Art. 24 Abs. 2 LV kann demnach nur dann angerufen werden, wenn die Verpflichtung zur Leistung einer Steuer in dieses Minimum eingreift. Und nicht dann, wenn dem Betroffenen aus anderen Gründen Mittel fehlen.Da nur bei einem Menschen von einem Existenzminimum gesprochen werden kann, können sich nur natürliche, nicht aber juristische Personen auf dieses Grundrecht berufen. Der sachliche Schutzbereich ist auf Steuern beschränkt. Kausalabgaben setzen, wie in Kapitel I.B ausgeführt, per Definition eine staatliche Gegenleistung voraus, während sich bei den Steuern jedermann in regelmässigen Abständen mit einer finanziellen Forderung des Staates konfrontiert sieht. Vor dieser wiederkehrenden belastenden Situation schützt Art. 24 Abs. 1 LV die finanziell schwächsten Mitglieder der Gesellschaft.V. Gehalt von Art. 24 Abs. 2 LVA. Suche nach zusätzlichen EinnahmequellenDie Formulierung „Erschliessung neuer Einnahmsquellen“ stammt aus Ziff. 9 Schlossabmachungen, welcher ein politisches Programm zur Sanierung der Landesfinanzen enthielt. Aus seinem Kontext wird klar, dass nicht nur neue Arten von Steuern gemeint waren, sondern dass das Land generell nach Möglichkeiten suchen sollte, durch Steuern und Abgaben, mittels auf dem Markt erbrachter Leistungen, gestützt auf neu angebotene Dienste etc. zu Geld zu kommen. In der Tat generierte Liechtenstein vor dem Zweiten Weltkrieg insbesondere Einnahmen aus dem Verkauf von Briefmarken[84] und aus den so genannten Finanzeinbürgerungen[85].Im Visier des Verfassungsgebers waren nicht nur Abnehmer von Leistungen im Land selber, sondern auch „Kunden“ aus dem Ausland, also insbesondere Unternehmen und Vermögen, die sich nach Liechtenstein begeben sollten. Die Formulierung macht deutlich, dass Art. 24 Abs. 2 LV nur finanzielle Leistungen erfasst. Art. 24 Abs. 2 LV bietet keine Grundlage für den Beizug von Einwohnern zu Arbeitseinsätzen oder anderen persönlich zu erbringenden Leistungen. Art. 24 Abs. 2 LV bringt zum Ausdruck, dass die Verfassung keine abschliessende Aufzählung der Steuern, Abgaben und Zölle sowie der weiteren Einnahmequellen enthält. Es ist deshalb zulässig, solche auch ohne eine Nennung in der Verfassung in einem Gesetz vorzusehen. Im Jahr 1921 war nicht vorhersehbar, dass sich die finanzielle Lage des Staates verglichen mit anderen Staaten und mit Gemeinwesen ähnlicher Grösse während längerer Zeit mehr als zufriedenstellend präsentiert. Art. 24 Abs. 2 LV ist deshalb nicht so zu lesen, dass die finanzielle Situation stetig verbessert werden muss. Die Pflicht, neue Einnahmequellen zu schaffen, besteht nicht mehr, wenn das Budget über mehrere Jahre hinweg ausgeglichen ist[86] und die für notwendig und sinnvoll erachteten staatlichen Aufgaben in angemessener Qualität erbracht werden können.Hingegen erinnert Art. 24 Abs. 2 LV in finanziell guten Zeiten daran, dass das Land für schwierigere Zeiten vorsorgen soll. StGH 1995/35 führte deshalb aus, dass sich die Finanz- und Steuerpolitik des Landes „an den Grundsätzen des Art. 24 LV zu orientieren hat“ und angemessene und „allenfalls auch hohe Rückstellungen und Reserven“ zu bilden sind. Bei der „Relation von Bedarfsvorausschau und Steuerfestsetzung“ handle es sich um eine politische Frage.[87] Der StGH wies deshalb das Begehren eines Steuerpflichtigen ab, seine Steuerrechnung auf eine Restschuld einzuschränken, weil sowohl das Land als auch seine Wohnsitzgemeinde während mehrerer Jahre in Folge schwarze Zahlen geschrieben hatten und Reserven äufnen konnten.[88]StGH 2010/100 Erw. 4 sieht in „Art. 20 Abs. 1 und 3 LV und Art. 24 Abs. 2 LV geradezu typische Aufträge an die Gesetzgebung und Vollziehung, die ihrem klaren Wortlaut zufolge keine subjektiven Rechte verleihen“. In der Tat vermittelt Art. 24 Abs. 2 LV weder natürlichen noch juristischen Personen das Recht, von der öffentlichen Hand die Erschliessung neuer Einnahmequellen zu verlangen, um erwünschte Aufgaben zu übernehmen.B. Zuverlässige Datenerhebung als VoraussetzungSoll die finanzielle Situation des Landes verbessert werden, muss erhoben werden, wie sie sich präsentiert und welche Mittel bereits ergriffen worden sind. Dies setzt eine regelmässige Erhebung der wesentlichen Kennzahlen und einen Vergleich mit Daten aus dem Ausland voraus. Notwendig ist deshalb eine zuverlässige öffentliche Statistik.Unerlässlich ist überdies die Kontrolle der öffentlichen Finanzen. Es ist sicherzustellen, dass die prognostizierten Einnahmen tatsächlich fliessen respektive – bleiben sie aus – abzuklären, warum dies so ist. Ebenso ist zu kontrollieren, dass die finanziellen Mittel sinnvoll angelegt werden und gemäss den von den zuständigen Instanzen gemachten Vorgaben eingesetzt werden. Bei der im Finanzkontrollgesetz (FinKG)[89] geregelten Finanzaufsicht handelt es sich um eine selbständige und unabhängige, lediglich auf das Recht verpflichtete Behörde. Sie prüft gemäss Art. 1 Abs. 1 FinKG das „öffentliche Finanzgebaren und die öffentliche Rechnungslegung des Landes“. Die Finanzkontrolle hat gemäss Art. 7 Abs. 1 und 2 FinKG das Recht, Sachverständige und Revisionsgesellschaften beiziehen. Angesichts ihrer beschränkten personellen Ressourcen ist dies eine sinnvolle Regelung.VI. Zölle und die im Zollanschlussvertrag begründeten SteuernA.ZölleZölle können eine wichtige staatliche Einnahmequelle darstellen. Die Erwähnung der Bemühungen um einen Zollvertrag in den Schlossabmachungen unterstreicht dies. Da die Verhandlungen über den Zollanschlussvertrag mit der Schweiz im Jahr 1921 noch nicht abgeschlossen waren, schweigt sich der Verfassungstext über das Thema Zölle aus.1. Die Folgen des Zollanschlussvertrages von 1923Der Zollanschlussvertrag wurde 1923 unterzeichnet.[90] Er zielte von Anfang an auch auf eine Übernahme von schweizerischen Bestimmungen ab, die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit finanziellen Abgaben für den Transport von Waren über die Grenze oder mit Ein- und Ausfuhrverboten stehen, sondern Liechtenstein in den schweizerischen Wirtschaftsraum integrieren. Art. 4 Abs. 1 Ziff. 2 Zollanschlussvertrag erklärt deshalb die in der Schweiz geltenden Bestimmungen „der übrigen Bundesgesetzgebung“ für anwendbar, „soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt.“ Art. 5 Abs. 1 Ziff. 1 Zollanschlussvertrag bestimmt überdies, dass Liechtenstein „die Bundesgesetzgebung über gewerbliches, literarisches und künstlerisches Eigentum, sowie alle andern bei ihrer Handhabung subsidiär anwendbaren bundesgesetzlichen Erlasse für das Gebiet des Fürstentums in Kraft setzen und die gemäss diesen Gesetzen und den auf sie bezüglichen eidgenössischen Verordnungen sich ergebende Zuständigkeit der Bundesbehörden auch für das liechtensteinische Landesgebiet anerkennen“ muss. Entsprechend lang ist das Verzeichnis der bundesrechtlichen Erlasse, die in Liechtenstein Anwendung finden.[91]Von Bedeutung waren und sind auch Art. 33 f. Zollanschlussvertrag über die „Handhabung der Fremdenpolizei“. Im Gegenzug für den Verzicht der Schweiz auf die fremdenpolizeiliche Grenzkontrolle an der liechtensteinisch-schweizerischen Grenze verpflichtete sich Liechtenstein dafür Sorge zu tragen, „dass die Umgehung der schweizerischen Vorschriften über Fremdenpolizei, Niederlassung, Aufenthalt usw. vermieden wird.“Die Integration in den Schweizer Wirtschaftsraum führte zu einem Verlust an innerer und äusserer Souveränität Liechtensteins.[92] So finden gemäss Art. 7 Zollanschlussvertrag alle von der Schweiz mit dritten Staaten abgeschlossenen Handels- und Zollverträge auf Liechtenstein Anwendung.[93] Liechtenstein verzichtet gemäss Art. 8 Abs. 1 Zollanschlussvertrag während dessen Dauer auf das selbständige Abschliessen von Handels- und Zollverträgen.2. Liechtenstein als Bestandteil des schweizerischen ZollgebietsGemäss Art. 1 Zollanschlussvertrag bildet Liechtenstein einen Bestandteil des schweizerischen Zollgebietes. An der liechtensteinisch-schweizerischen Grenze dürfen keine Abgaben erhoben werden. Ein- und Ausfuhrverbote sowie andere Beschränkungen sind unzulässig. Die „gesamte schweizerische Zollgesetzgebung“ ist gestützt auf Art. 4 Abs. 1 Ziff. 1 Zollanschlussvertrag auch in Liechtenstein anzuwenden, weshalb der Instanzenzug in die Schweiz erfolgt (siehe Art. 27 ff. Zollanschlussvertrag).Für die Verteilung der Einnahmen aus den Zöllen und Gebühren machen Art. 35 bis 37 Zollanschlussvertrag klare Vorgaben. Vereinfacht gesagt, richtet sich die Höhe der Zahlungen nach der Einwohnerzahl der beiden Staaten.[94]Mit der am 2. November 1994 geschlossenen Vereinbarung zum Zollanschlussvertrag vom 29. März 1923[95] wurde Liechtenstein die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum unter gleichzeitiger Beibehaltung der offenen Binnengrenze zur Schweiz ermöglicht. Ein wichtiges Ziel dieser Vereinbarung stellte für die Schweiz die „Verhinderung unzulässiger Parallelimporte von Liechtenstein in die Schweiz“ dar. Geregelt wurde nicht zuletzt auch der Datenaustausch. Es wurde eine für die Durchführung der Vereinbarung verantwortliche gemischte Kommission eingesetzt, die sich mindestens einmal im Jahr trifft und Änderungen der Anhänge der Vereinbarung vorschlagen kann.B.In der Anlage zum Zollanschlussvertrag verankerte SteuernUnter Ziffer 64 der Anlage I zum Zollanschlussvertrag[96] werden verschiedene schweizerische Bundesgesetze genannt, die in Liechtenstein integral zur Anwendung gelangen. Sie begründen indirekte Steuern auf Tabak, Bier, Automobilien und Mineralöl.Auch die Mehrwertsteuer und die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe weisen einen engen Bezug zum Zollanschlussvertrag auf. Die Erhebung der Mehrwertsteuer und der Schwerverkehrsabgabe beruht jedoch auf separaten Staatsverträgen.[97]Demgegenüber ergibt sich die Geltung des eidgenössischen Stempelgesetzes[98] unmittelbar aus Art. 37 Zollanschlussvertrag.[99] Das Gebiet des Fürstentums Liechtenstein gilt stempelsteuerrechtlich als Inland.[100]C. MehrwertsteuerBei der Mehrwertsteuer handelt es sich um eine indirekte Steuer, und zwar um eine Verbrauchssteuer.[101] Ausgestaltet ist sie in der Schweiz und in Liechtenstein als Netto-Allphasensystem mit Vorsteuerabzug. Als sie in der Schweiz 1995 eingeführt wurde, sah der Vertrag vom 28. Oktober 1994 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft betreffend die Mehrwertsteuer im Fürstentum Liechtenstein[102] die parallele Einführung in Liechtenstein, die Übernahme der materiellen schweizerischen Vorschriften und den parallelen Vollzug vor.Mit der Vereinbarung vom 12. Juli 2012[103] wurde ausdrücklich festgehalten (Art. 1 Abs. 1), dass Liechtenstein die materiellen Vorschriften der schweizerischen Mehrwertsteuergesetzgebung in sein Landesrecht übernimmt. Gleichzeitig wurde verdeutlicht, wer die Steuern erhebt (Art. 5) und wie ihr Ertrag verteilt wird (Art. 9)[104]. Bei Änderungen des schweizerischen Rechts ist wegen Art. 1 Abs. 1 der Vereinbarung vom 12. Juli 2012 das liechtensteinische Gesetz[105] anzupassen.[106]VII. Das SteuergesetzA. Vor der Totalrevision von 2010Während der Entstehung der Verfassung war das Provisorische Steuergesetz vom 20. Oktober 1865, LGBl. 1866 Nr. 1, in Kraft. Es wurde vom Steuergesetz vom 11. Januar 1923, LGBl. 1923 Nr. 2, abgelöst. Dieses wurde von StGH 2010/70 Erw. 3.1 als „auf dem Konzept einer allgemeinen Vermögenssteuer als Hauptsteuer, kombiniert mit einer (ergänzenden) Erwerbssteuer“ umschrieben.Insgesamt wurde das Steuergesetz von 1923 nur zweimal totalrevidiert, nämlich durch das Gesetz vom 30. Januar 1961 über die Landes- und Gemeindesteuern (LGBl. 1961 Nr. 7)[107] und das Gesetz vom 23. September 2010 über die Landes- und Gemeindesteuern (Steuergesetz; SteG, LGBl. 2010 Nr. 340). Eine vom Landtag im Jahr 1990 beschlossene umfangreichere Revision wurde in einer Referendumsabstimmung abgelehnt. Sie hatte insbesondere die Besteuerung der Mieterträge auf Liegenschaften vorgesehen.B.Totalrevision von 2010Gemäss Martin Wenz entschied sich Liechtenstein mit dem Steuergesetz vom 23. September 2010 für „ein marktorientiertes Gesamtsteuersystem“ zwischen „Steuerwettbewerb einerseits und Steuerkoordination und Steuerkooperation andererseits“.[108] Völlig neu gestaltet wurde 2010 die Besteuerung der juristischen Personen und der vermögensverwaltenden Strukturen, wobei dem betriebswirtschaftlichen Grundsatz Entscheidungsneutralität nachgelebt wurde.[109] Für die Vermögenssteuer mit ergänzender Erwerbssteuer der natürlichen Personen wird zwischen Alleinerziehenden, gemeinsam zu veranlagenden Ehegatten und übrigen Steuerpflichtigen unterschieden. Es gibt Progressionsstufen.[110] Unter den in Art. 30 SteG genannten Voraussetzungen ist eine Besteuerung von Ausländern nach dem Aufwand möglich.[111]Die juristischen Personen[112] unterliegen mit ihrem steuerpflichtigen Reinertrag der Ertragssteuer. Der Steuersatz beträgt 12,5%, kombiniert mit einer Freistellung von Beteiligungserträgen, Beteiligungsgewinnen und ausländischen Betriebsstätten- und Immobiliengewinnen sowie einem Eigenkapitalzinsabzug.[113] Es ist eine Mindestertragssteuer von 1’800 Fr. zu entrichten. Die Höhe der Mindestertragssteuer war immer wieder Gegenstand von Diskussionen im Landtag.[114] Der Betrag von 1’800 Fr. gilt seit der Revision durch LGBl. 2016 Nr. 344. Dass mit der Einführung des Eigenkapital-Zinsabzugs die bisherige Progression abgeschafft wurde, führte BuA Nr. 48/2010, S. 43, ausdrücklich aus, ohne jedoch auf die von Art. 24 LV aufgestellten Vorgaben einzugehen. Im Vordergrund der Reform stand vielmehr, attraktive Bedingungen für die Unternehmen zu schaffen.[115]Seit dem 1. Januar 2014 unterliegen alle juristischen Personen – mit Ausnahme der Privatvermögensstrukturen im Sinne von Art. 64 SteG[116] – der Ertragssteuer. Es gibt keine separaten Regelungen mehr für die früheren Holdinggesellschaften[117] und Sitzunternehmen.[118]Im Jahr 2016 wurden von der Steuerverwaltung 18’704 (Vorjahr: 17’144) Veranlagungen von juristischen Personen vorgenommen.[119] Die Gesamterträge aus der Ertragssteuer beliefen sich im Jahr 2017 auf 246,8 Mio. Fr. (2016: 252.4 Mio., 2015: 228.0 Mio.), wovon 20,8 Mio. Fr. (2016: 15.8 Mio., 2015: 18,7 Mio.) auf Privatvermögensstrukturen und Trusts entfallen.[120]Sowohl die natürlichen als auch die juristischen Personen haben auf den Gewinnen aus der Veräusserung inländischer Grundstücke die Grundstücksgewinnsteuer zu entrichten.[121]Seit der Totalrevision von 2010 wird keine Erbschaftssteuer mehr erhoben. Die Nachlass-, Erbanfalls- und Schenkungssteuer wurde mit dem Argument aufgehoben, sie verstiessen gegen den „Grundsatz der einmaligen Besteuerung des Markteinkommens einer Person, da ihnen Transfereinkünfte und keine Markteinkünfte zugrunde liegen“.[122] Dass die Besteuerung von Einkünften, die dem Steuerpflichtigen ohne jegliche Anstrengung seinerseits zufallen, dem Geist von Art. 24 LV (finanziell Gutgestellte stärker in die finanzielle Pflicht zu nehmen, selbst wenn sie ihr Einkommen hart erarbeitet haben) entsprechen, wurde nicht einmal erwähnt. Ein späteres Postulat zur Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer blieb im Landtag chancenlos.[123]2016 erfolgten insgesamt 30’105 (Vorjahr: 29‘502) Veranlagungen von natürlichen Personen mit einem Steuerergebnis für Land und Gemeinden von 236,0 Mio. Fr. (2016: 225.6 Mio., 2015: 226.6 Mio.). In diesem Betrag sind Einnahmen aus Selbstanzeigen in Höhe von 3,9 Mio. Fr. (2016: 4.8 Mio., 2015: 8.1 Mio.) enthalten. Der Landesanteil an der Vermögens- und Erwerbssteuer beträgt 98,4 Mio. Fr. (2016: 93.1 Mio., 2015: 92.7 Mio.).[124]VIII. Mit Steuerfragen betraute BehördenDie Steuerverwaltung erhebt insbesondere die Steuern nach dem Steuergesetz und dem Mehrwertsteuergesetz. Für die Veranlagung der natürlichen Personen arbeitet sie mit den Gemeindesteuerkassen zusammen. Im Jahr 2017 handelte es sich bei diesen Veranlagungen für die Vermögens- und Erwerbssteuer um 30’110 Veranlagungen.[125] Im Rahmen der Veranlagung und Erhebung der Ertragssteuer von den juristischen Personen kam es zu 17'372 Veranlagungen.[126] Die Erhebung und der Bezug der Mehrwertsteuer erfolgt in enger Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung und der Eidgenössischen Zollverwaltung. Im Jahr 2017 handelte es sich um 4’294 Mehrwertsteuerpflichtige.[127]Zu den Aufgaben der Steuerverwaltung gehört insbesondere auch die Verhandlung von Doppelbesteuerungsabkommen und Informationsaustauschabkommen (TIEA). Gestützt auf die von Liechtenstein abgeschlossenen Abkommen nimmt die Steuerverwaltung den Austausch von Informationen mit ausländischen Steuerbehörden vor.Die Landessteuerkommission ist gemäss Art. 81 Abs. 1 SteG Beschwerdeinstanz in Steuersachen und entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen und Verfügungen der Steuerverwaltung und der Gemeindesteuerkassen.[128] Verschiedene Beschwerden können beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.[129] Wie in allen anderen Bereichen auch, kann den StGH anrufen, wer die Verletzung eines verfassungsmässig gewährleisteten Rechtes geltend macht.[130]Ein ganz anderer Aufgabenbereich ist der Stabsstelle für internationale Finanzplatzagenden (SIFA) zugeordnet. Sie ist mit der Koordinierung und Umsetzung der Finanzplatzstrategie der Regierung betraut. Hierzu analysiert sie die internationalen Entwicklungen.[131] Die SIFA leitet Gespräche, Verhandlungen und Delegationen bei internationalen und europäischen Organisationen sowie bilateral. Dabei steht sie in engem Kontakt mit den Finanzplatzverbänden sowie den betroffenen Amtsstelen und arbeitet insbesondere mit der Steuerverwaltung eng zusammen. Letztere ist schliesslich für die Verhandlung von Doppelbesteuerungsabkommen und für die Umsetzung der Steuerabkommen verantwortlich.IX. Internationale Zusammenarbeit in SteuersachenA.VorbemerkungenDen folgenden Ausführungen ist vorauszuschicken, dass die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung[132]), der Europarat und die EU immer wieder aufeinander Bezug nehmen. So wurden einzelne Regelwerke wie das Übereinkommen des Europarats und der OECD über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (auch Amtshilfeübereinkommen oder MAK genannt)[133] von mehr als einer Organisation erlassen, oder eine Organisation nimmt auf Texte der anderen Bezug. Insbesondere bezüglich der Empfehlungen der OECD ist darauf hinzuweisen, dass sie nicht alle im selben Masse verbindlich sind.[134]Das MAK „ist ein umfassendes Instrument zur Leistung von Amtshilfe mit mittlerweile über 90 Vertragsparteien, wobei Liechtenstein einzelne Vorbehalte angebracht hat. Das Abkommen sieht Amtshilfe auf Anfrage vor und verpflichtet zum spontanen Informationsaustausch.“[135] Es ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil es „als Grundlage für den Austausch von so genannten Steuer-Rulings und zusammen mit einer Multilateralen Amtshilfevereinbarung (MCAA) als Basis für einen automatischen Informationsaustausch (AIA) und die länderbezogene Berichterstattung für Unternehmen (country-by-country-reporting)“ dient.[136]B. Die LiechtensteinerklärungAm 12. März 2009 wandte sich die Regierung mit der „Liechtenstein-Erklärung“ an die Öffentlichkeit.[137] Sie gab darin bekannt, die durch die OECD entwickelten Standards umzusetzen. Mit Datum vom 14. November 2013 bekräftigte Liechtenstein in einer Regierungserklärung sein Bekenntnis zu den geltenden OECD-Standards zur steuerlichen Zusammenarbeit.[138]Unter dem Titel „Integrierte Finanzplatzstrategie“ führt die Regierung hierzu aus: „Mit der «Liechtenstein-Erklärung» vom 12. März 2009 bekannte sich das Fürstentum zum OECD-Standard für Transparenz und Informationsaustausch in Steuerfragen. Mit dieser Deklaration bot Liechtenstein interessierten Staaten bilaterale Steuerabkommen zur effektiven Zusammenarbeit bei Steuerbetrug und Steuerhinterziehung an. Auf dieser Grundlage wurden bis Ende 2012 mit 30 Ländern Steuerinformationsaustauschabkommen (TIEA) und Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen. Anfang 2013 konnte eine integrierte Finanzplatzstrategie verabschiedet werden (…). Am 14. November 2013 veröffentlichte die Regierung des Fürstentums Liechtenstein in Vaduz eine Regierungserklärung zur weiteren internationalen Steuerkooperation. Darin bekräftigt das Land sein Bekenntnis zu den geltenden OECD-Standards.“[139]C. OECD-StandardsLiechtenstein ist seit der Gründung des Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes der OECD (Global Forum genannt)[140] im Jahr 2009 Mitglied der Organisation und beteiligt sich aktiv an den Arbeiten des Global Forums.[141]Seit Frühling 2016 ist Liechtenstein Mitglied des Inclusive Frameworks on BEPS der OECD, das die „Umsetzung sowie die Kontrolle des BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting), zum Gegenstand“ hat,[142] also Massnahmen zur Eindämmung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung.[143] Mit der Mitgliedschaft ist ein Monitoring-Programm verbunden.[144] „Am 29. Oktober 2014 unterzeichnete Liechtenstein am Jahrestreffen des Global Forum das sogenannte Multilateral Competent Authority Agreement („MCAA“), das die Grundlage für einen bilateralen automatischen Informationsaustausch bilden soll.“[145] Auf Deutsch heisst es denn auch „Multilaterale Vereinbarung der zuständigen Behörden über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten“.[146] „Das MCAA enthält die Verpflichtung zum Austausch bestimmter Informationen, die nach den geltenden Melde- und Sorgfaltsvorschriften gemäss dem von der OECD mit den G20-Staaten ausgearbeiteten Standard für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten in Steuersachen (gemeinsamer Meldestandard) beschafft wurden.“[147] Es stellt ein Instrument dar, um den von der OECD entwickelten AIA-Standard umzusetzen.[148] Umgesetzt wurde es in Liechtenstein durch das AIA-Gesetz.[149]Mit welchen Staaten der automatische Informationsaustausch praktiziert wird, bestimmen weder das MCAA noch das AIA-Gesetz. Vielmehr bedarf es hierzu der „ausdrücklichen bilateralen Aktivierung im Rahmen des vom MCAA vorgesehen Mechanismus.“[150]Die multilaterale Vereinbarung der zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berichte[151] (MCAA-CbC oder CbC MCAA genannt) dient der Umsetzung des Projekts BEPS.[152] „Das MCAA-CbC sieht vor, dass länderbezogene Berichte multinationaler Konzerne unter den Staaten und Hoheitsgebieten, in denen sich ein konstitutiver Rechtsträger des multinationalen Konzerns befindet, auszutauschen sind.“[153]Liechtenstein wurde bereits mehrfach von Gremien der OECD evaluiert. Siehe insbesondere unlängst den peer review report über die Verbesserung der Streitbeilegungsmechanismen,[154] der im Zusammenhang mit dem in Art. 25 des OECD-Musterabkommens (OECD Model Tax Convention) verankerten Verständigungsverfahrens (mutual agreement procedure, MAP) steht, oder den 2015 veröffentlichten Report über den Informationsaustausch zu Steuerzwecken.[155]Am 12. September 2011 war ein Länderbericht (peer review report) mit dem Fokus auf den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Transparenz und den Austausch von Steuerinformationen veröffentlicht worden.[156] Am 19. September 2012 erfolgte ein positiv lautender Zusatzbericht.Aus den Evaluationsberichten, die sich auf andere Staaten beziehen, kann Liechtenstein schliessen, welche Anforderungen aktuell gestellt werden. Entsprechend kann es seine Erlasse frühzeitig anpassen.[157]D. Zusammenarbeit mit der EUDas Abkommen vom 7. Dezember 2004 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Europäischen Gemeinschaft über Regelungen, die denen der Richtlinie 2003/48/EG des Rates über die Besteuerung von Zinserträgen gleichwertig sind[158] wurde mit dem Änderungsprotokoll vom 28. Oktober 2015[159] nicht nur umbenannt, sondern auch inhaltlich massgebend geändert.[160] Das Zinsbesteuerungsabkommen wurde „zu einem AIA-Abkommen mit der EU umgestaltet und fast vollständig geändert.“[161]Die Revision trat per 1. Januar 2016 in Kraft.[162] Seither heisst das Abkommen „Abkommen zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Europäischen Union über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten“.[163] Es wird auch „AIA-Abkommen mit der EU“ genannt. Es garantiert die Anwendung des OECD-Standards für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten. Dabei sieht es einen reziproken AIA nach dem „globalen Standard“ der OECD (Common Reporting Standard, CRS) vor.[164] Er wurde ohne Abweichungen in das Abkommen aufgenommen. Das Abkommen sieht ausserdem den Informationsaustausch auf Ersuchen gemäss geltendem OECD-Standard vor.[165] Ziel ist die Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten. Dies geht nicht zuletzt aus dem ausführlichen Ingress des Änderungsprotokolls[166] hervor.Die Umsetzung im nationalen Recht erfolgte auf der Basis des AIA-Gesetzes.[167] Dieses regelt die Pflichten (Dokumentationspflichten, Nachweispflichten etc.) der Finanzinstitute und die Weiterleitung der Informationen[168] durch die Steuerverwaltung an die Behörden in den Partnerstaaten.[169]Einem ähnlichen Schema folgt das Gesetz vom 4. November 2016 über den internationalen automatischen Austausch länderbezogener Berichte multinationaler Konzerne (CbC-Gesetz, LGBl. 2016 Nr. 502 LR 355).[170]Bezüglich der Amtshilfe auf Anfrage wurde das Steueramtshilfegesetz (SteAHG[171]) entsprechend revidiert.[172]Mit der Revision des Steuergesetzes vom 7. Juni 2018[173] wird den im Evaluierungsprozess der EU bezüglich Steuertransparenz, faire Besteuerung von Unternehmen und Umsetzung der BEPS-Mindeststandards angebrachten Bemerkungen[174] Rechnung getragen und die entsprechenden Missbrauchsbestimmungen ergänzt.[175]E. DoppelbesteuerungsabkommenMit seinen Nachbarstaaten Schweiz[176] und Österreich[177] hatte Liechtenstein schon früh Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) geschlossen.[178] Dies drängte sich insbesondere wegen der hohen Anzahl an Grenzgängern auf.[179] Das aktuell mit Deutschland[180] geltende Doppelbesteuerungsabkommen ist geprägt durch die „Normalisierung“ der steuerlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten, die 2009 durch ein Steuerinformationsabkommen[181] eingeläutet worden war.[182] Es enthält keine gesonderten Bestimmungen für Grenzgänger. Bei allen DBA gilt es zu prüfen, auf wen sie anwendbar sind, also wer „abkommensberechtigt“ ist[183] (so genannter persönlicher Anwendungsbereich) und welche grenzüberschreitenden Sachverhalte (sachlicher und räumlicher Anwendungsbereich) vom Abkommen erfasst sind. Innenpolitisch umstritten war das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz,[184] und zwar vor allem in Bezug auf seine Auswirkungen auf diejenigen Menschen, die in Liechtenstein wohnen, aber in der Schweiz arbeiten. Anlass zu Kritik gab dabei nicht das Kassenstaatsprinzip an sich,[185] d.h. die Vereinbarung, dass die Einkünfte und Renten der in der Schweiz im öffentlichen Dienst Beschäftigten in der Schweiz versteuert werden müssen. Vielmehr wurde kritisiert, dass der Kanton St. Gallen darauf gedrängt hatte, dass mehrere öffentliche Einrichtungen, aus deren Trägerschaft Liechtenstein in den Jahren zuvor ausgeschieden war, nicht mehr als gemeinsame (sondern als schweizerische) Einrichtungen galten, und ihre liechtensteinischen Angestellten demnach am Arbeitsort im Kanton St. Gallen steuerpflichtig wurden.Zur Vergrösserung der Anzahl Doppelbesteuerungsabkommen[186] und zum Abbau steuerlicher Beschränkungen zum Nachteil Liechtensteins führt die Steuerverwaltung nach wie vor Gespräche mit interessierten Staaten.[187]F. Zölle, Steuern, Abgaben und der EWR1. AllgemeinesDie Mitgliedschaft im EWR zeitigt mannigfaltige Folgen für die Regelung der Zölle, Steuern und Abgaben in Liechtenstein. Den Grundfreiheiten kann nur nachgelebt werden und der Binnenmarkt kann nur verwirklicht werden, wenn die Mitgliedstaaten auf Ungleichbehandlungen verzichten.[188] Der EFTA-Gerichtshof hält ausdrücklich fest, dass die Ausgestaltung des Steuersystems der Mitgliedstaaten nicht unter das EWRA fällt, jedoch die Steuerhoheit in Einklang mit den Vorgaben des EWR-Rechts ausgeübt werden muss.[189] Dabei gilt es insbesondere die Vorgaben bezüglich der staatlichen Beihilfen zu beachten.[190]Da die steuerrechtlichen Vorgaben der EU nicht in das EWRA übernommen worden sind, bestehen Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten auf der einen und den drei EWR/EFTA Staaten, die nur Mitglied des EWR sind, auf der anderen Seite.[191] Dies gilt insbesondere auch für den Datenaustausch zwischen den Steuerbehörden und den Verwaltungsbehörden.[192] Die entsprechende Richtlinie[193] wurde nicht in das EWRA übernommen, ebenso wenig die Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.[194]Mangels sekundärrechtlicher Bestimmungen zu den Steuern im EWR bestehen die für Steuern und Abgaben der EWR-Mitglieder geltenden Regeln vornehmlich aus Richterrecht (d.h. Urteilen des EFTA-Gerichtshofes).[195] Soweit der EuGH Regeln zur (insbesondere direkten) Besteuerung aus den Grundfreiheiten abgeleitet hat, gelten sie auch im EWRA, welches die Grundfreiheiten gleichermassen garantiert.[196]2. Das EWR-Abkommen begründet keine ZollunionDurch das EWRA wurde keine Zollunion begründet.[197] Dies stellte der EFTA-Gerichtshof schon früh unmissverständlich klar: EFTA-Gerichtshof Rs E-02/97 Mag Instrument Inc. and California Trading Company Norway, Ulsteen, Rn. 25: „Unlike the EC Treaty, the EEA Agreement does not establish a customs union. The purpose and the scope of the EC Treaty and the EEA Agreement are different (…[198]). Thus, the EEA Agreement does not establish a customs union, but a free trade area.“[199]Mengenmässige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen würden den freien Warenverkehr gleichermassen verunmöglichen wie Ein- oder Ausfuhrzölle. Sie werden deshalb im EWRA ausdrücklich verboten (Art. 10 bis 12 EWRA). Dasselbe gilt für Abgaben, welche zwischen in- und ausländischen Waren unterscheiden (Art. 14 und 15 EWRA).3. Art. 14 und Art. 15 EWRAArt. 14 und 15 EWRA verbieten eine diskriminierende indirekte Besteuerung von Waren (und z.B. auch ihres Gebrauchs oder ihres Transportes)[200]. Der Wettbewerb zwischen inländischen und importierten Produkten soll nicht durch die interne Besteuerung verfälscht werden.[201] Die beiden Bestimmungen sind identisch mit Art. 110 und Art. 111 AEUV, weshalb auf die vom EuGH etablierte Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann.[202] Zu Art. 14 EWRA ergingen erst zwei Urteile des EFTA-Gerichtshofes.[203]4. Dienstleistungsfreiheit (Art. 36 EWRA) und die übrigen GrundfreiheitenZölle, Steuern oder Abgaben können im Widerspruch zu einer Grundfreiheit stehen.[204] Sie können insbesondere die Dienstleistungsfreiheit gemäss Art. 36 EWRA verletzen.[205] Es gilt jedoch insbesondere auch, Diskriminierungen von grenzüberschreitenden Situationen und aufgrund der Nationalität respektive Ansässigkeit zu verhindern.[206]G. EMRKAuch die [1] EMRK enthält Vorgaben zur Ausgestaltung des Steuersystems, zur zulässigen Höhe der Besteuerung sowie zur Abwicklung der steuerrechtlichen Verfahren.[207] Einschlägig sind in erster Linie die in Art. 1 1. ZP EMRK verankerte Eigentumsgarantie und die auf Art. 6 EMRK gestützten Verfahrensgrundrechte. Letztere sind vor allem für Steuerstrafverfahren von Bedeutung respektive für das Zusammenwirken von steuer- und strafrechtlichen Verfahren.[208] In den Verfahren wegen Steuerhinterziehung, welche die deutschen Behörden auf Finanzdaten einer liechtensteinischen Bank stützten, die sich auf einem vom Bundesnachrichtendienst BND gekauften Datenträger befanden, beriefen sich die Betroffenen gegen die bei ihnen durchgeführte Hausdurchsuchung erfolglos auf Art. 8 EMRK.[209] Ebenso der US-Kunde einer Schweizer Bank, der sich gegen die von den Schweizer Behörden beschlossene Übermittlung seiner Bankdaten an die amerikanischen Steuerbehörden zur Wehr setzen wollte.[210] |
Das öffentliche Armenwesen ist Sache der Gemeinden nach Massgabe der besonderen Gesetze. Der Staat übt jedoch die Oberaufsicht hierüber aus. Er kann den Gemeinden, insbesonders zur zweckmässigen Versorgung von Waisen, Geisteskranken, Unheilbaren und Altersschwachen geeignete Beihilfen leisten. Public services for the poor shall be administered by the municipalities under the conditions set forth in specific laws. The State shall, however, exercise overall supervision of such services. It may grant appropriate subsidies to the municipalities, especially for the proper care of orphans, the mentally ill, the terminally ill, and the infirm. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Historische EntwicklungA. Art. 25 LV stellte auf das Armengesetz von 1869 abArt. 25 LV geht auf den Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck zurück.[2] Er fand seine noch heute gültige Form in der Regierungsvorlage Peer. Während bei Beck die Gemeinden „geeignete Beihilfen des Landes in Anspruch nehmen“ konnten, fügte Peer die „Oberaufsicht“ ein und ging zu einer Kann-Formulierung über. Er stützte sich dabei auf § 1 Armengesetz von 1869[3], der lautete: „Die Oberaufsicht über das Armenwesen im Fürstentum übt die Regierung.“ § 16 Armengesetz beschrieb die Personen mit Anspruch auf Unterstützungsleistungen als „diejenigen, welche ihrer körperlichen oder geistigen Beschaffenheit wegen sich selbst zu unterhalten nicht imstande sind“, wobei als Gründe insbesondere das Alter und „Gebrechen des Leibes oder Geistes“ genannt wurden. Die von Beck verwendete Wendung „Geisteskranke, Unheilbare und Altersschwache“ griff auf sie zurück. Da das Armengesetz von 1869 den Gemeinden die Unterstützung der Armen auftrug und ihnen gleichzeitig Beiträge aus dem Armenfonds zuwies (§ 26 lit. c und §§ 30 ff.), zeigt sich auch für die Finanzierung, dass Art. 25 LV keine neue Regelung traf, sondern das geltende Recht übernahm. Folglich drängte sich nach Inkrafttreten der Verfassung keine Revision des Sozialhilfegesetzes von 1869 auf. Es wurde erst mit dem Sozialhilfegesetz von 1965 überarbeitet.Wegen des Anknüpfens an dem 1921 geltenden Sozialhilferecht ist es notwendig, die im 19. Jahrhundert begonnene Entwicklung der Sozialhilfe und dabei insbesondere das Verhältnis zwischen Land und Gemeinden näher zu beleuchten. Dabei wird sich zeigen, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Land, Kirche und Gemeinden in der Versorgung der Bedürftigen wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht.B. Die Entwicklung im Armenwesen während des 19. und 20. JahrhundertsLiechtenstein ergriff im 18. Jahrhundert wie die umliegenden Länder Massnahmen zur Verfolgung von fremden Bettlern.[4] Im Armengesetz vom 20. Oktober 1869[5] wurde das Betteln ausdrücklich verboten (§ 23). Liechtensteiner Bettler waren in ihre Heimatgemeinde zurückzuführen, Ausländer abzuschieben (§ 24). Gegen die „Vermehrung des Armutsstandes“ war auch die Verordnung betreffend die Einführung des politischen Ehekonsenses vom 14. Oktober 1804] gerichtet.[6] Sie bildete die Grundlage für die Verweigerung der Eheschliessung von Paaren ohne Einkommen und Vermögen.[7] Obwohl die Auswanderung erst ab 1864 keinen Beschränkungen mehr unterlag, verliessen um 1800 viele Liechtensteiner ihre Heimat. Von 1848 bis 1855 und von 1880 bis 1884 kam es zu einer ersten und zweiten Auswanderungswelle, nach dem 1. Weltkrieg in den Jahren 1920 bis 1929 zu einer dritten.[8]Bereits in den Jahren vor 1800 hatten die Landesbehörden die Geistlichkeit aufgefordert, Massnahmen zur Bekämpfung der Armut zu ergreifen. Es kam jedoch nicht zu konkreten Projekten.[9] 1836 wurde ein Waisenamt errichtet.[10] Es war nicht mit der Betreuung der Waisen und Bevormundeten betraut, sondern mit der Verwaltung ihres Vermögens.[11]Mit Verordnung vom 20. Oktober 1845 über das Armenwesen wurden eine Armenkommission und ein Landesarmenfonds geschaffen. Die Armenkommission stand unter dem Vorsitz des Landvogts. Sie war aus Geistlichen, Gemeindevorstehern und einem Lehrer zusammengesetzt (§ 1 Abs. 1 Verordnung). Das Land überwachte, ob die Gemeinden ihrer Unterstützungspflicht nachkamen (§ 3 und § 5 Verordnung). Der Fonds wurde durch spezielle Abgaben und eine Erbschaftssteuer (§ 10 f. Verordnung) geäufnet.[12] Begründet wurde die Errichtung der Armenkommission und des Landesarmenfonds mit den finanziellen Problemen der Gemeinden bei der Versorgung der Armen und dem Fehlen von Armenhäusern.[13]§ 5 GemG 1864[14] verpflichtete die Gemeinden,[15] „die mittellosen und erwerbsunfähigen Gemeindeangehörigen zu erhalten“ und darüber zu wachen, dass das Stiftungsvermögen des Armenfonds nur zu den vorgesehenen Zwecken verwendet wurde. Dass nur Gemeindebürger (nicht aber die sog. Niedergelassenen und Fremde) Anspruch auf Unterstützung hatten, erschliesst sich aus § 17 und § 33 GemG 1864. Das Armengesetz vom 20. Oktober 1869 legte in § 16 fest, wer Anspruch auf Unterstützung hatte.[16] Bevor die Heimatgemeinde Leistungen zu erbringen hatten, mussten die Verwandten für Bedürftige aufkommen (§ 18). Das Armengesetz wies der Regierung die „Oberaufsicht über das Armenwesen“ zu (§ 1) und stattete sie mit weitgehenden Rechten aus. Unter anderem fungierte die Regierung als Rekursinstanz für alle Beschwerden gegen Beschlüsse von Gemeindeorganen (§ 4). Überdies regelte das Armengesetz die Beiträge aus dem Landesarmenfonds an die Armenhäuser (§ 9, § 26, §§ 30 ff.). Ab 1870 wurden von mehreren Gemeinden „Bürgerheime“ genannte Armenhäuser eingerichtet.[17] Geleitet wurden die mit einem landwirtschaftlichen Betrieb verbundenen Heime vom kommunalen Armenverwalter, betreut wurden die Bewohner von Ordensfrauen.[18]In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die staatliche Fürsorge ausgebaut. Bedürftige erhielten Unterstützung aus verschiedenen von der Regierung verwalteten Fonds.[19] Daneben erbrachten auch kirchliche Stellen Leistungen.[20] Mit der Verordnung vom 28. September 1961 über den Fürsorgedienst[21] wurde die Grundlage für das Fürsorgeamt geschaffen. Seine Aufgabe (siehe Art. 3 Verordnung) war es v.a., die im Gesetz vom 20. November 1958 betreffend die Versorgungsmassnahmen für arbeitsscheue und liederliche Personen[22] genannten Massnahmen durchzuführen. Die Kosten für das Amt hatten zu einem Drittel die Gemeinden zu übernehmen (Art. 4 Abs. 1 Verordnung). Die Kosten für die Fürsorgemassnahmen waren hälftig von Land und Heimatgemeinde zu tragen (Art. 4 Abs. 2 Verordnung). Der Anspruch auf Unterstützung richtete sich nämlich gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. e GemG 1959[23] gegen die Heimatgemeinde, und explizit (siehe Art. 20 GemG 1959) nicht gegen die Wohngemeinde. Er war auf die Gemeindebürger beschränkt (siehe Art. 5 Abs. 2 lit. d und Art. 9 Abs. 1 lit. e GemG 1959). Erst mit dem Sozialhilfegesetz von 1965[24] wechselte die Zuständigkeit von der Heimat- zur Wohnsitzgemeinde (Art. 24 SHG 1965).[25] Erstmals wurden die Voraussetzungen für ausländische Staatsangehörige aufgeführt, um in Liechtenstein Sozialhilfe beziehen zu können (Art. 21 SHG 1965). Das Sozialhilfegesetz bezeichnete das Fürsorgeamt (des Landes), die Fürsorgekommissionen (der Gemeinden) und die Regierung als Organe der Fürsorge und Wohlfahrtspflege (Art. 3). Dem Fürsorgeamt (siehe Art. 5) kam neben der Koordination der Tätigkeiten der Fürsorgekommissionen unter anderem die wirtschaftliche Fürsorge für sog. heimgekehrte Landesbürger und Liechtensteiner im Ausland zu. In allen anderen Fällen war die Wohngemeinde zuständig (Art. 26 Abs. 2). Die Sozialarbeiter der Gemeinden wurden jedoch ausdrücklich dazu verpflichtet, das Fürsorgeamt bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (Art. 6). Die Regierung blieb Beschwerdeorgan (Art. 8). Die Kosten waren je hälftig von Land und Gemeinden zu tragen (Art. 57).II. Umfang der Rechte und Pflichten der GemeindenDas Armenwesen wurde 1921 nicht deshalb den Gemeinden zugewiesen, weil sich im Land unterschiedliche Lösungen etabliert hatten oder für die Zukunft angestrebt wurden. Vielmehr war bereits mit dem Armengesetz von 1869 eine landesweite Regelung erreicht. Es regelte die Unterstützung der Hilfsbedürftigen in dieser Reihenfolge: Pflicht zur „Selbsterhaltung“ (§ 17), Unterstützung durch Verwandte (§ 18), Unterstützung durch die Gemeinde (§ 19). Das Land machte den Gemeinden detaillierte Vorgaben über die Ausgestaltung des Armenwesens und sicherte sich die Aufsicht. Eine Verpflichtung der Gemeinden, Angebote zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit, zur Förderung von Behinderten oder psychisch Kranken oder zur Pflege von Betagten zu entwickeln und der gesamten Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, fand sich im Armengesetz nicht und kann auch nicht aus Art. 25 LV herausgelesen werden.[26] Dies umso mehr, als Art. 18 LV das Land mit der Sorge für das Gesundheitswesen und der Unterstützung der Krankenpflege betraut. Die Erwähnung der „zweckmässigen Versorgung von Waisen, Geisteskranken, Unheilbaren und Altersschwachen“ in Art. 25 LV stellt keine Verpflichtung der Gemeinden dar, den mit dem Verlust von Angehörigen, psychischen oder unheilbaren Erkrankungen und der Gebrechlichkeit im Alter zusammenhängenden Herausforderungen aktiv zu begegnen, sondern eine nicht abschliessende Aufzählung von Personen, die Anspruch auf Hilfe haben, sofern die notwendige Hilfe nicht durch ihre Verwandten geleistet wird. Art. 25 LV weist den Gemeinden keine über die materielle Versorgung der Bedürftigen hinaus gehenden Aufgaben zu. Diese auf den mit Art. 25 LV verfolgten Zweck (Weiterführen des bisherigen Systems der Sozialhilfe) gestützte Auslegung deckt sich mit der wörtlichen Auslegung des Begriffs „Armenwesen“. Unzulässig wäre es, wenn das Land neben den Gemeinden ein paralleles System der Sozialhilfe aufziehen würde. Es gibt nur ein öffentliches Armenwesen, und dieses ist in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen Sache der Gemeinden. Art. 25 LV begründet keine parallele Kompetenz von Gemeinden und Land,[27] diesen Regelungsgegenstand je eigenen Normen zu unterwerfen. Wegen des Verweises auf das Gesetz, wegen der Oberaufsicht und des finanziellen Engagements des Landes darf das Gesetz dem Land nicht nur gestaltende und kontrollierende Aufgaben zuweisen, sondern in einzelnen Bereichen – insbesondere wo die Überwachung besonders intensiv sein müsste oder ein identisches Vorgehen im ganzen Land notwendig erscheint – auch eine umfassende Regelungskompetenz.III. ZuständigkeitenA. Die Kompetenzen der GemeindenArt. 25 LV verwendet dieselbe Formulierung („ist Sache“) wie Art. 23 LV, der dem Staat das Recht und die Pflicht zuweist, das Münzwesen und das öffentliche Kreditwesen zu regeln. Allerdings verwendet Art. 25 LV den Zusatz „nach Massgabe der besonderen Gesetze“ und verweist auf das Oberaufsichtsrecht des Staates. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Armenwesen grundsätzlich eine Aufgabe der Gemeinden ist. Eine Aufsicht durch das Land ist ja auch nur dann notwendig, wenn die Gemeinden über gewisse Gestaltungsmöglichkeiten verfügen. Weist die Verfassung eine Aufgabe den Gemeinden zu, so nimmt der Verfassungsgeber in Kauf, dass nicht alle Gemeinden die Aufgabe gleich lösen. Soweit ihnen nicht per Gesetz Vorgaben gemacht werden,[28] dürfen die lokalen Behörden die ihnen passend erscheinenden Massnahmen treffen, die Organisation des Sozialhilfewesens ihren Verhältnissen entsprechend ausgestalten, auf besondere Herausforderungen mit neuen Hilfsangeboten reagieren etc. Art. 25 LV verlangt nicht, dass Sozialhilfebezüger mit vergleichbaren Verhältnissen in allen Gemeinden genau dieselbe Summe ausbezahlt erhalten, in jeder Gemeinde dieselben Beratungsangebote bereit stehen[29] und die Verfahren gleich ablaufen. Weil Art. 25 LV dem Land die Oberaufsicht zuweist, darf das Gesetz den Gemeinden jedoch entsprechende Vorgaben machen. Gemäss Art. 25 LV ist das Armenwesen „nach Massgabe der besonderen Gesetze“ Sache der Gemeinden. Der Verweis auf ein besonderes Gesetz findet sich auch in Art. 38 LV, Art. 103 LV und Art. 104 Abs. 1 LV. Dass Art. 25 LV den Plural wählt, könnte sich damit erklären, dass sich 1921 in zwei Gesetzen – nämlich im Gemeindegesetz von 1864 und im Armengesetz von 1869 – Ausführungen zur Sozialhilfe fanden. Die Formulierung von Art. 25 LV bedeutet, dass das Armenwesen eine Aufgabe der Gemeinden ist und dass diese so zu erledigen ist, wie es die einschlägigen Gesetze vorgeben. Die Verfassung weist damit darauf hin, dass es für den Bereich der Sozialhilfe gesetzlicher Regelungen bedarf. Dies natürlich nicht zuletzt deshalb, weil die im Verfassungstext bereits angesprochene Ausübung der Aufsicht durch das Land und die Finanzierung geklärt werden müssen. Im Gesetz muss z.B. näher ausgeführt werden, was zur Sozialhilfe gehört und was nicht, ob lediglich wirtschaftliche Hilfe ausgeschüttet werden soll oder ob auch Beratung angeboten wird, ob Betroffene Gelegenheit erhalten, sich aus- und weiterzubilden und falls ja, ob dies mit Hilfe von Beratung oder zwangsweise zu leistende Arbeitseinsätzen geschehen soll. Art. 25 LV begründet nicht nur ein Recht der Gemeinden, sondern auch eine Pflicht, ein System vorzusehen, das die Existenzsicherung jedes Einwohners garantiert. Art. 110 Abs. 2 lit. c LV zeigt, dass es nicht genügen würde, Hilfsbedürftigen nur von Fall zu helfen. Art. 110 Abs. 2 lit. c LV verlangt von den Gemeinden nämlich ein „geregeltes Armenwesen“. Sie müssen vorausschauend eine Ordnung treffen, welche die rechtsgleiche Behandlung gleich gelagerter Fälle ermöglicht. Dies bedingt Vorkehren organisatorischer Art und das Bereitstellen finanzieller Mittel.B. Die Kompetenzen des LandesIndem Art. 25 LV dem Staat die Oberaufsicht zuweist, legt er fest, dass dem Land eine kontrollierende Funktion zukommt. Überwachung und Kontrolle können nur ausgeübt werden, wenn Kriterien bestimmt sind, gestützt auf die das Handeln beurteilt werden kann. Aus diesem Grund erteilt Art. 25 LV dem Land die Kompetenz, sowohl materielle (z.B. über die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe und über die Höhe der auszurichtenden Beiträge) als auch formelle Grundsätze (z.B. wie die Behörden der Gemeinden auszugestalten und die Verfahren abzuwickeln sind) aufzustellen. Art. 25 LV enthält bezüglich der finanziellen Unterstützung der Gemeinden eine Kann-Formulierung. Als die Verfassung 1921 erlassen wurde, hatte sich das Land[30] bereits in erheblichem Ausmass für das Armenwesen eingesetzt. Ein Rückzug war nicht geplant, wäre aber aufgrund der Formulierung jederzeit möglich.[31] In welcher Form und in welchem Umfang sich das Land engagieren muss, gibt Art. 25 LV nicht vor. Die Formulierung „insbesonders zur zweckmässigen Versorgung von (…)“ dient als Beispiel. Sie verpflichtet das Land nicht, die Kosten für die stationäre Unterbringung oder für die genannten Personen zu übernehmen. Überdies macht der Begriff „Beihilfe“ deutlich, dass es um unterstützende Leistungen geht. Das Land dürfte deshalb nicht sämtliche in der Sozialhilfe anfallenden Kosten tragen oder das Anbieten aller Dienste und Einrichtungen übernehmen. Die Sozialhilfe wird in Art. 12 Abs. 2 GemG, der die dem eigenen Wirkungskreis der Gemeinden zugeteilten Aufgaben aufzählt und damit zumindest eine Vermutung für die Autonomie der Gemeinden setzt,[32] nicht erwähnt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Gemeinden im Bereich der Sozialhilfe für die ihnen per Gesetz überlassenen Aufgaben nicht auf die Gemeindeautonomie berufen dürfen.[33] Es bedeutet lediglich, dass die Autonomie der Gemeinden nur so weit reicht, wie ihnen das Gesetz einen Freiraum belässt. Gerade weil die Aufgabe des Armenwesens den Gemeinden durch die Verfassung zugewiesen wird, muss ihnen das Gesetz einen Freiraum gewähren. Liechtenstein ist Mitglied der „Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS“.[34] Die SKOS bezweckt „die Förderung von Kompetenz, von Koordination und Zusammenarbeit in der öffentlichen und privaten Sozialhilfe auf kommunaler, regionaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene.“[35] Sie unterstützt ihre Mitglieder durch Information und Vernetzung ihre Aufgaben in der Gestaltung der Sozialhilfe besser wahrzunehmen. Dies kommt der Regierung bei der Ausübung ihrer lenkenden Aufgaben und den Gemeinden in der täglichen Praxis zugute.[36]C. Die Kompetenzen von PrivatenMit Art. 25 LV wurden die Grundlagen für die Organisation und Finanzierung des öffentlichen Armenwesens gelegt. Es wurde kein Monopol der Gemeinden errichtet. Hilfe durch kirchliche Institutionen, Verbände und Private ist zulässig. Sie untersteht nicht der Aufsicht des Staates.[37] Anders als die staatliche Sozialhilfe, für die das Legalitätsprinzip gilt und die sowohl das Rechtsgleichheitsgebot als auch das Willkürverbot beachtet und den Verfahrensgrundrechten Genüge tun muss, dürfen Private, deren Hilfeleistungen durch Freiwilligenarbeit, Mitgliederbeiträge, private Spenden oder andere private Mittel ermöglicht werden,[38] nach Gutdünken respektive nach den von ihnen selbst gesetzten Regeln handeln.[39]Den Gemeinden und dem Land steht es frei mit Privaten zusammenzuarbeiten und diesen einzelne Aufgaben zu übertragen oder sie zu unterstützen.[40] In diesem Fall und soweit die Unterstützung durch die öffentliche Hand reicht, sind die Privaten gleichermassen wie die öffentliche Hand an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung etc. gebunden. Die Gemeinden dürfen sich nicht mit dem Hinweis, Hilfe werde auch von kirchlicher oder privater Seite geleistet, gänzlich aus der Sozialhilfe zurückziehen. Wenn allerdings eine Person von privater Seite bereits so viel Hilfe erhält, dass sie nicht mehr bedürftig ist, entfällt ihr Anspruch auf Sozialhilfe. Von Armut bedrohte oder betroffene Personen dürfen sich (geschützt durch Art. 41 LV) zusammenschliessen, um eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation zu erreichen (siehe auch Art. 25 SHG) oder ihre Positionen besser in die politische Auseinandersetzung einzubringen.IV. Kompetenzverteilung zwischen Land und Gemeinden im SozialhilfegesetzA. Beschränkung der Gemeinden auf InformationsrechteGemäss der aktuellen Fassung des Sozialhilfegesetzes führt das Amt für Soziale Dienste die persönliche Hilfe (d.h. die Beratung und Betreuung) und die wirtschaftliche Hilfe durch (Art. 7 und Art. 21 SHG). In den Gemeinden gibt es keine Fürsorgekommissionen[41] und keine Sozialarbeiter mehr.[42] Lediglich der Gemeindevorsteher ist mit Aufgaben der Sozialhilfe betraut. Er ist zur Unterstützung des Amtes für Soziale Dienste verpflichtet (Art. 21a SHG[43]). Ihm erstattet das Amt Bericht (Art. 25a SHG), aber nur über die wirtschaftliche Hilfe und Unterhaltsvorschüsse. Gemäss Art. 25a Abs. 3 und 4 SHG nimmt er „den Bericht zur Kenntnis und überprüft[44] ihn aus Sicht der Gemeinde und auf Basis der ihr vorliegenden Informationen.“ Seine Hinweise und Einwände sind vom Amt für Soziale Dienste „sorgfältig zu prüfen und angemessen zu berücksichtigen.“[45] Ein Vetorecht gegen die vom Amt getroffenen Massnahmen steht ihm genauso wenig zu wie ein Rechtsmittel.[46] Die Gemeinden haben keinen Einfluss auf die Leistungen oder die Art und Weise, wie die Bedürftigen durch das Amt für Soziale Dienste betreut werden. Sie können keine Schwerpunkte setzen. Eine Gemeinde kann deshalb z.B. weder beschliessen, dass ihre Bedürftigen einen höheren Unterstützungsbetrag erhalten, weil die Lebenshaltungskosten in ihrem Gebiet höher sind, noch kann sie ihre Sozialhilfeempfänger dazu verpflichten, Gegenleistungen in einer sozialen Einrichtung vor Ort zu erbringen. Die Gemeinden haben die Hälfte der Kosten aller Massnahmen zu tragen, und zwar im Verhältnis ihrer Einwohnerzahl (Art. 27 SHG[47]).[48] Die Einwohnerzahl ist ein sinnvoller Anknüpfungspunkt. Die Gemeinden nur an den Kosten ihrer Einwohner zu beteiligen, könnte sie motivieren, durch eine besonders gute Betreuung, durch das Bereitstellen günstiger Wohnungen etc., die Kosten tief zu halten. Andererseits hätten die Gemeinden den Anreiz, Sozialhilfebezüger zum Wegzug zu motivieren oder den Zuzug von finanzschwachen Personen zu verhindern. Indem die Gemeinden unabhängig von der Anzahl und den Kosten ihrer Sozialfälle zur Kasse gebeten werden, entsteht kein solcher Druck.[49] Art. 25 LV lässt beide Varianten zu. Hingegen gerät die getroffene Regelung, wie sogleich in Kapitel B gezeigt wird, in Konflikt mit der Gemeindeautonomie. Die Aufteilung der Kosten hatte mehrfach zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Land und den Gemeinden geführt.[50] Die hälftige Aufteilung wird jedoch schon lange praktiziert. Die Verfassung liesse auch einen anderen Verteilschlüssel zu, solange die Beteiligung der Gemeinden nicht auf Null gesetzt wird. Im Jahr 2014 führte das Amt für Soziale Dienste im Bereich der wirtschaftlichen Sozialhilfe 533 Dossiers (522 im Vorjahr).[51] 824 (837) Personen, davon 187 (202) Kinder und Jugendliche, erhielten Unterstützungsleistungen.[52] 58% der Unterstützten waren liechtensteinischer Nationalität.[53] Liechtenstein wies 2014, unverändert zum Vorjahr, eine Sozialhilfequote von 2,2% auf. Die Ausgaben für die wirtschaftliche Sozialhilfe beliefen sich im Jahr 2013 insgesamt auf 7,27 Mio. Fr. und nahmen 2014 auf 7,3 Mio. Fr. zu.[54]B. Verfassungswidrigkeit der geltenden Kompetenzverteilung?Gemäss den Materialien zu den letzten Revisionen des SHG pochte das Land mit dem Argument, das Armenwesen sei gemäss Art. 25 LV Sache der Gemeinden, auf eine finanzielle Beteiligung der Gemeinden.[55] Wenn die Regierung darauf hinweist, dass Art. 25 LV dem „Rückzug der Gemeinden aus der Mit-Zuständigkeit für die wirtschaftliche Hilfe Grenzen“ setzt,[56] hat sie Recht. Für eine Pflicht der Gemeinden, im Bereich der Sozialhilfe Aufgaben zu erfüllen, spricht auch Art. 110 Abs. 2 lit. c LV. Er bestimmt weder die Art noch den Umfang der Aufgaben der Gemeinden im Armenwesen, doch legt er fest, dass den Gemeinden Rechte und Pflichten zukommen. Weist das SHG den Gemeinden gar keine Kompetenzen mehr zu, sondern trifft sie lediglich eine Zahlungspflicht (wie in Kapitel A ausgeführt, gewährt das Informationsrecht von Art. 25a SHG keine Mitbestimmungsrechte), werden Art. 25 LV, Art. 110 Abs. 2 lit. c LV und die Gemeindeautonomie verletzt.[57] Das Wesen der Gemeinden als eigenständige, zur Selbstorganisation und -verwaltung berufene Körperschaften wird nämlich missachtet, wenn das Land eine Aufgabe dergestalt selber vornimmt, dass die Gemeinden keinen Einfluss nehmen können, sondern Organe des Landes ohne einen Bezug zu lokalen Gegebenheiten herzustellen und ohne Rücksicht auf lokale Unterschiede allein gestützt auf Landesrecht handeln.[58] Dies gilt umso mehr für eine Aufgabe, welche die Verfassung explizit den Gemeinden zuweist. Es steht wegen Art. 112 Abs. 2 LV nicht im Belieben der Gemeinden, sich einer ihnen in der Verfassung zugewiesenen Aufgabe zu entledigen und sie dem Land zu überlassen. Wenn die Vertreter von Land und Gemeinden zum Schluss kommen, alle Sozialhilfebezüger nach denselben vom Gesetzgeber erlassenen Bestimmungen des Landesrechts von Fachleuten des Landes betreuen zu lassen, können sie dafür gute Gründe wie insbesondere die Professionalisierung vorbringen. Zu kritisieren ist jedoch, dass bei der durch das Gesetz vorgenommenen Verschiebung der Kompetenzen Art. 25 LV und Art. 110 Abs. 2 lit. c LV nicht entsprechend revidiert wurden. An einem Anknüpfungspunkt in der Verfassung fehlt es ebenso, wenn die Regierung bezüglich Aufgabenentflechtung zwischen Land und Gemeinden anführt, es sei vom Ansatz auszugehen, „dass die Gemeinden im sozialen Bereich diejenigen Aufgabenbereiche übernehmen sollten, welche eine Grundleistung der öffentlichen Hand für alltägliche „normale“ Lebenssituationen der Bevölkerung darstellen. Dies deshalb, weil eben die üblichen Tätigkeiten wie Arbeiten, Wohnen usw. in der Gemeinde stattfinden. Zu diesen alltäglichen, „normalen“ Lebenssituationen zählt auch das Älterwerden (…).“[59]Eine solche Überlegung ist interessant, jedoch ist sie nicht geltendes Verfassungsrecht. Die Verfassung unterscheidet Wohlfahrt (Art. 14 LV), Gesundheitswesen (Art. 18 LV), Armenwesen (Art. 25 LV) und Versicherung (Art. 26 LV). Sie unterscheidet nicht zwischen alltäglichen und anderen Lebenssituationen. Wenn der Gesetzgeber die Gemeinden mit einer solchen „Grundversorgung“ betrauen will, hat er eine Verfassungsänderung zu initiieren oder den Gemeinden zumindest mittels Gesetzesänderung in den relevanten Gesetzen entsprechende Aufgaben zu übertragen. Er könnte den Gemeinden im Gesetz zu den dem Land zukommenden Bereichen Wohlfahrt, Gesundheitswesen und Versicherung präzise Vorgaben machen oder einen Freiraum zur eigenen Gestaltung überlassen.[60] Auch wäre es dabei wegen der Gemeindeautonomie unzulässig,[61] die Aufgabenerledigung Organen des Landes zuzuweisen und den Gemeinden nur die Pflicht zur Bezahlung zu überbinden.V. Zweck der SozialhilfeA. Definition und Ziele der SozialhilfeSozialhilfe ist die Unterstützung von Menschen, die ohne diese Hilfe in eine Notlage geraten würden. Sie dient als Mindestsicherung, die ein menschenwürdiges Dasein (siehe Art. 1 Abs. 2 SHG)[62], die Teilhabe am sozialen Leben[63] und die Ausübung weiterer Grundrechte[64] garantiert. Überdies dient sie der Gerechtigkeit und sorgt dafür, dass sich die Schere bei den Lebensbedingungen zwischen den Einwohnern des Landes nicht unbegrenzt öffnet.[65]Die Höhe der Leistungen orientiert sich am sozialen Existenzminimum (Art. 8 Abs. 1 SHG) und hat von der wirtschaftlichen, persönlichen und sozialen Situation der Betroffenen auszugehen.[66] Das soziale Existenzminimum liegt deshalb „deutlich“ über den aus dem Grundrecht auf ein Existenzminimum abgeleiteten Ansprüchen.[67] Es liegt überdies auch höher als das exekutionsrechtliche Existenzminimum, weil es einen anderen Zweck verfolgt als dieses und der Sozialhilfeempfänger per Definition (anders als der Pflichtige im Exekutionsverfahren) nicht über Reserven verfügen kann.[68] Da die Leistungen der Sozialhilfe zu den Leistungen der Sozialversicherung[69] und zur Unterstützung durch Verwandte subsidiär sind,[70] kann sie als Auffangnetz[71] bezeichnet werden. Die Unterstützung kann in verschiedener Form geleistet werden, sei es durch Beratung und Betreuung oder durch wirtschaftliche Hilfe. Die Sozialhilfe ist final,[72] sie knüpft nicht an einem bestimmten Risiko an. Ihr Ziel ist es, dass die Betroffenen so rasch als möglich wieder in der Lage sind, ihr Leben ohne fremde Hilfe zu meistern.[73] Die Hilfeleistungen sind deshalb mit Massnahmen zur sozialen und beruflichen Integration verbunden, welche die Bezüger dazu animieren wollen[74] (oder unter Umständen auch zwingen[75]), ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt (z.B. durch Aus- oder Weiterbildung oder Training) zu verbessern. Die Ausrichtung der Hilfe erfolgt jedoch, solange die Notlage besteht.[76]B. Notwendigkeit von Eingriffen in Grundrechte1. Erfordernis der gesetzlichen GrundlageRegelmässig zu vorgegebenen Zeiten das Amt für Soziale Dienste zu Beratungsgesprächen aufzusuchen, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenzulegen, Auskunft über die Wohnsituation zu geben und Hausbesuche von Sozialarbeitern zu empfangen[77], Abklärungen über die Arbeitsfähigkeit sowie Einschätzungen der Arbeitswilligkeit über sich ergehen zu lassen oder an Arbeitsprojekten teilzunehmen,[78] tangiert die durch Art. 32 Abs. 1 LV geschützte Privat- und Geheimsphäre respektive die Freiheit der Person.[79] Es ist deshalb zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen gerechtfertigt sind. Art. 14 Abs. 1 SHV verpflichtet die Antragsteller, „das Amt für Soziale Dienste über die für die Ausrichtung der Sozialhilfe massgebenden Verhältnisse wahrheitsgetreu und vollständig zu unterrichten.“ Sie müssen ihrem Antrag die „erforderlichen Unterlagen für die Berechnung der Sozialhilfe“ beifügen. Die Abklärungen erfolgen daraufhin gemäss Art. 14 Abs. 2 SHV „in erster Linie durch Befragung des Hilfsbedürftigen und Prüfung seiner Unterlagen.“ Art. 14 SHV ist auf das Gespräch mit dem Antragsteller und auf das Beibringen von Dokumenten gerichtet. Er schafft keine Grundlage für den Eingriff in das Hausrecht. Dasselbe gilt für die in Art. 26a SHG verankerte allgemeine Berechtigung zur Datenbearbeitung. Für Hausdurchsuchungen – um eine solche handelt es sich, wenn die Wohnung eines Antragstellers oder Sozialhilfebezügers zur Abklärung, wie viele Personen sich dauerhaft in den Räumlichkeiten aufhalten, betreten wird, ob Wertgegenstände vorhanden sind, ob sich Hinweise auf Bankkonten oder anderswo liegende Werte finden – bedarf es einer Grundlage im Gesetz im formellen Sinn.[80] Das in der Sozialhilfe subsidiär zur Anwendung gelangende LVG (siehe Art. 27 Abs. 1 lit. c LVG) verlangt in Art. 134 Abs. 3 LVG ebenfalls ausdrücklich eine Grundlage in Gesetz oder Verordnung. Dass der Hilfsbedürftige gemäss Art. 2 Abs. 3 SHG die „Ratschläge und Weisungen des Sozialhilfeorgans“ zu befolgen hat[81] und die wirtschaftliche Hilfe gemäss Art. 8 Abs. 2 SHG an „Auflagen und Bedingungen gebunden“ werden kann, ist eine zu wenig präzise Umschreibung für die Eingriffe ins Hausrecht. Indem Art. 6 und Art. 7 SHG die persönliche Hilfe mittels Beratung und Betreuung vorsehen, schaffen sie eine Grundlage für die Pflicht von Antragstellern und Sozialhilfebezügern, zu Gesprächen mit Angestellten des Amtes für Soziale Dienste zu erscheinen sowie an Tests zu ihrer Leistungsfähigkeit und -willigkeit teilzunehmen. Medizinische Abklärungen und psychologische Begutachtungen sind als massivere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit dadurch m.E. jedoch nicht abgedeckt. Erscheinen sie als notwendig, so ist gemäss den Vorschriften über gerichtlichen Massnahmen (Art. 11 ff. SHG) vorzugehen. Mit der Pflicht, an einer längeren Aus- oder Weiterbildung teilzunehmen, ein Praktikum zu absolvieren oder eine (bestimmte) Berufstätigkeit aufzunehmen, wird (wie in Art. 2 Abs. 1 SHG vorgesehen) dem Grundsatz nachgelebt, die Ursachen der Notlage zu beseitigen. Überdies sind Sozialhilfebezüger gemäss Art. 2 Abs. 3 SHG dazu verpflichtet, „selbst nach Kräften zur Behebung der Hilfsbedürftigkeit bei(zu)tragen und die Ratschläge und Weisungen des Sozialhilfeorgans (zu) befolgen“ respektive gemäss Art. 10 Abs. 3 SHG Weisungen bezüglich Erlernen eines Berufs oder Aufnahme einer bestimmten Arbeit „zur Abwehr drohender Hilfsbedürftigkeit“ zu befolgen. Die Durchsetzung dieser Pflichten mit Zwang sieht das Gesetz nicht vor. Die einzige zulässige Reaktion ist die in Art. 21 Abs. 1 lit c und lit. d SHV vorgesehene Kürzung der Leistungen. Weil wegen der Ausgestaltung als Grundrecht nicht in das absolute Existenzminimum eingegriffen werden darf,[82] sind der Kürzung jedoch Grenzen gesetzt. Die Antragstellung respektive das Entgegennehmen von Sozialhilfeleistungen stellt kein Einverständnis in Eingriffe in die persönliche Freiheit dar, findet sich doch der Betroffene in einer – wenn auch nicht vom Amt für Soziale Dienste verursachten – Notlage. Zu argumentieren, dass der Betroffene keinen Nachteil erleide, wenn er mangels Kooperation die von ihm begehrten Sozialhilfeleistungen nicht (mehr) erhalte, verfängt nicht. Schliesslich haben Bedürftige einen grundrechtlich geschützten Anspruch auf ein Existenzminimum.[83] Es wäre deshalb nicht zulässig, in der Form von Auflagen und Weisungen Antragstellern oder Sozialhilfebezügern Pflichten aufzuerlegen, die ihre persönliche Freiheit in erheblichem Mass einschränken, ohne dass sich hierzu eine explizite Grundlage im Gesetz findet.2. Kürzung von LeistungenDie Sozialhilfe weist einige Besonderheiten auf: Bedürftige haben einen Anspruch auf Leistungen, aber ob der Anspruch tatsächlich besteht, ist in jedem einzelnen Fall abzuklären. Hierbei hat der Antragsteller mitzuwirken, weil nur er über gewisse relevante Daten verfügt. Mit der Verfügung, welche die Bedürftigkeit feststellt und die Art und Höhe der Hilfe festlegt, wird das Verhältnis nicht beendet. Die Sozialhilfe möchte (siehe Art. 2 Abs. 1 SHG) die Ursachen der Notlage beseitigen. Von daher sind ihre Leistungen grundsätzlich nicht auf Dauer angelegt.[84] Dies schliesst jedoch nicht aus, dass die Unterstützung in einem konkreten Fall mehrere Jahre dauert. Im Zeitpunkt, in dem die Bedürftigkeit festgestellt wird, ist noch nicht bekannt, wie lange sie andauern wird. Die Sozialhilfebezüger sind verpflichtet (siehe Art. 14 Abs. 3 SHV) „Tatsachen, die eine Änderung der Sozialhilfe oder deren Einstellung bewirken können“ zu melden.[85] Die von Art. 14 SHV statuierte Auskunfts- und Meldepflicht erstreckt sich nicht nur auf den Antragsteller (siehe Abs. 1), sondern auf alle Sozialhilfebezüger (siehe Abs. 3) während der gesamten Bezugsdauer. Art. 14 Abs. 1 und Abs. 3 SHV gehen Art. 68 Abs. 1 LVG als präzisere Bestimmungen vor. Der Sozialhilfebezüger ist verpflichtet (Art. 14 Abs. 3 SHV), „Tatsachen, die eine Änderung der Sozialhilfe oder deren Einstellung bewirken können“, zu melden. Das Amt ist gestützt auf diese Mitteilung (oder wenn es sonstwie „Kenntnis von Umständen“ erlangt, „welche eine begründete Annahme zulassen, dass Anspruchsvoraussetzungen weggefallen oder Ausschliessungsgründe eingetreten sind“) zur vorläufigen Einstellung der Leistungen berechtigt (Art. 17 SHV). Es muss dabei unverzüglich weitergehende Abklärungen treffen und den Entscheid mittels beschwerdefähiger Verfügung (Art. 14a SHV) eröffnen. Zudem ist das Amt verpflichtet, mindestens einmal im Jahr (Art. 18 Abs. 1 SHV) alle Dossiers zu überprüfen. Diese Überprüfung kann mit einer Kürzung oder Einstellung der Leistungen wegen geringerer oder ganz weggefallener Bedürftigkeit enden. In all diesen Fällen wirkt die Entscheidung für die Zukunft.[86] Ist die Hilfsbedürftigkeit nicht, nicht mehr oder nicht mehr im ursprünglichen Umfang gegeben, besteht ein Anspruch auf Hilfe nicht länger (Art. 1 Abs. 1 SHG). Stellt sich heraus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen gar nie vorlagen oder dass der Bedarf viel kleiner ist als angenommen, so ist davon auszugehen, dass die Leistungen erschlichen wurden. Art. 17 Abs. 1 lit. a SHG regelt die Pflicht zur Rückerstattung erschlichener Leistungen.[87] SHG und SHV regeln jedoch nicht, in welchem Verfahren das Amt Verdachtsmomenten nachgehen muss. Es gelten deshalb die Bestimmungen zur erstmaligen Feststellung der Bedürftigkeit und subsidiär (siehe Art. 27 Abs. 1 lit. b LVG) die Bestimmungen des LVG über die Wiederaufnahme und Kassation (Art. 105 f. LVG). Vom Wortlaut her (siehe Art. 17 SHV) wäre eine vorläufige Einstellung beim Verdacht, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe nie vorlagen, nicht zulässig. Das kann jedoch vom Gesetzgeber nicht gemeint gewesen sein. Gemäss Art. 14 Abs. 2 SHV sind „weitere Personen“ nur „mit Zurückhaltung beizuziehen“. Dies schliesst nicht aus, dass das Amt auch anonym vorgebrachten Mitteilungen nachgeht.[88] Mangels anderslautender Vorschriften in SHG und SHV muss es aber dem Sozialhilfebezüger gestützt auf Art. 64 Abs. 3 LVG das rechtliche Gehör gewähren und ihm vor dem Erlass einer neuen Verfügung gemäss Art. 66 Abs. 2 LVG die Möglichkeit einräumen, dem Zeugen Fragen zu stellen. Eine nochmals andere Konstellation liegt vor, wenn die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, aber der Sozialhilfebezüger mit seinem renitenten Verhalten einen Grund für eine Kürzung setzt.[89] Diese Fälle werden in Art. 21 Abs. 1 lit. a bis f SHV geregelt. Diese Bestimmung müsste auf Gesetzesstufe gehoben werden. Nicht einmal in BuA Nr. 96/2011 S. 13, der sich eingehend mit dem Sozialmissbrauch beschäftigte, findet sich ein Hinweis, was die Folgen verweigerter oder falscher Auskunft sind, geschweige denn werden diese im SHG oder in der SHV genannt. Das strafrechtliche Legalitätsprinzip erstreckt sich aber auch auf das Ordnungswidrigkeitenrecht und das Verwaltungsstrafrecht.[90] Es braucht deshalb für die Sanktionierung von Sozialhilfebezügern eine gesetzliche Grundlage.[91] Geklärt werden müsste z.B., wann eine Erschleichung vorliegt. Genügt hierfür das Unterlassen von Angaben oder braucht es ein aktives Verschleiern, ist eine böse Absicht erforderlich oder genügt Vorsatz? Zu beachten gilt bei den Kürzungen überdies, dass in keinem Fall in das grundrechtlich geschützte absolute Existenzminimum eingegriffen werden darf.[92] Da die Sozialhilfe gemäss Rechtsprechung des EGMR zu den „civil rights“ gezählt wird,[93] findet Art. 6 EMRK Anwendung.3. DatenschutzGemäss Art. 3 Abs. 1 lit. e DSG handelt es sich bei Daten über die Massnahmen der sozialen Hilfe um besonders schützenswerte Daten. Dass eine Person Sozialhilfe bezieht, darf deshalb gemäss Art. 21 Abs. 2 DSG nur bekannt gegeben werden, wenn ein Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. Art. 26a bis 26d SHG sehen die Bekanntgabe an Private nicht vor, und auch Art. 14 Abs. 2 SHV Satz 2 schafft keine klaren Verhältnisse. Das Amt für Soziale Dienste darf deshalb ohne ausdrückliche Zustimmung des Sozialhilfebezügers nicht beim Arbeitgeber[94] oder anderen Personen Informationen einholen. Dass Zurückhaltung geboten ist, bringt auch Art. 14 Abs. 2 zweiter Satz SHV zum Ausdruck.Mit den integrierenden Funktionen der Sozialhilfe wäre es nicht vereinbar, wenn Sozialhilfeempfängern das Stimm- und Wahlrecht entzogen würde[95] oder wenn sie in der Ausübung anderer Grundrechte (z.B. im Recht auf Ehe) eingeschränkt würden.C. Abgrenzung zur Förderung des sozialen LebensDa die Verfassung von 1921 keine allgemeine Regelung für Soziales getroffen hat, fällt demnach nach der allgemeinen Ordnung[96] dem Land die Kompetenz zu, das soziale Leben zu fördern. Es hat das Recht, seine Kompetenz nicht voll auszuschöpfen und den Gemeinden Freiräume zu lassen. Dies hat es mit Art. 12 Abs. 2 lit. f GemG getan. Art. 12 Abs. 2 lit. f GemG nennt „die Förderung des sozialen, kulturellen und religiösen Lebens“ als eine von den Gemeinden im eigenen Wirkungskreis wahrzunehmende Aufgabe. Dies bedeutet, dass die Gemeinden das soziale Leben soweit fördern dürfen, als das Landesrecht keine entgegenstehenden Regelungen enthält.[97]Anders als bei der Sozialhilfe ist bei den Aktivitäten zur Förderung des sozialen Lebens eine Vielfalt an Massnahmen denkbar. Es müssen nicht alle zwingend in jeder Gemeinde existieren. Oft kann ein Angebot ein ähnliches ersetzen. Solange und soweit Landesrecht keine Einschränkungen vornimmt, dürfen die Gemeinden auf eigene Rechnung soziale Aufgaben erfüllen. Leistungen, die sich auf Art. 12 Abs. 2 lit. f GemG stützen können, sind z.B.: Errichten gemeindeeigener Kinderkrippen, Unterstützung eines Vereins, der Schulkinder über Mittag verpflegt, Vermitteln von Freiwilligen, die Betagten bei Alltagsverrichtungen helfen. Mehrere Gemeinden haben sich bei der Bereitstellung von Wohnungen für ältere Menschen hervorgetan.[98] Die Gemeinden Ruggell, Gamprin und Schellenberg z.B. haben gemeinsam das Projekt „Wohnen und Leben im Alter“ lanciert.[99]D. Weitere durch das Sozialhilfegesetz und andere Gesetze geregelte soziale AufgabenSozialhilfe umfasst nicht nur wirtschaftliche Hilfe, sondern meint auch die Hilfe an Personen, die wegen „aussergewöhnlicher Schwierigkeiten in ihren persönlichen, familiären oder sozialen Verhältnissen“ Unterstützung brauchen (Art. 1 SHG). Entsprechend regelt das Gesetz auch die persönliche Hilfe, die in der Form von Beratung und Betreuung geleistet wird (Art. 7 SHG). Ebenso findet die vom Gericht anzuordnende zwangsweise Unterbringung in Anstalten ihre Grundlage im SHG (Art. 11 ff. SHG)[100]. Darüber hinaus definiert Art. 5 SHG verschiedene weitere Leistungen als solche der Sozialhilfe. So insbesondere die Krankenhilfe und vorbeugende Gesundheitshilfe, die Hilfe für alte Menschen und Pflegebedürftige und die Hilfe für psychisch Kranke[101]. Mit dieser Definition setzt sich das Gesetz über die Abgrenzung zwischen Sozialhilfe (Art. 25 LV) und öffentlichem Gesundheitswesen (Art. 18 LV) hinweg. Die Alters- und Pflegeheime werden von der „Liechtensteinischen Alters- und Krankenhilfe (LAK)“, einer selbständigen Stiftung des öffentlichen Rechts, betrieben (Art. 1 und Art. 3 Abs. 2 LAKG[102]). Den Gemeinden kommt nur eine sehr beschränkte Mitsprache zu: Die Gemeindevorsteher bilden den Strategierat (Art. 6 Abs. 1 LAKG). Dieser legt „die grundsätzliche Strategie der Stiftung einschliesslich der Eckwerte der Finanzplanung“ fest (Art. 7 LAKG), wobei die Strategie durch die Regierung genehmigt werden muss (Art. 14 Abs. 2 lit. a LAKG). Gemäss Art. 5 LAKG wird die Stiftung durch Beiträge vom Land und der Gemeinden alimentiert. Den Verteilschlüssel gibt Art. 27 Abs. 1 SHG vor: Tragung der Betriebsdefizite[103] wird je zur Hälfte vom Staat und von den Gemeinden im Verhältnis ihrer Einwohnerzahl übernommen.[104]Diese hälftige Tragung des Betriebsdefizites geht auf einen politischen Kompromiss zwischen Land und Gemeinden zurück.[105] Wiederum ist mit Blick auf die Gemeindeautonomie zu bemängeln, dass die Gemeinden an einer finanziellen Last beteiligt werden, ohne adäquate Mitbestimmungsrechte zu erhalten.[106]Das Amt für Soziale Dienste erhält auch durch andere Gesetze Aufgaben zugewiesen.[107] So fungiert es auch als Kinder- und Jugendbehörde (Art. 4 KJG).[108] Gemäss Art. 8 KJG umfasst die Kinder- und Jugendhilfe unter anderem Leistungen in psychologischer, pädagogischer, sozialer, psychiatrischer, medizinischer, rechtlicher und finanzieller Hinsicht. Bezüglich des Kinder- und Jugendschutzes sind die Gemeinden zur Mitwirkung verpflichtet (Art. 73 Abs. 4 KJG). Die Kinder- und Jugendförderung obliegt dem Land und den Gemeinden (Art. 82 Abs. 1 KJG), wobei das Gesetz näher auf die Aufgaben von Land und Gemeinden eingeht. Dafür dass das Amt für Soziale Dienste Aufgaben übernimmt, die nicht als öffentliche Sozialhilfe im Sinne von Art. 25 LV zu qualifizieren sind, sprechen verschiedene Argumente. Weitere Landesgesetze, die Themen aus dem Bereich des Sozialen zum Gegenstand haben, sind nicht ersichtlich. Dies bedeutet nicht, dass keine weiteren Aufgaben im sozialen Bereich anfallen.[109] Sondern vielmehr, dass für die Befriedigung der Bedürfnisse nicht auf eine Regelung im Gesetz zurückgegriffen wurde. Das „Heilpädagogische Zentrum des Fürstentums Liechtenstein“ z.B. ist eine privatrechtliche gemeinnützige Stiftung. Sie verfügt über eine Leistungsvereinbarung mit der Regierung. Einzelne Gemeinden weisen der Stiftung Spenden zu.[110] Dies ist zulässig, dürfen sie doch soziale Einrichtungen fördern. Leistungsvereinbarungen kann die Regierung insbesondere auch mit Vereinen wie z.B. mit der Familienhilfe Liechtenstein[111] schliessen.[112] Überdies kann die Regierung mittels Staatsvertrag[113] oder sonstigen Absprachen die Mitbenützung von öffentlich-rechtlichen Anstalten oder sonstigen Einrichtungen im Ausland regeln.[114]E. Abgrenzung zu den Sozialversicherungen1921 existierten erst für einzelne Arbeitnehmerkategorien Versicherungen.[115] Art. 26 LV schuf 1921 die Grundlage für das staatliche Engagement in Versicherungen gegen die Risiken Krankheit, Alter, Invalidität und Feuer. Der Ausbau der Sozialversicherungen mit Obligatorium für die gesamte Bevölkerung erfolgte erst nach dem zweiten Weltkrieg.[116]Heute schützen AHV, IV und BPVG vor den Folgen des Einkommensausfalls wegen Alter, Invalidität und Tod eines Familienangehörigen, die obligatorische Kranken- und Unfallversicherung übernimmt Heilungs- und Pflegekosten und über die FAK werden Kinderzulagen ausgerichtet. Überdies garantiert die ALV einen teilweisen Ersatz des Erwerbsausfalls wegen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, schlechten Wetters und Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Bei Bedarf werden Bezügern von AHV und IV gestützt auf das ELG Ergänzungsleistungen ausgerichtet. Trotzdem können Menschen in eine Notlage geraten. Sozialhilfe dient als Auffangbecken für Bedürftige, gegenüber denen keine Sozialversicherung zu Leistungen verpflichtet ist oder bei denen die Versicherungsleistungen den Bedarf nicht decken.[117]Mehrere Sozialversicherungen, v.a. die Ergänzungsleistungen, werden während einer längeren Dauer ausgerichtet. Sie beinhalten „anders als wirtschaftliche Hilfe – keine besonderen Massnahmen zur sozialen oder beruflichen Integration.“[118] Das versicherungsrechtliche Existenzminimum ist höher als das sozialhilferechtliche, demgegenüber werden die Leistungen der Sozialhilfe (wenn auch auf einem tieferen Niveau) an die individuellen Bedürfnisse angepasst.[119]Anders als die Sozialversicherungen wird die Sozialhilfe nicht durch Beiträge, sondern durch allgemeine Steuermittel gespiesen. Es ist deshalb auch nicht allein ein Kreis von vorher explizit in die Versicherung aufgenommenen Versicherten zum Bezug von Leistungen verpflichtet, sondern (mit Ausnahme bestimmter ausländischer Staatsangehöriger[120]) jeder Bedürftige.VI. Ungeschriebenes Grundrecht auf ein ExistenzminimumVölkerrechtliche Übereinkommen verpflichten Liechtenstein, für ein Minimum bis hin zu einem angemessenen Lebensstandard[121] zu sorgen.[122] Die betreffenden Bestimmungen sind jedoch nicht self-executing, sodass sich der Einzelne nicht unmittelbar auf sie stützen kann, um einen Anspruch geltend zu machen. Überdies ist jeweils der Anwendungsbereich der einzelnen Bestimmungen zu klären.A. Umfang des SchutzesStGH 2004/48 Erw. 2.3 hat ein ungeschriebenes Grundrecht auf Existenzsicherung anerkannt. Der StGH kam zum Schluss, dass die aus dem Grundrecht fliessenden Mindestleistungsansprüche „schon durch das Sozialhilfegesetz abgedeckt“ sind.[123] Seither wiederholt er (siehe StGH 2014/43 Erw. 3 und StGH 2014/10 Erw. 3): „Hingegen hat der Staatsgerichtshof auch ein generelles ungeschriebenes Grundrecht auf ein Existenzminimum anerkannt; dies in Anlehnung an die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts allerdings nur im engen Rahmen dessen, was für ein menschenwürdiges Dasein unabdingbar ist und vor einer unwürdigen Bettelexistenz zu bewahren vermag. Indessen sind die aus einem solchen Grundrecht fliessenden Mindestleistungsansprüche in Liechtenstein schon durch das Sozialhilfegesetz abgedeckt. Zweck dieses Gesetzes ist es gerade sicherzustellen, dass jedem Hilfsbedürftigen „ein menschenwürdiges Dasein“ ermöglicht wird (Art. 1 Abs. 2 SHG). Dabei geht es um die Gewährleistung des „sozialen Existenzminimums“ (Art. 8 Abs. 1 SHG).“Die Frage, ob das ungeschriebene Grundrecht auf Existenzsicherung „wie ein klassisches Grundrecht klagbar und justiziabel ist“[124], hat der StGH nicht direkt beantwortet. Er führte in StGH 2004/48 Erw. 2.2 lediglich aus, dass das schweizerische Bundesgericht Zweifel an der Justiziabilität des Grundrechts auf ein Existenzminimum geäussert hatte, sie dann aber im zitierten engen Rahmen bejahte. Was das für Liechtenstein in Zahlen (respektive in Qualität der Unterkunft, Anzahl Kleidungsstücke, Mobilephone ja oder nein und falls ja welche Generation etc.) bedeutet, hat der StGH offen gelassen.[125] Der Hinweis, die aus dem Grundrecht fliessenden Mindestleistungsansprüche seien bereits durch das Gesetz (nämlich durch das SHG) gedeckt, vermag nicht zu überzeugen, geht es doch bei Grundrechten, die einen Anspruch auf Leistungen vermitteln, die der Staat erbringen muss, gerade darum, dass dem Gesetzgeber Grenzen aufgezeigt werden.[126] Angesichts dessen, dass die Sozialhilfe eine Grundlage für die Teilhabe am sozialen Leben schafft und die Ausübung weiterer Grundrechte erst möglich macht, müssen die grundrechtlich garantierten Ansprüche weiter als der vom StGH zitierte Schutz vor einer „unwürdigen Bettelexistenz“ gehen.[127]Insbesondere für Kinder und Jugendliche ist sicherzustellen, dass ihre Situation soweit gesichert ist, dass sie in der Schule nicht zu Aussenseitern gestempelt werden, sondern unbeschwert mit ihren Kameraden lernen können, den Austausch mit Verwandten und Freunden pflegen können und in ausserschulische Aktivitäten integriert sind. Deshalb hat sich der Schutzbereich des ungeschriebenen Grundrechts auf ein Existenzminimum am Ziel Integration zu orientieren und all das zu garantieren, was hierzu unerlässlich ist. Der Schutz vor einer unwürdigen Bettelexistenz hingegen, der auf das absolute Existenzminimum zielt, kann mit dem Kerngehalt des ungeschriebenen Grundrechts gleichgesetzt werden.[128]Werden einem Bedürftigen, der die Voraussetzungen erfüllt, die im Gesetz vorgesehenen Leistungen vorenthalten, liegt nicht nur eine Gesetzesverletzung vor, sondern auch ein Eingriff in das Grundrecht auf ein Existenzminimum. Beim Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage[129] können im öffentlichen Interesse liegende verhältnismässige Einschränkungen in die durch das Grundrecht garantierten Leistungen vorgenommen werden. Das absolute Existenzminimum hingegen darf selbst bei renitenten Sozialhilfebezügern, die unwahre Angaben gemacht haben, nicht unterschritten werden. Dass der StGH das Grundrecht auf ein Existenzminimum nicht in Art. 25 LV verortet, sondern von einem ungeschriebenen Grundrecht ausgeht, ist korrekt, grenzt doch Art. 25 LV lediglich die Zuständigkeiten von Land und Gemeinden ab.[130]B. GrundrechtsträgerschaftDass sich alle in Liechtenstein wohnhaften und auch die neu aus dem Ausland zuziehenden Landesbürger auf das Grundrecht auf ein Existenzminimum berufen dürfen, ist unbestritten. Es fehlt jedoch an einer ausdrücklichen Klärung der Grundrechtsträgerschaft durch den StGH.1. Im Ausland wohnhafte liechtensteinische LandesbürgerFraglich ist, ob auch im Ausland wohnhafte liechtensteinische Bürger das Grundrecht auf ein Existenzminimum geltend machen dürfen, und wenn ja, ob dies für alle Landesbürger gilt, unabhängig davon, ob sie ausschliesslich die liechtensteinische Nationalität haben und ob sie jemals in Liechtenstein wohnhaft waren respektive sonstwie eine Beziehung zum Land aufweisen. Dass nach geltendem Recht Leistungen an im Ausland wohnhafte Liechtensteiner zulässig sind (Art. 21 lit. d SHGArt. 21 lit. d SHG), bedeutet nicht automatisch, dass dieser Anspruch grundrechtlich gesichert ist. M.E. erstreckt sich die Grundrechtsträgerschaft nicht auf Landesbürger mit Wohnsitz ausserhalb Liechtensteins. Ziel der Sozialhilfe ist es, die Grundlage dafür zu schaffen, dass Bedürftige ihre Grundrechte ausüben und am sozialen Leben teilnehmen können. Wohnen sie im Ausland, können sie in Liechtenstein weder Grundrechte ausüben noch sich am gesellschaftlichen Leben beteiligen. Überdies wäre es für die liechtensteinische Behörden schwierig zu ermitteln, welche Leistungen im Wohnsitzland notwendig sind und ob tatsächlich keine Möglichkeit besteht, von der öffentlichen Hand, Privaten oder Angehörigen Leistungen erhältlich zu machen. Gerieten liechtensteinische Landesangehörige mit ausländischem Wohnsitz in Not und wäre ihr Wohnsitzstaat nicht bereit oder nicht in der Lage sie zu unterstützen, hätten die Betroffenen jedoch m.E. einen Anspruch auf Hilfe bei der Übersiedelung nach Liechtenstein. Ob sich dieser Anspruch auf Art. 28 Abs. 1 LV, Art. 29 Abs. 1 LV und/oder das ungeschriebene Grundrecht auf ein Existenzminimum stützt, kann offen bleiben.2. AusländerLiechtenstein hat weder die Europäische Sozialcharta[131] noch das Europäische Fürsorgeabkommen[132] unterzeichnet. Dieses würde Ausländern aus Vertragsstaaten, die sich legal im Land aufhalten, denselben Zugang zur Sozialhilfe gewährleisten wie den liechtensteinischen Staatsangehörigen und ihre Ausweisung wegen Abhängigkeit von der Sozialhilfe ausschliessen. Im Verhältnis zu Angehörigen aus EWR-Staaten sind die Bestimmungen über die Freizügigkeit[133] und insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu beachten.[134] Sie erstreckt sich in erster Linie auf Sozialversicherungen, kann aber auch einzelne Leistungen erfassen, die in Liechtenstein der Sozialhilfe zugeordnet werden. Es sind drei Fragen zu unterscheiden. Ihre Antworten finden sich in unterschiedlichen Gesetzen. Die erste lautet, wer welche Leistungen von der Sozialhilfe beziehen darf. Zweiten fragt sich, ob an die Tatsache, dass ein Ausländer Sozialhilfe bezieht, Rechtsfolgen wie der Verlust der Aufenthaltsbewilligung oder die Verweigerung des Familiennachzuges geknüpft werden dürfen. Und drittens stellt sich die Frage, ob die Einreise denjenigen Personen verweigert werden darf, die nicht ausreichend darzulegen vermögen, dass sie keine Sozialhilfeleistungen benötigen werden. Die dritte Frage wird weder durch Art. 25 LV noch durch das Grundrecht auf ein Existenzminimum beantwortet. Welche Ausländer einreisen dürfen, bestimmt sich nach den massgebenden Bestimmungen des EWR-Rechts, nach weiteren völkerrechtlichen Bestimmungen und nach dem Ausländer- respektive Asylgesetz. Der EFTA-Gerichtshof[135] stellte fest, dass ein niedergelassener EWR-Staatsangehöriger, der Rentner ist und Sozialhilfeleistungen in Anspruch nimmt,[136] selbst dann einen Anspruch auf Familiennachzug geltend machen kann, wenn auch der Angehörige Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen wird. Die Antwort auf die Frage, welche Ausländer Sozialhilfeleistungen beziehen dürfen, findet sich im SHG und im Asylgesetz. Das Amt für Soziale Dienste betreut nur diejenigen Ausländer, die ihre Leistungen gestützt auf das SHG beziehen. Die auf das SHG gestützten Leistungen sind grosszügiger als die im Asylgesetz vorgesehenen Leistungen.[137] In VGH 2012/138 Erw. 4 konnte offen gelassen werden, „wie und wann ein Ausländer, der nach dem Flüchtlingsgesetz oder dem Asylgesetz vorläufig aufgenommen wurde, vom Asylgesetz ins Sozialhilfegesetz „wechseln“ kann.“ Einem vorläufig aufgenommenen Mann, der seit 18 Jahren in Liechtenstein wohnt und das Land nicht „in absehbarer Zeit“ verlassen wird (er verfügt nicht über die erforderlichen Reisepapiere), sprach der VGH Anspruch auf Leistungen gemäss SHG zu.[138] Die „einzige sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen gegenüber anderen Ausländern (insbesondere anerkannten Flüchtlingen und Personen mit Aufenthaltsbewilligung)“ sieht VGH 2012/138 Erw. 4 mit Verweis auf die Schweizer Lehre darin, dass ihr Aufenthalt vorläufiger Natur ist und die Sozialhilfe demnach nicht so auszugestalten ist, dass ihnen „ein integriertes Leben im Kontext der inländischen Gesellschaft“ ermöglicht wird. Je länger die betroffenen Ausländer in Liechtenstein leben, desto grösser wird die Bedeutung der Integration, sodass ihnen der Wechsel zur Sozialhilfe gemäss SHG gewährt werden muss. Vor dem ungeschriebenen Grundrecht auf ein Existenzminimum hält es stand, daran anzuknüpfen, ob der Aufenthalt in Liechtenstein von Dauer oder bloss vorläufiger Natur sein wird.[139] Ausländern, die seit längerer Zeit in Liechtenstein leben und demnach integriert sind oder denen eine weiter gehende Integration erleichtert werden soll, weil sie länger im Land verbleiben werden, höhere Leistungen auszurichten, hält vor der Rechtsgleichheit stand. Gemäss Art. 48 Abs. 1 lit. e AuG kann eine Aufenthaltsbewilligung widerrufen werden,[140] „wenn der Ausländer oder eine Person, für die er zu sorgen hat, auf Sozialhilfe angewiesen ist.“[141] Die Niederlassungsbewilligung kann gemäss Art. 49 lit. b AuG widerrufen werden, „wenn der Ausländer oder eine Person, für die er zu sorgen hat, dauerhaft und in erheblichen Mass auf Sozialhilfe angewiesen ist.“ VGH 2012/28 Erw. 6 kam zum Schluss, „dass der Widerruf der Niederlassungsbewilligung nach einer Aufenthaltsdauer von über 30 Jahren im Falle dauerhaften, erheblichen und auch in Zukunft zu erwartenden Sozialhilfebezugs unverhältnismässig ist“. StGH und VGH gingen bis jetzt soweit ersichtlich nicht darauf ein, ob sich Ausländer, die auf das SHG gestützte Sozialhilfeleistungen beziehen, auf das ungeschriebene Grundrecht auf ein Existenzminimum berufen dürfen. Wären sie Träger des Grundrechts, so müsste erklärt werden, warum die Ausübung des Grundrechts (das Einfordern des Anspruchs) negative Konsequenzen (den Verlust der Aufenthaltsbewilligung) nach sich ziehen kann. Die Judikatur scheint deshalb wohl eher davon auszugehen, dass sich nur liechtensteinische Landesbürger auf das Grundrecht auf ein Existenzminimum berufen dürfen. M.E. haben Ausländer einen Anspruch auf das Existenzminimum, solange sie sich legal im Land aufhalten.[142] Das Grundrecht auf ein Existenzminimum schützt ihren Anspruch auf Unterstützung, verschafft ihnen aber kein Bleiberecht.3. Kinder und JugendlicheNicht beantwortet hat der StGH die Frage, ob sich auch Minderjährige auf das ungeschriebene Grundrecht auf ein Existenzminimum berufen dürfen. Völkerrechtliche Bestimmungen betonen das Bedürfnis der Kinder und Jugendlichen nach einem angemessenen Lebensstandard.[143] Für ihre Entwicklung ist es besonders wichtig, dass ihre grundlegenden materiellen Bedürfnisse befriedigt werden. Da Sozialhilfe nicht an einzelne Personen ausgerichtet wird, sondern an die in einem Haushalt zusammenlebenden Personen, hätte der Minderjährige die Leistungen nicht nur für sich, sondern auch für die mit ihm zusammenlebenden Familienmitglieder zu verlangen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Grundrechtsträgerschaft nicht bereits mit der Geburt[144] eintreten sollte. Denkbar wäre es, die Grundrechtsmündigkeit schon vor der Volljährigkeit anzusetzen. Dies läge im Interesse von Jugendlichen, deren Eltern auf die Geltendmachung von Unterstützungsleistungen verzichten.[145]C. RechtsschutzSozialhilfe zu beziehen, ist ein Recht, keine Pflicht. Das Amt für Soziale Dienste darf Bedürftigen nicht gegen ihren Willen wirtschaftliche Leistungen ausrichten.[146] Dies insbesondere, weil Betroffene fremde Hilfe als demütigend empfinden können und weil das Annehmen der Leistungen mit Pflichten wie der Pflicht zur Offenlegung vieler Daten und der Pflicht zur Rückerstattung (Art. 17 SHG) verbunden ist. Problematisch ist die in Art. 10 Abs. 3 SHG vorgesehene Möglichkeit – unabhängig von einem bereits bestehenden Verhältnis oder einem Antrag – zur Abwehr drohender Hilfsbedürftigkeit Empfehlungen und Weisungen zu erteilen. Sie greift in das Selbstbestimmungsrecht von Personen ein, die noch keine Forderungen an die öffentliche Hand gestellt haben. Einem Erwachsenen Vorgaben über das Erlernen eines Berufes, über die Aufnahme einer bestimmten Arbeit oder über den Aufenthalt an einem bestimmten Ort zu machen, greift massiv in die persönliche Freiheit ein. Unbestimmte wirtschaftliche Interessen der öffentlichen Hand[147] vermögen diese Einschränkungen nicht zu rechtfertigen.[148]Am massivsten sind die in Art. 11 ff. SHG vorgesehenen gerichtlichen Massnahmen, mit denen Hilfsbedürftige insbesondere wegen psychischer Erkrankungen oder Sucht unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation in einer Anstalt untergebracht werden. Dieser Eingriff in die persönliche Freiheit muss deshalb durch das Landgericht angeordnet werden. Über die Gewährung oder Verweigerung von Sozialhilfeleistungen entscheidet das Amt für Soziale Dienste mittels Verfügung. Gegen diese steht gestützt auf Art. 28 SHG die Beschwerde an die Regierung offen, die mit der Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof angefochten werden kann (Art. 2 Abs. 3 LVG und Art. 90 LVG).[149]VII. Grundsätze für das Erbringen der SozialhilfeleistungenGemäss Art. 8 Abs. 1 SHG soll die wirtschaftliche Hilfe das soziale Existenzminimum gewährleisten. Dieses Ziel findet sich auch in den Richtlinien der SKOS.[150] Bei den SKOS-Richtlinien handelt es sich allerdings lediglich um Empfehlungen.[151] Sie wären nur dann verbindlich, wenn sie das liechtensteinische Recht ausdrücklich für massgebend erklären würde.[152] Das ist aber nicht der Fall, erwähnen doch SHG und SHV die SKOS-Richtlinien nicht. Indem gemäss Art. 1 Satz 2 SHV das soziale Existenzminimum „in einem angemessenen Verhältnis zum allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung stehen“ soll, wird Bezug auf das sogenannte Lohnabstandsgebot genommen. Das soziale Existenzminimum lehnt sich jedoch „in den Grundsätzen an die Richtlinien der SKOS“ an, massgebend für die konkreten Berechnungen sind SHG und SHV.[153]Die Grundprinzipien der Sozialhilfe, die in SKOS-Richtlinien Ziff. A.4 aufgezählt sind (Wahrung der Menschenwürde, Subsidiarität,[154] Individualisierung, Bedarfsdeckung, Angemessenheit der Hilfe, Professionalität, Wirtschaftlichkeit sowie Leistung und Gegenleistung) haben auch in Liechtenstein Gültigkeit. Sie haben Eingang in das SHG gefunden. Unerheblich ist, aus welchem Grund ein Bedürftiger auf Hilfe angewiesen ist.[155] Art. 8 Abs. 1 Satz 2 SHG hält ausdrücklich fest, dass Hilfe auch dann zu gewähren ist, wenn die Notlage selbst verschuldet wurde. Anders als § 16 Armengesetz von 1869 bringt Art. 25 LV keinen entsprechenden Vorbehalt mehr an. |
Der Staat unterstützt und fördert das Kranken-, Alters-, Invaliden- und Brandschadenversicherungswesen. The State shall support and promote insurance schemes for health, old age, disability, and fire. Entstehung und MaterialienLiteraturI. EntstehungsgeschichteVon den 1880er-Jahren bis zum 1. Weltkrieg wurden in Deutschland und Österreich Versicherungen gegen die Risiken[1] Krankheit, Unfall und Alter als Sozialversicherungen[2] eingeführt. In der Schweiz[3] verfügte der Bund seit 1890 über die Kompetenz, eine Kranken- und Unfallversicherung einzurichten, die er auch für obligatorisch erklären durfte.[4] Ein Bundesgesetz (ohne Obligatorium für die Krankenkasse) kam 1911 im zweiten Anlauf zustande.[5] Dem Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung stimmten die Schweizer Stimmbürger erst 1947 zu, obwohl Vorstösse für eine Absicherung des Alters bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erfolgt waren.[6]Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck lautete wie folgt: „Art. 12 Abs. 3: Der Staat unterstützt und fördert die Errichtung und den Betrieb einer Alters- und Invaliden- und einer Brandschadenversicherung.“ Abs. 3 komplettierte Art. 12 Abs. 1 und 2 Verfassungsentwurf Beck,[7] der „das öffentliche Armenwesen“ zur Sache der Gemeinden erklärte. Die Schlossabmachungen nahmen in Ziff. 10 das Anliegen einer Versicherung auf und ergänzten es um die Risiken Krankheit und Unfall: „Nach Zulass der Verhältnisse und der finanziellen Mittel des Landes ist möglichst bald die Einführung der Kranken-, Unfalls- und Altersversicherung in die Wege zu leiten.“ Im Regierungsentwurf von Josef Peer fand die Bestimmung über die Sozialversicherung noch einmal eine Umformulierung,[8] indem er sich an Becks Formulierung anlehnte: RV § 26: „Der Staat unterstützt und fördert das Alters-, Invaliden- und Brandschadenversicherungswesen.“ Die Verfassungskommission hatte daran offenbar nichts auszusetzen.[9]Seine definitive Fassung fand Art. 26 LV in der Landtagssitzung vom 24. August 1921. Im Protokoll steht hierzu lediglich: „Peter Büchel beantragt für Art. 26 folgende Fassung: "Der Staat unterstützt und fördert das Kranken-, Alters-, Invaliden- und Brandschadenversicherungswesen." Wird einstimmig angenommen.“[10]Seit Inkrafttreten der Verfassung wurde Art. 26 LV nie revidiert. Thema des Zollvertrages[11] sind einzelne Aspekte des Gesundheitswesens,[12] aber weder das Versicherungswesen im Allgemeinen noch die Sozialversicherung im Speziellen. Es drängte sich deshalb von dieser Seite her keine Änderung des ohnehin offen formulierten Verfassungsartikels auf.[13]II. Allgemeine BemerkungenArt. 26 LV bildet den Anknüpfungspunkt für die Regelung der Sozialversicherungen und hat zusammen mit Art. 20 Abs. 1 LV das Versicherungswesen zum Gegenstand. Indem Art. 26 LV neben den Risiken Krankheit, Alter und Invalidität auch die Brandschäden aufzählt, beschränkt er sich nicht auf den Bereich der Sozialversicherung.Die Aufzählung der vier Risiken bedeutet nicht, dass der Staat andere Versicherungen nicht errichten und/oder nicht unterstützen dürfte. Art. 26 LV setzt vielmehr ein Minimum,[14] das der Gesetzgeber umzusetzen hat. Ihm steht es frei, für den Schutz vor weiteren Risiken[15] eine (oder mehrere) weitere öffentlich-rechtlich organisierte Sozialversicherungsanstalt(en) zu errichten, die Errichtung von Versicherungsunternehmen oder andere Massnahmen von Privaten zu fördern. Hingegen würde es gegen Art. 26 LV verstossen, wenn die Erwerbseinbussen und Auslagen der von Krankheit, Alter, Invalidität oder Bränden Betroffenen ausschliesslich aus allgemeinen öffentlichen Mitteln gedeckt würden. Art. 26 LV spricht nämlich ausdrücklich von Versicherungen[16] und tritt damit der Gefahr entgegen, dass Bestand und Höhe von Leistungen an Betroffene unmittelbar vom Zustand der Staatskasse abhängig gemacht werden und damit in wirtschaftlich schwierigen Jahren nicht ausreichend gesichert sind.Art. 26 LV verwendet wie Art. 17 Abs. 1 LV die Formulierung „unterstützt und fördert“, während Art. 20 Abs. 1 LV bezogen auf Land- und Alpwirtschaft sowie Gewerbe und Industrie die Wendung „fördert und unterstützt“ gebraucht. In Art. 18 LV und Art. 20 Abs. 3 LV wird das Land lediglich zur Unterstützung verpflichtet, während in Art. 20 Abs. 1 LV bezüglich Versicherungen und in Art. 21 zweiter Satz LV bezüglich der Gewässer dem Land die Förderung auferlegt wird. Der Verfassungsgeber wählte 1921 das Verb „unterstützen“, wenn wie in den Bereichen Bildung, Krankenpflege und Rüfeverbauungen bereits erste staatliche oder private Initiativen ergriffen worden waren, während er das Verb „fördern“ verwendete, wenn entsprechende Aktivitäten erst noch in Angriff genommen werden müssen. Entsprechend war es konsequent, die Aufzählung „Kranken-, Alters-, Invaliden- und Brandschadenversicherung“ mit beiden Verben zu begleiten, gab es doch 1921 bereits die ersten Kranken- und Unfallversicherungen und die Versicherungspflicht gegen Feuer,[17] während die Sozialwerke für Krankheit, Alter und Invalidität erst noch geschaffen werden mussten. Die Formulierung „unterstützen und fördern“ stellte sicher, dass der Gesetzgeber alle ihm notwendig erscheinenden Massnahmen treffen konnte, um den Ausbau der bereits bestehenden Versicherungen und den Aufbau weiterer Versicherungen voranzutreiben. Über die konkret zu ergreifenden Massnahmen schweigt Art. 26 LV wie alle anderen Verfassungsbestimmungen, welche die Verben „unterstützen“ und/oder „fördern“ verwenden.Art. 26 LV enthält keine Legaldefinitionen der Risiken. Diese finden sich vielmehr in den einschlägigen Gesetzen.[18] Ebenso wenig legt Art. 26 LV die von den verschiedenen Sozialversicherungszweigen zu erbringenden Mindestleistungen fest.[19] Entsprechend findet Art. 26 LV keine Beachtung in Judikatur Gesetzesmaterialien.III. Abgrenzung zu Art. 18 LV, Art. 20 LV und zu Art. 25 LVArt. 18 LV verpflichtet den Staat, für das öffentliche Gesundheitswesen zu sorgen. Er hebt dabei die Unterstützung der Krankenpflege und die „Besserung von Trinkern und arbeitsscheuen Personen“ besonders hervor. Wie die Finanzierung der Gesundheitsdienstleistungen erfolgen soll (z.B. mit einer oder mehreren Krankenkassen), lässt Art. 18 LV offen. Es stellt deshalb keinen Widerspruch dar, wenn Art. 26 LV das Krankenversicherungswesen beschlägt. Vielmehr ergänzen sich die beiden Bestimmungen.Art. 20 Abs. 1 LV enthält eine Verpflichtung des Staates, „die Versicherung gegen Schäden, die Arbeit und Güter bedrohen“, zu fördern.[20] Die Verfassung wählt damit für die Versicherung gegen Naturgefahren und für das Kranken-, Alters-, Invaliden- und Brandschadenversicherungswesen“ dieselbe Formulierung. Ob der Schutz vor Feuer unter Art. 20 Abs. 1 LV subsumiert wird oder lediglich Art. 26 LV für einschlägig erachtet wird, spielt deshalb keine Rolle. So oder so ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine Versicherungslösung zu unterstützen. Weder Art. 20 Abs. 1 LV noch Art. 26 LV legen fest, von wem und wie die Versicherung errichtet werden soll und wie umfangreich die Förderleistungen des Staates sein müssen.[21]Art. 25 LV bezeichnet das öffentliche Armenwesen als „Sache der Gemeinden“. Der Staat wird jedoch ausdrücklich dazu ermächtigt (nicht aber verpflichtet),[22] „geeignete Beihilfen [zu] leisten.“ Die Verpflichtung des Staates in Art. 26 LV, das Kranken-, Alters-, Invaliden- und Brandschadenversicherungswesen zu „unterstützen und zu fördern“, fällt verbindlicher aus. Ein Teil der von Art. 25 LV und von Art. 26 LV begünstigten Personen sind dieselben. Mit den Worten von Art. 25 LV sind dies die „Geisteskranken, Unheilbaren und Altersschwachen“. Wohl aber wählen die beiden Bestimmungen einen anderen Zugang: Art. 25 LV bezeichnet die Gemeinden als Auffangnetz[23] für Personen, die (z.B., aber nicht nur wegen körperlicher Gebrechen oder Alter) in Not gekommen sind, während Art. 26 LV die staatliche Förderung von Versicherungen vorsieht, damit sie und weitere Personen eben gerade nicht (oder nicht mehr im selben Ausmass wie vor Errichtung des betreffenden Sozialversicherungszweiges) in Not geraten.[24] Somit ist auch für Art. 25 und Art. 26 LV festzustellen, dass sie einen je eigenen Gegenstand betreffen und sich ergänzen. Art. 18, Art. 20, Art. 25 und Art. 26 LV gewährleisten erst durch ihr Zusammenspiel die soziale Sicherheit.[25]IV. Die Umsetzung von Art. 26 LV bezüglich Krankheit, Alter, Invalidität und Brandschaden durch den GesetzgeberDie ersten Textilunternehmen hatten 1870, 1873 und 1891 Betriebskrankenkassen errichtet.[26] Ab 1886 wurden sie dazu verpflichtet, ihre Belegschaft auf eigene Rechnung bei ausländischen Versicherungsgesellschaften gegen Unfall zu versichern.[27] 1894 war es auch Nichtfabrikarbeitern möglich, einer privat gegründeten Krankenversicherung beizutreten,[28] 1925 wurde die zweite solche gegründet,[29] und kurz darauf liessen sich auch Sektionen von Schweizer Krankenkassen in Liechtenstein nieder.[30] In den 1920er-Jahren kam der Staat seinem Auftrag im Bereich der Krankenversicherung in erster Linie[31] mittels Subventionen nach.[32] Die obligatorische Unfallversicherung wurde 1931 (Betriebsunfall)[33] und 1932 (Nichtbetriebsunfall)[34] für die Arbeitnehmenden der versicherungspflichtigen Betriebe eingeführt.[35] Weitergehende Pläne zerschlugen sich, so dass der Aufbau von weiteren Versicherungen erst in den 1950er-Jahren erfolgte. Im Laufe der Zeit wurden die Versicherungen für immer mehr Kategorien von Arbeitnehmern obligatorisch erklärt.[36] Mit dem Krankenversicherungsgesetz vom 24. November 1971[37] wurden mehrere Versicherungen zusammengeführt (siehe Art. 31 KVG) und die Versicherungspflicht (für die Krankenpflege) auf sämtliche Personen ausgedehnt, die in Liechtenstein ihren zivilrechtlichen Wohnsitz haben oder eine Erwerbstätigkeit ausüben respektive (für das Krankengeld) auf alle über 15jährigen Arbeitnehmer, die in Liechtenstein für einen Arbeitgeber mit Sitz oder Niederlassung in Liechtenstein tätig sind (Art. 7 KVG). Träger der Versicherung sind die anerkannten Krankenkassen mit Sitz oder Niederlassung in Liechtenstein. Sie gehören von Gesetzes wegen dem Liechtensteinischen Krankenkassenverband an, einem im Handelsregister eingetragenen Verein (Art. 2 f. KVG).Eine Altersversicherung wurde nach längeren Vorarbeiten[38] 1952 mit dem Gesetz vom 14. Dezember 1952 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)[39] eingeführt.[40] Seit Anbeginn sind gemäss Art. 34 AHVG alle natürlichen Personen obligatorisch versichert, die in Liechtenstein ihren zivilrechtlichen Wohnsitz haben oder in Liechtenstein eine Erwerbstätigkeit ausüben.[41] Durchgeführt wird die Versicherung durch die selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts „Liechtensteinische Alters- und Hinterlassenenversicherung“ (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 AHVG). Inspiriert wurde das AHVG von der schweizerischen AHV, es handelt sich jedoch nicht um eine exakte Kopie des schweizerischen Gesetzes von 1947.[42]Am 1. Januar 1960 trat das Gesetz vom 23. Dezember 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)[43] in Kraft.[44] Es orientierte sich am schweizerischen Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung. Durchgeführt wird die Invalidenversicherung durch die selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts „Liechtensteinische Invalidenversicherung“ (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 IVG). Versichert sind alle Personen, die obligatorisch oder freiwillig gemäss dem AHVG versichert sind (Art. 26 IVG). Als Invalidität gilt „die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit“ (Art. 29 Abs. 1 IVG).Das mit ausführlichen Anweisungen zum Umgang mit Feuer versehene Feuerpolizeigesetz vom 11. Oktober 1865[45] hatte zur Versicherung der Wohngebäude bei einer von der Fürstlichen Regierung akkreditierten Assekuranzgesellschaft verpflichtet. Mit dem Gesetz vom 21. Januar 1909 betreffend die obligatorische Versicherung aller Gebäude gegen Brandschaden[46] wurde die Versicherungspflicht auf sämtliche in Liechtenstein gelegenen Gebäude ausgedehnt. Eine Totalrevision des Feuerpolizeigesetzes erfolgte mit dem Gesetz vom 13. Dezember 1973 über den Versicherungsschutz der Gebäude gegen Brand- und Elementarschäden.[47] Seither wird die Versicherung der Brand- und Elementarschäden in demselben Gesetz[48] geregelt, wobei die Versicherungsunternehmen, die in Liechtenstein gelegene Gebäude und Fahrhabe gegen Feuer versichern, diese auch gegen Elementarschäden[49] versichern müssen (Art. 4 Abs. 1 GVersG). Damit führt das Gesetz die in Art. 20 Abs. 1 LV und Art. 26 LV getrennt aufgeführten „Versicherung gegen Schäden, die Arbeit und Güter bedrohen“ und die „Brandschadenversicherung“ zusammen. Daran ist nichts zu kritisieren, schliesslich verlangt die Verfassung in beiden Bestimmungen, dass der Staat die entsprechenden Versicherungen „fördert“.Wie diese Ausführungen zeigen, besteht seit mehreren Jahrzehnten für die vier in Art. 26 LV genannten Risiken eine Versicherungspflicht. Wie noch zu zeigen sein wird,[50] engagiert sich das Land bezüglich der Versicherung der drei sozialen Risiken überdies mit finanziellen Beiträgen an die Sozialversicherungsträger und an die Versicherten[51]. Es kommt damit der in Art. 26 LV statuierten Pflicht unzweifelhaft nach.V. Begriff der SozialversicherungWeder in der Verfassung noch im Gesetz findet sich eine Definition der Sozialversicherung respektive des Sozialversicherungswesens noch allgemein des Versicherungswesens. Bis jetzt mussten auch die liechtensteinischen Gerichte keine Klärung vornehmen. Eine wirtschaftswissenschaftliche Definition von Versicherung lautet: „Deckung eines im Einzelnen ungewissen, insgesamt geschätzten Mittelbedarfs[52] auf der Grundlage des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit.“[53] Eine Versicherung zeichnet sich demnach nicht nur dadurch aus, dass sie die negativen Folgen eines ungewissen Ereignisses, das in der Regel lediglich einzelne Personen trifft, lindert,[54] sondern auch dadurch, dass die betreffenden Versicherungsleistungen nur einem begrenzten (aber aus versicherungsmathematischen Gründen mit Vorteil grossen) Kreis von Personen zugute kommen, nämlich den Angehörigen des Versichertenkollektivs, auf welche die Gefahr verteilt wird[55] und die mit ihren Beiträgen das Kapital äufnen.[56]Verändert sich das Zahlenverhältnis zwischen den Personen, die Beiträge leisten, und den Personen, die Leistungen beziehen, insbesondere wegen der demographischen Entwicklung,[57] so ist zu überprüfen, ob die von der Versicherung versprochenen Leistungen längerfristig sichergestellt sind.[58] Dasselbe gilt für den Fall, dass eine Versicherung mehr und/oder teurere Leistungen finanzieren muss als vorgesehen oder generell ein Kostenanstieg zu verzeichnen ist.[59] Für die zur finanziellen Sanierung von Versicherungen einzuschlagenden Massnahmen ist jedoch der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten und dass sozialversicherungsrechtliche Ansprüche zu wohlerworbenen Rechten werden können.[60]Hoch definierte für seine Zusammenstellung der Geschichte des liechtensteinischen Sozialversicherungsrechts[61] dieses als „die Gesamtheit derjenigen Rechtsnormen, welche die obligatorische Versicherung sozialer Risiken regeln.“[62] Ähnlich gehen Locher/Gächter vor, wenn sie ausführen, dass die Sozialversicherung „Schutz gegen die wirtschaftlichen Folgen, die sich bei Eintritt eines sozialen Risikos verwirklichen,“ bietet.[63] Selbstredend dient dieser Schutz natürlichen Personen. Mit „sozialem Risiko“ ist gemeint, dass die gesamte Wohnbevölkerung oder doch zumindest grössere Personengruppen vom Eintritt des betreffenden Schadens bedroht sind. Indem die Sozialversicherungen einem solchen Personenkreis Sicherheit bieten, tragen sie – insbesondere indem sie medizinische und pflegerische Leistungen zugänglich machen – zur Volksgesundheit bei und zeitigen damit auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen.[64]Meistens ist das Verhältnis zwischen dem Versicherten und der Sozialversicherung öffentlich-rechtlich geregelt.[65] Dies schliesst nicht aus, dass einzelne Versicherer wie insbesondere in der Krankenversicherung privatrechtlich organisiert sind und auf das streitige Verfahren Zivilprozessrecht zur Anwendung gelangt.[66]VI. Orientierung Liechtensteins an den Schweizer SozialversicherungenSchon früh schloss Liechtenstein mit der Schweiz Vereinbarungen im Bereich der sozialen Sicherheit. Das Abkommen vom 10. Dezember 1954 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Alters- und Hinterlassenenversicherung[67] statuierte bezüglich der AHV in so genannten Unterstellungsbestimmungen die Zuständigkeit am Erwerbsort und dass Beitragsjahre und Beiträge, die im einen Staat erfüllt waren, auch im anderen anzurechnen waren, woraufhin eine einzige Rente ausgerichtet wurde, die anteilsmässig den Versicherungen der beiden Staaten anzulasten war.[68] Das Abkommen vom 3. September 1965 über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung[69] setzte diese Regelung fort und erstreckte sie auch auf die IV.Einen noch weiteren Anwendungskreis findet das aktuelle Abkommen vom 8. März 1989[70] über Soziale Sicherheit. Es regelt neben der Anrechnung von Beitragsjahren und Beiträgen in der AHV auch die Zuständigkeiten für AHV, IV, Ergänzungsleistungen zu AHV/IV, die obligatorische Unfallversicherung[71] und die Familienzulagen[72]. Das Schlussprotokoll enthält überdies Vorgaben für den wegen eines Wohnsitz- oder Stellenwechsels notwendigen Übertritt in die andere Krankenversicherung oder in eine andere Vorsorgeeinrichtung.Das Abkommen vom 8. März 1989 über die Soziale Sicherheit enthält in erster Linie Vorschriften über die Unterstellung und die Renten. Es macht keine Vorgaben über die Ausgestaltung der Sozialwerke und ihre Finanzierung. Seit dem Inkrafttreten des Ersten Zusatzabkommens vom 9. Februar 1996[73] verfügen beide Vertragsstaaten dank der Einführung des pro rata temporis-Prinzips für die AHV-Rentenberechnung über einen grösseren Spielraum.[74] Liechtenstein ist völkerrechtlich nicht verpflichtet,[75] sich für die vom Abkommen erfassten Versicherungen an den von der Schweiz getroffenen Lösungen zu orientieren. Bewegt sich ein Staat allerdings zu weit weg in der Ausgestaltung von AHV, IV und Unfallversicherung, könnte dies das Fortbestehen des Abkommens gleichwohl in Frage stellen.[76]Liechtenstein beschloss bei der Revision von 1996,[77] welche die Gleichberechtigung von Frau und Mann anstrebte, Abweichungen zum Schweizer Recht. So sieht Art. 55 AHVG seit 1996 für Frauen und Männer dasselbe ordentliche Rentenalter vor, nämlich das 64. vollendete Altersjahr. Überdies wird in Liechtenstein – anders als in der Schweiz[78] – seit 1996 die Ehepaar-Altersrente nicht mehr plafoniert.[79]Im Laufe der Jahrzehnte schuf Liechtenstein neben der Krankenversicherung, der AHV und der IV weitere Zweige der Sozialversicherung, meist inspiriert von der Schweiz.[80] Entsprechend findet die schweizerische Rechtsprechung in Liechtenstein Beachtung.[81] Im Detail bestehen jedoch zum Teil gewichtige Unterschiede,[82] nicht zuletzt in der Organisation der Versicherungsanstalten[83] und weil Liechtenstein nicht allen Schweizer Revisionen folgte.[84]Ein weiterer Unterschied ergibt sich daraus, dass Liechtenstein – anders als die Schweiz[85] – kein mehrere Sozialversicherungszweige umfassendes allgemeines Gesetz mit einheitlichen Begriffen und Verfahrensregeln geschaffen hat.[86] Entsprechend regeln in Liechtenstein die den jeweiligen Sozialversicherungszweig ordnenden Gesetze auch das Verfahren.[87] Dabei sehen sie in der Regel durch die Verweisung an die ordentlichen Gerichte den Zivilprozess vor.[88] Dies hat z.B. zur Folge, dass sich der OGH trotz Untersuchungsgrundsatz Zurückhaltung auferlegt bei der Überprüfung der Tatsachen.[89]Eine andere Frage ist, inwiefern Unterschiede zwischen den Versicherungszweigen erwünscht sind. Solange sich Ungleichbehandlungen in einem gewissen Rahmen halten und z.B. die unterschiedlich hohe Erstattung der Kosten für eine ambulante Psychotherapie je nachdem, ob sie durch einen Krankenversicherer oder die IV erfolgt,[90] nicht geradezu als willkürlich erscheint, halten sie vor der Verfassung stand. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass die Berechnung des bei Arbeitsunfähigkeit ausgeschütteten Summe des Taggeldes in Art. 50 Abs. 1 IVG, Art. 14 Abs. 3 KVG und Art. 17 Abs. 1 UVersG je an einem anderen Einkommen respektive Lohn anknüpft.VII. Das 3-Säulen-KonzeptLiechtenstein hat im Laufe der Jahre – Schritt für Schritt der Schweiz folgend,[91] aber im eigenen Tempo und mit durchaus beachtlichen Abweichungen – das 3-Säulen-Konzept verwirklicht.[92] Anders als in der Schweiz, wo Art. 111 Abs. 1 zweiter Satz BV die „drei Säulen, nämlich die eidgenössische Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, die berufliche Vorsorge und die Selbstvorsorge“ ausdrücklich nennt, ist das 3-Säulen-Prinzip in Liechtenstein nicht in der Verfassung festgeschrieben. Es wäre demnach ohne Verfassungsänderung möglich,[93] dass sich der Gesetzgeber für ein anderes Modell und damit für eine Gewichtsverschiebung zwischen den Sozialversicherungen und der privaten Vorsorge entscheidet und zum Beispiel das Obligatorium der betrieblichen Vorsorge aufhebt oder das Steuerrecht so ändert, dass sich die individuelle Vorsorge für den Einzelnen nicht mehr lohnt.[94]Das 3-Säulen-Konzept bedeutet, dass der Schutz vor den drei Risiken[95] Alter, Invalidität und Tod des Versorgers auf drei verschiedenen Wegen erfolgt. Der Einzelne wird für den Fall, dass seine Erwerbsfähigkeit durch Invalidität oder Alter eingeschränkt wird oder er als Waise, Witwer oder Witwe zum Hinterlassenen wird, bei der Deckung seiner elementaren Bedürfnisse durch die drei Säulen staatlich – betrieblich[96] – individuell respektive freiwillig gestützt.[97] Zu beachten gilt es dabei allerdings, dass nicht alle Personen (siehe insbesondere die Nicht- und die Selbständigerwerbenden) gleichermassen in alle drei Säulen einbezogen sind.[98]Die 1. Säule (AHV und IV) soll als „allgemeine Volksversicherung (…) als Basisversicherung“[99] zusammen mit den Ergänzungsleistungen[100] „das Existenzminimum sichern“.[101] Die 2. Säule, die auf betrieblicher Ebene organisiert ist, „soll zusammen mit der staatlichen AHV die Fortführung der gewohnten Lebenshaltung[102] gewährleisten“.[103] Als 3. Säule gilt die „individuelle Selbstvorsorge“, womit die „freiwillige, private Vermögensbildung“ gemeint ist, mit der „zusätzliche Mittel für die Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenvorsorge angesammelt werden“ sollen.[104] 1., 2. und 3. Säule decken somit nicht unterschiedliche Risiken ab.[105]Oder wie es BuA Nr. 109/2015, S. 8, sagt: „Die betriebliche Personalvorsorge bildet die 2. Säule des liechtensteinischen Drei‐Säulen‐Systems und soll zusammen mit der 1. Säule, der staatlichen Alters‐ und Hinterlassenenversicherung sowie der Invalidenversicherung (AHV/IV), ein angemessenes Einkommen für die Fortführung der gewohnten Lebenshaltung im Alter, im Invaliditätsfall sowie im Todesfall für die Hinterlassenen gewährleisten. Wie die 1. so ist auch die 2. Säule grundsätzlich als obligatorische Versicherung ausgestaltet. Als 3. Säule[106] kommt ergänzend die freiwillige, individuelle Vorsorge des Einzelnen hinzu, welche allfällige Vorsorgelücken schliessen soll.“ Mit dem gegliederten System soll dem Einzelnen in Erinnerung gerufen werden, „dass nicht allein der Staat für den Bürger zu sorgen hat, sondern dieser auch für sich selbst verantwortlich ist.“[107] Anders als die schweizerische Bundesverfassung[108] erwähnt die liechtensteinische Verfassung die Förderung der Selbstvorsorge durch den Staat nicht. Dem Gesetzgeber steht es jedoch frei, dem Land entsprechende Aufgaben per Gesetz zu übertragen.Das 3-Säulen-Konzept zeichnet sich dadurch aus, dass es eine Kombination von Sozialversicherungen, Privatversicherungen und weiteren Massnahmen zur Bereitstellung von Mitteln darstellt, für den Fall dass das Risiko Alter, Invalidität oder Tod des Versorgers eintritt.[109] Darüber hinaus hat der liechtensteinische Gesetzgeber für die Deckung weiterer sozialer Risiken (insbesondere für Krankheit, Unfall, Familienlasten und Arbeitslosigkeit) Sozialversicherungen errichtet.[110] Wie in Kapitel VIII.B ausgeführt, sieht das liechtensteinische Recht weitere Massnahmen zur Gewährleistung der sozialen Sicherheit vor.VIII. Die versicherten RisikenA. Die gemäss Art. 26 LV zu versichernden Risiken: Krankheit, Alter, Invalidität und FeuerArt. 26 LV verpflichtet den Staat, Versicherungen für die Risiken Krankheit, Alter, Invalidität und Feuer zu unterstützen und zu fördern.[111] Das bedeutet, dass für diese Risiken in Liechtenstein Versicherungsleistungen angeboten werden müssen, die in der einen oder anderen Form staatlich begünstigt werden.[112] Wenn den Einwohnern Liechtensteins keine Möglichkeiten für den Abschluss eines entsprechenden Versicherungsvertrages offenstehen würden (insbesondere weil sich ein entsprechendes Angebot für Private nicht lohnt und die öffentliche Hand untätig geblieben wäre) oder wenn keine staatliche oder vom Staat beauftragte oder unterstützte Stelle eine Versicherung vornehmen würde (sondern lediglich Private Anbieter, die in keiner Weise von Leistungen der öffentlichen Hand profitieren), käme der Staat seiner Pflicht nicht nach.[113]Mit den Risiken Krankheit, Alter, Invalidität und Feuer nennt Art. 26 LV Risiken verschiedener Art. Die ersten drei sind soziale Risiken, unterscheiden sich jedoch untereinander, obwohl sie alle an körperlichen Prozessen oder Zuständen anknüpfen, die mindestens eine vorübergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit zur Folge haben: Während Invalidität bereits bei Geburt vorliegen oder durch Unfall oder Krankheit verursacht werden kann und meist nicht mehr zum Verschwinden gebracht wird, handelt es sich bei Krankheit um einen nicht vorhersehbaren, aber häufig zeitlich beschränkten Zustand, während sich das Risiko Alter zu einem vorher per Gesetz definierten Zeitpunkt verwirklicht. Bei der Krankenversicherung geht es (wie bei der in Art. 26 LV nicht erwähnten Unfallversicherung) in erster Linie um die Absicherung des Versicherten bezüglich seiner Ausgaben für die Heilung. Demgegenüber leistet die AHV einen Ersatz für das Einkommen, das der Rentner durch die Pensionierung respektive die Hinterlassenen durch den Tod ihres Versorgers erleiden. Die IV ist demgegenüber nicht allein auf den Ersatz des Verdienstausfalls gerichtet, den die invalide Person erleidet. Unter dem Grundsatz „Eingliederung vor Rente“ (so Art. 33 IVG) nennt das Gesetz verschiedene Massnahmen, welche es der betroffenen Person ermöglichen sollen, (wieder) einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Überdies vermittelt das IVG (siehe Art. 47 IVG) den Betroffenen einen Anspruch auf Hilfsmittel.Bei Schäden durch Feuer handelt es sich um Schäden, die durch den unsorgfältigen Umgang mit einem Element, durch ein Naturereignis oder einen natürlichen Vorgang (z.B. nicht ausgeschaltete Herdplatte, Blitz, Selbstentzündung von Heu) verursacht worden sind. Von den negativen Folgen eines Brandes können sowohl natürliche als auch juristische Personen betroffen sein. Aus diesem Grund zählt die Versicherung gegen Feuer- und Elementarschäden nicht zu den Sozialversicherungen.B. Weitere versicherte RisikenLiechtenstein hat in den letzten Jahrzehnten weitere Zweige der Sozialversicherung geschaffen, meist inspiriert von der Schweiz.[114]Die AHV-IV-FAK ist heute zuständig für: AHV, IV, Familienzulagen (Kinderzulagen, Geburtszulagen, Alleinerziehendenzulagen), Ergänzungsleistungen zu AHV und IV,[115] Pflegegeld und Hilflosenentschädigung. Die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung[116] werden seit der Totalrevision von 2010[117] ebenfalls durch die AHV-IV-FAK eingezogen. Die Auszahlung erfolgt durch das Amt für Volkswirtschaft (Art. 7 Abs. 1 ALVG).Ebenfalls soziale Risiken decken die Berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge,[118] die ihre gesetzliche Regelung im BPVG[119] findet, und die Unfallversicherung.[120]Unter der Ordnungsnummer „83“ mit dem Titel „Sozialversicherung“ finden sich in LILEX (in dieser Reihenfolge) folgende Gesetze: AHVG, IVG, ELG, BPVG, KVG, UVersG, Gesetz betreffend Ausrichtung einer Mutterschaftszulage, FZG, ALVG.[121] In der Postulationsbeantwortung der Regierung vom 7. Juli 2015 betreffend die Überprüfung der Subventionen und Transferleistungen an Private[122] findet sich eine Übersicht über sämtliche Leistungen, die von Sozialversicherungen, durch die Sozialhilfe oder auf andere Art und Weise mit staatlichen Geldern an Private ausgerichtet werden.[123] Liechtenstein kennt demnach neben den Sozialversicherungen eine Vielzahl weiterer sozialer Sicherungssysteme.Da die Mutterschaftszulage[124] gemäss Art. 5 Gesetz betreffend Ausrichtung einer Mutterschaftszulage[125] „aus allgemeinen Landesmitteln aufgebracht“ wird und nicht durch Prämien oder Beiträge der später als Wöchnerinnen begünstigten Frauen, stellt sie keine Versicherung dar.[126] Dasselbe gilt für die Familienzulagen, die gemäss Art. 44 lit. a FZG[127] in erster Linie durch Beiträge der Arbeitgeber ermöglicht werden und am zivilrechtlichen Wohnsitz respektive der Erwerbstätigkeit in Liechtenstein anknüpfen (Art. 25 f. FZG), sowie für die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV.[128] Die Ergänzungsleistungen werden gemäss Art. 8 ELG vom Land und den Gemeinden je zur Hälfte übernommen, wobei die Verwaltungskosten sowie die Aufwendungen für Hilflosenentschädigungen und medizinische Massnahmen ganz vom Land getragen werden (Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 ELG).[129]Ob eine Leistung als Versicherungsleistung qualifiziert werden kann, spielt – abgesehen von den Risiken Krankheit, Alter, Invalidität und Feuer, für welche Art. 26 LV ausdrücklich eine Versicherung vorsieht – keine Rolle.[130] Der Gesetzgeber entscheidet nämlich frei, ob er neben den in Art. 26 LV genannten Versicherungen weitere Versicherungen errichtet oder sonstige Massnahmen zur Abwehr von sozialen Risiken und zur Linderung ihrer negativen Folgen für die Betroffenen ergreift.[131] Überdies ist es ein Kennzeichen von sozialen Sicherungssystemen, dass „sich der Kreis der abgesicherten Personen nur in wenigen Fällen mit dem Kreis der Beitragspflichtigen“ deckt.[132]Hat sich ein Risiko verwirklicht, stellt die Koordination der verschiedenen Versicherungsleistungen[133] und übrigen Leistungen[134] regelmässig eine Herausforderung dar.[135] Dem Gesetzgeber stellt sich die Aufgabe, das System der Absicherung sozialer Risiken immer wieder daraufhin zu überprüfen, ob das Zusammenspiel der verschiedenen Leistungen harmonisch und effizient erfolgt[136] und Missbräuchen vorgebeugt wird.[137] Was Locher/Gächter für die Schweiz festhalten, gilt nämlich auch für das liechtensteinische Sozialversicherungssystem: Es wurde während mehrerer Jahrzehnte geschaffen „ohne einheitliche Systematik, mit ungenügender Koordination und unmittelbar beeinflusst von den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Zeit“.[138]IX. Die Ausgestaltung der VersicherungenA. Offenheit von Art. 26 LVArt. 26 LV enthält keine Vorgaben, wie diejenigen Versicherungen, welche die Risiken Krankheit, Alter, Invalidität und Feuer abdecken, auszugestalten sind.[139] Die Verfassung äussert sich generell nicht zur Organisation von Versicherungen. Es kann demnach aus der Erwähnung der genannten Risiken in Art. 26 LV (respektive der Nichterwähnung anderer Risiken) z.B. nicht abgeleitet werden, welche Versicherungen obligatorisch erklärt werden sollen, welche Versicherungsunternehmen öffentlich-rechtlich auszugestalten sind, wie stark in die Prämiengestaltung eingegriffen (und damit Solidarität zwischen den Versicherten erzwungen) werden soll[140] und wie viele Risiken ein Versicherungsunternehmen versichern darf. Offen lässt die Verfassung im Übrigen auch, ob die durch die Versicherten einbezahlten Beiträge in einem Umlageverfahren (wie bei der AHV) oder in einem Kapitaldeckungsverfahren (wie bei der betrieblichen Pensionskasse) geäufnet werden sollen.[141]Der Gesetzgeber hat sich für eine unterschiedliche Ausgestaltung der verschiedenen Versicherungszweige entschieden.[142] Hervorzuheben ist insbesondere die Krankenversicherung. Sie wird von einer unbegrenzten Anzahl von durch die Regierung anerkannten, privatwirtschaftlich organisierten Krankenkassen getragen (siehe Art. 2 KVG). Dem Privatrecht entspringen auch die Unternehmen, welche die Versicherung gegen Feuer- und Elementarschäden anbieten (Art. 1 Abs. 1 GVersG). Sie unterstehen der Aufsicht der FMA (Art. 14 GVersG). Die FMA muss die Aufnahme der Versicherungstätigkeit durch jedes Unternehmen bewilligen (Art. 11 Abs. 1 VersAG)[143] und überprüft die Versicherungsunternehmen.[144]Dass der Staat Versicherungen im Bereich Krankheit, Alter, Invalidität und Feuer unterstützen und fördern muss, heisst demnach nicht, dass Private nicht tätig sein dürfen.[145] Im Gegenteil: Art. 26 LV verhindert die Einrichtung eines staatlichen Monopols. Aus seiner Entstehungsgeschichte ist zu schliessen, dass der Verfassungsgeber davon ausging, dass private (in- oder ausländische) Versicherungsgesellschaften Leistungen anbieten. Auch der Wortlaut von Art. 26 LV spricht nicht gegen private Versicherungsgesellschaften,[146] wird doch dem Staat lediglich die Unterstützung und Förderung der Versicherungen anheimgestellt. Private können für das über das vom Gesetz Garantierte hinaus und für nicht dem Gesetz unterstehende Personen Versicherungslösungen für die Folgen von Krankheit, Alter, Invalidität, Feuer und andere Risiken anbieten.[147] Hierfür dürfen sie sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit von Art. 36 LV stützen. B. VersicherungsobligatoriumWie in Kapitel IV ausgeführt, war 1921 nur die Versicherung gegen Brandschäden obligatorisch. Sie erfolgte durch privatrechtlich organisierte, „von der Fürstlichen Regierung akkreditierte Assekuranzgesellschaften“[148]. Gegen die übrigen Risiken mussten lediglich einzelne Personengruppen versichert werden.Der Gesetzgeber entscheidet, ob sich alle Einwohner und/oder alle in Liechtenstein Erwerbstätigen versichern müssen respektive alle in Liechtenstein anzutreffenden Sachwerte zu versichern sind oder ob sich die Pflicht nur auf Personen und Werte erstrecken soll, die in besonderem Masse einem Risiko ausgesetzt sind.[149] Damit das Kapital einer Versicherung einen genügenden Umfang annehmen kann, empfiehlt es sich, das Versichertenkollektiv nicht zu klein zu wählen. Von daher kann es sinnvoll sein, für ausländische Versicherungsgesellschaften die Geschäftstätigkeit in Liechtenstein attraktiv zu gestalten[150] oder Liechtensteinern den Zugang zu ausländischen Versicherungen zu erleichtern.[151] Art. 26 LV steht dem nicht entgegen, enthält er doch keine Vorgabe über die Eigentümerschaft und den Sitz der Versicherungen.Gefordert wäre der Gesetzgeber dann, wenn sich – insbesondere wegen der Kleinheit des Landes – kein Versicherungsunternehmen finden würde, das Leistungen im Bereich Krankheit, Alter, Invalidität und Feuer anböte. Indem Liechtenstein mit der AHV und der IV eigenständige Versicherungen geschaffen hat, die je durch eine selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts durchgeführt werden, Art. 2 Abs. 2 KVG die Anerkennung ausländischer Krankenkassen zulässt und gemäss Art. 8 GVersG die Regierung für die Durchführung der obligatorischen Gebäudeversicherung besorgt ist, stellt sich diese Frage aktuell nicht.C. RechtsschutzUnterschiedlich zeigen sich auch die vom Gesetzgeber vorgesehenen Verfahren[152] und damit der Rechtsschutz:[153]Art. 84 Abs. 1 AHVG und Art. 86 Abs. 1 AHVG, Art. 78 Abs. 1 IVG sowie Art. 51 Abs. 1 FZG sehen die Vorstellung[154] bei der AHV-Anstalt respektive bei der Liechtensteinischen Invalidenversicherung oder Liechtensteinischen Familienausgleichskasse vor und danach den Weiterzug an das Obergericht und anschliessend mittels Revision an den OGH.[155] Gegen die Verfügungen der Liechtensteinischen Alters- und Hinterlassenenversicherung betreffend Ergänzungsleistungen ist demgegenüber bei der Regierung Beschwerde zu erheben (Art. 7 Abs. 1 ELG).[156] Ebenso bezüglich der vom Amt für Gesundheit erlassenen Verfügungen und Entscheidungen betreffend die Ausrichtung von Mutterschaftszulagen.[157]Gegen Verfügungen der Unfallversicherer kann gemäss Art. 91 UVersG Einsprache beim Versicherer erhoben werden. Der Einspracheentscheid ist mit Klage an das Landgericht weiterzuziehen.[158] Ebenso ist das Landgericht zuständig für Klagen der Versicherten gegen Verfügungen der Krankenkassen (Art. 27 Abs. 2 KVG).[159]Demgegenüber sieht Art. 88 ALVG gegen Verfügungen des Amtes für Volkswirtschaft die Beschwerde bei der Regierung und danach den Weiterzug an den Verwaltungsgerichtshof vor.[160]Streitigkeiten zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmern werden im Bereich der Gebäudeversicherung durch die ordentlichen Gerichte entschieden (Art. 16 GVersG).D. PrivatversicherungenMit dem Gesetz vom 6. Juni 1941 betreffend die Übernahme des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908[161] übernahm Liechtenstein – mit einigen kleinen Änderungen – das Schweizer Versicherungsvertragsgesetz von 1908.[162] Nach dem Beitritt zum EWR wurde der Erlass eines eigenständigen Gesetzes über die vertraglichen Beziehungen zu Versicherungsunternehmen notwendig[163] und das Gesetz vom 16. Mai 2001 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VersVG) erlassen.[164]Das Versicherungsvertragsgesetz fördert das Versicherungswesen insofern, als es Bestimmungen über den Schutz des Versicherungsnehmers bei Beendigung und Konkurs der Geschäftstätigkeit des Versicherungsunternehmens vorsieht (Art. 30 f. VersVG) und eine Reihe von Bestimmungen zum Schutz des Versicherten für zwingend erklärt (Art. 93 f. VersVG). Es enthält einen Katalog von allgemeinen Bestimmungen, die im Verhältnis zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Antragsteller respektive Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigten gelten.[165] Danach führt es spezielle Bestimmungen für die Schadensversicherung, die Haftpflichtversicherung, die Rechtsschutzversicherung, die Rückversicherung, die Lebensversicherung,[166] die Krankenversicherung und die Unfallversicherung an. Für Motorfahrzeuge ist überdies die Verkehrsversicherungsverordnung (VVV) vom 1. August 1978 relevant.[167]Das Gesetz vom 12. Juni 2015 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz; VersAG)[168] bezweckt gemäss Art. 1 Abs. 2 VersAG „insbesondere den Schutz der Versicherten vor den Insolvenzrisiken der Versicherungsunternehmen und vor Missbräuchen sowie die Sicherung des Vertrauens in den liechtensteinischen Versicherungs- und Finanzplatz.“[169] Bevor sie ihre Versicherungstätigkeit aufnehmen können, brauchen die Versicherungsunternehmen eine Bewilligung der FMA (Art. 11 Abs. 1 VersAG).[170] Wenn notwendig, entzieht die FMA die Bewilligung (Art. 128 VersAG).[171] Analoges gilt für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (Art. 23 BPVG[172] und Art. 6 Abs. 1 und Art. 40 PFG[173]).[174] Zeitgleich mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz wurde das Gesetz über das internationale Versicherungsvertragsrecht (IVersVG) totalrevidiert[175] und das Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) an die neuen europarechtlichen Vorgaben angepasst.[176]1996 schloss Liechtenstein mit der Schweiz ein Abkommen betreffend die Direktversicherung sowie die Versicherungsvermittlung[177].[178] Da so gut wie alle in Liechtenstein gelegenen Gebäude und die Fahrhabe durch schweizerische Versicherungsgesellschaften gegen Elementarschäden versichert sind, kommt diesem Abkommen, das den Versicherern mit Sitz in einem der beiden Staaten die Niederlassungs‐ sowie die grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit auf dem Staatsgebiet des jeweils anderen Landes gewährt, grosse Bedeutung zu.[179]X. Formen und Umfang der staatlichen Unterstützung und FörderungA. Formen der Unterstützung und FörderungArt. 26 LV gibt nicht vor, in welcher Form die Unterstützung und Förderung erfolgen muss.[180] M.E. muss nicht zwingend eine finanzielle Unterstützung der Versicherer oder der Versicherten[181] erfolgen. Gefördert werden das Anbieten von Versicherungsleistungen und das Eingehen von Versicherungsverträgen zum Beispiel auch durch klare gesetzliche Vorgaben oder durch die Implementierung einer Aufsicht, die das Vertrauen in die Versicherungsunternehmen steigert und die Sicherheit der Versicherten erhöht. Ein Obligatorium,[182] staatliche Eingriffe in die Prämien[183] und Vorgaben bezüglich der Selbstbehalte führen dazu, dass auch Personen mit schlechten Risiken der Abschluss einer Versicherung möglich wird,[184] und fördern so das Versicherungswesen.Aktuell unterstützt das Land die Krankenversicherungen (Art. 21 und Art. 24 KVG)[185], die AHV (Art. 50 f. AHVG)[186] und die IV (Art. 28 IVG) direkt mit allgemeinen Staatsmitteln[187].[188] Gegenüber der Liechtensteinischen Familienausgleichskasse hat der Staat eine Defizitgarantie aus allgemeinen Staatsmitteln übernommen (Art. 47 FZG). Reichen die Mittel der Arbeitslosenversicherung nicht aus, um ihre Ausgaben zu decken, gewährt das Land zinslose Darlehen mit einer Laufzeit von höchstens 36 Monaten (Art. 71a Abs. 1 ALVG). Bis 2014[189] hatte das Land einen Beitrag an die Auszahlungen geleistet,[190] der „20 % der Auszahlungen [betrug], wenn das Eigenkapital der Versicherungskasse geringer ist als das zweifache Total des Gesamtaufwandes der letzten vier Jahre“[191].B. Mindestumfang der Unterstützung und Förderung1. Bezüglich der nicht in Art. 26 LV aufgezählten RisikenWie in Kapitel VIII.B ausgeführt, hat der Gesetzgeber für verschiedene nicht in Art. 26 LV aufgezählte Risiken eine Entlastung durch Leistungen von Sozialversicherungen vorgesehen. Da sie in der Verfassung nicht erwähnt werden, besteht keine unmittelbare Verpflichtung des Gesetzgebers, sie zeitlich unbegrenzt aufrecht zu erhalten und finanziell zu unterstützen.Hingegen ist zu prüfen, ob eine Pflicht, bestimmte Leistungen zu erbringen, aus einem in der Verfassung statuierten Grundrecht oder aus einem im Völkerrecht verankerten sozialen Grundrecht fliesst. Wie sogleich in Kapitel XI.B ausgeführt wird, erwachsen Liechtenstein aus der Mitgliedschaft im EWR Pflichten bezüglich Koordinierung der Systeme der Sozialversicherung. Hingegen finden sich im Europarecht keine Vorgaben, welche Leistungen in welchem Umfang zu garantieren sind.Die wichtigsten völkerrechtlichen Abkommen, die soziale Grundrechte garantieren, hat Liechtenstein ratifiziert.[192] Unter Umständen dürfte es für ein Individuum, dem eine Leistung vorenthalten wird, die es für unerlässlich für seine physische und psychische Gesundheit und seine Entfaltung hält, mehr Erfolg versprechen, sich auf die in der Verfassung garantierten Grundrechte (insbesondere Recht auf Leben Art. 27ter LV, Menschenwürde Art. 27bis LV), das ungeschriebene Grundrecht auf ein Existenzminimum[193], die vom EGMR entwickelte Rechtsprechung zur Achtung des Privat- und Familienlebens oder den Schutz vor Katastrophen[194] zu stützen.Da Versicherungen auf eine lange Dauer angelegt sind und berechtigtes Vertrauen in künftige Leistungen wecken können, ist bei Revisionen, mit denen Versicherungsleistungen gekürzt oder gänzlich gestrichen werden, zu prüfen, ob sie einen Eingriff in wohlerworbene Rechte und eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben darstellen.[195]2. Bezüglich Krankheit, Alter, Invalidität, FeuerArt. 26 LV steht bei den Versicherungen gegen Krankheit, Alter und Invalidität einer Senkung oder gar gänzlichen Streichung des vom Land geleisteten Staatsbeitrags nicht entgegen,[196] kann doch die Unterstützung und Förderung wie soeben erwähnt[197] auch auf andere Art und Weise erfolgen. Art. 26 LV trägt dem Land weder auf, für Versicherungen zu „sorgen“, noch erklärt er das Versicherungswesen zur „Sache des Staates“. Insofern besteht keine Verpflichtung der öffentlichen Hand, öffentlich-rechtlich konstituierte Versicherungen zu betreiben. Einen Verstoss gegen Art. 26 LV würde es m.E. hingegen darstellen, wenn sich die öffentliche Hand gänzlich aus der Aufsicht über die Sozialversicherungen zurückziehen würde – nicht aber schon dann, wenn Vollzugsaufgaben in grösserem Umfang auf Private übertragen würden. Würde der Gesetzgeber die Strukturen von AHV, IV, Unfallversicherern und Krankenkassen zerschlagen, so dass nicht mehr von einer Versicherungslösung gesprochen werden könnte, widerspräche dies ebenfalls Art. 26 LV. Leistungen aus allgemeinen Steuermitteln zu begleichen, würde nicht dem Sinn und Zweck von Art. 26 LV entsprechen.[198]Ist ein Umbau von KVG, AHVG[199], BPVG, SBPVG[200], IVG[201], UVersG und GVersG geplant, ist – wie soeben in Kapitel 1 ausgeführt – zu prüfen, ob einem Leistungsabbau Grundrechte und/oder völkerrechtliche Verpflichtungen entgegenstehen.XI. Verpflichtungen aus VölkerrechtArt. 26 LV darf nicht so verstanden werden, dass sich die Regelungen zur Sozialversicherung und zum Versicherungswesen allein im nationalen Recht finden und der Gesetzgeber völlig freie Hand hat.[202]A. Normen von UNO und EuroparatDurch die Unterzeichnung von völkerrechtlichen Übereinkommen hat sich Liechtenstein verpflichtet,[203] seinen Einwohnern ein gewisses Mass an sozialer Sicherheit zu gewähren.[204] Wegweisend für die staatlichen Organe sind insbesondere Art. 22 Allgemeine Menschenrechtserklärung und die von der UNO-Generalversammlung am 11. Dezember 1969 verabschiedete Erklärung über Fortschritt und Entwicklung auf sozialem Gebiet. Aus beiden können Individuen allerdings keine Rechtsansprüche ableiten.[205] Weitere Normen zur sozialen Sicherheit finden sich in Art. 9[206] sowie in Art. 10 Ziff. 2 und Art. 12 UNO-Pakt I.[207] Überdies enthalten verschiedene von Liechtenstein ratifizierte UN-Übereinkommen zum Schutz bestimmter Bevölkerungsgruppen Vorgaben betreffend Ausgestaltung der sozialen Sicherheit.[208]Liechtenstein hat die revidierte Europäische Sozialcharta vom 3. Mai 1996[209] nicht ratifiziert.[210] Dasselbe gilt für viele weitere Übereinkommen des Europarates: Für die beiden Vorläufigen Europäischen Abkommen vom 11. Dezember 1953 über die Systeme der Sozialen Sicherheit für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen (SEV Nr. 012) und über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen (SEV Nr. 013), für die revidierte Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 6. November 1990 (SEV Nr. 139) und ihre Vorgängerin[211], für das Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit vom 14. Dezember 1972 (SEV Nr. 78)[212] und für das Europäische Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer (SEV Nr. 93). Unterzeichnet hat Liechtenstein lediglich das Europäische Übereinkommen vom 6. Mai 1974 über den sozialen Schutz der Landwirte (SEV Nr. 83)[213].Aus der EMRK kann grundsätzlich kein Anspruch auf bestimmte soziale Leistungen abgeleitet werden, wohl aber überprüft der EGMR wie unlängst in EGMR Di Trizio v. Schweiz[214] gestützt auf Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 8 EMRK und vor allem gestützt auf Art. 1 1. ZP EMRK[215] auch Entscheide von Sozialversicherungen.[216]B. EuroparechtWeil Liechtenstein in wirtschaftlicher Hinsicht sehr eng mit seinen Nachbarländern verflochten ist (unter anderem Erwerbstätigkeit von Liechtensteinern in der Schweiz und im übrigen Ausland, Freizügigkeit für Schweizer in Liechtenstein bis 1981, Grenzgänger,[217] Arbeitsmigration von und nach Liechtenstein), stellen sich bei vielen Personen Fragen zur Zuständigkeit von Sozialversicherungen und zur Koordination von Leistungen.[218] Die Antworten finden sich nicht in der Verfassung, sondern in den einschlägigen Bestimmungen des Europarechts und den bilateralen und sonstigen von Liechtenstein ratifizierten Abkommen.[219]Mit den bezüglich Arbeitsmigration wichtigsten Staaten Schweiz,[220] Österreich,[221] Deutschland[222] und Italien[223] sowie den Niederlanden[224] und den USA[225] hat Liechtenstein bilaterale Übereinkommen geschlossen. Dazu gesellt sich das Übereinkommen vom 9. Dezember 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Fürstentum Liechtenstein, der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Bereich der Sozialen Sicherheit.[226]Diese Sozialversicherungsabkommen und die Vorgaben des Europarechts[227] „schaffen keine eigenen Systeme sozialer Sicherheit, sondern koordinieren die jeweils nationalen Systeme miteinander.“[228]Art. 29 EWRA [229] verweist für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der selbständig Erwerbstätigen durch Koordination der Leistungen der sozialen Sicherheit auf Anhang VI des EWRA.[230] Dieser wird – ausgehend von der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit[231] und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit[232] – immer wieder ergänzt um Rechtsakte der EU zur Koordinierung der sozialen Sicherheit, auf die Bezug genommen wird und die zur Kenntnis genommen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die einzelnen Staaten (so also auch für Liechtenstein) Anpassungen gemacht werden können.[233]Der EFTA-Gerichtshof hat unlängst in zwei Urteilen (EFTA-Gerichtshof Rs E-24/15 Waller gegen Liechtensteinische Invalidenversicherung[234] und EFTA-Gerichtshof Rs E-13/15 Bautista gegen Liechtensteinische Invalidenversicherung[235]) die Auswirkungen der in das EWRA aufgenommenen Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 klargestellt: Lässt die Liechtensteinische Invalidenversicherung in einem anderen EWR-Mitgliedstaat wohnhafte Antragsteller oder Leistungsbezüger durch die dortige Trägerin untersuchen,[236] so sind sowohl die Versicherung als auch die liechtensteinischen Gerichte an die ärztlichen Feststellungen[237] (nicht jedoch an die rechtliche Beurteilung) gebunden. Hingegen darf der Antragsteller respektive Leistungsbezüger die ärztlichen Feststellungen in Frage stellen. Der Zweck der Bindung besteht gemäss EFTA-Gerichtshof darin, Leistungsempfänger oder Antragsteller in Bezug auf Sozialversicherungsansprüche in die Lage zu versetzen, ihr im EWR-Recht verankertes Recht auf Freizügigkeit auszuüben. „Diese Freizügigkeit würde eingeschränkt, wenn der leistungspflichtige Träger die Feststellungen des Trägers des Aufenthalts- oder Wohnorts des Antragstellers in Frage stellen könnte.“[238]Gemäss Art. 21 EFTA-Übereinkommen und Anhang K Anlage 2 („Freizügigkeit“) des EFTA Übereinkommens[239] (häufig „Vaduzer Konvention“ oder „Vaduzer Abkommen“ genannt wegen der am 21. Juni 2001 in Vaduz vereinbarten Revision[240]) regeln die Mitgliedstaaten der EFTA die Koordinierung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit, insbesondere mit dem Ziel, Gleichbehandlung zu gewährleisten.Welche Erlasse des europäischen Rechts auch im Verhältnis zur Schweiz zur Anwendung gelangen, hängt vom jeweiligen Stand des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit[241] ab,[242] der seinerseits Eingang in die „Vaduzer Konvention“ findet. Das Freizügigkeitsabkommen vom 21. Juni 1999 wurde per 1. Januar 2015 aktualisiert,[243] um den neuen Rechtsakten der Europäischen Union Rechnung zu tragen, die im Bereich der sozialen Sicherheit in Kraft getreten waren. Entsprechend wurde per 1. Januar 2016 Anlage 2 von Anhang K der „Vaduzer Konvention“ angepasst.[244] Zwischen Liechtenstein und der Schweiz finden überdies auch das Abkommen vom 8. März 1989 über Soziale Sicherheit[245] und seine zwei Zusatzabkommen Anwendung.[246]Wie weit die Kompetenzen der EU gehen, im Bereich der Sozialversicherungen zu legiferieren und welche Leistungen und Einrichtungen als solche der sozialen Sicherheit zu qualifizieren sind und den Grundsätzen des EU-Rechts unterstellt sind,[247] ist eine in vielen Staaten heftig diskutierte Frage, die auch den EuGH beschäftigt und die EWR-Mitgliedstaaten betrifft. Wem welche Leistungen zukommen (de lege lata) und zukommen sollen (de lege ferenda), wird auch in Liechtenstein diskutiert (Stichwort: Kinderzulagen für Kinder mit Wohnsitz im Ausland, Geburtszulagen an Ehegattinnen von Grenzgängern, „Export der AHV ins Ausland“[248]). |
1) Der Staat sorgt für ein rasches, das materielle Recht schützendes Prozess- und Vollstreckungsverfahren, ebenso für eine den gleichen Grundsätzen angepasste Verwaltungsrechtspflege.2) Die berufsmässige Ausübung der Parteienvertretung ist gesetzlich zu regeln. 1) The State shall provide for rapid court and enforcement proceedings that safeguard material rights and for administrative law proceedings conforming to the same principles.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Art. 27 Abs. 1 LVA. Historische Entstehung1. VorläuferArt. 27 Abs. 1 LV kennt im vorangehenden liechtensteinischen Verfassungsrecht keine Vorgängerbestimmung, welche dieselben Grundsätze[1] ebenso nachdrücklich statuiert hätte wie er und aus welcher heraus er sich folglich hätte entwickeln können. Immerhin lassen sich aber zumindest Ansätze erkennen, welche in Richtung dieser seiner Grundsätze zielen, nämlich im Beschwerderecht des § 19 KonV, der alsdann aber vor allem im Beschwerderecht gemäss Art. 43 LV aufgegangen ist[2]. Gemäss § 19 Abs. 1 KonV war für die Rechtsunterworfenen „[d]as Recht der Beschwerdeführung […] gewährleistet“. Das bedeutete, wie Abs. 2 ausführte, dass „jeder Landesangehörige berechtigt [war], über das seine Interessen benachtheiligende verfassungs-, gesetz- oder verordnungswidrige Benehmen oder Verfahren einer öffentlichen Behörde bei der unmittelbaren vorgesetzten Stelle Beschwerde zu erheben und solche nöthigenfalls bis zur höchsten Behörde zu verfolgen. […]“ Somit stand den Rechtsunterworfenen im Bereich des öffentlichen Rechts de iure eine mehrstufige interne Verwaltungspflege offen, die mittels Beschwerde im Verwaltungsinstanzenzug geltend gemacht werden konnte.[3] De facto dürfte das Beschwerderecht des § 19 KonV allerdings nahezu bedeutungslos geblieben sein.[4] Trotzdem nahm es zwei Aspekte vorweg, die nebst anderen später in Art. 27 Abs. 1 LV Eingang in die Verfassung von 1921 finden und dort erstmals wirklich wirksam umgesetzt werden sollten: zum einen den Schutz des materiellen Rechts durch das Verfahrensrecht (vorliegend noch in Form eines Beschwerderechts), zum anderen die Verwaltungskontrolle an sich (vorliegend noch in Form der Errichtung einer internen Verwaltungspflege über mehrere Instanzen).2. WortlautDer Wortlaut des Art. 27 Abs. 1 LV scheint erstmals im Verfassungsentwurf Wilhelm Becks vom Januar 1919 auf, dessen Art. 13 bereits weitgehend ähnlich lautete: „Das Land sorgt für ein rasches, das materielle Recht schützendes Prozess- und Zwangsvollstreckungsverfahren. // In gleicher Weise sorgt das Land für ein rasches und hinreichendes Verwaltungsrechtspflege- und Exekutionsverfahren.“ Demgegenüber sah der Verfassungsentwurf Prinz Karls 1920 in Art. 21 vor, das Beschwerderecht des § 19 KonV[5] wortgleich zu übernehmen. Mit den Schlossabmachungen vom September 1920 fiel die Entscheidung zugunsten der Version, wie Wilhelm Beck sie entworfen hatte, denn gemäss den Richtlinien der Schlossabmachungen zur Verfassungsreform in Teil I, Ziff. 4, war künftig „[d]ie gesammte [sic!] Staatsverwaltung […] nach den Grundsätzen des Rechtsstaates unter Einführung eines Verwaltungsrechtspflegeverfahrens und Wahrung des Jnstanzenzuges [sic!] zu ordnen und sparsam zu führen.“[6] Damit waren die Elemente festgesetzt, die auch Art. 27 Abs. 1 LV prägen sollten: Rechtsstaatlichkeit, Verwaltungsrechtspflege (d. i. Verwaltungsgerichtsbarkeit), (inländischer) Instanzenzug sowie Sparsamkeit im Sinne der Prozessökonomie[7]. Unter diesen Vorgaben griff Art. 27 von Josef Peers Regierungsvorlage in ihrer ersten Fassung vom Februar 1921 die Formulierung Becks mit einigen redaktionellen Änderungen[8] auf.[9] In der Folge blieb dieser Wortlaut nahezu unverändert als Art. 27 Abs. 1 auch in der zweiten Fassung der Regierungsvorlage Peers vom März 1921 enthalten.[10] Von dort aus fand er schliesslich – im Wesentlichen nach wie vor die Bestimmung, wie sie Wilhelm Beck vorgeschlagen hatte[11] – Eingang in die Stammfassung der Verfassung von 1921.Art. 27 Abs. 1 LV in der Formulierung, wie er in die Stammfassung der Verfassung von 1921 eingegangen ist, ist seither unverändert geblieben.3. RatioWelche Ratio der Verfassungsgeber mit der Schaffung von Art. 27 Abs. 1 LV verfolgte, ergibt sich aus einigen rechtspolitischen Postulaten, welche die Entstehung der Verfassung von 1921 begleiteten: In deutlicher Abkehr von früheren Zeiten waren unter anderem die Rechtsstaatlichkeit, der Rechtsschutz für alle Rechtsunterworfenen, die Einrichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie ein gänzlich inländischer Instanzenzug damals wesentliche Anliegen der Rechtspolitik.[12] Das materielle Recht der nationalen Rechtsordnung schien insofern unproblematisch und wurde als bereits bestehende, tragfähige Basis erachtet; über das Gelingen einer Umsetzung der genannten rechtspolitischen Anliegen würde daher in erster Linie das formelle, nämlich das Verfahrens- und Vollstreckungsrecht entscheiden. An diesem Punkt setzte Art. 27 Abs. 1 LV an und beauftragte den liechtensteinischen Staat, ein „Prozess- und Vollstreckungsverfahren[srecht]“ sowie namentlich eine „Verwaltungsrechtspflege“ zu schaffen, die sich durch Raschheit (Prozessökonomie[13]) auszeichnen und Rechtsschutz gewähren sollte. So sollte mit Art. 27 Abs. 1 LV dem Gesetzgeber im Sinne einer Pflicht, aber auch einer Berechtigung unmissverständlich in der neuen Verfassung der Auftrag erteilt werden,[14] durch den Erlass solchen formellen Rechts für die Umsetzung der erwähnten rechtspolitischen Postulate zu sorgen. Dies entsprach überhaupt den Intentionen des liechtensteinischen Gesetzgebers, der schon im Jahrzehnt vor[15] und alsdann in den Jahren nach[16] 1921 die Möglichkeit zur Fortentwicklung der Rechtsordnung ganz besonders auf dem Gebiet des Verfahrensrechts erkannte und dort dementsprechend eine rege Gesetzgebungstätigkeit entfaltete.B. NormcharakterZum Normcharakter von Art. 27 Abs. 1 LV hat der StGH wiederholt festgehalten, dass es sich dabei um eine blosse Staatsaufgabe und nicht um ein justiziables Grundrecht handelt:[17]„Zu Art. 27 LV ist festzuhalten, dass diese Verfassungsbestimmung nicht einen grundrechtlichen Anspruch, sondern vielmehr eine staatliche Aufgabe umschreibt. Grundrechtscharakter kommt primär den Bestimmungen im IV. Hauptstück der Landesverfassung zu. Zwar hat der Staatsgerichtshof ausnahmsweise auch Verfassungsbestimmungen ausserhalb des IV. Hauptstücks Grundrechtscharakter zugesprochen; dies setzt aber nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes voraus, dass diese überhaupt wie klassische Grundrechte klagbar und justiziabel sind (vgl. StGH 1999/5, LES 2002, 253). In Bezug auf Art. 27 LV sind diese Voraussetzungen aber nicht gegeben. Immerhin kann Art. 27 LV zur Auslegung von Grundrechten, insbesondere des Rechts auf effektive Beschwerdeführung gemäss Art. 43 LV, herangezogen werden.“[18]Diese Rechtsprechung des StGH ist im Lichte einer historischen, systematischen und teleologischen Auslegung vollkommen zutreffend; aus all diesen Perspektiven begründet Art. 27 Abs. 1 LV keinen justiziablen Anspruch, der im Sinne des Individualrechtsschutzes angerufen werden könnte. Art. 27 Abs. 1 LV ist lediglich von programmatischem Charakter.[19] Anscheinend verleitet indessen der Wortlaut, namentlich durch die explizite Staatsaufgabe eines raschen Verfahrens, Rechtssuchende bzw. ihre Rechtsvertreter immer wieder dazu, diese Bestimmung vor dem StGH anzurufen und – ohne Aussicht auf Erfolg – unmittelbar auf ihrer Grundlage Individualrechtsschutz zu begehren. Wie der StGH im zitierten Entscheid sinngemäss festhält, handelt es sich bei Art. 27 Abs. 1 LV, weil er eine Staatsaufgabe formuliert, um eine Bestimmung zweiter Ordnung (eine Vorschrift zur Schaffung von Vorschriften): Es ist eine Bestimmung, die den Erlass von Bestimmungen (Verfahrens- und Vollstreckungsrecht) gemäss gewissen Grundsätzen (Rechtsstaat, Rechtsschutz, Prozessökonomie[20]) verlangt und sich dabei an den Gesetzgeber richtet.[21] Der im Folgenden umschriebene Gehalt von Art. 27 Abs. 1 LV ist insofern als Leitlinie bei der Rechtsetzung und bei der Rechtsanwendung aufzufassen; er hält die Prinzipien des Verfahrens in ganz abstrakter Form fest und gibt eine rechtsstaatliche Grundausrichtung[22] wieder. Es versteht sich, dass in einem konkreten Fall deshalb bei deren angeblicher Verletzung nicht unmittelbar auf Art. 27 Abs. 1 LV rekurriert werden kann und daraus Ansprüche abgeleitet werden können. Vielmehr müssen diesfalls seine Konkretisierungen im Verfahrensrecht oder andere justiziable Rechte, wie beispielsweise die Grundrechte in der Verfassung und namentlich das Recht auf den ordentlichen Richter nach Art. 33 Abs. 1 LV oder das Beschwerderecht nach Art. 43 LV, als Anspruchsgrundlage dienen.C. Gehalt1. Gesetzgebungs- und UmsetzungsauftragWie aus der Analyse des verschachtelten Wortlauts hervorgeht, umfasst die Staatsaufgabe gemäss Art. 27 Abs. 1 LV in ihrem Gehalt ein Dreifaches („Grundsätz[e]“): (1) Rechtsstaatlichkeit („Prozess- und Vollstreckungsverfahren“), (2) Rechtsschutz („das materielle Recht schützendes“) und (3) Prozessökonomie („rasches“). Diese drei Grundsätze überantwortet die Verfassung dem Gesetzgeber („Staat“) als Staatsaufgabe („sorgt für“), um sie in den ihm aufgetragenen Anwendungsbereichen[23] („Prozess- und Vollstreckungsverfahren“, „Verwaltungsrechtspflege“) umzusetzen. Nachdem der Gesetzgeber also den rechtsstaatlichen Gesetzgebungsauftrag in diesen Gebieten durch Erlass entsprechender Verfahrensordnungen und zugehörigen Organisationsrechts erfüllt hat, verpflichtet ihn der weiterreichende, allgemeine Umsetzungsauftrag („Der Staat sorgt für“) gemäss Art. 27 Abs. 1 LV weiterhin, in diesem bestehenden Recht und vor allem in seiner Anwendung durch Behörden und Gerichte dauerhaft für die Wahrung von Rechtsschutz und Prozessökonomie zu sorgen. Hierzu muss der Gesetzgeber gegebenenfalls wiederum legiferierend eingreifen, wenn sich Beeinträchtigungen der genannten Grundsätze bei der Rechtsanwendung ergeben. Der ursprüngliche Gesetzgebungsauftrag auf dem Feld des Verfahrens- und Vollstreckungsrechts und der Verwaltungsrechtspflege gemäss Art. 27 Abs. 1 LV gewährt in seiner konkreten Umsetzung demnach zwar weitgehende, jedoch nicht völlige Freiheit. Er bleibt nämlich gebunden an die vorgegebenen Grundsätze des Rechtsschutzes und der Prozessökonomie. Darüber hinaus ist der Gesetzgebungsauftrag, sobald er erst einmal erfüllt ist, durch eben diese beiden Grundsätze des Rechtsschutzes und der Prozessökonomie verknüpft mit einem darauffolgenden Umsetzungsauftrag. Gemäss diesem Umsetzungsauftrag muss der Gesetzgeber alsdann in den genannten Rechtsgebieten die Umsetzung vom Rechtsschutz und Prozessökonomie in der Rechtsordnung sowie deren Verwirklichung in praxi fortwährend sicherstellen. 2. GrundsätzeDer Verfassungsgeber nennt in Art. 27 Abs. 1 LV sinngemäss drei – von ihm als solche bezeichnete – „Grundsätz[e]“, mit denen er folgende Ziele verfolgt: (1) Durch Schaffung von Verfahrens- und Vollstreckungsrecht soll komplementär zum materiellen Recht die Rechtsordnung im Sinne der Rechtsstaatlichkeit vervollständigt werden. (2) Das Verfahrens- und Vollstreckungsrecht soll allen Rechtssuchenden dementsprechend Rechtsschutz gewähren; es soll so ausgestaltet und in der Praxis so angewendet werden, dass es sicherstellt, dass die Rechtssubjekte ihre Ansprüche vor staatlichen Gerichten bei Bedarf wirksam geltend machen und alsdann notfalls mit staatlicher Hilfe zwangsweise vollstrecken lassen können. (3) Zudem soll das Verfahrens- und Vollstreckungsrecht so beschaffen sein und in praxi so angewendet werden, dass sich das jeweilige Verfahren über solchen Rechtsschutz hinaus auch durch Raschheit bzw. gesamthaft durch Prozessökonomie auszeichnet.Die Trias „Rechtsstaatlichkeit, Rechtsschutz, Prozessökonomie“ findet sich im Gehalt von Art. 27 Abs. 1 LV wieder, wenn auch nicht explizit in diesen nominalisierten Schlagworten, so doch dem Sinne nach. Es handelt sich dabei aber lediglich um „Grundsätz[e]“: Sie umschreiben ein rechtspolitisches Programm und keine klar gegeneinander abzugrenzende Dogmen. Sie können sich folglich inhaltlich überschneiden[24] oder auch zueinander in ein Spannungsverhältnis treten[25], so dass sie gegeneinander abzuwägen sind. Ihr Stellenwert kann im jeweiligen Verfahrens- und Vollstreckungsrecht, ja innerhalb desselben von Vorschrift zu Vorschrift variieren. Dennoch liegen sie ihm als Grundsätze insgesamt richtungsweisend zugrunde. Sie dienen eher als Richtlinien denn als strikt einzuhaltende Vorgaben und entziehen sich einer erschöpfenden, abschliessenden Erfassung all ihrer notwendigen und hinreichenden Aspekte. Sie stehen in der Rechtsordnung für ganz unterschiedliche Konkretisierungen und Ausgestaltungen offen. Und wo immer nötig und sinnvoll, darf ausnahmsweise durchaus zugunsten anderer Werte und Ziele von diesen Grundsätzen abgewichen werden. – Trotz all dem liegt dem Verfassungsgeber aber daran, in Art. 27 Abs. 1 LV die drei Grundsätze in ihrem Zusammenwirken gemeinsam, wenngleich im Wortlaut ineinander verschachtelt, festzuhalten und damit die genannte Trias in ihrer Bedeutung für das Verfahrens- und Vollstreckungsrecht sowie für die Verwaltungsrechtspflege besonders zu betonen.a) RechtsstaatlichkeitVorbemerkung: Ein Rechtsstaat ist jener Staat, der „mit den Mitteln und nach den Maßstäben des Rechts“[26] seine Angelegenheiten gestaltet und dementsprechend handelt.[27] Rechtsstaatlichkeit bezeichnet in einem solchen Staatswesen ein oberstes, leitendes Prinzip.[28] Zum einen errichtet und gewährleistet der Rechtsstaat eine Rechtsordnung an sich (formelle Rechtsstaatlichkeit); zum anderen statuiert und garantiert er bestimmte inhaltliche, eben „rechtsstaatliche“ Grundsätze (materielle Rechtsstaatlichkeit).[29] Die Rechtsstaatlichkeit, ganz besonders ihre materielle Seite, weist keinen ein für alle Mal fest umrissenen, geschweige denn einen gefestigten dogmatischen[30] Inhalt auf.[31] Vielmehr wandelt sich der Rechtsstaatsbegriff im Laufe der Zeit notgedrungen, um neuen gesellschaftlichen, politischen, rechtlichen Anforderungen begegnen zu können, und erfährt dabei je nach Zeit und Umständen verschiedene Ausprägungen und neue Gewichtungen.[32] Gleichwohl bewahrt die Rechtsstaatlichkeit im Kern einige Elemente[33], die aufgrund ihrer Entstehung und aufgrund ihrer Entwicklungen im europäischen[34] Verfassungsrecht der vergangenen 300 Jahre[35] unerlässlich zu ihrem Bestand zählen und die zugleich für ein modernes Staatswesen demokratischer Prägung als unverzichtbar erachtet werden.[36] So sind für ein Staatswesen, das sich als Rechtsstaat auszeichnet, vor allem folgende Elemente[37] erforderlich: aus Sicht der formellen Rechtsstaatlichkeit (1) eine staatliche Rechtsordnung mit Verfassung und Gesetzen; aus Sicht der materiellen Rechtsstaatlichkeit (2) Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative;[38] (3) Verfassungsbindung der Gesetze; (4) Gesetzesbindung des staatlichen Handelns; (5) Menschen- und Grundrechte der Rechtsunterworfenen; (6) staatlicher Rechtsschutz für die Rechtsunterworfenen, insbesondere gegen staatliches Handeln; (7) Unabhängigkeit der Gerichte.[39] Das lässt sich – mit der gebotenen Toleranz – grundsätzlich auch auf das liechtensteinische Staatswesen übertragen.[40] Es gilt jedoch zu bedenken, dass es sich bei diesen Elementen der Rechtsstaatlichkeit um abstrakte Prinzipien, Grundsätze usw. handelt, die sich zuweilen überschneiden und je nach Sichtweise und Umschreibung statt untergeordnet ebenso gut einander beigeordnet oder sogar in Über- und Unterordnung vertauscht werden können; eine einheitliche und klare begriffliche Grenzziehung und Unterteilung existiert nicht.[41] Für die Deutung von Art. 27 Abs. 1 LV ist eine solche allgemeingültige, unumstössliche Terminologie jedoch auch gar nicht erforderlich, da aus dieser Bestimmung im Kontext[42] der Verfassung hinreichend deutlich hervorgeht, inwiefern sie auf eine Rechtsstaatlichkeit Bezug nimmt, wie diese spezifisch[43] der Verfassung von 1921 zugrunde liegt. Art. 27 Abs. 1 LV weist einen doppelten Bezug zur Rechtsstaatlichkeit auf: (i) Einerseits gründet er auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, (ii) andererseits trägt er wesentlich zu dessen Konkretisierung innerhalb der liechtensteinischen Rechtsordnung bei. (i) Wie die gesamte liechtensteinische Verfassung und folglich die liechtensteinische Rechtsordnung vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit durchdrungen ist, so liegt der Grundgedanke der „Schaffung und Wahrung des Rechtes“ (Art. 14 LV) auch Art. 27 Abs. 1 LV zugrunde.[44] Art. 27 Abs. 1 LV geht nämlich ausdrücklich vom Vorhandensein eines „materielle[n] Recht[s]“ aus, welches die Rechte und Pflichten der Rechtssubjekte in ihren jeweiligen Rechtsverhältnissen ordnet. Insofern gründet Art. 27 Abs. 1 LV auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und setzt bereits eine gewisse Umsetzung desselben voraus. (ii) Auf der anderen Seite aber konkretisiert Art. 27 Abs. 1 LV das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit für die liechtensteinische Rechtsordnung in einem seiner spezifischen Elemente, nämlich hinsichtlich der formellen Rechtsstaatlichkeit: Da eine Rechtsordnung, um im rechtsstaatlichen Sinne vollständig zu sein, nebst einem materiellen auch eines formellen Rechts (Verfahrens- und Vollstreckungsrecht [„Prozess- und Vollstreckungsverfahren“]) bedarf, formuliert Art. 27 Abs. 1 LV dieses ergänzende rechtsstaatliche Erfordernis aus. Schon Josef Peer, der damals die wegweisenden Regierungsvorlagen zur Verfassung von 1921 ausgearbeitet hatte, zählte Art. 27 LV deshalb zu jenen Bestimmungen, in denen der Rechtsstaat so Ausprägung gefunden hat, wie zuvor in den Schlossabmachungen vereinbart.[45] Ebenso verwies Wilhelm Beck namentlich auf Art. 27 LV im Zusammenhang mit der rechtsstaatlichen Prägung der Verfassung von 1921.[46] Dabei widmet sich Art. 27 Abs. 1 LV der formellen Rechtsstaatlichkeit, also dem rechtsstaatlichen Aspekt des Bestehens bzw. der Errichtung einer (vollständigen) staatlichen Rechtsordnung als notwendige, alleine jedoch noch nicht hinreichende Voraussetzung eines Rechtsstaates.Art. 27 Abs. 1 LV erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, im Sinne der formellen Rechtsstaatlichkeit zur Vervollständigung der liechtensteinischen Rechtsordnung komplementär zum materiellen Recht ein Prozess- und Vollstreckungsrecht (sowie eine Verwaltungsrechtspflege) zu schaffen, das heisst, ein Verfahrens- und Vollstreckungsrecht zu erlassen, welches alle materiellen Rechtsgebiete spiegelbildlich abdeckt. Erst durch die Schaffung eines solchen umfassenden Verfahrens- und Vollstreckungsrechts setzt die Rechtsordnung den Rechtsstaat lückenlos um, indem das materielle Recht auf der einen Seite um das für dessen Verwirklichung notwendige formelle Recht auf der anderen Seite ergänzt wird. Das Verfahrens- und Vollstreckungsrecht umfasst dabei nicht nur den Erlass von Verfahrens- und Vollstreckungsordnungen, sondern meint auch das zugehörige Organisationsrecht. Den Staat trifft somit auch die Pflicht zur Einrichtung entsprechender Behörden und Gerichte,[47] welche die Verfahrens- und Vollstreckungsordnungen anwenden und dadurch letztlich dem materiellen Recht mittels staatlicher Gewalt zum Durchbruch verhelfen.b) RechtsschutzArt. 27 Abs. 1 LV verlangt vom Staat ein „das materielle Recht schützendes“ Prozess- und Vollstreckungsrecht, womit die Forderung nach staatlichem Rechtsschutz aufgestellt wird. Über die blosse Schaffung von Verfahrens- und Vollstreckungsrecht (Rechtsstaatlichkeit) hinaus verlangt Art. 27 Abs. 1 LV demnach Rechtsschutz in jenem Sinne, dass im Verfahrens- und Vollstreckungsrecht wirksame Verfahren eingerichtet werden. Das bedeutet: Jedes Rechtssubjekt soll Ansprüche, die ihm aufgrund des materiellen Rechts zukommen, auf dem Rechtsweg vor staatlichen Gerichten wirksam geltend machen und daraufhin, falls erforderlich, ebenso mit staatlicher Gewalt zwangsweise gegenüber dem Verpflichteten vollstrecken lassen können. Mit dieser strikten Dichotomie von (rechtsverleihendem) materiellem und (rechtsdurchsetzendem) formellem Recht, wie sie Konzept und Wortlaut von Art. 27 Abs. 1 LV darbieten, folgt der Gedankengang dieser Bestimmung der Lehre des Rechtsschutzanspruches[48]. Sie besagt, dass ein aus dem materiellen Recht Anspruchsberechtigter gegenüber dem Staat einen Anspruch auf Erteilung eines ihm günstigen Sachurteils hat, wenn die Rechtsschutzvoraussetzungen (allem voran Klagegrund, Rechtsschutzfähigkeit, Rechtsschutzinteresse) erfüllt sind.[49] Das formelle Recht des Verfahrens und der Vollstreckung dienen aus dieser Sicht infolge des staatlichen Rechtsdurchsetzungsmonopols als Vehikel, um einen materiellrechtlich an sich bereits bestehenden Anspruch zu verwirklichen und so dem materiellen Recht zum Durchbruch zu verhelfen.[50] Das Verfahrens- und Vollstreckungsrecht wird damit sozusagen zur Verlängerung des materiellen Rechts hinein in die Wirklichkeit und überbrückt die dazwischen liegende Kluft. Eine solche Ansicht unterstreicht die Bedeutung des formellen Rechts für die Rechtsverwirklichung.[51]Mit der Forderung nach Rechtsschutz richtet sich Art. 27 Abs. 1 LV beauftragend an den liechtensteinischen Staat – nicht rechtsverleihend an einzelne Rechtssubjekte[52] –, wobei die Rechtsetzung und die Rechtsanwendung gleichermassen angesprochen sind. Auf der einen Seite ist der Gesetzgeber verantwortlich dafür, das formelle Recht so einzurichten, dass es Rechtssuchenden wirksamen Rechtsschutz zu gewähren vermag. Dabei muss er sowohl die Verfahrensordnung als auch das Organisationsrecht sowie beide in ihrem Zusammenwirken berücksichtigen. Auf der anderen Seite tragen die Behörden und Gerichte die Verantwortung, dass in praxi die Verfahren letztlich auch diesem Ziel, nämlich der Gewährung von Rechtsschutz für materiellrechtliche Ansprüche, genügen und es verwirklichen.c) Raschheit und ProzessökonomieDie Prozessökonomie (Verfahrensökonomie) bildet die höchste Ebene im Dreischritt des Gehalts von Art. 27 Abs. 1 LV: Während zunächst die Rechtsstaatlichkeit gebietet, überhaupt formelles Recht komplementär zum materiellen Recht zwecks Vervollständigung der Rechtsordnung zu erlassen und während sodann der Rechtsschutz verlangt, dass dieses formelle Recht den Rechtssuchenden einen wirksamen Rechtsschutz zuteilwerden lässt, so erfordert die Prozessökonomie darauf aufbauend schliesslich, dass das formelle Recht und sein Rechtsschutz sich überdies durch Raschheit, Kostengünstigkeit, Einfachheit und generelle Effizienz auszeichnen. Indem er auf Verfassungsstufe „ein rasches […] Prozess- und Vollstreckungsverfahren“ vorschreibt, wird Art. 27 Abs. 1 LV zur prozessökonomischen Grundnorm des Verfahrensrechts in der liechtensteinischen Rechtsordnung. Der Umstand, dass dies im Wortlaut lediglich auf einem einzigen Adjektiv („rasches“) gründet, darf über diese Bedeutung nicht hinwegtäuschen. Ebenso wenig darf, wenn im Wortlaut von Art. 27 Abs. 1 LV allein von Raschheit gesprochen wird, dies nicht als ausschliessliches Ziel missverstanden werden. Raschheit steht hier pars pro toto für die Prozessökonomie insgesamt, meint also nebst der Schnelligkeit und Zügigkeit des Verfahrens ebenso dessen Kostengünstigkeit, Einfachheit sowie Effizienz generell, sowohl zugunsten des Staates als auch zugunsten der betroffenen Rechtsunterworfenen. Eine solche Deutung legen beispielsweise die Schlossabmachungen, gewissermassen als Materialien der Verfassung, nahe.[53] Der Terminus „Prozessökonomie“ wurde damals zur Entstehungszeit der Verfassung zwar in der (deutschsprachigen) rechtswissenschaftlichen Literatur durchaus verwendet und mitunter bereits als Theorie untersucht,[54] keineswegs aber hätte er in den Wortlaut einer Verfassungsbestimmung gepasst. Stattdessen bediente sich der Verfassungsgeber eines Ausdrucks, der den sinnfälligsten und offenkundigsten Aspekt der Prozessökonomie, zugleich aber eben diese pars pro toto insgesamt wiedergibt: Verfahrensbeschleunigung bzw. Schnelligkeit des Verfahrens.[55] Das ist auch stimmig aus der systematischen sowie aus der empirischen Sicht: Da die Schnelligkeit eines Verfahrens in der Regel dessen Kostengünstigkeit, Einfachheit und generelle Effizienz nach sich zieht, ist sie vielfach das vornehmliche Ziel der Prozessökonomie, obwohl sich diese natürlich nicht in ihr erschöpft. Die Prozessökonomie gebietet nämlich vielmehr in freier Wahl der zulässigen Mittel, „daß jedes gerichtliche Verfahren auf möglichst einfache, rasche und billige Weise zu seinem Ziel führen soll (also mit dem geringstmöglichen Aufwand an Zeit, Geld und Arbeitsleistung für Gericht und Parteien).“[56] Einzig die Raschheit von Verfahren zu fordern und dabei aber die prozessökonomischen Aspekte der Kostengünstigkeit, Einfachheit und Effizienz oder gar das, was gemeinhin insgesamt als Prozessökonomie bezeichnet wird, davon auszuschliessen, wäre folglich widersinnig und kann als Auslegung von Art. 27 Abs. 1 LV nicht infrage kommen. Vielmehr ist Art. 27 Abs. 1 LV als prozessökonomische Grundnorm des liechtensteinischen Verfahrens- und Vollstreckungsrechts[57] anzusehen.Abstrakt ausgedrückt, beschreibt Prozessökonomie hinsichtlich eines Verfahrens und dessen Akteuren das Bestreben nach rechtlicher Umsetzung (Erlasse) und tatsächlicher Verwirklichung (Praxis) einer optimalen Relation zwischen Mitteln und Zwecken auf eine von verschiedenen möglichen Weisen.[58] Mit anderen Worten: Jede Bestimmung und jede Handlung im Verfahren ist bei einer prozessökonomischen Analyse letztlich auf ihre Effizienz hin zu untersuchen, das heisst, sie ist daraufhin zu überprüfen, ob sie angesichts ihres Ziels das Minimum an erforderlichem (Zeit-, Finanz , Arbeits )Aufwand verwendet, um es zu erreichen. Ist dies nicht der Fall, muss der zuständige Rechtsetzer – so gebietet[59] es Art. 27 Abs. 1 LV – tätig werden und sich darum bemühen, den Aufwand bei gleichbleibender Zielerreichung auf das erforderliche Minimum zu reduzieren, sei es durch Veränderungen im Verfahrensrecht, sei es durch anderweitige faktische Massnahmen. Nur wenn letzten Endes die aufgewendeten Mittel zum angestrebten Zweck in einem angemessenen, also effizienten Verhältnis stehen, so dass das Verfahren so rasch, günstig und einfach wie nur möglich abläuft, wird der Prozessökonomie Genüge getan. Dabei gibt es viele verschiedene Mittel und Wege, wie ein Verfahrensrecht ein prozessökonomisches Verfahren sicherstellen kann. Oftmals entscheiden über den prozessökonomischen Erfolg mehr noch als die einzelnen Mittel deren stimmiges Zusammenspiel und deren Kohärenz und Konsistenz in der prozessökonomischen Gesamtlösung. Nicht zuletzt hängt die Prozessökonomie auch immer stark von der konkreten örtlichen und zeitlichen Situation ab, in der das betreffende Verfahrensrecht angewendet wird.[60]Art. 27 Abs. 1 LV ist die einzige Stelle der Verfassung, wo die Prozessökonomie erwähnt wird. Ihr Stellenwert innerhalb der Verfassung und für das Verfassungsrecht ist demzufolge sehr gering und nur insofern vorhanden, als sie an der genannten Stelle in der Verfassung überhaupt verankert ist. Wenn der Verfassungsgeber ihr dennoch ausdrücklich den Wert als „Grundsatz“ zuerkennt, so geschieht dies vorwiegend mit Blick auf jene weitreichenden Auswirkungen, die die Prozessökonomie aufgrund eben dieser verfassungsrechtlichen Verankerung auf Stufe der Gesetze und Verordnungen entfaltet. Denn die Prozessökonomie richtet sich auf diesen Stufen an die Rechtsetzung und an die Rechtsanwendung zugleich: Sie gebietet eine Rechtsetzung (Rechts-/Verfahrensgestaltung), welche die Prozessökonomie im Verfahrens- und Vollstreckungsrecht umsetzt, sowie eine Rechtsanwendung (Rechtsprechung, Rechtsdurchsetzung), die in praxi diese Prozessökonomie auch entsprechend verwirklicht. Dabei ist unter Verfahren stets das gesamte Verfahrensrecht zu verstehen, das heisst sowohl die Verfahrensordnung als auch das zugehörige Organisationsrecht der Behörden und Gerichte. Gerade das Organisationsrecht und die dadurch bereitgestellten Ressourcen beeinflussen die Prozessökonomie eines Verfahrens massgeblich und meistens sogar direkter als die dogmatische Ausgestaltung der Verfahrensordnung. Das gilt umso mehr für einen Kleinstaat wie Liechtenstein mit seinen überaus begrenzten Ressourcen.3. Anwendungsbereichea) VerfahrensrechtDer Gesetzgeber hat die Aufgabe wahrgenommen,[61] gemäss Art. 27 Abs. 1 LV ein Verfahrensrecht („Prozess[…]verfahren“) im Sinne der Vervollständigung der Rechtsstaatlichkeit und im Sinne des Rechtsschutzes zu erlassen, indem er die folgenden Verfahrensordnungen samt Nebenerlassen sowie das zugehörige Organisationsrecht geschaffen hat: Im Privatrecht bei der Zivilrechtspflege[62] kommt vor allem der Zivilprozessordnung[63] als Verfahrensordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten samt ihren Nebenerlassen[64] grosse Bedeutung zu. Sie ist in der forensischen Praxis der Zivilrechtspflege nicht nur die wohl am häufigsten angewendete Verfahrensordnung,[65] sondern als „Mutter aller Verfahrensordnungen“ überhaupt von Vorbildcharakter, weshalb ihr vielfach via Verweisen aus anderen Verfahrensordnungen selbst entfernterer Rechtsgebiete dort ergänzende oder subsidiäre Geltung zukommt. (Das Vermittlerämtergesetz [66], das die Zivilprozessordnung flankiert und in den meisten Fällen zwingend eine vorgängige Vermittlungsverhandlung vor Anhebung eines Zivilprozesses verlangt hatte, wurde per 1. Juli 2015 aufgehoben[67].) Daneben dient das Ausserstreitgesetz[68] als Verfahrensordnung im Bereich der ausserstreitigen (freiwilligen) Gerichtsbarkeit (ehemals Rechtsfürsorgeverfahren). Die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen werden von der Jurisdiktionsnorm[69] geregelt. Hinzu kommt aus jüngerer Zeit zur Regelung der Mediation in Zivilrechtssachen ein Zivilrechts-Mediations-Gesetz[70] mit zugehöriger Verordnung[71]. Im öffentlichen Recht im Bereich der Strafrechtspflege[72] ist die Strafprozessordnung[73] die zentrale Verfahrensordnung. Hinzu kommt das (inzwischen weitgehend ausgehöhlte) Gesetz über das Verfahren in Jugendstrafsachen[74] und das Jugendgerichtsgesetz[75]. Das Verwaltungsstrafrecht folgt den Bestimmungen der Art. 139 bis 163 LVG[76] und ist mithin in die Verfahrensordnung des Landesverwaltungspflegegesetzes integriert.Auf Seiten des Organisationsrechts der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit[77] kommt dem Gerichtsorganisationsgesetz[78] eine vorrangige Bedeutung zu. Daneben hat der Gesetzgeber eine Reihe[79] von Gesetzen und Verordnungen erlassen, die sich organisatorischen und personellen Fragen im weitesten Sinne widmen, so beispielsweise das Gerichtsgebührengesetz[80] und die Geschäftsordnung[81] für das Fürstliche Landgericht, das Richterbestellungsgesetz[82] und das Richterdienstgesetz[83].Die Forderung von Art. 27 Abs. 1 LV nach Raschheit und Prozessökonomie[84] hat in den Verfahrensordnungen mancherorts besonders deutliche Umsetzung gefunden. Wo immer Missstände oder Missbräuche erwartet wurden, hat der Gesetzgeber Vorkehrungen getroffen. Die Zivilprozessordnung beispielsweise gibt in § 179 Abs. 1 zweiter Satz dem Gericht zwecks prozessökonomischer Prozessleitung eine Handhabe gegen verschleppendes Vorbringen, indem es dieses zurückweisen darf: „Solches Vorbringen kann […] vom Gerichte auf Antrag oder von Amts wegen als unstatthaft erklärt werden, wenn die neuen Angaben und Beweise offenbar in der Absicht, den Prozess zu verschleppen, nicht früher vorgebracht wurden und deren Zulassung die Erledigung des Prozesses erheblich verzögern würde.“ Wie der Staatsgerichtshof festgehalten hat, soll und darf der Gesetzgeber die Verfahrensordnung im möglichen (rechtspolitischen) Rahmen so ausgestalten, dass prozessökonomische Rücksichten besonders durchdringen, auch wenn sich dies mitunter zulasten anderer Verfahrensziele auswirkt.[85]Auch im Organisationsrecht hat der Gesetzgeber die Prozessökonomie[86] stellenweise konkretisiert. So heisst es zum Beispiel in Art. 51 Abs. 1 erster Satz GOG[87]: „Die Auslastung, die Effizienz und die Funktionstüchtigkeit der Gerichte sowie die Aufbau- und die Ablauforganisation sind in der Regel alle fünf Jahre durch Sachverständige zu untersuchen. […]“ Die schriftlichen Berichte der Sachverständigen mit den Ergebnissen und Verbesserungsvorschlägen gehen an die Gerichtspräsidenten, welche zuhanden der Regierung dazu Stellung nehmen (Art. 51 Abs. 3 GOG); die Regierung leitet sodann bei Bedarf Massnahmen in die Wege.[88] Diese periodische Überprüfung soll gewährleisten, dass auf Seiten der Gerichtsorganisation prozessökonomische Defizite frühzeitig erkannt werden und demensprechend schnell organisatorische Gegenmassnahmen ergriffen werden können.b) VollstreckungsrechtDer Gesetzgeber ist der Staatsaufgabe nachgekommen, ein privatrechtliches Vollstreckungsrecht[89] zu schaffen, indem er als Verfahrensordnungen vor allem die Exekutionsordnung[90] mit Nebenerlassen[91], die Konkursordnung[92] und die Rechtssicherungs-Ordnung[93] erlassen hat. Sie bilden zusammen das privatrechtliche Vollstreckungsrecht und gewähren den Rechtssubjekten insofern Rechtsschutz, als diese mit ihrer Hilfe bei Bedarf die ihnen rechtskräftig zustehenden Ansprüche (in Form von Exekutionstiteln[94]) mittels staatlicher Gewalt zwangsweise vollstrecken lassen können. Organisationsrechtlich sind auch hier die oben für das Verfahrensrecht beschriebenen Erlasse einschlägig; so handelt zum Beispiel in Exekutionssachen erstinstanzlich das Fürstliche Landgericht, allerdings in der Funktion als Exekutionsgericht. Die Optik von Art. 27 Abs. 1 LV ist ganz auf die innerstaatliche Rechtsordnung gerichtet und vernachlässigt Angelegenheiten der Vollstreckung im internationalen Bereich. Das ist der Zeit und den Umständen der Entstehung der Verfassung von 1921, die den Schwerpunkt national auf Schaffung einer eigenständigen und vollständigen liechtensteinischen Rechtsordnung legte, zuzuschreiben. Aus internationaler Sicht zur Anerkennung und Vollstreckung[95] im Zivilrecht gilt es zu erwähnen, dass Liechtenstein die Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 1. März 1954[96], das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke vom 15. November 1965[97] sowie das Lugano-Übereinkommen[98] nicht ratifiziert hat. Dem Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958[99] trat Liechtenstein erst verhältnismässig spät bei. Staatsverträge zur Anerkennung und Vollstreckung bestehen nur mit der Schweiz[100] und mit Österreich[101]. Daneben gelten aus internationalen Abkommen einzelne Bestimmungen zum Kindesunterhalt, zur Adoption und zum Kindesschutz.[102] Unter den heutigen Umständen einer internationalen Vernetzung Liechtensteins muss diese Rechtslage kritisch hinterfragt werden. Ein objektiv geltungszeitliches Verständnis von Art. 27 Abs. 1 LV würde wohl für den Beitritt zu den genannten Übereinkommen sprechen, um die Vollstreckung in internationalen Verhältnissen für Liechtensteiner im Ausland, aber auch für Ausländer in Liechtenstein zu vereinfachen.Im öffentlichen Recht hat der Gesetzgeber im Bereich des Strafrechts gewissermassen als Vollstreckungsrecht vor allem das Strafvollzugsgesetz[103] und das Bewährungshilfegesetz[104] mit zugehöriger Verordnung[105] erlassen. Diese Erlasse enthalten zugleich auch die entsprechenden organisationsrechtlichen Bestimmungen. Die Verwaltungsstrafvollstreckung ist in Art. 164 f. LVG[106] geregelt. Im Bereich des Verwaltungsrechts wird die Verwaltungszwangsvollstreckung in den Art. 119 bis 130 LVG als Unterart des Verwaltungszwangsverfahrens (Art. 110 ff. LVG) normiert.c) VerwaltungsrechtspflegeAuffälligerweise wurde die Verwaltungsrechtspflege als abschliessender Teilsatz in Art. 27 Abs. 1 LV regelrecht angehängt.[107] Der Grund hierfür ist, dass damals bei Entstehung der Bestimmung anstelle einer dogmatischen eine chronologische Grenzziehung nach bereits bestehendem gegenüber später noch zu schaffendem Verfahrensrecht erfolgte. Nach heutigem dogmatischem Verständnis schliesst das „Prozess- und Vollstreckungsverfahren“ (Verfahrens- und Vollstreckungsrecht) die „Verwaltungsrechtspflege“ (Verwaltungsverfahren, Verwaltungsbeschwerdeverfahren/ Verwaltungsprozessrecht, Verwaltungsstrafverfahren, Verwaltungsvollstreckungsverfahren) mit ein,[108] so dass sich deren gesonderte Nennung heute als redundant erweisen und erübrigen würde. Zur Zeit der Entstehung der Verfassung scheint der Klarheit halber aber eine Scheidung zwischen bestehendem und neu zu schaffendem Recht naheliegender gewesen und deshalb die Formulierung mit besonderer Erwähnung der Verwaltungsrechtspflege gewählt worden zu sein. So wurde zunächst das „Prozess- und Vollstreckungsverfahren“ genannt, worunter die damals bereits bestehenden Erlasse fielen: vor allem die Zivilprozessordnung[109] und Jurisdiktionsnorm[110], beide von 1912, samt Vermittlerämtergesetz[111] von 1915; die weitergeltenden Bestimmungen zur privatrechtlichen Zwangsvollstreckung besonders der vormaligen Allgemeinen Gerichtsordnung;[112] die Strafprozessordnung[113] von 1913. Ihnen wurde künftig, sofern nicht schon adäquat umgesetzt, von Verfassungs wegen abverlangt, Rechtsschutz und Prozessökonomie[114] sicherzustellen. Sodann wurde im Wortlaut gesondert mit denselben Anforderungen ausdrücklich die „Verwaltungsrechtspflege“ genannt, welche bislang (de facto[115]) nicht existierte. Dabei gilt es zu bedenken, dass damals, wie die „Oberrheinischen Nachrichten“ über die Schlossabmachungen berichteten, in rechtsstaatlicher Hinsicht die „Einführung eines geordneten (Vertrauen erweckenden) Verwaltungsrechtspflegeverfahrens“[116] eine zentrale Neuerung war. Neuerdings würden sämtliche Verwaltungsbehörden und instanzen (wie grundsätzlich[117] auch die zivil- und strafgerichtlichen Instanzen) ihren Sitz in Liechtenstein haben.[118] Die „Verwaltungsrechtspflege“ war folglich ein Novum sowohl in ihrer Verfahrensordnung als auch in ihrem Organisationsrecht. Das rechtfertigte damals, ihr im Wortlaut der Klarheit halber entgegen der Dogmatik eine Sonderstellung einzuräumen und sie als (rechtsstaatlichen, rechtsschützenden, prozessökonomischen) Forstschritt besonders hervorzuheben.[119]Die „Verwaltungsrechtspflege“ (Verwaltungsgerichtsbarkeit) in Art. 27 Abs. 1 LV umfasst lediglich die ordentliche Verwaltungsgerichtsbarkeit im Instanzenzug bis hin zum Verwaltungsgerichtshof (bis 2003: Verwaltungsbeschwerdeinstanz), nicht hingegen die allenfalls daran anschliessende ausserordentliche Verfassungsgerichtsbarkeit durch den Staatsgerichtshof. Letztere wurde bereits in der Stammfassung der Verfassung von 1921 in Art. 104 bis 106 gesondert behandelt. Dort wurde für sie ein separater Auftrag an den Gesetzgeber erteilt, den er mit dem Staatsgerichtshofgesetz[120] von 1925 wahrgenommen hat. (Zu beachten gilt es in diesem Zusammenhang, dass der Staatsgerichtshof damals in einigen Materien allerdings noch als Gericht der ordentlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig war.[121])Den Auftrag gemäss Art. 27 Abs. 1 LV, eine Verwaltungsrechtspflege zu schaffen, hat der Gesetzgeber in erster Linie mit dem Landesverwaltungspflegegesetz[122] (LVG) von 1922 erfüllt. Es vereint Bestimmungen der Verfahrensordnung und des Organisationsrechts und dient als grundlegender Erlass des Verwaltungs(beschwerde)verfahrensrechts:[123]Der ordentliche Instanzenzug im Verwaltungs(beschwerde)verfahren geht in erster Instanz aus von einer Erledigung (beispielsweise einer Verfügung) durch die Gemeinde, durch ein Amt bzw. eine Amtsperson oder durch die Regierung. In zweiter Instanz kann die Regierung oder eine besondere Beschwerdekommission angerufen werden. In dritter Instanz steht der Weiterzug an den Verwaltungsgerichtshof (bis 2003: Verwaltungsbeschwerdeinstanz[124]) als oberste Instanz im ordentlichen Verwaltungsrechtszug offen.[125]Das Verfahrensrecht des Landesverwaltungspflegegesetzes, wesentlich beeinflusst von der Lehre der subjektiven öffentlichen Rechte, will im Sinne von Art. 27 Abs. 1 LV den Rechtsunterworfenen gegenüber dem Staat umfassenden Rechtsschutz eröffnen.[126] Zu diesem Zwecke stellt es beispielsweise eine Vielzahl an Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln zur Verfügung, zuweilen sogar kumulativ.[127] Überdies ist die Beschwerdeberechtigung (Art. 92 Abs. 1 LVG) über die Grenzen des Parteibegriffs (Art. 31 Abs. 1 LVG) hinaus sehr weit gezogen: Beschwerdeberechtigt wie eine Partei ist jeder, dem eine Verletzung von Rechten oder auch nur eine Verletzung von bloss faktischen (also nicht rechtlichen) Interessen widerfahren ist, wobei allerdings eine unmittelbare Betroffenheit gefordert wird.[128]Am Landesverwaltungspflegegesetz zeigt sich ferner, dass die Prozessökonomie[129] dem Gesetzgeber ein besonderes Anliegen war. Deswegen schreibt Art. 55 Abs. 2 LVG unter der Bezeichnung „Offenheit, Raschheit und Billigkeit“ mit Geltung für das gesamte Verwaltungs(beschwerde)verfahren[130] vor: „Es ist von amtswegen darauf hinzuwirken, dass das Verfahren auf möglichst übersichtliche und erschöpfende, rasche, einfache und wenig kostspielige Weise, ohne zuviel Schreibwerk durchgeführt werden kann und dass über der Einhaltung unwesentlicher Formen die Befriedigung der Rechte und Interessen der Parteien im Rahmen des öffentlichen Rechts herbeigeführt wird […].“ Darüber hinaus fordern im Landesverwaltungspflegegesetz zahlreiche Bestimmungen ausdrücklich zur Raschheit des Vorgehens und des Verfahrens auf.[131]4. Bezug zu anderen VerfassungsbestimmungenWas die Umsetzung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit betrifft, dient Art. 27 Abs. 1 LV als Ergänzung[132] von Art. 14 zweiter Satz LV, wo dem Staat die Schaffung und Wahrung des Rechts überantwortet wird. Art. 27 Abs. 1 LV ist ferner, was die Ausgestaltung der zivil- und strafrechtlichen Verfahrensordnungen durch den Gesetzgeber angeht (Art. 97 Abs. 2 LV), im Zusammenhang mit Art. 100 Abs. 1 LV zu sehen. Dort fordert die Verfassung für den Zivilprozess die Grundsätze der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit und der freien Beweiswürdigung. Für den Strafprozess verlangt sie überdies das Anklageprinzip. Die Ausgestaltung des Organisationsrechts überlässt die Verfassung dem Gesetzgeber (Art. 97 Abs. 2 LV). Sie gibt jedoch nebst Art. 27 Abs. 1 LV mit seinen abstrakten Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit, des Rechtsschutzes und der Prozessökonomie im VIII. Hauptstück „Von den Gerichten“, insbesondere Art. 97 ff. LV, zahlreiche Eckpfeiler der Organisation konkret vor, nach denen die ordentlichen (Zivil- und Straf-)Gerichte sowie der Verwaltungsgerichtshof und der Staatsgerichtshof eingerichtet werden müssen. Spiegelbildlich zur blossen (nicht justiziablen) Staatsaufgabe bzw. zum Gesetzgebungs- und Umsetzungsauftrag in Art. 27 Abs. 1 LV räumen Art. 33 Abs. 1 LV mit dem Recht auf den ordentlichen Richter[133] und Art. 43 LV mit dem Beschwerderecht[134] den einzelnen Rechtssubjekten grundrechtlich justiziable Rechtspositionen ein. Während auf der einen Seite Art. 27 Abs. 1 LV die Schaffung eines rechtsstaatlichen Verfahrens- und Vollstreckungsrechts bestimmter (nämlich rechtsschützender und prozessökonomischer) Qualität gewährleistet, stellt auf der anderen Seite das Recht auf den ordentlichen Richter nach Art. 33 Abs. 1 LV sicher, dass der einzelne Rechtsunterworfene einen Richter grundrechtlich im konkreten zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlichen Fall einfordern kann: Die enthaltene Gerichtsweggarantie verlangt, dass ein solcher Fall mindestens in einer Instanz von einem Gericht behandelt werden muss, das mit ordentlichen, unabhängigen, unbefangenen Richtern besetzt ist.[135] Das Beschwerderecht nach Art. 43 LV garantiert dabei einen mindestens zweistufigen Instanzenzug, so dass „grundsätzlich immer ein Verfahren vor einem unabhängigen Gericht mit voller Prüfungsbefugnis als Sach- und Rechtsinstanz offen steht“[136]. Das bedeutet, dass stets ein Beschwerdeweg an mindestens eine übergeordnete gerichtliche Instanz zugänglich und durch sie eine umfassende Überprüfung vorgesehen sein muss. Insofern stehen beide Bestimmungen (Art. 33 Abs. 1 LV und Art. 43 LV) mit Art. 27 Abs. 1 LV in einem Sinnzusammenhang.[137] In gegenseitiger Ergänzung zielen sie alle letztlich gleichläufig auf Rechtsstaatlichkeit, namentlich auf Rechtsschutz, richten sich indessen an unterschiedliche unmittelbare Adressaten (Individuum vs. Staat) mit unterschiedlicher Wirkung (justiziable Grundrechte vs. nicht justiziable Staatsaufgabe).D. Konnex zu Art. 27 Abs. 2 LVArt. 27 LV wurde im Laufe seiner Entstehung im Zusammenspiel der verschiedenen Entwürfe zur Verfassung erst verhältnismässig spät um den zweiten Absatz betreffend die berufsmässige Parteienvertretung ergänzt.[138] Diese Ergänzung dürfte der Einsicht geschuldet gewesen sein, dass der Anwaltschaft eine Schlüsselstellung zukommt, was die Verwirklichung der Anliegen von Art. 27 Abs. 1 LV bei der Rechtsanwendung angeht. Auch wenn gemäss Art. 27 Abs. 1 LV die Rechtsordnung um ein Verfahrens- und Vollstreckungsrecht ergänzt wird (Rechtsstaatlichkeit), auch wenn es zur wirksamen Geltendmachung und notfalls zur zwangsweisen Durchsetzung des materiellen Rechts mit staatlicher Hilfe ausgestaltet wird (Rechtsschutz), auch wenn die entsprechenden Verfahren sich überdies durch Raschheit, Kostengünstigkeit, Einfachheit und Effizienz auszeichnen (Prozessökonomie[139]), so verbleibt dies doch alles im Bereich der Rechtsetzung. Das alles bleibt zunächst blosse Umsetzung rechtspolitischer Ziele in der Rechtsordnung. Entscheidend ist alsdann, dass ein derart hochwertiges Verfahrens- und Vollstreckungsrecht auch in praxi verwirklicht wird. Und hierin besteht der Konnex zwischen Art. 27 Abs. 1 und Abs. 2 LV. Denn ob diese Verwirklichung gelingt, darüber entscheidet letztlich die Art und Weise der Rechtsanwendung durch die Behörden und Gerichte, wobei die Anwaltschaft in berufsmässiger Ausübung der Parteienvertretung massgeblich mitwirkt. Deshalb beauftragt Art. 27 Abs. 2 LV den Gesetzgeber, diesbezüglich eine gesetzliche Regelung zu treffen, damit die Verwirklichung der Anliegen von Art. 27 Abs. 1 LV in praxi bei der Rechtsanwendung so weit wie möglich sichergestellt wird. Die berufsmässige Ausübung der Parteienvertretung soll in den Händen einer professionellen, gesetzlich geregelten Anwaltschaft liegen, die aufgerufen ist, beim Bestreben um ein qualitativ hochwertiges Verfahrensrecht tatkräftig mitzuhelfen.II. Art. 27 Abs. 2 LVA. Historische Entstehung1. VorläuferArt. 27 Abs. 2 LV hat im früheren liechtensteinischen Verfassungsrecht keine Bestimmung, die als eine Vorläuferbestimmung angesehen werden könnte. 2. WortlautWeder im Entwurf Wilhelm Becks noch im Entwurf Prinz Karls noch in der ersten Fassung von Josef Peers Regierungsvorlage vom Februar 1921 findet sich eine Bestimmung, die Art. 27 Abs. 2 LV ähnlich wäre. Art. 27 Abs. 2 LV ist erstmals belegt in der zweiten Fassung der Regierungsvorlage Peers vom März 1921 und lautet dort bereits vollständig: „Die berufsmässige Ausübung der Parteienvertretung ist gesetzlich zu regeln.“ In dieser Formulierung ist Abs. 2 in die Stammfassung der Verfassung von 1921 aufgenommen worden. Er ist seither unverändert geblieben.3. RatioDie Ratio von Art. 27 Abs. 2 LV ist vor dem Hintergrund der damaligen Verhältnisse zu sehen. Während es in Liechtenstein im Jahr 1913 noch keine ansässigen Rechtsanwaltskanzleien gegeben hatte, sondern lediglich vier Rechtsagenten, die als Praktiker ohne rechtswissenschaftliches Studium die Parteienvertretung vor Gericht ausübten,[140] zeichnete sich in den darauf folgenden Jahren eine Änderung dieser Verhältnisse ab. Wilhelm Beck gründete 1918 die erste Rechtsanwaltskanzlei in Liechtenstein; 1925 sollte diejenige von Ludwig Marxer als zweite nachfolgen.[141] Es war folglich um die Zeit, als die Verfassung entstand, absehbar, dass eine liechtensteinische Anwaltschaft vermehrt aufkommen würde. Hierfür bestand auch ein wachsendes Bedürfnis, da die neue Verfassungsordnung auf Rechtsstaatlichkeit mit umfassendem Rechtsschutz für die Rechtsunterworfenen ausgerichtet war.[142] Die entsprechenden Rechtszüge im Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahren würden neuerdings sämtlich vor inländischen Instanzen stattfinden; namentlich vor den höheren Instanzen, wo eine professionelle Rechtsvertretung ratsam war (oder später vom Gesetzgeber möglicherweise einmal zwingend vorgesehen sein würde[143]), würde bei den Rechtssuchenden künftig Bedarf an einer liechtensteinischen Anwaltschaft bestehen.[144] Um von vornherein Auswüchse wie Winkelschreiberei zu verhindern und die professionelle Parteienvertretung durch Rechtsanwälte auf eine solide, klare rechtliche Grundlage zu stellen, beauftragte die Verfassung den Gesetzgeber, diesbezüglich eine gesetzliche Regelung zu treffen.B. Gehalt1. GesetzgebungsauftragArt. 27 Abs. 2 LV erteilt einen Gesetzgebungsauftrag, nennt aber keine Vorgaben, denen das zu erlassende Gesetz inhaltlich zu entsprechen hat. Der Verfassung liegt folglich in erster Linie daran, dass sich der Gesetzeber dieser Materie annimmt, dass er sich ihrer von Verfassungs wegen auch klar annehmen darf und dass so überhaupt eine Regelung der berufsmässigen Parteienvertretung auf Gesetzesstufe geschaffen wird. Welche konkreten Regelungen er schafft, will und kann die Verfassung nicht vorwegnehmen. Mangels inhaltlicher Vorgaben eröffnet sie dem Gesetzgeber daher bewusst einen Spielraum, um bei der gesetzlichen Regelung aktuelle Entwicklungen aufzugreifen oder neuen Herausforderungen zu begegnen. Es bleibt somit dem Gesetzgeber überlassen, zu entscheiden, welche Aspekte der berufsmässigen Ausübung der Parteienvertretung er einer Normierung als wert und bedürftig erachtet. Dennoch wird der Gesetzgeber ein gewisses Minimum typisch regelungsbedürftiger Punkte nicht unterschreiten dürfen, ohne den Gesetzgebungsauftrag nach Art. 27 Abs. 2 LV seines Sinnes und Zweckes zu entleeren und mithin nicht zu erfüllen. Zu diesem gesetzlichen Regelungsminimum zählt wohl: die Führung der Berufsbezeichnung als Parteienvertreter; die Zulassung als Parteienvertreter und die Prüfung zur Erlangung der entsprechenden Qualifikation; besondere Rechte und Pflichten von Parteienvertretern. Ferner scheint es ratsam, darüber hinaus ebenfalls ausdrücklich zu normieren: die Pflichten der Parteienvertreter insbesondere gegenüber den Vertretenen, so die Aufklärungspflichten, Sorgfaltspflichten, Treuepflichten, Verschwiegenheitspflichten; Zeugnisverweigerungsrechte der Parteienvertreter; unvereinbare Tätigkeiten; Standesrecht; Disziplinarrecht; Entlohnung der Parteienvertreter. Der Vollständigkeit halber dürfte schliesslich an der Peripherie noch zu regeln sein: Gebühren der Verfahren; Zusammenschluss der Parteienvertreter in einer Kammer oder ähnlichem. 2. Berufsmässige ParteienvertretungUnter „Parteienvertretung“ ist die Vertretung/Stellvertretung eines Rechtssubjekts („Partei“) in einem Verfahren namentlich vor Gerichten und vor Verwaltungsbehörden zu verstehen. Im Gegensatz zur Stellvertretung bei gewöhnlichem rechtsgeschäftlichem Handeln („Bevollmächtigung“[147]) bedingt derartiges Handeln in verfahrensrechtlichem Kontext erhöhte Anforderungen an den Stellvertreter, da für den Vertretenen zusätzlich zu allfälligen Rechtsfolgen für seine materiellrechtlichen Rechtsverhältnisse noch solche des Verfahrensrechts (Prozesshandlungen im Prozessrechtsverhältnis[148]) hinzukommen.Wenn sich eine Partei vor liechtensteinischen Gerichten und Behörden vertreten lassen will, so erfordert dies von Rechts wegen vom Stellvertreter grundsätzlich über die gewöhnliche Rechts-, Handlungs- und Urteilsfähigkeit hinaus keine besondere Berechtigung oder Befähigung.[149] Die Vertretung kann demnach grundsätzlich von jedermann übernommen werden, es sei denn, die Verfahrensordnung statuiere für das spezifische Verfahren, insbesondere ein Rechtsmittelverfahren, eine Ausnahme. Eine solche Ausnahme kann sein, dass beispielsweise überhaupt eine Rechtsanwaltspflicht und mithin Vertretungspflicht besteht oder dass eine Parteivertretung, falls gewünscht, lediglich durch einen Rechtsanwalt ausgeübt werden darf[150]. Allenfalls ergeben sich schliesslich unterschiedliche Rechtsfolgen daraus, ob besonders berechtigte (rechtskundige) Parteivertreter in Anspruch genommen werden oder nicht, so beispielsweise[151] beim Umfang der erteilten Vollmacht (anwaltliche Prozessvollmacht[152]) oder beim Kostenersatz[153]. Die liechtensteinische Rechtsordnung enthält keine Legaldefinition der Berufsmässigkeit. Eine definierende liechtensteinische Rechtsprechung ist ebenso wenig ersichtlich. Eine Tätigkeit dürfte – in Anlehnung an das Schweizerische Bundesgericht – dann als berufsmässig ausgeübt gelten, wenn sie zumindest einen Teil der folgenden Kriterien erfüllt: entsprechende Ausbildung und Qualifikation des Handelnden; Entgeltlichkeit, also Verfolgung eines wirtschaftlichen Zweckes oder der Erzielung eines Erwerbseinkommens; Regelmässigkeit und Wiederholung der Ausübung der Tätigkeit (und spezifisch bei der Parteienvertretung: Bereitschaft, eine unbestimmte oder unbegrenzte Anzahl an Fällen zu übernehmen).[154]Handeln im Sinne der berufsmässigen, insbesondere forensischen Parteienvertretung fällt in Liechtenstein vor allem der Berufsgruppe der Rechtsanwälte (sowie de lege lata den nach alter Rechtslage theoretisch[155] noch verbliebenen Rechtsagenten) zu. Eine berufsmässige Parteienvertretung durch einen Rechtsanwalt umfasst namentlich Tätigkeiten wie das Erstellen von Schriftsätzen an ein Gericht oder eine Behörde, die Teilnahme an Verhandlungen, Verfassen und Abfertigen von allgemeinen Schreiben, Vornahme von Geschäften ausserhalb der Anwaltskanzlei, anwaltliche Besprechungen aller Art.[156]Die berufsmässige Ausübung von Parteienvertretung garantiert gegenüber einer bloss einfachen Parteienvertretung ein erhöhtes Mass an Wissen und Fertigkeiten. Der Rechtsanwalt als berufsmässiger Parteienvertreter gewährleistet seinen Mandanten gegenüber Kenntnis der aktuellen (inländischen und ausländischen[157]) Rechtslage[158], erhöhte Sorgfalt[159], besondere Vertraulichkeit/Verschwiegenheit[160] in Kombination mit Zeugnisverweigerungsrechten – kurzum: ein gesteigertes Ausmass an Professionalität. Diese Professionalität kann dabei natürlich nur in dem Bereich erwartet werden, in dem der Anbieter der Leistungen besonders für eine berufliche Tätigkeit ausgebildet worden ist.[161] Das Handeln seiner Gehilfen, Mitarbeiter und Angestellten muss sich der berufsmässige Parteivertreter hinwiederum zurechnen lassen und dafür sorgen, dass sie dem gesteigerten Mass an Professionalität gerecht werden.[162]C. Gesetzliche RegelungDie de lege lata[163] geltenden Erlasse zur Regelung der berufsmässigen Parteienvertretung befinden sich in der Systematischen Sammlung der liechtensteinischen Rechtsvorschriften unter der Nummer 173.51 „Rechtsanwälte, Rechtsagenten“. Hinzu kommen die Richtlinien, welche von der Liechtensteinischen Rechtsanwaltskammer bzw. den internationalen Anwaltsorganisationen erlassen werden. 1. RechtsanwaltsgesetzDer zentrale Erlass bei der Regelung der berufsmässigen Parteienvertretung ist das Rechtsanwaltsgesetz[164] (RAG) von 2013, welches unter starkem Einfluss des EWR-Rechts[165] steht. Das RAG regelt folgende Materien: 2. NebenerlasseDas Rechtsanwaltsgesetz wird ergänzt durch eine Reihe von Nebenerlassen:Die Rechtsanwaltsprüfungsverordnung[174] bestimmt die Durchführung der Rechtsanwaltsprüfung und der Eignungsprüfung von Rechtsanwälten aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (Art. 1). Die Verordnung über das Praktikum beim Landgericht und bei der Staatsanwaltschaft[175] regelt die genannten Praktika. In der Gebührenordnung[176] der Liechtensteinischen Rechtsanwaltskammer wird die Einhebung von Gebühren für Amtshandlungen derselben festgelegt. Das Tarifgesetz[177] und die Tarifverordnung[178] bestimmen die Entlohnung von Rechtsanwälten und Rechtsagenten für ihre Tätigkeiten nach einem Tarifsystem.[179]Die Liechtensteinische Rechtsanwaltskammer hat sich eine Geschäftsordnung[180] gegeben und Honorarrichtlinien[181] (HRL) sowie Standesrichtlinien[182] (SRL) erlassen. Hinzu kommen in diesem Zusammenhang noch die vom Rat der Europäischen Anwaltschaften beschlossene Charta der Grundprinzipien der europäischen Rechtsanwälte, die als übernationale, bloss informative Leitlinien dienen, sowie die ebenfalls von ihm erlassenen, verbindlichen Berufsregeln der europäischen Rechtsanwälte.[183] |
1) Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen. 2) No one may be subjected to inhuman or degrading treatment or punishment. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteDer am 27. Dezember 2005 im Landesgesetzblatt kundgemachte Art. 27bis LV bildet mit dem zeitgleich entstandenen Art. 27ter LV in formeller Hinsicht das jüngste Grundrecht des liechtensteinischen Grundrechtskataloges. Auch wenn sich durchaus fragen lässt, ob die Menschenwürdegarantie in Art. 27bis Abs. 1 LV nicht schon davor etwa auch im Lichte von Art. 1 Allgemeinene Menschenrechtserklärung[1] als ungeschriebener Grundsatz der Verfassung gelten konnte und Art. 27bis Abs. 2 LV in Form des Art. 3 EMRK bereits bisher dem liechtensteinischen Normenbestand angehörte, bildeten Art. 27bis und Art. 27ter LV eine wichtige Ergänzung des liechtensteinischen Grundrechtekataloges.Die Regelungen der Art. 27bis und 27ter LV waren Inhalt des Gegenvorschlags des Landtages zur Initiative „Schutz des Lebens“,[2] die auf eine Änderung des Art. 14 LV zielte, in welchem der Schutz des Lebens von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod als oberste Aufgabe des Staates verankert werden sollte.[3] Art. 27bis Abs. 1 LV entspricht dabei wörtlich Art. 7 BV, der Abs. 2, wie bereits erwähnt, Art. 3 EMRK. Dem Landtagsprotokoll kann dazu entnommen werden, dass eine bewusste Orientierung an Art. 7 BV erfolgen sollte und dass mit der Anlehnung an Art. 3 EMRK auch das internationale Begriffsverständnis der gewählten Formulierungen übernommen werden sollte.[4]In der Volksabstimmung vom 25. und 27. November 2005 wurde die Initiative verworfen und der Gegenvorschlag des Landtags mit über 79% der Stimmen angenommen.[5]II. Die Menschenwürdegarantie in LiechtensteinA. Sachlicher Schutzbereich1. AllgemeinesDie Garantie der Menschenwürde in Art. 27bis Abs. 1 LV steht in einem engen Konnex mit dem Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe in Abs. 2.[6] Die beiden Normen befinden sich im Verhältnis lex generalis zu lex specialis.[7] Die Judikatur des Staatsgerichtshofes hat am Grundrechtscharakter des Art. 27bis LV keinen Zweifel gelassen.[8]Prinzipiell kann angenommen werden, dass der Schutz der Menschenwürde, ob explizit verankert oder nicht, jedem demokratischen Rechtsstaat als Verfassungsgrundsatz innewohnt.[9] Auch das schweizerische Bundesgericht hat, bevor im Zuge der Totalrevision der Bundesverfassung die Menschenwürdegarantie explizit in Art. 7 BV verankert wurde, judiziert, dass ihr zwar nicht der Status eines Individualgrundrechts zukam, sondern sie einen allgemeinen Verfassungsgrundsatz darstellte.[10]Die grundsätzliche Bedeutung der in Art. 27bis LV verankerten Garantien wird auch dadurch ersichtlich, dass sie der Verfassungsgeber an den Anfang des liechtensteinischen Grundrechtekatalogs gerückt hat.[11]Gegenüber der ausdifferenzierten schweizerischen Doktrin zur Menschenwürde ist die österreichische Diskussion der Thematik in positivistischer Tradition stark verengt. Der Verfassungsgerichtshof hat bisher wenig konturiert auf die Menschenwürde Bezug genommen,[12] freilich auch vor einem verfassungsrechtlichen Hintergrund, in welchem die Menschenwürde ebenfalls nur am Rande normativ verankert ist.[13]Der Staatsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass aus einer fremden Rechtsordnung rezipiertes Recht in Liechtenstein entsprechend herrschender Rechtsprechung und Literatur im Rezeptionsland zu interpretieren ist und nur aus triftigen Gründen davon abgewichen werden soll (siehe StGH 2010/78, Erw. 2.4.2; StGH 2009/200, Erw. 3.4.1, mit Verweisen auf StGH 2006/24, Erw. 3.5 und OGH 1 Cg 2000.64 (= LES 2005, 100 ff.). Demnach ist, wie dies auch durch die Gesetzesmaterialien belegt wird, eine Interpretation des Art. 27bis Abs. 1 LV in Orientierung an Art. 7 BV angebracht. (siehe dazu näher unter Kapitel 3.).[14] Gerade bei einem Grundrecht kann dies jedoch nicht bedeuten, dass nicht auch eine eigenständige Weiterentwicklung, insbesondere in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes stattfinden kann.Der Staatsgerichtshof hat im Übrigen bereits vor Inkrafttreten des Art. 27bis LV die Menschenwürde in Bezug zu spezifischen Grundrechten gebracht: So wurde bei der Gleichheitsprüfung von Normen ein über die Willkürprüfung hinausgehender strenger Massstab „jedenfalls bei gesetzgeberischen Verstössen gegen das Geschlechtergleichheitsgebot gemäss Art. 31 Abs. 2 LV und wohl auch generell bei die Menschenwürde tangierenden Diskriminierungen“ judiziert.[15] Ausserdem betrachtet er beispielsweise in ständiger Rechtsprechung den Anspruch auf rechtliches Gehör als in einem engen Zusammenhang mit der Menschenwürde stehend, weil durch die Missachtung des rechtlichen Gehörs das Rechtssubjekt von der Behörde als solches ignoriert wird.[16]2. Begriff der MenschenwürdeArt. 1 GG und Art. 7 BV sprechen von der Würde des Menschen, die nach deren Postulat unantastbar bzw. zu achten und zu respektieren ist. Die Menschenwürde wird heute als universaler und pluralistischer Rechtsbegriff betrachtet, der auch in den internationalen Menschenrechtsstandards konkretisiert wird. Gerade dadurch, dass die Menschenwürde aber erst durch Rechtsvorschriften präzisiert wird, erweist es sich als schwierig, den Begriff selbst zu erfassen.[17]Allgemein kann aber gesagt werden, dass es das Menschsein selbst ist, das Achtung gebietet, nicht nur bestimmte Verhaltensweisen.[18]Es gibt unzählige Versuche einer Konkretisierung der Menschenwürde, von denen hier lediglich folgende dargestellt werden. Menschenwürde verlangt, dass ein Mensch Der offene Normgehalt wird sichtbar, wenn das Bundesgericht (und ihm folgend der Staatsgerichtshof, siehe dazu näher unter Kapitel 3.) betont, dass die Menschenwürde das letztlich nicht fassbare Eigentliche des Menschen und der Menschen darstelle, bzw. die Anerkennung des Einzelnen in seiner eigenen Werthaftigkeit und individuellen Einzig- und allfälligen Andersartigkeit sei.[20]Bei der Garantie der Menschenwürde decken sich Schutzbereich und Kerngehalt. Jeder Eingriff in die Menschenwürde stellt der vorbehaltlosen Formulierung zufolge eine Verletzung der Verfassung dar, somit findet auch keine Interessenabwägung statt.[21] Freilich ist dabei die Offenheit des Menschenwürdebegriffs zu beachten. Eine Einweisung in eine Einrichtung der Psychiatrie ist etwa dann keine Verletzung der Menschenwürde, wenn sie dem unabweislichen Schutz des Einzelnen vor sich selbst dient und die Behandlung in der betreffenden Einrichtung modernen Standards entspricht.[22]3. Anwendung von Art. 27bis Abs. 1 LV in der RechtsprechungAuf Art. 27bis LV hat der Staatsgerichtshof erstmals in StGH 2009/18 im Zusammenhang mit einem Verfahren betreffend eine Entmündigung rekurriert und dabei festgehalten:[23] „Wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, entspricht Art. 27bis Abs. 1 LV dem Art. 7 der Schweizerischen Bundesverfassung, womit diesbezüglich insbesondere auf die entsprechende Lehre und Rechtsprechung Bezug genommen werden kann: Gemäss Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichtes ist die Menschenwürde nach Art. 7 BV ganz allgemein zu achten und zu schützen. Die Bestimmung hat allgemein die Bedeutung eines Leitgrundsatzes für jegliche Staatstätigkeit, bildet als innerster Kern zugleich die Grundlage der Freiheitsrechte, dient deren Auslegung und Konkretisierung und ist ein Auffanggrundrecht. Für besonders gelagerte Konstellationen kann der Menschenwürde ein eigenständiger Gehalt zukommen. Der offene Normgehalt kann nicht abschliessend positiv festgelegt werden. Er betrifft das letztlich nicht fassbare Eigentliche des Menschen und der Menschen und ist unter Mitbeachtung kollektiver Anschauungen ausgerichtet auf Anerkennung des Einzelnen in seiner eigenen Werthaftigkeit und individuellen Einzig- und allfälligen Andersartigkeit. In dieser Ausrichtung weist die Verfassungsnorm besondere Bezüge zu spezielleren Grundrechten und insbesondere zu den verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechten auf, die gerade auch unter Beachtung der Menschenwürde anzuwenden sind (BGE 132 I 49, Erw. 5.1., S. 55; BGE 127 I 6 E. 5b, S. 14 f.).“[24] Auf diese Formel wurde in der Zwischenzeit in mehreren Entscheidungen rekurriert.[25]Allerdings sind die Fallbeispiele, in welchen sich Beschwerdeführer auf eine Verletzung der Menschenwürde berufen, bzw. der Staatsgerichtshof auf die Menschenwürde rekurriert, nicht besonders reichhaltig:[26] Im Ausgangsfall StGH 2009/18 betreffend eine Entmündigung hielt der Staatsgerichtshof fest, dass es nicht ersichtlich sei, „dass der Beschwerdeführer aufgrund der beschränkten Entmündigung spezifisch in seiner Menschenwürde betroffen wird. Für sich allein genommen stellt die Entmündigung des Beschwerdeführers nicht eine Verachtung seiner Person oder seiner Würde, eine Anprangerung seines individuellen Seins oder eine Demütigung wegen seiner Eigenart dar. Denn der beschränkten Entmündigung aufgrund Selbstgefährdung kann nicht die Bedeutung einer Missachtung oder gar Negation der Werthaftigkeit des Beschwerdeführers beigemessen werden, da sie eben gerade dem Schutz des Beschwerdeführers dient.“[27]In einem anderen Fall erachtete der Staatsgerichtshof die Verwendung einer Abkürzung des Namens des Beschwerdeführers (konkret als Akronym „DGB“) durch ein Gericht nicht als eine Verletzung der Menschenwürde.[28] Auch die Qualifizierung einer Aussage als Schutzbehauptung durch ein Gericht in seinen Feststellungen verletzt als solche nicht die Menschenwürde, wenn sie auf einer entsprechenden Beweiswürdigung beruht.[29]Im Rahmen einer Normenkontrolle ausländerrechtlicher Vorschriften über die Ausweisung von Personen, die eine Straftat begangen hatten, wurde das Argument des antragstellenden Verwaltungsgerichtshofes, die betreffende Vorschrift verstosse gegen Art. 27bis Abs. 1 LV vom Staatsgerichtshof mit dem Hinweis verworfen, dass im konkreten Fall keine eigenständige Grundrechtsverletzung vorliege und die angefochtene Norm spezifischere Beziehungen zu anderen Grundrechten aufweise.[30]Die Judikatur des Staatsgerichtshofes, wonach Art. 27bis LV ein „Auffanggrundrecht“ darstellt (wie dies der Staatsgerichtshof auch hinsichtlich des Willkürverbots judiziert), darf nicht als eine Abwertung missverstanden werden, sondern bringt lediglich zum Ausdruck, dass es spezielle Grundrechtsverbürgungen gibt (beispielsweise der Schutz vor unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung oder der Schutz der Freiheit, das rechtliche Gehör usw.), die bei der Prüfung einer Grundrechtsverletzung vorrangig zur Anwendung gelangen.[31] Man kann in gewisser Hinsicht sagen, dass der Schutz der Menschenwürde von so fundamentaler Tragweite ist, dass er Teil verschiedener spezfischer Grundrechtsgarantien ist, was bewirkt, dass eine Berufung auf einen allgemeinen Würdeschutz in der juristischen Praxis vergleichsweise selten vorkommt.[32]4. Bedeutung für die GesetzgebungDie vorstehende Judikaturübersicht hat gezeigt, dass Beispielfälle für die Bindung des Gesetzgebers durch die Menschenwürdegarantie des Art. 27bis Abs. 1 LV bislang keine vorliegen. Dennoch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Bestimmung auch den Gesetzgeber verpflichtet.Allgemein kann gesagt werden, dass der Gesetzgeber selbst die Menschenwürde achten und für Verfahren sorgen muss, in welchen die Menschenwürde gewahrt bleibt. Ihm kommt aber auch eine Verpflichtung zu, den Einzelnen vor Eingriffen in seine Menschenwürde zu beschützen.[33] Aus einem postmortalen Persönlichkeits- und Würdeschutz wurde beispielsweise das Verbot von Organentnahmen ohne oder gar gegen den Willen der verstorbenen Person abgeleitet.[34] Allerdings wäre gerade ein solcher strikter Schutz wohl zu weitreichend: Der Gesetzgeber kann sehr wohl eine Interessenabwägung vornehmen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht einer verstorbenen Person und dem Recht auf Leben von Patienten, die auf Organspenden angewiesen sind.[35]In der Gesetzgebung selbst kommt der Begriff freilich nur vergleichsweise selten und wenig systematisch vor: Diese Aufzählung demonstriert immerhin, dass der Schutz der Menschenwürde in völlig verschiedenen Verwaltungsbereichen zum Tragen kommen kann. In diversen Gesetzesmaterialien kommt zuweilen der Schutz der Menschenwürde ebenfalls zur Sprache,[41] was in diesen Fällen demonstriert, dass sich der Gesetzgeber der Relevanz des Grundrechts bewusst ist.5. Bedeutung für die VollziehungFraglos gelangt der Schutz der Menschenwürde etwa in behördlichen Verfahren und im Umgang mit den Parteien zur Anwendung.[42] In dem der Entscheidung StGH 2014/37 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Beschwerdeführer die Abkürzung seines Namens in einer gerichtlichen Entscheidung gerügt. Der Staatsgerichtshof liess offen, ob dadurch die Menschenwürde überhaupt berührt sein könnte. Er hielt sie fraglos aber nicht für verletzt, denn: „Die Motivation hierfür sind klarerweise praktische Gründe; irgendeine Komponente der Herabwürdigung des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich.“[43]Grundsätzlich kann der Umgang einer Behörde mit der Identität einer Person durchaus die Menschenwürde tangieren. Entscheidend ist, worauf der Staatsgerichtshof hinweist, ob eine Komponente der Herabwürdigung dieser Person im Spiel ist.B. Persönlicher SchutzbereichTräger der Menschenwürdegarantie ist jede natürliche Person. Eine juristische Person scheidet begrifflich aus.[44] Das Grundrecht ist auch nicht auf Staatsbürger beschränkt, sondern kann von jeder natürlichen Person in Anspruch genommen werden, die sich im Geltungsbereich der liechtensteinischen Rechtsordnung bewegt.Der Beginn der Grundrechtsträgerschaft fällt grundsätzlich mit dem Beginn der Rechtspersönlichkeit zusammen, sodass Föten und Embryonen kein subjektives Recht zukommt. Dessen ungeachtet verpflichtet das Grundrecht als Verfassungsprinzip den Gesetzgeber auch zum Schutz von Föten und Embryonen, wobei allerdings eine Abwägung mit anderen Grundrechten vorzunehmen ist.[45] Mit dem Tod enden zwar die grundrechtlichen Ansprüche des Verstorbenen, wiederum hat jedoch der Gesetzgeber für einen angemessenen Schutz der Würde des Verstorbenen zu sorgen.[46]Künstliche Intelligenz, in welcher Ausprägung auch immer, kann das Recht auf Menschenwürde nicht in Anspruch nehmen.C. Ausgestaltung und DrittwirkungDie Würdegarantie ist ein an den Staat gerichteter Anspruch. Eine unmittelbare Drittwirkung kommt ihm nicht zu. Hingegen ist eine mittelbare Drittwirkung nicht ausgeschlossen. Zwar werden im Regelfall private Rechtsbeziehungen nicht an der Menschenwürdegarantie zu messen sein.[47] Allerdings kann die Menschenwürde im Zusammenhang mit der Behandlung von Menschen in Pflegeheimen oder im Rahmen der Palliativmedizin durchaus relevant sein, um vertragliche Beziehungen im Lichte des Art. 27bis LV zu interpretieren. In der Praxis ergibt sich hier ein enger Konnex mit Art. 8 EMRK.[48]Es kann auch gefragt werden, ob sich aus der Menschenwürdegarantie ein Anspruch gegenüber dem Staat auf eine angemessene Unterstützung in Notfällen (Sozialhilfe) ergibt. Auch wenn sich die Judikatur des Staatsgerichtshofes (wie auch des Bundesgerichtes) zu dieser Frage noch nicht geäussert hat: Aus Art. 27bis Abs. 1 LV ergibt sich auch eine Schutzpflicht des Staates, Situationen zu verhindern, in welchen die Menschenwürde von Personen gefährdet ist.[49] Insgesamt hat der Gesetzgeber ein gewisses Ermessen, etwa welches Ausmass an Bedürftigkeit noch mit der Menschenwürde vereinbar ist.III. Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder StrafeA. Sachlicher SchutzbereichArt. 27bis Abs. 2 LV übernimmt wörtlich Art. 3 EMRK mit Ausnahme des Folterverbots. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass das Folterverbot nicht Bestandteil der liechtensteinischen Verfassungsordnung wäre. Abgesehen davon, dass dieses wie die übrigen Garantien der EMRK „Quasi-Verfassungsrang“ geniesst, ergibt auch ein Grössenschluss, dass die Folter eine Form der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ist. Verstanden wird darunter eine „drastische Einwirkung auf die physische und/oder psychische Integrität eines Menschen, gleich, ob damit ein konkretes Ziel – etwa die Preisgabe von Informationen – verfolgt wird oder die Qual des Betroffenen als Selbstzweck auftritt. Wesentlich ist bloss, dass sie von Menschen ausgeht und von diesen bewusst eingesetzt wird.“[50]Schutzgut des Art. 27bis Abs. 2 LV ist die physische und psychische Integrität der Grundrechtsträger.[51] „Strafe“ ist jede Massnahme mit Sanktionscharakter, „Behandlung“ alle anderen Formen staatlichen Handelns.[52] Unmenschlich ist eine Behandlung, die absichtlich schwere psychische oder physische Leiden verursacht.[53] Beim Betroffenen werden dabei Gefühle von Furcht und Erniedrigung hervorgerufen. Auch die Androhung von Folter ist dementsprechend eine unmenschliche Behandlung.[54]Demgegenüber steht bei der erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern das Element der Demütigung sowie der Herabsetzung als Person im Vordergrund.[55]Das Grundrecht richtet sich an die Gesetzgebung und Vollziehung. Auf Grund des Fehlens eines Gesetzesvorbehalts gilt es absolut.[56] Dass dies im Einzelfall drastische Konsequenzen haben kann, weil dadurch andere Schutzinteressen leiden können, ist unausweichlich.[57]Der Gesetzgeber ist daher in jedem Fall gehalten, dafür zu sorgen, dass niemand einer unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung ausgesetzt ist, wobei Ermessensspielräume vorhanden sind.Diese Garantie ist nicht nur im Kontext sicherheitspolizeilicher Massnahmen relevant, sondern auch im Bereich der modernen Gesundheitspolitik, der Altenpflege[58] bis hin zur Bildungspolitik.In Betracht kommen aber auch gesetzliche Regelungen im Bereich der Amts- und Rechtshilfe, des Strafvollzugs und des Arbeits- und Dienstrechtes. In privaten Rechtsverhältnissen ist zu beachten, dass das Grundrecht grundsätzlich keine Drittwirkung entfaltet. Den Staat treffen allerdings Schutzpflichten. Zu denken ist etwa an das Bildungswesen und ein Züchtigungsverbot gegenüber Schülern, das sowohl in staatlichen wie auch privaten Einrichtungen gelten muss.Auch im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern wäre ein Züchtigungsrecht, jedenfalls ein solches mit erheblichen Auswirkungen auf die körperliche Integrität, mit der Verfassung nicht vereinbar.Im Bereich der Vollziehung sind typischerweise Akte, mit denen in die persönliche Freiheit des Einzelnen eingegriffen wird, vom Grundrecht erfasst. Etwa die Festnahme, die Hausdurchsuchung oder vergleichbare Vorgänge.[59]Auch das Refoulement-Verbot (auch non-refoulement-Prinzip genannt), nämlich das Verbot der Ausweisung in Staaten, wo eine Person Gefahr laufen könnte, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu sein, kann relevant sein.Hingegen ist nicht jede Unzukömmlichkeit, die als Missstand in der Verwaltung oder Gerichtsbarkeit zu qualifizieren ist (unfreundlicher Umgang), eine „erniedrigende“ Behandlung. Das nicht selten im Umgang mit Ausländern verwendete „Du“ ist zwar für eine moderne Administration völlig inakzeptabel und erweckt den Eindruck von Voreingenommenheit bzw. einer nationalen oder ethnischen Diskriminierung, stellt für sich aber wohl noch keine erniedrigende Behandlung dar.[60]B. Persönlicher SchutzbereichWie im Falle des Art. 27bis Abs. 1 LV gilt auch hinsichtlich des Verbots der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung, dass sich jede natürliche Person darauf berufen kann. Eine juristische Person kann dagegen keiner solchen Strafe oder Behandlung ausgesetzt sein.[61]C. InhaltDer Staatsgerichtshof nimmt in seiner Judikatur auf Art. 27bis Abs. 2 LV nicht explizit Bezug, sondern wendet vielmehr Art. 3 EMRK direkt an. Die Judikatur ist zwangsläufig einzelfallbezogen:In StGH 1995/21 hat der Staatsgerichtshof beispielsweise entschieden, dass eine Auslieferung in die USA wegen der dem Beschwerdeführer auf Grund des dort herrschenden Kumulationsprinzips drohenden exorbitanten Strafdrohung mit Art. 3 EMRK nicht vereinbar sei.Besondere Relevanz erhält die Bestimmung, wie erwähnt, in Zusammenhang mit dem Refoulement-Verbot, wobei der Staatsgerichtshof regelmässig lediglich auf Art. 3 EMRK (mitunter auch Art. 4 GRC bei Anwendung der Dublin III-Verordnung)[62] und die Spruchpraxis des EGMR Bezug nimmt.[63]Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Frage, ob in dem Staat, in den eine Ausschaffung erfolgt, dem Betreffenden Folter drohen würde.[64] |
1) Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteDer am 27. Dezember 2005 im Landesgesetzblatt kundgemachte Art. 27ter LV bildet mit dem zeitgleich entstandenen Art. 27bis LV in formeller Hinsicht das jüngste Grundrecht des liechtensteinischen Grundrechtskataloges.[1] Auch wenn das Recht auf Leben in Art. 2 EMRK bereits verbürgt war und die Todesstrafe durch Zusatzprotokolle zur EMRK in Friedens- wie in Kriegszeiten verboten war (siehe unter Kapitel III.A), bildete Art. 27ter LV zusammen mit Art. 27bis LV eine wichtige Ergänzung des liechtensteinischen Grundrechtskataloges.Die Regelungen der Art. 27bis und 27ter LV waren Inhalt des Gegenvorschlags des Landtages zur Initiative „Schutz des Lebens“.[2] Die Volksinitiative zielte auf eine Änderung des Art. 14 LV, in welchem der Schutz des Lebens von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod als oberste Aufgabe des Staates verankert werden sollte.[3]In der Volksabstimmung vom 25. und 27. November 2005 wurde die Initiative verworfen und der Gegenvorschlag des Landtags mit über 79 % der Stimmen angenommen.[4]II. Das Recht auf LebenA. Sachlicher Schutzbereich1. AllgemeinesArt. 27ter LV entspricht dem Art. 10 Abs. 1 BV.[5] Darüber hinaus ist das Recht auf Leben auch in Art. 2 Abs. 1 erster Satz EMRK verankert, wonach das Recht jedes Menschen auf Leben gesetzlich geschützt wird. Das durch Art. 2 EMRK geschützte Leben umfasst jedenfalls den Zeitraum von der Geburt eines Menschen bis zu seinem Tod. Darüber hinaus wird aber auch das ungeborene Leben in einem bestimmten Ausmass geschützt.[6] Allerdings ist der Staat nicht verpflichtet, das ungeborene Leben unter allen Umständen mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen.[7]Generell besteht ein grosser Ermessensspielraum der Staaten wie beispielhaft an der Vereinbarkeit eines Schwangerschaftsabbruches mit Art. 2 EMRK demonstriert werden kann: Nach der freilich dynamischen Rechtsprechung des EGMR fällt die Festlegung des Zeitpunktes, in dem das Recht auf Leben beginnt, in den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten.[8] Der Garantiebereich des Grundrechts wächst von der Empfängnis an stetig bis zum voll ausgeprägten Schutzumfang ab der Geburt.[9] Aus diesem Grund bedarf ein Schwangerschaftsabbruch kurz vor der Geburt einer viel gewichtigeren Begründung als in den ersten Wochen nach der Empfängnis.[10]Die schweizerische „Fristenlösung“ (in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis ohne Beschränkung, sofern die Frau für sich eine Notlage in Anspruch nimmt; ab der 13. Woche aufgrund einer entsprechenden medizinischen Indikation bis ca. zur 24. Woche)[11] wird nach wohl herrschender Auffassung als mit Art. 10 Abs. 1 BV in Einklang stehend betrachtet.[12] Die österreichische Fristenlösung wird vom VfGH als mit Art. 2 EMRK vereinbar bezeichnet.[13] In Liechtenstein ist der Schwangerschaftsabbruch seit der Revision des StGB 2015[14] in den §§ 96 bis 98a StGB geregelt, wobei § 96 StGB (Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung) den Schwangerschaftsabbruch generell unter Strafe stellt, sofern nicht die Rechtfertigungsgründe des § 96 Abs. 4 StGB zur Anwendung gelangen (diese beziehen sich auf die Abwehr einer Gefahr für die Schwangere oder wenn diese bei Schwängerung unmündig war oder die Schwängerung auf bestimmten strafbaren Handlungen beruht).Der Gesetzgeber hat, was den Schutz des Fötus betrifft, jedenfalls eine Interessenabwägung vorzunehmen. Ein absolutes Verbot des Schwangerschaftsabbruches wäre ebenso unzulässig wie die völlige, unbefristete Freigabe. Zwischen diesen beiden Polen besteht jedoch ein erheblicher rechtspolitischer Gestaltungsspielraum.[15] Die im internationalen Vergleich sehr strenge liechtensteinische Rechtslage erscheint mit Art. 27ter LV grundsätzlich kompatibel, wenngleich zu hinterfragen ist, ob eine solche Regelung sinnvoll sein kann, wenn ein im Ausland begangener Schwangerschaftsabbruch gemäss § 65 Abs. 1 StGB dann straflos bleibt, wenn die Tat nach dem dortigen Strafrecht nicht strafbar ist.Das Recht auf Leben endet mit dem Gehirntod.[16]In der bisherigen Judikatur des Staatsgerichtshofes findet sich weder ein Bezug auf Art. 27ter LV und kaum auf Art. 2 EMRK.[17] Dies ist insoweit bemerkenswert, als die Ausweisung eines Menschen in ein Land, in welchem dem Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Tod droht, einen Eingriff in das Grundrecht darstellen kann,[18] und eine solche Bedrohung etwa in Asylverfahren grundsätzlich häufig thematisiert wird. Allerdings hat sich, soweit ersichtlich, auch noch kein Beschwerdeführer vor dem Staatsgerichtshof explizit auf Art. 27ter LV berufen. Erwähnt wird Art. 27ter LV hingegen verschiedentlich in Gesetzesmaterialien.[19]Bei der Ermittlung des sachlichen Schutzbereiches muss daher insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu Art. 10 Abs. 1 BV wie auch des EGMR zu Art. 2 EMRK zurückgegriffen werden (siehe dazu im Folgenden).2. EingriffsverbotDas Recht auf Leben ist grundsätzlich als ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat konzipiert, kann aber, wie noch zu zeigen sein wird, auch ein Recht auf ein aktives Tun des Staates beinhalten. In erster Linie schützt es aber vor Eingriffen des Staates, die dieses Recht auf Leben negieren. Anwendungsfälle bilden beispielsweise der rechtswidrige Waffengebrauch eines Exekutivorgans, auch im Falle einer unbeabsichtigten Tötung,[20] sowie, wie bereits erwähnt, die Ausweisung eines Menschen in ein Land, in dem ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit der Tod droht.[21]Im Gegensatz zu Art. 2 Abs. 2 EMRK, der eine Reihe von Tatbeständen aufzählt, nämlich die (nicht mehr relevante) Vollstreckung eines Todesurteils, die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung (Notwehr), die Tötung anlässlich der Festnahme oder des Festhaltens einer Person und die Tötung zur Unterdrückung eines Aufruhrs oder eines Aufstandes,[22] kennt Art. 27ter Abs. 1 LV keine expliziten Ausnahmegründe.[23] Dies bedeutet dennoch keine vorbehaltlose Geltung. Auch die Schweizer Lehre zu Art. 10 BV sieht eine Begrenzung (etwa bei der unabsichtlichen Tötung) durch den Verhältnismässigkeitsgrundsatz.[24] Demnach wird implizit die staatliche Gewaltanwendung durch Polizei und Militär im Grundsatz erlaubt.[25] Auch der Staatsgerichtshof rekurriert in seiner Judikatur zu den Grundrechtsschranken auf die Schweizer Lehre und vertritt die Auffassung, dass im Rahmen des Übermassverbotes auch in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechtspositionen eingegriffen werden darf, sofern diese nicht ausnahmsweise als absolut gewährleistet und damit als eingriffsresistent zu qualifizieren sind.[26] Als solcherart absolut gewährleistet wird zwar das Verbot der Todesstrafe in Art. 27ter Abs. 2 LV, nicht aber das Recht auf Leben in Abs. 1 betrachtet.[27]Bei gezielten Tötungen kommt indessen eine Rechtfertigung nur in akuten Notwehr- und Nothilfesituationen und als Ultima Ratio in Betracht, etwa bei der Abwehr eines gefährlichen Angriffs.[28]Indessen sind die Schranken einer solchen Rechtfertigung, da es um den äusserst sensiblen Bereich des individuellen und einzigartigen Rechtes auf Leben geht, sehr eng zu ziehen: Der sogenannte Rettungsschuss, etwa der Abschuss eines entführten Zivilflugzeugs, das von Terroristen als Waffe verwendet werden soll, ist keine hinreichende Rechtfertigung für einen Eingriff in das Recht auf Leben der Insassen.[29] Auch der Umstand, dass eine Person im Inland eine wenn auch schwere Straftat begangen hat, rechtfertigt keine Ausweisung in ein Land, wo dieser Person die Todesstrafe droht, solange der Staat diese Person durch Entziehung ihrer persönlichen Freiheit von der Ausführung weiterer schwerer Straftaten abhalten kann.3. Verpflichtung des StaatesDer subjektive Schutzanspruch gegenüber dem Gesetzgeber auf Erlass von präventiven oder sanktionierenden Bestimmungen, was staatliche Schutzpflichten betrifft, enthält nur einen unbestimmten Auftrag an den Gesetzgeber.[30] Immerhin ergibt sich aus dem Recht auf Leben nach Auffassung des Bundesgerichtes, dass „besonders bei modernen Technologien mit hohem Gefährdungspotenzial (…) das Bedürfnis nach vorsorgenden Schutzmassnahmen des Staates (wächst). Beispielhaft hierfür sind Kernkraftwerke, bei denen das sehr grosse Gefährdungspotenzial anerkannt ist.“[31]Ob die liechtensteinische Legislative allein durch den Erlass des Strafgesetzbuches ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, „to provide a framework of law which generally prohibits the taking of life“[32], kann bezweifelt werden,[33] auch wenn darin nicht etwa nur die aktive Tötung einer Person, sondern auch etwa unterlassene Hilfeleistung, die zum Tod eines Menschen führt, sanktioniert wird.[34] Die Garantenpflicht des Staates im Sinne der nachstehenden Ausführungen ist doch eine weitere.Der EGMR leitet aus Art. 2 EMRK eine Verpflichtung des Staates ab, das Recht auf Leben sowohl vor Eingriffen durch den Staat selbst, aber auch durch Privatpersonen zu schützen.[35] Ein Beispiel ist die Abwehr einer unmittelbar drohenden Katastrophe. Verabsäumt der Staat eine erkennbar erforderliche Gefahrenabwehr, kann dieses Grundrecht im Einzelfall durchaus verletzt sein.[36] Freilich kommt den Staaten dabei ein beträchtlicher Gestaltungsspielraum zu.[37] Ein anderes Beispiel ist häusliche Gewalt, vor welcher die Behörden Schutz zu gewähren haben.[38]Man wird aus dem Recht auf Leben auch einen Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums ableiten können,[39] was der Staatsgerichtshof bereits als ungeschriebenes Grundrecht bezeichnet hat.[40] Damit garantiert Art. 27ter LV auch ein Recht auf eine solche staatliche Alimentation, dass ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird.[41]Von der Frage der Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruches zu unterscheiden ist, ob der Staat verpflichtet wäre, öffentliche Einrichtungen für die Durchführung eines solchen Eingriffs zur Verfügung zu stellen, was jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn der Schwangerschaftsabbruch medizinisch indiziert ist. Der Staat muss nämlich öffentliche und private Krankenhäuser durch entsprechende Vorschriften dazu verpflichten, angemessene Massnahmen zum Schutz des Lebens ihrer Patienten zu treffen.[42] Für den Kleinstaat ergibt sich daraus die Frage, ob er verpflichtet ist, überhaupt öffentliche Krankenhäuser vorzusehen: Diese Frage ist insoweit zu bejahen, als er für eine angemessene Versorgung seiner Bevölkerung in Notfällen Sorge zu tragen hat. Auf eine eigene Einrichtung darf nur dann verzichtet werden, wenn eine zeitnahe, angemessene, gesicherte Versorgung im Ausland gewährleistet ist.Eine andere Frage ist, ob das Recht auf Leben auch eine Garantie auf ein würdevolles Lebensende beinhaltet, was zu verneinen ist: Aus Art. 27ter LV kann auch kein Recht auf Sterbehilfe abgeleitet werden.[43] Ein solches ergibt sich auch nicht aus Art. 2 EMRK.[44] Andererseits ist der Staat aber auch nicht verpflichtet, die Beihilfe zum Selbstmord oder das Töten auf Verlangen zu verbieten.[45] Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist jedoch ein engerer als bei der Fristenlösung.[46] Dabei ist „der aus dem absoluten Tötungsverbot fliessende Schutz gegen ungerechtfertigte Tötungen und gegen sozialen Druck auf Patienten und Ärzte abzuwägen mit dem Wunsch eines Patienten nach Beendigung seines als nicht mehr erträglich und menschenwürdig empfundenen Lebens.“[47]Konform im Hinblick auf das Recht auf Leben erscheint dagegen das Patientenverfügungsgesetz,[48] das eine Disposition eines Menschen über seine medizinische Behandlung zu einem Zeitpunkt ermöglicht, in welcher er dazu noch in der Lage ist.Verneinen können wird man angesichts des grossen Ermessensspielraums des Gesetzgebers eine Verpflichtung des Staates, dafür Sorge zu tragen, dass durch Organentnahmen verstorbener Patienten Erkrankte mit lebenswichtigen Organen versorgt werden können.[49] Solche Regelungen gibt es in Liechtenstein derzeit nicht.B. Persönlicher SchutzbereichAuf das Recht auf Leben kann sich jede natürliche Person, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft und unabhängig davon, aus welchen Gründen sie sich im Geltungsbereich der Rechtsordnung des Fürstentums Liechtensteins aufhält, berufen.[50] Juristische Personen können sich dagegen nicht auf dieses Grundrecht berufen.[51] Eingriffe in ihre rechtliche Existenz sind im Lichte anderer Grundrechte, etwa der Eigentumsgarantie, der Gewerbefreiheit oder des Gleichheitsgrundsatzes, zu messen. Für Künstliche Intelligenz, in welcher Ausprägung auch immer, stellt sich die Frage nach dem Recht auf Leben nicht.[52]C. AusgestaltungDie einfachgesetzliche Ausgestaltung des Rechts auf Leben ist nach dem Gesagten äusserst vielfältig. Sie reicht vom Strafgesetzbuch, in welchem der Gesetzgeber Handlungen, die gegen das Leben eines Menschen gerichtet sind, unter Strafdrohung stellt, hin zu Regelungen, die staatlichen Organen auftragen, besonders auf den Schutz des Lebens zu achten (Waffengebrauchsrecht von Exekutivorganen) hin zu verwaltungsrechtlichen Regelungen, die auf den Schutz von Menschen bei der Ausübung gewerblicher, industrieller oder anderer Tätigkeiten gerichtet sind.III. Verbot der TodesstrafeA. AllgemeinesDie Todesstrafe ist ausser in Art. 27ter Abs. 2 LV auch gemäss Art. 1 6. ZP EMRK in Friedenszeiten[53] sowie gemäss dem 13. ZP EMRK auch in Kriegszeiten[54] verboten.[55] Sie wurde in Liechtenstein verhältnismässig spät abgeschafft, nämlich erst mit dem am 1. Januar 1989 in Kraft getreten neuen StGB.[56] Freilich war zu diesem Zeitpunkt bereits seit etwa 200 Jahren kein Todesurteil mehr in Liechtenstein vollstreckt worden.[57]B. Sachlicher SchutzbereichDas Verbot der Todesstrafe gilt unter allen Umständen.[58] Der Begriff der Todesstrafe ist allein mit der entsprechenden Tötung zum Zweck der Bestrafung verbunden.[59] Dies bedeutet, dass auch eine absichtliche Tötung eines Menschen durch ein staatliches Organ ausserhalb eines solchen Verfahrens (also etwa in den in Art. 2 Abs. 2 EMRK erwähnten Fällen) nicht unter die Garantie des Art. 27ter Abs. 2 LV fällt, wohl aber unter Abs. 1.[60]Darüber hinaus darf kein staatliches Organ in irgendeiner Form an einer Todesstrafe mitwirken, mag diese auch in einem anderen Staat vollstreckt werden. Deshalb verstösst die Auslieferung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat, in welchem für ihn die ernsthafte Gefahr der Todesstrafe besteht, jedenfalls auch gegen Art. 27ter Abs. 2 LV.[61] Darüber hinaus ergibt sich das Verbot auch aus dem 6. ZP EMRK und dem 13. ZP EMRK.[62]C. Persönlicher SchutzbereichEbenso wie beim Recht auf Leben ist jede natürliche Person vom Schutzbereich umfasst.D. AusgestaltungEs gibt keine liechtensteinische Rechtsnorm, die eine Todesstrafe vorsehen würde. Das StGB kennt als schwerste Strafe die lebenslange Freiheitsstrafe.[63] Gemäss Art. 20 RHG[64] ist eine Auslieferung zur Verfolgung wegen einer nach dem Recht des ersuchenden Staates mit Todesstrafe bedrohten strafbaren Handlung nur zulässig, wenn gewährleistet ist, dass die Todesstrafe nicht ausgesprochen wird. Eine Auslieferung zur Vollstreckung der Todesstrafe ist unzulässig. |
1) Jeder Landesangehörige hat das Recht, sich unter Beobachtung der näheren gesetzlichen Bestimmungen an jedem Orte des Staatsgebietes frei niederzulassen und Vermögen jeder Art zu erwerben. |
1) Die staatsbürgerlichen Rechte stehen jedem Landesangehörigen nach den Bestimmungen dieser Verfassung zu.2) In Landesangelegenheiten stehen die politischen Rechte allen Landesangehörigen zu, die das 18. Lebensjahr vollendet, im Lande ordentlichen Wohnsitz haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind. 1) Every Liechtenstein citizen shall be entitled to civil rights in accordance with the provisions of this Constitution.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Historische EntwicklungA. Entwicklung bis 19211. Die staatsbürgerlichen Rechte als Vorläufer der GrundrechteDie Landständische Verfassung von 1818 enthielt keine Bestimmungen, welche die Rechtsposition des Einzelnen gegenüber staatlichen Eingriffen stärkten. Vorläufer von Grundrechten fanden sich erstmals in der bezüglich Formulierung von der Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen inspirierten Konstitutionellen Verfassung unter der Bezeichnung „staatsbürgerliche Rechte“.Der Titel des IV. Hauptstückes der liechtensteinischen Verfassung lautet bis heute wie der zweite Titel der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen vom „Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen“. Eingeleitet wurde dieser zweite Titel der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen durch § 10, gemäss dem „der Aufenthalt innerhalb der Grenzen des Fürstenthums“ zur „Beobachtung der Gesetze desselben“ verpflichtet und „den gesetzlichen Schutz“ begründet. § 11 lautete: „Der Genuss aller staatsbürgerlichen Rechte steht nur den Landesangehörigen zu.“ § 12 regelte den Erwerb des Staatsbürgerrechts durch Geburt und Aufnahme. § 14 statuierte die Rechtsgleichheit.§ 4 KonV war eine wörtliche Kopie des § 10 von Hohenzollern-Sigmaringen. § 5 KonV lehnte sich mit der folgenden Formulierung an § 11 von Hohenzollern-Sigmaringen an: „Die Erlangung aller staatsbürgerlichen Rechte steht jedem Landesangehörigen nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung zu.“ § 6 KonV fuhr fort: „Über Entstehung und Erwerbung, über Verlust und Untergang des Staatsbürgerrechtes und der Landesangehörigkeit bestimmen die Gesetze“ und § 7 schloss den Reigen so wie Hohenzollern-Sigmaringen mit der Rechtsgleichheit.Trotz des Unterschiedes in der Formulierung von § 11 Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen und von § 5 KonV enthielten beide Bestimmungen dieselbe Aussage, nämlich dass die nachfolgend aufgezählten Rechte, welche die Stellung des Individuums gegenüber der Staatsgewalt regelten, nur den Staatsangehörigen[3] zukamen.[4] Um welche Rechte es sich dabei handelte, ergab sich nicht aus § 5 KonV, sondern aus den „Bestimmungen dieser Verfassung“, also konkret aus §§ 7 ff. KonV. Inwiefern den in §§ 7 ff. KonV aufgezählten Rechten die Qualität von Grundrechten zukam, kann offen bleiben. Gemäss Batliner handelte es sich bei ihnen um „Sätze des objektiven Rechts“ und nicht um durchsetzbare „subjektive Rechte des Einzelnen“.[5]2. Die langsame Ausdehnung des Kreises der WahlberechtigtenGemäss der Landständischen Verfassung durften weder der einmal im Jahr tagende Landtag als Gremium noch die ihm angehörenden Geistlichen und Mitglieder der Landmannschaft Anträge stellen oder Vorschläge unterbreiten.[6] Erst mit der Konstitutionellen Verfassung wurde der Landtag zu einem Parlament, das an der Gesetzgebung mitwirkte (§ 40 f. KonV),[7] wenn er auch dann noch nicht „Mitinhaber der Staats- und Regierungsgewalt“ wurde.[8]Die Landständische Verfassung regelte die Vertretung der Geistlichkeit und der Landmannschaft im Landtag. Die Geistlichen wählten ihre Deputierten. Männer mit leitenden Funktionen in den Gemeinden gehörten dem Landtag von Verfassungswegen an. Aus der Landmannschaft stammende Mitglieder, die nicht wegen ihrer Funktion Zugang zum Landtag hatten, hätten ein sehr hohes Vermögen vorweisen müssen.[9] Politische Mitwirkungsrechte der einzelnen Staatsangehörigen fanden sich in der Landständischen Verfassung keine.Gemäss dem Verfassungsentwurf von Peter Kaiser wäre das Zensuswahlrecht nicht vollständig abgeschafft worden; bloss die Hälfte der Sitze wäre Kandidaten ohne Rücksicht auf ihr Steuervermögen offen gestanden (§ 13). Der Verfassungsentwurf des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 (§ 50 und § 62) hingegen knüpfte nicht an Vermögen und Einkommen an.Eine allgemeine Normierung der politischen Rechte fand sich in der Konstitutionellen Verfassung nicht. Wohl aber regelten §§ 57 bis 60 KonV das aktive und passive Wahlrecht. Durch Wahlmänner wurden 12 der 15 Landtagsmitglieder gewählt. Drei Mitglieder ernannte der Landesfürst (§ 55 KonV).[10] Die Möglichkeit, Wahlmänner zu bestimmen und zum Wahlmann gewählt zu werden, stand nur den finanziell gut gestellten Landesangehörigen offen. § 57 KonV setzte das aktive und passive Wahlrecht für die Wahl der Wahlmänner vom dreissigsten auf das 24. Lebensjahr hinunter.[11] § 64 KonV und statuierte eine Wahlpflicht. Für das aktive und passive Wahlrecht mussten die Männer „einen Beruf für sich auf eigene Rechnung betreiben“ (§ 57 KonV). Ausgeschlossen vom Wahlrecht war „das Gesinde“ (also insbesondere alle Knechte) und wer Armenunterstützung bezog (§ 60 lit. a KonV).[12] Erst mit der Verfassung von 1921 wurden diese Einschränkungen aufgehoben. Sozialhilfebezüger und Männer, über die ein Konkursverfahren eröffnet worden war, schloss ab 1921 das Gesetz vom Stimm- und Wahlrecht aus.[13] Bis auch die Frauen das Stimm- und Wahlrecht erhielten, sollte es noch mehrere Jahrzehnte dauern, nämlich für die Landesebene bis 1984.[14]Die Rechte der Wahlberechtigten auf Landesebene[15] erstreckten sich während der Geltung der Konstitutionellen Verfassung lediglich auf die Wahl des Landtages. Abstimmungen über Sachfragen oder sonstige Formen der politischen Mitwirkung gab es nur auf Gemeindeebene,[16] aber auch dort nur für diejenigen Landesangehörigen, die in ihrer Heimatgemeinde wohnten.[17] Erst mit der Verfassung von 1921 wurden auf Landesebene neben der direkten Wahl des Landtages weitere politische Rechte eingeführt.Mit dem Gesetz vom 31. August 1922 betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (LGBl. 1922 Nr. 28) wurden die neu geschaffenen politischen Rechte (Initiative und Referendum) gesetzlich geregelt. Eine Neuregelung der Landtagswahl war erst wenige Jahre vorher im Gesetz vom 21. Januar 1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung (LGBl. 1918 Nr. 4) vorgenommen worden.[18] Es ging im neuen Gesetz betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten auf.B. Der Text der Verfassung von 19211. Die Übernahme der Bestimmung über die staatsbürgerlichen Rechte aus der Konstitutionellen VerfassungDie Verfassung von 1921 blieb dem von der Konstitutionellen Verfassung gewählten Schema treu: Das Hauptstück über die „allgemeinen Rechte und Pflichten der Landesangehörigen“ wurde eröffnet mit der Pflicht zur Beachtung der Gesetze (Art. 28 Abs. 3 LV) und fortgesetzt mit den Bestimmungen über die staatsbürgerlichen Rechte (Art. 29 LV) und den Erwerb der Staatsbürgerschaft (Art. 30 LV). Mit der Formulierung „Die staatsbürgerlichen Rechte stehen jedem Landesangehörigen nach den Bestimmungen dieser Verfassung zu.“, knüpfte Art. 29 LV an § 5 KonV an.[19]Eindeutig ist, dass sich Art. 29 LV (heute Art. 29 Abs. 1 LV) nicht zu den politischen Rechten der Landesbürger äusserte und die politischen Rechte somit nicht Teil der staatsbürgerlichen Rechte waren und sind.[20] Wie in Kapitel A.2 ausgeführt, wurden die politischen Rechte bereits in der Konstitutionellen Verfassung nicht im Hauptstück über die „allgemeinen Rechte und Pflichten der Landesangehörigen“ abgehandelt, sondern weiter hinten (§ 57 ff. KonV). Dabei wurde nicht auf das in § 5 und § 6 KonV erwähnte Staatsbürgerrecht abgestellt. Batliner stellte denn auch klar, dass die staatsbürgerlichen Rechte nicht „politische Rechte, sondern allgemein den Landesangehörigen zustehende Rechte, Staatsangehörigenrechte“ sind.[21]2. Keine allgemeine Bestimmung über die Träger der politischen Rechte Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck sah einen Artikel über die politischen Rechte vor.[22] Warum auf eine solche Bestimmung über die Trägerschaft der politischen Rechte verzichtet wurde,[23] erschliesst sich nicht aus den Materialien.[24] Eine allgemeine Formulierung der politischen Rechte und ihrer Träger war nicht Gegenstand der Schlossabmachungen. Hingegen wurde die Einführung von Referendum und Initiative vereinbart.[25] Zum Verfassungstext wurde die Formulierung aus der Regierungsvorlage Peer.Neu fanden sich in der Verfassung von 1921 nicht nur die Bestimmungen über die Wahl des Landtages, sondern in Art. 46, Art. 48, Art. 64 und Art. 66 LV auch die Regelungen für die Einberufung und Auflösung des Landtages sowie für die Initiative und das Referendum. In Art. 64 und Art. 66 LV wurde bei der Umschreibung der Landesangehörigen, welche diese Rechte ausüben dürfen, mit der Wendung „wahlberechtigte Landesangehörige“ am Wahlrecht angeknüpft. Für die Regelung des Wahlrechts (nicht aber des Stimmrechts) wurde nämlich in Art. 46 Abs. 4 LV auf das Gesetz verwiesen. Dieses wurde am 31. August 1922 erlassen.[26] Sein Art. 1 sah für alle politischen Rechte soweit als möglich gleich lautende Regelungen vor, regelte also auch das Stimmrecht.Während im Ausland tätige Saisonarbeiter ausdrücklich für stimmberechtigt erklärt wurden (Art. 2 Abs. 2), wurden insbesondere „vollständig armengenössige“ Männer (Art. 2 Abs. 3 lit. c) und Männer, über die ein Konkursverfahren eröffnet worden war (Art. 2 Abs. 3 lit. b), vom Wahl- und Stimmrecht ausgeschlossen. In der Landtagssitzung wurde diese aus der Konstitutionellen Verfassung übernommene Regelung (siehe § 60 KonV) nicht diskutiert. Anlass zu Diskussionen gab hingegen die Herabsetzung des Stimmrechtsalters.[27]C. Einführung des Frauenstimm- und WahlrechtsDie authentische Interpretation des Begriffes „Landesangehörige“ als „alle Personen mit liechtensteinischem Landesbürgerrecht ohne Unterschied des Geschlechts“,[28] wurde in der Landtagssitzung vom 17. Dezember 1970 vorgenommen.[29] An ihr wurde die Verfassungsinitiative betreffend die Einführung des Frauenstimmrechts beraten. Die Vorlage zur Landtagssitzung war bezüglich der authentischen Interpretation nicht mit einer Begründung versehen, und im Landtag erfolgte keine Diskussion. Es gab deshalb keine Auseinandersetzung mit den Fragen, in welchen Bereichen sich durch die authentische Interpretation Änderungen ergeben und ob die geschlechtsneutrale Auslegung auch gelten solle für weitere von der Verfassung verwendete Begriffe wie „Betroffene“, „Waffenfähige“ oder „jedermann“. Der Landtag unterstellte in seiner Sitzung vom 17. Dezember 1970 nur die Vorlage über das Stimm- und Wahlrecht der Volksabstimmung.[30] Sie wurde von den Stimmberechtigten am 28. Februar 1971 abgelehnt. Die authentische Interpretation trat nichtsdestotrotz am 19. April 1971 in Kraft. Dass sich eine Auslegungsfrage stellt, wenn die Frauen durch die authentische Interpretation als Landesangehörige gelten, aber das Stimm- und Wahlrecht nicht erhalten, behandelte der Landtag nicht.Bis zur Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts auf Landesebene bedurfte es nach der Volksabstimmung vom 28. Februar 1971 und einer neuerlichen Ablehnung in der Volksabstimmung vom 11. Februar 1973 weiterer Anläufe.[31] Der Einführung auf Landesebene ging 1976 die Ermächtigung der Gemeinden voraus, das Frauenstimm- und Wahlrecht auf kommunaler Ebene einzuführen.[32]1983 wollte die Regierung das Frauenstimm- und -wahlrecht einführen.[33] Sie war der Ansicht, dass der neu zu schaffende Art. 29 Abs. 2 LV die Erwähnung des Frauenstimm- und -wahlrechts im Hauptstück über die Gemeinden obsolet mache.[34] Sie ging davon aus, dass Art. 29 Abs. 2 LV in der von ihr vorgeschlagenen Formulierung[35] sowohl für das Land als auch für die Gemeinden gelten würde. Der Verpflichtung der Gemeinden zur Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts erwuchs jedoch Widerstand,[36] weshalb Art. 29 Abs. 2 LV so formuliert wurde, dass er sich nur auf die Wahlen und Abstimmungen auf Landesebene erstreckt.[37]Von gewissen Kreisen wurde die Tatsache, dass auch Frauen das Stimm- und Wahlrecht erhalten hätten, deren Staatsbürgerschaft auf die Heirat mit einem Liechtensteiner zurückging und die noch nicht mit den Verhältnissen im Land vertraut waren, skeptisch gesehen. Diskutiert wurden deshalb eine „Karenzfrist für die eingeheiratete Frau“.[38] Die Regierung sprach sich für eine entsprechende Änderung der Regelung über das Bürgerrecht aus. Inskünftig sollten Ausländerinnen, die einen Liechtensteiner heiraten, das Bürgerrecht erst nach einer gewissen Zeit verlangen dürfen.[39] Der Landtag revidierte das Bürgerrechtsgesetz entsprechend.[40]II. Art. 29 Abs. 1 LVA. Definition der staatsbürgerlichen RechteEine Definition der staatsbürgerlichen Rechte fand sich weder in der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen noch in der Konstitutionellen Verfassung oder der Verfassung von 1921. Die Frage stellte sich insofern nicht, als § 5 KonV und Art. 29 LV für den Bestand der betreffenden Rechte auf die Verfassung verwiesen. Den Landesangehörigen kamen damit auf jeden Fall nur solche Rechte zu, die in der Verfassung explizit genannt wurden.Wie bereits in Kapitel I.B.1 ausgeführt, sind die staatsbürgerlichen Rechte von den politischen Rechten abzugrenzen. Seit der 1970 vorgenommenen authentischen Auslegung des Begriffs „Landesangehöriger“[41] und der Revision von 1984[42], in welcher Art. 29 LV zu Art. 29 Abs. 1 LV wurde und ihm ein neuer Abs. 2 beigefügt wurde, ist es noch augenfälliger, dass staatsbürgerliche und politische Rechte nicht dasselbe sind. Es zeigte sich jedoch auch schon 1921 in Art. 39 LV, der die staatsbürgerlichen und politischen Rechte nebeneinander nannte.Wie Kapitel I.A.1 ausführt, handelt es sich bei den staatsbürgerlichen Rechten um Vorläufer der Grundrechte.[43] Dies belegen nicht zuletzt auch die von Willoweit unter dem Titel „Staatsbürgerrechte“ aufgezählten Beispiele.[44] Willoweit bezeichnet die in die Verfassungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgenommenen staatsbürgerlichen Rechte als „frühkonstitutionelle Grundrechte“.[45] Kley[46] spricht von Grundrechten. Mit der Bezeichnung als Grundrechte ist klargestellt, dass die staatsbürgerlichen Rechte respektive das Staatsbürgerrecht nicht dasselbe sind wie die als Landesangehörigkeit bezeichnete Staatsangehörigkeit und die allein aus der Staatsangehörigkeit fliessenden Rechte.[47]Indem die Verfassung 1921 die Titelüberschrift übernahm und die Formulierung von Art. 29 LV gegenüber § 5 KonV nur geringfügig modifizierte, verblieb sie – wie es Batliner ausdrückt[48] – in der „frühkonstitutionellen Sprache“. Die Änderungen in der Konzeption der Grundrechte sind 1921 nicht aus Art. 29 LV ersichtlich, sondern zeigen sich vor allem in der Schaffung des Staatsgerichtshofes. Batliner streicht in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Art. 104 Abs. 1 LV hervor, mit dem die verfassungsmässigen Rechte 1921 zu subjektiven, gerichtlich durchsetzbaren Rechten wurden.[49]Die Verfassung verzichtet auch in der geltenden Fassung auf den Begriff „Grundrecht“. Dies bedeutet jedoch nicht, dass den in der Verfassung (vornehmlich, aber nicht nur im IV. Hauptstück) garantierten Rechten keine Grundrechtsqualität zukommt. Ebenso wenig verhinderte die in Art. 29 Abs. 1 LV vorgenommene Betonung der Verankerung der Rechte in der Verfassung („nach den Bestimmungen dieser Verfassung“) die Anerkennung von ungeschriebenen Grundrechten.[50] Die nicht zuletzt auch durch völkerrechtliche Garantien beeinflusste Entwicklung ist jedoch nicht in der Kommentierung zu Art. 29 LV nachzuzeichnen, sondern bei den jeweiligen Grundrechten.B. Beschränkung der Trägerschaft auf die Landesangehörigen1921 musste Art. 29 LV (heute Art. 29 Abs. 1 LV) zusammen mit Art. 31 Abs. 2 LV (heute Art. 31 Abs. 3 LV) gelesen werden: Die Landesangehörigen durften sich auf alle Grundrechte berufen, während sich der Umfang der den Ausländern zukommenden Rechte nach den Staatsverträgen und subsidiär nach dem Gegenrecht bestimmten.Dem ist heute nicht mehr so. Die Rechtsstellung der Ausländer ergibt sich nicht mehr in erster Linie aus den mit ihrem Heimatstaat geschlossenen Staatsverträgen, sondern aus völkerrechtlichen Konventionen, die im Schosse der UNO oder des Europarates ausgearbeitet werden, aus den einschlägigen europarechtlichen Bestimmungen und dem Ausländerrecht[51]. Überdies haben Lehre und Rechtsprechung die Trägerschaft für immer mehr Grundrechte auch auf Ausländer ausgedehnt. Es muss deshalb eine grundrechtsspezifische Differenzierung vorgenommen werden.[52] Lehre und Rechtsprechung[53] sind hierbei zum Schluss gekommen, dass die allermeisten Grundrechte – eine Ausnahme stellt die Niederlassungs- und Vermögenserwerbsfreiheit dar[54] – auch für Ausländer gelten.[55] Art. 31 Abs. 3 LV regelt nur noch die seltenen Fälle, in denen ein in einer völkerrechtlichen Konvention verankertes Grundrecht Ausländern nicht zusteht oder Lehre und Rechtsprechung Ausländer von einem in der Verfassung verankerten oder einem durch ungeschriebenes Recht gewährleisteten Grundrecht ausschliessen. Welche Grundrechte auch Ausländern zukommen, ergibt sich demnach nicht aus Art. 31 Abs. 3 LV sondern zeigt die Auslegung der einzelnen Grundrechte. Von daher macht die in Art. 29 Abs. 1 LV für die Trägerschaft der Grundrechte vorgenommene Unterscheidung zwischen Landesangehörigen und Ausländern keinen Sinn mehr. Es ist deshalb nicht ersichtlich, welche Bedeutung Art. 29 Abs. 1 LV heute noch zukommen könnte.C. Aus der Staatsbürgerschaft fliessende Pflichten?Im Titel des IV. Hauptstückes findet sich ein Hinweis auf die Pflichten der Landesangehörigen. Art. 39 LV enthält eine Präzisierung zur Ausübung der staatsbürgerlichen Pflichten. Er kann nicht als Grundlage für nicht genannte staatsbürgerliche Pflichten herhalten.[56] Aus Art. 39 LV ergibt sich nämlich einzig das Verhältnis von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten zur Religionszugehörigkeit. Wenn für die staatsbürgerlichen Rechte gemäss Art. 29 Abs. 1 LV eine Grundlage in der Verfassung notwendig ist, so braucht es umso mehr auch für die staatsbürgerlichen Pflichten eine gesetzliche Grundlage.[57]Wanger nennt als staatsbürgerliche Pflichten die Wehrpflicht. Weiter bezeichnet er „die Treuepflicht bzw. die Beobachtung der Gesetze innerhalb des Staatsgebietes“ als den Landesbürgern auferlegte Pflichten.[58] Die Pflicht, die Gesetze zu beachten, trifft jedoch gemäss Art. 28 Abs. 3 LV alle Personen, die sich in Liechtenstein aufhalten. Für eine Treuepflicht im Sinne einer Anhänglichkeit an das Land und seine Institutionen respektive als Verpflichtung, im In- und Ausland auf ein positives Bild der Heimat hinzuwirken, findet sich in der Verfassung kein Anknüpfungspunkt.[59] Nur die Magistratspersonen haben dem Landesfürsten Treue zu schwören und die Beachtung der Verfassung und der Gesetze zu versprechen (Art. 108 LV). § 14 BüG[60] sieht für die frisch eingebürgerten Erwachsenen den Landesbürgereid vor.[61] Aus ihm kann jedoch nicht auf eine umfassende Treuepflicht für alle Landesbürger geschlossen werden.StGH 2012/130 Erw. 3.2.4 bezeichnet die Teilnahme am schulischen Schwimmunterricht als staatsbürgerliche Pflicht. Art. 16 Abs. 2 LV statuiert die allgemeine Schulpflicht. Wanger nennt auch die in Art. 3 VRG verankerte Stimmpflicht als staatsbürgerliche Pflicht.[62] Weil die staatsbürgerlichen und die politischen Rechte klar zu unterscheiden sind, müssen Stimmpflicht und Amtszwang im Zusammenhang mit den politischen Rechten einer klaren Regelung zugeführt werden.[63]Wie diese Ausführungen zeigen, finden sich in der Verfassung Pflichten, wobei sich die einen nur auf die Landesangehörigen erstrecken, während andere jedermann treffen. Es ergibt sich kein kohärentes Bild von Pflichten, die als staatsbürgerlich bezeichnet werden könnten. Zu diesem Schluss kam bereits Frick, der in der Erwähnung der staatsbürgerlichen Pflichten eine Relativierung der Grundrechte vermutete.[64] Batliner liess die Frage, was der Verfassungsgeber mit der Überschrift des IV. Hauptstückes gemeint haben könnte, offen.[65]III. Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundsätze für das Stimm- und Wahlrecht1983 führte die Regierung aus,[66] mit dem neu geschaffenen Art. 29 Abs. 2 LV würden „die politischen Rechte als Grundrechte in die Verfassung aufgenommen“. Dem wurde nicht widersprochen.[67]A. Allgemeines und gleiches Stimm- und WahlrechtArt. 25 UNO-Pakt II[68] sieht die freie Wahl von Volksvertretern vor und verlangt „echte, wiederkehrende, allgemeine, gleiche und geheime Wahlen, bei denen die freie Äusserung des Wählerwillens gewährleistet ist“.[69] Art. 3 1. ZP EMRK[70] verlangt „freie und geheime Wahlen“.Art. 46 Abs. 1 LV sieht für die Wahl des Landtages neben der Verhältniswahl das „allgemeine, gleiche, geheime und direkte Stimmrecht“ vor. Art. 29 Abs. 2 LV setzt die Pflicht zu allgemeinen und gleichen Wahlen in allgemeineren, sich auch auf die Abstimmungen über Landesangelegenheiten beziehenden Vorgaben um, indem er sämtliche im Land wohnhaften Liechtensteiner Landesangehörigen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr für wahl- und stimmberechtigt erklärt, sofern sie nicht im Wahl- oder Stimmrecht eingestellt sind.Mit der Verfassung von 1921 wurden die Wahlmänner und das Zensuswahlrecht abgeschafft. Wie in Kapitel I.A.2 ausgeführt, wurde der Ausschluss der Sozialhilfebezüger beibehalten. Eine solche Einschränkung widerspricht nach heutigem Verständnis dem Völkerrecht. Lehre und Rechtsprechung halten es wegen des in Art. 3 1. ZP EMRK verankerten Rechts auf freie Wahlen für unzulässig, in Konkurs gefallene Personen automatisch vom Wahlrecht auszuschliessen.[71] Dasselbe gilt für Personen, die wegen finanzieller Probleme unterstützt werden müssen.[72] Die in Art. 29 Abs. 2 LV sehr breit gefasste Formulierung „nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt“, bietet heute keine genügende Grundlage mehr dafür, Personen wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse von den politischen Rechten auszuschliessen. Eine solche Ungleichbehandlung verstiesse gegen das Grundanliegen des in Art. 29 Abs. 2 LV verankerten allgemeinen und gleichen Stimm- und Wahlrechts und gegen das in Art. 31 LV statuierte Gebot der Rechtsgleichheit. Ein finanzieller Misserfolg oder die Unfähigkeit, in wirtschaftlicher Hinsicht auf den eigenen Beinen zu stehen, sind kein Beleg dafür, dass es der betreffenden Person an der Fähigkeit mangelt, Abstimmungsvorlagen zu verstehen oder den Gehalt von Wahlprogrammen zu beurteilen. Ebenso bedeuten wirtschaftliche Probleme nicht zwingend, dass die Betroffenen nicht verantwortungsbewusst mit Steuergeldern umgehen. In diesem Punkt ist Art. 29 Abs. 2 LV heute also anders auszulegen als 1921.Keine Verletzung des allgemeinen und gleichen Stimm- und Wahlrechts liegt hingegen vor, wenn eine Person wegen stark eingeschränkter intellektueller Fähigkeiten oder psychischer Beeinträchtigungen, die sich auf die Fähigkeit zur eigenständigen Teilnahme an der Meinungs- und Willensbildung auswirken, vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen wird. Aber auch diese Ausschlussgründe sind – wie in Kapitel V.D gezeigt wird – restriktiv auszulegen.B. Regelmässige und geheime Wahlen sowie geheime AbstimmungenArt. 25 UNO-Pakt II und Art. 3 1. ZP EMRK erstrecken sich nicht auf Sachabstimmungen.[73] Wohl aber entfalten sie Wirkungen für die Umsetzung der in Art. 29 Abs. 2 LV geregelten Wahlberechtigung für die Wahlen auf Landesebene. Sie verlangen neben geheimen Wahlen[74] auch regelmässige („in angemessenen Zeitabständen“) respektive wiederkehrende Wahlen. Indem Art. 46 Abs. 1 LV für die Landtagswahlen das geheime Stimmrecht vorsieht, Art. 47 Abs. 1 LV für den Landtag eine Mandatsdauer von vier Jahren schafft und Art. 50 LV für den Fall der Auflösung des Landtages binnen sechs Wochen die Anordnung einer neuen Landtagswahl verlangt, kommt Liechtenstein seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach. Weder die Verfassung noch das Völkerrecht verpflichten zu geheimen Wahlen und zu Abstimmungen auf Gemeindeebene.[75]C. Stimm- und WahlpflichtArt. 29 Abs. 2 LV bezeichnet die zur Ausübung des Wahl- und Stimmrechts auf Landesebene Berechtigten, verpflichtet sie jedoch nicht zur Teilnahme an den Wahlen und Abstimmungen. In dieser Hinsicht sind Art. 29 Abs. 2 LV und Art. 111 LV identisch.Obwohl Art. 29 Abs. 2 LV lediglich von einer Berechtigung spricht, schliesst er eine Pflicht der Wahl- und Stimmberechtigten, ihre Stimme bei den Wahlen zum Landtag und bei den der Abstimmung unterworfenen Vorlagen abzugeben, nicht aus.[76] Bei der Statuierung der politischen Rechte handelt es sich nämlich nicht nur um die Gewährleistung eines subjektiven Rechts, sondern auch um die Statuierung eines staatlichen Organes,[77] für dessen ordnungsgemässes Funktionieren das Gesetz sorgen darf.[78]Art. 3 VRG sagt: „Die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen ist Bürgerpflicht.“[79] Die Regierung wollte 2004 bei der Revision von Art. 3, 4 und 90 Abs. 2 VRG die „Wahl- und Abstimmungsverpflichtung auch in Zukunft aufrechterhalten“.[80] Sie strich die Pflicht, Entschuldigungsgründe vorzubringen, und die Grundlagen für das Verhängen von Bussen, nicht zuletzt um Gesetz und Praxis in Einklang zu bringen.[81] Der Landtag folgte der Regierung ohne Diskussion.[82] Daraus ist zu schliessen, dass Regierung und Landtag 2004 vor der Tatsache kapitulierten, dass seit längerer Zeit nicht alle Wahl- und Stimmberechtigten an den Urnengängen teilnahmen, ohne dass dies sanktioniert wurde. Mit der Revision des VRG brachten Regierung und Landtag zum Ausdruck, dass es sich bei der Ausübung des Wahl- und Stimmrechts nur noch um eine moralische Pflicht handelt. Rechtliche Pflichten bedürfen nämlich einer genauen Umschreibung und sollten mit Sanktionen bewehrt werden. Es steht dem Gesetzgeber jedoch frei, wieder eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Stimm- und Wahlpflicht einzuführen. Eine solche dürfte allerdings niemanden daran hindern, leer oder ungültig einzulegen.Die Pflicht, die Wahl in den Landtag oder in die Regierung anzunehmen, findet sich weder in der Verfassung noch im Gesetz.[83] Wohl aber müssen die für den Landtag Kandidierenden gemäss Art. 43 Abs. 1 VRG eine Annahme-Erklärung unterzeichnen und sind die Gewählten gemäss Art. 22 GOLT zur Sitzungsteilnahme verpflichtet. Angesichts der fehlenden Tradition eines Amtszwanges auf Landesebene und der Ungewissheit, ob eine zur Übernahme eines Amtes gezwungene Person ihren Pflichten mit der nötigen Sorgfalt nachkommen würde, steht die Einführung der Wahl von Personen, die nicht offiziell kandidieren, nicht zur Diskussion. Wie bezüglich des Amtszwanges für kommunale Behörden ausgeführt,[84] lässt die Verfassung die Einführung einer entsprechenden Pflicht grundsätzlich zu.[85] Angesichts der zeitlichen Belastung durch ein Mandat (in der Regierung oder im Landtag) und der grossen Verantwortung und persönlichen Belastung, die mit seiner korrekten Ausübung einhergeht, ist jedoch kaum denkbar, dass die Pflicht so ausgestaltet werden könnte, dass sie nicht zu massiv in die persönliche Freiheit und die Berufsfreiheit eingreifen würde.D. Verpflichtung auf die direkte DemokratieArt. 29 Abs. 2 LV gibt dem einzelnen Stimmberechtigten den Anspruch, sein Wahl- und Stimmrecht in Landesangelegenheiten auszuüben. Aus Art. 29 Abs. 2 LV ergibt sich jedoch nicht, über welche Gegenstände eine Volksabstimmung durchgeführt werden muss und in welchem Verfahren Referenden und Initiativen durchzuführen sind. Dies regeln die einschlägigen Verfassungsbestimmungen im V. Hauptstück und das Gesetz. Sie können jederzeit abgeändert werden. Art. 29 Abs. 2 LV garantiert nicht einen bestimmten Bestand direktdemokratischer Mitwirkungsrechte in Sachfragen. Ebenso wenig tun dies Art. 25 UNO-Pakt II und Art. 3 1. ZP EMRK. Wie Kälin/Künzli aufzeigen, legen sich internationale Menschenrechtsgarantien „weder auf ein universell geltendes Demokratieverständnis fest, noch schreiben sie ein spezifisches Wahlsystem vor“.[86] Konkreter ist die Rechtsprechung des EGMR. Für ihn ist eine „pluralistische, demokratische Regierungsform“ unerlässlich.[87] Eine solche lässt sich jedoch auch in einem rein repräsentativen System verwirklichen. Dennoch wäre es angesichts der Bemühungen von Europarat und OSZE für den Einbezug der Zivilgesellschaft in die Willensbildung nur schwer zu erklären, wenn Liechtenstein demokratische Rechte drastisch einschränken würde. Überdies stünde es im Widerspruch zum Wortlaut von Art. 29 Abs. 2 LV und mehreren weiteren Verfassungsbestimmungen, die ausdrücklich von Wahl- und Stimmrecht sprechen.IV. Definition der politischen Rechte und der LandesangelegenheitenA. Die LandesangelegenheitenArt. 29 Abs. 2 LV wurde bei der Einführung des Frauenstimmrechts[88] eingefügt. Erst seit damals findet sich der Begriff der Landesangelegenheiten im Zusammenhang mit den politischen Rechten in der Verfassung. Er fand sich jedoch bereits im Gesetz vom 31. August 1922 betreffend die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten[89].Wie bei Art. 111 LV ausgeführt,[90] stellen nur das Recht zur Teilnahme an der Wahl von Gemeinderat, Gemeindevorsteher und Geschäftsprüfungskommission sowie die Rechte der Gemeindeversammlung politische Rechte in Gemeindeangelegenheiten dar. Alle anderen Rechte im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen sind politische Rechte in Landesangelegenheiten. Durch ihre Ausübung erfolgt die Willensbildung auf Ebene Land.B. Definition der politischen RechteDie Verfassung räumt den Wahl- und Stimmberechtigten „unmittelbare Mitwirkungsbefugnisse an der demokratischen Willensbildung“ sowie am „staatlichen Entscheidungsprozess“ ein[91] und zählt die einzelnen Rechte auf.[92] Politische Rechte sind deshalb nur diejenigen Rechte der Wahl- und Stimmberechtigten, die in der Verfassung explizit vorgesehen sind[93] und unmittelbar einen Entscheid über eine Sachvorlage oder die Mitglieder eines politischen Organs herbeiführen. Weil Petitionen den Empfängern keine verpflichtenden Aufgaben übertragen, gehören sie nicht zu den politischen Rechten.[94]Neben der aktiven und passiven Teilnahme an der Landtagswahl (Art. 46 LV) und dem unter besonderen Voraussetzungen erfolgenden Einbezug in die Richterwahlen (Art. 96 Abs. 2 LV[95]) sind die Möglichkeit, Referenden (Art. 66 LV, Art. 66bis LV) und Initiativen (Art. 64 LV, Art. 13ter LV,[96] Art. 113 LV) zu ergreifen, politische Rechte. Zudem sieht die Verfassung die Einberufung des Landtages durch 1000 Stimmberechtigte oder drei Gemeinden vor (Art. 48 Abs. 2 LV) und die Auflösung des Landtages auf Begehren von 1500 Stimmberechtigten oder vier Gemeinden (Art. 48 Abs. 3 LV). Sie ergänzt damit das Wahlrecht um ein Recht der Stimmberechtigten, bei dem es sich weder um eine Wahl handelt noch um den Entscheid über eine Sachfrage. Elemente einer Versammlungsdemokratie (wie auf Gemeindeebene mit der Gemeindeversammlung[97]) gibt es für die Ebene Land nicht.Die Verfassung gibt dem Landtag die Möglichkeit, eine konsultative[98] Volksabstimmung durchzuführen über einzelne Grundsätze, die später in ein Gesetz aufgenommen werden sollen, aber – mangels verbindlicher Wirkung der Abstimmung – nicht müssen (sog. Volksbefragung, Art. 66 Abs. 3 LV). Indem die Verfassung eine solche Grundsatzabstimmung vorsieht, bringt sie zum Ausdruck, dass Grundsatz- und Variantenabstimmungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind. Entsprechende Revisionen wären deshalb nicht im Widerspruch zur Verfassung.Werden die politischen Rechte als Rechte auf Mitwirkung und Teilnahme an der politischen Willensbildung definiert,[99] so gelten auch nur für die ausdrücklich in der Verfassung genannten Rechte die von Art. 29 Abs. 2 LV aufgezählten Vorgaben bezüglich Staatsangehörigkeit, Alter und nicht erfolgter Einstellung. Zu nicht in der Verfassung vorgesehenen Formen der Information und Meinungskundgabe dürfen auch Ausländer[100], Jugendliche oder Auslandliechtensteiner[101] beigezogen werden.C. Andere Formen der Meinungskundgabe und EinflussnahmeSoweit ersichtlich, haben Lehre und Rechtsprechung die Frage, ob Konsultativabstimmungen, Meinungsumfragen und weiteren Formen zulässig sind, bis heute nicht beantwortet. Am 4. Juli 1968 wurde unter den Männern und den damals noch nicht stimmberechtigten Frauen eine Konsultativabstimmung über die Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts durchgeführt.[102]Art. 25 UNO-Pakt II schliesst direkte Partizipation, die sich einer anderen Form bedient als Wahlen und Abstimmungen, nicht aus.[103] Wo sie erfolgt, muss sie gemäss Völkerrecht diskriminierungsfrei ausgestaltet sein.[104] Sie darf nicht unangemessen wieder eingeschränkt werden.[105] Unproblematisch ist es im Allgemeinen – zumindest nach einem Teil der Schweizer Lehre – auf Gemeindeebene, wenn alle Stimm- und Wahlberechtigten (aber nur diese) zur Partizipation in neuen, im Gesetz nicht explizit vorgesehenen Formen aufgefordert werden[106] und wenn diese nicht einen definitiven Entscheid herbeiführen,[107] sondern lediglich einen Entscheid von Gemeinderat oder Gemeindeversammlung vorbereiten. Eine gesetzliche Grundlage würde es brauchen, wenn nur einzelne Stimm- und Wahlberechtigte (z.B. die Einwohner eines Ortsteils oder Personen im Rentenalter) einbezogen würden und/oder der Entscheid eine verbindliche Wirkung oder faktisch die gleiche Wirkung wie ein verbindlicher Urnengang entfalten könnte.[108] Unproblematisch sind hingegen Umfragen, an denen alle Einwohner teilnehmen können,[109] bei denen nicht nach einem „ja“ oder „nein“ zu einem fertig ausgearbeiteten Projekt gefragt wird, sondern die Teilnehmenden mehrere Varianten gegeneinander abwägen und eigene Vorschläge einbringen können. Auf Landesebene muss etwas anderes gelten: Art. 66 Abs. 3 LV ermöglicht es dem Landtag, den Stimmberechtigten Grundsätze vorzulegen, bevor er einen Gesetzesentwurf ausarbeitet. Im Gesetzgebungsverfahren gelangt überdies immer das bezüglich Adressaten offen gehaltene Vernehmlassungsverfahren zur Anwendung. Es bleibt deshalb kein Raum, den Stimmberechtigten eine Konsultativabstimmung vorzulegen[110] oder ihnen andere Mitwirkungsrechte, die einen Entscheid herbeiführen oder faktisch vorwegnehmen, zu gewähren oder entsprechende Rechte im Gesetz vorzusehen. Anders wäre es dann, wenn nicht die Stimmberechtigten zur Meinungsäusserung aufgerufen würden, sondern Personen, die eben gerade nicht stimmberechtigt sind, oder wenn explizit jedermann zur Meinungsäusserung eingeladen würde und wenn sich zusätzlich aus der eingesetzten Form (z.B. Fragebogen mit Platz für eigene Vorschläge,[111] elektronische Hilfsmittel oder Zuhilfenahme von Zeitungen oder Radio)[112] allen Beteiligten klar ist, dass das Resultat der Umfrage den Entscheid des politischen Gremiums nicht vorwegnehmen kann.[113] So von einem grösseren Personenkreis Anregungen zu sammeln und Rückmeldungen zu Ideen und Entwürfen einzuholen, widerspricht dem von der Verfassung vorgegebenen System nicht.Wünschen Regierung oder Verwaltung von bestimmten Bevölkerungskreisen Rückmeldungen zur aktuellen Situation oder zu noch nicht befriedigten Bedürfnissen, so ist ein gezieltes Ansprechen mit besonderen Formen des gegenseitigen Meinungsaustausches (wie z.B. Workshops) zulässig. Durch einen solchen Austausch erfolgt keine unmittelbare Einflussnahme auf die politische Willensbildung, sondern eine Sensibilisierung. Die Konkretisierung und Umsetzung der Ergebnisse hat daraufhin im üblichen Willensbildungsprozess zu erfolgen.V. Die von Art. 29 Abs. 2 LV genannten VoraussetzungenA. StaatsangehörigkeitGemäss Art. 29 Abs. 2 LV stehen die politischen Rechte auf Ebene Land nur den Landesangehörigen zu. Sollen Ausländer auf Landesebene politische Rechte ausüben, erfordert dies eine Revision von Art. 29 Abs. 2 LV.Der Europarat begrüsst politische Rechte von ausländischen Staatsangehörigen,[114] insbesondere auf lokaler Ebene.[115] Die EU (siehe Art. 22 Abs. 1 AEUV)[116] sowie RL 94/80 EG[117]) sieht für alle Unionsbürger das aktive und passive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen an ihrem Wohnsitz vor. Internationales Recht steht demnach der Einführung des Ausländerstimm- und -wahlrechts nicht entgegen.[118]In den letzten Jahren wurde in Liechtenstein mehrmals über die Einführung des Ausländerstimm- und -wahlrechts diskutiert, ohne dass eine Vorlage ausformuliert worden wäre.[119] Am eingehendsten befasste sich die „Interpellationsbeantwortung betreffend die Einführung des Stimm- und Wahlrechts auf Gemeindeebene für niedergelassene AusländerInnen und AuslandsliechtensteinerInnen“[120] mit den fehlenden politischen Rechten der Ausländer. Die Regierung erklärte das Fehlen des Ausländerstimm- und -wahlrechts nicht zuletzt mit dem hohen Ausländeranteil[121] und sprach sich für eine breite politische Diskussion aus. Wenn im Zusammenhang mit der Gewährung der politischen Rechte an Auslandliechtensteiner betont wird, dass es um ein Gleichgewicht von Rechten und Pflichten gehe und für die Mitwirkung an der Betroffenheit angeknüpft werden müsse,[122] so spricht dies für politische Rechte der im Land wohnhaften Ausländer. Sie sind von den Ergebnissen der Wahlen und Abstimmungen betroffen und zahlen in Liechtenstein Steuern.B. Stimmrechtsalter 181969 war das Stimm- und Wahlrechtsalter von 21 auf 20 Jahre herabgesetzt worden.[123] 2000 wurde es auf 18 Jahre gesenkt.[124] Begründet wurde die Senkung mit der Angleichung an die „herrschende rechtliche Situation in Europa“ und der „grösseren Selbständigkeit und Reife“ der Jugendlichen.[125] Das Stimm- und Wahlrechtsalter wurde sowohl in Landesangelegenheiten als auch in Gemeindeangelegenheiten auf das vollendete 18. Lebensjahr gesetzt. Die Revision durch LGBl. 2000 Nr. 55 führte dazu, dass das Stimmrechtsalter und die Gleichstellung von Frau und Mann in Sachen politische Rechte für das Land und die Gemeinden abschliessend durch die Verfassung geregelt werden.C. Politischer Wohnsitz in LiechtensteinArt. 29 Abs. 2 LV stellt auf den „ordentlichen Wohnsitz“ im Land ab. Er wird in Art. 1 Abs. 1 VRG durch den Verweis auf Art. 32 ff. PGR[126] definiert. Ein Verweis auf privatrechtliche Normen ist nicht zu beanstanden. Wesentlich ist lediglich, dass er eindeutig ermittelt werden kann. Indem nicht für jeden Sachbereich eine eigene Definition des Wohnsitzes gewählt wird, sondern für die Ausübung der politischen Rechte derselbe Wohnsitzbegriff gilt wie im Zivilrecht,[127] wird vermieden, dass eine Person in Gemeindeangelegenheiten in mehr als einer Gemeinde zur Urne geht und in Landesangelegenheiten, Stimm- und Wahlzettel in verschiedene Urnen legt.VBI 2002/96 Erw. 30 hält fest, dass der Landesfürst im Stimmregister von Vaduz eingetragen ist. Ob es dem Sinn und Geist der Verfassung entspricht, wenn er zugleich die politischen Rechte des „einfachen“ Landesbürgers ausübt (es ging in VBI 2002/96 um die von Fürst und Erbprinz bei der Regierung angemeldete Initiative zur Revision der Verfassung), liess die Verwaltungsbeschwerdeinstanz offen. Sie bestätigte, dass dem Erbprinzen sämtliche politischen Rechte uneingeschränkt zukommen.Das Anknüpfen an den zivilrechtlichen Wohnsitz schliesst nicht aus, dass ein Liechtensteiner mit Wohnsitz im Inland an ausländischen Wahlen und Abstimmungen teilnimmt oder ein Auslandliechtensteiner an seinem Wohnsitz oder in einem dritten Staat politische Rechte ausübt. Aus Art. 3 1. ZP EMRK können Staatsbürger mit Wohnsitz im Ausland keinen Anspruch ableiten, an Wahlen in ihrem Heimatland teilzunehmen.[128] Der Europarat begrüsst jedoch politische Rechte von im Ausland wohnhaften Staatsangehörigen.[129] Dennoch gibt es keine völkerrechtlichen Bestimmungen, auf welche sich die im Ausland wohnhaften Bürger stützen könnten.[130]Da kein völkerrechtlicher Anspruch von vorübergehend oder dauerhaft im Ausland wohnhaften Staatsangehörigen besteht, in der Heimat politische Rechte auszuüben, ist es zulässig, nur denjenigen Staatsangehörigen das Wahl- und Stimmrecht zu erteilen, die während einer bestimmten Zeit im Land gewohnt hatten, die Gewährung der Rechte auf eine bestimmte Anzahl Jahre nach der Auswanderung zu befristen[131] oder an Bedingungen zu knüpfen, sie z.B. nur solange zu gewähren, wie die Betroffenen durch eine Arbeitsstelle in der Heimat,[132] die Entsendung durch ein liechtensteinisches Unternehmen oder ein anderes Engagement mit der Heimat verbunden sind.[133] Ebenso stünde einer Sprachprüfung oder dem Nachweis genügender Kenntnisse über die Heimat nichts entgegen.Schon mehrfach hatten Liechtensteiner-Vereine die Einführung der politischen Rechte für Auslandliechtensteiner beantragt.[134] In Liechtenstein selber wurde die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Auslandliechtensteiner ebenfalls mehrfach angeregt,[135] zuletzt in der Motion vom 28. Mai 2015 „Einführung des Stimm- und aktiven Wahlrechts Liechtensteiner Staatsangehöriger im Ausland“,[136] die vom Landtag am 2. September 2015 angenommen wurde.[137] Wie viele Liechtensteiner im Ausland wohnhaft sind, ist nicht bekannt.[138] Noch weniger ist bekannt, wie viele von den politischen Rechten Gebrauch machen würden.[139] Hingegen ist bekannt, wie viele Liechtensteiner jedes Jahr das Land verlassen.[140]Die Regierung schlägt in BuA Nr. 110/2015 für das aktive[141] Wahl- und Stimmrecht auf Landesebene ein Modell vor, das an der sog. potentiellen Betroffenheit anknüpft. Diese nimmt Bezug auf die Rückkehrwahrscheinlichkeit, wobei eine Typisierung vorgenommen wird.[142] Folglich sollen gemäss dem Vorschlag der Regierung nur solche Auslandliechtensteiner stimm- und wahlberechtigt sein, die während mindestens fünf Jahren ihren Wohnsitz in Liechtenstein hatten. Das Auslandstimmrecht würde nach zehn Jahren Landesabwesenheit erlöschen. Eine einmalige Verlängerung um fünf Jahre wäre möglich.Die Gewährung politischer Rechte auf Landesebene an im Ausland wohnhafte Liechtensteiner bedingt eine Revision von Art. 29 Abs. 2 LV. Insofern kann nicht davon gesprochen werden, dass die Revision verfassungsmässig sein muss.[143] Sie sollte jedoch wie jede Verfassungsänderung die Grundprinzipien der geltenden Verfassung achten. Insofern ist es korrekt, wenn ausgeführt wird, dass die Vorlage die Rechtsgleichheit und das Willkürverbot beachten muss.[144] Das Stimm- und Wahlrecht nur Staatsangehörigen zu erteilen, die eine bestimmte Anzahl Jahre in Liechtenstein verbracht haben und das Auslandstimmrecht zeitlich zu limitieren, dient dem Ziel, die Mitsprache auf Personen zu beschränken, die mit den Verhältnissen im Land vertraut sind und eine gewisse Bindung zu ihm aufweisen oder zumindest aufgewiesen haben. Ob sie nach Liechtenstein zurückkehren und dann von den Folgen der Entscheide unmittelbar betroffen sein werden, hängt allerdings nicht davon ab, ob und wann und wie lange sie im Land gewohnt hatten. Mit Blick auf die Vertrautheit erscheinen die vorgesehenen Kriterien jedoch sachgerecht. Sie sind nicht willkürlich.D. Keine Einstellung im Stimm- und WahlrechtWeil sowohl Art. 111 LV als auch Art. 29 Abs. 2 LV das Stimmrecht mit dem vollendeten 18. Lebensjahr beginnen lassen, am Wohnsitz in einer liechtensteinischen Gemeinde anknüpfen und verlangen, dass keine Einstellung im Stimm- und Wahlrecht erfolgt ist, ist jede Person, die in einer Gemeinde stimm- und wahlberechtigt ist, auch in Landesangelegenheiten stimm- und wahlberechtigt und umgekehrt.Das Stimm- und Wahlrecht auf Landesebene und das Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene müssen gleichzeitig entzogen werden. Ist eine Person von einer intellektuellen Beeinträchtigung oder schweren psychischen Erkrankung betroffen und deshalb nicht in der Lage, ihr Stimm- und Wahlrecht unabhängig und selbständig auszuüben, so ist sie in der Meinungs- und Willensbildung in Landes- und Gemeindeangelegenheiten eingeschränkt. Die auf Gemeindeebene zur Abstimmung kommenden Sachverhalte und die Wahlen in Gemeindeorgane sind genauso anspruchsvoll wie die Vorlagen auf Landesebene.Das Völkerrecht steht einem Entzug der politischen Rechte wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder dem Wegfall der Handlungsfähigkeit, die aus einem solchen Grund erfolgt, nicht grundsätzlich entgegen,[145] obwohl das von Liechtenstein nicht ratifizierte[146] UN-Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK)[147] die Vertragsstaaten in Art. 29 BRK dazu verpflichtet sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen „gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können.“[148] Der EGMR verlangt eine Abklärung, ob die intellektuelle Beeinträchtigung oder psychische Erkrankung so stark ist, dass der Betroffene nicht fähig ist, die Konsequenzen der Ausübung des Stimm- und Wahlrechts zu erkennen und verantwortungsvoll von seinen politischen Rechten Gebrauch zu machen. Allein auf die Anordnung einer Sachwalterschaft abzustellen, hielte vor Art. 3 1. ZP EMRK nicht stand.[149] Ein im Wahl- und Stimmrecht Eingestellter muss geltend machen können, dass sich sein Zustand gebessert hat. Gestützt auf den Grundsatz, dass das Stimm- und Wahlrecht nur denjenigen Personen zu entziehen ist, die nicht in der Lage sind, es verantwortungsvoll auszuüben, und dass es nur solange zu entziehen ist wie notwendig, ist zwischen dem aktiven und passiven Wahlrecht zu unterscheiden. Die vom EGMR entschiedenen Fälle betrafen soweit ersichtlich nur das aktive Wahlrecht. Es spräche m.E. nichts dagegen, alle Personen, die einen gesetzlichen Vertreter haben, per Gesetz vom passiven Wahlrecht auszuschliessen. Art. 2 Abs. 1 lit. b VRG unterscheidet diesbezüglich nicht näher. Er legt jedoch fest, dass der Entzug nicht starr an den vormundschaftlichen Massnahmen anknüpft,[150] sondern die Urteilsfähigkeit in Bezug auf Wahlen und Abstimmungen in jedem einzelnen Fall durch ein Gericht zu prüfen ist,[151] und zwar im Verfahren gemäss Art. 131a ff. Ausserstreitgesetz[152].[153] Insofern hat das Gericht bereits nach geltendem Recht die Möglichkeit, zwischen dem passiven Wahlrecht und den übrigen politischen Rechten zu differenzieren. Der EGMR prüfte mehrfach, ob der Ausschluss von Strafgefangenen vor Art. 3 1. ZP EMRK standhält.[154] Unbestritten ist, dass ein vom Gesetz für jeden Verdächtigten oder Strafgefangenen, unabhängig von Delikt und Höhe der Strafe vorgesehener Ausschluss vom Stimm- und Wahlrecht das Recht auf freie Wahlen verletzt.[155] Ein Ausschluss muss nach Meinung des EGMR eine Ausnahme darstellen, die ihre Rechtfertigung im Verhalten des Betroffenen und den besonderen Umständen findet.[156] Nicht grundsätzlich unzulässig ist der Ausschluss einzelner, wegen politischer Delikte Verurteilter, auch über den Zeitpunkt des Abbüssens der Strafe hinaus.[157] Indem Art. 2 Abs. 1 lit. c VRG nach der Art des Delikts und der Schwere der Strafe differenziert, vermeidet er einen zu plumpen Automatismus. Zudem verlangt er, dass das Gericht „unter Zugrundelegung der Umstände des Einzelfalls“ entscheidet.[158]VI. RechtsschutzArt. 29 Abs. 2 LV sichert jedem Landesangehörigen nach Massgabe der Verfassung die politischen Rechte zu.[159] Sie sind Grundrechte, die jedem einzelnen Berechtigten ein subjektives Recht einräumen.[160] Ihre Verletzung kann als Verletzung verfassungsmässiger Rechte beim Staatsgerichtshof angefochten werden (Art. 15 Abs. 1 StGHG).[161]A. Die Abstimmungs- und die WahlbeschwerdeSinn und Zweck der Abstimmungsbeschwerde ist der „Schutz und die Wahrung der politischen Rechte jedes einzelnen Stimmbürgers und der Gemeinschaft der Stimmbürger“, weshalb jeder einzelne Stimmbürger zur Abstimmungsbeschwerde gemäss Art. 74 VRG legitimiert ist.[162] Da es sich um eine Popularbeschwerde handelt, ist keine Beschwer erforderlich.[163] Die Wahlbeschwerde steht demgegenüber nur denjenigen Wählergruppen zu, die sich mit Wahlvorschlägen an der Wahl beteiligt haben (Art. 64 Abs. 1 VRG). Gegen die unrichtige Zusammensetzung der Wählerschaft kann hingegen jedermann Beschwerde führen, nicht nur der zu Unrecht Ausgeschlossene.[164] Mangels Bestimmungen über den Rechtsschutz betreffend die Ausübung der politischen Rechte auf Gemeindeebene wird wegen der Verweise in Art. 37, Art. 66 Abs. 2 und Art. 67 Abs. 1 GemG für die Anfechtung von Gemeindeabstimmungen auf die Bestimmungen des VRG zurückgegriffen.[165] Beklagt sich ein Beschwerdeführer, dass er von einem Urnengang auf Gemeindeebene ausgeschlossen wurde oder dass das Elektorat bei einer Gemeindeabstimmung aus einem anderen Grund nicht korrekt zusammengesetzt war, so ist für die materielle Prüfung Art. 111 LV einschlägig, während Art. 29 Abs. 2 LV anzurufen ist, wenn es sich um die Ausübung eines politischen Rechts auf Landesebene handelt.[166]Zu den Fragen, wer[167] in welchem Zeitpunkt[168] welche Einwände gegen eine Volksinitiative vorbringen kann und muss und wie sich Initianten gegen die Nichtigerklärung ihrer Initiative zur Wehr setzen können[169], siehe die Kommentierung zu Art. 66 LV.B. Die AbstimmungsfreiheitDie Abstimmungsfreiheit stellt „einen Teilgehalt des grundrechtlichen Anspruchs auf ungehinderte Ausübung der politischen Rechte gemäss Art. 29 LV dar“.[170] Entgegen ihrer Bezeichnung erstreckt sich ihr Geltungsbereich nicht nur auf Abstimmungen, sondern auf sämtliche politischen Rechte. Die Rechtsprechung sieht die Abstimmungsfreiheit auch dann in Art. 29 LV verankert, wenn sie im Zusammenhang mit einer Gemeindeabstimmung geltend gemacht wird.[171] Dies ist vertretbar, aber nicht zwingend. Stützt ein Beschwerdeführer seine Beschwerde auf Art. 111 LV, weil er Kritik an der Ausübung der politischen Rechte auf Gemeindeebene übt, so muss dies wegen des analogen Wortlautes von Art. 111 LV zulässig sein. Wesentlicher ist, dass die Abstimmungsfreiheit v.a. bezüglich der freien Willensbildung und -äusserung denselben Inhalt hat, unabhängig davon, ob es sich um politische Rechte auf Ebene Gemeinde oder Land handelt.Freie Wahlen und offene Abstimmungen liegen nur dann vor, wenn die Meinungsäusserungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit respektiert werden, so dass die Meinungsbildung ungehindert erfolgt und die Willensäusserung ohne Angst vor Repression getätigt werden kann.[172] Deshalb mussten die Gerichte die Grenzen der Zulässigkeit der behördlichen Intervention ziehen.[173] Sie nahmen dabei wie bei anderen Fragen der Abstimmungsfreiheit Bezug auf die schweizerische Rechtsprechung.[174] Das Gutachten des StGH vom 6. März 1987[175] betonte, die Verfassung wolle „freie, unverfälschte, wirksame, unmanipulierte und genügend differenzierte Abstimmungen, in denen der freie Wille des Volkes Ausdruck finden soll.“ Aus diesem Grund gibt das Stimmrecht dem Stimmbürger „einen Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (…)“.[176] |
Die im Fürstenhause erbliche Thronfolge, die Volljährigkeit des Landesfürsten und des Erbprinzen sowie vorkommendenfalls die Vormundschaft werden durch das Fürstenhaus in der Form eines Hausgesetzes geordnet. The hereditary succession to the throne within the Princely House of Liechtenstein, the age of majority of the Reigning Prince and of the Hereditary Prince, and any applicable guardianship shall be laid down by the Princely House in the form of a Law on the Princely House.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteArt 3 LV regelt Fragen der Erbfolge sowie der Amtsfähigkeit des Staatsoberhauptes, wie sie sich typischerweise in einer Monarchie stellen. Art. 3 LV findet eine Vorläuferregelung in § 3 KonV. Diese Bestimmung lautete: Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck enthielt in Art. 29 Abs. 3 die Regelung, dass die Regierungsrechte im fürstlichen Hause Liechtenstein erblich sind „nach Massgabe der Hausgesetze und dieser Verfassung“.[1] In der Regierungsvorlage von Landesverweser Peer war § 3 mit einer einzigen Abweichung bereits in der Fassung, wie sie vom Landtag als Art. 3 LV beschlossen wurde, enthalten. Die Verfassungskommission nahm jedoch eine so bezeichnete „Richtigstellung“ vor, indem sie das Wort „Fürstentume“ durch „Fürstenhause“ ersetzte. Art. 3 LV lautete daher: Aus dem geschilderten Ablauf geht hervor, dass das Hausrecht des Fürstenhauses und sein Verhältnis zum staatlichen Recht im Rahmen der Erarbeitung der Verfassung von 1921, insbesondere auch in den Schlossabmachungen, kein Thema von vorrangiger Bedeutung war. Gegenüber der Konstitutionellen Verfassung stellte Art. 3 LV klar, dass nicht die Regierung, sondern das Staatsoberhaupt vererblich ist und ging daher einen wichtigen Schritt zur Unterscheidung von Regierung und Staatsoberhaupt. Im Übrigen ist das weitgehende Schweigen der Quellen zur Verfassung von 1921 zum Hausgesetz wohl dahingehend zu interpretieren, dass die Beteiligten an der bisherigen Tradition nichts geändert wissen wollten und von ihrer Beibehaltung ausgingen. Erst die Verfassungsrevision 2003 brachte eine weitere Änderung. Nachdem im Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 2. Februar 2000 (rote Broschüre) zunächst lediglich die Ersetzung der Worte „die Hausgesetze“ durch „eines Hausgesetzes“ vorgesehen war, wurden im Vorschlag vom 1. März 2001 (grüne Broschüre) die Worte „die Hausgesetze“ durch die Wortfolge „durch das Fürstenhaus in der Form eines Hausgesetzes“ ersetzt. Diese Neuerung[2] wurde als eine „sprachliche Anpassung“ bezeichnet, die besser den tatsächlichen Verhältnissen entspreche und die Zuständigkeit für den in Art. 3 aufgeführten Bereich eindeutig festlegen solle.II. Die monarchische Bedeutung des HausgesetzesA. Das Hausrecht im AllgemeinenMit „Hausgesetzen“ regelten Adelsfamilien schon ab dem späten Mittelalter in autonomer Rechtsetzung interne Angelegenheiten wie beispielsweise die Frage des Familienoberhauptes, des Ranges, der Adoption oder Eheschliessung bis hin zu Regentschaftsfragen.[3] Hauptmotive der Hausgesetzgebung bildeten allerdings auch die Verhinderung einer Zersplitterung des Hausbesitzes und Konzentration der Mittel im Interesse einer stärkeren Machtstellung des Gesamthauses im Rechtsverband.[4]Es gab freilich kein allgemeines Hausrecht in Form einer subsidiären Rechtsquelle, sondern eine Vielzahl partikulärer Hausgesetze, denen insbesondere gemein war, dass sie in Autonomie des jeweiligen Hauses erlassen worden waren.[5]Es liegt auf der Hand, dass die Existenz eines solchen autonomen Satzungsrechtes, wie das Hausrecht in der Lehre und Staatspraxis allgemein bezeichnet wird,[6] in ein Spannungsverhältnis zu einer sich allmählich herausbildenden staatlichen Rechtsordnung trat. Diese regelte nämlich zunehmend auch Fragen, die Gegenstand der Hausrechte waren, wie etwa Eheschliessung, Vormundschaft oder das Erbrecht. Dessen ungeachtet erlangten die Hausrechte in den Adelshäusern Europas im Zuge des 18. und 19. Jahrhunderts zunehmend grosse Bedeutung. Sie waren auch Ausdruck des dynastischen Selbstverständnisses, das auf der Vorstellung beruhte, die internen Familienangelegenheiten im Gegensatz zu bürgerlichen Familien durch eine eigene Rechtsordnung regeln zu können. Die Hausrechte wurden auch in das Zeitalter des Konstitutionalismus weiter getragen, wobei sich diese in einen „staatlichen“ Teil (Thronfolge, Regentschaft) und einen „privaten“ Teil gliederten, wobei die konstitutionellen Verfassungen bemüht waren, den „staatlichen“ Teil der Hausgesetzgebung der Autonomie des jeweiligen Hauses zu entziehen.[7]Im modernen Verfassungsstaat tritt der Konflikt zwischen monarchischem Hausrecht und staatlicher Rechtsordnung noch schärfer zu Tage.[8]B. Die Hausgesetze in der liechtensteinischen TraditionVon den zahlreichen Dokumenten, die ein Hausrecht des Fürstenhauses schon aus früher Zeit belegen, sollen hier nur die wichtigsten erwähnt werden: Die Primogeniturverfassung von 1606 enthielt eine annähernd lückenlose Kodifikation der Hausnormen und bildet noch heute die Grundlage des fürstlichen Hausrechts.[9] Festgelegt wurde die Erbfolge nach der männlichen Primogenitur, die darin besteht, dass immer der Erstgeborene aus der ältesten Linie in das Nachlassgut folgt.[10]Die landständische Verfassung von 1818 erwähnte das Hausrecht des Fürstenhauses gar nicht und behandelte dieses auf der Basis der Primogeniturverfassung von 1606 wie einen von ihr nicht berührten Rechtskreis.[11] Ein neues Hausgesetz wurde im Familienvertrag 1842 erlassen.[12] Es kommt zur Einführung einer weiblichen Thronfolge, jedoch erst nach dem völligen Abgang des Mannesstammes.[13] Verankert wird zudem die Unteilbarkeit des souveränen Staates,[14] die allerdings insoweit nichts Neues ist, als bereits im Diplom Kaiser Karls VI. über die Erhebung zum Reichsfürstentum Liechtenstein vom 23. Januar 1719 dieses als „unzertheilig“ deklariert worden war.[15]Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 „verstaatlichte“ das Hausrecht bereits in ihrem § 1 insoweit, als sie die Landschaften Vaduz und Schellenberg als ein unteilbares und unveräusserliches Ganzes garantierte.[16] Zu Recht verweist Schmid auf den Umstand, dass diese Bestimmung den Wechsel von der absolutistisch-patrimonialen Staatsauffassung zur konstitutionellen konkretisierte.[17] Die Bestimmungen über die Vererbung von „Besitz und Souveränität“ im Familienvertrag von 1842 waren nur noch für den Übergang der Organstellung, des Thrones und der Regierung anwendbar. Nichtsdestoweniger blieb jedoch das Hausrecht neben der Verfassung eine eigene Rechtsquelle.[18]Schmid[19] vertritt die Auffassung, § 3 KonV, der die Erblichkeit der Regierung nach Massgabe der Hausgesetze verankerte, sei lediglich von deklaratorischer Bedeutung gewesen. Die Verfassung habe weder das Recht der autonomen Satzung, noch das Recht am Thron begründet. Dieser Auffassung kann auf der Grundlage des Normtextes entgegen gehalten werden: Es ist seit 1862 die Verfassung, die explizit die Autonomie des Hausrechtes begründet.[20] Der Status des Hausgesetzes als eigene Rechtsquelle gründet sich, was jene Regelungen betrifft, die in § 3 KonV erwähnt sind (nämlich die Erblichkeit der Regierung, die Volljährigkeit des Landesfürsten und des Erbprinzen sowie eine allfällige Vormundschaft), ausschliesslich auf die Verfassung. Nach Schmid kam der erste Hausvertrag 1893 nach der neuen Konstitutionellen Verfassung noch ohne Mitwirkung des Landtages zustande, wiewohl er im Landesgesetzblatt veröffentlich wurde.[21] Zur Behandlung anderer hausgesetzlicher Änderungen seit 1893 durch den Landtag äussert sich Schmid nicht. Seinem Befund widerspricht allerdings die Stellungnahme der Regierung im BuA Nr. 135/2002, die ausführt, „dass der Landtag sowohl bei den hausgesetzlichen Bestimmungen LGBl. 1895 Nr. 1, LGBl. 1902 Nr. 2 und LGBl. 1919 Nr. 10, als auch bei der Abänderung des Hausgesetzes vom 8. Februar 1926, LGBl. 1926 Nr. 3, seine Zustimmung erteilt hat.“[22]Den Landtagsprotokollen kann tatsächlich eine ausdrückliche Zustimmung des Landtages für nachstehende Gesetze entnommen werden: Dies bedeutet, dass die Mitwirkung des Landtages bei „staatsrelevanten“ Inhalten des Hausgesetzes seit 1893 regelmässig praktiziert wurde;[27] ein Umstand, der als eine Absage an ein Verständnis, das § 3 KonV als bloss deklaratorische Vorschrift betrachtet, zu werten ist.[28]Formal wurden spätere Hausgesetze zumeist nicht ausdrücklich in die früheren integriert, sondern diesen hinzugefügt.[29] Unter dem Regime der Konstitutionellen Verfassung wurden diese Novellen jedoch, was zuvor nicht erfolgt war, im liechtensteinischen Landesgesetzblatt kundgemacht.[30]In einem Bruch mit der hundertjährigen Tradition, staatsrelevante Inhalte des Hausgesetzes der Zustimmung des Landtages vorzulegen, wurde das Hausgesetz 1993 im Landesgesetzblatt kundgemacht,[31] ohne dass der Landtag davon Kenntnis hatte.[32] Die Begründung für die unterlassene Einholung der Genehmigung durch den Landtag erblickte der Landesfürst Hans-Adam II. darin, dass die staatsrelevanten Teile des Hausgesetzes mit den früheren Bestimmungen identisch seien.[33] Winkler argumentierte, dass mit dem Hausgesetz 1993 das vormalige Regelungskonvolut „Hausgesetze“, das materiell betrachtet eine Einheit dargestellt habe, lediglich textbereinigt worden sei.[34] Tatsächlich enthielt das Hausgesetz 1993 aber auch Neuerungen, darunter den Misstrauensantrag gegen den Fürsten gemäss Art. 16, den Winkler als in der Autonomie des Fürstenhauses gelegen betrachtet.[35] Allein dieses Argument spricht entscheidend gegen die Annahme Winklers, beim Hausgesetz 1993 handle es sich lediglich um eine Art Wiederverlautbarung der Materie fürstliches Hausrecht.[36] Auch Kohlegger weist darauf hin, dass das damalige Hausrecht gar „nicht mit der nötigen Sicherheit aufgefunden werden konnte und daher unübersichtlich blieb.“[37] Bereits Fürst Franz Josef II. habe sich demnach entschlossen, die verstreuten Quellen des Hausrechtes in einem klaren und verständlichen Gesetz zusammenzufassen, was aber erst unter Fürst Hans-Adam II. zum Abschluss habe gebracht werden können.[38]Mit der Verfassungsrevision 2003 wurde eine nachträgliche verfassungsrechtliche Grundlage für das Hausgesetz 1993 geschaffen,[39] das in der Literatur nicht nur als verfassungswidrig, sondern sogar, weil es weder als formelles Verfassungsrecht noch als formelles Gesetzesrecht zustande gekommen sei, als nichtig betrachtet worden war.[40] Zur normativen Bedeutung dieser Änderung siehe die Ausführungen unter Kapitel III.III. Das Hausgesetz in der liechtensteinischen RechtsordnungA. Das Hausgesetz als autonomes Satzungsrecht des FürstenhausesZum Verhältnis von Verfassung und Hausgesetz gibt es in Liechtenstein keine herrschende Lehre.[41] Fest steht: Das Hausgesetz ist kein Gesetz im formellen Sinn. Die Gesetzgebung erfolgt nämlich vermöge der Art. 62 LV und Art. 9 LV durch den Landtag und den Landesfürsten. Art. 3 LV überträgt hingegen die Erlassung des Hausgesetzes dem Fürstenhause. Aus historischer Perspektive ist es unzweifelhaft, dass mit dem Begriff des „Hausgesetzes“ das vom Fürstenhaus in jahrhundertelanger Tradition autonom geregelte Hausrecht gemeint ist.Die aus der Verfassungsrevision 2003 hervorgegangene Wendung „durch das Fürstenhaus“ meint wohl, dass dieses zur ausschliesslichen Regelung des Hausrechtes, ohne dass es einer Mitwirkung des Landtages bedürfte, befugt ist. Die Interpretationsvariante, die Marxer vorschlägt[42] und von welcher auch die Regierung in ihrer Stellungnahme zum Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses ausgegangen war,[43] wonach zur Gültigkeit der „staatsrelevanten Bereiche“ weiterhin die Zustimmung der Verfassungsgeber notwendig ist, weil die hausgesetzlichen Materien i.S. des Art. 3 LV lediglich eine Exklave der Verfassung im formellen Sinn darstellten,[44] muss sich entgegen halten lassen, dass gerade Kley, auf den sich Marxer beruft, 1998 die (damals) hypothetische Formulierung „durch das Fürstenhaus“ als Beleg für eine ausschliessliche Kompetenz des Fürstenhauses betrachtete.[45]Der Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 1. März 2001 bezeichnete die Änderung als eine „sprachliche Anpassung“, die besser den „tatsächlichen Verhältnissen“ entspreche, was angesichts der Tatsache, dass bis 1993 die Hausgesetze auch der Zustimmung des Landtages unterzogen worden waren, den Schluss zuliesse, dass am bestehenden System nichts geändert werden sollte.[46] Dem steht aber wiederum entgegen, dass nach der Begründung des Verfassungsvorschlags des Fürstenhauses die Zuständigkeit für den in Art. 3 aufgeführten Bereich eindeutig festgelegt werden sollte.[47] Damit war wohl gemeint, dass das Hausgesetz in die alleinige Kompetenz des Fürstenhauses fällt und dies klargestellt werden soll.[48] In der Initiative des Fürstenhauses vom 2. August 2002 ist indessen diese Wendung nicht mehr enthalten, sodass durchaus die Frage zu stellen ist, ob ein solches Verständnis der Verfassungsrevision 2003 zugrunde lag. Gesichert ist somit lediglich, dass das Hausgesetz vom Fürstenhause zu erlassen ist, was aber nichts darüber aussagt, ob die staatsrelevanten Teile im Sinne der mit der Verfassung 1921 vorgefunden Praxis weiterhin der Zustimmung des Landtages bedürfen.Wesentlich ist auch die mit der Verfassungsrevision 2003 erfolgte Abkehr von der Pluralform: Sprach die Verfassung bis 2003 noch von den „Hausgesetzen“, so ist nunmehr durch das Fürstenhaus ein „Hausgesetz“ zu erlassen. Es darf somit nicht mehrere, sondern nur ein Hausgesetz geben, in welchem das gesamte Hausrecht hinsichtlich der staatsrechtlich relevanten Bereiche zu kodifizieren ist.[49]Die Bezeichnung des Hausgesetzes als ein Gesetz „sui generis“[50] schafft mehr Verwirrung als Klarheit. Es handelt sich nämlich ungeachtet seiner Bezeichnung wie dargestellt nicht um ein formelles Gesetz, sondern um ein privates Normenwerk des Fürstenhauses, dem die Verfassung durch Verweise (Art. 3 LV und Art. 13ter LV) in Teilen allgemeine Rechtsverbindlichkeit zuerkennt.[51]Die Verfassung erwähnt das Hausgesetz im Übrigen noch in Art. 10 Abs. 2 LV, wo bestimmt wird, dass Notverordnungen die Bestimmungen der Art. 3, 13ter und 113 LV sowie des Hausgesetzes nicht einschränken dürfen. Es ist konsequent, dass Notverordnungen nicht in ein solcherart privates, nichtstaatliches Regelungswerk eingreifen dürfen. Das Hausgesetz bildet insoweit eine Rechtsquelle, als sich aus ihm nähere Regelungen zu Art. 3 und zu Art. 13ter LV ergeben. Insoweit kommt ihm die Rolle als „materielles Verfassungsrecht“ zu.[52] Im modernen Recht kommen derartige Verweise auf ausserhalb der parlamentarischen Institutionen erzeugtes privates Recht durchaus häufig vor.[53] Solange der Verfassungsgesetzgeber die Hoheit darüber besitzt,[54] in welchem Ausmass dieses ausserparlamentarisch erzeugte „autonome Satzungsrecht“ Anwendung finden darf, bestehen gegen derartige Verweise keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Einwände.[55] Es wurde auch davon gesprochen, dass die Regelungen des Hausgesetzes, soweit sie sich auf die in Art. 3 LV genannten Gegenstände beziehen, einen „formalen Verfassungsrang“ geniessen, weil dieses formelle Verfassungsrecht in dynamischer Weise auf sie verweist.[56] Diese Formulierung ist jedoch missverständlich, weil das Hausgesetz eben kein formelles Verfassungsrecht darstellt. Seine verfassungsrechtliche Relevanz gewinnt das Hausgesetz somit ausschliesslich durch Art. 3 und Art. 13 LV.[57] Auch wenn es zutrifft, dass die Verfassung das Hausgesetz als eine interne Ordnung des Fürstenhauses formell nicht abändern kann,[58] so ist es letztlich aber doch die Verfassung, die bestimmt, wer Fürst von Liechtenstein ist. Insoweit die Verfassung die Regelung, welche konkrete Person diese Funktion einnimmt, dem Hausgesetz überträgt, begibt sie sich nicht ihrer Regelungshoheit.[59] Zweifellos könnte die Verfassung konkrete Regelungen über das Staatsoberhaupt vorsehen und die Erbfolge auch in Abweichung vom Hausgesetz regeln.[60]Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass das Hausgesetz des Fürstenhauses ein autonomes, privates Regelungswerk ist wie jede Familie ihre internen Angelegenheiten ebenfalls zu regeln vermag. Rechtliche Verbindlichkeit erlangt das Hausgesetz lediglich im Umfange des Verweises und der Ermächtigung durch die Verfassung (Art. 3 und Art. 13ter LV).[61]Zu Erlassung der staatsrechtlich relevanten Inhalte ist das Fürstenhaus berufen. Während hinsichtlich der privatrechtlich relevanten Inhalte gilt, dass es dem Fürstenhaus selbst obliegt, wen es zur Kreation dieser Regelungen beruft, gilt somit im „staatlichen Bereich“, dass diese Entscheidung dem „Fürstenhaus“ übertragen ist. Schon begrifflich ist klar, dass das Fürstenhaus vom Landesfürsten zu unterscheiden ist. Jenseits dieser sprachlichen Unterscheidung bleibt aber zunächst unklar, wer das „Fürstenhaus“ bildet. Eine Interpretation wird im Weiteren dadurch erschwert, dass zwar Art. 3 LV in der Fassung von 1921 bereits den Begriff „Fürstenhause“ verwendete, aber lediglich im Zusammenhang mit der Erbfolge. Immerhin lässt sich daraus entnehmen, dass das Fürstenhause als verfassungsrechtlicher Begriff einen nicht näher bestimmten Personenkreis meint, aus dem das jeweilige Staatsoberhaupt rekrutiert wird. Gerade mit Blick auf das Hausgesetz zeigt sich, dass mit dem Fürstenhause der Kreis jener Person gemeint ist, die in historischer Tradition von den jeweiligen Hausgesetzen erfasst waren.Art. 3 LV kreiert ein Staatsorgan „Fürstenhaus“, dessen verfassungsrechtlich ausschliessliche Aufgabe es ist, ein Hausgesetz zu erlassen.[62] In historischer Betrachtung wird das Fürstenhaus von den Mitgliedern der Familie Liechtenstein gebildet, was freilich in gewisser Hinsicht auch tautologischen Charakter hat. Es würde dem Geist der Verfassung widersprechen, ihr zu unterstellen, in diesem staatspolitisch höchst sensiblen Bereich die Klärung der Frage, welche Person Staatsoberhaupt sein soll, einem völlig unbestimmten Personenkreis zu übertragen. Eine sowohl historisch als auch am Sinn und Zweck der Verfassung orientierte Interpretation führt daher zum Schluss, dass sowohl die Konstitutionelle Verfassung als auch die Verfassung von 1921 von einem bestimmten Kreis der Fürstenfamilie von Liechtenstein ausgegangen sind, der nach den damaligen hausrechtlichen Vorschriften bestimmt wurde. Die Verfassungsrevision hat an diesem Verständnis nichts Erkennbares geändert. Dies bedeutet, dass das Fürstenhaus von jenen Personen gebildet wird, die nach dem geltenden Hausgesetz zu seinen Mitgliedern zählen.[63] Der Umstand, dass die stimmberechtigten männlichen[64] Mitglieder dieses Staatsorgans in der Öffentlichkeit nicht namentlich bekannt sind, ist verfassungspolitisch durchaus problematisch.[65] Diese Unbestimmtheit war jedoch schon von der Konstitutionellen Verfassung 1862 vorgefunden worden. Mit der bis 1993 gepflogenen Zustimmung des Landtages zum Hausgesetz bzw. zu Änderungen desselben war diese Problematik erheblich entschärft, seit 1993 liegt dagegen eine staats- und verfassungspolitisch heikle Situation vor, die allerdings mit der Verfassungsrevision 2003 ihre rechtliche Deckung erhielt.Das Fürstenhaus trifft freilich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, ein derartiges Hausgesetz zu erlassen, das die staatsrechtlich relevanten Inhalte klar und unmissverständlich regelt. Ein Hausgesetz, das nicht als solches identifizierbar wäre oder die betreffenden Inhalte nicht oder nicht eindeutig regeln würde, würde daher der rechtlichen Verbindlichkeit ermangeln.B. Rang im Stufenbau der RechtsordnungAus dem zuvor Gesagten wird deutlich, dass die staatsrechtlich relevanten Inhalte des Hausgesetzes, also soweit es Regelungen betrifft, die die Bestimmungen der Art. 3 und Art. 13ter LV näher ausführen, im Stufenbau der Rechtsordnung unterhalb der Verfassungsstufe stehen.Die Verfassung kann das Hausgesetz zwar nicht formell abändern (vgl. auch Art. 18 Abs. 2 Hausgesetz), aber es inhaltlich (=materiell) derogieren.[66] Kraft der Verweisung der Verfassung auf das Hausgesetz ist aber auch klargestellt, dass einfache Gesetze oder Rechtsakte unterhalb der Gesetzesstufe im staatsrechtlich relevanten Bereich keine solche Wirkung haben können. Eine Regelung der Thronfolge auf Gesetzesstufe, selbst wenn eine solche mit Sanktion des Landesfürsten (Art. 9 LV) zustande gekommen wäre, wäre verfassungswidrig, da die Verfassung in ihrer derzeitigen Form die Erlassung einer solchen Bestimmung dem Hausgesetz vorbehält. Der Charakter des Hausgesetzes als eines Regelungskomplexes privatrechtlicher Natur ausserhalb der staatsrechtlichen Ordnung bedingt auch, dass der Staatsgerichtshof das Hausgesetz selbst im Falle eines Widerspruchs zur Verfassung nicht aufheben könnte, da seine Gesetzesprüfung gemäss Art. 104 Abs. 2 LV und Art. 18 StGHG auf solche Normen beschränkt ist, die im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens zustande gekommen sind.[67] Auch der Umstand, dass das Hausgesetz 1993 wie vorangegangene Regelungen auch im Landesgesetzblatt kundgemacht wurde, vermag an dessen rechtlicher Natur und damit an der mangelnden Prüfungsbefugnis des Staatsgerichtshofes nichts zu ändern. Allerdings ist eine Prüfungsbefugnis des Staatsgerichtshofes auch nicht erforderlich: Soweit das Hausgesetz Verfassungswidriges anordnen würde, wären entsprechende Bestimmungen von Staatsorganen nicht anzuwenden. Mangelnde Kompatibilität von Bestimmungen des Hausgesetzes mit der Verfassung geht daher stets zu Lasten des Hausgesetzes und nicht zu Lasten der Verfassung. Der Umstand, dass das Hausgesetz nicht Gegenstand der (allgemeinen) Gesetzgebung sein kann, bedeutet im Übrigen nicht, dass diese ohne Einfluss auf das Hausgesetz wäre: Würde beispielsweise das Hausgesetz gegen zwingende Normen des Privatrechts verstossen, wäre Nichtigkeit der jeweiligen Vorschriften auf der Grundlage des § 879 ABGB die Folge.[68] Die Regelungen des Hausgesetzes, die nicht kraft der Verweisnormen in Art. 3 und Art. 13ter LV autorisiert sind, sind keine staatlichen Normen und stehen wie jedes andere privatrechtliche Handeln in den Schranken der allgemeinen Gesetzgebung des privaten, wie auch des öffentlichen Rechts.[69]Daher ist das Hausgesetz auch in einer mit der staatlichen Rechtsordnung harmonisierenden Weise zu interpretieren: Die Regelungen des Art. 7 über die Eheschliessung treten beispielsweise nicht an Stelle des staatlichen Eherechts, sondern ergänzen dieses. Mitglieder des Fürstlichen Hauses können auch ohne das nach Art. 7 Abs. 1 Hausgesetz erforderliche Einverständnis des Fürsten eine gültige Ehe schliessen, die Konsequenzen einer Eheschliessung ohne fürstliches Einverständnis können ausschliesslich hausrechtlicher Natur sein.[70]Der Natur des Hausgesetzes als einer autonomen Rechtsquelle scheint es zu widersprechen, dass dieses, wie bereits Vorgängerregelungen, im Landesgesetzblatt kundgemacht wurde. Dies gilt umso mehr, als das Kundmachungsgesetz[71] keine eindeutige Rechtsgrundlage zu bieten scheint. Unter die gemäss Art. 3 Kundmachungsgesetz zwingend im Landesgesetzblatt zu publizierenden Rechtsvorschriften lässt sich das Hausgesetz jedenfalls nicht einordnen. Immerhin lässt sich argumentieren, dass nach der Grundsatzbestimmung des Art. 1 Kundmachungsgesetz „rechtsetzende Vorschriften“ im Landesgesetzblatt kundgemacht werden, zu welchen das Hausgesetz im staatrechtlich relevanten Bereich zweifellos zählt, wozu aber nach Art. 3 Kundmachungsgesetz eben keine Verpflichtung besteht.Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Kundmachung des Hausgesetzes grundsätzlich zu begrüssen. Dies kann mithin als Argument dienen, weshalb in verfassungskonformer Interpretation das Landesgesetzblatt als Publikationsorgan zur Verfügung zu stehen hat.[72]C. Verfassungsrechtliche Problematik des geltenden Hausgesetzes?Auch wenn der Verweis der Verfassung auf das autonome Satzungsrecht des Fürstenhauses als solcher verfassungsrechtlich zulässig ist, wirft das Zusammenspiel des geltenden Hausgesetzes mit der Verfassung einige Fragen auf. Insbesondere das Prinzip der Thronfolge des männlichen Erstgeborenen der ältesten Linie (männliche Primogenitur – Art. 12 Abs. 1 Hausgesetz) steht in einem klaren Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot (Art. 31 LV). Da die männliche Primogenitur jedoch sowohl der Verfassung von 1921 als auch der Konstitutionellen Verfassung zugrunde lag, ist davon auszugehen, dass die männliche Erbfolge von den Verfassungsgebern vorausgesetzt wurde.[73] Dessen ungeachtet wäre ein (formelles) Gesetz, das die Thronfolge nur männlichen Mitgliedern des Fürstenhauses vorbehielte, wohl verfassungswidrig, da in der Interpretation des Gleichheitssatzes zumindest seit 1921 ein wesentlicher Wandel eingetreten ist. Als nicht formelles Gesetz kann aber das Hausgesetz durch den Staatsgerichtshof wie oben (Kapitel III.B.) dargelegt nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden. Die Verfassungsrevision 2003 hat die Regelung der Thronfolge bewusst der ausschliesslichen Kompetenz des Fürstenhauses übertragen. Auch wenn das Spannungsverhältnis zum Gleichheitssatz offenkundig ist, so lässt die Verfassung mit dem Verweis auf das Hausgesetz das Prinzip der männlichen Thronfolge im Ergebnis unangetastet.D. Das Hausgesetz und internationales RechtDie männliche Primogenitur wirft auch die Frage mit der Konformität des Hausgesetzes mit internationalem Recht auf.Die EMRK selbst gewährt keine politischen Rechte. Das einzige politische Recht im System der EMRK ist in Art. 3 1. ZP EMRK enthalten.[74] Demnach sind die Vertragsparteien verpflichtet, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äusserung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Organe gewährleisten. Damit ist die Kerngarantie eines demokratischen Systems verbunden.[75]Der Umstand, dass in einer Monarchie die Funktion des Staatsoberhauptes keiner freien Wahl zugänglich ist, steht dieser Garantie nicht entgegen. Die Bestimmung garantiert nämlich keine unmittelbaren, freien und geheimen Wahlen des Staatsoberhauptes.[76]Daraus ergibt sich, dass nicht nur die dynastische Erbfolge, sondern auch das Prinzip der männlichen Primogenitur keinen Aspekt von Art. 3 1. ZP EMRK berührt.[77] Der spezifische aus Art. 3 1. ZP EMRK abgeleitete Grundsatz der Gleichheit der Wahlen[78] kann nicht zum Tragen kommen, wenn Art. 3 1. ZP EMRK gar nicht anwendbar ist. Das in Art. 14 EMRK verankerte Diskriminierungsverbot bezieht sich wiederum auf die in der EMRK selbst verankerten Rechte und Freiheiten, die in der hier zu beurteilenden Frage keine Relevanz haben.Ein allgemeines Diskriminierungsverbot enthält nunmehr zwar das am 1. April 2005 in Kraft getretene 12. ZP EMRK.[79] Dieses wurde jedoch bislang von Liechtenstein nicht ratifiziert und ist daher ebenfalls nicht anwendbar.Weitere relevante völkerrechtliche Garantien finden sich in Art. 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie in Art. 25 UNO-Pakt II.[80] Dabei ist im gegebenen Zusammenhang vor allem Art. 25 lit. c) UNO-Pakt II (im Wesentlichen gleichlautend zu Art. 21 Ziff. 2 Menschenrechtserklärung) zu erwähnen, der einen gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern gewährleistet. Die Funktion des Staatsoberhauptes ist damit jedoch nicht gemeint. Dies unterstreicht nicht nur die Literatur, die einerseits unter dem Begriff des öffentlichen Amtes (in der englischen Fassung public service) hoheitlich ernannte Organstellungen in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit versteht,[81] andererseits generell die monarchische Erbfolge als mit Art. 25 lit. a) vereinbar betrachtet.[82] Auch der Umstand, dass Liechtenstein zu dieser Bestimmung weder einen Vorbehalt noch eine Erklärung abgegeben hat, wohl aber zu Art. 3 (Gleichberechtigung von Mann und Frau) erklärt hat, dass es diese Bestimmung nicht als Hindernis zu den Verfassungsbestimmungen betreffend die erbliche Thronfolge des Landesfürsten auslegt,[83] weist auf diese Interpretation hin. Da Art. 14 EMRK akzessorischen Charakter hat, sich also lediglich auf die Ausübung der in diesem Pakt festgelegten bürgerlichen und politischen Rechte bezieht und Art. 25 UNO-Pakt II für die Funktion des Staatsoberhauptes keine Relevanz hat, ist die Klarstellung Liechtensteins in der Erklärung nicht zu beanstanden. So bleibt lediglich noch das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau[84] zu prüfen. Zufolge Art. 1 des Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck „Diskriminierung der Frau“ jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschliessung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Frau – ungeachtet ihres Zivilstands – im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Liechtenstein hat folgenden Vorbehalt zu Art. 1 erklärt: „Im Licht der Definition, wie in Art. 1 des Übereinkommens enthalten, behält sich Liechtenstein die Anwendung aller mit dem Übereinkommen übernommenen Verpflichtungen in Bezug auf Art. 3 der Landesverfassung vor.“[85] Damit ist das Übereinkommen in Bezug auf die staatsrechtlich relevanten Inhalte des Hausgesetzes nicht anzuwenden. Ungeachtet des Umstandes, dass bestehendes internationales Recht, das auf eine Beseitigung der Diskriminierung von Frauen zielt, auf die besondere Konstellation der Vererblichkeit der Funktion des Staatsoberhauptes, nicht anzuwenden ist, verbleibt das Spannungsverhältnis der geltenden Erbfolgeregelung des Hausgesetzes gegenüber dem Ziel internationaler Rechtsetzung, Ungleichbehandlungen zwischen den Geschlechtern zu beseitigen, erhalten.IV. Staatsrechtlich relevante Regelungsinhalte des HausgesetzesA. Die Thronfolge im engeren SinnDie vorrangige Aufgabe, die Art. 3 LV an das Hausgesetz delegiert, bildet die Regelung der Thronfolge. Der um Art. 12 Hausgesetz aufgebaute Regelungskomplex bewegt sich insgesamt wohl an der Grenze dessen, was unter dem in der Verfassung verwendete Begriff der „Thronfolge“ noch an das Hausgesetz übertragen ist. Er beinhaltet nämlich nicht nur die Regelung der Thronfolge an sich, sondern auch die Position des Fürsten und verteilt auch Funktionen an den Familienrat und die Mitglieder des fürstlichen Hauses. Angesichts der Tatsache, dass es keiner Verfassungsordnung gleichgültig sein kann, wer zur Thronfolge berufen ist, ist es jedenfalls erstaunlich, dass die Verfassung in ungebrochener Tradition seit 1862 diese Frage ausschliesslich dem Hausgesetz delegiert.[86] Es handelt sich dabei um keine Sukzession im Sinne des Erbrechtes, auch wenn der äussere Rahmen ein Ähnlicher ist.[87] Der Monarch erbt nicht die Krone, sondern die Krone den Monarchen. Die bleibende staatliche Institution nimmt beim Thronwechsel einen neuen Organträger auf.[88]Thronfolge ist die Berufung zum höchsten Organ im Staat. Subjekt der Thronfolge ist der von der Verfassung der Regelung des Hausgesetzes anvertraute Nachfolger.[89]Gemäss Art. 12 Abs. 1 Hausgesetz ist stets der (männliche) Erstgeborene der ältesten Linie zur Thronfolge berufen. Das Alter einer Linie wird nach ihrer Abstammung vom Fürsten Johann I. von Liechtenstein (1760 bis 1835) beurteilt. Der Rang der männlichen Mitglieder des Fürstlichen Hauses richtet sich nach dem Rang ihres Thronfolgerechtes.Das von der Verfassung delegierte Hausgesetz vermittelt den solcherart Berechtigten ein subjektiv-öffentliches Recht auf Thronfolge.[90] Bei der Übernahme des Thrones soll es sich nach Batliner jedoch um keinen Willensakt handeln, vielmehr trete die Thronfolge mit dem Tode des vorangegangenen Fürsten oder mit dessen Thronverzicht ein.[91] Daran ändere auch nichts, dass Art. 13 LV dem Thronfolger aufträgt, noch vor Empfang der Erbhuldigung in einer schriftlichen Urkunde auszusprechen, dass er das Fürstentum Liechtenstein in Gemässheit der Verfassung und der übrigen Gesetze regieren, seine Integrität erhalten und die landesfürstlichen Rechte unzertrennlich und in gleicher Weise beobachten wird.[92]Dieser Auffassung steht nun freilich gegenüber, dass gemäss Art. 17 Abs. 2 Hausgesetz in dem Fall, dass der Fürst rechtskräftig gemäss Art. 14 abgesetzt oder gemäss Art. 15 seines Amtes enthoben oder entmündigt wurde, seine Rechte und Pflichten „bis zum Eintritt der Thronfolge“ (!) von einem Regenten ausgeübt werden. Dies kann nicht anders interpretiert werden, als dass das Hausgesetz zumindest in diesen Fällen davon ausgeht, dass die Thronfolge nicht eo ipso erfolgt. Auch die Wortwahl in Art. 12 Abs. 3, wonach die Thronfolge nur „antreten“ kann, wer gemäss dem Hausgesetz stimm- und wahlberechtigt ist, spricht gegen eine von selbst eintretende Thronfolge. Nach der hier vertretenen Meinung kann daher der Thronfolger erst mit der Leistung der von Art. 13 LV geforderten Erklärung die ihm als Staatsoberhaupt zukommenden Rechte und Pflichten verfassungsmässig ausüben.[93]Die Mitgliedschaft im Fürstlichen Haus wird von Art. 1 Hausgesetz geregelt: Gemäss Abs. 2 sind Mitglieder kraft Geburt der Fürst und alle diejenigen, die in der männlichen Linie von Fürst Johann I. von Liechtenstein abstammen und aus einer anerkannten Ehe hervorgegangen sind. Mitglieder kraft Eheschliessung werden die Fürstin und die Gemahlinnen der Prinzen, sofern die Ehe eine Anerkennung nach dem Hausgesetz gefunden hat (Art. 1 Abs. 3).B. Mitgliedschaft im Fürstlichen HausÜber die Mitglieder des Fürstlichen Hauses werden Matriken durch das Sekretariat des Fürsten unter dessen Verantwortung geführt. Der Familienrat ist berechtigt und verpflichtet, die ordnungsgemässe Abwicklung der Matriken zu kontrollieren (Art. 4 Abs. 1 Hausgesetz). In den Matriken ist auch der Rang in der Thronfolge festzuhalten (Art. 12 Abs. 1 Hausgesetz).Die Matriken sind nur familienöffentlich (Art. 4 Abs. 5 Hausgesetz) und werden in der Praxis auch nicht öffentlich zugänglich gemacht.[94] Auskünfte an Aussenstehende sind gemäss Art. 4 Abs. 5 Hausgesetz nur nach Bescheinigung eines rechtlichen Interesses mit Genehmigung des Fürsten zulässig. Diese Intransparenz ist nicht unproblematisch, insbesondere auch vor dem Hintergrund, als das Hausgesetz verschiedene Tatbestände kennt, aufgrund welcher auch männliche Mitglieder des Fürstenhauses ihre Mitgliedschaft und damit auch ihren Thronfolgeanspruch verlieren (etwa durch Adoption gemäss Art. 5 Abs. 3 oder durch Verzicht gemäss Art. 1 Abs. 4 Hausgesetz). Weiters können durch disziplinäre Massnahmen (Art. 8) Stimmrechte suspendiert sein, was beispielsweise bei einer Entscheidung der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstenhauses über einen Misstrauensantrag gegen den Landesfürsten (Art. 13ter LV) oder bei disziplinären Massnahmen gegen den Fürsten (Art. 14 Hausgesetz) relevant sein kann.C. Die Position des FürstenDer Fürst vereinigt in sich die Funktion des Staatsoberhauptes, des Regierers des Fürstlichen Hauses und des Vorsitzenden in den Fürstlichen Stiftungen. Diese drei Funktionen können nicht getrennt werden (Art. 12 Abs. 4 Hausgesetz). Art. 12 Abs. 5 Hausgesetz bestimmt, dass dem Fürsten als Staatsoberhaupt die in der Landesverfassung nach dem Stande des Inkrafttretens dieses Hausgesetzes näher bezeichneten Rechte und Pflichten zustehen. Damit wird der Eindruck erweckt, als bestimme das Hausgesetz die in der Landesverfassung geregelten Rechte und Pflichten des Landesfürsten, was unzutreffend wäre. Es ist ausschliesslich die Verfassung, welche solche Regelungen erlässt.[95] Auch die Vereinigung der drei Funktionen Staatsoberhaupt, Regierer des Fürstlichen Hauses und Vorsitz in den Fürstlichen Stiftungen ist nur insoweit zulässig als die Landesverfassung dies erlaubt. Gemäss Art. 13 Hausgesetz ist ein Verzicht des Fürsten auf den Thron ebenso wie eines Prinzen auf die Thronfolge zulässig. Der Thronverzicht des Fürsten ist im Gegensatz zu jenem eines Prinzen im Landesgesetzblatt zu veröffentlichen. Die Erklärung gilt allerdings gemäss Art. 13 Abs. 2 Hausgesetz nur für die Person des Verzichtenden.[96] Daraus ist zu schliessen, dass es das Hausgesetz nicht erlaubt, dass Fürst, Familienrat oder Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses für alle gegenwärtigen und künftigen Mitglieder den Thronverzicht beschliessen.[97] Im Übrigen könnte auch ein kollektiver Verzicht auf die Mitgliedschaft im Fürstlichen Haus Liechtenstein zu keinem anderen Ergebnis führen, da die Verzichtserklärung gemäss Art. 1 Abs. 4 Hausgesetz ebenfalls nur für die Person des Verzichtenden gilt.D. Der FamilienratDer Familienrat, der auf fünf Jahre gewählt und aus drei Mitgliedern aller stimm- und wahlberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses und drei Ersatzmitgliedern besteht (Art. 10 Abs. 1) kann als disziplinäre Massnahmen gegen den Fürsten sogar dessen Absetzung verfügen (Art. 14) bzw. im Falle eines schweren körperlichen oder seelischen Leidens dessen Amtsenthebung beschliessen (Art. 15 Hausgesetz). Wurde der Fürst gemäss Art. 14 abgesetzt oder gemäss Art. 15 seines Amtes enthoben, werden seine Rechte und Pflichten bis zum Eintritt der Thronfolge von einem Regenten ausgeübt (Art. 17 Abs. 2 Hausgesetz). Die Regentschaft[98] erlangt das nach der Thronfolgeordnung nächstberufene stimmberechtigte Mitglied des Fürstlichen Hauses.Da sowohl der Familienrat (Disziplinäre Massnahmen gegenüber dem Fürsten – Art. 8 Hausgesetz) als auch die Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstenhauses (Entscheidung über den Misstrauensantrag gegenüber dem Landesfürsten – Art. 16 Hausgesetz) staatsrechtlich relevante Aufgabenstellungen haben, sind sie durch Delegierung gemäss Art. 3 LV zu ausserhalb der Verfassung angesiedelten Quasi-Staatsorganen geworden.[99] Man kann diese Form der Kontrolle über den Fürsten durch Mitglieder des Fürstenhauses als Intraorgankontrolle bezeichnen.[100]Auch hinsichtlich des Familienrates ist die vom Hausgesetz geschaffene Intransparenz kritisch anzumerken. Weder sind die Mitglieder des Familienrates bekannt noch ist eine ausreichende Transparenz der getroffenen Entscheidungen, insbesondere in den Disziplinarangelegenheiten (Art. 14 Hausgesetz), gegeben. Ein Disziplinarerkenntnis ist lediglich allen Mitgliedern des Fürstenhauses sowie dem Regierungschef zuzustellen (Art. 14 Abs. 2 lit. d Hausgesetz). Lautet das Disziplinarerkenntnis auf Absetzung des Fürsten, so ist es allerdings im Landesgesetzblatt zu veröffentlichen (Art. 14 Abs. 2 lit. e Hausgesetz).E. Volljährigkeit und VormundschaftGemäss Art. 6 Abs. 1 Hausgesetz gilt hinsichtlich der Volljährigkeit der Mitglieder des Fürstlichen Hauses das liechtensteinische Gesetz, somit gelangt Art. 29 Abs. 2 LV zur Anwendung, wonach die Volljährigkeit an die Vollendung des 18. Lebensjahres anknüpft. In Angelegenheiten des Hauses sind die männlichen Mitglieder von der Vollendung des 18. Lebensjahres an volljährig.[101] Die Bestimmung regelt demnach nicht nur eine allfällige Vormundschaft des Fürsten, wie in Art. 3 LV anklingt, sondern aller Mitglieder des Fürstlichen Hauses.Art. 6 Abs. 2 Hausgesetz bestimmt, dass der Fürst im Falle einer Thronfolge, Regentschaft oder Stellvertretung, einzelne Mitglieder des Fürstlichen Hauses schon vor dem Eintritt der gesetzlichen Volljährigkeit als volljährig erklären kann. Ist der Fürst selbst minderjährig oder handlungsunfähig, geht dieses Recht auf den Familienrat über. Art. 17 Hausgesetz trifft Regelungen über die Vormundschaft und Regentschaft: Grundsätzlich ist in den Fällen, in denen für einen liechtensteinischen Staatsangehörigen ein Vormund oder ein Beistand zu bestellen ist, auch für ein Mitglied des Fürstlichen Hauses ein Vormund oder ein Beistand zu bestellen. Es entscheidet jedoch kein Gericht, sondern der Fürst.[102] Betrifft diese Frage den Fürsten, die Fürstin oder eines ihrer Kinder, so entscheidet der Familienrat (Abs. 1). Im Falle der Entmündigung eines Fürsten ist ebenfalls nach den Bestimmungen des Art. 17 Abs. 2 Hausgesetz ein Regent zu bestellen. Es ist davon auszugehen, dass die Erwähnung der Vormundschaft in Art. 3 LV auch die Regelungen über die Regentschaft, wie sie in Art. 17 Hausgesetz geregelt sind, einschliesst.[103] Die Erwähnung der rein privatrechtlichen Seite der Vormundschaft in Art. 3 LV hätte nämlich keinen Sinn, wenn sie nicht auch die Möglichkeit einschliessen würde, für den noch minderjährigen Fürsten oder den entmündigten Fürsten einen Regenten zu bestellen.[104]F. Weitere RegelungsinhalteWeitere staatsrechtlich relevanten Regelungsinhalte des Hausgesetzes beziehen sich auf den Misstrauensantrag gegen den Fürsten (Art. 16 Hausgesetz), wonach nicht der Familienrat, sondern die Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses darüber zu entscheiden hat. Die übrigen Bestimmungen (etwa über Titel – Art. 3 Hausgesetz – oder Eheschliessung – Art. 7 Hausgesetz[105]) betreffen das Fürstliche Haus als solches und sind unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten nicht weiter zu untersuchen. In den Schlussbestimmungen (Art. 18 Abs. 2 Hausgesetz) wird statuiert, dass die Verfassung das Hausgesetz weder verändern noch aufheben kann, ebenso die vom Fürstentum Liechtenstein abgeschlossenen zwischenstaatlichen Verträge. In diese ist, soweit erforderlich, ein entsprechender Vorbehalt aufzunehmen. Diese Bestimmung ist missverständlich: Das Hausgesetz als autonomes Satzungsrecht des Fürstenhauses kann, wie oben (Kapitel III.B.) klargestellt, von der Verfassung zwar nicht formell abgeändert werden. Es ist jedoch die Verfassung, welche den Inhalt des Art. 3 LV bestimmt und damit die Frage der rechtlichen Relevanz des Hausgesetzes gegenüber Aussenstehenden determiniert. Dasselbe gilt für das Völkerrecht. Aus Art. 18 Abs. 2 Hausgesetz ergibt sich auch kein rechtlich verbindlicher Auftrag an die Regierung die darin postulierten allfälligen Vorbehalte in zwischenstaatliche Verträge aufzunehmen. Dies deshalb, weil das Hausgesetz nur im Rahmen der Ermächtigung des Art. 3 LV staatsrechtliche Verbindlichkeit entfaltet. Eine Änderung des Hausgesetzes kann nur auf Antrag des Fürsten, des Familienrates oder von mindestens zehn Prozent der stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses beschlossen werden. Zur Annahme des Antrages ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit aller stimmberechtigten Mitglieder des Fürstlichen Hauses notwendig (Art. 18 Abs. 3). Dem Fürsten steht ein Vetorecht gegen die Annahme des Antrages zu, sofern dieser nicht von ihm selbst eingebracht worden ist. Der Fürst hat in diesem Fall aber einen Gegenvorschlag vorzulegen. Kommt keine Einigung zwischen Fürst und Initianten auf einen gemeinsamen Text zustande, ist über beide Vorschläge abzustimmen. Jener Vorschlag gilt als angenommen, der die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht hat.[106] |
Über Erwerb und Verlust des Staatsbürgerrechtes bestimmen die Gesetze. The acquisition and loss of Liechtenstein citizenship shall be determined by the laws. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Historische EntwicklungA. Nebeneinander von Gemeindebürgern und Untertanen im 19. JahrhundertIn der Dienstinstruktion von 1808 wurde nicht geregelt, wie das Bürgerrecht erlangt wird. Dasselbe galt für die Landständische Verfassung von 1818, wobei sie nicht von Bürgern, sondern von Untertanen sprach. 1818 war eine Regelung insofern nicht mehr dringend nötig, als das für Liechtenstein mit der „Fürstlichen Verordnung betreffend die Einführung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, der allgemeinen österreichischen Gerichtsordnung und des österreichischen Gesetzbuches über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen vom 18. Februar 1812“[3] auch für Liechtenstein anwendbar erklärte ABGB Bestimmungen über den Erwerb des Staatsbürgerrechts enthielt. Sie nannten als Grundsätze den Erwerb durch Geburt für Kinder eines Staatsbürgers (§ 28 ABGB) und für die Einbürgerung von Fremden unter anderem das Erfordernis eines ununterbrochenen zehnjährigen Wohnsitzes (§ 29 ABGB). Sie gingen aber nicht näher in die Details und regelten das Verhältnis zwischen Staats- und Gemeindebürgerrecht nicht.Mit Datum vom 15. Januar 1843 erliess der Landesfürst die Verordnung über den Erwerb der Staatsbürgerschaft[4] und führte damit einzelne Fragen einer detaillierten Regelung zu. Vor Erteilung der Staatsbürgerschaft waren die Gemeinden anzuhören (§ 2), ihre Stellungnahme war jedoch nicht verbindlich (§ 3). Die Verordnung über den Erwerb der Staatsbürgerschaft beschränkte sich auf das Erlangen der Staatsbürgerschaft, oder – wie es § 1 ausdrückte – auf den Eintritt in den „fürstlichen Staatsverband als Unterthan“. Das Gemeindebürgerrecht regelte das Gemeindegesetz.[5]Erst im Entwurf des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848[6] fand sich eine Regelung über die Staatsangehörigkeit. Und zwar sah er vor, dass jeder Bürger einer Gemeinde zugleich auch Staatsbürger sein solle (§ 9) und der Erwerb und Verlust des Gemeinde- und des Staatsbürgerrechts durch die Gesetze bestimmt werden (§ 11). Dabei machte der Verfassungsentwurf klar, dass nicht jedem Staatsbürger ein mit wirtschaftlichen Nutzungsrechten verbundenes Gemeindebürgerrecht zustehen würde (§ 10).[7]§ 6 KonV war bereits ähnlich formuliert wie Art. 30 LV. Er lautete: „Über Entstehung und Erwerbung, über Verlust und Untergang des Staatsbürgerrechtes und der Landangehörigkeit bestimmen die Gesetze.“ Das § 6 KonV umsetzende Gesetz über das Staatsbürgerrecht vom 28. März 1864[8] sprach lediglich von Erwerbung und Verlust und vermied den Begriff der Landangehörigkeit. Kinder von ledigen Liechtensteinerinnen und von Liechtensteinern erlangten gemäss dem Gesetz das Staatsbürgerrecht durch Geburt und Ausländerinnen durch die Heirat mit einem Liechtensteiner, während Liechtensteinerinnen bei der Heirat mit einem Ausländer ihr Staatsbürgerrecht verloren (und folglich auch nicht an ihre Kinder weitergeben konnten). Für die Einbürgerung von Ausländern war die „Aufnahmszusicherung“ der Wohngemeinde notwendig (§ 3 lit. b Staatsbürgerrechtsgesetz 1864). Es konnte demnach ab 1864 keine neue Staatsangehörige mehr geben ohne Gemeindebürgerrecht. Seine Regelung fand das Gemeindebürgerrecht in §§ 23 ff. GemG 1864.[9]B. Fortgeltung der alten Grundsätze unter der Verfassung von 1921Die Verfassungsentwürfe aus den Jahren 1920 und 1921 brachten keine neuen Aspekte in die Diskussion. In den Schlossabmachungen war das Staatsbürgerrecht kein Thema. Die bis heute geltende Formulierung von Art. 30 LV stammt aus dem Verfassungsentwurf von Josef Peer. Dass mit der Formulierung von Art. 30 LV keine Neuordnung angestrebt wurde, zeigte sich auch daran, dass das Gesetz vom 28. März 1864 über die Erwerbung und über den Verlust des liechtensteinischen Staatsbürgerrechts weiterhin in Kraft blieb.Erst mit dem Gesetz vom 4. Januar 1934 erfolgte eine Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes, wobei an den folgenden Grundsätzen nichts geändert wurde: ius sanguinis, Kopplung der Staatsangehörigkeit der Ehefrau an die des Gatten, Notwendigkeit, für die Aufnahme in das Landesbürgerrecht die Zusicherung einer Gemeinde vorzuweisen, kein Zugang der neu Eingebürgerten und ihrer Nachkommen zum Gemeindenutzen[10].Die 1926 in das PGR aufgenommene (klassische[11]) Finanzeinbürgerung[12] wurde mit dem BüG von 1934 aufgehoben (§ 23 BüG). Gemäss § 6 lit. d und § 7 lit. g BüG 1934 war es jedoch weiterhin möglich, das Staatsbürgerrecht „ausnahmsweise“ ohne ordentlichen Wohnsitz im Land zu erlangen und nicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit zu verzichten.[13] Entsprechende Einbürgerungen wurden – gegen hohe Zahlungen an Land und Gemeinden – weiterhin verliehen.[14] Sie stellten – wenn auch im Land selber[15] und im Ausland[16] nicht unbestritten – eine wichtige Einnahmequelle für das Land und vor allem für die Gemeinden[17] dar.[18] Überdies ermöglichten sie in den späten 1930er-Jahren einigen jüdischen Menschen die Ausreise aus Europa.[19] Erst mit der Fassung des BüG vom 2. November 1960[20] wurde zwingend ein Wohnsitz von fünf Jahren im Land verlangt (§ 6 Abs. 1 lit. d BüG 1960)[21] und damit den klassischen Finanzeinbürgerungen die Grundlage entzogen.[22] Von 1919 bis 1955 hatten 645 Personen die liechtensteinische Staatsangehörigkeit mittels Finanzeinbürgerung erhalten.[23]Die Beendigung der Praxis der Finanzeinbürgerungen war eine Reaktion auf das Urteil Nottebohm des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag vom 6. April 1955.[24] Es äusserte sich nicht zu den Voraussetzungen und Wirkungen der Einbürgerungen im Staat, der die Einbürgerung vornahm,[25] sondern zur Frage, ob Liechtenstein gemäss internationalem Recht die Interessen von Friedrich Nottebohm gegenüber Guatemala (wo Nottebohm während Jahrzehnten ein Unternehmen geführt und gewohnt hatte)[26] wahren durfte.[27] Der Internationale Gerichtshof kritisierte nicht die Tatsache, dass Nottebohm für die liechtensteinische Staatsangehörigkeit 37‘500 Fr. bezahlt hatte,[28] sondern dass er in diesem Zeitpunkt weder Wohnsitz in Liechtenstein hatte noch die Absicht zeigte, künftig einen solchen zu begründen,[29] sondern rasch nach Guatemala[30] zurückkehrte.[31] Der Internationale Gerichtshof verneinte damit die „Effektivität der Staatsangehörigkeit“ und sprach ihr internationalrechtliche Wirkungen ab.[32]C. Tiefgreifende Revisionen des Bürgerrechtsgesetzes ab den 1970er-JahrenWährend Art. 30 LV seit 1921 unverändert ist, durchlief das Bürgerrechtsgesetz verschiedene Revisionen. Im Folgenden sollen die wichtigsten genannt werden.[33]1. Übersicht über die RevisionenDie Revision vom 11. Juli 1974 sah Erleichterungen für unehelich geborene Kinder vor[34] und führte dazu, dass Liechtensteinerinnen, die einen Ausländer heirateten, ihr Bürgerrecht behalten konnten (Art. 2 und 4 Gesetz vom 11. Juli 1974).[35] In den Übergangsbestimmungen (Art. 6 Gesetz vom 11. Juli 1974) erhielten Liechtensteinerinnen, die das Bürgerrecht durch Eheschliessung verloren hatten, die Möglichkeit, ihr früheres Gemeinde- und Landesbürgerrecht wiederzuerlangen.[36] Nach wie vor konnten mit einem Ausländer verheiratete Liechtensteinerinnen ihr Bürgerrecht jedoch nicht an ihre Kinder weitergeben (Art. 1 Gesetz vom 11. Juli 1974).[37]Seit der Revision vom 11. April 1984[38] erhielten Ausländerinnen durch die Heirat mit einem Liechtensteiner nicht mehr automatisch das liechtensteinische Bürgerrecht.[39] Sie hatten neu erst nach frühestens drei Jahren einen Anspruch auf die Verleihung des Landes- und Gemeindebürgerrechts. Dabei mussten sie auf ihr bisheriges Bürgerrecht verzichten (Art. 2 Gesetz vom 11. April 1984).[40] Die Gleichstellung von ausländischen Ehegattinnen und Ehegatten erfolgte mit der Revision vom 20. Juni 1996.[41] Zugleich wurde die Einbürgerung ausländischer Kinder liechtensteinischer Mütter attraktiver, indem sie nicht mehr auf ihr ausländisches Bürgerrecht verzichten mussten.[42] Allerdings galt hierfür gemäss der Übergangsbestimmung eine Altersgrenze (noch nicht vollendetes vierzigstes Altersjahr) und eine Frist von fünf Jahren. Von 1986 bis 1996 hatte es für die ausländischen Kinder liechtensteinischer Mütter lediglich die Möglichkeit einer erleichterten Einbürgerung unter Verzicht auf die ausländische Staatsangehörigkeit gegeben (Art. 2 Gesetz vom 14. Oktober 1986[43]).[44]Ende 1995 verlangten mehrere Kinder von liechtensteinischen Müttern die Staatsangehörigkeit. Wenn ehelich geborene Kinder durch Geburt das Landesbürgerrecht des Vaters erhielten, so müssten sie wegen Art. 31 Abs. 2 LV als Kinder einer Liechtensteinerin das Bürgerrecht ebenfalls per Geburt erhalten.[45] Gemäss StGH 1996/36[46] war es korrekt, dass sich die Regierung weigerte, das Gesetz wie von den Beschwerdeführern gewünscht auszulegen. Die Regierung hatte die Revision durch den Gesetzgeber abzuwarten.[47] In der Folge erklärte der StGH jedoch die Übergangsbestimmung im Gesetz vom 20. Juni 1996 für verfassungswidrig. Wegen der unechten Rückwirkung von Art. 31 Abs. 2 LV habe jedes Kind einer liechtensteinischen Mutter „von Verfassungs wegen ohne weiteres Anspruch auf das liechtensteinische Landes- bzw. das jeweilige Gemeindebürgerrecht“.[48] Folglich hatten und haben alle Kinder liechtensteinischer Mütter (ohne Altersgrenze, ohne Wohnsitzerfordernis und ohne Pflicht, auf die ausländische Staatsangehörigkeit zu verzichten) Anspruch auf das liechtensteinische Bürgerrecht.[49]Erst seit der Revision von 1996 geben auch die mit einem Ausländer verheirateten Liechtensteinerinnen ihr Bürgerrecht automatisch an ihre Kinder weiter.[50]Mit der Revision vom 12. April 2000[51] wurde für Ausländer mit einem mehr als dreissig Jahre dauernden Wohnsitz („längerfristiger Wohnsitz“ respektive „alteingesessene Ausländer“ genannt; die Jahre bis zum 20. Lebensjahr zählen doppelt) ein Anspruch auf Aufnahme in das Landes- und Gemeindebürgerrecht im erleichterten Verfahren geschaffen[52] und damit ein altes Postulat erfüllt.[53] Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidungen und Verfügungen der Regierung (§ 22b BüG) brachte die Revision vom 27. November 2003.[54] Umfangreiche Änderungen enthielt auch die Revision vom 17. September 2008.[55] Seither werden genügende Kenntnisse der deutschen Sprache und der Staatskunde verlangt (§ 4c BüG) und haben Staatenlose einen Anspruch auf Einbürgerung (§ 5c BüG)[56]. Die Anzahl von Ausländern, die einen Antrag auf Einbürgerung im ordentlichen Verfahren stellen (§ 6 f. BüG), ist gesunken.2. Durchsetzung der Gleichbehandlung der GeschlechterIm Laufe der Jahre musste der Grundsatz des einheitlichen Bürgerrechts in der Familie dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter weichen. Während ursprünglich die Ehefrau ihrem Gatten nachfolgte, werden seit Mitte der 1970er-Jahre beide Geschlechter gleich behandelt.[57] Dabei erfolgte sogar eine rückwirkende Korrektur, indem Liechtensteinerinnen, die ihre Staatsangehörigkeit verloren hatten, einen Antrag auf Wiederaufnahme ins Bürgerrecht stellen konnten. Hiervon profitierten nach den Revisionen von 1986 und 1996 auch ihre minderjährigen und erwachsenen Kinder. Ausgelöst wurde diese Änderung nicht durch gewandelte Vorstellungen über die Staatsangehörigkeit, sondern durch die Entwicklungen im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter.3. Ausdehnung des Anspruches auf EinbürgerungDass Personen mit längerfristigem Aufenthalt (§ 5a BüG) und Staatenlose (§ 5b BüG) seit der Revision vom 17. September 2008 unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Einbürgerung haben und somit das Gesetz den in § 12 Abs. 2 BüG formulierten Grundsatz für einzelne Personenkategorien durchbricht, stellt ebenso wenig einen Konflikt mit Art. 30 LV dar wie die Änderungen im Ehegattenbürgerrecht. Art. 30 LV können keine inhaltlichen Vorgaben an das Staatsbürgerrecht entnommen werden. Er regelt lediglich die Zuständigkeiten. Überdies stehen alle Neuerungen im Einklang mit weiteren Verfassungsbestimmungen wie dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter in Art. 31 Abs. 2 LV oder mit dem völkerrechtlichen Grundsatz der Vermeidung von Staatenlosigkeit.4. Die während aller Revisionen beibehaltenen GrundsätzeBis heute müssen alle Antragsteller auf ihre bisherige(n) Staatsangehörigkeit(en) verzichten (Verbot der doppelten Staatsangehörigkeit, § 5 Abs. 1 lit. c, § 5a Abs. 1 lit. c, § 6 Abs. 1 lit. c BüG).[58]Bei allen Revisionen wurde das Prinzip des ius sanguinis (§ 3 lit. a, § 4 BüG) nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, es wurde vom Vater auf die Mutter ausgedehnt. Die Geburt in Liechtenstein[59] oder der Wohnsitz von Mutter oder Vater im Zeitpunkt der Geburt des Kindes spielten nie eine Rolle.[60] In diesem Punkt folgte das liechtensteinische Recht dem ius sanguinis-Prinzip konsequent. Der 2008 geschaffene Anspruch auf Einbürgerung bei längerfristigem Wohnsitz ist das einzige ius soli-Element. An der Abhängigkeit der Aufnahme ins Landesbürgerrecht von der Erteilung des Gemeindebürgerrechts (§ 2, § 6 Abs. 1 lit. b BüG) und am Grundsatz, dass kein Anspruch auf die Verleihung des Landesbürgerrechts besteht (§ 12 Abs. 2 BüG), wurde nie gerüttelt.II. Völkerrechtliche VorgabenDie Staatsangehörigkeit kann als rechtliche Beziehung einer Person zu ihrem Heimatstaat bezeichnet werden.[61] Kälin/Künzli bringen die Vorgaben des Völkerrechts folgendermassen auf den Punkt: „Das Völkerrecht anerkennt grundsätzlich kein Recht auf Erwerb einer bestimmten Staatsangehörigkeit, und es legt nicht fest, nach welchen Grundsätzen sie zu verleihen ist.“[62] Jeder Staat regelt die Staatsangehörigkeit seiner Bürger eigenständig.[63] Dennoch sind die Staaten nicht gänzlich frei.[64]Die EMRK gewährleistet kein Recht auf Einbürgerung.[65] Unter Umständen kann Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzt sein,[66] z.B. wenn das nationale Recht für ehelich und ausserehelich geborene Kinder Unterschiede vorsieht.[67] Vor der EMRK hält es jedoch stand, wenn ein Staat von den Einbürgerungswilligen eine gewisse Loyalität ihm gegenüber verlangt.[68] Als sich ein (angeblich staatenloser) ehemaliger Offizier der Sowjetarmee beklagte, dass ihm Estland die Einbürgerung aus Sicherheitsgründen verweigerte, argumentierte der Menschenrechtsausschuss der UNO (Human Rights Committee CCPR), Art. 26 UNO-Pakt II[69] sei nicht verletzt, weil sich Gerichte mit dem Fall befasst hatten und von staatlicher Seite nicht Gründe vorgebracht worden waren, die nicht vernünftig oder nicht objektiv waren.[70]Weil das UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) vom 18. Dezember 1979 für das Fürstentum Liechtenstein am 21. Januar 1996 in Kraft getreten ist,[71] sind unterschiedliche Normen für Ehefrauen und Ehemänner und für die Weitergabe des Bürgerrechts durch Mutter und Vater nicht mehr zulässig (Art. 9 CEDAW). Unzulässig sind auch mit der Rasse, der Hautfarbe, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum begründete Unterscheidungen zwischen Antragstellern.[72]Das Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6. Mai 1963 (SEV-Nr. 043)[73], das Schwierigkeiten in Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit verringern wollte, und das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 (SEV-Nr. 166)[74], das Fragen zur „Staatsangehörigkeit natürlicher Personen sowie Vorschriften zur Regelung der Wehrpflicht in Fällen der Mehrstaatigkeit“ regelt, hat Liechtenstein nicht unterzeichnet. Die Verpflichtung der Antragsteller, auf die bisherige Staatsangehörigkeit zu verzichten, wird in Liechtenstein nicht mit den Nachteilen von Mehrstaatigkeit begründet, sondern damit, dass der Verzicht den Tatbeweis für die Integration darstelle.[75]Das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 (sog. New Yorker Übereinkommen)[76] und das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954[77] sind für das Fürstentum Liechtenstein 2009 in Kraft getreten.[78] Staatenlosigkeit kann dadurch bekämpft werden, dass Staatenlosen der Erwerb der Staatsbürgerschaft erleichtert wird.[79] Dies geschieht durch § 5b BüG für junge, im Inland geborene Staatenlose.[80] Staatenlosigkeit kann zusätzlich durch Regeln beim Verlust der Staatsangehörigkeit vermieden werden. Solche Regeln finden sich in § 18 Abs. 1 lit. b BüG, § 20a Abs. 2 BüG, § 21 Abs. 1 BüG.[81]III. Verhältnis von Landes- und GemeindebürgerrechtA. Gegenseitige AbhängigkeitDer Anwendungsbereich von Art. 30 LV ist auf das Landesbürgerrecht beschränkt. Wie in Kapitel I.B ausgeführt, kann das Landesbürgerrecht seit 1864 (siehe § 6 Abs. 1 lit. b BüG) nur erteilt werden, wenn dem Bewerber vorgängig ein Gemeindebürgerrecht zugesichert worden ist. Den Erwerb und Verlust des Gemeindebürgerrechts regelt gemäss Art. 110 Abs. 2 lit. d LV das Gemeindegesetz.Diese Abhängigkeit von der Zusicherung des Gemeindebürgerrechts wird für verschiedene Personengruppen durchbrochen,[82] indem ihnen das BüG einen Anspruch auf das Landes- und das Gemeindebürgerrecht zugesteht. Damit entfällt das Einbürgerungsverfahren auf kommunaler Ebene. Das kommunale Verfahren mit der in Art. 21 Abs. 3 GemG vorgesehenen Abstimmung durch die Bürgerversammlung wird nur noch in den Fällen der ordentlichen Einbürgerung durchlaufen. Sprechen sich die Gemeindebürger für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts aus, sind Landtag und Landesfürst frei,[83] das Landesbürgerrecht zu erteilen.[84] Lehnen dies Landtag oder Fürst ab, erlangt der Antragsteller das ihm zuvor zugesicherte Gemeindebürgerrecht nicht. Es ist nämlich gemäss Art. 14 zweiter Satz GemG nicht zulässig, Gemeindebürger zu sein, ohne das Landesbürgerrecht zu besitzen. Entsprechend verliert eine Person, der das Landesbürgerrecht entzogen wird, automatisch ihr Gemeindebürgerrecht (§ 22 BüG und Art. 22 lit. a GemG).[85]B. Durchbrechung des in Art. 110 Abs. 2 lit. d LV verankerten GrundsatzesDer Grundsatz von Art. 110 Abs. 2 lit. d LV, dass die Gemeinden über die Aufnahme von Bürgern bestimmen, wird im BüG mehrfach durchbrochen. Erstmals 1974, indem Liechtensteinerinnen, die ihr Bürgerrecht durch Heirat verloren hatten, ihr angestammtes Landes- und Gemeindebürgerrecht ohne Mitwirkung der betreffenden Gemeinde wiedererlangen konnten[86] und indem später auch ihre Kinder ihr Landes- und Gemeindebürgerrecht erlangen konnten. Über diese Fälle der Rückbürgerungen hinaus regelt das BüG (durch die Revisionen von 1984, 2000 und 2008) auch den Erwerb des Gemeindebürgerrechts für ausländische Ehegatten, Fremde mit längerfristigem Wohnsitz und Staatenlose. § 5 Abs. 1, § 5a Abs. 1 und § 5b Abs. 1 BüG verschaffen Ausländern mit einem liechtensteinischen Ehegatten respektive Ausländern in eingetragener Partnerschaft mit einem liechtensteinischen Partner einen Anspruch auf das Landesbürgerrecht und zusätzlich auf das Gemeindebürgerrecht ihres Ehegatten/eingetragenen Partners und Ausländern mit längerfristigem Wohnsitz und Staatenlosen einen Anspruch auf das Bürgerrecht am ordentlichen Wohnsitz (Art. 20 GemG). Entsprechend haben die Gemeinden bei der Einbürgerung dieser Personen keine Mitbestimmungsrechte.[87] Ihnen kommt gemäss § 5a Abs. 6 BüG lediglich ein Anhörungsrecht zu, in dem sie Einwendungen erheben können. Der Entscheid liegt bei der Regierung.[88]In der Vernehmlassung hatten 1999 zwei Gemeinden ein Veto- respektive Entscheidungsrecht verlangt.[89] Die Regierung lehnte dies mit dem Argument ab, es solle Parallelität zu den anderen Fällen der erleichterten Einbürgerung geschaffen werden. Es handle sich um eine Anspruchseinbürgerung, weshalb die Einbürgerung vollzogen werden müsse, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Würden zwei Behörden über die Anträge abstimmen, könne dies zu Kompetenzkonflikten führen. Überdies könnte es zu „einer unterschiedlichen Praxis in den verschiedenen Gemeinden führen, was problematisch wäre“.[90] Diese Ausführungen sind korrekt. Sie zeigen die Probleme des ordentlichen Verfahrens. Bei den ordentlichen Einbürgerungen haben nämlich Behörden von Gemeinden und Land Kompetenzen. Es kann nicht verhindert werden, dass sich in den Gemeinden eine unterschiedliche Praxis herausbildet. Indem bei allen Fallkonstellationen der erleichterten Einbürgerung auf die erleichterte Einbürgerung der ausländischen Ehegattinnen Bezug genommen wurde, wurde die in der Verfassung vorgezeichnete Kompetenzordnung wohl übersehen. BuA Nr. 97/1999 z.B. erwähnte das den Gemeinden zukommende und im GemG geregelte Recht der Gemeinden, das Gemeindebürgerrecht zu verleihen, mit keiner Silbe.[91] Indem Ausländerinnen bis zur Revision von 1984 mit der Heirat automatisch die Staatsangehörigkeit und das Gemeindebürgerrecht ihres Ehegatten erhalten hatten, entschied nicht die Bürgerversammlung. Insofern wurden den Gemeinden 1984 mit der Neuregelung für die ausländischen Ehegattinnen von Liechtensteiner Bürgern keine Kompetenzen entzogen. Wohl aber verloren die Gemeinden 2000 und 2008 mit der erleichterten Einbürgerung von alteingesessenen Ausländern und Staatenlosen Kompetenzen. Es stellt sich die Frage, ob dies vor Art. 110 Abs. 2 lit. d LV standhält.[92]Weil die Aufnahme in das Landesbürgerrecht nur erfolgen darf, wenn die Gemeinde das Gemeindebürgerrecht zugesichert hat, würde ein Anspruch auf das Landesbürgerrecht ins Leere laufen, wenn das BüG den Bewerbern bloss den Anspruch auf das Landesbürgerrecht gäbe. Insofern besteht ein öffentliches Interesse an einer für alle Bewerber geltenden Regelung, die den Gemeinden keinen Freiraum lässt, sondern das Verfahren in den Händen der Regierung konzentriert (siehe § 5a Abs. 6 und § 5b Abs. 7 BüG). Dies gilt für die hier interessierenden Personenkategorien umso mehr, als die Bekämpfung der Staatenlosigkeit einem völkerrechtlichen Grundsatz entspricht und von der erleichterten Einbürgerung aufgrund längerfristigen Wohnsitzes (wegen der Doppeltzählung der Jahre bis zum 20. Lebensjahr [§ 5a Abs. 1 lit. a BüG]) vor allem Jugendliche und junge Erwachsene profitieren, deren Einbürgerung völkerrechtlich erwünscht ist.[93]Art. 110 Abs. 2 lit. d LV spricht nur von „Aufnahme von Bürgern“. Er verlangt demnach nicht zwingend, dass über den Antrag jedes einzelnen Bewerbers das gemäss GemG zuständige Organ beschliesst.[94] Verschiedene Kategorien von Bewerbern zu bilden und den Gemeinden für sie unterschiedlich weit gehende Kompetenzen zuzuweisen, hält vor Art. 110 Abs. 2 lit. d LV Stand. Aus rechtspolitischer Sicht ist es allerdings unbefriedigend, dass das ordentliche Einbürgerungsverfahren, in dem die Gemeinden die von der Verfassung vorgesehenen Kompetenzen ausüben, an Bedeutung verloren hat.IV. Die allgemeinen EinbürgerungsvoraussetzungenWelche Rechtsstellung mit der Staatsangehörigkeit verbunden ist, regelt nicht Art. 30 LV. Art. 30 LV erstreckt sich nur auf Erwerb und Verlust des Bürgerrechts.Die Wendung „bestimmen die Gesetze“ findet sich auch in Art. 32 Abs. 3 LV und Art. 110 Abs. 1 LV. Wie dort ist damit gemeint, dass sich alle weiteren grundlegenden Regelungen in Landesgesetzen finden, und nicht bloss in Verordnungen.[95] Dies schliesst nicht aus, dass die Gesetzesbestimmungen durch Ausführungen in Verordnungen[96] ergänzt werden.A. Die Voraussetzungen bezüglich Leumund, Sprache, Landeskenntnissen und finanzieller VerhältnisseMit der Revision des BüG vom 17. September 2008 wurden detaillierte Voraussetzungen eingeführt für sämtliche Einbürgerungen (also auch für die Fälle, in denen ein Anspruch auf Einbürgerung besteht) bezüglich Leumund[97], finanzieller Verhältnisse[98], Sprach- und Staatskundekenntnissen.[99] Die Vorgaben bezüglich Unbescholtenheit und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (§§ 4b f. BüG) wurden aus dem österreichischen Bürgerschaftsgesetz rezipiert.[100] Die Regierung hob hervor, dass dadurch „auf bereits bestehende Judikatur und gegebene Behördenpraxis aus Österreich zurückgegriffen werden“ könne. Wo die entsprechende Praxis dokumentiert ist und ob die Regierung bestimmte Urteile für Liechtenstein für wegweisend hielt, lässt sich BuA Nr. 80/2008 allerdings nicht entnehmen.[101]Diese allgemeinen Voraussetzungen stellen für die Antragsteller eine Erschwerung dar.[102] Sie halten jedoch vor der Verfassung und dem Völkerrecht stand, sehen diese doch keinen Anspruch auf das Staatsbürgerrecht vor. Art. 30 LV garantiert überdies nicht gleich bleibende Voraussetzungen, sondern verweist auf die Gesetze. Insofern wären auch weitere Verschärfungen durch die Verfassung gedeckt. Generell dienen detaillierte Regeln der Gleichbehandlung der Antragsteller.Gute Deutschkenntnisse erleichtern die Integration und bilden eine Voraussetzung für das Ausüben der politischen Rechte. Es erscheint deshalb sinnvoll, Ausländern einen Anreiz zu setzen, die Sprache schnell zu lernen. Eine andere Frage ist, ob § 4c BüG tatsächlich motivierend wirkt.[103] Überdies stellt sich die Frage, ob Integration als einmaliger Vorgang mit einem klar definierten Ende betrachtet wird oder als Prozess, der sich über Jahre hinzieht und auch mit dem Erlangen der Staatsbürgerschaft noch nicht abgeschlossen ist. Die Verfassung macht diesbezüglich keine Vorgaben.Die in § 4c Abs. 2 lit. c BüG vorgesehene Ausnahme von den Nachweisen über genügende Deutschkenntnisse und von der Staatskundeprüfung für „Bewerber, denen aufgrund ihres hohen Alters oder dauerhaft schlechten Gesundheitszustandes die Erbringung der Nachweise nicht möglich ist“, muss insbesondere auch auf Personen angewendet werden, die unter einer intellektuellen Behinderung leiden oder nie Gelegenheit hatten, ausreichend lesen und schreiben zu lernen. Es würde eine Diskriminierung darstellen, Menschen mit stark beschränkten intellektuellen Fähigkeiten oder ohne Grundbildung den Zugang zur liechtensteinischen Staatsangehörigkeit kategorisch zu verweigern. Dies gilt umso mehr, als es auch gebürtige Liechtensteiner geben kann (vor allem unter denen, die nie in Liechtenstein Wohnsitz hatten), die der deutschen Sprache nicht mächtig sind und keine Kenntnisse über das Land haben.Problematisch ist die Voraussetzung in § 4b Abs. 1 lit. d und § 4b Abs. 3 BüG, dass während der letzten drei Jahre vor der Antragstellung keine Sozialhilfeleistungen bezogen worden sein dürfen und gewährleistet sein muss, dass der Lebensunterhalt des Bewerbers „hinreichend gesichert“ ist, also für die Zukunft „eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen“ möglich ist.[104] StGH 2004/48 Erw. 2.3 anerkannte nämlich ein ungeschriebenes Grundrecht auf Existenzsicherung.[105] Die Ausübung eines Grundrechts (Anspruch auf Existenzsicherung) kann m.E. nicht dafür herhalten, dass der Betreffende in einem anderen Bereich von den Vorteilen einer staatlichen Leistung (Einbürgerung) ausgeschlossen wird. Eine historische Erklärung wäre, dass die Sozialhilfe bis weit ins 20. Jahrhundert hinein am Gemeindebürgerrecht anknüpfte[106] und unter bestimmten Umständen noch heute Ausländern, die seit längerer Zeit in erheblichem Umfang von der Sozialhilfe abhängig sind, das Aufenthaltsrecht entzogen werden kann.[107]Da das Völkerrecht dem Einzelnen keinen Anspruch auf Einbürgerung verschafft, das Grundrecht auf ein Existenzminimum bezüglich Trägerschaft nur schwache Konturen zeigt und keinen Anspruch auf Aufenthalt im Land vermittelt[108] und Art. 30 LV keine Einbürgerungskriterien nennt, ist die vom Gesetzgeber vorgenommene Höhergewichtung der abstrakten finanziellen Interessen des Landes jedoch zulässig. In einem konkreten Fall könnte es jedoch rechtsmissbräuchlich sein,[109] die hinreichende Sicherung des Lebensunterhaltes zu verneinen, wenn ein Antragsteller lediglich während kurzer Zeit geringfügig unterstützt werden musste und sich seine finanziellen Verhältnisse seither verbessert haben[110] oder wenn die Sozialhilfeleistungen an einen jungen Menschen mit finanzschwachen Eltern ausgerichtet wurden, während er sich in Ausbildung befand.[111] Gemäss StGH 2014/066 lag in einem Fall, in dem ein Antragsteller nie Sozialhilfe (wohl aber während eines Jahres Arbeitslosenentschädigung) bezogen hatte, keine Willkür vor, als der VGH die finanziellen Verhältnisse negativ beurteilte.B. EinbürgerungsgebührenSowohl im erleichterten als auch im ordentlichen Verfahren ist eine Gebühr zu entrichten (§ 5 Abs. 7 und 8 BüG, § 5b Abs. 8 BüG, § 10 BüG). [112] Eine Gesetzes- oder Verordnungsbestimmung, welche die Höhe der Gebühr festsetzt, ist nicht auszumachen. Für die Einbürgerung im ordentlichen Verfahren wird (§ 10 zweiter Satz BüG) an der Gebühr für die Einbürgerung in der Gemeinde angeknüpft. Für diese findet sich in Art. 21 Abs. 3 GemG eine gesetzliche Grundlage, aber ebenfalls ohne Anknüpfungspunkte für die Bemessung. Da es somit für die erleichterte und die ordentliche Einbürgerung an einer Bemessungsgrundlage fehlt, liegt eine Verletzung des Legalitätsprinzips im Abgaberecht vor.[113]V. Verfassungsrechtliche Stellung der AntragstellerA. Keine unbesehene Übernahme der österreichischen und schweizerischen RechtsprechungWie in Kapitel IV.A ausgeführt, bediente sich die Revision vom 17. September 2008 beim österreichischen Recht. Es kennt wie das liechtensteinische Recht für Bewerber im ordentlichen Verfahren keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Gemäss der österreichischen Rechtsprechung[114] können abgelehnte Bewerber eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Fremden geltend machen. Dieser lässt nur Ungleichbehandlungen zu, für die ein vernünftiger Grund erkennbar ist und die nicht unverhältnismässig sind. Überdies muss die Ablehnung ausreichend und nachvollziehbar begründet werden.[115] Ob die Gleichbehandlung der Ausländer und die Pflicht zur Begründung auch für Liechtenstein gelten (und falls ja, ob sie nur für die aus Österreich übernommenen Bestimmungen oder generell gelten sollen), wurde 2008 nicht diskutiert. Eine sorgfältige Prüfung des liechtensteinischen Rechts – das mit dem Hintereinander von Zusicherung des Gemeindebürgerrechts und Verleihung des Landesbürgerrechts Ähnlichkeiten mit dem Schweizer Recht aufweist[116] – ist umso mehr von Nöten, als es auch in der Schweiz lange dauerte, bis die Rechtsprechung[117] die Anforderungen an die Einbürgerungsverfahren klärte und die Beschwerdelegitimation von abgelehnten Bewerbern bejahte.B. Einbürgerung im erleichterten Verfahren§ 5 Abs. 1 BüG, § 5a Abs. 1 BüG und § 5b Abs. 1 BüG machen mit dem Begriff „Anspruch“ klar, dass Ehegatten, Ausländer mit längerfristigem Wohnsitz und Staatenlose unter den gegebenen Voraussetzungen eingebürgert werden müssen. Allerdings gilt es zu beachten, dass nicht ein grundrechtlicher Anspruch auf Einbürgerung geschaffen wurde.[118] Abgelehnte Antragsteller können sich deshalb nicht auf ein spezifisches Grundrecht berufen.[119]Das Verfahren wird durch die Regierung geführt.[120] Sie entscheidet nach Anhörung der Gemeinden[121] (§ 5 Abs. 6, § 5a Abs. 6, § 5b Abs. 7 BüG). Es liegt demnach ein Verwaltungsverfahren vor. Folglich sind der Gleichheitsgrundsatz,[122] das Diskriminierungsverbot und das Willkürverbot[123] zu beachten und muss die Regierung ihren Entscheid begründen (Art. 83 Abs. 3 und Abs. 4 LVG)[124]. Folgerichtig kann beim VGH gegen die Entscheidungen und Verfügungen der Regierung Beschwerde erhoben werden (§ 22b BüG). Zu beachten gilt, dass gemäss ständiger Rechtsprechung des StGH das Gleichheitsgebot nur dann betroffen ist, „wenn zwischen (zumindest) zwei konkreten Fällen verglichen werden kann.“ Bei der Beurteilung eines Einzelfalles kann daher gemäss Rechtsprechung des StGH „höchstens Willkür vorliegen“.[125] Dies hindert Antragsteller jedoch nicht, sich auf Art. 31 Abs. 1 LV zu berufen.[126]Auch die Aberkennung (§ 21 BüG) erfolgt in einem Verwaltungsverfahren. Beim Entscheid, ob das Bürgerrecht auch dann aberkannt werden darf, wenn der Betroffene staatenlos wird, kommt der Regierung kein Ermessen zu.[127]C. Einbürgerung im ordentlichen Verfahren2008 sagte die Regierung über die ordentliche Einbürgerung, sie habe sich „in der Vergangenheit in der Praxis gut bewährt und wird darüber hinaus auch nur von wenigen Einbürgerungswilligen genutzt.“[128] In der Tat sind die Zahlen im Vergleich zu den 1970er- und 1980er-Jahren stark und im Vergleich zu den 1990er-Jahren klar gesunken.[129] Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sich viele Einbürgerungswillige im ordentlichen Verfahren wenig Chancen ausrechnen und deshalb warten bis sie die Voraussetzungen für die erleichterte Einbürgerung wegen längerfristigen Wohnsitzes erfüllen.[130]Die Einbürgerungsstatistik des Amtes für Statistik führt die von den Gemeinden (wie auch die vom Landtag oder dem Landesfürsten[131]) abgelehnten Gesuche nicht auf. Aus Medienberichten und Veröffentlichungen der Gemeinden geht hervor, dass in den letzten Jahren immer wieder Gesuche abgelehnt wurden.[132] Aus welchen Gründen, ist mangels öffentlicher Diskussion und wegen der geheimen Urnenabstimmung nicht bekannt.[133]1. Entscheid von Bürgerversammlung, Landtag und LandesfürstGemäss Art. 21 Abs. 3 erster Satz GemG entscheiden „die in der Gemeinde wohnhaften Gemeindebürger“, konkret die sog. Bürgerversammlung. Das sind die in der Gemeinde wohnhaften Stimm- und Wahlberechtigten, die über das Gemeindebürgerrecht verfügen. Seit Jahren wurden keine Versammlungen mehr durchgeführt, sondern nur noch Urnenabstimmungen ohne vorherige Informationsveranstaltung oder öffentliche Diskussion.Das Verfahren um Verleihung des Landesbürgerrechts kann erst eingeleitet werden, wenn die Gemeinde dem Bewerber die Verleihung des Gemeindebürgerrechts zugesichert hat (§ 6 Abs. 1 lit. b BüG). Das Gesuch ist bei der Regierung einzureichen (§ 7 Abs. 1 BüG). Sie leitet das Verfahren, verfügt aber materiell über keine Entscheidungsbefugnis. § 12 Abs. 1 erster Satz BüG ist so zu verstehen, dass die Regierung jedes Gesuch, das die formellen Voraussetzungen erfüllt, dem Landtag zu unterbreiten hat. Heisst dieser das Gesuch gut, muss es die Regierung dem Landesfürsten vorlegen. Er entscheidet gemäss § 12 Abs. 1 zweiter Satz BüG als letzte Instanz. Hat der Landtag ein Gesuch abgelehnt, wird es dem Landesfürsten nicht vorgelegt.In den letzten Jahren stimmte der Landtag – zuerst in offener Abstimmung, nun mittels Stimmzetteln – ohne Wortmeldung über die Einbürgerungsgesuche ab.[134] Er scheint allen Gesuchen zuzustimmen. Über die Entscheidfindung des Landesfürsten ist nichts bekannt.2. Gemäss herkömmlicher Auffassung kein Anspruch und keine GrundrechtsbindungFür das ordentliche Verfahren hält § 12 Abs. 2 BüG ausdrücklich fest, dass niemandem ein Anspruch zukommt. Für das Gemeindebürgerrecht findet sich keine analoge Aussage. In Lehre und Praxis herrscht jedoch Einigkeit, dass auf das Gemeindebürgerrecht kein Anspruch besteht und es sich um eine sog. Ermessenseinbürgerung[135] handelt, bei welcher das zuständige Organ „eine absolute Ermessenentscheidung“ trifft, die nicht mittels Rechtsmittel einer Überprüfung zugeführt werden darf[136].[137] Begründet wird dies damit, dass die Verleihung des Gemeindebürgerrechts gemäss Art. 12 Abs. 2 lit. c GemG zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinde gehört und damit unter die Gemeindeautonomie fällt.[138] „Ein allfälliges Beschwerderecht gegen den Entscheid der Bürgerversammlung in materieller Hinsicht“ würde gemäss Regierung „gegen die Gemeindeautonomie verstossen“.[139] Im Übrigen muss ihrer Meinung nach „auch der direkt demokratische Anspruch der Gemeindebürger auf Ausübung ihres Stimmrechtes mittels (…) Bürgerabstimmung berücksichtigt werden“.[140]Wanger hält fest, dass bis jetzt „nicht ausjudiziert“ sei, ob es sich „um begründungspflichtige Verwaltungsakte oder um rein politische Entscheidungen handelt, für welche die Begründungspflicht kein Erfordernis darstellt“.[141] Die Antwort wäre gemäss Wanger „wesentlich für die Beantwortung der Frage, ob die Gemeindeorgane im Rahmen von Einbürgerungsabstimmungen an die Grundrechte gebunden sind und somit ihre Entscheidungen zu begründen haben.“[142]3. Anspruch auf ein rechtsstaatlich korrektes VerfahrenEs ist Wanger zuzustimmen, wenn er ausführt: „Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Abstimmungen in der Gemeinde über die Aufnahme von Ausländern in das Landesbürgerrecht einen willkürlichen Charakter haben können. Ohne dass die Gemeinde Gründe für ihren Entscheid darlegt, können diskriminierende und somit verfassungsrechtlich fragwürdige Entscheidungen nicht ausgeschlossen werden.[143] Problematisch ist auch die Tatsache, dass gegen ablehnende Einbürgerungsentscheide der Gemeinden kein Rechtsmittel gegeben ist.“[144]Art. 110 Abs. 2 lit. d LV äussert sich nicht dazu, welches Organ in welchem Verfahren und gestützt auf welche Kriterien beschliesst. Daraus zu schliessen, Art. 110 Abs. 2 lit. d LV lasse dem betreffenden Organ freie Hand, welche Ausländer das Gemeindebürgerrecht erhalten, drängt sich nicht auf, widerspricht dem Wortlaut jedoch auch nicht. Es soll deshalb geprüft werden, ob die herkömmliche Auffassung heute noch vor der Verfassung standhält. Sowohl das GemG als auch das BüG behandeln alle auf das ordentliche Verfahren verwiesenen Antragsteller gleich.[145] Insofern findet keine Diskriminierung in der Rechtsetzung statt.[146] Die von der Praxis für sich reklamierte Freiheit bezieht sich nur auf den materiellen Entscheid (das „Ja“ oder „Nein“ in der Abstimmung).Soweit es um die Abwicklung des Verfahrens geht, handelt es sich um ein Verwaltungsverfahren. Der Entscheid über die Gewährung des Bürgerrechts hat den Charakter einer Verfügung, mit der individuell-konkret über den rechtlichen Status von Einzelpersonen befunden wird.[147] Art. 14–23 GemG enthalten ausser der Bezeichnung des zuständigen Organs keine verfahrensrechtlichen Vorgaben. Dasselbe gilt für den Entscheid von Landtag und Landesfürst. Die durch die Verfassung garantierten Rechte auf eine rechtsgleiche, diskriminierungsfreie und nicht willkürliche Behandlung und die Verfahrensgrundrechte (insbesondere des Recht auf Begründung[148]) müssen deshalb beachtet werden. Es wäre z.B. nicht zulässig, nicht alle Gesuche, welche die formellen Voraussetzungen erfüllen, der Bürgerversammlung vorzulegen oder einzelne Gesuche schneller zu behandeln.4. Kritik an der herkömmlichen Auffassung wegen der gewandelten Bedeutung des GemeindebürgerrechtsWeil der Wortlaut von Art. 110 Abs. 2 lit. d LV nichts über die Freiheit der Bürgerversammlung sagt, drängt sich ein Blick in die Geschichte auf. Die Gemeindegesetze von 1842 und 1864 unterschieden verschiedene Kategorien von Einwohnern. Das Gemeindebürgerrecht garantierte seinen Inhabern wirtschaftliche Rechte und die Mitbestimmung bei der Verwendung des Gemeindenutzens.[149] Mit der 1996 vorgenommenen Trennung in (politische) Gemeinden und Bürgergenossenschaften hat das Bürgerrecht diese Funktion verloren. Die Aufnahme in die (wirtschaftliche Rechte verleihende) Bürgergenossenschaft erfolgt unabhängig vom Erlangen des Gemeinde- und Landesbürgerrechts (§ 13 BüG und Art. 3 Gesetz über die Bürgergenossenschaften[150]). Mit dem Gemeindebürgerrecht sind keine wirtschaftlichen Rechte mehr verbunden. Auch die Sozialhilfe knüpft nicht mehr am Gemeindebürgerrecht an.[151]Die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts dient heute v.a. als „Eintrittsticket“ in die Staatsbürgerschaft und die mit ihr vermittelten Rechte. Darunter fällt gestützt auf Art. 111 LV das Recht, die politischen Rechte auf kommunaler Ebene auszuüben. Exklusive Rechte, die Einwohnern ohne Gemeindebürgerrecht nicht zukommen, vermittelt das Gemeindebürgerrecht so gut wie nicht mehr.[152] Die Teilnahme an der Bürgerversammlung ist die einzige per Landesgesetz vermittelte Position, die am Gemeindebürgerrecht anknüpft.[153]Diese gewandelte Bedeutung des Gemeindebürgerrechts spricht gegen die Machtkonzentration in den Händen der Bürgerversammlung der einzelnen Gemeinden. Solange es darum ging zu entscheiden, wer zur Nutzung der gemeinschaftlich bewirtschafteten Flächen und Güter zugelassen wird, ging es um einen die Bürger unmittelbar in ihrem Alltag und in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen betreffenden Entscheid, bei dem Sympathie oder Antipathie gegenüber dem Bewerber eine gewisse Rolle spielen durften. Heute vermittelt das Gemeindebürgerrecht als Voraussetzung für das Landesbürgerrecht jedoch in erster Linie politische Rechte. Bei diesem Entscheid sollten ausformulierte Kriterien massgebend sein, so wie sie in § 4c BüG und in geringerem Masse auch § 4b BüG aufgestellt werden.5. Kein Schutz der herkömmlichen Auffassung durch die GemeindeautonomieDer Hinweis von Lehre und Praxis auf die Gemeindeautonomie ist wegen der Verankerung des Rechts der Gemeinden zur Verleihung des Bürgerrechts in Art. 110 Abs. 2 lit. d LV und der Aufzählung in Art. 12 Abs. 2 lit. c GemG berechtigt. Art. 110 Abs. 2 lit. d LV schützt das Recht der Gemeinden, an den Einbürgerungsverfahren mitzuwirken. Er schützt nicht die Bürgerversammlung als Organ oder das bis jetzt gepflegte Verfahren.Die Frage lautet, ob die Autonomie so weit geht, dass die Bürgerversammlung ohne Rücksicht auf Rechtsgleichheit, Diskriminierungs- und Willkürverbot entscheiden darf oder ob sich der in der Verfassung verankerte Anspruch, von der öffentlichen Hand rechtsgleich und willkürfrei behandelt zu werden und keiner Diskriminierung ausgesetzt zu werden, auch auf das ordentliche Einbürgerungsverfahren erstreckt. Für Letzteres spricht, dass die Gemeinden auch für die Tätigkeiten im eigenen Wirkungskreis an die Grundrechte gebunden sind. Die Gemeinden sind als Träger der Staatsgewalt nämlich grundrechtsverpflichtet.[154] Dies umso mehr bei Tätigkeiten, die in die Rechtsposition einzelner Personen eingreifen und ihr Verhältnis zur öffentlichen Hand regeln.Eine völlig freie Hand der Bürgerversammlung liesse sich nur rechtfertigen, wenn sie für die Verwirklichung der Gemeindeautonomie notwendig wäre. Die Gemeindeautonomie dient der Selbstverwaltung. Sie garantiert Unabhängigkeit von den Organen des Landes.[155] Die Gemeinden sollen ihre Angelegenheiten selber regeln, die ihnen wichtig erscheinenden Aufgaben priorisieren, ein eigenes Profil entwickeln. Dies geschieht, indem sie ihre Organe frei wählen und die erforderlichen Sachabstimmungen durchführen. Vorgaben, wer in das Gemeindebürgerrecht aufgenommen werden darf und wer unter welchen Voraussetzungen aufgenommen werden muss und damit die politischen Rechte auf Ebene Gemeinde erhält, beeinflussen die Willensbildung in den Gemeinden, weil sie die Zusammensetzung des Elektorats bestimmen. Die Zusammensetzung der Stimm- und Wahlberechtigten verändert sich jedoch auch durch den Zuzug von Liechtensteinern aus anderen Gemeinden oder aus dem Ausland, durch das Erwachsenwerden von Jugendlichen und den Wegzug oder Tod von Stimm- und Wahlberechtigten.Vorliegend geht es überdies nicht darum, dass den Gemeinden vorgegeben wird, wer einzubürgern ist. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Frage, ob die Gemeinden beim Entscheid, wer das Gemeindebürgerrecht erhält, an die Grundrechte gebunden sind oder nicht. Dabei ist die Unabhängigkeit vom Land insofern gewahrt, als nicht ein Organ des Landes vorschreibt, welche Person eingebürgert werden muss. Ebenso wenig wird vorgegeben, wie viele Personen pro Jahr einzubürgern sind oder wie sich diese z.B. bezüglich Herkunft, Beruf, Religion etc. zusammensetzen müssen. Vielmehr geht es um die Rahmenbedingungen, so wie das Gesetz den Gemeinden bereits jetzt Vorgaben macht, indem sie nur Personen einbürgern dürfen, die seit mindestens zehn Jahren Wohnsitz im Land haben (§ 6 Abs. 1 lit. d BüG). Es gibt deshalb keinen Grund, Antragstellern im ordentlichen Verfahren den Schutz durch das Diskriminierungsverbot, die Rechtsgleichheit und das Willkürverbot zu versagen. StGH 2005/97 Erw. 4.5 führte explizit aus, dass auch eine politische Behörde (in concreto der Landtag) in der Lage ist respektive sein muss, ein faires Verfahren durchzuführen, also insbesondere dem rechtlichen Gehör und der Begründungspflicht Rechnung zu tragen.Dass jede Gemeinde eine eigene Praxis entwickelt, liegt nicht im öffentlichen Interesse. Weil das Landesbürgerrecht von der Zusicherung des Gemeindebürgerrechts abhängt, hat das Land vielmehr ein Interesse daran, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme ins Landesbürgerrecht im ganzen Land denselben Grundsätzen verpflichtet sind, nämlich dem Respekt vor den Grundrechten.Der Vergleich mit den durch Art. 110 Abs. 2 lit. a LV geschützten Gemeindewahlen hinkt. Bei Wahlen kann nur eine beschränkte Anzahl Personen gewählt werden. Die Wahlberechtigten kommen nicht umhin, eine Auswahl zu treffen. Erst bei den nächsten Wahlen können sie neu entscheiden. Bei der Einbürgerung muss die Bürgerversammlung keine Auswahl treffen. Die Anzahl Pässe ist nicht limitiert. Überdies geht es beim Entscheid über die Einbürgerung nicht um Repräsentation, sondern um eine Selbstergänzung des Elektorates. Während der Wahlberechtigte diejenigen Personen auswählen kann, die ihm am ähnlichsten sind und von denen er sich am besten vertreten fühlt, geht es bei den Einbürgerungen darum, die Gemeinschaft der Stimm- und Wahlberechtigten um Personen zu vergrössern, die seit Jahren Teil der Gemeinschaft sind und von ihren Entscheiden betroffen sind.Der Gesetzgeber zeigte bezüglich Ehegatten, Staatenlosen und seit dreissig Jahren im Land wohnhaften Ausländern wenig Hemmungen, den Gemeinden Kompetenzen wegzunehmen. Weshalb er sich bei der ordentlichen Einbürgerung stärker zurückhalten sollte, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil, je mehr Personen von der erleichterten Einbürgerung profitieren, desto besser müsste m.E. begründet werden, warum die auf den ordentlichen Weg verwiesenen Antragsteller schlechter gestellt sein sollen.6. Fragen zum RechtsschutzDa abgelehnte Antragsteller keine Begründung erhalten, haben sie keine Möglichkeit, die Motive der Stimmenden nachzuprüfen. Damit wird ihnen das rechtliche Gehör verweigert. Bei einer Beschwerde an den StGH muss es wegen der fehlenden Begründung genügen, wenn der Antragsteller geltend macht, er vermute Diskriminierung oder Willkür. Dies dürfte ihm z.B. gelingen, wenn er einen Namen trägt, der auf ein Herkunftsland schliessen lässt, von dem bereits mehrere Bewerber abgelehnt worden sind, oder wenn er bekannterweise einer Religion oder Konfession angehört, die in den Medien negativ dargestellt worden war.[156]Angesichts der Einigkeit in den Materialien, dass gegen den Entscheid der Bürgerversammlung kein ordentliches Rechtsmittel ergriffen werden kann, ist der Entscheid der Bürgerversammlung eine enderledigende letztinstanzliche Entscheidung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 StGHG. Unzweifelhaft liegt ein „formeller Individualakt der öffentlichen Gewalt“[157], also ein „hoheitlicher Individualakt“ vor.[158] Bei der Verweigerung der Einbürgerung handelt es sich nämlich um einen individuell-konkreten, gegen eine einzelne Person gerichteten Akt, mit welchem ihr der Zugang zu einem bestimmten, vom Gesetz definierten Status verweigert wird.[159] Durch die Verweigerung ist die Person nicht schlechter gestellt als vor Einreichen des Einbürgerungsgesuches. Sie wird jedoch benachteiligt gegenüber den Ausländern, denen die liechtensteinische Staatsbürgerschaft verliehen worden ist, und gegenüber den gebürtigen Liechtensteinern. Wer behauptet, rechtsungleich oder willkürlich behandelt oder gar diskriminiert worden zu sein, macht eine Verletzung in verfassungsmässig gewährleisteten Rechten geltend.Gemäss ständiger Rechtsprechung des StGH ist das Gleichheitsgebot nur betroffen, „wenn zwischen (zumindest) zwei konkreten Fällen verglichen werden kann.“ Bei der Beurteilung eines Einzelfalles kann daher gemäss Rechtsprechung des StGH „höchstens Willkür vorliegen“.[160] Überdies ist der Gleichheitssatz in der Rechtsanwendung gemäss Rechtsprechung des StGH nur verletzt, „wenn die gleiche Behörde den gleichen Sachverhalt ohne sachliche Gründe unterschiedlich behandelt.“[161] Folgt der StGH seiner bisherigen Rechtsprechung, dürfte er nur die von der betreffenden Gemeinde vorgenommenen Einbürgerungen zum Vergleich beiziehen. Weil in einzelnen Gemeinden nur alle paar Jahre ein ordentliches Einbürgerungsverfahren durchgeführt wird,[162] könnte dies dazu führen, dass sich der Beschwerdeführer nur auf Willkür berufen dürfte. Es sei denn, er mache eine die Menschenwürde tangierende Diskriminierung wegen seines Geschlechts, seiner Religion, der ethnischen Zugehörigkeit oder seiner Sprache geltend. In diesen Fällen gilt ein strengerer Massstab.[163]7. Grundrechtsbindung von Landtag und LandesfürstWie die Gemeinden sind auch der Landtag und der Landesfürst bei der Ausübung ihrer Aufgaben grundsätzlich an die Grundrechte gebunden.[164] Es ist zu prüfen, ob ihnen § 12 Abs. 2 BüG ein Ermessen zuweist, das sie von der Einhaltung der Minimalgarantien eines fairen Verfahrens befreit.M.E. handelt es sich bei der Verleihung des Landesbürgerrechts nicht um einen „weitgehend freien politischen Ermessensentscheid“ wie bei Wahlen,[165] wo Landtag und Landesfürst unter den geeigneten Personen eine Auswahl zu treffen haben und bei zu kleiner Auswahl unter Umständen sogar Personen ernennen müssen, die nicht alle Voraussetzungen erfüllen. Gegen eine freie Auswahl ohne Respektierung von minimalen Kriterien sprechen § 4b und § 4c BüG. Der Gesetzgeber wollte mit ihnen für die Fälle, in denen ein Anspruch auf Einbürgerung besteht, minimale Anforderungen, um „stossende und mehrfach kritisierte“ Anspruchseinbürgerungen nicht vornehmen zu müssen.[166] Die Bestimmungen regeln, „ab wann und unter welchen Voraussetzungen einem Ausländer das liechtensteinische Landesbürgerrecht verliehen werden darf“ respektive wann es „eben nicht verliehen werden kann“.[167] Welche Bedeutung den Bestimmungen im ordentlichen Verfahren zukommt, wurde nicht diskutiert. Eine Bestimmung über das „Gesamtverhalten“ des Antragsstellers, welche dem Landtag (und dem Landesfürsten) die Möglichkeit eröffnet hätte, Gesuche trotz erfüllter Voraussetzungen von § 4b und § 4c BüG abzulehnen, hat die Regierung nach negativen Rückmeldungen im Vernehmlassungsverfahren nicht in den Antrag an den Landtag übernommen.[168] Als Kriterien, an denen sich der Entscheid der Behörden hätte orientieren können, wurden genannt: „Einbindung in das öffentliche Leben und in das soziale Umfeld“, Ausüben einer Beschäftigung und „keine Hinweise auf fundamentalistisches, staatsfeindliches oder menschenverachtendes Gedankengut“, sondern eine Orientierung an den „Grundwerten eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft“, wobei nicht „eine Verpflichtung (…) zur Integration[169]“ aufgestellt worden wäre.[170] Zur Begründung für die Streichung dieses Paragraphen führte die Regierung aus: „Zum anderen hat sich gezeigt, dass dieser Paragraph eigentlich nicht notwendig ist, weil die Verleihungsvoraussetzungen und Hindernisse umfassend im § 4b als objektiv messbare Kriterien definiert und abschliessend aufgezählt worden sind. Aus diesem Grund ist (…) mit dem geschlossenen System von § 4b und 4c das Auslangen zu finden.“[171]M.E. sind § 4b und § 4c BüG deshalb so zu verstehen, dass für die erleichterte Einbürgerung keine weiteren Kriterien beigezogen werden dürfen. Für die ordentlichen Einbürgerungsverfahren ist es Landtag und Landesfürst nicht verwehrt, weitere Kriterien beizuziehen. Sie dürfen Bewerber nicht rechtsungleich, willkürlich oder gar diskriminierend behandeln. Indem die Regierung den Behörden für den ursprünglich vorgeschlagenen Paragraphen zum Gesamtverhalten Kriterien nannte, machte sie klar, dass sich jeder Entscheid an einem objektiven Massstab orientieren muss und sachlich zu begründen ist.Spätestens seit der Revision vom 17. September 2008, mit der § 4b und § 4c BüG eingeführt wurden, ist deshalb eine Bindung von Landtag und Landesfürst an die Grundrechte auch bei den ordentlichen Einbürgerungsverfahren zu bejahen. § 12 Abs. 2 BüG kann deshalb nur so verstanden werden, dass gegen den Entscheid von Landtag und Landesfürst kein ordentliches Rechtsmittel ergriffen werden kann. Da es sich bei der Verweigerung der Einbürgerung um einen hoheitlichen Individualakt handelt,[172] ist die Individualbeschwerde an den StGH zulässig.[173]D. UngleichbehandlungenDer Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung des Staatsbürgerrechts an die Grundrechte gebunden.[174] Es ist deshalb zu prüfen, ob die folgenden Ungleichbehandlungen vor der Verfassung standhalten.1. Verbot der doppelten StaatsangehörigkeitDas Verbot der mehrfachen Staatsangehörigkeit gilt (siehe § 5 Abs. 1 lit. c, § 5a Abs. 1 lit. c, § 6 Abs. 1 lit. c BüG) nur für Ausländer, welche die liechtensteinische Staatsangehörigkeit erwerben wollen.[175] Für Liechtensteiner, die eine weitere Staatsangehörigkeit anstreben, bestehen keine Einschränkungen (sog. asymmetrische Regelung[176]). Liechtensteiner haben keine Nachteile zu gewärtigen, wenn sie per Geburt, Eheschliessung oder auf eine andere Art und Weise eine weitere Staatsangehörigkeit erhalten.[177]Die Ungleichbehandlung von Ausländern, die Liechtensteiner werden wollen, und Personen, die bereits Liechtensteiner sind, hält gemäss StGH 1997/13 Erw. 3.2 f.[178] vor der Verfassung stand.[179] Art. 31 Abs. 1 LV verbietet nicht jede Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen und Ausländern.[180] Auch das Völkerrecht verbietet eine solche Ungleichbehandlung nicht.[181] Begründet wird die Pflicht, die bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben, in Liechtenstein damit, sie stelle den Tatbeweis dafür dar, dass der Antragsteller in Liechtenstein integriert ist.[182] M.E. zeigt die Bereitschaft, die bisherige Nationalität aufzugeben, lediglich, dass das liechtensteinische Bürgerrecht für wertvoller eingeschätzt wird als das bisherige.Das Gesetz macht nicht nur einen Unterschied zwischen gebürtigen Liechtensteinern und Ausländern, sondern auch zwischen Ausländern, deren Heimatrecht einen Verzicht auf die Staatsangehörigkeit kennt, und solchen, deren Heimat keinen Verzicht kennt. Faktisch kommt eine weitere Ungleichbehandlung dazu zwischen Eingebürgerten, welche die Möglichkeit haben, in ihrer ursprünglichen Heimat um die Wiedereinbürgerung nachzusuchen, und solchen, deren Heimatland dies nicht vorsieht. Überdies erschwert es der erzwungene Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit Liechtenstein, zu Unrecht Eingebürgerten die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Sie würden nämlich staatenlos.[183]Das Verbot der doppelten Staatsangehörigkeit findet seine Grundlage nicht in der Verfassung und stellt keinen allgemeinen Grundsatz mehr dar.[184] Die entsprechenden Gesetzesbestimmungen könnten vom Gesetzgeber aufgehoben werden.[185] Der Europarat empfiehlt Liechtenstein, „Schritte zu ergreifen, welche die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit für Nichtstaatsangehörige erleichtern, die wünschen, über die Einbürgerung die Staatsangehörigkeit von Liechtenstein zu erwerben.“[186]§ 16a BüG verankert den Grundsatz der effektiven Staatsangehörigkeit im Gesetz. Das bedeutet für Liechtensteiner mit mehrfacher Staatsangehörigkeit, dass im Land die liechtensteinische Staatsangehörigkeit massgebend ist und ihnen Liechtenstein gegenüber ihren übrigen Heimatstaaten keinen Schutz zuteil kommen lässt.[187]2. Schlechterstellung von eingebürgerten Ehegatten bei der Weitergabe der StaatsangehörigkeitGemäss § 5 Abs. 1 lit. d BüG hat der Ehegatte eines Liechtensteiners nur dann Anspruch auf die erleichterte Einbürgerung, wenn der liechtensteinische Ehegatte das Bürgerrecht nicht seinerseits durch Eheschliessung erworben hat. Damit wird eine Kategorie von Eingebürgerten gegenüber gebürtigen Liechtensteinern und gegenüber Eingebürgerten, die das Bürgerrecht aufgrund von Staatenlosigkeit, längerfristigem Wohnsitz oder im ordentlichen Verfahren erlangt haben, schlechter gestellt.[188] Nach Beendigung der Ehe können sie ihr Bürgerrecht an weitere Kinder weitergeben, aber nicht an einen neuen Ehegatten.Da ein Ausländer, der einen liechtensteinischen Staatsangehörigen heiratet und mit der Heirat Wohnsitz in Liechtenstein begründet, die liechtensteinische Staatsangehörigkeit bereits nach fünf Jahren erlangen kann, erscheint die Ungleichbehandlung, die erst im Falle einer Wiederverheiratung ansetzt, nicht willkürlich. Sie kann zwar nicht verhindern, dass die das Bürgerrecht begründende Ehe relativ rasch nach der Einbürgerung aufgelöst wird und ein neuer Ehegatte eine Aufenthaltsbewilligung erhält. Sie senkt die Attraktivität einer solchen zweiten Ehe jedoch ein Stück weit. Insofern kann sie dem Kampf gegen Scheinehen dienen.[189]3. Sonderregelungen für die Mitglieder des fürstlichen HausesEine Sonderregelung sieht das Gesetz für die Mitglieder des fürstlichen Hauses vor. Sie haben gemäss § 2 BüG und Art. 14 erster Satz GemG kein Gemeindebürgerrecht[190] und sind gemäss Art. 3 Abs. 1 Hausgesetz in jedem Falle liechtensteinische Staatsangehörige. Verzichten sie auf die liechtensteinische Staatsangehörigkeit oder wollen sie sich wiedereinbürgern lassen, ist gemäss Art. 3 Abs. 3 Hausgesetz der Landesfürst zuständig. Inwiefern diese Sonderregelung notwendig ist, ist nicht ersichtlich. Sie widerspricht dem allgemeinen Gleichheitssatz von Art. 31 Abs. 1 LV und den Bestimmungen des BüG. Dasselbe gilt für die Verleihung der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit an die Ehegattinnen des Landesfürsten und der Prinzen mit der Hochzeit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 Hausgesetz). Art. 3 LV verweist nur für die Bereiche Thronfolge, Volljährigkeit und Vormundschaft auf das Hausgesetz, nicht auch für die Staatsangehörigkeit. Folglich können die das Landesbürgerrecht betreffenden Bestimmungen des Hausgesetzes keine Wirkungen entfalten.[191]VI. Landesehrenbürgerrecht§ 72 der Einführungs- und Übergangsbestimmungen zum PGR[192] wird als erste Grundlage für die Finanzeinbürgerungen genannt, obwohl er das Ehrenbürgerrecht regelte. Es konnte Personen verliehen werden, die den Interessen des Landes dienten, insbesondere „durch Hebung der Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten der Bevölkerung“ oder durch die „Hebung der Staats- oder Gemeindeeinnahmen“. Die Gemeinden konnten (mit Zustimmung der Regierung) und die Regierung konnte (im Einvernehmen mit der Finanzkommission des Landtages) das Gemeinde- respektive das Landesehrenbürgerrecht verleihen.Seit dem Inkrafttreten von § 16 BüG vom 4. Januar 1934 erfolgt die Verleihung des Landesehrenbürgerrechts auf Antrag der Regierung durch den Fürsten und ist für die Verleihung des Gemeindeehrenbürgerrechts an Ausländer seine Zustimmung nötig. 1958 legte der Landtag fest,[193] dass das Landesehrenbürgerrecht „ehrenhalber unentgeltlich und unvererblich“ verliehen wird und dem Betroffenen insbesondere den Genuss der Grundrechte und des aktiven und passiven Wahlrechts inklusive des liechtensteinischen Passes verschafft. 1965 wünschte die Regierung, dass das Landesehrenbürgerrecht nur noch das Recht zur Niederlassung beinhaltet. Der Fürst war damit nicht einverstanden.[194] Auf sein Betreiben hin war nämlich kurz zuvor das Landesehrenbürgerrecht an den vermögenden Medienunternehmer Richard Gruner und dessen Frau verliehen worden. Gruner hatte in eine marode Druckerei des Fürstenhauses investiert und offenbar als Gegenleistung die liechtensteinische Staatsangehörigkeit gefordert.[195]§ 16 BüG ist immer noch in Kraft. Ob der Fürst in den letzten Jahren jemandem das Landesehrenbürgerrecht verliehen hat, ist nicht bekannt.[196] Dies ist zu bedauern, wird doch mit dem Landesehrenbürgerrecht nicht zuletzt auch das Stimm- und Wahlrecht verliehen und damit Einfluss auf den Stimmkörper genommen.[197] Die in Art. 23 GemG geregelte Verleihung des Gemeindeehrenbürgerrechts, mit der das Recht verliehen wird, jederzeit in der Gemeinde Wohnsitz zu nehmen und die politischen Rechte in Gemeindeangelegenheiten wahrzunehmen, wird ebenfalls nicht in die Einbürgerungsstatistik aufgenommen.[198]VII. Rechte, die aus der Staatsbürgerschaft fliessenVerschiedene Rechte – wie insbesondere das Stimm- und Wahlrecht und früher auch die Grundrechte[199] – knüpfen an der Staatsangehörigkeit an. Geklärt werden soll hier, ob es heute noch Rechte gibt, die dem Einzelnen allein deswegen zustehen, weil er Landesbürger ist.Soweit ersichtlich, sind dies die folgenden Rechte:Die ersten beiden Ansprüche leiten sich aus Art. 30 LV ab. Der Schutz von Staatsangehörigen im Ausland entspricht allgemeinen völkerrechtlichen Gepflogenheiten. Art. 3 Protokoll Nr. 4 zur EMRK[205] schützt vor der Ausweisung aus dem Heimatstaat. Er schützt jedoch nicht vor der Auslieferung an einen anderen Staat zum Zweck der Strafverfolgung.[206] Überdies sieht die EU mit dem Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten[207] die Auslieferung eigener Staatsangehöriger ausdrücklich vor. Art. 7 ZIGG[208] regelt die Überstellung von Landesangehörigen an den Internationalen Strafgerichtshof und andere internationale Gerichte. Der Rahmenbeschluss und die besonderen Regeln für die Strafverfolgung durch internationale Gerichte zeigen, dass nicht von einem absoluten völkerrechtlichen Schutz vor Auslieferung an Strafverfolgungsbehörden ausgegangen werden darf.Da sich in der Verfassung kein Hinweis auf einen umfassenden Schutz findet,[209] besteht kein verfassungsmässiges Recht der liechtensteinischen Staatsangehörigen, zur Strafverfolgung nicht an einen fremden Staat ausgeliefert zu werden. Art. 12 Abs. 1 RHG[210], gemäss dem Landesbürger nur mit ihrer Zustimmung ausgeliefert werden dürfen, dürfte demnach abgeändert werden. Ebenso dürfte Liechtenstein wie Island und Norwegen[211] ein Übereinkommen mit der Europäischen Union schliessen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. |
1) Alle Landesangehörigen sind vor dem Gesetze gleich. Die öffentlichen Ämter sind ihnen unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gleich zugänglich. |
1) Die Freiheit der Person, das Hausrecht und das Brief- und Schriftengeheimnis sind gewährleistet. |
1) Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen, Ausnahmsgerichte dürfen nicht eingeführt werden. |
1) Die Unverletzlichkeit des Privateigentums ist gewährleistet; Konfiskationen finden nur in den vom Gesetze bestimmten Fällen statt.2) Das Urheberrecht ist gesetzlich zu regeln. 1) The inviolability of private property shall be guaranteed; confiscations may only take place in such cases as determined by law.Entstehung und MaterialienLiteraturVorbemerkungI. Art. 34 Abs. 1 LV: EigentumsgarantieA. Historische EntstehungDer Wortlaut von Art. 34 Abs. 1 LV ist bis heute unverändert so, wie er damals in der Stammfassung der Verfassung von 1921 in Kraft getreten ist. In seiner Entstehungsgeschichte reicht er zurück bis auf die erste Fassung von Josef Peers Regierungsvorlage vom Februar 1921, welche ihn bereits, wie daraufhin auch die zweite Fassung, vollständig in seiner später Verfassungstext gewordenen Version vorsah.Im Verfassungsentwurf Wilhelm Becks vom Januar 1919 war demgegenüber als Art. 18 die Eigentumsgarantie noch anders, wenngleich bereits ähnlich statuiert gewesen: „Das Eigentum der Einzelnen und Korporationen ist unverletzlich u. gewährleistet. // Es dürfen daher Vermögen, wie einzelne Sachen nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen eingezogen werden.“ Daneben war in Becks Verfassungsentwurf im darauffolgenden Art. 19[1] für die öffentlichen[2] juristischen Personen, also Gemeinden, öffentliche Genossenschaften, (öffentliche) Korporationen, die Kirche und (öffentliche) Stiftungen, überdies eine gesonderte Eigentumsgarantie mit weiteren Bestimmungen beabsichtigt gewesen. Die Rezeptionsvorlage, auf die sich Beck für Art. 18 Abs. 1 und Art. 19 seines Entwurfes gestützt hatte, waren Art. 31 Abs. 1[3] und Art. 32[4] der St. Galler Kantonsverfassung von 1890. Eine unmittelbare Vorläuferbestimmungen von Art. 34 Abs. 1 LV findet sich in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 nicht. Allerdings können darin zwei Vorschriften namhaft gemacht werden,[5] aus denen einzelne Aspekte in Art. 34 Abs. 1 LV eingegangen sind:Eine vergleichbare ratio legis wie Art. 34 Abs. 1 LV, wenngleich mit anderer Stossrichtung, verfolgte § 14 KonV,[9] welcher lautete: „Das Eigenthum oder sonstige Rechte und Gerechtsame[10] können für Zwecke des Staates oder einer Gemeinde nur in den durch die Gesetze bestimmten Fällen und Formen und gegen vorgängige volle Entschädigung in Anspruch genommen werden.“ Somit ist § 14 KonV in erster Linie die Vorläuferbestimmung für Art. 35 Abs. 1 LV und für die Enteignung.[11] Einzig sein Gesetzeserfordernis („nur in den durch die Gesetze bestimmten Fällen und Formen“), dieses rezipiert aus § 20 der Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen von 1833,[12] ging später in Art. 34 Abs. 1 LV ein („nur in den vom Gesetze bestimmten Fällen“) und ist in Art. 35 Abs. 1 LV nicht mehr genannt. Eine Eigentumsgarantie schien in § 14 KonV im Wortlaut nicht auf, sie war ihm allenfalls inhärent[13]. Dementsprechend vermittelte § 14 KonV dem einzelnen Rechtssubjekt aus dem Eigentum keine eindeutige, grundrechtlich gesicherte Rechtsposition im Sinne eines justiziablen, subjektiven öffentlichen Rechts,[14] sondern richtete sich vielmehr programmatisch[15] an den Gesetzgeber.[16]B. Gehalt1. Drei TeilgehalteDie in Art. 34 Abs. 1 LV verankerte Eigentumsgarantie deuten Rechtsprechung und Lehre in drei Teilgehalte aus: die Institutsgarantie, die Bestandsgarantie und die Wertgarantie.[17]a) InstitutsgarantieDie Eigentumsgarantie als Institutsgarantie „schützt das Privateigentum als Rechtsinstitution vor einer Aushöhlung durch gesetzliche Massnahmen.“[18] Die Institutsgarantie gewährleistet somit den Bestand einer freiheitlichen Eigentumsordnung[19] im liechtensteinischen Recht und richtet sich mit dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe in erster Linie an den Gesetzgeber.[20]Aufgrund ihrer Nähe zum (dominanteren) Verhältnismässigkeitsprinzip ist die Institutsgarantie als Ausprägung der Eigentumsgarantie bloss von geringer praktischer Bedeutung[21] und auch in ihrer theoretischen Tragweite nicht unumstritten.[22]b) BestandsgarantieDie Eigentumsgarantie als Bestandsgarantie „schützt konkrete Vermögensrechte“[23] einzelner Rechtssubjekte. Diesbezügliche Eingriffe sind verfassungsrechtlich nur dann zulässig, wenn sie die von der Verfassung vorgeschriebenen Voraussetzungen (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit, unantastbarer Kerngehalt)[24] erfüllen; andernfalls verstossen sie gegen die Bestandsgarantie.[25]Die Bestandsgarantie (samt ihrem ergänzenden Gegenstück in Form der Wertgarantie[26]) stellt eine praxisrelevante Ausprägung der Eigentumsgarantie dar,[27] da sie grundsätzlich alle mannigfaltigen Massnahmen, die Vermögensrechte tangieren können, für ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit an die genannten Erfordernisse knüpft. c) WertgarantieDie Eigentumsgarantie als Wertgarantie kommt dann zum Zuge, wenn ein Eingriff in Vermögensrechte vorliegt, doch er verfassungsrechtlich gerechtfertigt und mithin zulässig ist, so dass die Bestandsgarantie nicht entgegensteht. Diesfalls vermittelt die Wertgarantie, gewissermassen ersatzweise zur ausgehebelten Bestandsgarantie, dem Betroffenen gegen den Staat einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung[28] und schützt ihn dadurch, wenn er schon nicht gegen den Eingriff an sich geschützt ist, so doch im Umfang des Wertes des beeinträchtigten Vermögensrechts.[29] Eine solche „Schadloshaltung“ im Enteignungsfall schreibt Art. 35 Abs. 1 LV ausdrücklich vor.[30]2. Umsetzung in der Rechtsordnunga) Verfassungsrechtlicher RahmenDen verfassungsrechtlichen Rahmen für die Eigentumsordnung bilden nebst anderen Verfassungsbestimmungen[31] vor allem Art. 34 und 35 LV, die systematisch gesehen zusammengehören: Die Eigentumsgarantie ist das grundrechtliche Prinzip („Unverletzlichkeit des Privateigentums“; Art. 34 Abs. 1 erster Halbsatz LV) und erstreckt sich auch auf geistiges Eigentum („Urheberrecht“; Art. 34 Abs. 2 LV). Ihre Verletzung durch ungerechtfertigte Eingriffe ist grundrechts- und verfassungswidrig. Vorbehalten bleiben hingegen gerechtfertigte Eingriffe („Konfiskationen“ im weitesten Sinne; Art. 34 Abs. 1 erster Halbsatz LV), wobei als wichtigster, massivster Fall die Enteignung („Abtretung oder Belastung jeder Art von Vermögen“; Art. 35 Abs. 1 LV) und ihr Verfahren („Enteignungsverfahren“; Art. 35 Abs. 2 LV) gesondert erwähnt werden. Damit ein solcher Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, bedarf er stets einer gesetzlichen Grundlage („vom Gesetze bestimmten Fällen“; Art. 34 Abs. 1 zweiter Halbsatz LV) und eines öffentlichen Interesses („öffentliche[s] Wohl“; Art. 35 Abs. 1 LV). Er muss ferner der – verfassungsrechtlich ohnehin generell geltenden[32] – Verhältnismässigkeit genügen. Und als Besonderheit bei der Enteignung bedingt bzw. bewirkt er eine Entschädigung der Betroffenen („Schadloshaltung“; Art. 35 Abs. 1 LV).b) Einfachgesetzliche AusgestaltungInnerhalb des beschriebenen verfassungsrechtlichen Rahmens wird die konkrete Ausgestaltung der Eigentumsordnung dem Gesetzgeber überantwortet, was „zu den Eigentümlichkeiten dieses Grundrechts [der Eigentumsgarantie]“[33] und alles damit Zusammenhängenden gehört.[34] Erst durch die einfachgesetzliche Ausgestaltung gewinnt die Eigentumsgarantie ihre Konturen mit einzelnen Rechten und Pflichten, deren sie namentlich als grundrechtliches Abwehrrecht[35] bedarf.[36] Beim Urheberrecht (Art. 34 Abs. 2 LV) oder beim Enteignungsverfahren (Art. 35 Abs. 2 LV) beauftragt die Verfassung den Gesetzgeber im Wortlaut sogar ausdrücklich mit einer entsprechenden Gesetzgebung. Daneben benötigt selbstverständlich aber zum Beispiel auch das sachenrechtliche Grund- und Fahrniseigentum ganz besonders einer eingehenden gesetzgeberischen Ausgestaltung.[37]Dem Gesetzgeber kommt innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens weitgehende Gestaltungsfreiheit zu, was die Umsetzung und Konkretisierung der Eigentumsordnung auf einfachgesetzlicher Stufe betrifft.[38] Er gerät erst dort an unüberschreitbare verfassungsrechtliche Grenzen, wo er allzu sehr gegen das durch die hiesige Verfassungs- und Rechtsordnung tradierte[39] Eigentumsverständnis verstösst oder das Eigentum als Rechtsinstitution (Institutsgarantie[40]) in seiner Substanz oder in seinem Wesen gefährdet.[41] Es steht dem Gesetzgeber aber unter Respektierung dieser Vorgaben durchaus frei, auch Änderungen der herrschenden Eigentumsordnung vorzunehmen und eigentumsrelevante Normen abzuändern.[42] Würde er dabei allerdings hinter die internationalen, namentlich die in Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls der EMRK verbürgten Eigentumsgarantien zurückfallen, kämen diese im Sinne des Günstigkeitsprinzips zum Tragen und würden ihre (diesfalls weiterreichende) Schutzwirkung für die Rechtsunterworfenen entfalten.[43] Insofern bilden solche internationalen Garantien für den liechtensteinischen Gesetzgeber indirekt eine verbindliche Grenze, die er nicht unterschreiten darf bzw. infolge ihrer Bindungswirkung nicht unterschreiten kann.3. Schutzbereich („Privateigentum“)a) SachlichDer Gesetzgeber und mit ihm auch Rechtsprechung und Lehre pflegen eine extensive Interpretation des sachlichen Schutzbereichs der Eigentumsgarantie.[44] So erstreckt er sich, obwohl Art. 34 Abs. 1 LV als Schutzobjekt allein von „Privateigentum“ spricht, über das bloss privatrechtliche Eigentum hinaus auf „jed[e] Art von Vermögen“, wie es (systematisch heranzuziehen[45]) in Art. 35 Abs. 1 LV heisst.[46] Der sachliche Schutzbereich umfasst demzufolge nicht nur das sachenrechtliche[47] Fahrnis[48] und Grundstückseigentum samt beschränkter dinglicher Rechte und dem blossen Besitz, sondern ebenso alle „subjektiven Privatrechte vermögensrechtlicher Art“[49] wie obligatorische Rechte oder geldwerte Interessen, natürlich ebenfalls (mit Blick auf Art. 34 Abs. 2 LV[50]) Immaterialgüterrechte[51] sowie schliesslich die wohlerworbenen[52] Rechte öffentlichrechtlicher Art.[53] Auch ein Schutz vor Beeinträchtigungen nicht rechtlicher, sondern bloss faktischer Interessen, die aber im Zusammenhang mit den genannten Rechten stehen, ist unter Umständen möglich.[54] b) PersönlichHinsichtlich des persönlichen Schutzbereichs der Eigentumsgarantie kommen als deren Träger nur Rechtssubjekte infrage, welche eine „eindeutig bestehende bzw. gefestigte oder gesicherte Eigentums- oder Eigentümerposition“[55] vorweisen können. Dies können inländische wie ausländische natürliche Personen sein, ebenso juristische Personen des Privatrechts oder auch privatrechtliche Personenvereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit; ferner kommen unter Umständen auch juristische Personen des öffentlichen Rechts in Betracht, wo sie Privaten vergleichbar betroffen sind.[56]c) AdressatDie Eigentumsgarantie ist an den Staat als Adressat gerichtet und somit an das Land Liechtenstein und seine Gemeinden sowie jede mit Hoheitsgewalt versehene juristische Person des öffentlichen Rechts, wobei sie sich sowohl auf die Rechtsetzung[57] als auch auf die Rechtsanwendung durch Behörden und Gerichte erstreckt.[58]4. Gewährleistung („Unverletzlichkeit […] ist gewährleistet“)Die Gewährleistung der Eigentumsgarantie ist eine doppelte, denn sie wirkt zum einen als Ordnungsprinzip und vermittelt zum anderen ein Abwehrrecht.[59] a) Als OrdnungsprinzipWie es der Institutsgarantie[60] entspricht, verlangt die Eigentumsgarantie nach Art. 34 Abs. 1 LV im Sinne eines Ordnungsprinzips[61], dass der Gesetzgeber all jene Ausgestaltungen der Eigentumsordnung vornimmt, deren ein Eigentümer sinnvollerweise zur Ausübung seiner Eigentumsrechte bedarf.[62] Andernfalls würden ja das Eigentum und alle damit zusammenhängenden Rechte wirkungslos bleiben, wenn nicht ein rechtliches Umfeld geschaffen würde, in dem sie klar und wirksam ausgeübt werden können. In der wirtschaftlichen Dimension wird die Eigentumsgarantie so zur „Grundlage für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung“[63] insgesamt. Das Ordnungsprinzip ist programmatisch[64] an den Gesetzgeber gerichtet und als solches nicht justiziabel. Das heisst, das einzelne Rechtssubjekt kann für sich daraus nicht einen Anspruch auf eine bestimmte gesetzgeberische Vorkehrung ableiten, geschweige denn sie gerichtlich einklagen.b) Als grundrechtliches AbwehrrechtDer Bestandsgarantie[65] folgend, verleiht die Eigentumsgarantie dem Eigentümer ein grundrechtliches Abwehrrecht gegen direkte[66] staatliche Eingriffe in sein Eigentum.[67] Dabei handelt es sich um ein justiziables, subjektives öffentliches Recht[68] im Sinne eines Grundrechtes, welches der Eigentümer im Falle der Verletzung vor den Gerichten des öffentlichen Rechts bis hin zum Staatsgerichtshof geltend machen und durchsetzen lassen kann. Diese Abwehrfunktion steht bei der Eigentumsgarantie (theoretisch und praktisch) meistens im Vordergrund.[69]Für den besonderen Fall der Enteignung wandelt sich, wie es die Wertgarantie[70] vorsieht, das Abwehrrecht ersatzweise zu einem Entschädigungsrecht. Art. 35 Abs. 1 LV verankert dasselbe ausdrücklich („gegen angemessene […] Schadloshaltung“). Auch es ist als justiziables, subjektives öffentliches Recht zu qualifizieren.Das Grundrecht der Eigentumsgarantie gilt nicht unbeschränkt, sondern unterliegt den allgemeinen Schranken, die zwar nicht wörtlich in der Verfassung genannt, wohl aber im liechtensteinischen Verfassungsrecht insgesamt für die Zulässigkeit von Eingriffen in Grundrechte vorgesehen sind: gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit, unantastbarer Kerngehalt.[71] Unter diesen Voraussetzungen sind Eingriffe gerechtfertigt und verfassungsrechtlich zulässig. Siehe dazu die Allgemeinen Vorbemerkungen zu den Grundrechten.Je nach verfahrensrechtlichem Kontext, zum Beispiel bei einem Zivilprozess mit anschliessender Exekution des ergangenen Urteils gegen die unterlegene Partei, liegt kein grundrechtlich relevanter bzw. verpönter Eingriff vor, auch wenn ein vom sachlichen Schutzbereich der Eigentumsgarantie eigentlich erfasstes vermögenswertes Recht betroffen ist.[72] Ein grundrechtliches Abwehrrecht kann diesfalls nicht eingreifen, da es in einem solchen verfahrensrechtlichen Kontext gerade um die Feststellung und Zuweisung von strittigen vermögenswerten Rechten unter den Parteien geht. Ebenso wenig ist vor dem Staatsgerichthof die Rüge einer Verletzung der Eigentumsgarantie geeignet, einen „aus verfahrensrechtlichen Gründen ergangenen Zurückweisungsentscheid [in casu: eines Revisionsrekurses] zu bekämpfen“[73], da „die unzulässige Zurückweisung eines Rechtsmittels einen Verfahrensfehler dar[stellt], welcher von vornherein den Schutzbereich eines materiellen Grundrechts, wie der hier geltend gemachten Eigentumsgarantie, nicht tangiert.“[74]5. Eingriffe („Konfiskationen“)a) Terminologie und AbgrenzungenTerminologisch empfehlen sich folgende Unterscheidungen: Versteht man die in Art. 34 Abs. 1 zweiter Halbsatz LV genannten „Konfiskationen“ untechnisch, also nicht nur als entschädigungslose Einziehung im Strafverfahren,[75] sondern pars pro toto für Eingriffe in die Eigentumsgarantie generell, kann von diesem Oberbegriff des allgemeinen Eingriffs in die Eigentumsgarantie ausgegangen werden. Darunter fallen sodann als Unterbegriffe im Spektrum der fliessend ineinander übergehenden[76] Beeinträchtigungen der Eigentumsgarantie – gereiht nach ihrer Schwere – zunächst die einfachen (also leichte bis schwere,[77] aber jedenfalls nicht enteignende[78]) Eingriffe in die Eigentumsgarantie. Es folgt die materielle Enteignung, verstanden als schwerer oder im Einzelfall unbillig schwerer Eingriff, der sich auf die Betroffenen wie eine Enteignung auswirkt.[79] Bei der formellen Enteignung schliesslich als massivster Form des Eingriffs werden in einem besonderen Verfahren gezielt Eigentumsrechte bei einem Rechtssubjekt entzogen und auf ein anderes übertragen.[80]Unter bestimmten Umständen sind die genannten Eingriffe[81] in die Eigentumsgarantie gerechtfertigt und somit verfassungsrechtlich zulässig.[82] Siehe dazu die Allgemeinen Vorbemerkungen zu den Grundrechten.Einfache[83] Eingriffe sind verfassungsrechtlich dann zulässig und entschädigungslos hinzunehmen, wenn sie über eine gesetzliche Grundlage verfügen, dem öffentlichen Interesse dienen, die Verhältnismässigkeit beachten sowie den unantastbaren Kerngehalt wahren.[84]Für die Zulässigkeit der materiellen und formellen Enteignung siehe Schädler, Kommentar zu Art. 35 LV Kapitel I.B., besonders Kapitel I.B.5./6.b) Gesetzliche Grundlage („nur in den vom Gesetze bestimmten Fällen“)Ausgehend von den in Art. 34 Abs. 1 zweiter Halbsatz LV genannten „Konfiskationen“ als Bezeichnung für Eingriffe in die Eigentumsgarantie generell erstreckt sich auch das für sie genannte Erfordernis einer genügenden gesetzlichen Grundlage auf alle solchen Eingriffe.[85] Bei der gesetzlichen Grundlage muss es sich um ein formelles Gesetz handeln, das den Eingriff klar und genau[86] regelt, und zwar umso mehr, je schwerwiegender[87] der Eingriff ausfällt, also insbesondere im Zusammenhang mit Grundeigentum.[88] c) Öffentliches Interesse (Art. 35 Abs. 1 LV: „öffentliches Wohl“)Das mit dem Eingriff in die der Eigentumsgarantie verfolgte öffentliche Interesse – das zwar in Art. 35 Abs. 1 LV genannt ist, aber auch hier herangezogen werden kann – muss direkt oder indirekt aus der Verfassung abgeleitet sein und das Interesse des Eigentümers eindeutig überwiegen.[89] Es kann sich dabei beispielsweise um polizeiliche, wirtschaftliche, verkehrs- und energiepolitische, sozialpolitische, bau- und planungsrechtliche Interessen oder solche des Natur- und Heimatschutzes handeln, nicht geeignet sind hingegen fiskalische[90] Interessen.[91] d) VerhältnismässigkeitObwohl sie in der Verfassung nicht in einer eigenständigen Norm verankert ist, ist die Verhältnismässigkeit als verfassungsrechtliches Prinzip anerkannt.[92] Sie gilt folglich auch, und zwar nicht zuletzt als Ausfluss des geforderten öffentlichen Interesses („öffentliche[s] Wohl“ nach Art. 35 Abs. 1 LV), als Anforderung für die Zulässigkeit von Eingriffen in die Eigentumsgarantie.[93] Das bedeutet, Eingriffe müssen zunächst geeignet sein, das verfolgte Ziel überhaupt zu erreichen; sodann müssen sie erforderlich sein, mithin das mildeste Mittel unter allen wirksamen Mitteln wählen; schliesslich müssen sie zumutbar sein, also ein sinnvolles Verhältnis zwischen dem verfolgten Ziel und den damit verbundenen Beeinträchtigungen der Grundrechte der Betroffenen wahren.[94]e) Unantastbarer KerngehaltAus der Institutsgarantie[95] folgt,[96] dass ein Eingriff den Kerngehalt der Eigentumsgarantie niemals verletzen darf, da dieser absolut geschützt ist.[97] Bislang bot sich dem StGH noch kein Anlassfall, um diese Kerngehaltsgarantie auszujudizieren.[98] Konkrete Beispiele für eine Verletzung des Kerngehalts der Eigentumsgarantie vermag die Lehre bislang nicht zu nennen.[99] Der Kerngehalt der Eigentumsgarantie dürfte aber – abstrakt gesprochen – im Sinne der Institutsgarantie dann verletzt sein, wenn das Bestehen von Eigentum und der Eigentumsordnung durch einen Eingriff geradezu beseitigt wird – was höchst selten der Fall sein dürfte.[100] Denkbar ist vielmehr, dass durch staatliche Vorkehrungen gewissen Personengruppen als solchen eine Eigentumsfähigkeit gänzlich abgesprochen wird; diesfalls kommt eine Verletzung des Kerngehalts durchaus in Betracht. f) Keine EntschädigungFür einfache (nicht enteignende) Eingriffe in die Eigentumsgarantie, welche den beschriebenen Zulässigkeitsvoraussetzungen genügen, ist keine Entschädigung zu leisten, dies im Gegensatz zu den Fällen der (formellen und materiellen) Enteignung nach Art. 35 LV. C. Bezug zu anderen Verfassungsbestimmungen1. Art. 28 Abs. 1 zweiter Halbsatz LV: VermögenserwerbsfreiheitDie Eigentumsgarantie nach Art. 34 Abs. 1 LV findet sachlich eine notwendige und in der liechtensteinischen Verfassung explizierte[101] Ergänzung[102] in der Vermögenserwerbsfreiheit nach Art. 28 Abs. 1 zweiter Halbsatz LV, zwischen denen die Verfassung grundsätzlich unterscheidet[103], wie die getrennte Normierung an den beiden genannten Stellen belegt. Dennoch stehen sie in der Sache „in einer engen Wechselwirkung“[104], wie es der Staatsgerichtshof formuliert, und sind untrennbar miteinander verbunden. Während die Eigentumsgarantie den Eigentümer in seinem Eigentum gegen staatliche Eingriffe schützt, ermöglicht die Vermögenserwerbsfreiheit einem Nichteigentümer, sich überhaupt erst Vermögen und Eigentum zu verschaffen, welches für ihn alsdann von der Eigentumsgarantie geschützt wird.[105] Angesichts dessen geht die herrschende Meinung dahin, dass die Vermögenserwerbsfreiheit in der Eigentumsgarantie mit enthalten und von ihr notwendigerweise mit gewährleistet ist.Aus Sicht des Verfassungswortlauts besteht der wichtigste Unterschied darin, dass die Vermögenserwerbsfreiheit laut Art. 28 Abs. 1 zweiter Halbsatz LV scheinbar nur für liechtensteinische Landesbürger (und grundsätzlich für ihnen im Rahmen des EWR Gleichgestellte[106]) gilt, nicht jedoch für Ausländer. Diese können sich allerdings auf die Eigentumsgarantie nach Art. 34 Abs. 1 LV als Grundrecht vollumfänglich berufen. Und da die Eigentumsgarantie die Vermögenserwerbsfreiheit im beschriebenen Sinne mit umfasst, kommt diese – entgegen dem Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 zweiter Halbsatz LV und diesen überlagernd – grundsätzlich auch Ausländern zu.[107]2. Art. 35 LV: EnteignungDie formelle und materielle Enteignung nach Art. 35 LV bezeichnen die besonders schweren Eingriffe in die Eigentumsgarantie nach Art. 34 Abs. 1 LV in der Kaskade möglicher Beeinträchtigungen: 3. Art. 38 erster Satz LV: KirchengutsgarantieDie sogenannte „Kirchengutsgarantie“[109] nach Art. 38 erster Satz LV flankiert die allgemeine Eigentumsgarantie nach Art. 34 Abs. 1 LV, da sie sich beide in ihrem Eigentumsbegriff vermögenswerter Rechte decken; sie übersteigt sie jedoch insofern, als sie das Eigentum bzw. „Kirchengut“ nicht in eben diesem Vermögenswert, sondern spezifisch in seinem Religionsbezug und seiner religiösen Zweckbestimmung schützt.[110] Die Kirchengutsgarantie bezweckt damit letztlich, den Religionsgemeinschaften und ihren verschiedenen Einrichtungen ihre jeweils dem religiösen Gebrauch dienenden Vermögensgegenstände vor einer Säkularisation zu bewahren.[111] Dabei ist nicht eindeutig judiziert und in der Lehre auch umstritten, inwiefern ein Eingriffsvorbehalt besteht, das heisst, „ob lediglich Enteignungen, ob mit oder ohne Entschädigung, oder auch sonstige Eigentumsbeschränkungen verboten sind.“[112]D. Rechtsvergleichende HinweiseAus rechtsvergleichender Sicht zu den nationalen verfassungsrechtlichen Parallelbestimmungen im schweizerischen[113] , österreichischen[114] und deutschen[115] Recht zur Eigentumsgarantie und deren Beschränkungen lässt sich feststellen, dass die grösste Nähe der liechtensteinischen Bestimmungen zur schweizerischen Regelung besteht. Das zeigt sich bereits an der Ähnlichkeit des Wortlauts der einschlägigen Vorschriften. Dementsprechend wird bei der Anwendung und Auslegung der hiesigen Eigentumsgarantie rechtsvergleichend (anlehnend oder abgrenzend) auch häufig die schweizerische Rechtsprechung und Lehre herangezogen[116] und in gewissen Fragen vom StGH ausdrücklich auf die Judikatur des Schweizerischen Bundesgerichts zurückgegriffen[117]. Gleichwohl gilt dies nicht ausnahmslos, denn es bestehen stellenweise liechtensteinische Spezifika, die der schweizerischen Judikatur und Doktrin nicht entsprechen[118]. Die deutsche und österreichische Regelung, Doktrin und Judikatur können für die liechtensteinische Eigentumsgarantie bezüglich Gemeinsamkeiten und Unterschieden ebenfalls aufschlussreich sein, stehen sie doch alle – in einem grösseren (zentral)europäischen Zusammenhang betrachtet – durchaus auch in einer übergeordneten gemeinsamen Tradition[119], welche heute nicht zuletzt durch das Band internationalen Rechts im Bereich der Grund- und Menschenrechte zusätzlich gefestigt wird. E. Internationales RechtDie liechtensteinische Eigentumsordnung mit ihrer Eigentumsgarantie (Art. 34 Abs. 1 LV) und der Regelung der Enteignung (Art. 35 LV) wird weitgehend vom nationalen Recht geprägt, wenngleich das internationale Recht durchaus einige Anknüpfungspunkte bietet und im Sinne eines internationalen Standards, hinter den der nationale Gesetzgeber nicht zurückfallen darf, eine Bindungswirkung entfaltet. 1. EMRKDie EMRK selbst kennt keine Bestimmung, die einer Eigentumsgarantie gleichkäme.[120] Das erste Zusatzprotokoll zur EMRK sieht zwar in Art. 1[121] einen Schutz des Eigentums vor, doch entfaltet dieser gemäss der bisherigen Judikatur des EGMR[122] sowie jener des StGH[123] inhaltlich keine über die Eigentumsgarantie in Art. 34 Abs. 1 LV hinausgehende Schutzwirkung.[124] Die EMRK ist deshalb heute betreffend Eigentumsgarantie weniger in materiellrechtlicher[125] als vielmehr (zumindest auch[126]) in formellrechtlicher Hinsicht von Bedeutung, da die Verfahrensgarantien von Art. 5, 6 und 13 EMRK für das Enteignungsverfahren gelten.[127]2. UN-MenschenrechtschartaDie UN-Menschenrechtscharta[128] äussert sich in Art. 17[129] zum Eigentum. Doch begründet sie zum einen generell keine justiziablen Rechte[130] und bleibt zum anderen inhaltlich ohnehin hinter dem zurück, was die Eigentumsgarantie gemäss Art. 34 Abs. 1 LV gewährleistet.[131]3. EWRADas EWR-Abkommen[132] lässt gemäss Art. 125[133] die Eigentumsordnungen der Mitgliedsstaaten ausdrücklich unberührt. Das bedeutet unter anderem: „[…] that public ownership of assets, or that certain industries or sectors of the economy are nationalised, is in itself not contrary to the Agreement. However, the way in which public ownership is established and conducted must be compatible with other provisions in the Agreement […].“[134]Dies erachtete der EFTA-Gerichtshof im Fall E2/06 ESA v. Norway („Waterfalls“), wo es um den Zugang zu Nutzungsrechten an Wasserfällen zwecks Energieproduktion ging, als verletzt:[135] Es sei in casu gerade keine klare Eigentumsordnung im Sinne von Art. 125 EWRA geschaffen worden, da aufgrund der vorgesehenen Regelung das staatliche Eigentum an solchen Rechten nach dem Ermessen zuständiger Stellen teilweise wieder hätte durch privates Eigentum durchbrochen bzw. ausgelagert werden können.[136]F. Konnex zu Art. 34 Abs. 2Nebst materiellem Eigentum muss eine Eigentumsgarantie auch geistiges Eigentum schützend umfassen, also sich auch auf Immaterialgüterrechte als vermögenswerte Rechte erstrecken.[137] Für das Urheberrecht, vielleicht weil es als der standardmässige Fall eines Immaterialgutes angesehen wurde, hat der liechtensteinische Verfassungsgeber dies in der Verfassung von 1921 ausdrücklich in Art. 34 als Abs. 2 festgeschrieben, sozusagen in klarstellender Ergänzung zur Eigentumsgarantie in Abs. 1 und natürlich exemplarisch zu verstehen für alle anderen Arten von Immaterialgüterrechten.II. Art. 34 Abs. 2 LV: Urheberrecht bzw. geistiges EigentumA. Historische EntstehungDer Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 LV ist seit der Stammfassung der Verfassung von 1921 unverändert geblieben. Er fand sich noch nicht in Josef Peers erster Fassung der Regierungsvorlage vom Februar 1921. Erst in der zweiten Fassung vom März 1921 ist er auf der offiziellen, von Regierung und Landtag damals verwendeten Druckvorlage handschriftlich zu § 34 als zweiter Absatz hinzugefügt worden und so später in die Verfassung von 1921 eingegangen. Art. 34 Abs. 2 LV war ein verfassungsrechtliches Novum.[138] In der vorangehenden liechtensteinischen Verfassungsgeschichte finden sich keine Bestimmungen, die als seine Vorläufer angesehen werden könnten. B. Gehalt: GesetzgebungsauftragMit Art. 34 Abs. 2 LV beauftragt die Verfassung den Gesetzgeber ausdrücklich, das „Urheberrecht“ per Gesetz zu regeln. Obwohl im Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 LV lediglich die Rede von „Urheberrecht“ ist, muss dies exemplarisch für das geistige Eigentum insgesamt verstanden werden. Denn der Gesetzgebungsauftrag, angefügt an die Eigentumsgarantie in Art. 34 Abs. 1 LV, ist systematisch und teleologisch wohl nur so zu verstehen, dass der Verfassungsgeber nebst dem klassischen materiellen Eigentum auch das geistige Eigentum in der liechtensteinischen Rechtsordnung und als Teil der Eigentumsordnung geregelt wissen wollte. Dies bildet nämlich die Voraussetzung dafür, dass auch das geistige Eigentum von der Eigentumsgarantie klar erfasst und geschützt werden kann. Der Gesetzgebungsauftrag bewegt sich somit innerhalb des allgemeinen verfassungsrechtlichen Rahmens[139] der Eigentumsordnung und Eigentumsgarantie, innerhalb dessen generell eine einfachgesetzliche Ausgestaltung[140] durch den Gesetzgeber erforderlich ist. Das Besondere am gegenständlichen Gesetzgebungsauftrag ist, dass die Verfassung ihn so ausdrücklich statuiert. Es zeugt dabei vom Weitblick des Verfassungsgebers, die Bedeutung und das Entwicklungspotenzial der Immaterialgüterrechte schon 1921 erkannt oder zumindest vorausgeahnt zu haben. Mit Art. 34 Abs. 2 LV hat er einen zeitlosen Gesetzgebungsauftrag verankert, der den Gesetzgeber explizit in die Pflicht nimmt, sich des geistigen Eigentums und folglich auch aller auf diesem Gebiet erfolgenden, rasanten Entwicklungen legiferierend angemessen anzunehmen. Die Verfassung auferlegt dem Gesetzgeber hierbei keine bestimmten Vorgaben. Der Umstand, dass er sich des geistigen Eigentums annimmt und Regelungen erlässt, ist entscheidend; welche Regelungen er dabei trifft, ist zweitrangig. Jedenfalls aber bleibt der Gesetzgeber, da es sich bei geistigem Eigentum eben auch um Eigentum handelt, an die allgemeinen Vorgaben gebunden, die von der Eigentumsgarantie in Art. 34 Abs. 1 LV ausgehen. Dazu zählen namentlich die Instituts- und Bestandsgarantie[141], die Funktion des grundrechtlichen Abwehrrechts[142] sowie die Voraussetzungen[143] für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit allfälliger Eingriffe. C. Gesetzliche RegelungDer Gesetzgeber kommt im Bereich des nationalen Rechts dem Gesetzgebungsauftrag von Art. 34 Abs. 2 LV unter der Nummer „231 Urheberrecht“ der Systematischen Sammlung der liechtensteinischen Rechtsvorschriften (LR 231) nach. Das erste liechtensteinische Urheberrechtsgesetz[144] wurde 1928 erlassen. Im Jahr 1999 trat das heute geltende Urheberrechtsgesetz[145] samt zugehöriger Verordnung[146] an seine Stelle. Es regelt gemäss Art. 1 Abs. 1 URG unter anderem den Schutz der Urheberinnen von Werken der Literatur und Kunst (lit. a) und den Schutz der ausübenden Künstlerinnen, der Regisseurinnen, der Produzentinnen von Ton- und Tonbildträgern sowie der Sendeunternehmen (lit. b) und die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften (lit. d). Daneben besteht unter LR 232.1 eine gesetzliche Regelung der Herkunftsbezeichnungen, Marken, Muster, Modelle und Erfindungspatente unter anderem mit dem Markenschutzgesetz[147] und dem Designgesetz[148], jeweils samt Verordnungen und Nebenerlassen. D. Internationales RechtZusätzlich zur nationalen Gesetzgebung ist auf dem Gebiet des geistigen Eigentums auch internationales Recht, insbesondere in Form internationaler Abkommen, von grosser Bedeutung. Sie finden sich unter LR 0.231 und auch sie sind ein wichtiger Teil der Umsetzung des Gesetzgebungsauftrages von Art. 34 Abs. 2 LV. Aus der Vielzahl der Abkommen, denen Liechtenstein beigetreten ist, seien die folgenden als Beispiele herausgegriffen: das Übereinkommen zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum,[149] das Welturheberrechtsabkommen,[150] das Haager Abkommen betreffend die internationale Hinterlegung der gewerblichen Muster oder Modelle[151] oder der Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (PCT)[152]. |
1) Wo es das öffentliche Wohl erheischt, kann die Abtretung oder Belastung jeder Art von Vermögen gegen angemessene, streitigenfalls durch den Richter festzusetzende Schadloshaltung verfügt werden.2) Das Enteignungsverfahren wird durch das Gesetz bestimmt. 1) Where demanded by the public welfare, property of any kind may be subject to assignment or encumbrance in return for indemnification that is reasonable, or if in dispute as determined by a Judge.Entstehung und MaterialienLiteraturVorbemerkungI. Art. 35 Abs. 1 LV: EnteignungA. Historische EntstehungDer Wortlaut von Art. 35 Abs. 1 LV ist seit der Stammfassung der Verfassung von 1921 bis heute unverändert geblieben. Er lässt sich in der vorliegenden Version zurückverfolgen auf Josef Peers Regierungsvorlagen, welche ihn im Februar und März 1921 in beiden Fassungen zifferngleich als Art. 35 Abs. 1 bereits wortwörtlich enthielten.Leicht abweichend hatte diesbezüglich im Verfassungsentwurf Wilhelm Becks Art. 20 Abs. 1 im Januar 1919 noch gelautet: „Wo das öffentliche Wohl es erheischt, kann die Abtretung oder Belastung jeglicher Art unbeweglichen und beweglichen Gutes gegen volle, streitigenfalls durch den Richter festzustellende Entschädigung gefordert werden.“ Diese Formulierung stammte bis auf kleinere Retuschen aus Art. 31 Abs. 2[1] der St. Galler Kantonsverfassung von 1890.Als Vorläufer[2] von Art. 35 Abs. 1 LV in der liechtensteinischen Verfassungsgeschichte kann § 14 in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 ausgemacht werden. Er hiess: „Das Eigenthum oder sonstige Rechte und Gerechtsame können für Zwecke des Staates oder einer Gemeinde nur in den durch die Gesetze bestimmten Fällen und Formen und gegen vorgängige volle Entschädigung in Anspruch genommen werden.“ § 14 KonV wandte sich an den Gesetzgeber, indem er programmatisch[3] folgende verfassungsrechtlichen Vorgaben an ihn richtete: Eingriffe in Eigentumsrechte und ähnliches sollten zwingend („nur“) vom Gesetzgeber mittels Gesetz normiert werden („in den durch die Gesetze bestimmten Fällen und Formen“),[4] wobei ein öffentliches Interesse („für Zwecke des Staates oder einer Gemeinde“) vorausgesetzt und im Voraus eine volle Entschädigung („gegen vorgängige volle Entschädigung“) an die Betroffenen zu entrichten war.§ 14 KonV seinerseits war angelehnt an den ersten Teil von § 22 der Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen von 1833, der lautete: „Das Eigenthum kann für öffentliche Zweke nur gegen vorgängige volle Entschädigung und nachdem in administrativem Wege zuvor über die Nothwendigkeit entschieden ist, in Anspruch genommen werden. […]“[5] Die Aspekte des öffentlichen Interesses und der vollen Entschädigung waren hier bereits genannt.Erwähnenswert ist, dass auch der (nie in Kraft getretene) Verfassungsentwurf des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 in seinem § 19 eine Bestimmung schaffen wollte, die Art. 35 Abs. 1 LV ähnlich gewesen wäre: „Das Eigenthum kann, wo es das öffentliche Beste nöthig macht, gegen angemessene Entschädigung entzogen werden.“ Auch hier bestand die Absicht, die Enteignung an sich (und mithin womöglich indirekt-implizit einen Eigentumsschutz)[6] verfassungsrechtlich zu verankern und an ein öffentliches Interesse sowie an eine („angemessene“) Entschädigung zu koppeln.B. Gehalt1. Enteignung („Abtretung oder Belastung“)Zur Terminologie und zu den Abgrenzungen der verschiedenen Eingriffe in die Eigentumsgarantie siehe Schädler, Kommentar zu Art. 34 LV Kapitel I.B.5.a).Die Enteignung wird beherrscht von einer grundlegenden Dichotomie zwischen formeller und materieller Enteignung, zwischen denen es durchwegs zu unterscheiden gilt. Indem Art. 35 Abs. 1 LV sowohl von „Abtretung“ als auch von „Belastung“ spricht, bringt er diese Unterscheidung im Wortlaut zum Ausdruck.[7]a) Formelle Enteignung („Abtretung“)Unter formeller Enteignung („Abtretung“) ist der zwangsweise Entzug eines vermögenswerten Eigentumsrechts bei einem Eigentümer durch den Staat zu verstehen, welches alsdann auf ein anderes Rechtssubjekt übertragen wird.[8] Dies geschieht in einem besonderen, einheitlichen Enteignungsverfahren[9], wobei über die Erfüllung der üblichen Voraussetzungen für die Beeinträchtigung von Grundrechten (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit) hinaus dem betroffenen Eigentümer auch eine Entschädigung geleistet werden muss. Die formelle Enteignung dient dem Gemeinwesen dazu, für die Verwirklichung von Projekten zum „öffentliche[n] Wohl“ (Art. 35 Abs. 1 LV) und zum „allgemeine[n] Beste[n]“ (Art. 1 ExprG) benötigte Güter von Privaten zu erlangen, insbesondere Grundstücke für öffentliche Werke wie Strassen[10].[11]b) Materielle Enteignung („Belastung“)Die materielle Enteignung („Belastung“)[12] bezeichnet eine schwere oder eine im Einzelfall (Sonderopfer[13]) unbillig schwerwiegende Beeinträchtigung vermögenswerter Eigentumsrechte bei einem Eigentümer durch rechtliche[14] Vorkehrungen des Staates, welche in ihrer Wirkung[15] einer Enteignung gleichkommen, da sie bisherigen rechtmässig ausgeübten oder objektiv absehbaren, künftig möglichen Gebrauch untersagen.[16] Eine Beeinträchtigung ist schwer,[17] wenn sie den Eigentümer nach den Umständen des Einzelfalls einer wesentlichen Eigentumsbefugnis beraubt und ihn im Ergebnis dadurch gleichsam[18] enteignet; sie wirkt schwerwiegend auf einen oder wenige Eigentümer als Sonderopfer[19], wenn sie dieselben im Gegensatz zur Allgemeinheit in unzumutbar gravierender Weise in ihren Eigentümerbefugnissen beschränkt.[20] Die üblichen Voraussetzungen für die Beeinträchtigung von Grundrechten (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit) sind dabei zu erfüllen und als Rechtsfolge ist schliesslich eine Entschädigung[21] an den betroffenen Eigentümer als materiell Enteigneten zu entrichten.[22]Ein Entzug samt Übertragung („Abtretung“) des betreffenden vermögenswerten Eigentumsrechts, das heisst ein Eigentümerwechsel wie bei der formellen Enteignung, findet bei der materiellen Enteignung gerade nicht statt und unterscheidet dadurch diese von jener.[23]Die Wirkung einer materiellen Enteignung kann sich aus rechtlichen Vorkehrungen des Staates ergeben, die allen möglichen Zwecken dienen; sie kennt insofern keine wenigen typischen Erscheinungsformen wie die formelle Enteignung.c) AbgrenzungenUnter die Enteignung und eine entsprechende Entschädigungspflicht fallen dem Gesagten zufolge nur diejenigen Beeinträchtigungen der Eigentumsgarantie, die Vermögensrechte entweder direkt entziehen und übertragen oder so schwer sind bzw. so schwerwiegend wirken, dass sie dem gleichkommen. Einfache, also leichte bis schwere, aber eben in diesem Sinne nicht enteignende Eingriffe bleiben demgegenüber – vorbehaltlich besonderer Regelungen in den einschlägigen Spezialgesetzen[24] – grundsätzlich entschädigungslos,[25] müssen jedoch auch die allgemeinen Voraussetzungen für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit) erfüllen. Die Abgrenzung[26] zwischen enteignenden und nicht enteignenden sowie zwischen schweren und leichten Beeinträchtigungen kann auf abstrakte Weise nicht trennscharf gezogen werden, da die Übergänge fliessend sind;[27] sie müssen letztlich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls abgewogen werden.[28]Kategorial eine von der Enteignung zu unterscheidende, weil eine eigenständige Art von Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie bilden die enteignungsähnlichen[29] Massnahmen. Zu ihnen zählen beispielsweise die strafrechtlichen Einziehungen („Konfiskationen“), Requisitionen im Katastrophenfall[30], Baulandumlegungen[31] oder Bodenverbesserungen („Meliorationen“).[32] Obschon auch sie Beeinträchtigungen der Eigentumsgarantie darstellen, stellen sie keine Enteignung dar, da sie andere Ziele verfolgen und eigenen Vorschriften unterliegen.[33]2. Enteignungsobjekt („jede Art von Vermögen“)a) Formelle EnteignungDas Enteignungsobjekt bei der formellen Enteignung kann grundsätzlich „jed[e] Art von Vermögen“ sein, wie Art. 35 Abs. 1 festhält.[34] Darunter sind alle vermögenswerten Rechte in jenem umfassenden Sinne zu verstehen, wie sie die Eigentumsgarantie in Art. 34 Abs. 1 LV unter dem „Privateigentum“[35] erfasst; gewöhnlicherweise aber sind Grundeigentum[36] und beschränkte dingliche Rechte betroffen.[37] b) Materielle EnteignungVon einer materiellen Enteignung kann ebenfalls grundsätzlich jedes vermögenswerte Recht betroffen sein; unbewegliche wie auch bewegliche Sachen kommen als deren Objekte infrage.[38]3. Enteigner, Enteigneter und Enteignungsempfängera) Formelle EnteignungBei der formellen Enteignung kommt als Enteigner der Staat selbst oder eine öffentlichrechtliche Körperschaft oder Anstalt wie eine Gemeinde infrage.[39] In Ausgestaltung von Art. 35 Abs. 1 LV wird die Befugnis zur konkreten Enteignung vom jeweiligen Spezialgesetz dem Enteigner entweder direkt zuerkannt[40] oder der Landtag wird auf Antrag beispielsweise der Regierung dazu ermächtigt,[41] eine konkrete Enteignungsbefugnis zu verleihen.[42]Von der Enteignung als Enteigneter betroffen sein kann grundsätzlich jeder private Eigentümer, sei er eine natürliche oder eine juristische Person.[43]In der Regel ist der Enteignungsempfänger des enteigneten Rechts oder Guts der Enteigner selbst, es kann aber auch auf einen Dritten[44] übergehen.[45] b) Materielle EnteignungBei der materiellen Enteignung treten als Enteigner und als Enteigneter grundsätzlich dieselben Rechtssubjekte auf wie bei der formellen Enteignung. Ein Enteignungsempfänger entfällt bei der materiellen Enteignung, zumal es bei ihr im Gegensatz zur formellen Enteignung zu keiner Übertragung eines vermögenswerten Rechts kommt.4. Enteignungsverfahren bzw. Enteignungswirkunga) Formelle EnteignungDie formelle Enteignung folgt einem besonderen, einheitlichen Enteignungsverfahren, das gemäss Art. 35 Abs. 2 LV vom Gesetzgeber näher geregelt werden muss und heute vor allem im Expropriationsgesetz (ExprG) festgelegt ist, auf welches die Spezialgesetze[46] verweisen können. Die formelle Enteignung bildet sozusagen direkt Ziel und Zweck dieses Verfahrens.Zum Enteignungsverfahren siehe die Ausführungen unten in Kapitel II.C.b) Materielle EnteignungDie materielle Enteignung ist die Auswirkung irgendeiner rechtlichen (nicht bloss faktischen)[47] Vorkehrung des Staates. Die Enteignung kann dabei unmittelbar Ziel und Zweck dieser Vorkehrung sein, aber auch nur blosses Nebenprodukt, das sich bei der Verfolgung eines anderen Zieles einstellt. In der Regel geht die materielle Enteignung vom individuell-konkreten, vollziehenden Verwaltungsakt einer Verfügung aus, die sich (vorweg auf eine Verordnung und diese wiederum) auf ein Gesetz stützt, welches letztlich gemäss Art. 34 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 35 LV für jegliche Enteignung vorausgesetzt ist.[48] Daneben ist auch möglich, dass die materielle Enteignung direkt vom generell-abstrakten Erlass einer Verordnung oder eines Gesetzes[49] ausgeht, wo sie bzw. ihre Wirkung vorgesehen ist.[50] Dementsprechend vielfältig sind die Ziele, Erscheinungsformen und Grundlagen der materiellen Enteignung. Was die Verfahrensweise hinsichtlich Entschädigung bei materiellen Enteignungen angeht, verweisen heute die meisten Spezialgesetze auf das ExprG, so dass sich insofern zur formellen Enteignung verfahrensrechtliche Unterschiede nivelliert haben.[51]5. Voraussetzungena) Gemeinsamkeiten und Unterschiede von formeller und materieller EnteignungWie für einfache (nicht enteignende) Eingriffe in die Eigentumsgarantie nach Art. 34 Abs. 1 LV gelten auch für die materielle sowie für die formelle Enteignung grundsätzlich die dort verlangten Zulässigkeitsvoraussetzungen der gesetzlichen Grundlage, des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit.[52] Es kann daher vorliegend dem Grundsatz nach auf alles dort[53] Ausgeführte verwiesen werden, da es gerade für die materielle Enteignung unverändert gilt. Besonderheiten ergeben sich punktuell allein bei der formellen Enteignung, die deshalb im Folgenden mit diesen ihren Abweichungen im Zentrum steht. In puncto Entschädigung schliesslich, welche bei der Enteignung gegenüber einfachen Eingriffen hinzukommt, unterscheiden sich die formelle und die materielle Enteignung aus dogmatischer Sicht. b) Gesetzliche Grundlage (Art. 34 Abs. 1 LV: „nur in den vom Gesetze bestimmten Fällen“)Bei der formellen Enteignung kann, abgesehen von Spezialgesetzen, auch das Expropriationsgesetz selbst die gesetzliche Grundlage bilden, wenn es um öffentliche Werke im Interesse des Landes geht.[54]Zumal der Eingriff in die Eigentumsgarantie durch eine formelle Enteignung stets ein schwerer ist, sind bei der gesetzlichen Grundlage die Erfordernisse eines Gesetzes im formellen Sinn sowie die Anforderungen an dessen Klarheit und Deutlichkeit hinsichtlich des Eingriffs besonders strikt einzuhalten.[55] c) Öffentliches Interesse („öffentliches Wohl“)Das „öffentliche Wohl“, das Art. 35 Abs. 1 LV nennt, bezeichnet in mittlerweile etwas aus der Mode gekommener Terminologie das öffentliche Interesse,[56] welches eine formelle Enteignung verfolgen muss und auf welches ihre Legitimität insgesamt gründet.[57] Denn: „Das öffentliche Interesse ist der Rechtstitel der Enteignung.“[58] d) VerhältnismässigkeitDie formelle Enteignung ist in ihrer Verhältnismässigkeit[59] ganz besonders im Hinblick auf die Erforderlichkeit zu prüfen. Nur wenn unter all den wirksamen und zielführenden Massnahmen gegenüber einer formellen Enteignung keine mildere Massnahme möglich ist, darf sie durchgeführt werden.[60] Die formelle Enteignung als massiver Eingriff in die Eigentumsgarantie soll die Ultima Ratio[61] sein, wenn alle anderen Mittel und Wege erfolglos (geblieben) sind.[62] e) Entschädigung („Schadloshaltung“)Der Wertgarantie[63] als Teilgehalt der Eigentumsgarantie entsprechend, verlangt[64] Art. 35 Abs. 1 LV bei einer Enteignung zwingend die „angemessene […] Schadloshaltung“ des betroffenen Eigentümers, damit ihm durch die Enteignung zumindest kein wertmässiger Vermögensnachteil widerfährt.[65] Die formelle und die materielle Enteignung unterscheiden sich in diesem Punkt aus dogmatischer Sicht: Bei der formellen Enteignung ist die Entschädigung eine Voraussetzung, damit der Eingriff in die Eigentumsgarantie überhaupt gerechtfertigt und zulässig ist.[66]Bei der materiellen Enteignung bildet die Entschädigung hingegen die Rechtsfolge, die der Eingriff in die Eigentumsgarantie erst nachträglich auslöst.[67]6. Modalitäten der Entschädigung („Schadloshaltung“)Abgesehen vom dogmatischen Unterschied, ob die Entschädigung – Art. 35 Abs. 1 LV spricht von „Schadloshaltung“ – als Voraussetzung oder Rechtsfolge anzusehen ist, unterscheiden sich die formelle und materielle Enteignung bei ihr ansonsten nicht grundsätzlich, so dass die folgenden Darlegungen, wo nicht anders vermerkt, für sie beide gleichermassen gelten.[68] a) ArtArt. 35 Abs. 1 LV schreibt die Art der Entschädigung nicht vor. Der Gesetzgeber hat sie in erster Linie als (normalerweise einmalige) Geldleistung konkretisiert, kennt daneben unter Umständen zugunsten des Enteigneten aber auch andere Entschädigungsarten wie zum Beispiel einen Realersatz.[69] b) Höhe („angemessen“)Zur Höhe der Entschädigung äussert sich Art. 35 Abs. 1 LV nur insofern, als sie „angemessen“ sein muss. Darunter versteht die herrschende, unangefochtene Meinung über den Wertersatz an sich hinaus eine volle Entschädigung aller wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die mit der Enteignung einhergehen, so dass der Eigentumsgarantie als Wertgarantie Genüge getan wird.[70]Die Entschädigung bemisst sich jeweils als Differenz:[71] bei der formellen Enteignung im Sinne eines Vermögensverlustes des Eigentümers nach der Enteignung im Vergleich zu seinem Vermögen davor; bei der materiellen Enteignung als Vermögensminderung bezüglich des Verkehrswertes eines Grundstücks vor und nach der enteignend wirkenden staatlichen Vorkehrung.[72] Dabei sind der gegenwärtige Zustand (Wert, Umstände, Markt) und der (soweit absehbare) künftige Zustand (Belastungen, Begünstigungen) zu berücksichtigen (§ 5 ExprG) und ein objektiver Massstab anzulegen, welcher aber durchaus durch subjektive Aspekte aus Sicht des Enteigneten ergänzt werden kann.[73] Der Zeitpunkt, der für die Bemessung als massgeblich herangezogen wird, ist bei der formellen Enteignung jener der Vereinbarung bzw. des Entscheids der Regierung oder des Landgerichts im Enteignungsverfahren; so ergibt es sich sinngemäss aus der gesetzgeberischen Konkretisierung im ExprG.[74] Bei der materiellen Enteignung ist es der Zeitpunkt des Inkrafttretens oder der Rechtskraft der enteignenden staatlichen Vorkehrung.[75]c) Rechtsschutz („streitigenfalls durch den Richter festzusetzen“)Mit der Formulierung „streitigenfalls durch den Richter festzusetz[en]“ bringt Art. 35 Abs. 1 LV zum Ausdruck, dass der Verfassungsgeber den betroffenen Rechtsunterworfenen einen Rechtsschutz zugedacht hat, den der Gesetzgeber folglich ausgestalten muss. Zum Rechtsschutz bei der formellen Enteignung als Teil deren besonderen, einheitlichen Verfahrens siehe unten Kapitel II.C.2.a) und b).Der Rechtsschutz im Falle der materiellen Enteignung ist verfahrensrechtlich zweigeteilt: Streitigkeiten über die Entschädigung und insbesondere deren Höhe richten sich zuweilen infolge direkten Verweises aus dem einschlägigen Spezialgesetz, zuweilen allein aufgrund sachlicher Nähe analog nach dem ExprG.[77] Es kann deshalb hier auf das diesbezüglich zum Rechtsschutz bei der formellen Enteignung Ausgeführte[78] verwiesen werden.C. Bezug zu anderen Verfassungsbestimmungen1. Art. 34 Abs. 1 LV: EigentumsgarantieSiehe Schädler, Kommentar zu Art. 34 LV Kapitel I.C.2.2. Art. 38 erster Satz LV: KirchengutsgarantieLeider ist weder eindeutig judiziert noch in der Lehre einhellig anerkannt, „ob lediglich Enteignungen, ob mit oder ohne Entschädigung, oder auch sonstige Eigentumsbeschränkungen verboten sind“[79], wenn sie im Schutzbereich der sogenannten „Kirchengutsgarantie“[80] vorfallen. Nach der vorliegend vertretenen Auffassung sind jedenfalls alle Arten von Enteignung, und würden sie auch entschädigt, angesichts der besonderen Schutzwirkung der Kirchengutsgarantie unzulässig. Grammatikalisch bringt der Verfassungsgeber nämlich keinerlei entsprechenden Eingriffsvorbehalt an, wie ihn demgegenüber Art. 34 Abs. 1 LV („nur in den vom Gesetze bestimmten Fällen“) in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 LV („kann die Abtretung oder Belastung jeder Art von Vermögen“ etc.) gewissermassen parallel hinsichtlich des „Privateigentums“ vorsieht.[81] Auch historisch gesehen dürfte damals für die römisch-katholische Kirche (Art. 37 Abs. 2 LV), die für den Verfassungsgeber im Zentrum der Kirchengutsgarantie stand, ein ausnahmsloser Schutz vor Enteignungen beabsichtigt gewesen sein, was heute auf alle Religionsgesellschaften und religiösen Vereine zu erstrecken ist. Und teleologisch schliesslich vermag die Kirchengutsgarantie nur dann jene unüberschreitbare Demarkationslinie zu ziehen, welche religionsgemeinschaftliches Vermögen vor jeglicher Säkularisation schützt, wenn sie gerade nicht von der Enteignung durchbrochen werden kann. D. Rechtsvergleichende HinweiseSiehe Schädler, Kommentar zu Art. 34 LV Kapitel I.D.E. Internationales RechtDa aus systematischer Sicht in der Verfassung die (formelle und materielle) Enteignung die schweren Eingriffe in die grundrechtlich gewährleistete Eigentumsgarantie darstellen und das Ganze so eine Einheit bildet, gilt das dort[82] bei der Eigentumsgarantie zum internationalen Recht Gesagte grundsätzlich auch hier bei der Enteignung. Es kann deshalb darauf verwiesen werden. Ergänzend ist noch Folgendes hinzuzufügen:1. EMRKWährend Art. 35 Abs. 1 LV unter „angemessener Schadloshaltung“ eine volle Entschädigung aller wirtschaftlichen Beeinträchtigungen versteht, verfolgt die EMRK bzw. die Judikatur des EGMR einen anderen Ansatz. Im Enteignungsfall verlangt der EGMR mit Blick auf Art. 1 1. ZP EMRK in seiner Rechtsprechung zwar grundsätzlich ebenfalls eine angemessene Entschädigung der Betroffenen in Höhe des Wertes des enteigneten Eigentumsrechtes. Die Entschädigungspflicht wird dabei aber unter dem Verhältnismässigkeitsprinzip abgehandelt und dessen Prüfprogramm unterzogen. Folglich besteht kein Anspruch auf eine vollständige Entschädigung, wenn den privaten Interessen überwiegende öffentliche Interessen gegenüberstehen. Ausnahmsweise kann also bei einer dementsprechenden Interessenlage eine geringere bis sogar hin zu gar keiner Entschädigung entrichtet werden, was die Enteignung im Lichte von Art. 1 1. ZP EMRK nicht per se unverhältnismässig und mithin unzulässig macht – dies im Gegensatz zur „angemessenen Schadloshaltung“ nach Art. 35 Abs. 1 LV.[83]2. InvestitionsschutzabkommenIn internationalen Investitionsschutzabkommen können Staaten untereinander Voraussetzungen (wie ein öffentliches Interesse, ein ordentliches Verfahren, eine Entschädigungspflicht usw.) vereinbaren, die auf Enteignungen von Investitionen im weitesten Sinne aus dem vertragsstaatlichen Ausland angewendet werden müssen. Dadurch wird für solche Investitionen in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung ein klarer und verbindlicher Rechtsschutz sowie eine besondere völkerrechtliche Wertgarantie bewerkstelligt, welche zur grundrechtlich gewährleisteten Eigentumsgarantie hinzutreten. Liechtenstein hat zwar keine eigenen bilateralen und nur ein einziges multilaterales[84] Investitionsschutzabkommen abgeschlossen, doch ist es über den Zollanschlussvertrag mit der Schweiz in verschiedene Investitionsschutzabkommen[85] sowie als EFTA-Staat in Freihandelsabkommen mit Investitionsschutzaspekten[86] eingebunden.II. Art. 35 Abs. 2 LV: EnteignungsverfahrenEin besonderes, vereinheitlichtes Enteignungsverfahren ist nur für die formelle Enteignung vorgesehen.[87] Der materiellen Enteignung, die weniger ein zielgerichtetes Verfahren als vielmehr die Auswirkung einer rechtlichen Vorkehrung des Staates ist,[88] fehlt es an einer vergleichbaren zentralen und kompakten Regelung. Das hindert jedoch nicht daran, die materielle Enteignung an den Vorschriften der formellen Enteignung zu orientieren und bei Möglichkeit analog zu handhaben. A. Historische EntstehungArt. 35 Abs. 2 LV ist seit der Stammfassung der Verfassung von 1921 bis heute unverändert geblieben. Er war in dieser Version wortwörtlich bereits in beiden Fassungen der Regierungsvorlagen Josef Peers im Februar und März 1921 enthalten gewesen. Wilhelm Beck hatte in Art. 20 Abs. 2 seines Verfassungsentwurfes vom Januar 1919 inhaltlich deckungsgleich, jedoch in umgekehrter Wortreihenfolge und mit aktiver Verbform formuliert: „Das Gesetz bestimmt das Enteignungsverfahren.“ Vorbildhaft dürfte für ihn hier die St. Galler Kantonsverfassung von 1890 mit ihrem Art. 31 Abs. 3[89] gewirkt haben. Es ist keine ähnliche Bestimmung zu Art. 35 Abs. 2 LV ersichtlich, die in der liechtensteinischen Verfassungsgeschichte als ihr Vorläufer angesehen werden könnte. B. Gehalt1. GesetzgebungsauftragDer Verfassungsgeber hat in Art. 35 Abs. 2 LV nuanciert („wird [scilicet: bereits de lege lata] durch das Gesetz bestimmt“) zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgebungsauftrag der Schaffung eines Enteignungsverfahrens zur Zeit des Inkrafttretens der Verfassung mit dem Expropriationsgesetz von 1887 (LGBl. 1887 Nr. 4) bereits zum Voraus erfüllt worden war. Dies im Gegensatz zu Art. 34 Abs. 2 LV, wo zum Gesetzgebungsauftrag im Bereich des Urheberrechts mit Bedacht gesagt wird, dasselbe „ist gesetzlich [scilicet: de lege ferenda noch] zu regeln.“ Bei Art. 35 Abs. 2 LV ging es dem Verfassungsgeber folglich nicht darum, den Gesetzgeber zu neuer Gesetzgebung anzuhalten, als vielmehr künftighin von Verfassungs wegen den Bestand eines Gesetzes des Enteignungsverfahrens zu sichern, sei es nun das bestehende ExprG von 1887 oder werde es später ersetzt durch einen Nachfolgeerlass. Jedenfalls muss, wie auch die Enteignung an sich einer formellgesetzlichen Grundlage bedarf, auch deren Verfahren auf Gesetzesstufe klar und deutlich geregelt sein, da es sich bei Enteignungen um massive Eingriffe in das Grundrecht der Eigentumsgarantie handelt. Der Gesetzgebungsauftrag in Art. 35 Abs. 2 LV ist also insofern wörtlich zu nehmen, als das Enteignungsverfahren nach einer Normierung auf Stufe des Gesetzes und nicht bloss auf der niedrigeren Stufe einer Verordnung verlangt. Inhaltlich gibt die Verfassung einer jeden Gesetzgebung zum Enteignungsverfahren natürlich die Gewährleistungen der Eigentumsgarantie vor und verpflichtet sie auf die Anforderungen für verfassungsrechtlich zulässige Beeinträchtigungen (Gesetzmässigkeit, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit und insbesondere Entschädigung), wie sie aus Art. 34 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 LV hervorgehen. Eine Gesetzgebung zum Enteignungsverfahren hat dabei die üblichen Minima eines Verfahrens zu regulieren, unter anderem Ablauf und Stadien, Zuständigkeiten und Akteure, Verfahrenshandlungen, Fristen, Entscheidformen, Vollzug, Rechtsschutz.[90] Wie der Staatsgerichtshof bemerkt, ist dabei wichtig, zu unterscheiden: „Die Nichteinhaltung der Verfahrensbestimmungen würde somit keine Verfassungswidrigkeit [im Sinne einer Verletzung der Eigentumsgarantie], sondern die Verletzung eines einfachen Gesetzes bedeuten.“[91]2. Formelle, aber nicht materielle Enteignung?Die formelle Enteignung verfügt durch die Erfüllung des Gesetzgebungsauftrages nach Art. 35 Abs. 2 LV mit dem ExprG über eine zentrale sedes materiae. Für die materielle Enteignung findet sich in der liechtensteinischen Rechtsordnung kein vergleichbar zentraler Erlass,[92] weshalb sie gerade im Kontrast zur formellen Enteignung kodifikatorisch betrachtet etwas im luftleeren Raum hängt. Insofern dürfte ihrer eigenständigen, besonderen Normierung zum Verhängnis geworden sein, dass das ExprG 1921 bei Inkrafttreten der Verfassung bereits vorbestand, so dass der Gesetzgebungsauftrag von Art. 35 Abs. 2 LV im Wesentlichen als erfüllt angesehen werden konnte. Dass sich der Gesetzgebungsauftrag von Art. 35 Abs. 2 LV eigentlich auch auf die materielle Enteignung erstreckt, lässt sich mit guten Gründen stützen. Nur weil historisch betrachtet der Verfassungsgeber das ExprG im Blick hatte, schliesst das die materielle Enteignung keineswegs von der Pflicht zur gesetzlichen Ausgestaltung aus. Der Wortlaut („Enteignungsverfahren“ oder neutraler: das Vorgehen bei Enteignungen) steht dem ebenso wenig entgegen. Systematisch gesehen spricht Art. 35 Abs. 1 LV sowohl von „Abtretung“ (formelle Enteignung) als auch von „Belastung“ (materielle Enteignung) – weshalb also soll Abs. 2 sich nur auf erstere beziehen? Und schliesslich besteht aus teleologischer Sicht der unabweisliche Bedarf der Rechtsanwender, praktischerweise auch für die materielle Enteignung, abgesehen von den unterschiedlichen Spezialgesetzen, über einen Kern generell gültiger Vorschriften gebündelt in einem Gesetz zu verfügen. Der StGH hat gegenüber dem Gesetzgeber angeregt, sich unter Berufung auf Art. 35 Abs. 2 LV doch auch der materiellen Enteignung legiferierend anzunehmen: „Es würde der Rechtssicherheit dienen, wenn der Gesetzgeber das Verfahren zur Ermittlung der Entschädigung des durch die materielle Enteignung betroffenen Grundstückseigentümers regeln würde.“[93] Dies ist bislang unterblieben.[94] Die Praxis behilft sich für die Fälle der materiellen Enteignung in der Sache deshalb vielfach damit, die im ExprG festgeschriebenen Grundsätze, wo möglich, analog auch auf die materielle Enteignung anzuwenden.[95]C. Gesetzliche Regelung1. Einschlägige Erlassea) ExprG von 1887In der Systematischen Sammlung der liechtensteinischen Rechtsvorschriften scheint im Landesrecht bei „Bauwesen – Öffentliche Werke – Energie – Verkehr“ (LR 7) unter „Enteignung“ (LR 71) bzw. unter „Verfahren“ (LR 711) einzig das Expropriationsgesetz als Erlass auf. Dieses „Gesetz vom 23. August 1887 über das Verfahren in Expropriationsfällen“ hatte gemäss seinem Ingress ursprünglich die formelle Rechtsgrundlage in § 14 KonV[96] von 1862 gefunden. Mit dem Inkrafttreten der Verfassung von 1921 ging die Rechtsgrundlage in Art. 35 Abs. 2 LV auf.[97]Das ExprG regelt mit 13 Paragraphen die „Expropriation, d. i. die zwangsweise Entziehung des Eigentums“, welche „nur gegen angemessene Schadloshaltung und nur in solchen Fällen zulässig [ist], in welchen es das allgemeine Beste erheischt“ (§ 1 ExprG).b) LVG und SpezialgesetzeErgänzend zum ExprG kommt auf das Enteignungsverfahren das Landesverwaltungspflegegesetz (LVG) zur Anwendung.[98]In den jeweiligen Spezialgesetzen sind zuweilen abweichende und besondere Vorschriften, insbesondere zur materiellen Enteignung, statuiert, welche den allgemeinen Vorschriften des ExprG und LVG im Einzelfall vorgehen.[99]2. VerfahrensordnungDas Enteignungsverfahren gemäss ExprG ist ein hybrides Verfahren, das in dieser Form in der liechtensteinischen Rechtsordnung einzigartig ist und als Produkt seiner Entstehungszeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Grenzen der Gewaltenteilung hinweg legislative, judikative und exekutive Akte miteinander verbindet.[100] Als staatliche Akteure im Enteignungsverfahren treten die Regierung[101] und der Landtag[102] auf; durch integrierten Rechtsschutz sind überdies das Landgericht[103] mit seinen Instanzen des Obergerichts und des Obersten Gerichtshofs sowie der Staatsgerichtshof einbezogen. In der Praxis kommt das Enteignungsverfahren übrigens sehr selten zur Anwendung, die letzten verzeichneten Fälle stammen aus den Jahren 1992 und 1962.[104] a) VerfahrenDas Verfahren[105] [und der daran anknüpfende Rechtsschutz] nach dem ExprG gestaltet sich, wie folgt:b) Rechtsschutz („streitigenfalls durch den Richter festzusetzen“)Die grundrechtlichen Verfahrensgarantien von Art. 31 und 43 LV sowie von Art. 5, 6 und 13 EMRK gelten auch für das Enteignungsverfahren, so dass der Betroffene insbesondere einen grundrechtlichen Anspruch auf Überprüfung durch ein unabhängiges, unparteiisches Gericht mit voller Kognition über Sach- und Rechtsfragen hat.[109]Gegen den Beschluss des Landtages, der eine Enteignung an sich bewilligt, kann direkt Individualbeschwerde gemäss Art. 15 StGHG an den Staatsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsmässig gewährleisteter Rechte erhoben werden.[110] Der Staatsgerichtshof hat hinsichtlich der Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Enteignung eine umfassende Kognition und könnte bei Bedarf hinsichtlich nicht spruchreifer Tatfragen sogar ein Ermittlungsverfahren nach dem LVG durchführen.[111]Gegen die Festlegung des Umfangs und der Modalitäten der Enteignung durch die Regierung kann im ordentlichen Verwaltungsrechtszug Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ergriffen werden.[112] Daraufhin steht natürlich auch noch die ausserordentliche Gerichtsbarkeit des Staatsgerichtshofs wegen Verletzung verfassungsmässig gewährleisteter Rechte offen. Die verfassungsrechtliche Vorgabe von Art. 35 Abs. 1 LV, wonach die Entschädigung bei Enteignungen „streitigenfalls durch den Richter festzusetz[en]“ ist, wird erfüllt, indem mangels Expropriationsvertrags der Entscheid der Regierung zur Entschädigungshöhe innert 14 Tagen vom Eigentümer mittels Einsprache (§ 6 Abs. 1 ExprG) an das Landgericht (§ 7 ExprG) gezogen werden kann.[113] Diesfalls kann der Landtag unter Umständen übrigens auch eine vorzeitige Besitzeinweisung erlauben (§ 6 Abs. 2 ExprG).[114] Das Landgericht veranlasst die Schätzung (§ 7 ExprG), wobei entweder ein ganzes Ermittlungsverfahren nach dem LVG oder ein Sachverständigenbeweis nach der ZPO durchgeführt wird. Der daraus ermittelte Entschädigungsbetrag wird im ersten Falle per „Bescheid“/Verfügung, im zweiten per „Bescheid“/Beschluss vom Landgericht angenommen. Dagegen wiederum steht im ersten Falle das Überprüfungsverfahren nach dem LVG und im zweiten Fall der Rekurs nach der ZPO offen (§ 8 Abs. 1 ExprG), beide trotz unterschiedlicher Verfahrensordnung dennoch gleichermassen ans Obergericht und den Obersten Gerichtshof als Instanzen des Landgerichts gerichtet.[115] c) VollzugUnter Umständen kann es angebracht sein, dass die Regierung trotz noch laufendem Verfahren erste Vollzugsmassnahmen trifft, weshalb sie hierzu besonders ermächtigt ist (§§ 10–12 ExprG).[116]Erst im Augenblick der Bezahlung bzw. Hinterlegung des Entschädigungsbetrages gehen die von der Enteignung betroffenen vermögenswerten Rechte vom Enteigneten auf den Enteigner über. Letzterer kann ab diesem Zeitpunkt an deren Benützung nicht mehr gehindert werden (§ 9 Abs. 1 ExprG). Dem kann auch ein allenfalls noch fehlender Grundbucheintrag nicht entgegenstehen (Art. 38 Abs. 2 SR).[117] |
Handel und Gewerbe sind innerhalb der gesetzlichen Schranken frei; die Zulässigkeit ausschliesslicher Handels- und Gewerbeprivilegien für eine bestimmte Zeit wird durch das Gesetz geregelt. Commerce and trade shall be free within the limits prescribed by law; the admissibility of exclusive commercial and trade privileges for a specified period of time shall be regulated by law. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeines und EntstehungsgeschichteA. Landständische Verfassung von 1818 und Fürstlicher Erlass 1848Der Landständischen Verfassung von 1818 waren Grund- und Menschenrechte noch fremd; sie enthielt folglich auch noch keine Anordnungen zur Handels- und Gewerbefreiheit.[2]Erst der Verfassungsentwurf von 1848 (der bis 1852 vorübergehend von Fürst Alois II für gültig erklärt wurde),[3] sah wesentliche Elemente einer rechtsstaatlichen Ordnung vor und erfasste auch die Handels- und Gewerbefreiheit im weitesten Sinn.[4] Nach Kuno Frick wurden «(u)nter dem Blickwinkel der Wirtschaftsfreiheit» unter anderem Zoll- und Handelsschranken sowie Gewerbemonopole aufgehoben und Gewerbe und Handel gefördert.[5] Dem letztlich provisorisch in Kraft gesetzten Verfassungsentwurf blieb ein Grundrechtskatalog, der auch die Gewerbefreiheit umfasste, hingegen vorbehalten.[6] Immerhin erfolgte mit Fürstlichem Erlass vom 7. April 1848 eine erste Liberalisierung des Handels und der Gewerbe:[7]Am 20. Juli 1852 setzte der Fürst den Verfassungsentwurf ausser Kraft; es galt wieder die Landständische Verfassung von 1818.[9] Trotz dieses Rückschritts blieb der Bevölkerung ein limitierter Zugang zur Handels- und Gewerbefreiheit erhalten. So beseitigte der Fürst den «Mühlzwang» (Festlegung, wo die Bauern ihr Korn mahlen lassen mussten), schaffte den «Frondienst» ab (Festlegung, wie viele Tage die Bauern für den Fürst arbeiten mussten) und hob gewisse «ewige Bodenlasten» auf.[10]B. Verfassung von 1862Die Verfassung von 1862 stellte eine «Vollverfassung» mit Grundrechtskatalog und ausgeprägtem Staatsorganisationsrecht dar. Grund- und Freiheitsrechte waren im Zweiten Hauptstück unter dem Titel «Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen» als «staatsbürgerliche Rechte»[11] in §§ 4–22 KonV grundgelegt worden.[12] Die §§ 14 und 15 enthielten Vorschriften über das Eigentum und den Loskauf von Bodenzinsen. Die Verfassung von 1862 enthielt indessen keine konkreten Regelungen über die Gewerbefreiheit;[13] die wirtschaftliche Betätigung der Landesbürger war nur kraft verliehener Privilegien möglich (§ 17 KonV).[14]C. Verfassung von 1921 bis heuteDas Ende des Ersten Weltkriegs führte zum Zusammenbruch des deutschen und österreichischen Kaiserreiches. Beide Länder führten infolgedessen bundesstaatliche Ordnungen ein: Deutschland in Form der Weimarer Reichsverfassung von 1919[16] und Österreich in Form des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) von 1920.[17]Auch die Liechtensteinische Verfassungsrechtslage erfuhr mit Ende des Ersten Weltkriegs einen Umbruch. Prinz Karl von Liechtenstein hatte Wilhelm Beck mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes beauftragt. Die «Oberrheinischen Nachrichten» veröffentlichten den Beck´schen Entwurf am 16. Juni 1920.[18] Diese Verfassung stellte eine Weiterentwicklung der Verfassung von 1862 dar und brachte für die Bürger gleichzeitig einen verbesserten Grundrechtsschutz mit sich. Zur «Handels- und Gewerbefreiheit» führte die Verfassung in Art. 21 Verfassungsentwurf Beck unter weitreichendem Gesetzesvorbehalt nach dem Vorbild der Verfassung des Schweizer Kantons St. Gallen von 1890[19] und auf Grundlage der konstitutionellen Verfassung von 1862[20] folgendes aus: Ein 1921 durch den damaligen Regierungschef Josef Peer vorgelegter Verfassungsentwurf[21] enthielt im IV. Hauptstück («Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen») einen § 36 RV, der mit der Überschrift «Handels- und Gewerbefreiheit» übertitelt war. Die Regelung war bereits in jener Textierung abgefasst, die der aktuell geltenden Fassung des Art. 36 der Landesverfassung (LV[22]) entspricht.In der (finalen) zweiten Entwurfsfassung vom 8. März 1921 beliessen die Redaktoren des Textes die Formulierung des § 36 RV unverändert. In dieser Fassung beschloss der Verfassungsgeber die Bestimmung.Art. 36 LV orientierte sich an der Schweizer Bundesverfassung. Mit Sanktion des Verfassungsentwurfs durch Fürst Johann II. am 5. Oktober 1921 erhielt «Liechtenstein eine nach schweizerischem Muster entworfene» Handels- und Gewerbefreiheit.[23] Art. 36 LV sah nunmehr ausdrücklich ein Grundrecht auf «Handels- und Gewerbefreiheit» vor. Art. 36 LV wurde begrifflich wie Art. 31 der 1874 revidierten Schweizer Bundesverfassung (BV von 1874) gestaltet.[24]Art. 31 der Schweizer Bundesverfassung bezweckte, Handel und Gewerbe von staatlicher Regulierung und vom Zunftzwang zu befreien.[25] Art. 31 BV von 1874 lautete wie folgt:[26]Die der Liechtensteinischen Verfassung zum Vorbild dienende Schweizer Bundesverfassung verfolgte das Ziel eines liberalen Wirtschaftssystems, in welchem die Gewerbe- und Handelsfreiheit ein unbestrittenes Freiheitsrecht darstellen sollte. Dementsprechend war Art. 31 erster Satz der BV von 1874 ausgestaltet worden.In einem Spannungsverhältnis dazu stand die ältere liechtensteinische Wirtschaftsgesetzgebung, die stark an die restriktive österreichische Gesetzgebung (als Rezeptionsvorlage) angelehnt war.[27] Der liechtensteinische Gesetzgeber übernahm die österreichische Wirtschaftsgesetzgebung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend,[28] wodurch die Wirkung der Handels- und Gewerbefreiheit vorerst eingeschränkt blieb.[29]Die skizzierte Entwicklung war auch auf judizieller Ebene festzustellen. Die ältere «formalistische» Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs erachtete, gestützt auf den formellen Gesetzesvorbehalt des Art. 36 LV, weitreichende staatliche Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit für verfassungskonform.[30]Diese Auslegungspraxis fand erst 1997 durch die Anerkennung eines «materiellen» Grundrechtsverhältnisses durch den StGH ihr Ende.[31] Nach Kuno Frick leitete der StGH diese Judikaturwende zur Urbarmachung der «materiellen Eingriffsvoraussetzungen» der Handels- und Gewerbefreiheit bereits mit seinen Entscheidungen zur Zwangsmitgliedschaft der Gewerbe- und Wirtschaftskammer ein.[32] Seither berücksichtigt der StGH in rechtsvergleichender Sichtweise die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts zur «Wirtschaftsfreiheit» in Art. 27 der schweizerischen Bundesverfassung (BV[33]),[34] des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu Art. 12 deutsches Grundgesetz (GG[35]) und des österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zur in Art. 6 österreichisches Staatsgrundgesetz (StGG[36]) grundgelegten «Erwerbsfreiheit».[37]Diese Praxis geht auf die so genannte «fünfte [komparative] Auslegungsmethode» (Peter Häberle) zurück:[38] Bei Prüfung allfälliger Divergenzen des jeweiligen Schutzbereichs der einzelnen nationalen Grundrechte findet ein Vergleich der Spruchpraxis des StGH mit der Judikatur und Praxis der Verfassungsgerichte von Staaten mit vergleichbaren Grundrechtskatalogen statt.[39] Diese komparative Auslegungspraxis hat freilich keine vorbehaltlose Übernahme der ausländischen Judikatur durch den StGH zur Folge, sondern äussert sich in einer hilfsweisen Heranziehung der österreichischen, schweizerischen und deutschen Verfassungsjudikatur zur Überprüfung der Verfassungsmässigkeit einer strittigen Regelung.[40]II. KommentierungA. Systematische AbgrenzungArt. 36 LV ist Bestandteil des vierten Hauptstücks der Landesverfassung und statuiert ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht der «Landesangehörigen». Dem stehen die Art. 14 LV und Art. 20 Abs. 1 LV gegenüber, die im dritten Hauptstück angesiedelt sind.Anders als Art. 36 LV statuieren die Art. 14 LV und Art. 20 Abs. 1 LV keine Grundrechte. Sie formulieren Staatsaufgaben bzw. Staatsziele. Diese Normen verpflichten den Staat allgemein, die wirtschaftlichen Interessen des Volkes zu fördern (Art. 14 LV). Daran anknüpfend verpflichtet Art. 20 Abs. 1 LV das Land und die Gemeinden, die Ausübung des Handels und des Gewerbes durch verschiedene Massnahmen «zu fördern».Von Art. 36 LV sind wiederum die Art. 28 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 34 LV abzugrenzen,[41] die das Recht eines Landesangehörigen statuieren, sich frei im Land niederzulassen bzw. Vermögen jeglicher Art frei zu erwerben. Insoweit schützen die Bestimmungen – als Ausdruck der Privatautonomie – neben dem Recht, den Aufenthalt im Inland frei zu wählen und Sachen wie Liegenschaften zu erwerben[42] auch das Recht, einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen.[43] Letzteres ist wiederum, wie sich bei historischer und systematischer Auslegung zeigt, nicht primärer Regelungsgegenstand von Art. 36 LV.Echte «Konkurrenz» besteht zwischen Art. 40 LV (Meinungsfreiheit) einerseits und Art. 36 erster Satz LV andererseits. Da die Handels- und Gewerbefreiheit auch Werbung oder Veröffentlichungen durch einen Wirtschaftstreibenden schützt, sind staatliche Beschränkungen sowohl am Massstab der Handels- und Gewerbefreiheit als auch sub titulo Meinungsfreiheit zu prüfen.[44]Was das Verhältnis zwischen Art. 41 LV (Vereinigungsfreiheit) und Art. 36 erster Satz LV anlangt, ist im Einklang mit dem Schrifttum[45] folgende Auslegung zu vertreten: Verfolgt eine Vereinigung wirtschaftliche Zwecke, sind staatliche Eingriffe, welche die Rechtssphäre einer Vereinigung berühren, primär am Massstab des Art. 36 erster Satz LV zu prüfen. Dient eine Vereinigung hingegen auch darüber hinausgehenden ideellen, politischen oder kulturellen etc. Zwecken, sind entsprechende Eingriffe, welche die wirtschaftliche Stellung einer Vereinigung nicht berühren, am Massstab der Vereinigungsfreiheit zu prüfen.[46] Einen Grenzfall stellt die Beurteilung einer Pflichtmitgliedschaft in Kammern dar.[47] Je nach Zweckbestimmung einer solchen Vereinigung kann die Pflichtmitgliedschaft sowohl nach Art. 36 erster Satz LV als auch nach Art. 41 LV zu prüfen sein.[48]Überschneidungen bestehen zudem zu Art. 31 Abs. 1 LV. Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs sei Art. 36 LV auch ein spezielles „Gleichbehandlungsgebot“ dahingehend zu entnehmen, dass Wirtschaftstreibende in einer spezifischen Sparte „gleich“ behandelt werden müssen.[49] Höfling spricht von einer «negativen Wettbewerbsgewährleistung», wenn er festhält, der Staat solle nicht wettbewerbsverzerrend eine bestimmte Tätigkeit regulieren.[50] Inwiefern dieses Gebot über den allgemeinen Gleichheitssatz hinausgeht, wird in der Rechtsprechung offen gelassen, da Fragen einer allfälligen Ungleichbehandlung zwischen «Gewerbegenossen» ohnehin auch vom Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitsgebots nach Art. 31 Abs. 1 LV erfasst sind und ebenfalls danach geprüft werden können.[51] (dazu noch unten Kapitel II.E.).B. Sachlicher Schutzbereich und VerfassungsvergleichArt. 36 LV schützt die «Freiheit von Handel und Gewerbe». Die Handels- und Gewerbefreiheit garantiert die Freiheit der Wahl eines Berufs, den Zugang zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit und der Ausübung eines Berufes, nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs «die Wirtschaft allgemein».[52] Daher gewährleistet die Handels- und Gewerbefreiheit die Ausübung jeder rechtlich erlaubten, auf Erwerb gerichteten Tätigkeit, die als Teilnahme am Wirtschaftsleben gewertet werden kann.[53]Dabei geht der Verfassungsgeber von einer grundsätzlich auf Privatautonomie basierenden Wirtschaftsordnung aus.[54] Die Handels- und Gewerbefreiheit schützt damit insbesondere Berufswahl und Berufsausübung.Art. 36 LV differenziert begrifflich zwischen «Handel» und «Gewerbe»; diese Unterscheidung ist systematisch im Lichte der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs – wie gezeigt – vernachlässigbar. Eine Legaldefinition der beiden Begriffe ist der Verfassung fremd. Der Wortlaut des Art. 36 LV stellt, im Unterschied zu anderen Verfassungsordnungen (siehe nachstehend), nicht allgemein auf die «Wirtschaftsfreiheit» (CH) oder «Erwerbsfreiheit» (Ö) ab. Dennoch schützt Art. 36 LV nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs und nach herrschender Meinung, über den Wortlaut der Verfassung hinausgehend, die freie privatwirtschaftliche Betätigung schlechthin,[55] nicht nur Tätigkeiten in speziellen Wirtschaftsbereichen.[56]Nach Stotter sind unter den Begriffen «Handel und Gewerbe» sämtliche in Art. 4 des Gesetzes betreffend die teilweise Abänderung der Gewerbeordnung[57] umschriebenen Tätigkeiten zu verstehen, also auch die gemäss Art. 3 GewG ausgenommenen Beschäftigungen, wie der Betrieb von Bankgeschäften.[58]Da die liechtensteinische Verfassung keine Legaldefinition zur Begriffsklärung enthält, ist zur Auslegung der in Art. 36 erster Satz LV verankerten Begriffe auf die Worte «Gewerbe» und «Handel» abzustellen, wie sie in der liechtensteinischen Rechtsordnung einfachgesetzlich legal bestimmt sind. Dabei kann in Einklang mit der Judikatur des StGH auf Begriffe in «fachverwandten» Materiengesetzen (Ausführungsgesetzen) zurückgegriffen werden.[59] Unklar ist im Licht der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs, ob dabei – im Sinne einer der österreichischen Verfassungsrechtslage entsprechenden «Versteinerung» – jene Fassung einer Rechtsvorschrift heranzuziehen ist, wie sie im Zeitpunkt des Geltungsbeginns des Art. 36 LV 1921 in Geltung stand, oder – nach Vorbild der EGMR-Judikatur – auch nachfolgende, «dynamische» Weiterentwicklungen eines Gesetzes berücksichtigt werden müssen (siehe nachfolgend Rz. 38 ff.). In anderen «besonders dynamischen Rechtssetzungsbereichen, (in denen) eine intensive und kontroverse Wertediskussion im Gange ist», erlegte sich der StGH «bei der Überprüfung der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen aus Gründen der Demokratie und der Gewaltenteilung generell Zurückhaltung» auf.[60]Der Begriff «Handel» umfasst unter Berücksichtigung der Wertungen des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB)[61] den Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen, wobei die Betriebsform unerheblich ist.[62] Dieser auf den ersten Blick extensiv wirkenden Auffassung ist einschränkend eine «unternehmerische Komponente» hinzuzufügen: Handel erfasst sohin den Güter- und Dienstleistungsaustausch zwischen Unternehmern oder zwischen Unternehmen und Konsumenten. Nicht unter den Handelsbegriff zu subsumieren ist hingegen der Verkauf und Kauf (von Waren oder Dienstleistungen) zwischen Privatpersonen.[63]Der Begriff «Gewerbe» umfasst die selbstständige berufliche Tätigkeit in bestimmten Berufszweigen. Nach betriebs- und volkswirtschaftlichem Verständnis wird unter Gewerbe jede nicht naturgebundene Güterproduktion erfasst[64] und somit das gesamte Handwerk eingeschlossen.[65] Auf einfachgesetzlicher Ebene bestimmt das Gewerbegesetz (GewG[66]) in Art. 2 Abs. 2 GewG, dass eine gewerbsmässige Tätigkeit ausgeübt wird, «wenn sie selbstständig, regelmässig und in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, gleichgültig, für welche Zwecke dieser bestimmt ist.» Lehre und Rechtsprechung stimmen darin überein, dass Art. 36 LV nicht nur Handel und Gewerbe im engeren Sinne schützt, «sondern jede privatwirtschaftliche Erwerbstätigkeit»[67], unabhängig davon, ob sie selbstständig oder unselbstständig («abhängig») ausgeübt wird.[68] Von der Rechtsprechung explizit einbezogen wurden Tätigkeiten im Rahmen des Gewerbe-, Handels- sowie Landwirtschafts-, Handwerks- und Dienstleistungssektors.[69] Unter einer gewerblichen Tätigkeit im Sinne des Art. 36 LV ist auch eine industrielle Tätigkeit zu subsumieren,[70] die ausserhalb des Handwerks-, Handels- oder Dienstleistungssektors ausgeübt wird,[71] wie etwa die Herstellung von Waffen oder Medizinprodukten.Dem Gesetzgeber steht es offen, neue Berufsbilder zu schaffen und entsprechende Berufsantritts- und Berufsausübungsregeln zu erlassen (z.B. Erlassung eines Gesetzes zur Regulierung so genannte «VT-Transaktionssysteme»[72]); die entsprechende Berufsordnung muss im Ergebnis sachlich ausgestaltet werden.StGH und VGH hatten in den letzten Jahren verschiedene Fallkonstellationen am Massstab des Art. 36 LV zu beurteilen:[73]Art. 36 erster Satz LV nennt die Begriffe Handel und Gewerbe gleichberechtigt nebeneinander. Handel und Gewerbe – und darüber hinaus auch andere Wirtschaftssparten (Berufsbilder bzw. -ordnungen) – sind durch Gesetzgeber und Vollziehung prinzipiell «gleich» zu behandeln.[91] Diese Systematisierung und Wertentscheidung des Verfassungsgebers ist für die einfache Gesetzgebung und Vollziehung bindend. Unterschiede zwischen den jeweiligen Berufsordnungen sind nur zulässig, wenn sie aufgrund objektivierbarer Unterschiede gerechtfertigt werden können. Eine unterschiedliche Ausgestaltung einzelner Sparten ist, wenn man etwa an Regelungen über den Berufsantritt denkt, nur bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses bzw. triftiger Gründe zulässig. Dasselbe gilt für differenzierende Regelungen innerhalb einer Wirtschaftssparte: Auch diese sind, wenn man etwa an Erwerbsantrittsbedingungen und Ausübungsmodalitäten denkt, bei Vorliegen eines triftigen Grundes diskutabel.[92]Art. 36 erster Satz LV zielt als primären Regelungsgegenstand auf den Schutz selbständiger wirtschaftlicher (Erwerbs)betätigung ab, die als Teilnahme am Wirtschaftsleben angesehen werden kann. Die Landesverfassung schützt jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit, daher insbesondere solche, unternehmerischer Natur;[93] Gewinnerzielungsabsicht ist nicht gefordert. Dabei ist es gleichgültig, ob eine einschlägige Tätigkeit als Haupterwerb bestritten wird, um den eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, oder ob sie bloss im Nebenerwerb erbracht wird. Bei einer derartigen Begriffsauslegung fällt daher jede in Erwerbserzielungsabsicht erfolgende Vereinstätigkeit, die über ideelle Zwecke[94] hinausgeht, auch unter Art. 36 erster Satz LV. Dabei ist der Anwendungsbereich des Art. 36 LV eröffnet, wenn die Vereinstätigkeit nicht ausschliesslich ideelle Zwecke verfolgt.[95]Nicht hinreichend klargestellt wurde bislang, ob Art. 36 erster Satz LV auch unselbständige Tätigkeiten erfasst. Während Wortlaut,[96] historische Entwicklung[97] der Bestimmung und systematische Aspekte[98] eher ein engeres Verständnis in dem Sinn nahelegen, dass unter Art. 36 LV nur selbständige Tätigkeiten fallen, spricht eine rechtsvergleichende Perspektive für eine weite Auslegung, die auch unselbständige Tätigkeiten einschliesst (dazu nachfolgend im Text). Auch der StGH dürfte Art. 36 LV eher extensiv verstehen[99].[100]Die weite Auslegung des Art. 36 LV ist insbesondere durch die Weiterentwicklung der Schweizer Rezeptionsvorlage indiziert; dies ungeachtet allfälliger sprachlicher und systematischer Unterschiede zwischen den verwandten Grundrechten. Wie bereits zuvor dargelegt wurde, hatte der liechtensteinische Verfassungsgesetzgeber Art. 36 LV ursprünglich nach Schweizer Vorbild (Art. 31 aBV[101]) ausgestaltet.[102] Die Verfassungslage in der Schweiz entwickelte sich indes weiter: Art. 27 BV[103] statuiert nunmehr einen umfassenden Schutz der (begrifflich weiter gefassten) «Wirtschaftsfreiheit».Die Schweizer Bundesverfassung enthält in Art. 27 BV Regelungen über die «Wirtschaftsfreiheit», welche «insbesondere die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung» umfasst,[104] ist aber nicht auf Aspekte des Handels und des Gewerbes beschränkt. Art. 27 BV schützt daher umfassend vor staatlichen Beschränkungen einer selbständig oder unselbständig ausgeübten privatwirtschaftlichen Tätigkeit.Es erscheint daher angebracht, Art. 36 LV in dem Sinn «dynamisch» auszulegen[105] und die skizzierte Weiterentwicklung des Schweizer Verfassungsrechts bei der Interpretation des Anwendungsbereichs des Art. 36 LV zu berücksichtigen. Dies bezieht sich nicht nur auf den sachlichen Anwendungsbereich der Handels- und Gewerbefreiheit per se, sondern auch auf die Frage der Zulässigkeit von Beschränkungen des Grundrechts.Auch die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs der letzten 20 Jahre spricht für diese Auffassung, wodurch deutlich wird, dass der Gerichtshof seine ältere, formal geprägte Judikatur zu Art. 36 LV durch ein materielles Grundrechtsverständnis ersetzte[106].[107] So betonte der StGH ab ca. 1997 die Geltung der Handels- und Gewerbefreiheit auch für Arbeitnehmer; eine solche deutliche Positionierung ist jedoch bislang vereinzelt geblieben.[108]Handels- und Gewerbefreiheit sind im Ergebnis umfassend gewährleistet. Art. 36 erster Satz LV erfasst jegliche rechtlich zulässige Erwerbstätigkeit in allen ihren Facetten.[109] Der Schutz der VerfassungDie Handels- und Gewerbefreiheit umfasst – als weiteren Teilgehalt – die «Vertragsfreiheit».[115] Geschützt ist im Besonderen das Recht zum Abschluss privatrechtlicher Verträge, soweit diese im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit geschlossen werden. Ferner schützt die Handels- und Gewerbefreiheit davor, dass bestehende privatrechtliche Verträge durch gesetzliche Massnahmen unmittelbar verändert werden.[116] Gesetzliche Regelungen, die den Abschluss bestimmter Verträge verhindern oder zum Abschluss bestimmter Verträge zwingen, ferner ein Gesetz, das einen privatrechtlichen Vertrag unmittelbar verändert, greifen in Art. 36 erster Satz LV ein.[117] Nicht von der Vertragsfreiheit gedeckt sind jedoch namentlich Übervorteilungen und andere sittenwidrige Vertragsinhalte.Unklar ist, ob aus Art. 36 erster Satz LV, vergleichbar mit Art. 12 GG, auch ein Schutz der Berufsausbildung im Sinne einer freien Wahl der Ausbildungsstätte abgeleitet werden kann, soweit diese einen Konnex zu einer durch Art. 36 LV erfassten Erwerbstätigkeit aufweist. Anders gewendet ist fraglich, ob aus Art. 36 erster Satz LV etwa ein Anspruch auf freien Hochschulzugang (vorausgesetzt dem tertiären Bildungssektor wird abseits seines (Weiter-)Bildungsauftrags ein «Berufsausbildungsauftrag» unterstellt[118]) oder ein subjektives Recht auf eine bestimmte Lehrstelle abgeleitet werden kann. Historik, Wortlaut und Telos des Art. 36 LV sowie die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs liefern dafür keine unmittelbaren Anhaltspunkte, zielt die Norm doch primär auf den Schutz freier privater Erwerbsbetätigung ab. In erster Linie geht es Art. 36 LV um den freien Zugang zum Erwerbsmarkt und die möglichst «ungestörte Ausübung» eines Berufes. Dennoch hat sich die herrschende Ansicht aufgrund rechtsvergleichender Interpretation am Massstab des Art. 27 BV und des Art. 12 GG für eine entsprechende extensive Auslegung des Art. 36 erster Satz LV ausgesprochen und sieht die freie Wahl der Arbeitsstätte als von Art. 36 LV umfasst an.[119] Diese Auslegung ist freilich bei rechtsvergleichender Analyse nicht unbestreitbar: So umfasst Art. 6 StGG etwa kein solches Recht.Das bislang Gesagte führt zu der Beurteilung, dass der Handels- und Gewerbefreiheit sowohl eine individual-rechtliche als auch eine objektiv-rechtliche Funktion zukommt. Nach Auffassung des StGH schützt Art. 36 LV die «Freiheit der Wahl, des Zugangs und der Ausübung des Berufes», wenn eine private Tätigkeit auf Ertrag gerichtet ist.[120]Systematisch ist die Handels- und Gewerbefreiheit als staatsgerichtetes Abwehrrecht («Freiheitsrecht») konzipiert,[121] das dem Einzelnen Raum zur (möglichst «ungestörten») beruflich-wirtschaftlichen Selbstbetätigung bzw. -entwicklung gewähren soll und den Staat zu einem Dulden oder Unterlassen verpflichtet. Art. 36 LV statuiert ein Abwehrrecht gegenüber unzulässigen bzw. unverhältnismässigen staatlichen Eingriffen. Beschränkungen des Grundrechts sind nach der Spruchpraxis des StGH zulässig,[122] wenn dies in einem formellen Gesetz hinreichend klar geregelt ist, sie im öffentlichen Interesse liegen und dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz entsprechen.[123]Die objektiv-rechtliche Ausprägung der Handels- und Gewerbefreiheit kommt nach der Judikatur des StGH darin zum Ausdruck, dass «die Freiheit der Wirtschaft ganz allgemein» geschützt wird.[124] Die Rechtsprechung des StGH misst dem geltenden liechtensteinischen Verfassungsrecht damit eine entsprechende Bedeutungstiefe bei. Nach dieser Auffassung statuiert die Handels- und Gewerbefreiheit nicht allein ein Abwehrrecht des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt, sondern stellt zugleich eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung der Verfassung dar, aus der Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung abgeleitet werden können. Diese objektive Gewährleistung bindet den Staat allgemein und unabhängig vom Einzelnen und ist entsprechend einfachgesetzlich zu konkretisieren (Art. 14 LV, Art. 20 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 36 erster Satz LV).[125]Beispielsweise hat der Gesetzgeber entsprechende Verfahren und Instrumente bereitzustellen, damit Grundrechtsträger ihr subjektives Recht auf Handels- und Gewerbefreiheit effektiv ausüben können.[126] Freilich sind der Annahme einer staatlichen Gewährleistungspflicht Grenzen gesetzt: Sie vermittelt für sich kein justiziables subjektives Recht des Grundrechtsträgers. Aus diesem Grund kann aus Art. 36 erster Satz LV für sich kein einklagbarer Anspruch auf Gewährung staatlicher Förderungen oder Leistungen, z.B. die Benutzung einer öffentlichen Sache im Rahmen des Gemeingebrauchs (wie etwa die Zulässigkeit der Strassenbenutzung durch Lkw), Standortsubventionen zwecks Überwindung schwieriger Marktbedingungen oder ein Recht auf einen möglichst «uneingeschränkten Marktzutritt» in einer spezifischen Branche abgeleitet werden.[127] Zudem kann staatliche Säumigkeit oder Untätigkeit auf legislativer Ebene gerichtlich nicht durchgesetzt werden. Dem entspricht die herrschende Meinung, die festhält, dass kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Subventionen oder sonstige staatliche Leistungen bzw. Förderungen bestehe.[128]Für ein korrektes Verständnis des Geltungsbereichs des Art. 36 LV sind zudem verwandte grundrechtliche Gewährleistungen in den Nachbarstaaten Liechtensteins zu berücksichtigen. Die österreichische Verfassung garantiert in Art. 6 StGG die «Erwerbsfreiheit» österreichischer Staatsbürger. Gegenstand der Erwerbsfreiheit ist jede Tätigkeit, die auf wirtschaftlichen Erfolg gerichtet ist, also jede Art, Vermögen zu erwerben,[129] nicht nur eine gewerbliche Tätigkeit im Sinne der österreichischen GewO.[130] Insbesondere ist es nach Art. 6 StGG gleichgültig, ob die Erwerbstätigkeit selbständig oder unselbständig ausgeübt wird. Ebenfalls umfassend konzipiert ist das deutsche Grundgesetz. Jenes regelt in Art. 12 Abs. 1 GG die «Wahlfreiheit von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte». Das GG schützt jede auf Dauer angelegte selbständige bzw. unselbständige Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage, soweit sie nicht gegen verfassungsrechtliche Wertentscheidungen verstösst bzw. nicht verboten ist.[131]Die in Liechtenstein unmittelbar verbindliche EMRK[132] und ihre Zusatzprotokolle selbst enthalten kein allgemeines Grundrecht auf «Wirtschaftsfreiheit» vergleichbar zu Art. 27 BV. Art. 4 EMRK statuiert «lediglich» das Verbot der Zwangsarbeit, was im gegenständlichen Zusammenhang nicht näher von Bedeutung ist.Art. 16 der EU-Grundrechtecharta (GRC[133]), der ein Grundrecht auf «unternehmerische Freiheit» statuiert, ist für Liechtenstein als EWR-Mitgliedstaat nicht unmittelbar verbindlich.[134] Die Norm[135] und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind jedoch mittelbar im Wege der Auslegung zu berücksichtigen.[136] Dies, wenn und soweit EU-Rechtsakte wie etwa die Richtlinie (EU) 2015/849[137] Bedingungen und Schranken unternehmerischer Betätigung definieren und – nach ihrer Übernahme in das EWR-Abkommen (EWRA[138]) – von Liechtenstein und seinen Behörden unmittelbar anzuwenden oder in nationales Recht zu übernehmen sind.[139]Art. 36 LV wird zudem auf der Ebene des EWRA von den so genannten vier «Grundfreiheiten» überlagert.[140] Angesprochen sind die Warenverkehrsfreiheit (Art. 8 ff., 23 ff. EWRA), die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 40 ff. EWRA) die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 28 ff. EWRA sowie die Dienst- und Niederlassungsfreiheit nach den Art. 31 ff., 36 ff. EWRA. Diese Grundfreiheiten des EWR-Rechts vermitteln dem einzelnen EWR-Bürger unmittelbar anwendbare subjektiv-öffentliche Rechte, sind sie doch auf die Abschaffung aller grenzübertrittsspezifischen Behinderungen innerhalb des EWR gerichtet.[141] Art. 36 LV ist jedenfalls in Einklang mit den genannten Grundfreiheiten sowie dem allgemeinen Diskriminierungsverbot gemäss Art. 4 EWRA auszulegen,[142] was etwa für die Frage des sachlichen und persönlichen Geltungsbereichs des Art. 36 LV von Bedeutung ist. Durch die Grundfreiheiten des EWR-Rechts wird die Geltungsbeschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit auf Landesangehörige verdrängt, soweit es sich um einen EWR-rechtlich relevanten (grenzüberschreitenden) Sachverhalt handelt. Soweit daher eine wirtschaftliche Tätigkeit in den Anwendungsbereich des EWRA fällt und sich EWR-Bürger bzw. EWR-Unternehmen auf das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 4 EWRA berufen können, dürfen daher entsprechende Rechtsmittel von EWR-Bürgern bzw. EWR-Unternehmen im Kontext der Handels- und Gewerbefreiheit nicht ohne weiteres ab- bzw. zurückgewiesen werden.[143],[144]C. GrundrechtsträgerArt. 31 Abs. 3 LV statuiert, dass sich ausschliesslich Landesangehörige auf die im vierten Hauptstück der Landesverfassung statuierten Grundrechte berufen können; Ausländer seien nur nach Massgabe von Staatsverträgen bzw. dem jeweiligen «Gegenrecht» Grundrechtsträger. Anzumerken bleibt, dass die in Art. 31 Abs. 3 LV grundgelegte Einschränkung nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs als totes Recht anzusehen ist.[145]Landesangehörige sind gemäss Art. 1 des Verfassungsgesetzes vom 17. Dezember 1970, mit welchem der Begriff «Landesangehöriger» authentisch interpretiert wurde, alle Personen mit liechtensteinischem Landesbürgerrecht ohne Unterschied des Geschlechts.[146] Erfasst werden Personen, die nach Massgabe der einschlägigen zivil- und gesellschaftsrechtlichen Vorgaben rechts- bzw. handlungsfähig sind. Ein Wohnsitz bzw. Aufenthalt im Inland ist für die Frage der Grundrechtsträgerschaft nicht von Bedeutung.[147]1. Natürliche PersonenDie herrschende Ansicht vertritt die Auffassung, dass die meisten Grundrechte – und damit auch Art. 36 LV – in Liechtenstein undifferenziert auch Ausländern offen stünden;[148] Art. 36 LV nehme keine explizite Einschränkung vor und statuiere ein Jedermannsrecht, auf das sich liechtensteinische Staatsangehörige und Fremde gleichermassen berufen können.[149] Entscheidend sei lediglich, dass die betreffende Person der liechtensteinischen Jurisdiktion unterworfen sei.[150]Wortlaut und Systematik des vierten Hauptstücks der Landesverfassung zwingen zu einer Präzisierung. Was nämlich Art. 36 erster Satz LV anlangt, ist man mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass den Grundrechten der LV, anders als den Menschenrechten der EMRK, keine «Universalgeltung» zukommt. Zudem enthalten weder die EMRK noch das EWRA eine mit Art. 36 LV unmittelbar vergleichbare Bestimmungen, die eine «pauschale» Ausdehnung[151] der Grundrechtsträgerschaft auf andere natürliche Personen als Landesangehörige zweifelsfrei stützen.[152] Es überrascht daher nicht, dass in einzelnen Nachbarstaaten Liechtensteins eine pauschale Ausweitung des Anwendungsbereichs der so genannten «Staatsbürgerrechte», insbesondere auch der «Berufs- und Wirtschaftsfreiheit», auf EWR-Bürger nach wie vor kritisch gesehen wird.[153]Eine Ausdehnung des persönlichen Geltungsbereichs des Art. 36 LV auf EWR-Bürger ist jedenfalls geboten, wenn ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des EWR-Rechts fällt,[154] insbesondere jenen der Art. 31 ff. EWRA. Auch im Licht des Diskriminierungsverbots des Art. 4 EWRA ist davon auszugehen, dass Art. 36 erster Satz LV von EWR-Bürgern bzw. EWR-Unternehmen in Anspruch genommen werden kann. Gemäss Art. 4 EWRA ist jede Diskriminierung eines EWR-Bürgers bzw. EWR-Unternehmens aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.[155] Sie dürfen im Anwendungsbereich des EWRA im Vergleich zu Landesangehörigen nicht schlechter gestellt werden. Ist daher der Anwendungsbereich des EWRA eröffnet, darf eine durch einen EWR-Bürger auf Art. 36 LV in Verbindung mit Art. 104 LV gestützte Grundrechtsbeschwerde nicht wegen seiner fehlenden Landesangehörigkeit ab- oder zurückgewiesen werden. Insoweit ist – beschränkt auf den Anwendungsbereich des EWR-Rechts – von einer Ausdehnung des persönlichen Geltungsbereichs des Art. 36 erster Satz LV auf EWR-Bürger auszugehen.[156]Was Schweizer Staatsangehörige bzw. Unternehmen anlangt, steht ihnen eine (unmittelbare) Inanspruchnahme des Art. 36 LV jedenfalls offen, wenn sie aufgrund völkerrechtlicher Abkommen Landesangehörigen bzw. EWR-Bürgern gleichgestellt sind.[157] Darüber hinaus vertritt ein Teil der Lehre[158] die Auffassung, dass Angehörige der EFTA-Staaten (daher auch Schweizer Staatsangehörige bzw. Unternehmen) wie Angehörige der EWR-Mitgliedstaaten (also gleich wie Landesangehörige) zu behandeln seien; Art. 4 EWRA enthalte ein Art. 18 AEUV entsprechendes Verbot, welches aufgrund der Homogenitätsklausel in Art. 6 EWRA respektive Art. 105 f. EWRA wie Art. 18 AEUV auszulegen sei. Diese pauschale Gleichstellung der Schweiz mit Liechtenstein ist aufgrund des Umstandes, dass die Schweiz nicht Mitglied des EWRA ist, abzulehnen.[159]Nach nunmehr vertretener Lehre und Rechtsprechung kommt auch anderen Drittstaatsangehörigen bzw. Unternehmen der nach Art. 36 erster Satz LV gebotene Schutz zu.2. Juristische PersonenInländische juristische Personen des Privatrechts fallen jedenfalls in den Schutzbereich des Art. 36 erster Satz LV;[160] dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs (der hinsichtlich Art. 36 LV nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen differenziert).[161] So vertritt auch das gängige Schrifttum die Auffassung, dass juristische Personen des Privatrechts, was ihre «Staatsangehörigkeit» betrifft, im Anwendungsbereich des Art. 36 LV gleich wie natürliche Personen zu behandeln seien.[162] Darüber hinaus wird im Schrifttum auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts vertreten, dass sich etwa Gemeinden im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung, wenn sie von behördlichen Eingriffen betroffen sind, auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen dürfen.[163]Die Rechtsform einer Gesellschaft, Sitz und Herkunft ihrer Eigentümer, Aspekte der Beherrschung wie etwa infolge von Stimmrechten etc. sind für die Frage der Grundrechtsberechtigung inländischer juristischer Personen – insbesondere auch im Anwendungsbereich des EWRA – grundsätzlich nicht von Relevanz;[164] vorausgesetzt wird hier, dass Gesellschaften rechtsfähig sind und einer wirtschaftlichen, auf Erwerbserzielung gerichteten Tätigkeit nachgehen.Inländische juristische Personen des Privatrechts sind alle selbständig rechtsfähigen Verbandspersonen[165] des liechtensteinischen Rechts mit Sitz im Inland.[166] Diesen sind alle juristischen Personen des ausländischen Rechts mit Hauptsitz in einem anderen Staat, die aufgrund völkerrechtlicher Verträge wie inländische juristische Personen zu behandeln sind,[167] gleichgestellt.[168]Insoweit kann hinsichtlich der Grundrechtsberechtigung von EWR- und Schweizer Gesellschaften, die sich in Liechtenstein rechtmässig wirtschaftlich betätigen, auf die Ausführungen zuvor (Rz. 57 ff.) verwiesen werden.In Bezug auf die Grundrechtsträgerschaft von Drittstaatsgesellschaften verweist das Schrifttum[169] auf eine von Kuno Frick entwickelte These («Kombination aus Sitz- und Kontrolltheorie»). Dieser zufolge sei im Einzelfall der Kreis grundrechtsberechtigter juristischer Personen zu erweitern oder zu verkleinern. Grundrechtsberechtigt, weil inländischen juristischen Personen gleichgestellt, seien jene Gesellschaften, die zwar im Ausland niedergelassen sind, in denen jedoch liechtensteinische Staatsangehörige einen beherrschenden Einfluss haben. Auszuscheiden seien mangels Gleichstellung jene Gesellschaften, die zwar in Liechtenstein domiziliert seien, die jedoch ausschliesslich von Ausländern beherrscht würden.[170]Diese Auffassung ist abzulehnen. Sie führt im Einzelfall zu verfassungswidrigen bzw. unsachlichen Ergebnissen: Es kann für die Grundrechtsträgerschaft eines ausländischen Unternehmens nicht ernsthaft darauf ankommen, ob an einer Entität mehrheitlich in- oder ausländische Rechtsträger beteiligt sind oder die angesprochenen Gesellschaften mehrheitlich von liechtensteinischen Staatsangehörigen beherrscht werden.[171]Juristische Personen des öffentlichen Rechts wie etwa Gemeinden (Art. 110 LV) oder öffentliche Unternehmen wie die Universität Liechtenstein bzw. die Liechtensteinischen Kraftwerke sind Träger der Handels- und Gewerbefreiheit, wenn sie – gleich wie jeder andere Private – am privaten Wirtschaftsleben teilnehmen[172] und dabei durch staatliche Massnahmen beeinträchtigt werden; ferner, wenn sie einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen oder Beteiligungen an anderen Rechtsträgern erwerben. Nur dann und insoweit, als juristische Personen des öffentlichen Rechts öffentliche Aufgaben oder Aufgaben der Hoheitsverwaltung besorgen, steht ihnen kein grundrechtlicher Schutz zu.[173] Dies ergibt sich schon zwanglos aus dem Charakter der Handels- und Gewerbefreiheit als staatliches Abwehr- bzw. Freiheitsrecht: Es wäre fragwürdig, wollte man staatlichen Entitäten, die öffentliche Aufgaben vollziehen, ausnahmslos individuellen Grundrechtsschutz zuerkennen.Daher ist es zwar Gemeinden zum Schutz der Gemeindeautonomie erlaubt, eine Individualbeschwerde an den StGH gemäss Art. 15 StGHG zu ergreifen.[174] Demgegenüber sind andere juristische Personen des öffentlichen Rechts, die öffentliche Aufgaben besorgen, nicht per se zur Erhebung einer Individualbeschwerde legitimiert[175].[176]D. GrundrechtsverpflichteteArt. 36 LV stellt bei historischer, systematischer und teleologischer Auslegung ein staatsgerichtetes Abwehrrecht dar. Daraus folgt, dass nur der Staat und die ihm zuzurechnenden Organe – Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Verwaltung – an das Grundrecht gebunden sind. Dabei ist zu unterscheiden:Die Bindungswirkung der Handels- und Gewerbefreiheit gegenüber dem Staat, vor allem und zunächst der einfachen Gesetzgebung, ergibt sich aus ihrem Verfassungsrang. Eingriffe der Gesetzgebung in die Handels- und Gewerbefreiheit sind an bestimmte „gesetzliche Schranken“ gebunden (dazu unten Kapitel II.F.).Die Bindung des Staates manifestiert sich zudem in Art. 104 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 15 StGHG,[177] wonach der StGH zum Schutz der verfassungsmässig gewährleisteten Rechte eingerichtet ist. Gerade mit der Schaffung der richterlichen Gesetzesprüfung durch Art. 104 Abs. 1 LV wird die Bindung des Staates an die Grundrechte des vierten Abschnittes der Landesverfassung verdeutlicht und praktisch effektuiert: Der Gesetzgeber, der Grundrechte beschränkt, unterliegt der nachprüfenden Kontrolle des StGH als Grundrechtsgericht («Schrankenkontrolle»).Doch erfasst die Bindung der Handels- und Gewerbefreiheit nicht nur den das Grundrecht beschränkenden Gesetzgeber, sondern den Staat in allen seinen Erscheinungsformen, daher beispielsweise auch Gebietskörperschaften,[178] Selbstverwaltungsträger und andere selbständige, öffentliche Aufgaben besorgende Rechtsträger bzw. Beliehene: Der Staat ist nicht nur an die Handels- und Gewerbefreiheit gebunden, wenn er Gesetze erlässt, sondern auch, wenn die genannten Rechtsträger, gestützt auf ein Gesetz im formellen Sinn, mittels Instrumenten der Hoheitsverwaltung agieren und das Grundrecht beschränken (dazu unten Rz. 110 ff.).Damit hat es aber nicht sein Bewenden: Der zunehmend ausserhalb der Hoheitsverwaltung agierende Staat ist auch dann an die Handels- und Gewerbefreiheit gebunden, wenn er in privatrechtsförmiger Weise typisch staatliche («öffentliche») Aufgaben besorgt;[179] etwa, wenn er zur Aufrechterhaltung des Rettungswesens privatrechtliche Verträge schliesst und einen Konkurrenten bevorzugt, Förderungen im Bereich Unternehmensansiedlung vergibt oder öffentliche Aufträge im Bereich Gesundheitsversorgung ausschreibt. Nur bei entsprechend extensiver Auslegung können «grundrechtsfreie Räume» geschlossen und vermieden werden.[180]Eine «unmittelbare Drittwirkung» der Handels- und Gewerbefreiheit dahingehend, dass sie sich auch auf die Rechtsbeziehungen von Privatpersonen untereinander erstreckt, besteht nach Historik, Wortlaut, Systematik und Telos des Art. 36 erster Satz LV demgegenüber nicht.[181] Eine Drittwirkung müsste vom Verfassungsgeber ausdrücklich angeordnet werden; nach Wortlaut und Systematik des Art. 36 LV sind Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit jedoch nur durch «Gesetz» zulässig.Das schliesst es nicht aus, anzunehmen, dass Art. 36 LV – vermittelt durch das Privatrecht – im Sinne einer «mittelbaren Drittwirkung» auch auf Rechtsbeziehungen inter privatos «ausstrahlt», wenn man etwa an Kartellrechtsstreitigkeiten denkt, in denen sich öffentliche und private Unternehmen gegenüberstehen. Es ist Aufgabe der (einfachen) Gesetzgebung und Vollziehung, die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Privaten gegeneinander abzugrenzen und gleichzeitig durch spezifische Regelungen und Verfahren ihre effektive Ausübbarkeit, vor allem auch vor Gerichten, zu gewährleisten (vgl. auch oben zur erwähnten staatlichen Gewährleistungspflicht, Rz. 46). Der Staat ist im Ergebnis verpflichtet, einen sachgerechten Ausgleich verschiedener, oft gegenläufiger Grundrechtspositionen (etwa von Wirtschaftskonkurrenten) zu ermöglichen.E. Gleichbehandlungsgebot und WettbewerbsfreiheitDie Rechtsprechung des StGH postuliert wiederholt einen Grundsatz der «Gleichbehandlung der Konkurrenten».[182] Dabei referenziert der StGH auf die Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichtes. Der Staat soll direkte Konkurrenten in einer spezifischen Branche «gleich» behandeln[183] (in der Lehre und Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang auch der Ausdruck «Gewerbegenossen» gebraucht).Was Inhalt dieses speziellen «Gleichbehandlungsgebots» und wann es anwendbar ist, hat die Rechtsprechung bislang nicht deutlich herausgearbeitet. So führte StGH 2013/149 in Erwägung 6.1 aus: «Inwiefern das Gebot der Gleichbehandlung von Gewerbegenossen ein über den allgemeinen Gleichheitssatz hinausgehendes Gebot zur Gleichbehandlung von Konkurrenten darstellt, hat der Staatsgerichtshof bisher nicht entschieden (StGH 2008/80, Erw. 4.2).» Allgemein bleibt offen, ob Grundrechtsträger, über den allgemeinen Gleichheitssatz gemäss Art. 31 Abs. 1 LV hinausgehend, einen einklagbaren Anspruch auf ein «wettbewerbsneutrales Staatsverhalten» haben,[184] oder Art. 36 erster Satz LV – vergleichbar einem Staatsziel – ein Grundsatz der «Wettbewerbsneutralität staatlicher Massnahmen» zu entnehmen ist.[185]StGH 2013/82 hielt fest, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung von Konkurrenten weiterreiche als die Handels- und Gewerbefreiheit, ohne diese These näher zu substantiieren oder klarzustellen, ob es sich beim Gleichbehandlungsgebot um ein subjektives Recht der Grundrechtsträger oder um ein Staatsziel bzw. einen Auslegungsgrundsatz handle.[186]StGH 2008/80 ist entnehmbar, dass aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz gemäss Art. 36 erster Satz LV kein Anspruch auf ein bestimmtes staatliches Verhalten (z.B. Gewährung staatlicher Leistungen) ableitbar sei. Von einem Eingriff in die Handlungs- und Gewerbefreiheit könne jedoch gesprochen werden, wenn der Gesetzgeber an eine Subventionsausrichtung Auflagen oder Bedingungen knüpfe.Zuletzt war der StGH, soweit ersichtlich, in seinem Erkenntnis StGH 2013/149 mit dieser Frage befasst, nahm jedoch keine Klarstellung vor, obwohl der zugrunde liegende Sachverhalt Anhaltspunkte für eine Präzisierung geboten hätte. StGH 2009/71 sprach wiederum aus, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung nicht greife, wenn der Staat selbst öffentliche Aufgaben erfüllt (wie z.B. die Errichtung und Führung von Schulen).[187]Kuno Frick vertritt die Auffassung, der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen wirke «strenger», indem er um der Wettbewerbsneutralität Willen Differenzierungen verbietet, die nach dem allgemeinen Gleichheitssatz zulässig, ja geboten wären, wenn für direkte Konkurrenten ein Wettbewerbsnachteil entstehen könnte. Anders ausgedrückt: Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen verlange absolute Gleichbehandlung der direkten Konkurrenten, der allgemeine Gleichheitssatz generell nur eine relative Gleichbehandlung der Gewerbegenossen.[188]Die überwiegende Lehre ist hingegen der Meinung, der Grundsatz der «Wettbewerbsneutralität» sei zwar von entsprechender politischer Bedeutung, er stelle jedoch keine spezifische («weitere») grundrechtliche Gewährleistungsdimension der Handels- und Gewerbefreiheit dar.[189] Für diese Auffassung spricht auch die rechtsvergleichende Perspektive, da weder das deutsche noch das österreichische Pendant zu Art. 36 erster Satz LV einen spezifischen gewerberechtlichen «Neutralitätsgrundsatz» kennen, der über den allgemeinen Gleichheitssatz hinausgeht.Nach hier vertretener Ansicht kommt dem als Wertungsmassstab zu sehenden Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 36 erster Satz LV keine über den allgemeinen Gleichheitssatz reichende Bedeutung zu; dieser Figur bedarf es nicht, um die verfassungsrechtlich gebotene Differenzierung zwischen oder die Gleichbehandlung von Wirtschaftskonkurrenten sicherzustellen. Dafür genügt es, den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 31 Abs. 1 LV «in Stellung zu bringen». Selbstverständlich ist der Gesetzgeber auch in ein und derselben Wirtschaftssparte, soweit zur Regelung des Gegenstandes erforderlich, zur Erlassung differenzierender Regelungen ermächtigt, wenn man etwa anDie jeweilige Unterscheidung muss jedoch jeweils für sich «sachlich», d.h. rechtfertigbar sein und einer höchstgerichtlichen Prüfung standhalten. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 36 erster Satz LV steht bei richtiger Auslegung solchen differenzierenden Regelungen, die nach Art. 31 Abs. 1 LV zulässig sind, nicht entgegen. Würde man wie Kuno Frick von einer Absolutwirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäss Art. 36 erster Satz LV ausgehen, müsste man unterstellen, dass der Gesetzgeber jeweils verpflichtet wäre, in ein und derselben Wirtschaftsbranche jeweils homogene Antritts- und Ausübungsstandards zu erlassen, obwohl gerade diese Homogenität im Einzelfall zu unsachlichen Differenzierungen führen kann, wenn man beispielsweise, wie oben beschrieben, an Öffnungszeiten für verschiedene Gastronomiebetriebe denkt.F. Eingriff und AusgestaltungsvorbehaltDie Handels- und Gewerbefreiheit stellt kein absolutes Recht dar. Sie ist nur «innerhalb der gesetzlichen Schranken» gewährleistet. Diese Schranken hat der einfache Gesetzgeber zu präzisieren (Art. 36 erster Satz LV in Verbindung mit Art. 92 Abs. 2 LV), wodurch er seinen Gestaltungsauftrag gemäss Art. 14, Art. 20 LV in Verbindung mit Art. 36 erster Satz LV erfüllt.Art. 36 erster Satz LV steht unter formellem Gesetzesvorbehalt: Ein Eingriff in das Grundrecht ist durch jedes legitime, verallgemeinerbare «öffentliche Interesse» rechtfertigbar; es gilt das Verhältnismässigkeitsprinzip.[192]Der Staatsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit nur bei Vorliegen folgender Voraussetzungen zulässig sind:[193]Freiheitsbeschränkungen müssen, auch wenn sie grundsätzlich zulässig sind, geeignet, erforderlich und zumutbar sein.[194] Das Mass der (staatlichen) Rechtfertigungsbedürftigkeit im Fall eines Eingriffs hängt von der Tragweite und Intensität[195] des jeweiligen Eingriffs in die Handels- und Gewerbefreiheit ab.[196] Dazu im Detail:1. EingriffEingriff ist jeder staatliche Akt – sei es durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsakt oder gerichtliche Entscheidung –, der eine grundrechtlich geschützte Sphäre («Schutzbereich») eines Grundrechtsträgers in belastender oder beschränkender Weise berührt. Jede staatliche Beschränkung, gleichgültig, wie intensiv sie ausfällt, kann daher richtigerweise[197] einen Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit darstellen.[198] Entscheidend ist daher nicht, ob ein staatlicher Eingriff intentional die Handels- und Gewerbefreiheit beschränken soll; richtigerweise kommt es auf das Manifestierte (d.h. den nach aussen in Erscheinung tretenden staatlichen Akt), nicht aber – jedenfalls nicht als tragendes Kriterium – auf das staatlicherseits Gewollte an.[199]Ein Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit setzt nicht voraus, dass ein Gesetz, welches die Ausübung einer bestimmten Erwerbstätigkeit erschwert oder gar verunmöglicht, sich explizit an Erwerbstätige richtet; auch solche Regelungen, die scheinbar an «jedermann» gerichtet sind, können zu Eingriffen in das Grundrecht ermächtigen.[200]Ein Eingriff kann nicht bloss durch ein Gesetz im formellen Sinn erfolgen. Auch sonstige staatliche Akte können einen Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit zur Folge haben, wenn diese Akte (Verordnungen, Verfügungen etc.) ihrerseits auf einer gesetzlichen Grundlage basieren, welche staatliche Organe zur Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit ermächtigt.Liegt ein Eingriff vor, bedeutet das im Einzelfall nicht automatisch, dass die Handels- und Gewerbefreiheit verletzt wurde. Steht jedoch nach entsprechender Prüfung fest, dass ein dem Staat zuzurechnendes Verhalten in den Schutzbereich des Grundrechts eingreift, ist im Anschluss die Frage der Recht- bzw. Verfassungsmässigkeit dieses Aktes zu beurteilen. Zu prüfen ist, ob der Grundrechtseingriff im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig vorgenommen wurde.[201]Wie bereits ausgeführt, schützt die Handels- und Gewerbefreiheit verschiedene Stadien privater wirtschaftlicher Betätigung, nämlich Berufswahl, Berufsantritt und Berufsausübung.[202] (Auch) im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs[203] sind diese Fallkonstellationen strikt auseinanderzuhalten: An Berufsausübungsregeln sind, was ihre Ausgestaltung, Anwendung und die Anforderungen an die Rechtfertigung im Einzelfall anlangt, geringere Anforderungen zu stellen als an Berufsantrittsbestimmungen. Zudem kommt dem Gesetzgeber bei Berufsausübungsregeln ein grösserer Gestaltungsspielraum zu als bei Bestimmungen, durch die der Berufsantritt näher reguliert wird.[204]Seine mittlerweile ständige Rechtsprechung[205] hatte der Staatsgerichthof in seiner Entscheidung 2013/117, Erwägung 3.3 wie folgt verfeinert und zusammengefasst: «Der Gesetzgeber darf (…) in die Handels- und Gewerbefreiheit (…) nur eingreifen, wenn dies im formellen Gesetz hinreichend klar geregelt ist, im öffentlichen Interesse liegt und dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz entspricht (…). Ausserdem muss der Kernbereich des Grundrechts unangetastet bleiben (…); wobei diesem Kriterium bei leichten Grundrechtseingriffen (…) von vornherein keine Bedeutung zukommt.»Anders, als dies im Anwendungsbereich der EMRK mit ihren materiellen Gesetzesvorbehalten der Fall ist (vgl. z.B. Art. 8 Abs. 2 oder Art. 10 Abs. 2 EMRK), enthält die Landesverfassung keine Aufzählung an bestimmten Rechtsgütern (z.B. öffentliche Ordnung), zu deren Schutz dem Gesetzgeber ein Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit erlaubt ist; eine nähere Konkretisierung des Begriffes «öffentliches Interesse», zu dessen Gunsten die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkt werden darf, findet damit auf Verfassungsebene nicht statt.Verfassungswidrig wäre jedenfalls jene gesetzliche Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit, welche den «Kerngehalt» (bzw. das «Wesen») des Grundrechts torpedieren würde. Dies wäre der Fall, wenn eine Beschränkung in ihrer Wirkung der Aufhebung des Grundrechts gleichkäme.[206] Der Gesetzesvorbehalt des Art. 36 erster Satz LV statuiert nicht nur eine Ermächtigung des Gesetzgebers zur Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit, sondern auch eine Beschränkung dieser Ermächtigung («Schranken-Schranke»).2. Gesetzliche GrundlageEin Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit kann einerseits durch das Gesetz selbst erfolgen (Art. 36 erster Satz LV liegt ein «formeller Gesetzesbegriff» zugrunde); andererseits kann ein (einfaches) Gesetz staatliche Organe mittels spezifischer, auf dem Gesetz aufbauender Instrumente (Verordnung, Verfügung etc.) zu Eingriffen in die Handels- und Gewerbefreiheit ermächtigen (vgl. auch Art. 92 Abs. 2 LV). Entscheidend ist insgesamt, dass eine Rechtsgrundlage besteht, die für Betroffene hinreichend zugänglich ist und diese in die Lage versetzt, die Konsequenzen ihres Handelns sowie das Verhalten des Staates und seiner Organe vorhersehen zu können; ein allfälliges Ermessen staatlicher Organe muss ausreichend präzisiert sein.Wie «präzise» ein Gesetz, welches zu Eingriffen in die Handels- und Gewerbefreiheit berechtigt, formuliert sein muss («hinreichende Bestimmtheit» des Gesetzes[207]), um (noch) verfassungskonform zu sein, hängt vom jeweiligen Regelungsgegenstand bzw. -zusammenhang[208] und der jeweiligen Eingriffsintensität ab: Je intensiver die Rechtssphäre der Wirtschaftstreibenden durch ein Gesetz beeinträchtigt bzw. verändert wird, desto «nachvollziehbarer» muss das Gesetz ausgestaltet sein; die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe steht dem prinzipiell nicht entgegen.[209] Die Verfassung verlangt jedenfalls, dass ein ausreichender Schutz vor staatlicher Willkür besteht, was im Hinblick auf die Art. 43 LV; Art. 6 EMRK und Art. 13 EMRK ein «gewisses Mass an [faktisch effektivem] Rechtsschutz» voraussetzt.[210]3. Öffentliches InteresseAuf dieser Stufe ist zu fragen, welches (legitime) Ziel (d.h. welches «öffentliche Interesse») eine gesetzliche Regelung verfolgt. Der StGH beschränkt sich in seiner Rechtsprechung bei der Nachprüfung der jeweiligen, vom Gesetzgeber verfolgten Interessen, ähnlich wie die Verfassungsgerichte der Nachbarstaaten, auf eine «Vertretbarkeitskontrolle».[211] Das ergibt sich systematisch schon aus dem Umstand, dass Art. 36 erster Satz LV – anders als die EMRK – keine Auflistung an Rechtsgütern oder Zielen enthält, zu deren Schutz der Gesetzgeber in die Handels- und Gewerbefreiheit eingreifen darf.Dem einfachen Gesetzgeber kommt daher bei der Entscheidung, welche wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele er mit seinen Regelungen verfolgt, innerhalb der Schranken der Verfassung ein (weiter) rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu.[212] Der Gesetzgeber ist durch den Gesetzesvorbehalt des Art. 36 erster Satz LV ermächtigt, Regelungen, welche die Handels- und Gewerbefreiheit beschränken, zum Schutz des Gemeinwohls oder von Interessenpositionen anderer zu erlassen; er ist aber nicht ermächtigt, die Markteinschätzung oder die Ertragseinschätzung einer bestimmten Tätigkeit durch den Unternehmer vorwegzunehmen.[213] Der StGH hat daher im Ergebnis nicht zu beurteilen, ob die Verfolgung eines bestimmten Zieles, etwa aus wirtschaftspolitischen Gründen, zweckmässig ist. Der Gerichtshof kann dem Gesetzgeber nur entgegentreten, wenn dieser Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind.[214]Für den Fall der Grundrechtskonkurrenz[215] (näher zwischen Handels- und Gewerbefreiheit einerseits und Eigentumsfreiheit andererseits) führt Herbert Wille in Bezugnahme auf die «jüngere» Rechtsprechung des Staatsgerichthofs aus, dass der schweizerischen Praxis folgend, die «Freiheitsbeschränkung zunächst nach Massgabe des im Vordergrund stehenden Grundrechts, d.h. des Grundrechts, welches die Rechtsposition des Beschwerdeführers spezifischer schützt (zu überprüfen ist). Sodann wird das Ergebnis in Rücksicht auf das andere Grundrecht zusätzlich geprüft und gegebenenfalls angepasst.»[216]Wohl aber kommt dem Gewicht der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecksetzung bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der staatlichen Massnahmen erhebliche Bedeutung zu (dazu unten im Rz. 103 ff.).4. VerhältnismässigkeitsprüfungDer Verhältnismässigkeitsgrundsatz[217] stellt die finale und zentrale Ebene bei der Grundrechtsprüfung dar; Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit sind nicht unbeschränkt zulässig.Auf dieser Stufe ist zu erörtern, ob zwischen dem vom Gesetzgeber verfolgten öffentlichen Interesse (d.h. dem jeweiligen gesetzgeberischen Ziel eines Eingriffes) und der durch den Eingriff verkürzten Grundrechtsposition eine angemessene Relation (Adäquanz) besteht; insofern ist eine Güterabwägung vorzunehmen.[218] Zu beachten ist, dass die Verhältnissmässigkeitsprüfung auf das jeweilige gesetzliche Ziel fokussiert und sonstige (z.B. politische) Aspekte bei der Interpretation auszuklammern sind (en detail Rz. 103 ff.).[219]Bei der entsprechenden Analyse einer staatlichen Massnahme sind üblicherweise folgende Aspekte zu prüfen (wobei diese in der Praxis nicht immer «schematisch» nacheinander untersucht werden):[220]Je intensiver der Staat die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkt, desto tiefgehender sind die Anforderungen an die Begründung(slast) des Staates.5. Wahrung des KerngehaltsNach ständiger Judikatur des Staatsgerichtshofs muss der Staat bei Eingriffen den Kerngehalt des Grundrechts wahren; dieser muss «unangetastet» bleiben.[226] Wo diese – den Gesetzgeber bindende – Grenze exakt zu ziehen ist, kann nicht pauschal beantwortet werden und hängt von den vielzitierten «Umständen des Einzelfalls» ab.Der Kerngehalt der Handels- und Gewerbefreiheit ist etwa berührt, wenn eine Regelung dazu führt, dass sie im Ergebnis durch Etablierung unüberwindlicher Genehmigungshürden eine Gewerbeausübung faktisch unmöglich macht.[227]Ebenso bestünde eine Beeinträchtigung des Kerngehalts der Handels- und Gewerbefreiheit, wenn ein gesamter Berufsstand «oder zumindest ein grosser Teil» davon durch staatliche Massnahmen in seiner Tätigkeit beschnitten oder der Gesetzgeber diese Tätigkeit überhaupt verbieten würde.[228]Ein unüberwindliches Genehmigungshindernis hatte der Staatsgerichthof in einer im Sanitätsgesetz vorgesehenen (verfassungswidrigen) Bedarfsklausel erkannt. Diese stellte eine objektive Zulassungsschranke dar, die einem Überangebot von Spitalsbetten und damit einer Kostensteigerung im Gesundheitswesen entgegenwirken sollte.[229]Mag diese These eines eingriffsfesten «Kerngehalts» der Handels- und Gewerbefreiheit aus historischer und funktioneller Perspektive erklärbar sein – das Grundrecht soll dem Einzelnen gegenüber dem übermächtigen Staat einen unantastbaren Gestaltungs- und Freiheitsraum gewährleisten – so bleibt fraglich, inwieweit der «Kerngehaltsthese» aktuell, neben der Verhältnismässigkeitsprüfung, noch praktische Bedeutung zukommt. Nach hier vertretener Auffassung können die zuvor zitierten Fallbeispiele bereits anhand des Verhältnissmässigkeitsgrundsatzes korrekt gelöst werden – eines Rekurses auf die «Kerngehaltsthese» bedarf es in Wahrheit nicht (mehr).6. Bindung der Gerichtsbarkeit und VerwaltungZu bedenken ist, dass Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit nicht nur durch Gesetz, sondern auch durch Akte der Vollziehung erfolgen können. Ermächtigt der (einfache) Gesetzgeber die Vollziehung (Verwaltung oder Gerichtsbarkeit) zu Eingriffen in die Handels- und Gewerbefreiheit, ist das zuvor entwickelte Prüfungsschema für Grundrechtseingriffe zu modifizieren; dies, um der verfassungsrechtlich vorgezeichneten umfassenden Grundrechtsbindung des Staates gerecht zu werden.[230]Zu Beginn der Prüfung ist zu beurteilen, ob der Eingriff einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts auf einer tauglichen (einfach)gesetzlichen Grundlage basiert.[231] Ist diese Voraussetzung erfüllt, hat sich die Nachprüfung durch eine Beschwerdeinstanz, insbesondere durch den StGH, darauf zu fokussieren, ob die Vollziehung das jeweilige Gesetz «denkmöglich», d.h. verfassungskonform anwendet und auslegt.[232]G. „Ausschliessliche Handels- und Gewerbeprivilegien“ (Art. 36 zweiter Satz LV)Gemäss Art. 36 zweiter Satz LV kann der Gesetzgeber «ausschliessliche Handels- und Gewerbeprivilegien» zumindest temporär auf gesetzlicher Grundlage für zulässig erklären. Gemeint sind hier insbesondere staatliche Monopolstellungen.Als Monopol bezeichnet die herrschende Meinung eine Marktsituation (Marktform), in der für ein bestimmtes Gut nur ein Anbieter vorhanden ist oder in dem eine Sache einem Rechtsträger zur ausschliesslichen Nutzung zugeordnet ist[233].[234] Relevant sind im gegenständlichen Zusammenhang vor allem Staatsmonopole, also Wirtschaftszweige, in denen der Staat selbst als einziger Anbieter auftritt. Dem gleichzuhalten sind «quasi-staatliche» Monopole. Das sind Monopole, in denen öffentlichen Unternehmen gesetzlich exklusive Nutzungsrechte zugewiesen werden. Gemeinsam ist beiden Kategorien, dass die öffentliche Hand mit der Beibehaltung von Monopolstrukturen zumindest auch fiskalpolitische Zwecke verfolgt.[235]Sinn und Zweck eines ausschliesslichen Handels- und Gewerbeprivilegs ist es, etwa im Bereich des Elektrizitätswesens, bestimmte wirtschaftspolitische Ziele zu verfolgen und politisch unerwünschte Entwicklungen hintanzuhalten. Deswegen besteht auch kein Anspruch des Einzelnen auf Marktzugang in diesem Wirtschaftssektor bzw. auf Erteilung einer Bewilligung.[236]Die Einführung oder die Beibehaltung von Monopolstrukturen ist nur beschränkt zulässig; insbesondere muss der Gesetzgeber nachweisen, dass er ein qualifiziertes öffentliches Interesse (z.B. Fragen der Versorgungssicherheit) verfolgt. An die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit werden hohe Anforderungen gestellt.[237]Die liechtensteinische Verfassung selbst hat bis heute verschiedene Monopolstrukturen zugunsten des Staates beibehalten, etwa das Hoheitsrecht über bestimmte Gewässer (Art. 21 LV; Art. 18 LKWG[238]) oder das Jagd, Fischerei- oder Bergregal gemäss Art. 22 LV, welches der Staat jeweils fiskalisch nutzen kann.[239]Davon sind einfach-gesetzlich geschaffene Monopolstrukturen zu unterscheiden, etwa das Salz[240] und Alkoholmonopol.[241]Ob und inwiefern bestehenden Monopolstrukturen nach geltender Rechtslage praktische Bedeutung zukommt, ist hier nicht zu vertiefen, zumal die Ausübung von Monopolrechten im Sinne des Art. 36 zweiter Satz LV nur innerhalb der wettbewerbsrechtlichen Schranken des EWR-Abkommens zulässig ist. Gemäss Art. 16 EWRA waren (und sind) staatliche oder staatlich eingeräumte Handelsmonopole so umzugestalten, dass sie diskriminierungsfrei wirken. Staatliche oder staatlich eingeräumte Dienstleistungsmonopole unterliegen den Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit (Art. 36 ff. EWRA). Öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschliessliche Rechte übertragen haben (z.B. Regale), unterliegen dem EWR-Wettbewerbsrecht, damit insbesondere dem Verbot eines Missbrauchs ihrer marktbeherrschenden Stellung und insoweit grundsätzlich einem Verbot der Ausweitung ihrer Funktionsbereichs (Art. 53 ff. EWRA). Zudem ist zu berücksichtigen, dass in mittlerweile mehreren «klassischen Bereichen» staatlicher Wirtschaft (z.B. Fernmeldewesen, Postverwaltung, Eisenbahnen, Energieversorgung, Arbeitskräftevermittlung) eine weitgehende Marktliberalisierung stattgefunden hat.H. Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit im Gefolge der COVID-19-PandemieDiverse Massnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Ausbreitung der Covid-19-Pandemie stellen – nach der voranstehenden Prüfsystematik – unstrittig Eingriffe in Schutzbereich von Art. 36 LV dar. Zu denken ist an die in der Covid-19-Verordnung[242] vorgesehenen Massnahmen betreffend «öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe», etwaDer Staatsgerichthof hatte sich bislang mit der Frage der Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit durch diverse staatliche Massnahmen in keiner öffentlich verfügbaren Entscheidung auseinanderzusetzen. Gleiches gilt für die Höchstgerichte der Nachbarländer; in den 2020 veröffentlichen Entscheidungen des VfGH bzw. des Schweizer Bundesgerichtes waren Aspekte der Erwerbsfreiheit nicht entscheidungserheblich (Stand 12. Januar 2021).Demgegenüber finden sich in der ausländischen Literatur vereinzelt punktuelle Ausführungen zur Eingriffswirkung von Betriebsschliessungen, Betretungsverboten, Buchführungs- und Meldepflichten auf die Freiheit der Erwerbstätigung gemäss Art. 6 österreichisches StGG[243] durch das österreichische COVID-19-Massnahmengesetz[244] sowie auf Art. 27 BV durch die schweizerische Covid-19-Verordnung besondere Lage[245] und die und andere gesetzliche Begleitmassnahmen[246]. Das dadurch verfolgte öffentliche Interesse zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitswesens kann nach den Ausführungen von Klaushofer et al. auch weitreichende Eingriffe (wie Betriebsschliessungen oder gar durch die Begleitmassnahmen verwirklichte De-Facto-Ausübungsverbote) – vorbehaltlich einer eingehenden Eingriffsprüfung (siehe Rz. 105 ff.) – rechtfertigen.[247] |
1) Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet.2) Die römisch-katholische Kirche ist die Landeskirche und geniesst als solche den vollen Schutz des Staates; anderen Konfessionen ist die Betätigung ihres Bekenntnisses und die Abhaltung ihres Gottesdienstes innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet. 1) Freedom of religion and conscience shall be guaranteed for all.Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteArt. 37 LV[2] stellt in seinen beiden Absätzen eine eigentümliche Mischung eines individuelle und kollektive Religionsfreiheit schützenden Grundrechts mit einem Staatskirchenprivileg der römisch-katholischen Kirche dar. Im erstgenannten Element bewegt sich die LV durchaus im Rahmen vergleichbarer religionsrechtlicher Garantien liberaler Verfassungsstaaten, wogegen das Staatskirchenprivileg zunehmend in Kritik geraten ist.Die deutschsprachigen Verfassungen des 19. Jahrhunderts[3] enthielten im Vergleich zu Art. 37 Abs. 1 LV ähnliche Bestimmungen einer Glaubens- und/oder Gewissensfreiheit, dies häufig unter einem Art. 39 LV vergleichbaren Vorbehalt, dass staatsbürgerliche Pflichten dadurch keine Beeinträchtigung erfahren dürften; immer wieder war dieses Grundrecht lediglich als Staatsbürgerrecht ausgestaltet. Die Art. 37 Abs. 1 LV ähnlichste Bestimmung ist der im Jahre 1867 erlassene, auch heute noch in Kraft stehende Art. 14 Abs. 1 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, der wie folgt lautet: „Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jedermann gewährleistet.“ Der einzige Unterschied zu Art. 37 Abs. 1 LV liegt in der Schreibweise von „jedermann“ sowie im Begriff „volle“, dem allerdings auch in der österreichischen Literatur[4] zu Art. 14 Abs. 1 StGG keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Auch Art. 15 Abs. 1 der heutigen schweizerischen Bundesverfassung[5] enthält eine ähnliche Bestimmung, wonach die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet ist. Ihr Vorläufer war Art. 49 Abs. 1 der schweizerischen Bundesverfassung von 1874, wonach die Glaubens- und Gewissensfreiheit unverletzlich ist. Diese Bestimmung ging deutlich über Art. 44 Abs. 1 der schweizerischen Bundesverfassung von 1848 hinaus, welcher die freie Ausübung des Gottesdienstes nur den anerkannten christlichen Konfessionen gewährleistete. Auffällig ist, dass Art. 37 LV keine ausdrückliche Bezugnahme auf die negative Religionsfreiheit enthält, wogegen sowohl Art. 14 Abs. 3 StGG als auch Art. 49 Abs. 2 der schweizerischen Bundesverfassung von 1874 bereits derartige Bestimmungen enthielten.In der liechtensteinischen Verfassungsgeschichte enthielt erstmals die KonV von 1862 in § 8 die Bestimmung, dass die Freiheit der Person „und der äusseren Religionsausübung“ garantiert werde.[6] Weiter ging dann der Verfassungsentwurf von Beck, der in Art. 22 bestimmte, dass die Glaubens-, Kultus- und Gewissensfreiheit „unverletzlich u. gewährleistet“ sei. Im ersten und zweiten Verfassungsentwurf von Josef Peer findet sich der Wortlaut des Art. 37 Abs. 1 LV bereits gleichlautend wie heute, allerdings wurde Art. 37 LV damals noch als „§ 37“ bezeichnet und gab es noch keine Nummerierung der Absätze.[7] Die Forderung des damaligen Churer Bischofs Georg Schmid von Grüneck, wonach das Wort „jedermann“ in § 37 Abs. 1 zu streichen sei,[8] wurde nicht erfüllt. Die Bestimmung wurde vielmehr als Art. 37 Abs. 1 LV 1921 kundgemacht und blieb bis heute unverändert.Art. 37 Abs. 2 LV blickt auf eine bewegtere Entstehungsgeschichte zurück: Bemerkenswert ist dabei, dass das dort verankerte staatskirchenrechtliche Privileg der römisch-katholischen Kirche in verschiedenen anderen Verfassungen, die der LV sonst als Vorbild dienten, nicht oder nur weniger stark abgebildet ist. Beispielsweise ist in § 19 der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen von 1833 von „anerkannten christlichen Glaubensbekenntnisse[n]“ die Rede, die das „Recht der öffentlichen Ausübung des Religionscultus“ hätten. In Art. 11 der Preussischen Verfassung von 1848 wird das Recht des „Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religions-Gesellschaften (Art. 28 und 29) und der gemeinsamen öffentlichen Religions-Übung“ gewährleistet und in Art. 12 sowohl der evangelischen als auch der römisch-katholischen Kirche ein Recht der Selbstverwaltung ihrer inneren Angelegenheiten eingeräumt. § 12 des – allerdings nie in Kraft getretenen – Kremsierer Entwurfs von 1848 sah überhaupt vor, dass keine „Religionsgesellschaft (Kirche) (…) vor anderen Vorrechte durch den Staat“ geniesst. Das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder differenziert zwischen „gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften“ (Art. 15) sowie „gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnissen“ (Art. 16), räumt damit jedoch der römisch-katholischen Kirche kein Staatskirchenprivileg ein. Die schweizerische Bundesverfassung von 1874 nahm im Gefolge des sogenannten „Kulturkampfs“ eine antikatholische Haltung ein, indem sie etwa im bis 1973 in Geltung stehenden Art. 51 ein Verbot des Jesuitenordens verhängte und zum Verbot anderer Orden, „deren Wirksamkeit staatsgefährlich ist oder den Frieden der Konfessionen stört“, ermächtigte; gemäss Art. 52, der ebenfalls bis 1973 in Geltung stand, war die Errichtung neuer und die Wiederherstellung aufgehobener Klöster oder religiöser Orden unzulässig, gemäss Art. 50 Abs. 4 die Errichtung von Bistümern genehmigungspflichtig. Schon Art. 44 der schweizerischen Bundesverfassung von 1848 wie auch Art. 50 Abs. 2 der schweizerischen Bundesverfassung von 1874 enthielten überdies ähnlich lautende Bestimmungen, die es Bund und Kantonen gestatteten, zur Handhabung der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter den Konfessionen bzw. gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in die Rechte der Bürger und des Staates die geeigneten Massnahmen zu treffen.Das Staatskirchenprivileg des Art. 37 Abs. 2 LV steht dazu in auffälligem Gegensatz. Die KonV von 1862 enthielt zwar keine Art. 37 Abs. 2 LV vergleichbare Bestimmung, bezog sich aber in ihrem Fünften Hauptstück – was eher dem Regelungsinhalt des Art. 38 LV entspricht – auf „Kirchenstiftungen und Unterrichtsanstalten“, in denen immer wieder von „der“ Kirche – gemeint stets die römisch-katholische Kirche – die Rede war. Deutlicher formulierte § 5 des Verfassungsentwurfs von Prinz Karl, dass die römisch-katholische Religion „Gewährleistung und Schutz des Landes für ihre Betätigungen, für ihre Einrichtungen“ geniesst; allen anderen Konfessionen sei innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und öffentlichen Ordnung die Ausübung gottesdienstlicher Handlungen gewährleistet. Letztere Bestimmung – die im Wesentlichen heute noch in Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV verankert ist – weist markante Ähnlichkeiten mit Art. 50 der schweizerischen Bundesverfassung von 1874 auf, wonach die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet war. Dagegen sah der Verfassungsentwurf von Beck in Art. 22 lediglich vor, dass die römisch-katholische Kirche „den Schutz des Staates genießt“.Im ersten Verfassungsentwurf von Josef Peer findet sich – noch als § 37, ohne Absatznummerierung – folgende Bestimmung: „Die römisch-katholische Kirche geniesst als Landeskirche den Schutz des Staates; allen anderen gesetzlich anerkannten Konfessionen ist die Betätigung ihres Bekenntnisses und die Ausübung ihres Gottesdienstes innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet.“ Im Vergleich dazu wurde im zweiten Verfassungsentwurf von Josef Peer lediglich der Ausdruck „allen anderen gesetzlich anerkannten Konfessionen“ durch „anderen Konfessionen“ ersetzt. Begründet wurde diese Auslassung von Josef Peer damit, dass „zur Zeit gesetzliche Bestimmungen, durch welche andere Konfessionen, als die römisch-katholische, anerkannt würden, überhaupt nicht bestehen.“[9] Der damalige Churer Bischof Georg Schmid von Grüneck versuchte jedoch in mehreren Schreiben, die Formulierung des späteren Art. 37 LV zu beeinflussen.[10] So hätte der erste Satz des § 37 den Zusatz „nach Maßgabe ihrer Rechtsnormen“ erhalten sollen,[11] was von der Verfassungskommission einhellig abgelehnt wurde. Der damalige Regierungschef Ospelt begründet die Ablehnung damit, dass dadurch auf das Recht der römisch-katholischen Kirche Bezug genommen würde, „das im Landesgesetzblatt nicht verlautbart werden kann und welches im Falle, als über dessen Auslegung zwischen Kirche und Staat Meinungsverschiedenheiten entstünden, wohl nur von der Kirche rechtsgültig interpretiert werden kann, was unter Umständen einen schweren Eingriff in die Rechte des Fürsten und der Volksvertretung beinhalten würde“.[12] Dies wurde kurz darauf durch den Bischof als „bewusster oder unbewusster Modernismus“ – mit Hinweis darauf, dass die „behauptete absolute Souveränität des Staates“ eine „Irrlehre“ sei – schwer gerügt und Josef Ospelt auch persönlich scharf kritisiert.[13] Der Zusatz wurde dennoch nicht aufgenommen.Die Verfassungskommission zeigte jedoch Entgegenkommen dahingehend, dass der „Schutz des Staates“, den die römisch-katholische Kirche als Landeskirche erhalten sollte, um das Adjektiv „vollen“ erweitert wurde. Der Bischof forderte in diesem Zusammenhang die Formulierung „Die römisch-katholische Kirche ist die Landeskirche; ihre Verfassung, Lehre und Kultus geniessen den vollen Schutz des Staates“.[14] Zusätzlich verlangte er, statt von „anderen Konfessionen“ von „Andersgläubigen“ zu sprechen, deren in § 37 Abs. 2 aufgezählte Rechte nicht „gewährleistet“, sondern „geschützt“ werden sollten.[15] Er begründete dies damit, dass „mit dem Ausdruck ‚andere Konfessionen‘ eben auch die kath. Kirche auf das Niveau einer Konfession gestellt wird“, was zu vermeiden sei.[16] Dem trug der Landtag in der Beschlussfassung des Art. 37 keine Rechnung, sondern liess die Formulierung über die anderen Konfessionen unverändert. Hingegen lautete die Formulierung in Bezug auf die römisch-katholische Kirche nunmehr: „Die römisch-katholische Kirche ist die Landeskirche und genießt als solche den vollen Schutz des Staates“. Regierungschef Ospelt bemerkte dazu in seinem Schreiben an den Bischof: „[Es] glaubt der Landtag in der neuen Fassung seine kirchentreue Gesinnung ebenfalls hinlänglich zum Ausdruck gebracht zu haben, und von mir befragte katholische Juristen der Schweiz und aus Vorarlberg, Männer von besten Namen und bestem Ansehen, finden die Fassung vollkommen entsprechend und dem Interesse und der Stellung der katholischen Kirche voll Rechnung tragend“.[17] Ospelt nimmt aber auch Bezug auf den seit „bald 3 Jahren (… ) zeitweise heftige[n] Kampf im ganzen Lande um die Verfassung“: Selbst wenn der Landtag die vom Bischof vorgeschlagenen Formulierungen übernommen hätte, was aber nie zu erreichen gewesen wäre, wäre es ein Leichtes gewesen, die „Volksstimmung derart in Aufregung zu bringen, daß eine Durchführung der Verfassung einfach ausgeschlossen geschienen hätte“.[18]Die als Art. 37 Abs. 2 der LV von 1921[19] kundgemachte Fassung wurde seit ihrer Erlassung ebenso wenig wie Art. 37 Abs. 1 LV geändert. Dennoch wird seit langer Zeit eine Diskussion über die Reform des liechtensteinischen Religionsverfassungsrechts geführt, bei der gerade auch Art. 37 Abs. 2 LV im Fokus steht.[20] Der Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend Neuordnung des Staatskirchenrechts aus dem Jahr 2008[21] befasste sich vornehmlich mit der Beseitigung des Staatskirchenprivilegs der römisch-katholischen Kirche, der Gleichstellung der römisch-katholischen Kirche mit anderen Religionsgemeinschaften und der Frage, wie deren Status und Finanzierung auf welcher Rechtsebene – dem Völkerrecht, der LV, einfachen Gesetzen oder Vertragsrecht – am besten geregelt werden könnte. Im Gefolge weiterer Fragestellungen wurde 2011 der Vernehmlassungsbericht zur Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Glaubensgemeinschaften[22] erstattet, der 2012 in einen Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften[23] mündete. Nach der eingebrachten Regierungsvorlage[24] hätte Art. 37 Abs. 2 LV wie folgt gelautet: „Die Religionsgemeinschaften entfalten sich in der Erfüllung ihrer religiösen Aufgaben frei von staatlichen Eingriffen. Im Übrigen werden die Beziehungen des Staates zu den Religionsgemeinschaften durch Gesetz und Vertrag geregelt.” Ausserdem sollte ein Religionsgemeinschaftengesetz mit näheren Bestimmungen erlassen werden. Weder die Novellierung des Art. 37 LV[25] noch das Religionsgemeinschaftengesetz wurden jedoch in weiterer Folge erlassen.II. Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 37 Abs. 1 LV)A. GrundrechtsträgerArt. 37 Abs. 1 LV[26] gewährleistet die Glaubens- und Gewissensfreiheit für „jedermann“. Daraus ist – unbeschadet der Systematisierung im IV. Hauptstück „Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen“ –[27] ableitbar, dass die beiden Freiheiten nicht auf liechtensteinische Staatsangehörige beschränkt sind, sondern auch Staatsangehörigen anderer Staaten oder Staatenlosen zustehen.[28] Im Lichte einer völkerrechtskonformen Auslegung (Art. 9 EMRK)[29] ist anzunehmen, dass davon nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen,[30] darunter insbesondere über Rechtspersönlichkeit verfügende Religionsgemeinschaften selbst, umfasst sind.[31] Sowohl natürliche als auch juristische Personen sind nämlich Grundrechtsträger der in Art. 9 EMRK[32] verankerten einschlägigen Freiheiten.[33] Auch der StGH[34] sah es nicht als unzulässig an, dass ein religiöser Verein – und damit eine juristische Person – sich auf die in Art. 37 Abs. 1 LV gewährleisteten Rechte berief. Art. 37 Abs. 1 LV gewährleistet insofern, unbeschadet der in Art. 37 Abs. 2 LV verankerten kollektiven Rechte, nicht nur ein individual-, sondern auch kollektivrechtliches (korporatives) Grundrecht.[35] Wille nennt für den letztgenannten Grundrechtsträgerkreis öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich verfasste Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften[36] sowie rechtsfähige und nichtrechtsfähige Zusammenschlüsse oder Vereinigungen, deren Zweck in der Pflege und Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder in der Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder besteht.[37] Umgekehrt betonte der StGH allerdings auch, dass die Religionsfreiheit nicht lediglich die Glaubensüberzeugungen, welche von der Mehrheit einer Religionsgemeinschaft oder ihren leitenden Organen vertreten werden, sondern ebenso jene von Minderheiten oder Einzelpersonen schützt.[38]Wille zufolge stellt die Gewissensfreiheit, anders als die Glaubensfreiheit, hingegen nur ein Individualrecht dar, da sie sich auf rein individuelle Wertüberzeugungen beziehe, sodass sie sich ihrem Wesen nach nicht auf Personenvereinigungen in Anwendung bringen lasse.[39]Fraglich ist die religionsrechtliche Grundrechtsmündigkeit von Kindern im Hinblick darauf, dass Glauben und Gewissen mit der Entwicklung geistiger Fähigkeiten des Menschen zusammenhängen. Aus der Judikatur des StGH und der Literatur sind dazu allerdings bislang keine Differenzierungen abzuleiten; insbesondere fehlt auch eine Altersgrenzen indizierende gesetzliche Rechtslage, wie sie für diesbezügliche Überlegungen in Österreich[40] herangezogen wurde[41] und in der Schweiz per Gesetz festgelegt wurde[42]. Der StGH hielt in ständiger Rechtsprechung nur lapidar fest, dass „Träger der Glaubens- und Gewissensfreiheit (…) sowohl die Eltern als auch die Kinder“ seien.[43] Zutreffend dürfte sein, den persönlichen Schutzbereich des Grundrechts einerseits möglichst weit auszulegen und andererseits die Grundrechtsträgerschaft von Kindern als höchstpersönliche Grundrechtsträger nicht daran zu knüpfen, ob ihre Eltern eigene Grundrechte im religionsverfassungsrechtlichen Zusammenhang auszuüben berechtigt sind, wie dies in einigen von Liechtenstein ratifizierten internationalen Übereinkommen auch ausdrücklich verankert ist.[44] Wie Ehrenzeller[45] zutreffend feststellt, ist das Kindeswohl vorrangig; das religiöse Erziehungsrecht der Eltern könne keinen absoluten Vorrang geniessen, sondern es müsste im „Konfliktfall – im Interesse der objektiven Verwirklichung des Kindeswohls – der umfassende staatliche Bildungsauftrag grundsätzlich vorgehen“.B. SchutzbereichWenn Art. 37 Abs. 1 LV von einer „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ spricht, stellt sich die Frage, ob darunter unterschiedliche Schutzbereiche verstanden werden müssen. Insbesondere gilt es dabei auch, diese Schutzbereiche dem in Art. 9 Abs. 1 EMRK verwendeten Begriff der „Gewissens- und Religionsfreiheit“ sowie – auch vor dem Hintergrund des Art. 37 Abs. 2 LV – den in der Literatur regelmässig verwendeten Begriffen der Religionsfreiheit,[46] Kultusfreiheit[47] und Bekenntnisfreiheit[48] gegenüberzustellen.In der Literatur[49] wird immer wieder zwischen Glaubens- und Gewissensfreiheit unterschieden. Dies erscheint insofern richtig, als der Verfassungsgesetzgeber ansonsten eine sinnlose Unterscheidung getroffen hätte, die ihm nicht zu unterstellen ist. Dass die beiden Freiheiten dennoch häufig gemeinsam als „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ angeführt werden,[50] liegt auch daran, dass die meisten einschlägigen Fälle in der Praxis sowohl die eine als auch die andere Freiheit berühren.Unter „Glaube“ ist Höfling[51] zufolge „Religiosität, das heisst jede Beziehung des Menschen zu letztverbindlichen Gehalten geschützt“, während unter Gewissen „jene innere kritische Instanz“ verstanden werden kann, „die dem Leben und Handeln des einzelnen ethische oder moralische Massstäbe vorgibt“. Nach Wille schützt die Glaubensfreiheit das Recht auf freie innere Glaubensbildung und -entscheidung sowie das Denken, Reden und Handeln gemäss der Religion, wobei sich Überschneidungen zur Bekenntnis- und Kultusfreiheit ergäben.[52]Dem StGH zufolge umfasst die Glaubens- und Gewissensfreiheit namentlich die Freiheit, einen Glauben zu haben (forum internum) und diesen allein oder zusammen mit anderen zu praktizieren (forum externum).[53] Der StGH übernahm dabei wiederholt eine Umschreibung des äusseren Schutzbereichs der „Religionsfreiheit“ durch das schweizerische Bundesgericht, das diesen als „Anspruch des Einzelnen darauf, sein Verhalten grundsätzlich nach den Lehren des Glaubens auszurichten und den Glaubensüberzeugungen gemäss zu handeln“[54] definiert.[55] Zur derart gewährleisteten Religionsausübung zählten „über kultische Handlungen hinaus auch die Beachtung religiöser Gebräuche und andere Äusserungen des religiösen Lebens im Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der Kulturvölker, soweit solche Verhaltensweisen Ausdruck der religiösen Überzeugung sind“.[56]In den Schutzbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit von Eltern fiele etwa die religiöse Erziehung ihrer Kinder;[57] dabei handelt es sich um einen eigenständigen Aspekt dieses Rechts und nicht etwa um eine stellvertretende Ausübung der Glaubens- und Gewissensfreiheit ihrer Kinder.Der StGH judizierte weiters, dass sich die Sonntagsruhe „nicht direkt als Teilgehalt der Religionsfreiheit“ erweise.[58] Religiös bedingte Bekleidungsvorschriften seien von Art. 37 LV erfasst,[59] ebenso religiös bedingte Vorschriften hinsichtlich der sexuellen Aufklärung von Kindern und Jugendlichen.[60]In seiner Judikatur spricht der StGH immer zusammenhängend von „Glaubens- und Gewissensfreiheit“, wenngleich er sich in seiner Definition des Schutzbereichs letztlich nur auf die Glaubensfreiheit zu beziehen scheint.[61] Damit bleibt unklar, inwiefern der StGH zwischen Glaubens- und Gewissensfreiheit überhaupt differenziert. Mehrfach verwendete er ausserdem den Begriff der Religionsfreiheit als Synonym zum Begriff der „Glaubens- und Gewissensfreiheit“, dann jedoch auch komplementär, wenn er von „Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ spricht[62]. Wille sprach sich dafür aus, die Glaubens- und Gewissensfreiheit „als umfassendes Grundrecht der Religionsfreiheit zu verstehen“.[63] Die Religionsfreiheit erstrecke sich „auf die Freiheit der gemeinschaftlichen Religionsausübung wie auch auf die korporative Religionsfreiheit“ gemäss Art. 37 Abs. 2 2. Halbsatz LV.[64] Mit der Sicherung der Religionsausübung werde das religiöse Leben in der Gemeinschaft insgesamt geschützt.[65] Der StGH hat sich nicht klar geäussert, ob die von Wille angesprochene korporative Religionsfreiheit auch zu der von ihm erwähnten Religionsfreiheit gehört. Allerdings sei das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgesellschaften in Liechtenstein „in engem Zusammenhang mit der Religionsfreiheit“ zu sehen.[66] Die LV schütze „dieses Recht mit Art. 37, wonach die Glaubens- und Gewissensfreiheit jedermann gewährleistet“ sei.[67] Das Selbstbestimmungsrecht sei ein vor dem StGH einklagbares Grundrecht der Glaubensgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, „vergleichbar der Autonomiebeschwerde der Gemeinden“.[68] Der Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts umfasse die freie Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung, „kurz: die Freiheit des kirchlichen Wirkens in eigenen Angelegenheiten“.[69] Da der StGH dabei nicht zwischen Art. 37 Abs. 1 und 2 LV differenziert, könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Schutzbereich des Art. 37 Abs. 2 LV gewissermassen nur ein spezifischer Bereich des Schutzbereichs des Art. 37 Abs. 1 LV sei. Dadurch, dass Art. 37 Abs. 1 LV ja auch das forum externum schützt, fällt das gemeinsame Praktizieren des Glaubens wohl in den Schutzbereich beider Absätze. Dass Art. 37 Abs. 1 LV ein noch darüber hinausgehendes Selbstbestimmungsrecht der römisch-katholischen Kirche sowie anderer Religionsgesellschaften beinhalten soll, ist jedoch nicht anzunehmen. Aber auch Art. 37 Abs. 2 LV spricht im Zusammenhang mit den „anderen Konfessionen“ nur von der „Betätigung ihres Bekenntnisses und [… der] Abhaltung ihres Gottesdienstes“, was im Grunde wiederum eher eine „Kultusfreiheit“[70] im Sinne des forum externum als die freie Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung garantiert. Dennoch hat der StGH, offenbar in weiter Auslegung des Art. 37 Abs. 2 LV, letztere Garantie angenommen und diese als den „Glaubensgemeinschaften“ eingeräumt angesehen.[71] In einer Entscheidung sprach der StGH einerseits von Glaubens- und Gewissensfreiheit, andererseits von Kultusfreiheit, ohne dass eindeutig wäre, ob er die Begriffe komplementär oder synonym versteht.[72]Wenn man die Schutzbereiche des Art. 37 Abs. 1 (Glaubens- und Gewissensfreiheit) und 2 (Kultusfreiheit) LV daher als nicht vollständig identisch ansehen will, alle beide aber unter „Religionsfreiheit“ subsumiert, so ist damit jedenfalls ein Unterschied zu Art. 9 EMRK verbunden, der zwischen Gewissens- und Religionsfreiheit differenziert. Während Religionsfreiheit in Liechtenstein als übergeordneter Begriff der „religiösen Grundrechte“[73] verwendet wird, ist er nach Art. 9 Abs. 1 EMRK ein Komplementärbegriff zur „Gewissensfreiheit“. Soll jedoch die Gewissensfreiheit ein eigenständiges, von der Glaubensfreiheit zu unterscheidendes Grundrecht darstellen, wie Wille[74] und Höfling[75] zutreffend annehmen,[76] so muss sie – ähnlich wie dies für die „Gewissensfreiheit“ nach der EMRK angenommen wird – auch einen nicht-religiösen Schutzbereich umfassen und damit auch Gewissensentscheidungen schützen, „die nicht durch ein religiöses (…) Bekenntnis motiviert sind“.[77] Dann aber ist es terminologisch nicht einsichtig, auch die Gewissensfreiheit in toto unter den Überbegriff der „Religionsfreiheit“ zu subsumieren.Auch wenn sich der StGH zur Gewissensfreiheit als eigenständigem Grundrecht nicht geäussert hat, schützt sie Wille zufolge „den inneren Bereich menschlicher Überzeugung“, was das Recht beinhalte, „diese sowohl in religiöser als auch in weltanschaulicher Hinsicht zu bilden, zu besitzen und zu ändern bzw. nicht zu bilden, zu besitzen und zu ändern“.[78] Es handle sich „um eine innere Freiheit, die selbst dann geschützt wird, wenn sie nicht nach aussen tritt“.[79] Richtig ist zwar, dass sich eine religiöse Gewissensfrage nicht in einen religiösen und säkularen Teil aufspalten lässt;[80] allerdings kann es, wie oben erwähnt,[81] durchaus Gewissensentscheidungen geben, die nicht religiös motiviert sind.[82] Dass es sich um eine „innere Freiheit“ handeln soll, scheint nahezulegen, dass die Gewissensfreiheit nur über ein forum internum verfügen soll; allerdings ist weder begrifflich noch sachlich von vornherein ausgeschlossen, dass eine Gewissensentscheidung auch nach aussen treten kann, sodass die Annahme, dass der Schutzbereich der Gewissensfreiheit auch ein forum externum umfasst, m.E. zulässig ist.Art. 37 Abs. 1 LV schützt auch die negative Glaubensfreiheit:[83] Darunter ist die Freiheit zu verstehen, keinen Glauben zu haben oder sich zu einer Religion zu bekennen. Eine rechtliche Verpflichtung zu einem „inneren Bereich menschlicher Überzeugung“ kann wohl auch aus der Gewissensfreiheit nicht abgeleitet werden, wenngleich ein solcher der Natur des Menschen wohl – in unterschiedlicher Weise – immanent ist.Eine allgemeine Weltanschauungs- oder Gedankenfreiheit, wie sie etwa in Art. 9 EMRK verankert ist, wird durch Art. 37 LV dagegen nur insoweit geschützt, als diese sich mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit überschneidet. Wenn der StGH[84] es als Eingriff in den unantastbaren Wesensgehalt der Religionsfreiheit sieht, dass Grundrechtsträger u.a. zu bestimmten „weltanschaulichen“ Ansichten angehalten würden, dann kann richtigerweise – wie auch der Kontext der Entscheidung nahelegt – nur jener Bereich weltanschaulicher Ansichten davon umfasst sein, die sich mit dem Schutzbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit überschneiden – was freilich im Regelfall so sein wird, da die Glaubensfreiheit jedenfalls religiöse und die Gewissensfreiheit selbst nichtreligiöse Weltanschauungen mitumfasst.[85] Dem StGH zufolge besteht kein Zweifel daran, dass sich die Betreiberin einer Privatschule „spezifisch auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit“ sowie Art. 2 1. ZP EMRK berufen könne, „da die von ihr betriebene Schule zwar keine religiöse, jedoch eine besondere weltanschauliche Ausrichtung im Sinne der Anthroposophie“ und damit einen „grundrechtlichen Anspruch auf den möglichst ungehinderten Betrieb der Liechtensteinischen Waldorfschule“ hätte.[86] Allerdings ist unklar, ob sich der StGH mit dem Verweis auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit auf Art. 37 Abs. 1 LV oder Art. 9 Abs. 1 EMRK bezog.C. EingriffsvorbehaltGlaubens- und Gewissensfreiheit unterliegen keinem ausdrücklichen Eingriffsvorbehalt. Dennoch soll es sich nach herrschender Lehre und Rechtsprechung um keine absolut gewährleisteten Grundrechte handeln, sofern deren Wesensgehalt[87] nicht betroffen ist: Eingriffe in den Schutzbereich beider Grundrechte sind demnach zulässig, wenn sie auf einem formellen Gesetz beruhen, der Wesensgehalt des jeweiligen Grundrechts gewahrt bleibt, die Eingriffe im öffentlichen Interesse stehen und dem Verhältnismässigkeitsprinzip[88] entsprechen, d.h. geeignet, erforderlich und zumutbar sind.[89] Zum unantastbaren Wesensgehalt der beiden Grundrechte sollen alle inneren religiösen Überzeugungen und Vorgänge gehören, die mit dem Glauben und Gewissen in Zusammenhang stehen und nicht nach aussen treten.[90] Der StGH[91] vertrat unter Berufung auf das Schweizerische Bundesgericht[92] die Ansicht, dass zum „nicht einschränkbaren Kernbereich“ das forum internum, also die innere Religionsfreiheit im Sinne der inneren Überzeugung zähle.[93] Dies sei dann der Fall, wenn Grundrechtsträger gegen ihren Willen zu bestimmten weltanschaulichen oder religiösen Ansichten oder Verhaltensweisen angehalten würden.[94] Nicht tangiert sei der Wesensgehalt des Grundrechts etwa durch die Verpflichtung zum Sexualkundeunterricht[95] oder Schwimmunterricht[96] an öffentlichen Schulen.Als formell-gesetzliche Grundlage qualifizierte der StGH z.B. auch einen Lehrplan, der formell zwar nur eine Verordnung darstellt.[97] Aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung zur Erlassung des Lehrplans, der verfassungsrechtlich verankerten Verpflichtung zum Schulbesuch und des Umstands, dass es sich beim Verhältnis von Schülern an öffentlichen Schulen zum Staat um ein Sonderstatusverhältnis handle,[98] benötige es in diesem Fall allerdings kein formelles Gesetz als Grundlage des Grundrechtseingriffs.Im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung erkannte der StGH in der Verpflichtung zum Sexualkundeunterricht[99] an öffentlichen Schulen zwar einen Eingriff, jedoch keine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, während der obligatorische Schwimmunterricht[100] von ihm als eine solche Verletzung erkannt wurde. In beiden Fällen führte er eine umfangreiche Prüfung des Verhältnismässigkeitsprinzips durch und widmete dessen letztem Element, der Prüfung der Zumutbarkeit, besonderes Augenmerk. Obwohl dem obligatorischen Schwimmunterricht der Vorrang vor der Einhaltung religiöser Vorschriften zukäme, sei im konkreten Fall die Gewichtung anders vorzunehmen.[101] Anders als etwa bei der Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts, derzufolge eine Verpflichtung (auch) muslimischer Schüler zum Schwimmunterricht deren Religionsfreiheit nicht verletze,[102] fiele im konkreten Fall, in dem bei Teilnahme der Kinder am Schwimmunterricht die Exkommunikation von einer christlichen Religionsgesellschaft drohte, auch nicht das gesellschaftspolitisch beachtliche Argument der Integration ausländischer Kinder – wobei der StGH offensichtlich „christlich“ mit „einheimisch“ und „muslimisch“ mit „ausländisch“ assoziiert – ins Gewicht.[103] Der StGH wies allerdings auch darauf hin, dass die Schulbehörden das Recht hätten, den Nachweis privaten Schwimmunterrichts der Kinder zu verlangen.[104] Ausserdem könnten sich die vorliegenden „besondere[n] Verhältnisse“ ändern und bezöge sich die Dispensation nur auf den Schwimmunterricht.[105]Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs[106] liegt eine Verletzung der Religionsfreiheit dann vor, wenn es der islamischen Gemeinschaft generell in jeder raumordnungsrechtlichen Zone verboten würde, Gebets-, Vereins- und Gemeinschaftsräume zu errichten. Bestünde eine solche Möglichkeit lediglich in manchen Zonen, sei das Grundrecht dagegen nicht verletzt. Der StGH[107] schloss sich dieser Auffassung an: Zwar ginge es nicht an, das Bau- und Planungsrecht aufgrund sachfremder Motive gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit zum Einsatz zu bringen oder die Kultusfreiheit[108] unter Berufung auf das Bau- und Planungsrecht unverhältnismässig einzuschränken. Verhältnismässige Beschränkungen seien aber im öffentlichen Interesse der Einhaltung der Zonenordnung zulässig.[109] Bislang keine Rechtsprechung liegt zur Frage eines muslimischen Friedhofs in Liechtenstein[110] vor: Die Vaduzer Bürgergenossenschaftsversammlung lehnte es am 28. November 2016 ab, hierfür eines ihrer Grundstücke zur Verfügung zu stellen.[111]Auch wenn Art. 37 Abs. 1 LV keinen ausdrücklichen Eingriffsvorbehalt verankert, so enthält Art. 37 Abs. 2 letzter Satz LV einen solchen, wenn es dort heisst, dass anderen Konfessionen als der römisch-katholischen Kirche die Betätigung ihres Bekenntnisses und die Abhaltung ihres Gottesdienstes innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet sei. Der in letztgenannter Bestimmung verankerte Schutzbereich überschneidet sich teilweise mit demjenigen des Art. 37 Abs. 1 LV, nämlich im Hinblick auf das einer juristischen Person – in diesem Fall also einer „anderen Konfession“ – gewährleistete forum externum. Die „Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung“ sind dabei freilich nicht kongruent mit dem durch den StGH entwickelten Verhältnismässigkeitsprinzip: Abgesehen davon, dass es noch andere öffentliche Interessen als die Sittlichkeit und öffentliche Ordnung geben kann, enthält das Verhältnismässigkeitsprinzip weitere, in Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV nicht erwähnte Kriterien, wie Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit. In Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV nicht ausdrücklich erwähnt ist überdies die vom StGH angenommene Wesensgehaltsgarantie, in die auch im Interesse von Sittlichkeit oder öffentlicher Ordnung nicht eingegriffen werden darf.Darüber hinaus könnten auch kollidierende Grundrechte oder „andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter“[112] sowie Art. 39 letzter Satz LV als Eingriffsvorbehalt angesehen werden:[113] Nach letzterer Bestimmung darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis[114] kein Abbruch geschehen. Fraglich ist, in welchem normhierarchischen Zusammenhang Art. 37 Abs. 1 und Art. 39 letzter Satz LV zueinander stehen. Aufgrund der Positionierung des Art. 39 als letztem der „Religionsartikel“ und seinem speziellen Inhalt wäre anzunehmen, dass Art. 39 Abs. 2 LV dem Art. 37 Abs. 1 LV insoweit derogiert, als die Glaubens- und Gewissensfreiheit nur in jenen Schranken gewährleistet werden, wie sie mit staatsbürgerlichen Pflichten vereinbar sind. Dies hiesse freilich, den staatsbürgerlichen Pflichten absoluten Vorrang vor der Glaubens- und Gewissensfreiheit einzuräumen. Dies wird durch Rechtsprechung und Lehre abgelehnt.[115] Einen absoluten Vorrang geniesst demzufolge sogar umgekehrt der Wesensgehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit;[116] ausserhalb des Wesensgehalts unterliegen Eingriffe in die Glaubens- und Gewissensfreiheit dem zuvor geschilderten Eingriffsvorbehalt, mit dem staatsbürgerliche Pflichten gegebenenfalls abzuwägen sind.[117] Auch wenn man dieser Ansicht folgt, bedarf es allerdings wohl einer zweifachen Differenzierung: Zum einen gilt für jene staatsbürgerlichen Pflichten anderes, die selbst im Verfassungsrang verankert sind. Dazu zählen die in Art. 28 Abs. 3 LV verankerte Bestimmung, wonach der Aufenthalt innerhalb der Grenzen des Fürstentums zur Beobachtung der Gesetze verpflichtet, Art. 44 Abs. 1 LV, der jeden Waffenfähigen bis zum zurückgelegten 60. Lebensjahr im Fall der Not zur „Verteidigung des Vaterlandes“ verpflichtet, sowie die allgemeine Schulpflicht gemäss Art. 16 Abs. 2 LV. In diesen Fällen kann ein Spannungsfeld zur Glaubens- und Gewissensfreiheit m.E. nur in einer Verhältnismässigkeitsabwägung aufgelöst werden, ohne dass der Wesensgehalt dieser Grundrechte der verfassungsrechtlich verankerten staatsbürgerlichen Pflicht unter allen Umständen vorgeht.Zum anderen bezieht sich Art. 39 letzter Satz LV auf das Religionsbekenntnis, durch das den staatsbürgerlichen Pflichten kein Abbruch geschehen soll. Eine Schranke für die Glaubensfreiheit ergibt sich daraus zwar, für die Gewissensfreiheit kann dies jedoch nur gelten, sofern sie im Zusammenhang zum Religionsbekenntnis steht, sie sich also mit der Glaubensfreiheit überschneidet. Die nicht-religiöse Gewissensfreiheit wird von Art. 39 letzter Satz LV mithin nicht berührt.Schliesslich ist in diesem Zusammenhang insbesondere Art. 9 Abs. 2 EMRK zu beachten,[118] der einen materiellen Eingriffsvorbehalt enthält. Im Verhältnis zwischen Art. 37 Abs. 1 und Art. 9 EMRK müsste allerdings im Sinne des Günstigkeitsprinzips des Art. 53 EMRK die nationale Bestimmung vorgehen, weil sie für den Grundrechtsträger günstiger ist. Anders stellt sich dies unter Einbeziehung des Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz sowie Art. 39 letzter Satz LV dar, weil die dort festgelegten Schranken teils ungünstiger (Fehlen der Verhältnismässigkeitskriterien), teils günstiger (weniger Eingriffsziele) als diejenigen des Art. 9 Abs. 2 EMRK sind. Der vom StGH angewendete Eingriffsvorbehalt entspricht keiner dieser Bestimmungen zur Gänze, weil er einerseits alle öffentlichen Interessen berücksichtigt, andererseits die Verhältnismässigkeitskriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit postuliert.[119] Der generell dynamisch angelegten, die grammatikalische und historische Auslegung nicht priorisierenden Rechtsprechung des StGH ist gleichwohl implizit zu entnehmen, sich im Wesentlichen an Art. 9 Abs. 2 EMRK eher als am altertümlichen Wortlaut des Art. 37 LV orientieren zu wollen. Differenzierungen nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK sind in der Rechtsprechung bislang nicht vorgenommen worden.III. Art. 37 Abs. 2 LVA. Staatskirchentum oder religiöse Neutralität?Art. 37 Abs. 2 LV statuiert – neben seinem grundrechtlichen Gehalt – gemeinsam mit Art. 38 und 39 LV „in objektiver Hinsicht die liechtensteinische Staatskirchenverfassung“.[120] Gemäss Art. 37 Abs. 2 erster Satz LV ist die römisch-katholische Kirche nämlich die sogenannte „Landeskirche“.[121] Der Begriff „Landeskirche“ wiederholt sich in der LV nicht, in einigen Bestimmungen ist jedoch der Begriff „Kirche“, teils in Abwandlungen, anzutreffen:[122] So etwa in Art. 15 („Kirche“), Art. 16 Abs. 1 und 4 („kirchlichen“) sowie Art. 38 zweiter und dritter Satz LV („Kirchengut“, „Kirchgemeinden“, „kirchlichen“).[123] Auch wenn eine Legaldefinition des Begriffs der Landeskirche fehlt, ergibt sich die wesentliche Rechtseigenschaft dieser Qualifikation implizit aus Art. 37 Abs. 1 erster Satz LV: Die römisch-katholische Kirche geniesst demzufolge „als solche“ – d.h. als Landeskirche – den „vollen Schutz des Staates“. Daraus ist ein staatskirchenrechtliches Privileg der römisch-katholischen Kirche ableitbar,[124] das den „anderen Konfessionen“ nicht zuteil wird. Schon die Bezeichnung als „Landeskirche“ symbolisiert die herausgehobene Position der römisch-katholischen Kirche und betont grundlegend[125] ihre staatskirchenrechtliche Verbindung mit dem Fürstentum. Dem StGH[126] zufolge handelt es sich bei dieser Bestimmung um kein verfassungsmässiges Recht; vielmehr umschreibe die Bestimmung die liechtensteinische Staatskirchenverfassung, wonach die römisch-katholische Kirche „mit einem bevorzugten öffentlich-rechtlichen Status“ etabliert[127] werde, während die anderen Konfessionen bislang „in das Privatrecht verwiesen“[128] sind. Der Einzelne könne sich nicht auf diese Bestimmung berufen. Dies gilt jedoch wohl nicht für die römisch-katholische Kirche selbst, und auch nicht für die Grundrechtsträger der Kultusfreiheit, die ebenfalls in dieser Bestimmung verankert ist.[129]Auch wenn die – historisch begründete –[130] Privilegierung der römisch-katholischen Kirche seit geraumer Zeit kritisiert wird,[131] geht aus der Bestimmung des Art. 37 Abs. 2 LV in grundrechtlicher Hinsicht ein weniger grosses Privileg hervor, als angenommen werden könnte. Ihrem Wortlaut nach scheint die Bestimmung tatsächlich sehr stark zwischen der römisch-katholischen Kirche und anderen Konfessionen zu differenzieren. Durch die Verknüpfung zwischen Art. 37 Abs. 1 und 2 LV einerseits und die Ausdehnung des durch den StGH entwickelten allgemeinen grundrechtlichen Eingriffsvorbehalts andererseits relativiert sich dieses Privileg allerdings beträchtlich. Eine vollumfassende religiöse Neutralität des Staates kann aus Art. 37 LV zwar nicht abgeleitet werden, zumal etwa die Staatszielbestimmung des Art. 15 LV eine „religiös-sittliche Bildung“ verlangt, die der „heranwachsenden Jugend“ aus dem Zusammenwirken von Familie, Schule und Kirche zu eigen werden soll.[132] In der herrschenden Auslegung des Art. 37 LV erfolgt jedoch zweifellos eine Annäherung an die Konzeption einer religiösen Neutralität des Staates. Der StGH[133] hat mehrfach die Judikatur des schweizerischen Bundesgerichts[134] übernommen, wonach der religiös neutrale Staat Glaubensregeln nicht auf ihre theologische Richtigkeit überprüfen darf.Der „volle Schutz“ der römisch-katholischen Kirche durch den Staat kann sich ausserhalb unmittelbar religionsfreiheitlicher Zusammenhänge, etwa im Bereich des Eherechts[135] oder der staatlichen Rechtshilfe zur Durchsetzung kirchlicher Zwangsmassnahmen,[136] manifestieren.[137] Privilegierungen der römisch-katholischen Kirche können sich auch im Hinblick auf die Erhebung von Abgaben,[138] die „Kirchengutsgarantie“,[139] religiösen Unterricht in Schulen und Kindergärten oder Friedhöfe ergeben.[140] Letztlich stellt dies aber weniger ein Problem der Religionsfreiheit, als vielmehr der Gleichbehandlung von Religionsgesellschaften – etwa im Hinblick auf Art. 9 i.V.m. Art. 14 EMRK –[141] dar, die in Liechtenstein jedoch noch einer Neuregelung harrt.[142]B. Säkulare Verfassung?Zu unterscheiden ist überdies zwischen religiöser Neutralität und Säkularismus – diesem Begriff kann derjenige des Laizismus gleichgesetzt werden – einer Verfassung.[143] Während unter religiöser Neutralität zu verstehen ist, dass ein Staat nicht einzelne Religionen oder Religiöse vor Nicht-Religiösen bevorzugt, bezieht sich Säkularismus auf den Umstand, dass eine Verfassung zwischen Staat und Religion trennt oder Religion überhaupt verbietet.[144]Die LV entspricht dabei dem in den meisten abendländischen Verfassungsstaaten üblichen Typus einer gemässigt säkularen Verfassung, die zwar im Grundsätzlichen zwischen Staat und Religion trennt, in einzelnen Bestimmungen aber von diesem Konzept abgeht. Letzteres zeigt sich etwa in Art. 14 LV, der den Staat u.a. zum Schutz der religiösen Interessen des Volkes beruft, Art. 15 LV, der u.a. eine „religiös-sittliche Bildung“ verlangt, die der „heranwachsenden Jugend“ aus dem Zusammenwirken von Familie, Schule und Kirche zu eigen werden soll, oder aus Art. 16 Abs. 1 und 4 LV, wonach die kirchliche Lehre im Hinblick auf die staatliche Aufsicht über das Erziehungs- und Unterrichtswesen als unantastbar erklärt wird sowie der Religionsunterricht durch die kirchlichen Organe zu erteilen ist.[145] Art. 37 und 38 LV enthalten einige Grundrechte für religiöse juristische und natürliche Personen, was klarstellt, dass der Staat nicht religionsfeindlich ist, sondern im Gegenteil die Ausübung von Religion unter besonderen Schutz stellt. Darüber hinaus enthalten einige Bestimmungen der LV Gottesbezüge, die zwar kein dezidiert römisch-katholisches oder auch nur christliches Religionsbekenntnis indizieren, aber jedenfalls einer theistischen Grundannahme unterliegen. Dazu gehört bereits die Erwähnung des Gottesgnadentums in der Promulgationsklausel, mittelbar[146] die Erwähnung der Sonntagsruhe in Art. 19 Abs. 2 LV, weiters auch die Eidesformeln mit Gottesbezug („so wahr mir Gott helfe“) in Art. 54 Abs. 1 und Art. 108 LV.[147] Abschwächungen der religiösen Bezüge finden sich dagegen in dem vom StGH entwickelten Eingriffsvorbehalt, der grundsätzlich auch auf die religiösen Grundrechte Anwendung findet, sowie in Art. 39 zweiter Satz LV, wonach den staatsbürgerlichen Pflichten durch die Ausübung des Religionsbekenntnisses kein Abbruch geschehen darf; der Genuss der staatsbürgerlichen und politischen Rechte ist gemäss Art. 39 erster Satz LV vom Religionsbekenntnis unabhängig.[148]C. GrundrechtsträgerGrundrechtsträger nach Art. 37 Abs. 2 erster Satz LV ist einzig die römisch-katholische Kirche. Dagegen erwähnt Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV die „anderen Konfessionen“. Entstehungsgeschichtlich waren damit die evangelischen Kirchen gemeint. Nach heutigem Begriffsverständnis sind darunter nicht nur andere christliche Konfessionen als die römisch-katholische (insbesondere die verschiedenen evangelischen und orthodoxen Konfessionen), sondern auch andere Religionsgesellschaften im Sinne nicht-christlicher Religionen zu verstehen. Diese weite Auslegung ergibt sich einerseits aus einer systematischen Auslegung, da das durch Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV gewährleistete forum externum ohnehin allen Religionsangehörigen und Religionsgesellschaften schon gemäss Art. 37 Abs. 1 LV gewährleistet ist. Andererseits gebietet auch eine völkerrechtskonforme Interpretation im Lichte des Art. 9 EMRK und anderer einschlägiger von Liechtenstein ratifizierter internationaler Abkommen eine weite Auslegung.[149]Nicht geregelt ist freilich, wie der Begriff der Konfession (Religionsgesellschaft) im Detail abzugrenzen ist, ob es beispielsweise dafür eine gesetzliche oder eine durch einen anderen Rechtsakt vorzunehmende Anerkennung benötigt. Im Einzelnen kann es durchaus schwierig sein, ob etwa religiöse Sekten unter den Begriff der „anderen Konfession“ zu subsumieren sind. Der StGH hat zwar etwa in Bezug auf Mitglieder der Christlich Palmarianischen Kirche der Karmeliter vom Heiligen Antlitz angenommen, dass sie unter den Schutz des Art. 37 Abs. 1 LV fielen.[150] Allerdings ist der Kreis der Grundrechtsträger gemäss Art. 37 Abs. 1 LV weiter als derjenige des Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV (arg. „jedermann“). Grundrechtsträger gemäss Art. 37 Abs. 2 LV, der als Verbandgrundrecht konzipiert ist,[151] sind im Übrigen nicht Individuen, sondern die römisch-katholische Kirche einerseits und die „anderen Konfessionen“, also juristische Personen,[152] andererseits. Nach dem Wortlaut des Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV muss es sich jedenfalls um Kollektive handeln, die über ein Bekenntnis verfügen und einen Gottesdienst abhalten, da der Verfassungsgeber offenbar davon ausging, dass diese beiden Elemente, die den „anderen Konfessionen“ gewährleistet werden, ihnen auch immanent sind. Ob darüber hinaus noch weitere Kriterien zutreffen müssen, ergibt sich aus der bisherigen Judikatur des StGH nicht. Da der Schutzbereich des Art. 37 Abs. 1 LV, wie ausgeführt, den Schutzbereich des Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV hinsichtlich des forum externum mitumfasst, ist eine weite Auslegung des Konfessionsbegriffs im Sinne aller juristischen Personen, die über ein Bekenntnis verfügen und Gottesdienste abhalten, anzunehmen. Ebenso ist anzunehmen, dass der Begriff des „Gottesdienstes“ weit auszulegen ist, auch wenn der Verfassungsgeber ursprünglich dabei nur die Gottesdienste der evangelischen Kirchen als „anderen Konfessionen“ vor Augen hatte; es können darunter heute aber alle auf einer theistischen Grundannahme beruhenden religiösen Zeremonien verstanden werden, auch wenn sie nicht nur, wie in den monotheistischen Religionen, dem Dienst an einem (einzigen) Gott gewidmet sind. Gleichwohl wäre die Erlassung einer – wie in jüngerer Zeit ja zumindest angestrebt –[153] klareren verfassungsrechtlichen Regelung sowie eines Religionsgemeinschaftengesetzes wünschenswert, um die Frage, was im Einzelnen als Konfession angesehen werden kann, präzise zu regeln. Nach geltender Rechtslage können „andere Konfessionen“ privatrechtlich nur nach allgemeinen Regeln gemäss Art. 246 ff. PGR als Verein[154] begründet werden; eine öffentlich-rechtliche Anerkennung ist bislang nicht vorgesehen.D. SchutzbereichUm zu erkennen, welcher Schutzbereich unter dem „vollen Schutz“ des Staates zu verstehen ist, bedarf es einer Gegenüberstellung mit den „anderen Konfessionen“ gewährleisteten Rechten: Zu letzteren zählt gemäss Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV die Betätigung ihres Bekenntnisses und die Abhaltung ihres Gottesdienstes innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung. Damit wird freilich nur ausser Streit gestellt, dass den Konfessionen das ihnen schon aufgrund von Art. 37 Abs. 1 LV gewährleistete forum externum garantiert ist; der Schutzbereich des Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV entspricht daher einem Teilausschnitt des von Art. 37 Abs. 1 LV gewährleisteten Schutzbereichs.Der „volle Schutz“ der römisch-katholischen Kirche umfasst neben der institutionellen Gewährleistung als Landeskirche klarerweise jedenfalls auch die „anderen Konfessionen“ zugestandenen Rechte, zumal diese der römisch-katholischen Kirche schon aufgrund von Art. 37 Abs. 1 LV zustehen.[155] Darüber hinaus verankert Art. 38 LV[156] verschiedene Rechte der römisch-katholischen Kirche, die jedenfalls als Teil dieses „vollen Schutzes“ verstanden werden müssen. Dazu zählen das Eigentum und alle anderen Vermögensrechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögenheiten, aber auch das Recht, dass mit der kirchlichen Behörde vor Erlassung eines besonderes Gesetzes über die Verwaltung des Kirchengutes in den Kirchgemeinden ein Einvernehmen zu pflegen ist. Zu erwähnen sind weiters Art. 16 Abs. 1 und 4 LV: Nach erstgenannter Bestimmung steht das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen, „unbeschadet der Unantastbarkeit der kirchlichen Lehre“, unter staatlicher Aufsicht. Daraus ist ableitbar, dass die Lehre der römisch-katholischen Kirche – anders als beispielsweise die Religionspädagogik – in Kindergärten und Schulen nicht unter staatlicher Aufsicht steht, was für andere religiöse Lehren hingegen nicht gilt. Gemäss Art. 16 Abs. 4 LV wird der Religionsunterricht durch die kirchlichen Organe erteilt. Ein Religionsunterricht durch Organe, die nicht der römisch-katholischen Kirche angehören, wird dem Wortlaut nach ausgeschlossen. Liest man die Bestimmung jedoch im Zusammenhalt mit Art. 37 Abs. 1 LV, kann angenommen werden, dass zumindest eine Befreiung vom Religionsunterricht für Nicht-Katholiken dadurch nicht verboten wird.[157] Der Begriff „Schutz des Staates“ suggeriert darüber hinaus auch, dass die der römisch-katholischen Kirche gewährleisteten Rechte nicht bloss aus Abwehrrechten bestehen, sondern diese auch positive Gewährleistungspflichten umfassen.[158] Auch ohne ausdrückliche Verankerung wird man dies in völkerrechtskonformer Auslegung[159] freilich auch für die anderen Schutzbereiche des Art. 37 LV annehmen müssen.[160] Dass diese Gewährleistungspflichten so weit reichten, dass der Staat etwa verpflichtet wäre, religiöse Gebäude, Gebetsräume oder bestimmten Religionen gewidmete Friedhöfe positiv bereitzustellen (also nicht nur, diese zu erlauben), kann aus dem Wortlaut und der historischen Regelungsintention des Art. 37 LV m.E. nicht abgeleitet werden.[161] Dass der StGH derart weite Gewährleistungspflichten annimmt, ist zumindest der bisherigen Judikatur nicht zu entnehmen. Vielmehr sah er verhältnismässige zonenordnungsrechtliche Beschränkungen im Hinblick auf die geplante Nutzung eines Gebets-, Vereins- und Gemeinschaftsraums sogar als zulässig an.[162]Der in Art. 37 Abs. 2 LV gewährleistete Schutzbereich wird häufig als „Kultusfreiheit“ bezeichnet.[163] Damit wird ein weiterer Begriff in die diffuse Terminologie – Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Bekenntnisfreiheit, Religionsfreiheit, Weltanschauungsfreiheit – eingeführt. Während der Begriff „Kultus“ in Art. 37 Abs. 2 LV nicht verwendet wird, ist in Art. 38 LV von „Kultuszwecken“ die Rede. Zu verstehen sind darunter das in Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV ja explizit erwähnte gemeinsame Abhalten von Gottesdiensten und sonstige Formen der Ausübung des Bekenntnisses,[164] womit jedoch wiederum das bereits in Art. 37 Abs. 1 LV geschützte forum externum angesprochen wird. Damit ist die Kultusfreiheit – als Bekenntnisfreiheit –[165]nicht bloss von Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV geschützt, sondern ist auch ein Teilausschnitt aus der in Art. 37 Abs. 1 LV ja u.a. Religionsgesellschaften gewährleisteten Glaubensfreiheit.[166] Die Gewissensfreiheit weist dagegen keine Überschneidungen mit der Kultusfreiheit auf, sofern man annimmt, dass die Gewissensfreiheit nur über ein – allenfalls auch nicht-religiöses – forum internum verfügt.[167]Wille[168] zufolge erfliesst aus der Kultusfreiheit auch das Recht auf freie Bildung von Religionsgesellschaften, die verfassungsrechtlich an keine besonderen Voraussetzungen geknüpft wird, und eine besondere Variante der Vereins- und Versammlungsfreiheit dahingehend, dass zu religiösen Vereinen Zwecke gegründet oder Versammlungen durchgeführt werden. Auch bei der Kultusfreiheit ist von einem positiven wie negativen Schutzbereich auszugehen, weil kein Zwang besteht, religiöse Überzeugungen zu manifestieren.[169]E. EingriffsvorbehaltWie schon erwähnt, enthält Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV einen ausdrücklichen[170] Eingriffsvorbehalt dahingehend, dass anderen Konfessionen die Betätigung ihres Bekenntnisses und die Abhaltung ihres Gottesdienstes nur innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet sein soll. Ein Eingriffsvorbehalt hinsichtlich des vollen Schutzes der römisch-katholischen Kirche ist dagegen nicht explizit vorgesehen.Dessen ungeachtet geht die h.L.[171] davon aus, dass sowohl für die römisch-katholische Kirche als auch andere Konfessionen derselbe[172] allgemeine Eingriffsvorbehalt gelten soll, wie ihn der StGH für andere Grundrechte einschliesslich der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Art. 37 Abs. 1 LV entwickelt hat: Demnach ist der Wesensgehalt ihrer Kultusfreiheit unantastbar. Eingriffe ausserhalb des Wesensgehalts sind zulässig, wenn ein formelles Gesetz sie vorsieht, sie im öffentlichen Interesse liegen, geeignet, erforderlich und zumutbar sind.[173]Wünschenswert wäre auch aus diesem Grund eine Aktualisierung des Art. 37 Abs. 2 LV, weil der Wortlaut der Bestimmung anderes nahelegt, als die herrschende Auslegung annimmt.[174] Nicht nur, dass Art. 37 Abs. 1 und Abs. 2 erster Satz LV überhaupt schrankenlos formuliert sind, enthält Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV immerhin einen ausdrücklichen Eingriffsvorbehalt, der aber wiederum nicht mit jenem übereinstimmt, der von der Lehre – und gegebenenfalls wohl auch dem StGH – angenommen wird. Während im einen Fall ein per se[175] absolut gewährleistetes Grundrecht durch einen richterrechtlich[176] entwickelten Eingriffsvorbehalt relativiert wird, wird ein ausdrücklich im Wortlaut verankerter Eingriffsvorbehalt im anderen Fall umgedeutet und gleichzeitig auch auf die römisch-katholische Kirche ausgedehnt: So werden als öffentliche Interessen nur die Sittlichkeit und die öffentliche Ordnung genannt, die Verhältnismässigkeitsprüfung und die Wesensgehaltsgarantie dagegen gar nicht erwähnt.Sittlichkeit und öffentliche Ordnung sind öffentliche Interessen, die immer wieder auch in völkerrechtlichen Verträgen, die dem internationalen Menschenrechtsschutz dienen, erwähnt werden; sie sind dort aber keineswegs die einzigen ausdrücklich erwähnten öffentlichen Interessen, die einen Grundrechtseingriff unter Umständen legitimieren können. Eher erinnert die Bestimmung – was auch im zeitlichen Zusammenhang naheliegend erscheint – an Art. 63 Abs. 2 des in Österreich im Verfassungsrang stehenden Staatsvertrags von St. Germain, demzufolge die Religionsfreiheit allen Einwohnern Österreichs garantiert wird, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist. Unmittelbaren Einfluss dürfte jedoch der im Wortlaut sogar teilidente Art. 50 Schweizerische Bundesverfassung von 1874 gehabt haben, welcher die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistete.[177]Wille[178] spricht sich dafür aus, die „öffentliche Ordnung“ als „Gesamtheit der ‚rechtlich geschützten Güter‘“ bzw. der „polizeilichen Schutzgüter“ zu verstehen; es fielen alle Regeln unter die „öffentliche Ordnung“, die „nach der jeweils herrschenden Auffassung für das geordnete Zusammenleben der Einzelnen bedeutsam sind“[179]. Zum Kreis der Polizeigüter, die in der „öffentlichen Ordnung“ enthalten seien, zähle jedenfalls auch die Sittlichkeit.[180] Durch sie würden „nicht rechtliche Normen in die Schrankenklausel inkorporiert“.[181]Die erstgenannte Auffassung, wonach die „öffentliche Ordnung“ als „Gesamtheit der ‚rechtlich geschützten Güter‘“ zu verstehen sei, ist m.E. aus folgenden Gründen nicht zwingend: Zum einen schiene es wenig sinnvoll, dass der Verfassungsgesetzgeber die „öffentliche Ordnung“ und die „Sittlichkeit“ als selbständige Schranken festlegte, wenn die „Sittlichkeit“ lediglich einen Unterbegriff der „öffentlichen Ordnung“ darstellen soll, auch wenn sich Überschneidungen ergeben können. Zum anderen zeigt auch die Aufzählung der Schutzgüter des Art. 9 Abs. 2 EMRK – in dessen Lichte Art. 37 Abs. 2 LV interpretiert werden muss – auf, dass die „öffentliche Ordnung“ keineswegs einen Sammelbegriff für die „Gesamtheit der rechtlich geschützten Güter“ oder „öffentlichen Interessen“[182] darstellt. Aus der Judikatur des StGH ist zu diesen Begriffen insofern nicht viel zu gewinnen, als er ohnehin das allgemeine Verhältnismässigkeitsprinzip anwendet und daher von „öffentlichen Interessen“ spricht, deretwegen ein Eingriff erfolgt. Auch wenn der StGH davon sprach, dass zur öffentlichen Ordnung „zweifelsfrei“ auch das Bau- und Planungsrecht gehörten,[183] so bleibt doch unklar, welche anderen Schutzgüter noch dazu zählen sollen und ob dies nach Willes zweiter, eingeschränkterer Variante[184] die Gesamtheit aller polizeilichen Schutzgüter sein soll. Für letztere, m.E. zutreffende Variante spricht auch die Übereinstimmung mit der österreichischen[185] und (vor allem) schweizerischen[186] Rechtsprechung.Aus Sicht der Praxis des StGH mag dahingestellt bleiben, was unter „öffentlicher Ordnung“ und „Sittlichkeit“ im Detail zu verstehen ist, wenn (irgend)ein „öffentliches Interesse“ ohnehin genügt. Im Lichte des Günstigkeitsprinzips des Art. 53 EMRK müsste jedoch differenziert werden, welche Bestimmung – Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV (i.V.m. Art. 39 letzter Satz LV) oder Art. 9 EMRK – die für die Grundrechtsträger günstigere ist: Die Beschränkung der Eingriffsziele auf die Sittlichkeit und öffentliche Ordnung ist günstiger als der auch darüber hinausgehende Eingriffsziele aufzählende Art. 9 Abs. 2 EMRK; die staatsbürgerlichen Pflichten gemäss Art. 39 letzter Satz LV erweitern die Liste der Eingriffsziele teilweise. Dagegen ist die Verhältnismässigkeitsprüfung, die Art. 9 Abs. 2 EMRK nebst dem Erfordernis der gesetzlichen Grundlage verlangt, aus Sicht der Grundrechtsträger günstiger als der Eingriffsvorbehalt des Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV, weil dieser lediglich Eingriffsziele, aber ebensowenig wie Art. 39 letzter Satz LV eine Verhältnismässigkeitsprüfung im Sinne von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit festlegt. Der StGH vermengt dagegen die verschiedenen Eingriffsvorbehalte in einem allgemeinen Grundrechtsvorbehalt, den er auch auf Art. 37 Abs. 2 LV anwendet. Da Art. 9 Abs. 2 EMRK Eingriffe in das Grundrecht nur aufgrund einer taxativen Liste von Eingriffszielen zulässt, zu denen nur bestimmte öffentliche Interessen, aber auch die Rechte und Freiheiten anderer zählen, erweist sich der allgemeine Grundrechtsvorbehalt des StGH als teilweise günstigere, teilweise ungünstigere Bestimmung: In Bezug auf die öffentlichen Interessen ist Art. 9 Abs. 2 EMRK insofern die günstigere Bestimmung, als dort eben nicht alle, sondern nur einzelne öffentliche Interessen genannt werden. Dagegen erweist sich Art. 9 Abs. 2 EMRK im Hinblick auf das Eingriffsziel der Rechte und Freiheiten anderer als ungünstiger.[187] Im Wesentlichen orientiert sich der vom StGH entwickelte Eingriffsvorbehalt dennoch an Art. 9 EMRK, ohne dass der StGH bislang – im Regelfall wegen der überwiegenden Kongruenz der Eingriffsvorbehalte auch nicht erforderliche – Differenzierungen nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK vorgenommen hätte.IV. Internationale GarantienWie erwähnt,[188] sieht Art. 9 Abs. 1 der von Liechtenstein ratifizierten EMRK[189] eine Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit vor, die sich mit den Schutzbereichen des Art. 37 Abs. 1 und 2 LV teilweise – der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 EMRK ist weiter – überschneidet. Gemäss Art. 9 Abs. 2 EMRK darf die Religions- und Bekenntnisfreiheit, nach h.L.[190] auch die Gewissensfreiheit, nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Massnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.Wie ausgeführt, entspricht der vom StGH in Bezug auf Art. 37 LV angewendete allgemeine Grundrechtsvorbehalt weder dem Art. 37 Abs. 1 oder Abs. 2 LV noch Art. 39 letzter Satz LV noch Art. 9 Abs. 2 EMRK zur Gänze. Auch wenn überwiegend Kongruenzen bestehen, kann zumindest nicht ohne Weiteres gesagt werden, dass die verfassungsunmittelbaren Schranken der liechtensteinischen Grundrechtsgewährleistungen, ob „wenig griffig“[191] oder nicht, durch die „je einschlägigen qualitativen Gesetzesvorbehalte der EMRK materiell überlagert“[192] werden, weil das Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK beachtlich ist und zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Art. 37 und Art. 39 letzter Satz LV sind jedenfalls günstiger als Art. 9 Abs. 2 EMRK, was die dort erwähnten Eingriffsziele, seien es bestimmte öffentliche Interessen oder die „Rechte und Freiheiten anderer“, anbelangt. Der allgemeine Grundrechtsvorbehalt des StGH geht zwar durchaus in die Richtung einer konventionskonformen Auslegung im Lichte des Art. 9 Abs. 2 EMRK, ist damit aber nicht völlig deckungsgleich, weil er überhaupt alle öffentlichen Interessen – wozu jedoch, streng genommen, nicht die Rechte und Freiheiten anderer und auch nicht nur die in Art. 9 Abs. 2 EMRK aufgezählten öffentlichen Interessen zählen – in die Verhältnismässigkeitsprüfung einbezieht.Die Gleichbehandlung der römisch-katholischen Kirche und der anderen Konfessionen in Bezug auf den durch den StGH angewendeten Eingriffsvorbehalt im Bereich der Kultusfreiheit erscheint im Lichte des Art. 9 i.V.m. Art. 14 EMRK (akzessorische Gleichheit) legitim. Art. 14 EMRK gewährleistet als akzessorisches Gleichheitsrecht den Genuss der Rechte und Freiheiten der EMRK ohne eine Benachteiligung, die – unter anderem – in der Religion begründet ist.[193] Eine Diskriminierung aufgrund der Religion ist nach der Rechtsprechung des EGMR konventionswidrig, sofern sie einer „objektiven und vernünftigen Rechtfertigung“[194] entbehrt. Eine gesetzlich oder nach einer anderen Rechtsvorschrift verfügte Privilegierung der römisch-katholischen Kirche im Hinblick auf den in Art. 37 Abs. 2 erster Satz LV verankerten „vollen Schutz des Staates“ müsste gegebenenfalls an diesem Massstab geprüft werden bzw. müsste das in Art. 37 Abs. 2 erster Satz LV verankerte Staatskirchenprivileg selbst völkerrechtskonform so ausgelegt werden, dass die römisch-katholische Kirche nur dann gegenüber anderen Konfessionen bevorzugt werden darf, wenn dies eine „objektive und vernünftige Rechtfertigung“ hat, was heute vielfach anders gesehen werden dürfte als noch im Jahre 1921.Da Verletzungen der in Art. 9 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechte mit Individualbeschwerde vor dem StGH bekämpft werden können, wurde der EMRK „faktischer Verfassungsrang“ attestiert.[195]Erwähnenswert ist ausserdem Art. 2 des von Liechtenstein ebenfalls ratifizierten 1. ZP EMRK[196], wonach der Staat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten hat, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. In seiner einschlägigen Judikatur hat der EGMR[197] etwa einen verpflichtenden Sexualkundeunterricht, aber auch religiöse Inhalte des Schulunterrichts als zulässig erachtet, sofern damit keine Indoktrination verbunden war.[198] Befreiungsmöglichkeiten von Schülern vom Religionsunterricht müssten vorgesehen sein, sofern ihre Anschauungen oder diejenigen ihrer Eltern damit in Konflikt gerieten.[199] Entgegen einer Entscheidung der Kammer[200] entschied die Grosse Kammer des EGMR[201] darüber hinaus, dass das Anbringen eines Kreuzes im Klassenzimmer keine Verletzung des Art. 9 oder Art. 2 1. ZP EMRK darstellt.[202]Von Liechtenstein bislang nur unterzeichnet[203], nicht jedoch ratifiziert wurde das 12. ZP EMRK, das unter anderem eine Diskriminierung aus Gründen der Religion verbietet, sofern sie keine „objektive und vernünftige Rechtfertigung“ hat.Von Liechtenstein ratifiziert wurde dagegen eine Reihe anderer völkerrechtlicher Verträge, die mit Art. 37 LV vergleichbare Rechte enthalten: So verbürgt Art. 18 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II)[204] für jedermann das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, während Art. 18 Abs. 4 ein Art. 2 1. ZP EMRK ähnelndes Recht der Eltern bzw. Vormunds oder Pflegers gewährleistet. Art. 18 Abs. 3 enthält einen Eingriffsvorbehalt, der neben einer gesetzlichen Grundlage auch das Vorliegen taxativer Eingriffsziele, nämlich die öffentliche Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder die Grundrechte und -freiheiten anderer, verlangt.[205]Gemäss Art. 14 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes[206] achten die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit mit demselben Eingriffsvorbehalt wie Art. 18 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UNO Packt II)sowie ein ähnliches Grundrecht der Eltern oder des Vormunds, wie es dessen Art. 18 Abs. 4, Art. 2 1. ZP EMRK und Art. 13 Abs. 3 des Internationalen Abkommens über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO Packt I)[207] verankern.Das Recht auf Gedanken-, Gewissen- und Religionsfreiheit wird schliesslich auch in Art. 5 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung[208] sowie in Art. 7 des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten[209], das in Art. 5, 8 und 12 damit zusammenhängende Rechte von Minderheitenangehörigen gewährleistet, verankert. Religiöse Minderheitenrechte enthalten auch Art. 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) sowie Art. 30 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes.Spezielle religiöse Rechte in Sonderstatusverhältnissen, etwa von Flüchtlingen, Staatenlosen, Kriegsgefangenen oder Internierten, werden in Art. 4 des Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen[210], Art. 4 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen[211], Art. 34 und 36 des Genfer Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen[212], Art. 38 und 93 des Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten[213], Art. 5 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte[214] sowie Art. 12 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus[215] garantiert.[216]Der StGH hat sich in seiner Judikatur zur Religionsfreiheit neben Art. 37 LV immer wieder auf Art. 9 EMRK[217] sowie Art. 2 1. ZP EMRK[218], in geringerem Ausmass auch auf die einschlägigen Bestimmungen des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I),[219] des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II)[220] sowie des Übereinkommens über die Rechte des Kindes[221] berufen. |
Das Eigentum und alle anderen Vermögensrechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögenheiten sind gewährleistet. Die Verwaltung des Kirchengutes in den Kirchgemeinden wird durch ein besonderes Gesetz geregelt; vor dessen Erlassung ist das Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde zu pflegen. Ownership and all other proprietary rights of religious communities and associations in respect of their institutes, foundations and other possessions devoted to worship, instruction, and charity shall be guaranteed. The administration of church property in the parishes shall be regulated by a specific law; the agreement of the church authorities shall be sought before the law is enacted. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteFrühe Ansätze zu einer Art. 38 LV ähnelnden Regelung finden sich in § 9 der bayerischen Verfassung von 1818[2], wonach allen „Religionstheilen, ohne Ausnahme, (…) das Eigenthum der Stiftungen und der Genuß ihrer Renten nach den ursprünglichen Stiftungs-Urkunden und dem rechtmäßigen Besitze, sie seyen für den Cultus, den Unterricht oder die Wohlthätigkeit bestimmt, vollständig gesichert“ ist. §§ 37 bis 39 der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen räumten der katholischen Kirche einen „Kirchenfond“ ein, schützten das „Kirchengut und das Vermögen der Stiftungen für Religions-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitsanstalten“ vor Einzug und sahen die durch Gesetz zu regelnde Verwaltung des Vermögens der Kirche und der Stiftungen primär nach den Anordnungen der Stiftungsbriefe, subsidiär nach ihren ursprünglichen oder gegebenenfalls ähnlichen Zwecken, vor. Dagegen enthielt § 13 lit. d des – allerdings nie in Kraft getretenen – Kremsierer Entwurfs von 1849 lediglich die Bestimmung, wonach unter anderem das Kirchenvermögen „durch Organe, welche von den kirchlichen Gemeinden, oder nach Umständen von Diöcesan- oder Provinzial-Synoden zu wählen sind, unter dem Schutze des Staates verwaltet“ werden sollten. Die preussische Verfassung von 1850 sah in Art. 15 vor, dass die evangelische und die römisch-katholische Kirche, so wie jede andere Religionsgesellschaft, „im Besitz und Genuss der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds“ bleiben sollte. 1873 wurde diese Bestimmung dahingehend abgeändert, dass dieser Besitz und Genuss nur nach Massgabe der Staatsgesetze und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates gelten sollte; 1875 wurde Art. 15 überhaupt aufgehoben.Der noch heute als Teil der österreichischen Bundesverfassung in Kraft stehende Art. 15 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder sieht unter anderem vor, dass jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft „im Besitze und Genusse ihrer für Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde“ bleibt, aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen ist. Eine noch ähnlichere Formulierung findet sich in Art. 138 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung,[3] die aufgrund von Art. 140 GG als Bestandteil des Grundgesetzes immer noch Geltung hat: „Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecken bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.“Die KonV von 1862 widmet den Kirchenstiftungen ein eigenes Hauptstück („Fünftes Hauptstück: Von den Kirchenstiftungen und Unterrichtsanstalten“). Ähnlich der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen bestimmte § 53 KonV, dass über das Vermögen der Kirche und der Stiftungen nur nach den Anordnungen der Stiftungsbriefe und in deren Ermangelung nach ihren ursprünglich Zwecken verfügt werden könne; nur in Fällen, wo dieser stiftungsmässige Zweck nicht mehr zu erreichen sei, dürfe eine Verwendung zu anderen Zwecken, jedoch nur mit Zustimmung der Beteiligten, und insofern öffentliche Landesanstalten dabei in Betracht kämen, unter der Zustimmung des Landtags erfolgen. Gemäss § 51 KonV standen das „Kirchengut und das Vermögen der Stiftungen für Religions-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitsanstalten“ unter dem Schutz der Verfassung.Art. 38 erster Satz LV findet sich nahezu wortgleich im Verfassungsentwurf von Prinz Karl wieder, dessen § 5 Abs. 2 normierte: „Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.“ Etwas weiter von Art. 38 LV entfernt ist hingegen der aus demselben Jahr stammende Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck, der in Art. 19 vorsah, dass unter anderem der Kirche ihr Eigentum und die rechtmässige bzw. stiftsgemässe Verfügung über das Vermögen und seinen Ertrag gewährleistet seien, während Art. 22 Abs. 3 bestimmte, dass über die Verwaltung des Kirchengutes in den Gemeinden nach näheren gesetzlichen Bestimmungen ein Kirchenrat bestellt werde.§ 37 des ersten Verfassungsentwurfs von Josef Peer ist mit Art. 38 LV fast identisch; es fehlt lediglich der letzte Satz „vor dessen Erlassung ist das Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde zu pflegen“[4] bzw. ist noch vom Kirchengut „in den Gemeinden“ statt „in den Kirchgemeinden“ die Rede. Der zweite Verfassungsentwurf von Josef Peer enthält dieselbe Bestimmung, allerdings als „§ 38“ ziffernmässig richtiggestellt. Zusätzlich findet sich die handschriftliche Ergänzung, wonach der letzte Satz zu lauten hätte: „Die Verwaltung des Kirchengutes in den Gemeinden wird durch ein besonderes Gesetz geregelt, vor dessen Erlass die kirchliche Behörde zu hören ist.“ Hinsichtlich dieser Bestimmung hatte sich 1921 eine Diskussion zwischen dem Regierungschef Ospelt und dem damaligen Churer Bischof Georg Schmid von Grüneck entsponnen:[5] Der Bischof forderte die Formulierung „Die Verwaltung des Kirchengutes der katholischen Pfarreien wird durch eine Vereinbarung mit der zuständigen kirchl. Behörde geregelt“, da die katholische Kirche für ihre Güterverwaltung gewisse Normen aufgestellt habe, welche für alle Länder einschliesslich Liechtensteins gälten und von denen nicht abgegangen werden könne.[6] Die schliesslich gewählte Formulierung, wonach das Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde zu pflegen sei, stellte einen Kompromiss zwischen beiden Standpunkten dar, wirft aber bis heute Auslegungsfragen auf.[7]Art. 38 der Verfassung von 1921 entspricht der heute geltenden Fassung, seit 1921 erfolgte keine Änderung dieser Bestimmung; sie ist Teil des Staatskirchenrechts der liechtensteinischen Verfassung.[8]II. BegriffeA. Eigentum und alle anderen VermögensrechteArt. 38 LV schützt das „Eigentum und alle anderen Vermögensrechte“ der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögenheiten. Die LV definiert die Begriffe „Eigentum“ oder „Vermögensrechte“ nicht, das Eigentum wird jedoch als ein besonderes Vermögensrecht unter allen anderen hervorgehoben.Art. 34 LV, der ein allgemeines Eigentumsgrundrecht beinhaltet, spricht von der Unverletzlichkeit des „Privateigentums“. Fraglich ist daher, wie die Begriffe „Eigentum und alle anderen Vermögensrechte“ im Vergleich zum Begriff „Privateigentum“ zu verstehen sind. Der Begriff „Privateigentum“ wird durch Lehre[9] und Rechtsprechung[10] extensiv ausgelegt und schliesst demzufolge verschiedene Rechte ein, die über das zivilrechtliche Eigentumsrecht im engen Sinn hinausgehen: Neben dem zivilrechtlichen Eigentum zählen auch andere dingliche Rechte des Zivilrechts, obligatorische Rechte und Immaterialgüterrechte, die man unter dem Sammelbegriff der vermögenswerten Privatrechte zusammenfassen kann, aber auch sogenannte „wohlerworbene Rechte des öffentlichen Rechts“ dazu.[11] Da der Begriff des „Eigentums“ den Überbegriff zum „Privateigentum“ darstellt, kann das „Eigentum“ des Art. 38 LV keinesfalls enger verstanden werden als das „Privateigentum“ gemäss Art. 34 LV. Allerdings ist fraglich, welche Rechte die „anderen“ Vermögensrechte des Art. 38 erster Satz LV sein sollen, wenn schon alle vermögenswerten Privatrechte, aber auch „wohlerworbene Rechte des öffentlichen Rechts“ unter den Begriff „Privateigentum“ – dann aber auch erst recht unter den des „Eigentums“ des Art. 38 erster Satz LV – zu zählen sind. Der Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend Neuordnung des Staatskirchenrechts[12] erwähnt dazu Folgendes: „Unter diesen Rechten werden alle sonstigen, vom Eigentumsbegriff des Art. 34 Abs. 1 LV nicht erfassten vermögenswerten Rechte verstanden. Dazu zählen auch solche des öffentlichen Rechts, die auf staatlicher Gewährung beruhen bzw. ein Gesetz zur Grundlage haben, wie es etwa beim Gesetz vom 12. Februar 1868 über die Regelung der Baukonkurrenzpflicht bei vorkommenden Kirchen- und Pfrundbaulichkeiten der Fall ist.“ Zu den „anderen Vermögensrechten“ des Art. 38 erster Satz LV gehörten auch Besitz- und Nutzungsrechte an Immobilien, namentlich Gebrauchsrechte an Kirchgebäuden,[13] etwa auch die von einer Gemeinde der römisch-katholischen Kirche eingeräumte Nutzung zu gottesdienstlichen Zwecken, was eine öffentlich-rechtliche Befugnis darstelle, die im Eigentum der Gemeinde stehende Pfarrkirche für sakrale Zwecke als Gotteshaus zu gebrauchen.[14] Unter den Schutz von Art. 38 erster Satz LV fielen ferner Patronatspflichten und kommunale – auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln – beruhende Baulasten.[15]Bei etlichen dieser als „andere“ angeführten Vermögensrechte kann kein Unterschied zu jenen – sei es privat- oder öffentlich-rechtlichen – Vermögensrechten erblickt werden, welche als von der Eigentumsgarantie des Art. 34 Abs. 1 LV ohnehin umfasst angesehen werden.[16] Der einzige Mehrwert könnte darin erblickt werden, dass sämtliche öffentlich-rechtliche Ansprüche, auch wenn sie nicht „wohlerworben“ sind, unter diese spezielle vermögensrechtliche Garantie des Art. 38 erster Satz LV fallen sollen.[17] Schon aus den frühkonstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts, die ähnliche Garantien enthielten, ist ableitbar, dass die Religionsgesellschaften umfassend vor Enteignungen oder anderen Eigentumsbeschränkungen geschützt werden sollten. Die Parallelisierung von „Eigentum“ und der generalklauselhaften Formulierung „alle anderen Vermögensrechte“ ist offensichtlich vom Telos des Verfassungsgebers getragen, einen möglichst lückenlosen und umfassenden Schutz der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine vor Säkularisierung[18] zu verankern.[19] Dass die Lehre und Rechtsprechung später freilich auch den Begriff des Privateigentums gemäss Art. 34 Abs. 1 LV ähnlich interpretieren würden, obwohl dort von „allen anderen Vermögensrechten“ gerade nicht die Rede ist, war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Bloss wirtschaftliche Erwartungshaltungen fallen dennoch nicht unter die spezielle vermögensrechtliche Garantie des Art. 38 erster Satz LV, weil es sich jedenfalls um „Rechte“ handeln muss.[20]B. Religionsgesellschaften und religiöse VereineArt. 38 erster Satz LV bestimmt als Grundrechtsträger die Religionsgesellschaften und religiösen Vereine. Weder an dieser noch an einer anderen Stelle der LV werden diese Begriffe näher definiert. Eindeutig ist allerdings, dass der Verfassungsgeber zwischen Religionsgesellschaften und religiösen Vereinen begrifflich differenziert, aber auch, dass er die Garantie des Art. 38 erster Satz LV – anders als Art. 37 Abs. 2 erster Satz[21] sowie Art. 38 zweiter und dritter Satz LV[22] – nicht nur der katholischen Kirche, sondern allen Religionsgesellschaften und religiösen Vereinen gewährleistet.Unter „Religionsgesellschaften“ ist dasselbe wie unter dem jüngeren Begriff der „Religionsgemeinschaften“[23] zu verstehen – ein Begriff, der in der liechtensteinischen einfachgesetzlichen Rechtslage häufiger, wenn auch nicht durchgehend anzutreffen ist.[24] Zu den Religionsgesellschaften i.S.d. Art. 38 erster Satz LV gehört nach sowohl historisch-teleologischer als auch systematischer Auslegung jedenfalls auch – aber eben nicht nur – die in Art. 37 Abs. 2 erster Satz LV sowie Art. 38 zweiter und dritter Satz LV eigens erwähnte römisch-katholische Kirche.[25] Dass an mehreren Stellen des StGB[26] zwischen „Kirche“ und „Religionsgesellschaft“/„Religionsgemeinschaft“ unterschieden wird, hat für die umfassende Auslegung der „Religionsgesellschaften“ in Art. 38 erster Satz LV keine Bedeutung.Was die Voraussetzungen einer Religionsgesellschaft sind, wird in der LV nicht näher determiniert. Wille bezieht sich dabei auf eine Judikatur des deutschen BVerfG[27], wonach es sich „auch tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und um eine Religionsgemeinschaft handeln“ muss.[28] Dabei handelt es sich um eine inhaltliche Beurteilung, die nicht davon abhängt, ob es auch einer staatlichen Anerkennung bedarf, um als Religionsgesellschaft unter die Garantie des Art. 38 erster Satz LV zu fallen. In Liechtenstein findet sich jedoch, anders als in Österreich, keine Rechtsvorschrift, die ein bestimmtes Verfahren vorsieht, wie eine Bekenntnisgemeinschaft als Religionsgesellschaft (oder Religionsgemeinschaft) öffentlich-rechtlich[29] anerkannt werden kann, auch wenn die liechtensteinische Rechtsordnung verschiedentlich an beide Begriffe anknüpft und diese daher voraussetzt. Tatsächlich wurde bereits im Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend Neuordnung des Staatskirchenrechts von 2008 eine Änderung der LV dahingehend angeregt, die Stellung der Kirchen und Religionsgesellschaften (Religionsgemeinschaften) klarer zu regeln:[30] Demnach wären als Kirchen die römisch-katholische und die beiden evangelischen Kirchen unmittelbar kraft Verfassung als öffentlich-rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften verstanden worden, während die anderen Religionsgemeinschaften in öffentlich-rechtlich anerkannte und privatrechtlich organisierte unterschieden worden wären.[31] Andere öffentlich-rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften als die genannten Kirchen hätten auf Anerkennung durch Gesetz beruht.[32] Nähere Bestimmungen über die Beziehung zwischen dem Staat und den öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften, die teilweise auch auf die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften anzuwenden gewesen wären, hätte ein eigenes Religionsgesetz[33] enthalten, das jedoch ebensowenig wie die vorgeschlagene Änderung der LV erlassen wurde. Auch die im Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Glaubensgemeinschaften von 2011[34] mit gleicher Zielsetzung angeregten Änderungen, die freilich nur punktuell die Verfassung und primär die Neuerlassung eines Glaubensgemeinschaftengesetzes betroffen hätten, wurden bisher nicht umgesetzt. Auch die im darauf basierenden Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften[35] vorgelegte Verfassungsänderung sowie ein Religionsgemeinschaftengesetz traten bisher nicht in Kraft. Das Religionsgemeinschaftengesetz wurde vom Landtag zwar beschlossen,[36] nicht jedoch die damit über eine Inkrafttretensbestimmung[37] verknüpfte und als erforderliche Grundlage des neuen Gesetzes angesehene Verfassungsänderung, da dafür Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl über die Frage eines Konkordats abgewartet werden sollten.[38] Auch der parlamentarischen Initiative zur Neuregelung des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften zur Abänderung der Verfassung sowie des Religionsgemeinschaftengesetzes von 2014[39] war kein Erfolg beschieden. In der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage wurde zuletzt darauf hingewiesen, dass trotz erzielter Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl vermögensrechtliche Detailvereinbarungen mit einzelnen Gemeinden noch ausstünden sowie Anpassungen des – noch nicht in Kraft getretenen – Religionsgemeinschaftengesetzes erforderlich seien.[40]Obwohl die Gegenüberstellung von Religionsgesellschaften und religiösen Vereinen in Art. 38 erster Satz LV eine durch den Verfassungsgesetzgeber intendierte Kategorisierung in öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Organisationsform indiziert, ist eine besondere öffentlich-rechtliche Anerkennungsform der Religionsgesellschaften daher nach wie vor nicht vorgesehen.Unter religiösen Vereinen sind Vereine zu verstehen, die sich religiösen Zwecken widmen. Ob dies der Fall ist, ergibt sich gemäss Art. 246 PGR[41] aus den Statuten. Ein religiöser Verein entsteht, sobald der Wille, als Körperschaft zu bestehen, aus den Statuten ersichtlich ist.[42]Im Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass sich die Stellung der römisch-katholischen Kirche als „Landeskirche“ unmittelbar aus Art. 37 Abs. 2 erster Satz LV ergibt,[43] dass alle anderen Religionsgemeinschaften jedoch nur als Religionsgesellschaften oder religiöse Vereine konstruiert werden können: Da bislang spezielle Rechtsvorschriften über die Anerkennung als Religionsgesellschaft – auch wenn der Terminus vereinzelt in Gesetzen vorkommt –[44]fehlen, steht diesen anderen Religionsgemeinschaften nur die Möglichkeit offen, sich als Verein zu organisieren.C. Für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmte Anstalten, Stiftungen und sonstige VermögenheitenDie spezielle vermögensrechtliche Garantie des Art. 38 erster Satz LV erstreckt sich nicht auf alle Arten von Eigentum oder andere Vermögensrechte in ihrer Gesamtheit. Vielmehr geht es um das Eigentum und alle anderen Vermögensrechte der für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögenheiten der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine. Daraus ist zum einen eine bestimmte religiös-soziale Zweckwidmung dieser Vermögenheiten ableitbar, die dem Kultus, Unterricht oder wohltätigen Zielsetzungen dienen sollen. Dementsprechend gehören etwa die res sacrae (heilige Sachen) dazu, die unmittelbar kultischen Zwecken dienen und dem Gottesdienst geweiht sind.[45] Aber auch das Finanz- und Verwaltungsvermögen einer Religionsgesellschaft oder eines religiösen Vereins fällt unter die Garantie des Art. 38 erster Satz LV, sofern die entsprechende Zweckwidmung besteht.[46]Zum anderen stellen (die meisten Arten von) Anstalten und Stiftungen juristische Personen mit eigener (öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher) Rechtspersönlichkeit dar, die näher in liechtensteinischen Gesetzen und Verordnungen geregelt sind, nämlich insbesondere im PGR[47] und in der Stiftungsrechtsverordnung (StRV)[48]. Gemäss Art. 534 Abs. 1 PGR ist unter einer Anstalt ein nach den Vorschriften des PGR rechtlich verselbständigtes und organisiertes, dauernden wirtschaftlichen oder anderen Zwecken gewidmetes, ins Handelsregister als Anstaltsregister eingetragenes Unternehmen zu verstehen, das einen Bestand von sachlichen, allenfalls persönlichen Mitteln aufweist und nicht öffentlich-rechtlichen Charakter hat oder eine andere Form der Verbandsperson aufweist. Öffentlich-rechtliche Anstalten, die einem bestimmten dauernden Zweck dienen und sich in den Händen der öffentlichen Verwaltung befinden, unterstehen gemäss Art. 534 Abs. 2 PGR dem öffentlichen Recht, soweit nicht Ausnahmen bestehen, und, wenn sie selbständig sind, ergänzend den Vorschriften des PGR. Die kirchlichen Anstalten unterstehen gemäss Art. 534 Abs. 3 PGR dem öffentlichen Recht und ergänzend dem Kirchenrecht, wobei sich die Garantie des Art. 38 erster Satz LV nicht nur auf kirchliche Anstalten, sondern alle mit entsprechender Zweckwidmung versehenen Anstalten erstreckt. Anstalten ohne Persönlichkeit (unselbständige Anstalten) und sonstige unselbständige Vermögenszuwendungen unter einer Zweckauflage unterstehen gemäss Art. 534 Abs. 4 PGR nicht den Vorschriften des PGR, sondern den Vorschriften über das stillschweigende Treuhandverhältnis. Bei Stiftungen handelt es sich gemäss Art. 552 § 1 Ziff. 1 PGR um ein rechtlich und wirtschaftlich verselbständigtes Zweckvermögen, welches als Verbandsperson (juristische Person) durch die einseitige Willenserklärung des Stifters errichtet wird.Dagegen umfasst der altertümliche Begriff der „sonstigen Vermögenheiten“ generalklauselartig alle anderen Arten von Vermögen, wofür nicht notwendig ist, dass dieses als selbständige juristische Person organisiert ist. Offenkundiges Ziel des Verfassungsgebers war es, die Religionsgesellschaften und religiösen Vereine möglichst umfassend vor Säkularisierung zu schützen,[49] sodass auch der Begriff der „sonstigen Vermögenheiten“ weitestmöglich auszulegen ist.Immer wieder werden diese Vermögenheiten als „Kirchengut“ und die in Art. 38 erster Satz LV verankerte Garantie als „Kirchengutsgarantie“ bezeichnet.[50] Dieser Begriff ist insofern zu eng, als die Bestimmung eben nicht nur auf das Vermögen der römisch-katholischen Kirche (als „Landeskirche“ gemäss Art. 37 Abs. 2 erster Satz LV) oder der Evangelischen oder Evangelisch-Lutherischen Kirche bezogen ist, die nach einem traditionellen Begriffsverständnis[51] auch als „Kirchen“ verstanden werden. Richtigerweise bezieht sich der Begriff des „Kirchenguts“ bzw. der „Kirchengutsgarantie“ nur auf das ausdrücklich so bezeichnete, der römisch-katholischen Kirche zugehörige Kirchengut in Art. 38 zweiter Satz LV.[52]D. Kirchengut, Kirchgemeinden, kirchliche BehördeIn Gegensatz zu den weiten Begriffen der „Religionsgesellschaften“ und „religiösen Vereine“ spricht Art. 38 zweiter und dritter Satz LV von „Kirchengut“, „Kirchgemeinden“ und der „kirchlichen Behörde“. Der Begriff der Kirche wird in anderen Zusammenhängen auch in Art. 15, Art. 16 Abs. 1 und 4 und Art. 37 Abs. 2 LV erwähnt; in Art. 37 Abs. 2 LV wird die römisch-katholische Kirche als „Landeskirche“ bezeichnet.[53] Wille zufolge ist immer dann, wenn „die Verfassung an anderen Stellen von ‚Kirche‘ oder in Verbindung mit anderen Begriffen von ‚kirchlichen‘ spricht“, die Landeskirche, also die römisch-katholische Kirche, gemeint.[54] In weiterer Folge bedeutet dies, dass Art. 38 zweiter und dritter Satz LV nur auf die römisch-katholische Kirche bezogen ist.Unter „Kirchengut“ im Sinne des Art. 38 zweiter Satz LV wird demzufolge das Vermögen der römisch-katholischen Kirche verstanden, wobei der Begriff im systematischen Zusammenhang mit Art. 38 erster Satz LV möglichst weit – also im Sinne der von dieser Bestimmung umfassten Vermögensrechte[55] – zu verstehen ist.[56] Wille zufolge gehören zum Kirchengut „nicht nur die im Eigentum der Kirche stehenden kirchlichen und nichtkirchlichen Zwecken dienenden Sachen“, sondern auch die „im Eigentum der Gemeinde stehenden kirchlichen Zwecken dienenden Sachen“.[57] Die Gesetzgebung stelle zumeist auf die Funktionsbestimmung eines Gegenstands, diesfalls also auf den kirchlichen Zweck, ab.[58]Der Begriff der Kirchgemeinden wird zwar in Art. 38 zweiter Satz LV erwähnt, doch wurden Kirchgemeinden in Liechtenstein bisher nicht eingerichtet.[59] Der Begriff entstammt nach h.L.[60] vielmehr dem schweizerischen Staatskirchenrecht[61] und umschreibt einen besonderen Typus einer staatlich anerkannten und als öffentlich-rechtliche Einheit organisierten kirchlichen Gemeinde. Im Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend Neuordnung des Staatskirchenrechts[62] wurde daher auch vorgeschlagen, den Hinweis auf die Kirchgemeinden zu beseitigen, da es sie in Liechtenstein ohnehin nicht gäbe, vielmehr die politischen Gemeinden jene Ebene darstellten, auf der sich das kirchliche Leben abspiele.[63] Eine derartige Verfassungsänderung ist bisher jedoch nicht erfolgt. Der StGH führte zur Frage der Kirchgemeinden Folgendes aus:[64] „Nach der geltenden Ordnung besteht im Verhältnis Staat-Kirche in organisatorischer Hinsicht keine Trennung. So existieren in Liechtenstein beispielsweise keine Kirchgemeinden, obwohl dies von der Verfassung ursprünglich vorgesehen war und heute noch ist (vgl. Art. 38 Satz 2 LV). Die bestehenden Pfarrgemeinden sind organisatorisch nicht der römisch-katholischen Kirche angegliedert, sondern staatliche Rechtsgebilde. Die Besorgung des katholischen Kirchenwesens ist den politischen Gemeinden übertragen (…) Das Verhältnis lässt sich damit als eine Verflechtung der politischen Gemeinden mit den Pfarrgemeinden charakterisieren. Diese äussert sich beispielsweise darin, dass die Gemeinden bei der Wahl des Pfarrers mitbestimmen, grosse Teile des Finanzhaushalts der Kirche bestreiten und in vielen Fällen Eigentümerin der Kirchengebäude sind. Diese Verflechtung hat in erster Linie historische Gründe, weil die geografischen Grenzen der politischen und der Pfarrgemeinden sich seit je her [sic] entsprochen haben und die Einwohner einer Gemeinde ursprünglich zu fast 100 % katholisch waren. Der Aufbau von Kirchgemeinden als eigenständige Organisationsstruktur neben der politischen Gemeinde drängte sich daher nicht auf (…). Aus diesen Gründen war und ist es nach wie vor üblich, dass die politische Gemeinde Leistungen zugunsten der Kirche erbringt. Bei diesen handelt es sich in der Regel um Leistungen zur Bestreitung der Personal- und Sachausgaben der römisch-katholischen (Orts-)Kirche (…). Auch die Besetzung der unteren Kirchenämter, insbesondere der Stelle des Mesmers, erfolgt in aller Regel durch die Gemeinden“.Art. 38 zweiter Satz LV ähnelt allerdings sehr stark § 83 Gemeindegesetz 1864[65], das Folgendes normierte: „Die Verwaltung des Kirchenguts wird einem Kirchenrat überwiesen; die Art der Zusammensetzung desselben, dann die Feststellung seiner Obliegenheiten jedoch einem besonderen Gesetze vorbehalten“. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Delegationsbestimmungen liegt im Grunde nur darin, dass § 83 GemG 1864 bereits die materielle Regelung enthält, dass die Verwaltung des Kirchenguts dem Kirchenrat obliegt, während Art. 38 zweiter Satz LV zufolge die Regelung der Verwaltung des Kirchenguts durch besonderes Gesetz vorzunehmen ist. Die gesetzliche „Feststellung der Obliegenheiten“ des zur Verwaltung des Kirchenguts eingesetzten Kirchenrats führt jedoch letztlich zum selben Ergebnis, nämlich zu einem Gesetz, das, wie schon der Titel des in Ausführung von § 83 GemG 1864 erlassenen Gesetzes vom 14. Juli 1870 über die Verwaltung des Kirchengutes in den Pfarrgemeinden[66] bezeugt, die Verwaltung des Kirchenguts regelt; dieses Gesetz steht heute noch in Geltung.[67] Es ist aufgrund der grossen Ähnlichkeit zwischen § 83 Gemeindegesetz 1864 und Art. 38 zweiter Satz LV nicht auszuschliessen, dass die in letzterer Bestimmung erwähnten „Kirchgemeinden“ dasselbe wie „Pfarrgemeinden“ bedeuten, es möglicherweise aber einem Redaktionsfehler oder einer oberflächlichen sprachlichen Parallelisierung mit „Kirchengut“, „kirchlicher Behörde“ oder „Kirchenrat“ zu verdanken ist, dass die „Pfarrgemeinden“ als „Kirchgemeinden“ bezeichnet wurden. Schliesslich waren sowohl das Gemeindegesetz 1864 als auch das Gesetz vom 14. Juli 1870 über die Verwaltung des Kirchengutes in den Pfarrgemeinden in Geltung, als die LV 1921 in Kraft trat.[68] Dass der Verfassungsgeber ein ausgeprägtes Verständnis über semantische Unterschiede zwischen Kirchgemeinden nach schweizerischem oder dem von Haas[69] erwähnten, den „Pfarrgemeinden“ entsprechenden deutschen Verständnis haben dürfte, muss bezweifelt werden. Selbst der zweite Verfassungsentwurf von Josef Peer enthält noch die Variante „in den Gemeinden“, sodass der Begriff der „Kirchgemeinden“ gewissermassen erst im letzten Moment in den Verfassungstext aufgenommen wurde, ohne dass damit notwendigerweise eindeutige Konnotationen in Richtung des einen oder anderen Begriffsverständnisses verbunden waren.Unabhängig davon, ob die Regelung nun tatsächlich eine Umwandlung der Pfarrgemeinden in Kirchgemeinden nach schweizerischem Vorbild oder lediglich bezweckte, (irgendwelche) Änderungen des Gesetzes vom 14. Juli 1870 über die Verwaltung des Kirchengutes in den Pfarrgemeinden weiterhin einem besonderen Gesetz vorzubehalten, wollte der Verfassungsgeber offenbar sicherstellen, dass dies erstens durch ein eigenes Gesetz und zweitens nur durch ein Gesetz geschehen sollte, an dessen Erzeugung die kirchliche Behörde mitwirken konnte.An der geltenden Rechtslage wird die fehlende Separation zwischen Kirchengut und Gemeindegut, aber auch die Finanzierung kirchlicher Ausgaben durch die Gemeinden mit mittelbarem Effekt auf Personen, die selbst der römisch-katholischen Kirche gar nicht angehören, kritisiert.[70]Wer die kirchliche Behörde ist, wird durch die LV nicht weiter ausgeführt, klar ist aber, dass es sich dabei um keine staatliche „Behörde“ handelt. Es wird damit dem Recht der römisch-katholischen Kirche selbst überlassen zu definieren, wer nach ihrer inneren Organisation als „kirchliche Behörde“ anzusehen ist.III. Die Grundrechtsgarantie des Art. 38 erster Satz LVA. AllgemeinesDa der Begriff des Kirchenguts in Art. 38 zweiter Satz LV nur auf das Vermögen der römisch-katholischen Kirche als „Landeskirche“ bezogen ist, ist es – entgegen der üblichen Begriffsbildung –[71] unzutreffend, die Garantie des Art. 38 erster Satz LV allgemein als „Kirchengutsgarantie“ zu bezeichnen. Denn die dort verbürgten Vermögensrechte betreffen gerade nicht nur die römisch-katholische Kirche, sondern sind vielmehr ausdrücklich allen Religionsgesellschaften und religiösen Vereinen gewährleistet. Wenn daher im Zusammenhang des Art. 38 erster Satz LV von „Kirchengutsgarantie“ die Rede ist, sollte immer berücksichtigt werden, dass nicht nur die römisch-katholische Kirche Grundrechtsträgerin dieser Garantie ist.Für den StGH schützt Art. 38 erster Satz LV „die öffentliche Funktion des Kirchenguts im kirchlichen Organismus vor Eingriffen durch die staatliche Gewalt. Sie ist in engem Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht zu sehen und bildet dessen Komplement“.[72]B. GrundrechtsträgerGrundrechtsträger gemäss Art. 38 erster Satz LV sind alle Religionsgesellschaften und religiösen Vereine. Dazu gehört auch die nach Art. 37 Abs. 2 erster Satz LV privilegierte römisch-katholische Kirche als „Landeskirche“, jedoch keineswegs nur diese.[73] Art. 38 erster Satz LV stellt jedoch kein individuelles Menschenrecht – auch nicht der einzelnen Angehörigen der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine – dar[74] und unterscheidet sich diesbezüglich von der Eigentumsgarantie gemäss Art. 34 Abs. 1 erster Satz LV,[75] der ein Jedermannsrecht verankert.[76]C. SchutzbereichZur Frage, was unter dem Eigentum und allen anderen Vermögensrechten der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine und damit unter dem Schutzbereich des in Art. 38 erster Satz LV gewährleisteten Grundrechts zu verstehen ist, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.[77] Es handelt sich richtigerweise nicht um ein (allgemeines) Grundrecht auf Eigentum im engen Sinn, weil die Bestimmung erstens das Eigentum nicht als Jedermannsrecht verankert, zweitens aber alle Vermögensrechte – und nicht bloss das zivilrechtliche Eigentum – der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine geschützt sind. Auch der traditionelle Begriff „Kirchengutsgarantie“[78] gibt, wie erwähnt, das Spezifische dieses Grundrechts nicht hinreichend wieder, da der durch Art. 38 erster Satz LV gewährleistete Schutz eben nicht nur der römisch-katholischen Kirche gewährleistet wird.Eine allgemeine Eigentumsgarantie enthält Art. 34 Abs. 1 erster Satz LV, wonach die Unverletzlichkeit des Privateigentums gewährleistet ist.[79] Art. 38 erster Satz LV wird als Ergänzung dieser Eigentumsgarantie angesehen und soll dabei eigenständige Bedeutung haben.[80] Diese besteht in Bezug auf den Schutzbereich darin, dass nicht nur das „Privateigentum“, sondern das „Eigentum und alle anderen Vermögensrechte“ geschützt sind. Aufgrund der extensiven Auslegung des Begriffs „Privateigentum“ in Art. 34 Abs. 1 erster Satz LV verliert die erweiterte Formulierung des Schutzbereichs des Art. 38 erster Satz LV jedoch an Bedeutung. Spezifische Bedeutung kommt Art. 38 erster Satz LV aber deshalb zu, weil der Schutz der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine vor vermögensrechtlichen Eingriffen nicht nur eine herkömmliche Eigentumsgarantie darstellt. Berücksichtigt man die Zwecke dieser Einrichtungen, handelt es sich vielmehr auch um eine Schutzbestimmung, die Säkularisationen vorbeugen und damit dem „Schutz der öffentlichen Funktion des Kirchengutes“[81] dienen soll.[82] Unmittelbar schützt Art. 38 erster Satz LV zwar nur vor vermögensrechtlichen Eingriffen, mittelbar werden dadurch aber auch generellen Bestrebungen, Religionsgesellschaften und religiöse Vereine zu beschränken, Grenzen gesetzt, weil derartige Bestrebungen zumeist mit vermögensrechtlichen Eingriffen einhergehen würden. Treffend hielt daher das BVerfG es als Aufgabe von Art. 138 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung fest, „den durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 137 WRV zugesagten Schutz der Stellung und der Freiheit der Kirchen in ihren sächlichen Grundlagen zu gewährleisten“.[83]D. EingriffsvorbehaltArt. 38 erster Satz LV enthält keinen ausdrücklichen Eingriffsvorbehalt, sodass der Eindruck naheliegen könnte, dass es sich um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht handelt. Höfling differenziert mit Blickwinkel auf die deutsche Rechtslage zwischen der absoluten Wirkung des Grundrechts in Form einer „Enteignungssperre“, die nur im Hinblick auf das kirchliche Verwaltungsvermögen – wozu Höfling die res sacrae zählt – bestehe, während beim kirchlichen Finanzvermögen eine Enteignung gegen Entschädigung möglich sei.[84] Auch wenn die Ansicht, dass res sacrae strenger geschützt seien als andere Bereiche des Kirchengutes, im Hinblick auf deren „Dignitätsgrad“[85] überzeugt, ist diese Auffassung m.E. in anderer Hinsicht zu hinterfragen: Erstens findet die Unterscheidung zwischen Enteignungen im (gesamten) Verwaltungsvermögen einerseits und Finanzvermögen andererseits keinerlei Begründung im Wortlaut der Bestimmung. Zweitens bleibt offen, ob und welche Sperren für sonstige, unterhalb der Schwelle der Enteignung liegende Eigentumsbeschränkungen zu gelten haben. Drittens zählen res sacrae nach anderer Meinung nicht zum kirchlichen Verwaltungsvermögen.[86] Viertens stellt sich die Frage, weshalb nur „kirchliches“ Verwaltungs- und Finanzvermögen angesprochen wird, bezieht sich Art. 38 erster Satz LV doch auf die Vermögensrechte aller Religionsgesellschaften und religiösen Vereine. Fünftens stellt sich – unbeschadet der Entschädigungsmöglichkeit – die Frage, ob Enteignungen im Fall des Finanzvermögens bzw. sonstige Eigentumsbeschränkungen im Fall des Finanz- und Verwaltungsvermögens keinerlei Eingriffsvorbehalt unterliegen.Im Umkehrschluss zu Art. 34 Abs. 1 LV, wonach das Privateigentum zwar gewährleistet ist, Konfiskationen jedoch (nur) in den vom Gesetz bestimmten Fällen stattfinden dürften, ist anzunehmen, dass Konfiskationen – also entschädigungslose Enteignungen – im Fall aller von Art. 38 erster Satz LV geschützten Vermögensrechte überhaupt nicht stattfinden dürfen, da eine entsprechende Ermächtigung fehlt.Der StGH[87] hielt fest, dass die Bedeutung des Art. 38 erster Satz LV darin liege, die Religionsgesellschaften (scil. „und religiösen Vereine“) vor staatlichen bzw. kommunalen Beeinträchtigungen und vor Verhaltensweisen zu sichern, die zu einer Änderung (Aufhebung, Einschränkung oder Erweiterung) der von den Religionsgesellschaften (scil. „und religiösen Vereinen“) bestimmten besonderen Funktion ihres Vermögens führen oder führen können. Dem staatlichen Gemeinwesen seien demnach Massnahmen verwehrt, die auf eine Umwidmung kirchlichen Vermögens hinausliefen.[88] Die Religionsgesellschaften und religiösen Vereine würden vor einer entschädigungslosen Wegnahme ihres Gutes (Säkularisationsverbot) geschützt, die kirchlichen Vermögensrechte würden in ihrem Bestand (Bestandsgarantie) sowie nach Massgabe ihrer vorhandenen rechtlichen Qualitäten (res sacrae, Verwaltungsvermögen, Finanzvermögen) gesichert.[89]Auch wenn der StGH die Begriffe Religionsgesellschaften, religiöse Vereine und Kirche (kirchlich) dabei mitunter synonym verwendet, ist doch ableitbar, dass die genannten Rechte allen Religionsgesellschaften und religiösen Vereinen zukommen sollen. Darüber hinaus ist allerdings fraglich, ob lediglich Enteignungen, ob mit oder ohne Entschädigung, oder auch sonstige Eigentumsbeschränkungen verboten sind. Wenn die vom StGH vorgenommene kumulative Beschreibung der Schutzzwecke des Art. 38 erster Satz LV Sinn haben soll, muss unter dem Schutz vor entschädigungsloser Wegnahme etwas anderes als unter der Sicherung der Bestandsgarantie verstanden werden. Dass die Bestandsgarantie allerdings auch die Sicherung der Vermögensrechte vor sonstigen Eigentumsbeschränkungen umfasst, ist damit nicht gesagt. Es könnte darin vielmehr zum Ausdruck kommen, dass jedwede Enteignung verboten ist, auch wenn eine Entschädigung vorgesehen wäre. Hoch zählt zwar Art. 38 LV zu den vorbehaltlos gewährleisteten Rechten,[90] nimmt aber offenbar an, dass damit „nur“ eine Kerngehaltsgarantie verbunden sein soll.[91] Es handelt sich dann also nicht um ein jeglichen Eigentumseingriff verbietendes Grundrecht. Eingriffe sind nach dem üblichen Eingriffsvorbehalt des StGH daher wohl nur dann zulässig, sofern der Kerngehalt der Garantie nicht berührt wird – was etwa im Fall der Enteignung von res sacrae jedoch sicherlich der Fall wäre –, der Eingriff im öffentlichen Interesse steht und verhältnismässig, d.h. geeignet, erforderlich und zumutbar, ist.[92]IV. Regelung durch ein „besonderes“ GesetzDie Verwaltung des Kirchengutes in den Kirchgemeinden wird durch ein „besonderes“ Gesetz geregelt, vor dessen Erlassung das Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde zu pflegen ist. Damit wird die Regelung der Verwaltung des Kirchenguts durch ein staatliches Gesetz und nicht als „eigene“ Angelegenheit kirchenrechtlich geregelt.[93] Der Begriff „besonderes Gesetz“ wird auch an anderen Stellen der LV verwendet, nämlich in Art. 25, Art. 46 Abs. 5, Art. 103 sowie Art. 104 Abs. 1 LV. Da an diesen Stellen kein spezielles Erzeugungsverfahren normiert ist, muss angenommen werden, dass sich der besondere Charakter dieser Gesetze in einem materiellen Sinn lediglich darauf bezieht, dass jeweils nähere Bestimmungen in einem eigenen, dieser Angelegenheit gewidmeten Materiegesetz zu regeln sind.Auch das in Art. 38 LV erwähnte „besondere“ Gesetz hat zum Zweck, eine bestimmte Regelungsmaterie – in diesem Fall die Verwaltung des Kirchengutes in den Kirchgemeinden – mit näheren Bestimmungen auszugestalten. Darüber hinaus handelt es sich jedoch auch um ein „besonderes Gesetz“ in einem formellen Sinn: Art. 38 LV schreibt nämlich im Hinblick auf das erforderliche „Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde“ ein zusätzliches Element im Erzeugungsverfahren dieses Gesetzes vor. Dieser Verfahrensschritt findet jedenfalls vor der „Erlassung“ des Gesetzes statt. Wendet man die allgemeinen Bestimmungen über das Gesetzgebungsverfahren gemäss Art. 64 ff. LV an, so muss dieses Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde spätestens vor der Kundmachung des Gesetzes im Landesgesetzblatt erfolgen. Sinnvollerweise wird das Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde aber vor Beschlussfassung des Gesetzes durch den Landtag herzustellen sein, da inhaltliche Änderungen ja noch möglich sein sollen. Dass das Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde „zu pflegen“ sei, könnte darauf hindeuten, dass das Einvernehmen nur anzustreben, nicht aber unerlässlich sei. Nay[94] weist darauf hin, dass es sich zwar um mehr als ein „blosses gegenseitiges Anhören“, jedoch lediglich um eine „Anhörung des jeweiligen Partners mit der Pflicht, seiner Meinung soweit als möglich und zumutbar Rechnung zu tragen“, handle.[95] Zutreffend ist, dass die Bestimmung über eine rein formelle „Anhörung des jeweiligen Partners“ hinausgeht und ein ernsthaftes inhaltliches Bemühen, einen Konsens mit der kirchlichen Behörde zu erzielen, verlangt. Eine Objektivierung dessen, ob dieser Haltung „soweit als möglich und zumutbar Rechnung“ getragen wurde, könnte freilich nur der StGH im Rahmen einer Prüfung dieses besonderen Gesetzes vornehmen. Dass Art. 38 letzter Satz LV von „Einvernehmen“ und nicht bloss von „Berücksichtigung“ spricht, könnte aber auch für eine strenge Auslegung dahingehend sprechen, dass es sich um ein echtes Zustimmungsrecht der kirchlichen Behörde handelt. Im Kontext des Art. 38 LV, der ja die Religionsgesellschaften und religiösen Vereine vor staatlichem Zugriff bewahren will, wäre auch letztere Deutung eher naheliegend: Da es an sich einen beträchtlichen Eingriff in die Autonomie der römisch-katholischen Kirche darstellt, das Kirchengut durch staatliches Gesetz zu regeln, ist der Einvernehmenspflicht ein kompensatorisches Telos immanent, das über eine blosse Berücksichtigung hinausgehen dürfte. Dass der Wortlaut über die in den zweiten Verfassungsentwurf von Josef Peer eingefügte handschriftliche Ergänzung „vor dessen Erlass die kirchliche Behörde zu hören ist“ hinausgeht,[96] spricht ebenfalls dafür, dass der Verfassungsgeber damit ein echtes Zustimmungsrecht festlegen wollte.[97] So hielt auch Regierungschef Ospelt fest, dass die gewählte Fassung des Art. 38 LV „den Wünschen des hochwürdigsten bischöflichen Ordinariates unseres Erachtens vollkommen Rechnung“[98] trage. Die Zuständigkeit, ein besonderes Gesetz zu erlassen, liegt grundsätzlich beim staatlichen Gesetzgeber, auch wenn die kirchliche Behörde am Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken berechtigt ist.[99] Anzunehmen ist, dass ein ohne Zustimmung der kirchlichen Behörde erlassenes Gesetz nicht absolut nichtig wäre, sondern bloss vor dem StGH angefochten werden könnte.Ein Grossteil der Lehre vertritt die Ansicht[100], dass aus Art. 38 letzter Satz LV eine allgemeine Einvernehmenspflicht mit der römisch-katholischen Kirche abzuleiten sei, welche die Regelung sämtlicher Angelegenheiten im Verhältnis zwischen Liechtenstein und der römisch-katholischen Kirche umfasse. Diese Ansicht ist m.E. jedoch nicht zwingend: Abgesehen davon, dass der Wortlaut eindeutig auf die Regelungsmaterie der Verwaltung des Kirchenguts beschränkt ist, ergibt auch eine systematisch-teleologische Auslegung des Art. 38 LV in seiner Gesamtheit, dass es um den Schutz von Vermögensrechten und nicht die Regelung irgendwelcher Angelegenheiten im Verhältnis zwischen dem Staat und der römisch-katholischen Kirche geht. Hätte der Verfassungsgesetzgeber eine allgemeine Einvernehmenspflicht zugunsten der römisch-katholischen Kirche statuieren wollen, hätte Art. 37 Abs. 2 LV einen weitaus geeigneteren Regelungssitz dargestellt.Ein „besonderes“ Gesetz gemäss Art. 38 letzter Satz LV ist seit Inkrafttreten der LV nicht erlassen worden.[101] Allerdings ist immer noch das Gesetz vom 14. Juli 1870 über die Verwaltung des Kirchengutes[102] in den Pfarrgemeinden in Kraft, das als „besonderes Gesetz“ aufgrund von § 83 Gemeindegesetz 1864 erlassen wurde.[103] Demnach steht die Verwaltung des Kirchenvermögens einer Pfarrgemeinde dem Kirchenrat zu (Art. 1), der sich aus dem jeweiligen Ortsseelsorger, aus je einem Gemeinderatsmitglied der eingepfarrten Gemeinden, aus je einem von den betreffenden eingepfarrten Gemeinden in einer Bürgerversammlung gewählten Mitglied und dort, wo der Patron noch an der Bestreitung der Kirchenauslagen namentlich bei Baulichkeiten teilnimmt, aus einem von diesem bestimmten Abgeordneten zusammensetzt (Art. 2). Diese Zusammensetzung zeigt die enge organisatorische Verknüpfung der Pfarrgemeinden mit den politischen Gemeinden[104] auf, wobei die römisch-katholische Kirche als Landeskirche auf Gemeindeebene Wille zufolge „als ‚Pfarrgemeinde‘ und Sonderorgan der (politischen) Gemeinde oder in der (politischen) Gemeinde selber““ auftritt.[105] Zu den Obliegenheiten des Kirchenrats gehören die Genehmigung aller Kirchenauslagen nach dem Umfang der bischöflichen Ordinariatsverordnung vom 20. Jänner 1866, die Haftung für die fruchtbringende pupillarmässige Anlegung der Kirchenkapitalien, die rechtzeitige und pünktliche Einhebung der Zinse, die Ernennung des Mesners, der Abschluss der Kirchenrechnung sowie die pünktliche Vorlage an die vorgesetzten Revisionsbehörden (Art. 5).V. Internationale GarantienDem Art. 38 vergleichbare Garantien im Völkerrecht, also spezielle Schutzbestimmungen für „Kirchengut“ respektive das Vermögen von Religionsgemeinschaften, sind im Völkerrecht nur vereinzelt vorgesehen: Religiöses Kulturgut wird ausdrücklich nach Art. 3 Abs. 7 lit. c der Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects, implizit auch in allgemeinen Kulturgüterabkommen wie der Welterbekonvention oder dem Übereinkommen über Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, geschützt.[106] Diese Abkommen wurden von Liechtenstein allerdings, anders als das Europäische Kulturabkommen[107], das Übereinkommen zum Schutz des architektonischen Erbes Europas[108], die Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten[109] sowie das Protokoll zu dieser Konvention[110] – denen ebenfalls nur implizit ein Schutz auch religiöser Kulturgüter inhärent ist –, nicht ratifiziert.Darüber hinaus können allerdings die allgemeinen Eigentumsgarantien gemäss Art. 1 1. ZP EMRK[111] (gegebenenfalls: i.V.m. dem akzessorischen Gleichheitssatz gemäss Art. 14 EMRK) auch für die von Art. 38 erster Satz LV umfassten Fälle herangezogen werden. Die differenzierte Behandlung der römisch-katholischen Kirche gemäss Art. 38 zweiter und dritter Satz LV in Bezug auf das die Verwaltung des Kirchenguts regelnde „besondere Gesetz“ ist im Hinblick auf Art. 1 1. ZP EMRK i.V.m. Art. 14 EMRK m.E. keiner besonderen Rechtfertigungspflicht unterworfen, weil es dabei, anders als beim gerade nicht nur auf die römisch-katholische Kirche beschränkten Art. 38 erster Satz LV, nicht um Vermögensrechte selbst, sondern nur um die Frage der Regelung der Kirchengutsverwaltung geht.Ein bilaterales Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Liechtenstein wurde bislang nicht abgeschlossen,[112] auch wenn die Verhandlungen dafür weit gediehen sind.[113] |
Der Genuss der staatsbürgerlichen und politischen Rechte ist vom Religionsbekenntnisse unabhängig; den staatsbürgerlichen Pflichten darf durch denselben kein Abbruch geschehen. The enjoyment of civil and political rights shall be independent of religious creed; religious creed may not be detrimental to civil obligations. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeine Bemerkungen und EntstehungsgeschichteDass die Rechte und Pflichten der Bürger – unter denen freilich nur ein bestimmter Teil der Wohnbevölkerung verstanden wurde – nicht von einem bestimmten Religionsbekenntnis abhängen sollen, ist eine liberale Vorstellung, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts in etlichen mitteleuropäischen Verfassungen und Verfassungsentwürfen niederschlug. Während § 19 der Verfassung von Hohenzollern-Sigmaringen von 1833 noch deutlich restriktiver formuliert war, verbürgte die Pillersdorfsche Verfassung von 1848 in § 27 bereits die Beseitigung der „in einigen Theilen der Monarchie noch gesetzlich bestehenden Verschiedenheiten der bürgerlichen und politischen Rechte einzelner Religions-Confessionen“. Auch der aus demselben Jahr stammende, jedoch nie in Kraft getretene Kremsierer Entwurf normierte in § 14, dass die Religionsverschiedenheit keinen Unterschied in den Rechten und Pflichten der Staatsbürger begründe. Die 1848 oktroyierte preussische Verfassung enthielt in Art. 11 zweiter und dritter Satz eine Art. 39 LV bereits sehr ähnliche Vorschrift, die auch in der revidierten preussischen Verfassung von 1850 als Art. 12 zweiter und dritter Satz[2] nahezu unverändert erhalten blieb: „Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse und der Theilnahme an irgend einer Religionsgesellschaft. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen.“ Noch ähnlicher formuliert ist Art. 14 Abs. 2 des 1867 erlassenen österreichischen Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, das von Art. 149 Abs 1 B-VG in Bundesverfassungsrang rezipiert wurde und bis heute in Kraft steht: „Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen.“[3]Textlich entferntere, aber inhaltlich doch vergleichbare Verbürgungen enthielten Art. 49 Abs. 4 und 5 der totalrevidierten Schweizerischen Bundesverfassung von 1874[4] sowie der heute noch als Teil des Grundgesetzes in Kraft befindliche Art. 136 Weimarer Reichsverfassung[5].In der liechtensteinischen Verfassungsgeschichte findet sich die Regelung des Art. 39 LV ansatzweise erstmals im Verfassungsentwurf von Beck von 1920: Gemäss Art. 22 Abs. 2 durfte die Ausübung bürgerlicher oder politischer Rechte nicht durch Vorschriften kirchlicher oder religiöser Natur beschränkt werden. In § 5 KonV von 1862, in Art. 14 des Verfassungsentwurfs von Beck und in § 9 des Verfassungsentwurfs von Prinz Karl von 1920 hiess es darüber hinaus im Wesentlichen gleichlautend, dass die Erlangung (nicht: der Genuss) aller staatsbürgerlichen Rechte (nicht: der Pflichten) jedem Landesangehörigen nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung zustehe,[6] ohne allerdings das Diskriminierungsverbot hinsichtlich des Religionsbekenntnisses zu erwähnen. In den Beschlüssen Fürst Johanns II. von 1920 wird zu den Grundrechten nur die allgemeine Zielsetzung erwähnt, dass sie in der Verfassung „eingehend[st][7] und in [vollkommen][8] zeitgemässer Weise festzulegen“ seien.Im ersten Verfassungsentwurf von Josef Peer findet sich, noch falsch als § 38 nummeriert, eine mit Art. 39 LV identische Formulierung. In seinem zweiten Verfassungsentwurf wurde lediglich die Zahl des Paragraphen auf § 39 geändert. Bemerkenswert ist jedoch eine handschriftliche – von Peer selbst stammende? – Korrektur, die das Wort „denselben“ auf „dasselbe“ ausbessert. Die Korrektur scheint in weiterer Folge jedoch nicht berücksichtigt worden zu sein, da die Verfassung von 1921, welche die Bestimmung wortident mit der Druckfassung des zweiten Verfassungsentwurfs von Josef Peer – allerdings als „Artikel“ 39 – übernahm, nach wie vor das Wort „denselben“ verwendet. Bis heute wurde Art. 39, einschliesslich des Worts „denselben“, keiner Änderung unterzogen.Bemerkenswert ist jedoch, dass in der liechtensteinischen Lehre, soweit ersichtlich, nie auf die Problematik des Worts „denselben“ eingegangen oder die handschriftliche Korrektur am zweiten Verfassungsentwurf von Josef Peer erwähnt wurde. Vielmehr wird Art. 39 zweiter Satz LV als „den staatsbürgerlichen Pflichten darf durch dasselbe kein Abbruch geschehen“ ausgelegt.[9] In Art. 14 Abs. 2 StGG als dem für die Entstehungsgeschichte von Art. 39 LV wohl massgeblichsten Verfassungsdokument wird schon im ersten Satz der Begriff „Religionsbekenntnisse“ verwendet, während es im zweiten Satz, denselben Begriff wiederholend, heisst: „doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen.“ Es liegt daher der Schluss nahe, dass einer der Redaktoren der 1921 in Kraft getretenen LV, womöglich Josef Peer selbst, trotz Anlehnung an die Formulierung des Art. 14 Abs. 2 StGG die Wiederholung des Begriffs „Religionsbekenntnis“ vermeiden wollte und aus sprachlichen Gründen das Demonstrativpronomen bevorzugte. Gleichzeitig dürfte bei der Umformulierung der redaktionelle Fehler passiert sein, statt der Wortfolge „durch dasselbe“ die Wortfolge „durch denselben“ einzufügen. Dass die Wortfolge „durch dasselbe“ durch den historischen Verfassungsgeber eigentlich intendiert war, ist nicht nur wegen der handschriftlichen Korrektur sehr wahrscheinlich, sondern ist auch im synoptischen Vergleich mit den erwähnten Verfassungsdokumenten, die auf die liechtensteinische Verfassung von 1921 zweifellos von Einfluss waren, anzunehmen. Darüber hinaus spricht auch eine sowohl teleologische als auch systematische Auslegung für die Annahme, dass „durch dasselbe“ intendiert war. „Durch denselben“ könnte sich grammatikalisch nämlich nur auf den „Genuss“ der staatsbürgerlichen und politischen Rechte im Satz davor beziehen. Der zweite Satz erhielte dadurch die Bedeutung, dass den staatsbürgerlichen Pflichten durch Genuss der staatsbürgerlichen und politischen Rechte kein Abbruch geschehen dürfe. Nun liesse sich daraus zwar ein Sinn dahingehend gewinnen, dass Träger von Rechten eben auch Pflichten unterlägen, und Rechte keine Legitimation dafür böten, Pflichten nicht nachzukommen. Allerdings wäre der Sinn einer solchen Anordnung, die sich aus der Rechtsordnung ohnehin ergibt, nicht unmittelbar einsichtig. Darüber hinaus wäre dann nicht zu erkennen, was das Telos des Art. 39 LV mit seinem eindeutig religionsverfassungsrechtlichen Bezug wäre.Es sprechen daher die besseren Argumente deutlich dafür, gemeinsam mit der h.L.[10] davon auszugehen, dass „durch denselben“ auf das Religionsbekenntnis Bezug nimmt, also als „durch dasselbe“ ausgelegt werden muss. Diese Auslegung durchbricht zwar die Wortlautschranke, kann aber vor dem Hintergrund dieser Argumente als sogenannte „berichtigende“ Auslegung verstanden werden, die auch der österreichische VfGH im Ausnahmefall für zulässig hält.[11] Im Folgenden geht die Kommentierung von der Zulässigkeit und Notwendigkeit einer derart „berichtigenden“ Auslegung aus. Gleichwohl wäre es empfehlenswert, eine entsprechende Berichtigung des Wortlauts im Wege einer Änderung oder allenfalls authentischen Interpretation der Bestimmung vorzunehmen. Eine solche Empfehlung ist auch bereits in den Vernehmlassungsberichten der Regierung betreffend Neuordnung des Staatskirchenrechts[12] und betreffend die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Glaubensgemeinschaften[13] gegeben worden, weil der Vergleich mit Art. 14 Abs. 2 StGG zeige, dass nur das „Religionsbekenntnis“ und nicht der „Genuss“ gemeint sein könne. Im Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften[14] wird eine Neuformulierung des Art. 39 LV wie folgt eingebracht: „Der Genuss der staatsbürgerlichen und politischen Rechte ist vom Religionsbekenntnis unabhängig; den staatsbürgerlichen Pflichten darf durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen.“ Diese Verfassungsänderung ist bislang jedoch nicht vorgenommen worden.II. BegriffeA. Staatsbürgerliche und politische Rechte1. Staatsbürgerliche RechteWas unter staatsbürgerlichen Rechten zu verstehen ist, wird in Art. 39 LV nicht definiert. Art. 29 LV normiert jedoch, dass die staatsbürgerlichen Rechte jedem Landesangehörigen nach den Bestimmungen der LV zustehen.[15] Zu differenzieren ist dabei zwischen dem Begriff der „staatsbürgerlichen Rechte“ und dem in Art. 30 LV[16] erwähnten „Staatsbürgerrecht“, worunter das Recht auf die liechtensteinische Staatsbürgerschaft zu verstehen ist, an die dann staatsbürgerliche Rechte anknüpfen. Die von der LV etwas unsystematisch vorgenommene Differenzierung in „Landesangehörige“ und „Landesbürger“ ist dabei unmassgeblich: Art. 1 Verfassungsgesetz vom 17. Dezember 1970 betreffend die authentische Interpretation des Begriffs „Landesangehörige“[17] bestimmt, dass unter dem von der Verfassung verwendeten Begriff „Landesangehörige“ alle Personen mit liechtensteinischem Landesbürgerrecht ohne Unterschied des Geschlechts zu verstehen sind.Von Kleinigkeiten in der Schreibweise abgesehen, unterscheidet sich Art. 39 erster Satz LV von Art. 14 Abs. 2 erster Satz StGG nur im Hinblick darauf, dass erstere Bestimmung von „staatsbürgerlichen“ Rechten, letztere Bestimmung hingegen von „bürgerlichen“ Rechten spricht. Dieser Unterschied ist m.E. beachtlich, ist doch davon auszugehen, dass die LV 1921 nicht ohne Grund von der älteren österreichischen Begrifflichkeit – übrigens auch von dem in Art. 22 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs von Beck verwendeten Begriff der „bürgerlichen“ Rechte –[18] abging. Die österreichische Lehre zu Art. 14 StGG[19] versteht unter den „bürgerlichen“ Rechten diejenigen nach § 1 ABGB, also Normen, die das Verhältnis der Bürger untereinander betreffen. Nun gilt § 1 ABGB zwar auch in Liechtenstein, doch hielt der liechtensteinische Verfassungsgesetzgeber es trotzdem für angebracht, den Begriff der „bürgerlichen“ Rechte aus Art. 14 Abs. 2 StGG nicht zu übernehmen, sondern in Art. 39 erster Satz LV vielmehr von „staatsbürgerlichen“ Rechten zu sprechen. Schon vom Wortlaut her ist unter „staatsbürgerlich“ etwas anderes als „bürgerlich“ zu verstehen.[20] Berücksichtigt man, dass Art. 29 LV staatsbürgerliche Rechte als jene definiert, die Landesangehörigen nach Massgabe der Verfassung zukommen, wird der Unterschied zu „bürgerlich“ noch deutlicher: Es geht somit nicht um private Rechte, die allen möglichen Personen aufgrund bürgerlichen Rechts eingeräumt werden können, sondern um Landesangehörigen aufgrund der LV zustehende Rechte.[21] Dabei stellt sich die Frage, ob zu staatsbürgerlichen Rechten nur jene verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte zählen, die einzig liechtensteinischen Landesangehörigen zustehen,[22] oder auch Jedermannsrechte umfasst sind, die nicht nur Landesangehörigen zustehen. Zutreffend ist, als „staatsbürgerliche Rechte“ zunächst alle Rechte anzusehen, die Landesbürgern nach der LV zustehen, auch wenn es sich um Rechte handelt, die nicht nur Landesangehörigen zustehen.[23] Dafür spricht der Umstand, dass die im IV. Hauptstück der LV, das nach seiner Überschrift von den „allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen“ handelt, aufgezählten Grundrechte mittlerweile überwiegend, in weitgehender Überlagerung des Art. 31 Abs. 3 LV,[24] als Jedermannsrechte ausgestaltet sind,[25] ja selbst der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 31 Abs. 1 erster Satz LV als auf alle Personen anwendbar verstanden wird.[26] Landesangehörigen vorbehaltene Rechte finden sich im IV. Hauptstück nur noch in Art. 28 Abs. 1 LV (freie Niederlassung, Vermögenserwerb), Art. 31 Abs. 1 zweiter Satz LV (gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern) sowie Art. 43 LV (Beschwerdeführung). Es wäre aber nicht einzusehen, dass Landesangehörige bloss aufgrund des Umstands, dass Grundrechte zunehmend als Jedermannsrechte verstanden werden,[27] nur noch in diesen vereinzelten Fällen bekenntnisunabhängig zu behandeln wären, zumal dies auch in merkwürdigem Gegensatz zu Art. 31 Abs. 1 erster Satz LV stünde, der eine bekenntnisunabhängige Gleichbehandlung der Landesangehörigen ohnehin auch in Bezug auf andere Rechte mitverbürgt. Vor diesem Hintergrund, aber auch im Lichte des Art. 14 EMRK[28] (in Bezug auf die in der EMRK gewährleisteten Rechte, darunter auch diejenigen gemäss Art. 9 EMRK) muss der Begriff der staatsbürgerlichen Rechte daher m.E. als Summe all jener nach der LV verliehenen Rechte verstanden werden, die Landesangehörigen zustehen, wobei es keinen Unterschied macht, ob diese Rechte nur Landesangehörigen oder auch anderen Personen zustehen. Der bekenntnisunabhängige Genuss dieser Rechte gemäss Art. 39 erster Satz LV muss bei dieser weiten Auslegung dann aber auch allen Personen zukommen, die Träger dieser Rechte sind, d.h. wiederum nicht nur Landesangehörigen. In eine ähnliche Richtung verläuft das Argument, dass Nicht-Landesangehörige, die als Grundrechtsträger des allgemeinen Gleichheitssatzes verstanden werden,[29] schon aus diesem Grundrecht einen grundsätzlichen Anspruch auf eine bekenntnisunabhängige Behandlung durch den Staat ableiten können.2. Politische RechteEinzuschränken ist der Begriff der staatsbürgerlichen Rechte aber dahingehend, dass jene Rechte nach Massgabe der LV, die politische Rechte darstellen, davon zu differenzieren sind.[30] Nach der österreichischen Lehre zu Art. 14 Abs. 2 erster Satz StGG, der ebenfalls von „politischen Rechten“ spricht, handelt es sich dabei um die Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat, wie insbesondere Grundrechte,[31] bzw. um „öffentlich-rechtliche Normen“[32]. Die in Art. 14 Abs. 2 erster Satz StGG vorgenommene Gegenüberstellung von bürgerlichen und politischen Rechten, die in gewisser Weise das Gegensatzpaar „privates Recht“ – „öffentliches Recht“ nachvollzieht, ist für Art. 39 LV jedoch insofern unbeachtlich, als hier mit der Ersetzung des Begriffs „bürgerlich“ durch „staatsbürgerlich“ ein anderer Weg beschritten wurde, sodass auch die Gegenüberstellung von „staatsbürgerlichen“ mit „politischen“ Rechten eine andere Konnotation erhält.Für die systematische Auslegung der politischen Rechte gemäss Art. 39 erster Satz LV ist Art. 29 LV heranzuziehen, der wie Art. 39 erster Satz LV staatsbürgerliche und politische Rechte parallelisiert, woraus sich aber auch ihre Inkongruenz ableiten lässt.[33] Aus Art. 29 Abs. 2 LV ist ein wesentlich engeres Verständnis von politischen Rechten ableitbar als das österreichische, das dem status activus, als im eigentlichen Sinn politischen Grundrechten,[34] viel eher entspricht als die dem in Art. 14 Abs. 2 erster Satz StGG verwendeten Begriff von der österreichischen Lehre zugeschriebene Bedeutung. Dafür spricht schon die in Art. 29 Abs. 2 LV vorgesehene Altersbeschränkung,[35] was gerade für politische Grundrechte typisch ist; auch das Kriterium der Einstellung im Wahl- und Stimmrecht[36] spricht für ein derartiges Verständnis. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass Art. 39 erster Satz LV, anders als Art. 29 Abs. 2 LV, keine Einschränkung auf „Landesangelegenheiten“ vornimmt, also sämtliche politische Rechte nach der LV, d.h. auch diejenigen in Gemeindeangelegenheiten, umfasst. Je nachdem, ob es sich um Landesangelegenheiten oder Gemeindeangelegenheiten handelt, ist der Kreis der Grundrechtsträger der politischen Rechte – und damit auch der Kreis der Grundrechtsträger der akzessorischen Gleichheit gemäss Art. 39 erster Satz LV – unterschiedlich. Einschränkungen in Bezug auf politische Rechte in Landesangelegenheiten ergeben sich gemäss Art. 29 Abs. 2 LV insofern, als es sich um Landesangehörige handeln muss, die das 18. Lebensjahr vollendet und im Land ihren ordentlichen Wohnsitz haben und die nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind. Für Gemeindeangelegenheiten ist aus Art. 111 LV ableitbar, dass nur alle in der jeweiligen Gemeinde wohnhaften Landesangehörigen wahl- und stimmberechtigt sind, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind.Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass politische Rechte im Sinne des Art. 29 Abs. 2 und Art. 39 erster Satz LV einen Bezug zum Wahl- und Stimmrecht haben sowie in der LV selbst – ausserhalb des IV. Hauptstücks – verankert sein müssen[37] und dass Grundrechtsträger nur Landesangehörige sein können[38], welche die erwähnten Voraussetzungen erfüllen.[39] Es fallen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte in Zusammenhang mit dem Wahlrecht sowie der Ausübung direkt-demokratischer Instrumente auf Landes-[40] wie Gemeindeebene[41] darunter,[42] wobei angenommen wird, dass nur jene Rechte darunter fielen, die „unmittelbar einen Entscheid über eine Sachvorlage oder die Mitglieder eines politischen Organs herbeiführen“[43]. Aus der Verfassung ist m.E. jedoch nicht ableitbar, dass es sich nur um Rechte handeln darf, die unmittelbar einen solchen Entscheid herbeiführen. Beispielsweise ist auch die Einberufung des Landtags durch 1000 wahlberechtigte Landesangehörige (Art. 48 Abs. 2 LV), obwohl sie nach derselben Ansicht, wonach politische Rechte unmittelbar einen Entscheid herbeizuführen hätten,[44] zu den politischen Rechten gezählt wird, kein unmittelbar zu einem Entscheid führendes Instrument. Sollten politische Rechte tatsächlich nur jene sein, die entweder unmittelbar einen Entscheid über eine Sachvorlage oder über die Mitglieder eines politischen Organs herbeiführen, dürften etwa die Initiativen gemäss Art. 64 LV[45] auch nicht davon umfasst sein, weil die unmittelbare Rechtsfolge nur deren Verhandlung im Landtag ist. Dass das Petitionsrecht gemäss Art. 42 LV kein politisches Recht sein soll, weil es nicht unmittelbar auf einen Entscheid gerichtet sei, wäre m.E. anders zu begründen: Das Petitionsrecht ist vielmehr deshalb kein politisches Recht im Sinne des Art. 29 Abs. 2 LV und Art. 39 erster Satz LV, weil es im IV. Hauptstück verankert ist und insofern eher unter die „staatsbürgerlichen Rechte“ im beschriebenen Sinne (wenn es auch ein Jedermannsrecht darstellt)[46] zu zählen ist.3. ErgebnisStaatsbürgerliche Rechte sind demnach alle Rechte von Landesangehörigen (möglicherweise auch anderer Personen), die nicht politische Rechte sind. Sie finden sich insbesondere im IV. Hauptstück, könnten theoretisch aber auch an anderen Stellen der Verfassung verankert sein, sofern es sich dabei nicht um politische Rechte handelt. Art. 29 Abs. 1 LV spricht nämlich davon, dass es sich um Rechte nach den Bestimmungen der LV und nicht nur des IV. Hauptstücks handelt. Umgekehrt umfassen die politischen Rechte keine Rechte des IV. Hauptstücks, auch wenn sie einen politischen Charakter haben, wie das Recht auf Meinungs- und Gedankenfreiheit gemäss Art. 40 LV, das freie Vereins- und Versammlungsrecht gemäss Art. 41 LV oder das Petitionsrecht gemäss Art. 42 LV.[47]Aus dieser Unterscheidung ergibt sich ein einigermassen paradoxes Bild: Staatsbürgerliche Rechte sind überwiegend Rechte, die keineswegs nur Landesangehörigen zustehen. Politische Rechte sind hingegen Landesangehörigen gewährleistete Rechte (und wären insofern tatsächlich „staatsbürgerliche Rechte“ im eigentlichen Sinn)[48], wie sie sich insbesondere im Zusammenhang mit Wahlrecht und direkter Demokratie ergeben, jedoch keineswegs alle Grundrechte, die man im Sinne einer wissenschaftlichen Kategorienbildung als „politisch“ bezeichnen könnte.Grund dafür ist die von Art. 29 Abs. 2 LV und Art. 39 erster Satz LV vorgenommene Differenzierung zwischen „staatsbürgerlich“ und „politisch“, die jedoch auf keinem begrifflich-inhaltlichen Gegensatzpaar beruht: Nach einer allgemeinen wissenschaftlichen Kategorisierung sind klassische politische Rechte auf nationaler Ebene nämlich sogar typischerweise Staatsbürgern vorbehaltene Rechte.[49] Dass staatsbürgerliche Rechte im Grunde alle nicht-politischen Grundrechte der LV sein sollen, widerspricht daher zumindest der gängigen Begriffsbildung. Dass darüber hinaus die staatsbürgerlichen Rechte ohnehin keine besondere Konnotation zum Staatsbürgerbegriff haben, weil die meisten von ihnen als Jedermannsrechte ausgestaltet sind, ist ebenfalls befremdlich. Erklärbar sind diese unüblich konnotierten Begrifflichkeiten aus der Entstehungsgeschichte, der Abweichung von Art. 14 Abs. 2 erster Satz StGG in Bezug auf den Begriff „bürgerlichen“ und dem Alter der Verfassungssprache[50], die der jüngeren Grundrechtejudikatur nicht angepasst wurde.Das Religionsbekenntnis stellt demnach zum einen dann ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal dar, wenn es um die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte von Landesangehörigen, einschliesslich ihrer politischen Rechte (mit den in Art. 29 Abs. 2 LV und Art. 111 LV vorgesehenen Einschränkungen), geht. Beispielsweise bedeutet dies auch, dass Ordensleuten mit liechtensteinischer Staatsangehörigkeit die Ausübung politischer Rechte, einschliesslich der möglichen Übernahme politischer Ämter, nach den allgemeinen Voraussetzungen der Ausübung politischer Rechte zusteht. Zum anderen ist eine Differenzierung nach dem Religionsbekenntnis im Hinblick auf die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Jedermannsrechte, zu denen die politischen Rechte jedoch nicht zählen, unzulässig. Personen, die keine liechtensteinischen Landesangehörigen sind, können sich auf Art. 39 erster Satz LV demnach nicht in Bezug auf politische Rechte berufen, weil ihnen diese an sich vorenthalten sind.Da der „Genuss“ der staatsbürgerlichen und politischen Rechte vom Religionsbekenntnis unabhängig ist, ist nur die bekenntnisunabhängige Ausübung dieser Rechte geschützt; die Frage der Voraussetzungen des Erwerbs dieser Rechte (vgl. auch Art. 30 LV) und damit der Grundrechtsträgerschaft an sich hat damit nichts zu tun, sondern wird an anderen Stellen der LV geregelt.[51]B. Staatsbürgerliche PflichtenArt. 39 zweiter Satz LV erwähnt die „staatsbürgerlichen Pflichten“, während von „politischen Pflichten“ nicht die Rede ist. Eine Legaldefinition zum Begriff der staatsbürgerlichen Pflichten findet sich nicht. Ebenso wenig regelt Art. 39 zweiter Satz LV selbst die staatsbürgerlichen Pflichten, sondern knüpft lediglich an diese an.[52] Fraglich ist daher, was unter ihnen zu verstehen ist und wo sie verankert sind. Die Überschrift des IV. Hauptstücks spricht von „allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen“, das IV. Hauptstück selbst enthält aber fast ausschliesslich Grundrechte. Als Verpflichtungen können lediglich die in Art. 28 Abs. 3 LV verankerte Bestimmung, wonach der Aufenthalt innerhalb der Grenzen des Fürstentums zur Beobachtung der Gesetze verpflichte, sowie Art. 44 Abs. 1 LV, der jeden Waffenfähigen bis zum zurückgelegten 60. Lebensjahr im Fall der Not zur „Verteidigung des Vaterlandes“ verpflichtet, verstanden werden.[53] Dabei handelt es sich aber nicht bloss um an Landesangehörige adressierte Verpflichtungen, sondern Grundpflichten[54], die an jedermann gerichtet sind. Ansonsten normiert – ausserhalb des IV. Hauptstücks – Art. 16 Abs. 2 LV die allgemeine Schulpflicht, wobei wiederum keine Einschränkung auf Landesangehörige ersichtlich ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob zu den staatsbürgerlichen Pflichten auch andere Pflichten als Grundpflichten gehören könnten – Pflichten also, die nicht im Verfassungsrang verankert sind.Der Begriff der staatsbürgerlichen Pflichten wird – anders als der Begriff der „bürgerlichen Rechte“ – auch von Art. 14 Abs. 2 StGG verwendet. Einigen Autoren zufolge handelt es sich dabei „besonders“ um rechtliche Pflichten[55], zu denen in Österreich die Wehrpflicht, sonstige Dienstpflichten, die Pflicht zur Übernahme eines Amtes als Geschworener oder Schöffe und die Ablegung eines Zeugnisses vor Gericht zählen.[56] Dabei handelt es sich zwar überwiegend, aber nicht ausschliesslich um Grundpflichten, die im Verfassungsrang stehen. Nach dem österreichischen VfGH ist aus Art. 14 Abs. 2 StGG abzuleiten, dass sich „niemand einer rechtlichen Pflicht durch Berufung auf entgegenstehende religiöse Anschauungen entschlagen kann, da sonst jedermann die Möglichkeit geboten wäre, sich nach Belieben außerhalb des Gesetzes zu stellen“.[57] Damit wird einerseits klargestellt, dass staatsbürgerliche Pflichten nicht nur im Verfassungs-, sondern auch im einfachen Gesetzesrang verankert werden können. Andererseits wird damit aber auch klargestellt, dass staatsbürgerliche Pflichten nicht nur Pflichten von Staatsbürgern dieses Staates, sondern Jedermannspflichten darstellen. Der Begriff „staatsbürgerlich“ ist demnach nicht (nur) auf den Kreis der Verpflichteten, sondern auf die Natur der jeweiligen Verpflichtung zu beziehen, die eine besondere Staatsgerichtetheit aufweisen muss. Wendet man diese Judikatur auf Art. 39 Abs. 2 LV an, so können unter staatsbürgerlichen Pflichten sowohl die Pflichten von Landesangehörigen als auch Nicht-Landesangehörigen gegenüber dem Fürstentum Liechtenstein verstanden werden, ob diese nun in der LV selbst oder bloss in einfachen Gesetzen verankert sind. Dazu zählen die bereits erwähnten Grundpflichten, aber auch Pflichten, die nicht im Verfassungsrang normiert sind, sofern es für sie zumindest eine gesetzliche Grundlage gibt.[58]Übereinstimmung herrscht in der liechtensteinischen Lehre dahingehend, dass es kein kohärentes Begriffsbild von „staatsbürgerlichen Pflichten“ gebe.[59] Als derartige Pflichten dürften die Wehrpflicht[60] und allgemeine Schulpflicht[61] unbestreitbar sein. Eine aus der allgemeinen Schulpflicht erfliessende „staatsbürgerliche Pflicht, am schulischen Schwimmunterricht teilzunehmen“, erkannte der StGH[62]. Er erkannte weiters, dass Art. 16 Abs. 2 LV eine allgemeine Schulpflicht statuiere, „die den ganzen Schulunterricht, also auch den Sexualkundeunterricht“, erfasse, sodass anzunehmen ist, dass der StGH auch den Sexualkundeunterricht als staatsbürgerliche Pflicht ansieht.[63] Gegen die Annahme einer Treue- und Gesetzesbeachtungspflicht wurde argumentiert, dass sich für erstere kein Anknüpfungspunkt in der Verfassung finde und letztere eine Jedermannspflicht darstelle.[64] Beides spricht m.E. jedoch nicht zwingend gegen die Annahme einer staatsbürgerlichen Pflicht, gilt doch z.B. die allgemeine Schulpflicht auch für jedermann und wird eine „bloss“ gesetzliche Verankerung dieser Pflichten sonst auch als ausreichend angesehen[65]. Eher ist eine allgemeine Treuepflicht deshalb nicht anzunehmen, weil sie weder in der Verfassung noch in einfachen Gesetzen statuiert wird.[66] Dass Gesetze zu beachten sind, ergibt sich schon aus Art. 28 Abs. 3 LV. Dass die in Art. 3 VRG einfachgesetzlich angeordnete Wahl- und Stimmpflicht eine staatsbürgerliche Pflicht sein soll,[67] ist m.E. zutreffend, sofern man eine einfachgesetzliche Grundlage staatsbürgerlicher Pflichten überhaupt als zulässig ansieht. Dass es sich dabei – inhaltlich betrachtet – um eine „politische“ Pflicht handelt, spricht nicht gegen eine Kategorisierung als „staatsbürgerliche Pflicht“, da die – ohnehin problematische – Differenzierung zwischen „staatsbürgerlich“ und „politisch“ nur in Bezug auf die in Art. 29 LV und Art. 39 erster Satz LV erwähnten Rechte gezogen wird.[68] Geht man mit der Lehre[69] davon aus, dass der Begriff der staatsbürgerlichen Rechte in Art. 29 Abs. 1 und Art. 39 erster Satz LV auch Jedermannsrechte umfasst, obwohl dies den ursprünglichen Begriffsinhalt von „staatsbürgerlich“ doch einigermassen entleert, ist auch nichts gegen eine analoge Erweiterung des Begriffs der „staatsbürgerlichen Pflichten“ einzuwenden. Es schiene darüber hinaus eine sachlich ungerechtfertigte Privilegierung von Nicht-Landesangehörigen zu sein, diese liechtensteinischen Landesangehörigen zwar in Bezug auf den bekenntnisunabhängigen Genuss der (meisten) staatsbürgerlichen Rechte, nicht aber in Bezug auf die staatsbürgerlichen Pflichten gleichzustellen. Die sinngemässe Übernahme des auch vom österreichischen VfGH[70] angenommenen, zumindest bei manchen Pflichten auf Nicht-Staatsangehörge erweiterten Kreises der Verpflichteten[71] ist daher wohl naheliegend. Bei staatsbürgerlichen Pflichten handelt es sich demnach um Pflichten, die in der Verfassung oder in einem einfachen Gesetz verankert sind und liechtensteinische Landesangehörige wie auch andere Personen zu besonderen Pflichten gegenüber dem Staat verhalten.C. ReligionsbekenntnisDer Begriff des Religionsbekenntnisses wird in Art. 39 erster Satz LV ausdrücklich verwendet und kommt sinngemäss auch im zweiten Satz mit der Wortfolge „durch denselben“ (rectius: durch das Religionsbekenntnis)[72] vor. Der Begriff unterliegt keiner Legaldefinition, wird allerdings auch in Art. 37 Abs. 2 zweiter Satz LV erwähnt, wonach anderen Konfessionen als der römisch-katholischen Kirche unter anderem die Bestätigung „ihres Bekenntnisses“ gewährleistet wird.[73]Mit dieser Formulierung geht der Verfassungsgeber jedenfalls davon aus, dass sowohl die römisch-katholische Kirche als auch andere Konfessionen über ein „Bekenntnis“ verfügen. Während die Bekenntnisfreiheit[74] im Sinne des Art. 37 Abs. 2 LV einen stärker verbandsgrundrechtlichen Charakter hat,[75] geht es in Art. 39 LV um die individuellen Rechte und Pflichten von Personen, die einem Religionsbekenntnis zu einer Konfession angehören. Unter Konfessionen können dabei alle, nicht nur christliche Religionsgemeinschaften verstanden werden.[76] Was als noch „identifizierbare“[77] Religion anzusehen ist, auf die sich ein Religionsbekenntnis beziehen kann, unterliegt keiner Legaldefinition,[78] doch wird angenommen, dass dafür ein Bekenntnis, Vorgaben für die Lebensweise, ein Kult sowie die Darlegung, auf welche Weise die mit einer bestimmten Religion verbundenen Rechte ermöglicht werden sollen, erforderlich sind.[79] Schon im Lichte des auch die negative Religionsfreiheit[80] umfassenden Art. 9 EMRK, der im Rahmen einer völkerrechtskonformen Interpretation in die Auslegung des Art. 39 LV einzubeziehen ist, sowie des Art. 37 LV[81] ist dabei auch anzunehmen, dass der Umstand, dass jemand ohne Religionsbekenntnis ist, demjenigen mit Religionsbekenntnis gleichzusetzen ist: Der Genuss der staatsbürgerlichen und politischen Rechte bzw. die staatsbürgerlichen Pflichten sind demzufolge einerseits davon unabhängig, welches Religionsbekenntnis man hat; andererseits aber auch davon, ob man überhaupt ein Religionsbekenntnis hat. Damit erübrigen sich aber auch Versuche, Atheismus als Form eines religiösen Bekenntnisses darzustellen.[82]III. Religiöse Neutralität des Staates und säkulare VerfassungArt. 39 LV ist Ausdruck religiöser Neutralität des Staates und von – zumindest dem Grundsatze nach – Säkularismus:[83] Der Genuss staatsbürgerlicher und politischer Rechte soll nicht davon abhängen, ob jemand ein Religionsbekenntnis oder welches Religionsbekenntnis eine Person hat. Auch die staatsbürgerlichen Pflichten treffen die Verpflichteten ohne Differenzierung nach ihrem Religionsbekenntnis bzw. auch unabhängig davon, ob sie sich überhaupt zu einer Religion bekennen. Diese Neutralität korrespondiert mit Art. 37 Abs. 1 LV, wonach die Glaubens- und Gewissensfreiheit jedermann gewährleistet ist.[84] Aus der als Jedermannsrecht ausgestalteten Glaubens- und Gewissensfreiheit ist dem Grundsatze nach ableitbar, dass alle Personen frei sind, sich ihren eigenen Glauben zu wählen oder auch gar keinen Glauben zu wählen. Der Staat gibt also auch hier weder ein bestimmtes Religionsbekenntnis noch überhaupt ein Religionsbekenntnis vor.Relativiert wird die in diesen beiden Bestimmungen verankerte religiöse Neutralität freilich durch andere Bestimmungen der liechtensteinischen Verfassung, die einerseits Ausdruck von Landeskirchentum,[85] andererseits auch positiver Religionsfreiheit sind. Art. 37 Abs. 2 LV differenziert nämlich zwischen der römisch-katholischen Kirche, die als „Landeskirche“ eingesetzt wird und als solche den vollen Schutz des Staates geniesst, und anderen Konfessionen, die einen weniger privilegierten Status erhalten.[86] Darüber hinaus enthalten einige Bestimmungen der Verfassung Gottesbezüge, die zwar kein dezidiert römisch-katholisches oder auch nur christliches Religionsbekenntnis indizieren, aber jedenfalls einer theistischen Grundannahme unterliegen. Dazu gehört bereits die Erwähnung des Gottesgnadentums in der Promulgationsklausel, weiters auch die Eidesformeln mit Gottesbezug („so wahr mir Gott helfe“) in Art. 54 Abs. 1 LV und Art. 108 LV. Anders als etwa in der österreichischen Bundesverfassung, die einen solchen Formelzusatz nicht zwingend vorsieht,[87] verankert die LV zwar keine ausdrückliche Möglichkeit, auf einen solchen Zusatz in der Eidesformel zu verzichten, sie wird aber von der h.L. angenommen.[88]IV. Akzessorische GleichheitArt. 39 erster Satz LV stellt eine besondere Variante zu dem in Art. 31 Abs. 1 erster Satz LV verankerten allgemeinen Gleichheitssatz dar. Nach Art. 39 erster Satz LV sind alle Personen, die in den Genuss der staatsbürgerlichen und politischen Rechte kommen, Grundrechtsträger. Verbürgt wird ihnen ein subjektives Recht dahingehend, die genannten Rechte ohne Diskriminierung aufgrund des Religionsbekenntnisses oder eines fehlenden Religionsbekenntnisses ausüben zu können. Die staatsbürgerlichen und politischen Rechte selbst werden durch Art. 39 erster Satz LV freilich nicht verbürgt, sodass es sich um ein akzessorisches Gleichheitsrecht, strukturell dem Art. 14 EMRK[89] vergleichbar, handelt. Es wird damit also kein allgemeiner Gleichheitssatz wie in Art. 31 Abs. 1 erster Satz LV verankert, sondern es wird eine – positive oder negative – Diskriminierung aufgrund des Religionsbekenntnisses in Bezug auf den Genuss bestimmter in anderen Vorschriften verankerter Rechte verboten. Dieser „relative“ Gleichheitssatz schützt freilich nur vor Ungleichbehandlungen in Bezug auf das Religionsbekenntnis, während andere Differenzierungsmerkmale, wie sie etwa Art. 14 EMRK enthält, nicht erwähnt sind. Jedenfalls in Bezug auf die politischen Rechte ist Art. 39 erster Satz LV zudem enger als der Kreis der Grundrechtsträger nach Art. 14 EMRK, weil Grundrechtsträger diesfalls nur Landesangehörige sind, es sich also diesbezüglich um keinen „relativen“ Gleichheitssatz als Jedermannsrecht handelt. Was liechtensteinische Landesangehörige anbelangt, ist eine eigenständige Bedeutung des Art. 39 erster Satz LV im Vergleich zu Art. 31 Abs. 1 erster Satz LV zu verneinen, während für andere Personen von einer Erweiterung nur dann gesprochen werden kann, wenn sie – allerdings entgegen der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre –[90] nicht als Grundrechtsträger des allgemeinen Gleichheitssatzes gemäss Art. 31 Abs. 1 erster Satz LV verstanden werden.Fraglich ist, ob Art. 39 erster Satz LV – wie Art. 14 EMRK –[91]ein Sachlichkeitsvorbehalt immanent ist. Die österreichische Lehre zu Art. 14 Abs. 2 erster Satz StGG scheint dies zu bejahen, wenn übereinstimmend davon die Rede ist, dass diese Bestimmung zwar einen bekenntnisunabhängigen Zugang zu öffentlichen Ämtern verbürge, allerdings für sogenannte „konfessionsgebundene“ Ämter, die in einer Beziehung zum religiösen Leben stehen (z.B. Religionslehrer), das Erfordernis eines bestimmten Bekenntnisses aufgestellt werden könne.[92] Nach der liechtensteinischen Lehre ist es hingegen ausgeschlossen, konfessionelle Aspekte bei der Anstellung im liechtensteinischen Staatsdienst in Erwägung zu ziehen.[93] Auch wenn letztere Auslegung dem Wortlaut der Bestimmung besser Rechnung trägt, ist das Sachlichkeitsprinzip bei allen Gleichheitsrechten – so eben auch bei Art. 31 Abs. 1 erster Satz LV – und daher auch Art. 39 erster Satz LV letztlich ein immanentes und unverzichtbares Tatbestandselement. Zutreffend ist daher zwar, dass konfessionelle Aspekte bei der Anstellung im liechtensteinischen Staatsdienst grundsächlich nicht in Erwägung gezogen werden dürfen;[94] bei spezifisch bekenntnisaffinen Fällen, wie etwa der Anstellung von Religionslehrern an staatlichen Schulen, dürfte dies aus Sachlichkeitsrücksichten jedoch anders zu betrachten sein.Nach jüngerer und zuletzt herrschender österreichischer Lehre[95] zu Art. 14 Abs. 2 StGG ist aus dieser Bestimmung kein subjektives Recht auf gleiche Pflichterfüllung abzuleiten, vielmehr wirke die Bestimmung als objektive Gleichheitsgarantie. Diese Ansicht ist m.E. zutreffend, da die Bestimmung in ihrer Gesamtheit zwar eine gewisse Symmetrie bei Rechten und Pflichten vorsieht, für welche das Religionsbekenntnis gleichermassen keine Rolle spielen soll, nicht aber akzessorische Rechte in Bezug auf (gleiche) Pflichten verankert: Anders ausgedrückt, wird aus der Pflicht auch dann kein Recht, wenn sie bekenntnisunabhängig zu erfüllen ist; fehlt das Recht an sich, kann es auch kein akzessorisches Recht geben.Dass den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen darf, wird von der liechtensteinischen Lehre zwar als grundsätzlicher Vorrang dieser staatsbürgerlichen Pflichten verstanden, die religiösen oder kirchlichen Geboten vorgingen.[96] Andererseits soll dieser Vorrang der staatsbürgerlichen Pflichten vor dem Religionsbekenntnis kein absoluter sein:[97] Es sollen auch in diesem Zusammenhang die vom StGH für Grundrechtseingriffe entwickelten materiellen Schranken gelten.[98] Demzufolge geht die Ausübung des Religionsbekenntnisses einer staatsbürgerlichen Pflicht dann vor, wenn ansonsten der Wesensgehalt der Religionsfreiheit beeinträchtigt würde oder der Eingriff in die Religionsfreiheit nicht im öffentlichen Interesse stünde oder unverhältnismässig wäre.[99] Im Ergebnis ähnelt dies der in der österreichischen Lehre vertretenen Ansicht, dass die Begründung staatsbürgerlicher Pflichten durch den Gesetzgeber selbst wiederum an der Religionsfreiheit und am Gleichheitssatz zu messen sei.[100] Wenn ein Gesetz also staatsbürgerliche Pflichten normiert, die den genannten Grundrechten in einem Ausmass widersprechen, das durch den materiellen Eingriffsvorbehalt dieser Grundrechte nicht mehr gedeckt ist, wäre dieses Gesetz insoweit verfassungswidrig. Dabei muss es allerdings wohl darauf ankommen, ob die staatsbürgerlichen Pflichten in der Verfassung selbst oder nur in einem einfachen Gesetz verankert sind: Die Anordnung staatsbürgerlicher Pflichten im Verfassungsrang steht dann nämlich auf derselben Ebene wie das jeweilige Grundrecht, sodass entweder ein Spezialitätsverhältnis vorliegt oder zwischen beiden kollidierenden Verfassungsgütern eine Abwägung durchzuführen ist. Anders sieht es aus, wenn man eine im Verfassungsrang verankerte Grundpflicht in Verhältnis zur Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK oder anderen von Liechtenstein ratifizierten internationalen Abkommen setzt. Um ein völkerrechtswidriges Ergebnis zu vermeiden, muss eine entsprechende Abwägung mit der Religionsfreiheit dann jedenfalls vorgenommen werden.Der StGH hat sich in seiner Rechtsprechung mit Verpflichtungen zum Schwimmunterricht[101] bzw. zum Sexualkundeunterricht[102] auseinandergesetzt und dabei beide Verpflichtungen aus der allgemeinen Schulpflicht gemäss Art. 16 Abs. 2 LV abgeleitet.[103] Während er eine Dispensation vom Schwimmunterricht für gerechtfertigt hielt, weil er das Kindeswohl in diesem Zusammenhang als höher als das öffentliche Interesse des Staates an der Sozialisierung und Integration der Kinder gewichtete,[104] hielt er die Verpflichtung zum Sexualkundeunterricht für zulässig[105]. Bemerkenswert ist, dass der StGH dabei weder auf Art. 39 LV einging noch den Umstand berücksichtigte, dass mit der allgemeinen Schulpflicht, aus der die beiden Verpflichtungen abgeleitet wurden, ja eine verfassungsrangige Verpflichtung vorlag. Wesentlich ist aber vor allem, dass der StGH damit die Auffassung der Lehre, dass der Vorrang staatsbürgerlicher Pflichten kein absoluter sei,[106] bestätigte.V. Internationale GarantienArt. 39 erster Satz LV weist strukturelle Ähnlichkeit mit den akzessorischen, eine Diskriminierung aufgrund der Religion verbietenden Gleichheitsrechten auf, die insbesondere in Art. 14 EMRK,[107] Art. 2 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II),[108] Art. 2 Abs. 2 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I),[109] Art. 5 lit. d Ziff. vii. Internationales Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung[110] sowie in Art. 2 Abs. 1 Übereinkommen über die Rechte des Kindes[111] – alle diese Abkommen wurden von Liechtenstein ratifiziert – verankert sind. Liechtenstein gab ausserdem in Bezug auf Art. 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) den Vorbehalt ab, die in dieser Bestimmung enthaltenen Rechte bezüglich der Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz und deren Anrecht auf gleichen Schutz durch das Gesetz ohne jegliche Diskriminierung nur in Zusammenhang mit den anderen Rechten zu garantieren, welche im Pakt enthalten sind. Unterschiede zwischen diesen völkerrechtlichen Gleichheitsgarantien und Art. 39 LV bestehen allerdings hinsichtlich der Ausgestaltung als Jedermannsrecht, der über das Religionsbekenntnis hinausgehenden verpönten Differenzierungsmerkmale sowie der Art der Rechte, auf die sich die akzessorische Gleichheit bezieht. Bestimmungen im Sinne des Art. 39 zweiter Satz LV sind im Völkerrecht nur mittelbar dahingehend vorgesehen, dass die Religionsfreiheit ein Grundrecht darstellt, in das nur nach Massgabe eines materiellen Eingriffsvorbehalts eingegriffen werden darf. |
1) Die Änderung der Grenzen des Staatsgebietes kann nur durch ein Gesetz erfolgen. Grenzänderungen zwischen Gemeinden, die Schaffung neuer und die Zusammenlegung bestehender Gemeinden bedürfen überdies eines Mehrheitsbeschlusses der dort ansässigen wahlberechtigten Landesangehörigen.2) Individual municipalities shall be entitled to secede from the union. The decision on whether to initiate a secession procedure shall be made by a majority of the Liechtenstein citizens eligible to vote who reside there. Secession shall be regulated by a law or, as the case may be, by an international treaty. If secession is regulated by a treaty, a second vote shall be held in the municipality after the treaty negotiations have been concluded. Entstehung und MaterialienLiteraturI. Allgemeines und EntstehungsgeschichteArt. 4 LV trifft Regelungen über die territoriale Integrität des Staatsgebietes und des Gebietes der Gemeinden. Die Regelungsinhalte des Abs. 1 und 2 sind allerdings durchaus heterogen, indem Änderungen des Staatsgebietes wie solche des Gebietes von Gemeinden und das Sezessionsrecht von Gemeinden behandelt werden. Auch in diesem Kontext fällt wie in Art. 1 die Quasi-Gleichsetzung der Gemeinden mit föderalen Einheiten auf, wenn etwa Grenzänderungen von Gemeinden im selben Zusammenhang wie Änderungen des Staatsgebietes behandelt werden und darüber hinaus in Abs. 2 die mögliche Sezession von Gemeinden geregelt wird.[1]Die Konstitutionelle Verfassung kannte noch keine Regelung über das Staats- und Gemeindegebiet und dessen Änderung. Sie setzte vielmehr in ihrem § 1 das bestehende Territorium der beiden Landschaften Vaduz und Schellenberg als „untheilbares und unveräusserliches Ganzes“ voraus.Der Verfassungsentwurf Wilhelm Becks enthielt in Art. 1 Abs. 2 eine Auflistung der Gemeinden (vgl. heutiger Art. 1 LV) sowie in Art. 1 Abs. 3 die Regelung, dass die Grenzen des Staatsgebietes nur durch ein Gesetz geändert werden dürfen. Dieser Vorschlag zielte offenkundig darauf ab, die Hoheit des Parlaments in einer aussen- wie innenpolitisch grundlegenden Frage zu stärken.In den Schlossabmachungen war diese Frage offenbar kein Thema.In der Regierungsvorlage von Landesverweser Peer war als § 4 folgende Formulierung vorgeschlagen:Die Verfassungskommission nahm daran keine Änderungen vor. Art. 4 LV 1921 übernahm den Vorschlag der Regierungsvorlage daher wörtlich. Im Landtag fand dazu keine weitere Diskussion statt.Die Bestimmung blieb bis zur Verfassungsrevision 2003 unverändert. Mit ihr wurde die heute geltende Formulierung eingeführt. In den Verfassungsvorschlägen des Fürstenhauses vom 2. Februar 2000 (rote Broschüre) und 1. März 2001 (grüne Broschüre) war Abs. 1 bereits im Wesentlichen in der heutigen Fassung enthalten, lediglich im zweiten Satz fehlte das Wort „überdies“. Hingegen hat Art. 4 Abs. 2, der den Austritt von Gemeinden aus dem Staatsverband regelt, im weiteren Verlauf noch eine wesentliche Umgestaltung erfahren. Im Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 2. August 2002 ist Art. 4 in der heute geltenden Fassung enthalten.Die Verfassungsvorschläge des Fürstenhauses in den roten bzw. grünen Broschüren der Jahre 2000 und 2001 (die aber, wie dargestellt, im Zuge der Verfassungsrevision noch umgeändert wurde) enthielten eine umfangreiche Begründung zum neuen Abs. 2,[2] in der Initiative aus dem Jahre 2002 ist diese Begründung etwas kürzer. Die Erläuterungen bekräftigen, dass die Änderungen der Grenzen durch ein Gesetz zu erfolgen haben. Die Ausführungen zu Abs. 2 beschränken sich auf verfahrensrechtliche Aspekte.II. Das liechtensteinische StaatsgebietA. Die völker- und verfassungsrechtliche Bedeutung des StaatsgebietesDas in Art. 4 Abs. 1 erster Satz LV erwähnte „Staatsgebiet“ bildet eines der drei Elemente, die nach der klassischen Allgemeinen Staatslehre und des Völkerrechts einen Staat konstituieren.[3] Seine Existenz ist eine unabdingbare Voraussetzung, um von einem souveränen Staat sprechen zu können.[4]Unter dem Staatsgebiet versteht die Allgemeine Staatslehre einen in seinem Kernbestand gesicherten Teil der Erdoberfläche, auf dem sich die Staatsgewalt behauptet und entfaltet.[5]Auf das Staatsgebiet Liechtensteins nimmt neben Art. 4 Abs. 1 erster Satz LV auch Art. 1 Abs. 1 LV in mehrfacher Hinsicht Bezug: So wird dort im ersten Satz zum Ausdruck gebracht, dass Liechtenstein ein Staatsverband bestehend aus zwei Landschaften mit elf Gemeinden ist. Der zweite Satz verweist auf die „Grenzen“ Liechtensteins, die mit dem Territorium der zwei Landschaften mit seinen elf Gemeinden identisch sind. Der dritte Satz benennt die beiden Landschaften und weist ihnen die elf Gemeinden zu.Völkerrechtlich ist das Staatsgebiet nicht nur in zweidimensionaler Hinsicht definiert, sondern umfasst auch das darunter befindliche Erdinnere und den darüber liegenden Luftraum.[6]Nicht zum Staatsgebiet Liechtensteins zählen die liechtensteinischen Botschaften bei der Europäischen Union und in anderen Staaten, auch wenn diese ständigen Missionen Extraterritorialität in dem Sinne geniessen, dass sie nicht der Rechtsdurchsetzung der Organe des Gastlandes ausgesetzt sind.[7]In verfassungsrechtlicher Hinsicht bildet das Staatsgebiet die Grundlage des räumlichen Anwendungsbereiches der liechtensteinischen Rechtsordnung.[8]Dies schliesst freilich ebenso wenig aus, dass liechtensteinisches Recht auch ausserhalb des Staatsgebietes anzuwenden ist oder dass fremdes Recht in Liechtenstein zur Anwendung gelangt. Prominentestes Beispiel für Letzteres ist das auf der Grundlage des Zollvertrages mit der Schweiz anzuwendende Recht. Neben dem EWR-Recht zählt dazu aber auch das aufgrund des Internationalen Privatrechts anzuwendende ausländische Recht. Das Internationale Privatrecht kann aber auch dazu führen, dass liechtensteinisches Recht ausserhalb Liechtensteins anzuwenden ist, ebenso wie – jeweils nach Massgabe der grundsätzlich „zuständigen“ Rechtsordnung aufgrund Parteienvereinbarung – liechtensteinisches Recht im Ausland angewendet werden kann.B. Der Bestand des liechtensteinischen StaatsgebietesDas konkrete Staatsgebiet ist der Verfassung selbst nicht zu entnehmen, dieses ergibt sich vielmehr aus dem Völker(vertrags)recht, und zwar den mit den Nachbarstaaten Österreich und der Schweiz abgeschlossenen Staatsverträgen:Die genannten Verträge erfassen die 77,9 km langen Landesgrenzen[12] allerdings nicht abschliessend.[13] Keine durch staatsvertragliche Abkommen geregelte Grenzziehung gibt es zwischen Liechtenstein und der Schweiz, nämlich zwischen Würznerhorn und dem Gipfel des Naafkopfs, auf dem die Grenzen Liechtensteins, Österreichs und der Schweiz zusammenstossen.[14] Der Grenzverlauf ist allerdings auch hinsichtlich des nicht staatsvertraglich geregelten Bereiches in der völkerrechtlichen Übung zwischen den beiden Staaten unstrittig.[15] Grundlage der liechtensteinischen Landesgrenzen und der dazu abgeschlossenen Staatsverträge ist die seit den Rheinbundakten 1806Rheinbundakten 1806 anerkannte Souveränität des liechtensteinischen Territoriums.[16] Diese fand eine Anerkennung in Teil II Art. 27 des Vertrags von St. Germain, bei welchem Liechtenstein zwar nicht Vertragspartner war, worin aber hinsichtlich der Grenzen Österreichs zur Schweiz und gegen Liechtenstein „die gegenwärtige Grenze“ festgelegt wurde.[17] Aus dieser Formulierung ergibt sich im Übrigen auch die Anerkennung der Souveränität des Landes.[18]Die Verordnung über die Instandstellung und Erhaltung der Landesgrenze Schweiz – Liechtenstein regelt die Vermarkung der gesamten Landesgrenze Liechtenstein – Schweiz und die Erhaltung der Grenzzeichen.[19]III. Änderungen des StaatsgebietesA. Der Begriff der GrenzänderungDie Verfassung definiert den Begriff der Änderung der Grenzen des Staatsgebietes nicht näher. Die schweizerische Bundesverfassung enthält keine explizite Regelung über Grenzänderungen. Es handelt sich in der Schweiz um völkerrechtliche Abkommen, die nach den allgemeinen Regelungen der Bundesverfassung zu behandeln sind.Hingegen unterscheidet Art. 3 B-VG zwischen Staatsverträgen, mit denen die Bundesgrenzen geändert werden (Abs. 2), und Staatsverträgen, bei denen es sich nur um Grenzbereinigungen handelt (Abs. 4), für welche erleichterte Beschlussfassungserfordernisse im Nationalrat gelten (einfache Mehrheit). Für den historischen Vergleich interessanter ist jedoch die Tatsache, dass das B-VG vom 1. Oktober 1920 in seinem Art. 3 Abs. 2 die Bestimmung enthielt, dass eine Änderung des Bundesgebietes, die zugleich Änderung eines Landesgebietes ist (was in Österreich zwangsläufig der Fall ist, da gemäss Art. 3 Abs. 1 B-VG das Bundesgebiet die Gebiete der Bundesländer umfasst) nur durch übereinstimmende Verfassungsgesetze des Bundes und jenes Landes erfolgen konnte, dessen Gebiet eine Änderung erfährt. Dies bedeutet, dass auch im seinerzeitigen B-VG die Änderungen des Bundesgebietes nicht allein durch Staatsverträge erfolgen konnten, sondern kumulativ einer (verfassungs)gesetzlichen Regelung bedurften. Dies deutet darauf hin, dass das B-VG in dieser Frage möglicherweise Vorbildcharakter hatte,[20] jedoch mit der Abweichung, dass in Liechtenstein eine bloss einfachgesetzliche Regelung für hinreichend befunden wurde. Das Erfordernis eines eigenen Bundesverfassungsgesetzes ist in Österreich jedoch mit der B-VG-Novelle BGBl. I 1/2008 im Interesse der Verfassungsbereinigung entfallen.[21]Der Umstand, dass Art. 4 Abs. 1 erster Satz LV nicht zwischen Grenzänderungen und Grenzbereinigungen differenziert, führt zum Schluss, dass grundsätzlich auch relativ kleinflächige Grenzkorrekturen dem Verfahren der Grenzänderung zu unterziehen sind.[22] Lediglich dann, wenn davon ausgegangen werden kann, dass ein bereits bestehender Grenzverlauf nur präzisiert oder geklärt wird, wird man nicht von einer Grenzänderung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 erster Satz LV sprechen können.B. Die Änderung des Staatsgebietes und das VölkerrechtStaatsgrenzen beruhen grundsätzlich auf internationalem Recht, d.h. auf multilateralen Verträgen,[23] auf bilateralen Verträgen zwischen Nachbarstaaten oder auf Völkergewohnheitsrecht. Manchmal gibt es auch keinen völkerrechtlich anerkannten Grenzverlauf.[24]Im Falle Liechtensteins ist der weitaus überwiegende Teil der Landesgrenze wie dargestellt durch völkerrechtliche Verträge genau geregelt. Hinsichtlich des Abschnitts Würznerhorn – Naafkopf existiert eine auf Völkergewohnheitsrecht beruhende Grenzziehung.Aus der völkerrechtlichen Grundlage der Staatsgrenzen ergibt sich, dass diese auch auf der Grundlage von Völkerrecht revidiert werden können, also wiederum durch Staatsverträge oder völkerrechtlich relevante Akte, die ein neues Gewohnheitsrecht entstehen lassen.In einem gewissen Ausmass erlauben allerdings auch die massgeblichen völkerrechtlichen Abkommen eine (geringfügige) Flexibilität der Staatsgrenze, was an folgenden Beispielen verdeutlicht werden soll:Gemäss Art. 2 lit. a) Grenzvertrag Liechtenstein – Österreich verläuft die Staatsgrenze in gerader Linie von einem der zahlenmässig im Grenzurkundenwerk ausgewiesenen Grenzpunkte zum nächsten. Diese eindeutige Determinierung wird bereits durch Art. 2 lit. b) aufgeweicht, wonach sich die Staatsgrenze in Gräben in der sich aus dem Grenzurkundenwerk ergebenden Mittellinie ergibt. Schliesslich wird in Art. 2 lit. c) Grenzvertrag eine weitere Ausnahme bestimmt, nämlich „entlang der Wasserscheide, Gratlinie (Kammlinie) oder Tiefenlinie (Tobel). Diese Kriterien weisen insoweit eine gewisse Flexibilität auf, als die massgeblichen Parameter durch Naturereignisse (Felsstürze, Erdrutsche) aber auch durch menschliche Eingriffe in einem gewissen Ausmass verändert werden können.[25]C. Das innerstaatliche VerfahrenEine Revision der Staatsgrenze im Wege eines völkerrechtlichen Verfahrens bedürfte gemäss Art. 8 Abs. 2 LV der Zustimmung des Landtages. Art. 8 Abs. 2 LV statuiert eine solche Zustimmungspflicht ausdrücklich für Staatsverträge, durch die Staatsgebiet abgetreten wird. Dies trifft auch für sehr kleinräumige Gebietsabtretungen zu und auch dann, wenn sie durch andere Änderungen überkompensiert werden.[26] Aber auch Staatsverträge, die ausschliesslich zu einem Gebietserwerb führen, sind dann genehmigungspflichtig, wenn sie geeignet sind, im Sinne des Art. 8 Abs. 2 LV zu einer „neuen Last“ für das Fürstentum zu werden.[27]Die Anordnung des Art. 4 Abs. 1 erster Satz LV, wonach Änderungen der Grenzen des Staatsgebietes nur durch Gesetz erfolgen können, steht mit dem völkerrechtlich relevanten Verfahren in keinem Widerspruch. Sie besagt vielmehr, dass innerstaatlich (nicht in völkerrechtlicher Hinsicht) für die Änderung der Grenzen des Staatsgebietes kumulativ ein Gesetz erforderlich ist.Angesichts der Tatsache, dass auch Art. 4 LV in der Fassung von 1921 eine gesetzliche Grundlage für Grenzänderungen erforderte, erstaunt es, dass in Zusammenhang mit den drei Staatsverträgen Liechtensteins mit seinen Nachbarstaaten über die Festlegung der Landesgrenze keine neuen gesetzlichen Regelungen erlassen wurden. Dies gilt umso mehr, als sowohl der Grenzvertrag Liechtenstein – Österreich als auch der Vertrag mit der Schweiz über den Grenzverlauf zwischen Rhein – Würznerhorn zu Gebietsverschiebungen geführt haben: In dem zuletzt genannten Vertrag erfolgte gegen flächenmässige Kompensation die historisch umstrittene Abtretung des Gebietes um das Ellhorn mit einer Fläche von etwa 45 ha an die Schweiz.[28]Handelte es sich bei dem genannten Vertrag um eine Korrektur bestehender Grenzen, deren konkreter Verlauf unstrittig war, so gingen dem Grenzvertrag mit Österreich jahrzehntelange Differenzen über eine Fläche von immerhin 24 ha voraus.[29] Im Jahre 1954 erfolgte schliesslich eine Einigung dahingehend, dass die umstrittene Fläche zwischen den beiden Staaten im Ausmass von jeweils 12 ha geteilt wurde.[30] Es dauerte allerdings noch weitere sechs Jahre, bis der Vertrag dem Landtag vorgelegt werden konnte.[31]Somit legte lediglich der Vertrag mit der Schweiz über den Grenzverlauf im Rhein eine unstrittige Grenze fest und führte somit zu keiner relevanten Änderung des Staatsgebietes.[32]Das verfassungswidrige Fehlen eines solchen Gesetzes[34] zieht freilich keine Rechtswirkungen nach sich: Da das abgetretene Territorium völkerrechtlich nicht zum Staatsgebiet Liechtensteins zählt, können dort keine Hoheitsakte gesetzt werden, umgekehrt entfaltet die liechtensteinische Rechtsordnung ihre Wirkungen auf den hinzugekommenen Flächen bereits dadurch, dass diese völkerrechtlich zum Staatsgebiet zählen.Damit stellt sich die Frage, welchen Regelungsinhalt ein solches „Gesetz“ aufweisen muss. Es gilt nämlich zu beachten, dass der Staatsvertrag bereits Gegenstand der Zustimmung des Landtages gemäss Art. 8 Abs. 2 LV war. Inhaltlich kann der Gesetzesbeschluss des Landtages kaum mehr regeln als im Staatsvertrag selbst bestimmt wird.[35] Denkbar wären allenfalls einige begleitende Regelungen, die der Klarstellung dienen.Im Rahmen der Verfassung von 1921 hatte der Umstand, dass Änderungen der Landesgrenze einer gesetzlichen Regelung bedurften, die Funktion, eine Mitbestimmung des Volkes zu ermöglichen, da ein Gesetz unter den Voraussetzungen des Art. 66 LV dem Referendum unterliegt, was bei Staatsverträgen bis 1992 nicht der Fall war. Seit auch Staatsverträge (Art. 66bis LV) dem Referendum unterliegen können, macht daher die Regelung Art. 4 Abs. 1 LV kaum Sinn.Inhaltlich dürfte es hinreichen, den Genehmigungsbeschluss des Landtages gemäss Art. 8 Abs. 2 LV in Gesetzesform zu fassen und als Gesetz gemäss Art. 4 Abs. 1 erster Satz LV kundzumachen.IV. Änderungen von GemeindegrenzenA. Der Bestand von Gemeinden und das internationale RechtWährend Art. 1 LV die elf Gemeinden des Landes ausdrücklich anführt, regelt Art. 4 LV, unter welchen Voraussetzungen Gemeindegrenzen geändert werden können, ja sogar Gemeinden zusammengelegt und neue geschaffen werden können. Daraus ergibt sich, dass die Formulierung des Art. 1 LV nicht dahin verstanden werden darf, dass den dort angeführten Gemeinden eine verfassungsrechtliche Bestandsgarantie zuerkannt wäre.[36]Ein gewisses Spannungsverhältnis besteht allerdings zwischen Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV und Art. 46 i.V.m. Art. 1 LV, der für das Oberland und Unterland je einen Wahlbezirk vorsieht. Eine Zusammenlegung von Gemeinden aus dem Ober- und Unterland würde daher, sofern keine entsprechende Verfassungsänderung vorgenommen würde, dazu führen, dass der Landtag nicht mehr in der von der Verfassung vorgesehenen Weise gewählt werden könnte. Dies bedeutet, dass in einem solchen Fall neben dem von Art. 4 Abs. 2 zweiter Satz LV erwähnten Gesetz auch eine entsprechende Verfassungsänderung erforderlich wäre, die nicht nur klarstellt, welcher Landschaft die neue Gemeinde angehört, sondern auch die Zahl der in den beiden Wahlkreisen gemäss Art. 46 LV zu wählenden Abgeordneten neu festlegt.Dem steht gegenüber, dass die Existenz einer Gemeindeverwaltung mit einem eigenen Wirkungskreis ein wesentliches Element der Verfassung darstellt.[37] Dies bedeutet: Die Verfassung gibt zwar nicht die Zahl der Gemeinden vor und verlangt keine Unabänderlichkeit ihrer Grenzen, die Existenz einer Mehrzahl von Gemeinden ist jedoch verfassungsrechtlich verankert.Der Bestand von Gemeinden ist auch Gegenstand der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung.[38] Auch wenn dieses im Rahmen des Europarates geschlossene Übereinkommen Liechtenstein keine Vorgaben über die Zahl und Struktur seiner Gemeinden macht, so wird doch bestimmt, dass der Grundsatz kommunaler Selbstverwaltung in der internen Gesetzgebung und soweit als möglich in der Verfassung garantiert sein soll (Art. 2).[39] Kommunale Selbstverwaltung bedeutet in diesem Zusammenhang das Recht und die tatsächliche Fähigkeit kommunaler Gebietskörperschaften, im Rahmen der Rechtsordnung einen bedeutenden Anteil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung und zum Nutzen ihrer Einwohner zu regeln und zu verwalten (Art. 3 Abs. 1 der Charta).Was den Bestand der Gemeinden betrifft, so regelt Art. 5 der Charta unter dem Titel „Schutz der Grenzen der kommunalen Gebietskörperschaften“ lediglich, dass bei jeder Änderung kommunaler Grenzen die betroffenen Gebietskörperschaften zuvor zur Stellungnahme eingeladen werden müssen. Falls es gesetzlich vorgesehen ist, soll ein Referendum durchgeführt werden.[40]Gemäss Art. 12 der Charta verpflichten sich die Vertragsparteien, mindestens zwanzig Paragraphen des ersten Teils der Charta als für sich bindend anzusehen, wobei mindestens zehn Paragraphen aus einem bestimmten Kreis von Artikeln ausgewählt werden müssen. Die im gegebenen Zusammenhang erwähnten Art. 2, 3 Abs. 1 und Art. 5 zählen zu jenen, die Liechtenstein als für sich bindend ausgewählt hat.[41]Hinsichtlich von Änderungen des Bestands der liechtensteinischen Gemeinden gibt es somit im Hinblick auf die Charta lediglich die prozeduralen Vorgaben gemäss Art. 5, nämlich das Anhörungsrecht der betroffenen Gemeinden, zu beachten sowie allenfalls ein Referendum durchzuführen.[42] Diesen Vorgaben wird bereits auf Verfassungsebene durch Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV entsprochen, wonach Grenzänderungen zwischen Gemeinden, Zusammenlegungen von Gemeinden und die Schaffung neuer Gemeinden überdies eines Mehrheitsbeschlusses der dort ansässigen Landesangehörigen bedürfen. Auf gesetzlicher Ebene bestimmt Art. 6 Gemeindegesetz,[43] dass Änderungen von Gemeindegrenzen durch Gesetz erfolgen. Ein solches Gesetz kann nur erlassen werden, wenn die beteiligten Gemeinden in übereinstimmenden Beschlüssen der Gemeindeversammlungen eine solche Massnahme beschliessen. Die Charta wird daher von Liechtenstein in diesem Punkt „übererfüllt“.Der derzeitige Bestand der elf Gemeinden geht auf die Reorganisation der Gemeindestrukturen 1808 zurück. Sie sind, von verschiedenen Grenzänderungen abgesehen, seither unverändert geblieben.[44] Auffallend und im Vergleich ungewöhnlich sind eine Vielzahl von Exklaven, insgesamt 19, die verwaltungsorganisatorisch durchaus problematisch zu beurteilen sind, da sie äusserst kleinräumige eigene „Jurisdiktionen“ mit dem jeweils anwendbaren Gemeinderecht begründen.Im internationalen Vergleich divergieren die Territorialstrukturen von Gemeinden enorm: 98 Gemeinden in Dänemark stehen beispielsweise ca. 36.000 Gemeinden in Frankreich gegenüber. Mit einer durchschnittlichen Einwohnerzahl pro Gemeinde von ca. 3.350 Personen liegt Liechtenstein nur geringfügig unter der von Österreich (ca. 3.600) und praktisch gleich wie die Schweiz.B. Grenzänderungen zwischen GemeindenArt. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV verlangt für jegliche Grenzänderung zwischen Gemeinden (arg. „überdies“, das sich auf den ersten Satz bezieht) das Vorliegen eines Gesetzes sowie eines Mehrheitsbeschlusses der in dort (in den Gemeinden) ansässigen wahlberechtigten Landesangehörigen. Darunter sind jene Gemeindebürger zu verstehen, die in der Gemeinde ihren Wohnsitz haben, bzw. Gemeindebürger anderer Gemeinden, die derzeit ihren Wohnsitz in den betroffenen Gemeinden haben.[45]Die Formulierung „zwischen Gemeinden“ stellt klar, dass sich das Erfordernis des Mehrheitsbeschlusses der in den betreffenden Gemeinden ansässigen Landesangehörigen nicht auf den Fall bezieht, dass die Landesgrenzen geändert werden. Obwohl jegliche Änderung der Landesgrenze naturgemäss eine solche von zumindest einer Gemeinde betrifft, bedarf es daher in diesem Fall keines Volksentscheids. Damit wird der Eindruck erweckt, als seien für den vergleichsweise geringfügigen Eingriff (die Änderung der Grenzen zwischen Gemeinden) höhere Anforderungen gestellt als für den stärkeren Eingriff (die Änderung der Landesgrenzen). Es darf aber nicht übersehen werden, dass ein Gesetz gemäss Art. 66 LV unter den dort bezeichneten Voraussetzungen dem Referendum (durch alle Landesangehörigen) unterliegt.In der Gesetzesdatenbank Lilex sind vier auf Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV beruhende Gesetze angeführt.[46] In diesen werden die von den jeweiligen Gemeindeversammlungen beschlossenen Änderungen der Gemeindegrenzen unter Hinweis auf die jeweiligen Planunterlagen vom Landtag genehmigt. Durch die „Genehmigung“ wird zum Ausdruck gebracht, dass die Festlegung der Gemeindegrenzen grundsätzlich eine Aufgabe der Gemeinden selbst ist und nicht vom Staat wahrgenommen wird. Aufgrund der überörtlichen Interessen, die bei der Festlegung der Gemeindegrenzen berührt werden, erfolgt jedoch die staatliche Genehmigung. Neben der Genehmigung der Grenzänderung enthalten die betreffenden Gesetze allerdings auch noch Regelungen über die Kostentragung der Vermarkung und des Unterhalts der Grenzen.Das Erfordernis des Mehrheitsbeschlusses der in den Gemeinden ansässigen wahlberechtigten Landesangehörigen wird von Art. 6 Gemeindegesetz dahingehend näher ausgeführt, dass das von Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz geforderte Gesetz nur erlassen werden darf, wenn die beteiligten Gemeinden in übereinstimmenden Beschlüssen der Gemeindeversammlungen eine solche Massnahme beschliessen.Da die Gemeindeversammlung aus den in der Gemeinde wohnhaften Stimmberechtigten gebildet wird (Art. 24 Gemeindegesetz), geht diese Regelung mit Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV konform. Der Ablauf der Grenzänderung (zunächst müssen die übereinstimmenden Beschlüsse der Gemeindeversammlungen vorliegen, im Anschluss erfolgt die Genehmigung durch den Landtag in Form eines Gesetzesbeschlusses) ist jedenfalls sinnvoll und sachlich begründet. Die Verfassung würde allerdings auch eine umgekehrte Vorgangsweise mit vorgängiger Befassung des Landtages und nachfolgender Befassung der Gemeindeversammlungen erlauben.Die Zustimmung der Gemeindeversammlungen muss in allen beteiligten Gemeinden vorliegen. Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV verlangt einen Mehrheitsbeschluss in jeder der betroffenen Gemeinden und nicht etwa der Mehrheit der Stimmberechtigten insgesamt. Damit sind die Gemeinden vor einer Majorisierung durch eine andere Gemeinde geschützt.Die Regelung des Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV bedeutet, dass der Gesetzgeber Änderungen in den territorialen Strukturen der Gemeinden (Gemeindegebietsreformen) nur mit Zustimmung der jeweils betroffenen Gemeindeversammlungen vornehmen kann.Der Umstand, dass die Grenzänderung von Gemeinden ein relativ komplexes Verfahren mit Befassung der Gemeindeversammlungen und des Landtages erfordert, lässt fragen, unter welchen Voraussetzungen eine Grenzänderung vorliegt. Hier ist terminologisch an den Begriff der Grenzänderung wie er im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 1 erster Satz LV (Änderung der Grenzen des Staatsgebietes) geprägt wurde, anzuknüpfen: Eine Grenzänderung liegt lediglich dann nicht vor, wenn eine bestehende Grenze präzisiert oder klargestellt wird. Auch relativ kleinflächige Grenzkorrekturen sind dem Verfahren der Grenzänderung zu unterziehen.C. Schaffung neuer GemeindenDie Schaffung neuer Gemeinden hat nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV prinzipiell nach demselben Verfahren wie einfache Grenzänderungen zu erfolgen.Die Schaffung einer neuen Gemeinde nach diesem Verfahren würde im Übrigen eine Änderung der deklarativen Aufzählung der Gemeinden in Art. 1 LV erfordern. Der Verfassungsgeber müsste dabei auch eine Zuordnung in das Unterland oder Oberland vornehmen.Für die Existenz der neuen Gemeinde wäre indessen eine derartige Änderung des Art. 1 LV nicht erforderlich, es genügt nach dem Verfassungswortlaut die Einhaltung des Verfahrens gemäss Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV. Die erforderliche gesetzliche Regelung wäre bereits dann getroffen, wenn die Aufzählung in Art. 1 LV oder Art. 2 Gemeindegesetz ergänzt würde.[47] Ein solches Gesetz muss insbesondere dem Sachlichkeitsgebot entsprechen. Allerdings wird dem Gesetzgeber ein durchaus erheblicher Gestaltungsspielraum zukommen.[48]Das Gemeindegesetz sieht, wie schon im Zusammenhang mit den Grenzänderungen erwähnt, das Verfahren gemäss Art. 6 Gemeindegesetz vor. Dieses wäre auch für die Schaffung neuer Gemeinden anzuwenden.Weiters ist die Frage zu klären, welche Gemeindeversammlungen die von der Verfassung geforderten Mehrheitsbeschlüsse zu fassen hätten. Unzweifelhaft wären Gemeindeversammlungsbeschlüsse jener Gemeinde oder Gemeinden erforderlich, aus denen die neue Gemeinde hervorgeht. Müssten aber auch die fiktiven Gemeindeangehörigen der neu zu schaffenden Gemeinde ebenfalls zustimmen? Der Wortlaut der Verfassung liesse diese Schlussfolgerung zu. Teleologische Erwägungen sprechen eher dagegen: Welche Organisation müsste die Voraussetzungen schaffen, um überhaupt eine „Gemeindeversammlung“ der noch nicht existierenden Gemeinde zu organisieren? Aus dem Schweigen der Verfassung zu diesen Aspekten ist daher abzuleiten, dass die Gemeindeversammlungsbeschlüsse jener Gemeinde oder jener Gemeinden aus der oder denen die neue Gemeinde zu schaffen ist, ausreichen würden.D. Zusammenlegung von GemeindenFür die Zusammenlegung von Gemeinden gilt wiederum dasselbe Verfahren wie für die Kreation neuer Gemeinden. Anzumerken ist, dass in der verwaltungswissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte im internationalen Vergleich der Fusionierung von Gemeinden deutlich grösserer Stellenwert als der Schaffung neuer Gemeinden zukommt.[49] Im Hintergrund von Gemeindefusionen stehen zumeist erwartete Einsparungen in der Verwaltung durch Optimierung von Effizienzpotenzialen sowie Qualitätssteigerung durch Professionalisierung und Spezialisierung.[50] Im Hinblick auf Liechtenstein ist diese Frage in der Literatur aber so gut wie (noch) nicht angesprochen worden.Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz LV verleiht jeder der elf Gemeinden eine Bestandsgarantie, indem die Bestimmung für die Zusammenlegung der Gemeinden nicht nur ein Gesetz, sondern einen Mehrheitsbeschluss der beteiligten Gemeinden im Wege der Gemeindeversammlungen vorschreibt.[51] Auf das Verfahren der Zusammenlegung von Gemeinden wäre Art. 6 Gemeindegesetz anzuwenden.Der Umstand, dass eine Zusammenlegung von Gemeinden nur mit Zustimmung der Gemeindeversammlungen möglich ist, bedeutet im Übrigen nicht, dass eine entsprechende gesetzliche Regelung, die auf der Grundlage dieser Zustimmungen erfolgt, von vornherein verfassungskonform ist. Zu prüfen wäre insbesondere, ob die Zusammenlegung als solche sachlich gerechtfertigt ist, da der Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Sachlichkeitsgebot den Gesetzgeber allgemein – freilich mit einem vom Staatsgerichtshof anerkannten beträchtlichen Gestaltungsspielraum – bindet.[52]V. Austritt aus dem StaatsverbandA. Die Sezessionsmöglichkeit von Gemeinden und das internationale RechtDie in Art. 4 Abs. 2 LV verankerte Möglichkeit der Sezession von Gemeinden stellt im internationalen Vergleich die wohl eigenwilligste Regelung der Verfassung dar. Gleichzeitig bildete sie auch einen der umstrittensten Inhalte der Verfassungsrevision 2003 und wurde in der Literatur heftig kritisiert.[53]Eine Sezessionsmöglichkeit von Teilen des Staates ist in anderen Verfassungen bereits höchst ungewöhnlich.[54] Sie rückt nämlich die Staatsverfassung in die Nähe einer Konföderation, also einer noch weniger weitreichenden Integrationsstufe als der Bundesstaat.[55] Das Selbstbestimmungsrecht, auf das insbesondere im Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 1. März 2001 rekurriert wurde[56], wird nämlich in der Bundesstaatstheorie grundsätzlich als ein Selbstregierungsrecht, nicht als Sezessionsrecht verstanden.[57] Im Völkerrecht werden einzelne Gemeinden nicht als Träger des Selbstbestimmungsrechtes gesehen.[58] Diese Frage wird lediglich für Einheiten eines Bundesstaates, vor allem dann, wenn diese sprachliche oder kulturelle Besonderheiten aufweisen, diskutiert.[59]Das gedankliche Fundament des Regelungskomplexes von Art. 4 Abs. 2 LV bildet die Auffassung, dass die Gemeinden gleichsam konstituierende Glieder eines Staates sind, wie sie bei Fürst Hans-Adam II. „Der Staat im dritten Jahrtausend“ zum Ausdruck gelangt.[60] Eine solche radikale Dezentralisierung entspricht jedoch nach wie vor nicht der internationalen staatsrechtlichen Praxis.Zweifellos ist es der liechtensteinischen Verfassung unbenommen, den Austritt einer Gemeinde aus dem Staatsverband zuzulassen,[61] was ihr auch eine gewisse Originalität verleiht.[62] In praktischer Hinsicht darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Verfassung durch diese Regelung im Anwendungsfall mannigfache völkerrechtliche Probleme provoziert. So ist es zumindest ungewiss, ob ein Territorium in der Ausdehnung und mit der Bevölkerungszahl einer liechtensteinischen Gemeinde in der Staatenwelt die erforderliche Anerkennung findet.[63] Ganz abgesehen davon läuft auch der restliche Staatsverband als solcher Gefahr, infrage gestellt zu werden, wenn sich Teile von ihm abspalten, man denke etwa an den Fall einer Sezession von Vaduz und/oder Schaan.[64]Art. 4 Abs. 2 dritter und vierter Satz LV ist zu entnehmen, dass die Sezession entweder in der Absicht erfolgen kann, einen neuen, souveränen Staat zu begründen oder sich einem anderen Staat anzuschliessen (siehe die Verwendung des Begriffs „Staatsvertrag“ in diesen Bestimmungen). Ein Anschluss an einen benachbarten Staat dürfte wohl überhaupt die wahrscheinlichste Form der Anwendung des Art. 4 Abs. 2 LV sein. Denkbar wäre allerdings auch eine Angliederung an einen nicht benachbarten Staat in Form einer Exklave.Während ein Anschluss von Teilen des Staatsgebietes an ein anderes im Wege eines Staatsvertrages einen völkerrechtlich geordneten Übergang des betroffenen Territoriums ermöglichen würde, könnte eine blosse Abspaltung einzelner Gemeinden solange zu höchst unklaren völkerrechtlichen Situationen führen, als für das abgespaltene Territorium (wie auch für den verbleibenden Staatsverband) die völkerrechtliche Anerkennung nicht gesichert wäre. Die mit einer territorialen Abspaltung verbundenen Probleme auf einem zwangsläufig so kleinen Gebiet innerhalb des EWR- und Schengen-Raumes können hier nur angedeutet werden:Das betreffende Territorium wäre keineswegs automatisch Mitglied des EWR oder des Schengen-Raumes. Im Gegenteil: Darüber, ob das winzige Gebiet Aufnahme finden würde, kann nur spekuliert werden. Ebenso wenig wäre der Zollvertrag automatisch anwendbar. Es kann auch gefragt werden, welche Auswirkungen die Abspaltung eines mehr oder weniger grossen Territoriums von Liechtenstein auf seine eigene Position im EWR- und im Schengen-Raum hätte. Unklar sind auch die Auswirkungen des Austritts auf die Staatsbürgerschaft der betroffenen Bürger.[65]B. VerfahrenDas Verfahren des Austritts aus dem Staatsverband ist ein mehrstufiges: Zunächst entscheidet die Mehrheit der in der Gemeinde ansässigen wahlberechtigten Landesangehörigen über die Einleitung des Austrittsverfahrens. Diese erfolgt abhängig von der konkreten Konstellation im Wege eines Gesetzes oder eines Staatsvertrages. Letzterer kommt wohl dann in Betracht, wenn ein Staat die austrittswillige Gemeinde in seinen Staatsverband eingliedern will und die betreffende Gemeinde genau dies anstreben würde. Theoretisch wäre es freilich auch denkbar, dass, unter der Voraussetzung, dass die Gemeinde der Einleitung des Austrittsverfahrens zugestimmt hat, diese gegen ihren Willen an einen anderen Staat im Wege eines Staatsvertrages angeschlossen wird. Für diesen Fall sieht Art. 4 Abs. 2 LV folgerichtig vor, dass nach Abschluss der Vertragsverhandlungen in der Gemeinde eine neuerliche Abstimmung zu erfolgen hat.[66]Inhalt des Gesetzes kann den Erläuterungen der Initiative zufolge die Anpassung des Art. 1 LV oder die Aufteilung der Aktiven und Passiven zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der austretenden Gemeinde sein.[67] Die Erläuterungen der Verfassungsinitiative des Fürstenhauses gehen davon aus, dass diese Belange auch in einem Staatsvertrag zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der austretenden Gemeinde gleichsam als Staat in nascendi geregelt werden können.[68] Wie dargestellt wäre es allerdings keineswegs sicher, dass die austretende Gemeinde als Völkerrechtssubjekt gelten könnte. Die Gemeinde wird jedenfalls nicht deshalb zu einem souveränen Staat, weil das Fürstentum Liechtenstein mit ihm einen „Staatsvertrag“ abschliesst.Selbst wenn der Austritt der Gemeinde durch Staatsvertrag geregelt würde, wären begleitende Regelungen auf Verfassungsebene wie die Anpassung des Art. 1 LV und auch des Art. 46 LV, der die Verteilung der Abgeordneten auf die Wahlkreise Oberland und Unterland regelt, erforderlich. Dessen ungeachtet wäre der Austritt der Gemeinde mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages wirksam.Ein solcher Staatsvertrag unterliegt, wie übrigens auch eine gesetzliche Regelung, dem Referendum (Art. 66 LV). Da der Abschluss des Staatsvertrages in die Verantwortlichkeit des Landesfürsten bzw. der Regierung fällt (Art. 8 Abs. 1 LV) und eine gesetzliche Regelung der Sanktion des Landesfürsten bedarf (Art. 9 LV), ist für den Austritt der Gemeinde jedenfalls auch die Zustimmung des Landesfürsten erforderlich.[69] Erzwingen kann daher die Gemeinde ihren Austritt aus dem Staatsverband in keinem Fall.[70] Wie in BuA Nr. 135/2002 zutreffend ausgeführt, haben die Gemeinden trotz der Formulierung in Art. 4 Abs. 2 erster Satz LV, die von „Recht“ spricht, daher kein absolut wirkendes Austrittsrecht, sondern lediglich die Befugnis, ein Austrittsverfahren einzuleiten. |