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https://www.sueddeutsche.de/politik/bakterien-tueckische-phantome-1.2287698
mlsum-de-601
Der wahllose, übertriebene Antibiotika-Einsatz in der Humanmedizin, aber auch in der Massentierhaltung, hat resistente Keime entstehen lassen - ein tödliches Problem für Patienten.
Es ist wie ein langsames Erwachen, so kommt es dem Anwalt Attila Yurttas vor. Allmählich verstehen die Menschen, dass es in ihrer Welt eine geheimnisvolle Gefahr gibt, die ihr Leben bedroht, und er bedauert es sehr, dass dieses Bewusstsein für viele von ihnen zu spät kommt. Attila Yurttas hat sich auf Medizinrecht spezialisiert. Seit Jahren befasst er sich mit dem Thema multiresistente Keime - mit Infektionserregern also, gegen die fast kein Medikament mehr hilft. Und er stellt fest, dass er in seiner Kanzlei in Holzminden, Niedersachsen, immer mehr Leute empfängt, die Opfer dieser Gefahr geworden sind, die einen Verwandten nach einer Routine-Operation verloren haben oder die selbst Schäden davongetragen haben nach einem Eingriff im Krankenhaus. Attila Yurttas sieht die Trauer und die Wut dieser Leute, er versteht, dass sie jemanden zur Rechenschaft ziehen wollen für ihre Tragödie. Aber Keime kann man nicht verklagen. Und ob das Krankenhaus schuld daran ist, wenn sie bei Operationen fatalerweise in den Organismus eines Patienten gelangen, ist kaum zu beweisen. "Multiresistente Keime sind Phantome", sagt Attila Yurttas. Phantome sieht man nicht, jeder kann sie am Körper tragen. Yurttas rät seinen Mandanten meistens von einer Klage ab, weil Kosten und Erfolgsaussichten in einem schlechten Verhältnis stehen. Das Problem, dessen Opfer sie geworden sind, ist zu tückisch. Die Zivilisation schafft sich ihre eigenen Krankheiten. Der Fortschritt ist ein Segen mit Nebenwirkungen, und zu diesen gehört das Aufkommen von Krankheitserregern, die unempfindlich geworden sind gegen die Heilkräfte der Antibiotika. Es ist eine besorgniserregende Entwicklung, die an deutschen Krankenhäusern in den vergangenen Jahren viele Tote gefordert hat. Wie viele genau, dazu gibt es nur Schätzungen. Das Robert-Koch-Institut verweist auf Zahlen des Europäischen Zentrums für Gesundheitskontrolle und Prävention und der Europäischen Arzneimittelbehörde von 2009, wonach es in Europa 25 000 Todesfälle infolge antibiotikaresistenter Erreger gegeben habe. Deutschland hinkt im Kampf gegen die Keime im Vergleich zu den Nachbarn hinterher Aber klar ist, dass das Problem ernst ist und nicht nur die Medizin fordert. "Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", sagt Professor Alex Friedrich, Chef der Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene an der Universität Groningen, ein prägender Netzwerker im europäischen Kampf gegen multiresistente Keime. Deutschlands Bemühungen findet er bei dieser Aufgabe noch ausbaufähig. Gerade wenn er sie mit denen in seiner Wahlheimat Niederlande vergleicht. Das Problem multiresistenter Keime ist komplex. Es hat mit einer modernen Konsum-Medizin zu tun, die derart willkürlich mit Antibiotika um sich wirft, dass sie sozusagen die Saat für multiresistente Erreger (MRE) wie den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) auswirft. "Wir werden zugebombt mit Antibiotika", sagt Anwalt Yurttas, "der Umgang ist leichtsinnig geworden." Das Problem hat aber auch damit zu tun, dass mehr Bedarf an medizinischer Behandlung besteht. Mikrobiologe Friedrich verweist auf den demografischen Wandel: Die Gesellschaft altert, die Zahl der Leute, die Behandlung brauchen, wächst, mehr Medikamente kommen in Umlauf. Gleichzeitig werden die medizinischen Eingriffe komplexer, sie bringen neue Infektionsrisiken mit sich und neue antibiotikaresistente Keime, die durch jede Hygiene-Lücke schlüpfen. "Im Krankenhaus fotokopieren wir geradezu diese antibiotikaresistenten Erreger von Patient zu Patient", sagt Friedrich. "Einerseits entstehen immer mehr Infektionen, andererseits lassen sich immer weniger Infektionen adäquat behandeln, weil wir es zulassen, dass Resistenzen sich ausbreiten." Er hält das Problem für unterschätzt. "Viele erkennen noch nicht, dass wir die liebgewonnene Behandlung mithilfe von Antibiotika für bestimmte Infektionen nicht mehr haben." Hinzu kommt: In der Massentierhaltung sind Antibiotika mittlerweile praktisch Teil der Nahrung der Masttiere und bringen damit eine weitere Generation von Antibiotika-Resistenzen hervor. Die Bauern mischen die Medikamente ins Futter und ins Wasser in der Hoffnung, Infektionen vorzubeugen, die in ihren Industrieställen programmiert sind. "Diese Vorstellung von Prävention mag für die akute Behandlung der Tiere erst mal funktionieren, hat aber einen negativen Nebeneffekt", sagt Friedrich: "Im Darm der Tiere setzen sich resistente Dauererreger, die nichts mit der Erkrankung der Tiere zu tun haben, die in die Umgebung gelangen und mit denen der Mensch in Kontakt kommt." Die Behörden sind alarmiert, Niedersachsen zum Beispiel hat sich zur Auflage gemacht, den Antibiotika-Einsatz in der Tiermast binnen fünf Jahren um 50 Prozent zu senken. Das Bundesland weist die höchste Tierhaltungsdichte in Europa auf. "Dementsprechend gehen rund 40 Prozent aller Antibiotika im Mastbereich in diese Region", teilt das Agrarministerium in Hannover mit und liefert irritierende Daten aus einer eigenen Studie: Demnach erfährt eine deutsche Mastpute in den drei Monaten ihres Lebens im Durchschnitt 9,8 Behandlungen mit Antibiotika. Niedersachsens grüner Agrarminister Christian Meyer ist besorgt. Er hat festgestellt, dass in der Tierhaltung immer mehr Antibiotika aus Wirkstoffgruppen zum Einsatz kommen, die in der Humanmedizin als Reserve-Antibiotika nötig sind, wenn übliche Antibiotika nicht mehr wirken. Das kann für Menschen gefährlich werden, weshalb Meyer sagt: "Ich bin dafür, zu prüfen, ob diese Wirkstoffe für die Humanmedizin reserviert werden sollten." Resistente Erreger aus der Tierhaltung haben in Krankenhäusern noch wenig Schaden angerichtet. Sie sind unempfindlich gegen Antibiotika aus der Tierhaltung, aber noch nicht gegen Antibiotika aus der Humanmedizin. "Wenn man allerdings wartet, bis zum Beispiel MRSA aus der Tierhaltung sich so lange unter Menschen ausbreiten, dass die auch noch resistent gegen Krankenhaus-Antibiotika werden, dann hat man ein Problem", sagt Friedrich. Das Thema drängt. Seit Jahren schon, aber jeder neue Todesfall, der mit antibiotikaresistenten Keimen zu tun haben könnte, verunsichert die Bürger mehr. Anwalt Yurttas hat an den verschiedenen Orten, an denen er bisher tätig war, eine teilweise irrationale Angst in der Bevölkerung festgestellt. Viele Leute tragen Patientenverfügungen im Geldbeutel, weil sie im Notfall nicht ins örtliche Krankenhaus wollen - nicht nur wegen MRSA. Mit ausgefeilten Hygieneplänen, freiwilliger Teilnahme an Meldeprogrammen, Informationsveranstaltungen und strenger Aufarbeitung von Resistenz-Fällen versuchen die Krankenhäuser Vertrauen zu wecken. Das Robert-Koch-Institut bietet umfassende Hygiene-Empfehlungen. Und doch findet Alex Friedrich, dass Deutschland Nachholbedarf hat im Vergleich zu Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden. "Ein Niederländer muss weniger Angst haben als ein Deutscher. Warum?" Es liegt an einer anderen Präventions-Kultur im Nachbarland. "In den Niederlanden wird die Ausbreitung von Antibiotika-Resistenz als etwas Unakzeptables für die Gesellschaft gefühlt", sagt Friedrich, "der Kampf dagegen wird hier um fast jeden Preis betrieben." Die frühe Vorbeuge ist in den Niederlanden der Schlüssel zu mehr Patienten-Sicherheit. Hauptamtliche Krankenhaushygieniker und Mikrobiologen gehören dort zur Grundausstattung jedes einzelnen Krankenhauses. Sie haben ihre Patienten rund um die Uhr im Blick. Mit größtmöglichem Aufwand fahnden sie nach Erregern, die eine Gefahr bedeuten könnten. "Sie haben das Auge für das Unsichtbare", sagt Friedrich, und wenn sie feststellen, dass gefährliche Keime den Körper eines Patienten besiedeln, wird der behandelt, als sei er schon infiziert. Keime, wie sie deutsche Kliniken in den vergangenen Jahren in Krisen stürzten, haben die Niederländer so schon erfolgreich bekämpft, noch bevor überhaupt jemand krank werden konnte. "In Deutschland ist der klinische Mikrobiologe durchschnittlich 140 Kilometer vom Patienten weg, in den Niederlanden ungefähr 600 Meter", sagt Friedrich. Die Klinik der Zukunft braucht Sonderfahnder, welche die Gefahr im Nichts erkennen und abwehren. Dann kann das Phantom seinen Schrecken verlieren.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geldanlage-das-bin-ich-1.3460597
mlsum-de-602
Wer per Videochat ein Konto eröffnet, konnte sich unkompliziert ausweisen. Doch die Finanzaufsicht stoppte plötzlich das simple Verfahren. Jetzt gibt es eine Neuregelung mit höheren Sicherheitsstandards
Es kann unglaublich nervenaufreibend sein, nachzuweisen, wer man ist. Für einen rechtsgültigen Vertrag reicht es nämlich nicht, kurz und knapp "Das bin ich" zu rufen. Wer über das Internet ein Bankkonto eröffnen oder online per Ratenkredit einen Laptop kaufen will, nimmt meistens einen mühsamen Gang auf sich: Der Kunde reiht sich in eine lange Warteschlange bei der Post ein, um seinen Ausweis vorzuzeigen und so seine Identität gegenüber der Bank zweifelsfrei feststellen zu lassen. Dabei ginge es so bequem anders: seit 2014 können sich Kunden in Deutschland über Videochat legitimieren. Sie halten ihren Ausweis vor die Kamera am Smartphone oder Laptop, beantworten ein paar Fragen des Mitarbeiters auf der anderen Seite der Kamera und können währenddessen gemütlich am Sofa hocken bleiben. Diese Alternative dauert zwar auch ein paar Minuten länger als der kurze Ruf "Das bin ich", aber es ist doch deutlich bequemer als die Warteschlange. Das Innenministerium hatte Sorge, dass Video-Legitimation die Terrorfinanzierung erleichtert Fast wäre dieses sogenannte Video-Identverfahren den Sicherheitsbedenken der deutschen Behörden zum Opfer gefallen. Doch nun haben sich das Innen-, das Finanzministerium und die Finanzaufsicht Bafin auf eine Regelung geeinigt, die auf der einen Seite Video-Identifikation für die Kunden möglich macht, aber andererseits auch höhere Sicherheitsstandards festlegt. In der Finanzbranche nimmt man die Einigung positiv auf. Denn inzwischen bieten nicht nur Direktbanken, sondern auch die traditionellen Filialbanken ihren Kunden diesen Service an. Am meisten freuen sich natürlich die Anbieter der Video-Verfahren: "Das wird den Finanzstandort Deutschland stärken", sagt etwa Michael Sittek, Geschäftsführer von IDnow. Er glaubt, dass das neue Verfahren ein Vorbild für ganz Europa sein könnte. Und in der Tat war Deutschland in diesem Bereich Vorreiter. Als die Finanzmarktaufsicht Bafin im Jahr 2014 zuließ, dass sich Kunden per Online-Video identifizieren können, um beispielsweise ein Bankkonto zu eröffnen, jubelten vor allem digitale Start-ups hierzulande. In ganz Europa war das Verfahren einzigartig. Nirgends war es so einfach, über das Internet rechtsgültige Verträge abzuschließen. Inzwischen haben andere europäische Länder die deutsche Vorgehensweise übernommen: die Schweiz, Österreich, Luxemburg und Spanien haben ähnliche Legitimationsverfahren eingeführt. Doch dessen ungeachtet, erschreckte die Bafin im Frühsommer des vergangenen Jahres die Branche ohne Vorwarnung mit einem Rundschreiben. Was harmlos klingt, sind verbindliche Regeln, an die sich die Anbieter zu halten haben - und zwar ohne Übergangsfristen. Von einem Tag auf den anderen sollten nur noch Banken, also nicht mehr wie bis dahin auch andere Finanzdienstleister, die Legitimation per Video anwenden dürfen. Eine Reihe von Detailregeln hätte die Video-Legitimation nur noch in Ausnahmefällen möglich gemacht. Was dann passierte, war ein Novum für die Finanzbranche: junge Start-ups verbündeten sich mit traditionellen Banken, um bei den Behörden vorzusprechen. Angesichts des Protests von allen Seiten, zog die Bafin schon nach ein paar Wochen ihr Schreiben wieder zurück. Stattdessen wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der Neuregelung beschäftigen sollte. Eingeladen wurden nicht nur Vertreter der Sicherheitsbehörden und Ministerien, sondern auch von Banken und Finanz-Start-ups. In einer Reihe von Gesprächen hinter verschlossenen Türen stellte sich heraus, dass hinter der restriktiven Regelung gar nicht die Finanzaufsicht, sondern vielmehr die Sorgen des Innenministeriums standen, dass Video-Legitimation Geldwäsche und Terrorfinanzierung erleichtern könnte. Gemeinsam überzeugten Fintechs und Banken die Behörden, dass das Online-Verfahren keineswegs unsicherer sein muss, als das herkömmliche Post-Identverfahren. Im Gegenteil: viele vertreten sogar die Ansicht, dass die Video-Legitimation sogar sicherer sei, weil die Mitarbeiter nicht nur einen flüchtigen Gesichtsabgleich am Tresen machen, sondern die Systeme Daten abgleichen können. Allerdings müssen die digitalen Prozesse nun höheren Sicherheitskriterien entsprechen. So werden künftig beispielsweise nicht mehr alle Ausweisdokumente akzeptiert, sondern nur solche, die mehrere Sicherheitsmerkmale erfüllen. Der gewöhnliche deutsche Personalausweis im Scheckkartenformat etwa entspricht diesen Bedingungen. Zudem müssen die Anbieter Ende-zu-Ende-Verschlüsselungstechnik anwenden und die Gespräche mit dem Kunden werden etwas ausführlicher, um die Angaben der Person auf Plausibilität prüfen zu können. "Es ist gut und richtig, dass die Hürden höher gelegt wurden", sagt Fintech-Experte André Bajorat. Das Video-Identverfahren ist inzwischen für viele Anbieter nicht mehr wegzudenken. Nur ein Beispiel: beim digitalen Vermögensverwalter Scalable Capital nutzt bereits die Hälfte aller Kunden die Video-Legitimation. "Die Nachfrage danach steigt an", sagt Gründer Florian Prucker. Denn schon jeder vierte Neukunde nutzt Scalable ausschließlich am Smartphone.
https://www.sueddeutsche.de/politik/haushaltsstreit-naechster-shutdown-us-regierung-muss-behoerden-schliessen-1.4264046
mlsum-de-603
Da es keine Einigung über einen Zwischenhaushalt gibt, kommt es zum Verwaltungsnotstand. Der dauert mindestens bis zum 27. Dezember - oder bis 2019.
Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr muss die US-Regierung in den Verwaltungsnotstand. Die Verhandlungen über einen Kompromiss zwischen dem Weißen Haus und den Parteiführern von Demokraten und Republikanern im Kongress scheiterten. Auch Beratungen zwischen Senat und Repräsentantenhaus brachten am Samstag keine Einigung. Wegeden der Weihnachtspause wird der sogenannte "Shutdown" damit mindestens bis zum 27. Dezember dauern. Er könnte sich aber auch bis ins neue Jahr ziehen. Bis Mitternacht Ortszeit - Samstagmorgen 6 Uhr deutscher Zeit - hätte der Etat für mehrere Bundesministerien beschlossen sein müssen. Dieser hätte ohnehin nur bis Anfang Februar gegolten, um mehr Zeit für grundsätzliche Verhandlungen zu bekommen. Nun geht Teilen der US-Regierung das Geld aus. Mitarbeiter werden in den Zwangsurlaub geschickt, einige Ämter, Ministerien und Behörden geschlossen. Trump hatte gefordert, dass im Haushaltsgesetz auch Geld für die von ihm seit langem geforderte Mauer an der Grenze zu Mexiko bereitgestellt wird. Andernfalls wollte er das Budget nicht unterschreiben - und ohne Unterschrift des Präsidenten gilt es nicht. Mit Ablauf der Frist tritt nun automatisch der Shutdown-Modus in Kraft. Weitere Verhandlungen hinter den Kulissen Dieses Mal ist das Ausmaß etwas kleiner, weil drei Viertel der Bundeseinrichtungen bereits im September für ein Jahr vorfinanziert wurden. Nicht betroffen sind deshalb Verteidigungs-, das Bildungs-, das Gesundheits- sowie das Arbeitsministerium. Der "Shutdown" stand bereits am frühen Washingtoner Abend fest, als beide Kammern kurz nacheinander ihre Sitzungen offiziell bendeten, ohne dass es zu einer Abstimmung gekommen war. Hinter den Kulissen verhandelten Parteispitzen und ein Regierungsteam noch bis in den späten Abend weiter. Die Verabschiedung eines möglichen Kompromisses wäre frühestens am Sonntag möglich. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass der "Shutdown" bis Anfang 2019 dauert. Grenzmauer zu Mexiko im Blickpunkt Grundsätzlich werden bei einem Verwaltungsnotstand wichtige Bereiche, die etwa für die Sicherheit im Land zuständig sind, aufrecht erhalten: zum Beispiel Polizei oder Grenzschutz. Dort müssen die Mitarbeiter zunächst ohne Gehalt Dienst tun. Das - noch - von Trumps Republikanern dominierte Repräsentantenhaus hatte am Donnerstag nach vielem Hin und Her eine Vorlage beschlossen, in der 5,7 Milliarden Dollar für eine Grenzmauer vorgesehen sind. Im Senat haben die Republikaner zwar ebenfalls eine Mehrheit von 52 Sitzen, die Demokraten verfügen dort allerdings über eine Sperrminorität. Trump hatte seinen Anhängern im Präsidentschaftswahlkampf eine Mauer an der Grenze zu Mexiko versprochen, eigentlich auf Kosten der Mexikaner. Für ihn ist es die vielleicht letzte Möglichkeit, sein zentrales Wahlkampfversprechen halbwegs zu verwirklichen - daher sein harter Kurs. Ab Januar wird das Repräsentantenhaus nämlich von den Demokraten dominiert. Eine Mehrheit für die Finanzierung einer Mauer erscheint dann erst recht nicht realistisch.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/spanien-airbus-400m-stuerzt-bei-sevilla-ab-mehrere-tote-1.2472562
mlsum-de-604
Ein Militärtransporter vom Typ Airbus A400M stürzt nahe der andalusischen Stadt Sevilla ab. Vier Menschen sterben, zwei überleben schwer verletzt. Die Bundeswehr reagiert und stoppt vorerst ihre Testflüge.
Airbus-Militärtransporter A400M stürzt ab Ein militärisches Transportflugzeug vom Typ Airbus A400M ist in Spanien abgestürzt. Dabei kamen vier Menschen ums Leben. Die Rettungsdienste bargen aus den Trümmern der Maschine zwei schwer verletzte Überlebende. Dies gab der Präfekt von Andalusien, Antonio Sanz in Sevilla bekannt. Das Unglück ereignete sich gut eineinhalb Kilometer nördlich des Flughafens San Pablo bei Sevilla. Dort werden die Transportflugzeuge montiert und getestet, ehe sie an die Luftstreitkräfte diverser Staaten übergeben werden. Bis zu zehn Menschen an Bord Accidente de un avión militar cerca del aeropuerto de Sevilla. En estos momentos seguimos trabajando en el lugar pic.twitter.com/Hho6c3EFDJ — BOMBEROS SEVILLA (@BOMBEROSSEVILLA) 9. Mai 2015 Die Maschine war zu einem Testflug gestartet. Zur Zahl der Opfer kursierten zunächst unterschiedliche Angaben. Die Unglücksursache ist noch unbekannt. Bei den Opfern handelt es sich um spanische Mitarbeiter von Airbus. "Wir können nicht genau sagen, was passiert ist", teilte Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy am Abend am Unglücksort mit. Bei der Aufklärung solle Transparenz herrschen, forderte Rajoy. "Das Beste ist, wenn die Verantwortlichen von Airbus der Öffentlichkeit berichten, was geschehen ist." Nach Angaben des Herstellers soll die Besatzung kurz vor dem Absturz noch einen Notruf abgesetzt haben. Das spanische Verkehrsministerium leitete eine Untersuchung ein. Die spanische Tageszeitung El Mundo berichtet, dass das Flugzeug eine Notlandung versucht habe. Allerdings stieß die Maschine dabei wohl auf eine Hochspannungsleitung, wodurch sie Feuer fing. Der Unfall habe sich wohl nahe einer Coca-Cola-Fabrik ereignet. Die Feuerwehr von Sevilla twitterte ein Bild, das große Trümmerteile auf einem Acker und eine Rauchwolke zeigt. Der Flughafen wurde vorrübergehend geschlossen. Ehrgeiziges Rüstungsprojekt Bei dem A400M-Militärflugzeug handelt es sich um eines der ehrgeizigsten Rüstungsprojekte in Europa. Mehrere Länder hatten vereinbart, 180 Maschinen zu kaufen, darunter auch Deutschland. Das abgestürzte Flugzeug hatte sich noch in der Testphase befunden. Das Flugzeug sei für das türkische Militär bestimmt gewesen, teilte der Hersteller Airbus Defense & Space mit. Pannen-Projekt der Bundeswehr Im vergangenen Dezember hatte Airbus den ersten von 53 bestellten Transportfliegern an die Bundeswehr ausgeliefert. Immer wieder traten Komplikationen bei Flugmanövern aus. Auch die Bundeswehr reagiert auf den Absturz: Sie setzt die nächsten Testflüge am A400M so lange aus, bis es genaue Angaben zur Absturzursache in Spanien gibt. Das entschied der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, nach Angaben eines Sprechers. Der erste A400M ist momentan noch in der Einsatzprüfung durch die Luftwaffe. Bereits vor dem Unglück in Spanien hatte die Bundeswehr noch erheblichen Nachbesserungsbedarf gesehen. Der Transporter soll frühestens in vier Jahren in den regulären Dienst genommen werden. Der A400M zählt zu den Pannen-Projekten der Bundeswehr. Die Entwicklung der Militärmaschine hatte sich um Jahre verzögert. Außerdem ist das Flugzeug teurer geworden als zunächst geplant. In südspanischen Sevilla werden die Transportflugzeuge montiert. 2010 war der Militär-Airbus in Sevilla zum Jungfernflug gestartet.
https://www.sueddeutsche.de/politik/asylpolitik-eines-der-schwierigsten-aemter-in-deutschland-1.2653848
mlsum-de-605
Frank-Jürgen Weise, der Chef der Arbeitsagentur, übernimmt auch die Asylbehörde. Immer mehr Flüchtlinge erreichen jetzt Kroatien.
Nur einen Tag nach dem Rücktritt seines bisherigen Chefs Manfred Schmidt hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen neuen Präsidenten: Frank-Jürgen Weise wird das zuletzt unter starker Kritik stehende Amt übernehmen - und gleichzeitig weiter an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit stehen. Weise werde beide Behörden in Personalunion leiten, teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag in Berlin mit. Der 63-jährige frühere Offizier und Unternehmensvorstand war erst vor ein paar Tagen zum Leiter eines Arbeitsstabes berufen worden, der die Zusammenarbeit von Bundesamt und Bundesagentur koordinieren sollte. Nun übernimmt er selbst "eines der schwierigsten Ämter, die die Bundesrepublik Deutschland zu vergeben hat", wie de Maizière sagte. Weises Vorgänger Schmidt hatte es tags zuvor "aus persönlichen Gründen" abgegeben. Das Bundesamt war zuletzt von den Ministerpräsidenten der Bundesländer harsch kritisiert worden. Vor allem die lange viel zu niedrigen Prognosen der Flüchtlingszahlen und die nach wie vor lange Dauer der Asylverfahren stoßen in den Landesregierungen auf zunehmenden Unmut. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen hat SPD-Chef Sigmar Gabriel vor einer Überforderung Deutschlands gewarnt. Deutschland könne "vielen Menschen eine neue Heimat bieten, aber nicht allen", sagte der Vizekanzler der Tageszeitung Bild. Wer aus Ländern komme, in denen es weder Krieg noch Verfolgung gebe, "muss unser Land wieder verlassen". Zehntausende Flüchtlinge versuchen weiter, über die sogenannte Balkanroute nach Mitteleuropa zu gelangen - und sehen sich angesichts der Abschottungspolitik etlicher Transitländer zusehends hin und her geschoben. An den Grenzen der Transitländer herrschten am Freitag mancherorts chaotische Zustände. Allein über die Grenze von Serbien nach Kroatien kamen in den vergangenen Tagen nach Angaben der kroatischen Polizei 17 000 Migranten - viele zu Fuß über Feldwege, nachdem die Behörden sieben der acht Grenzübergänge zu Serbien in der Nacht zu Freitag geschlossen hatten. Viele von ihnen wurden in Bussen nach Norden zur Grenze nach Ungarn gefahren. Etwa 8000 Flüchtlinge kamen am Freitag in der kroatischen Kleinstadt Beli Manastir zusammen. Ungarn ließ an der nahen Grenze Soldaten aufmarschieren und auch hier den Bau eines Grenzzauns beginnen. Dennoch kamen am Freitag mehr als 4000 Flüchtlinge ins Land, wie die ungarische Regierung mitteilte. Kroatiens Ministerpräsident Zoran Milanović hatte angekündigt, die Flüchtlinge nach Norden weiterreisen zu lassen. Slowenien setzte am Freitag den Bahnverkehr mit Kroatien aus, nachdem ein Zug mit Hunderten Flüchtlingen angekommen war. Regierungschef Miro Cerar hatte zunächst gesagt, sein Land werde keinen durchlassen, der die Bedingungen des Schengen-Raumes nicht erfülle. Am Freitagabend sagte Cerar allerdings, die Regierung erwäge die Einrichtung eines Korridors. Man werde sich dazu mit den betroffenen Ländern besprechen. Österreich behält sich nach Angaben des Innenministeriums vor, aus Ungarn kommende Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen, sollten sie nicht vorhaben, Asyl zu beantragen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/arbeitslosengeld-dreyer-will-aeltere-hartz-iv-empfaenger-schonen-1.3310829
mlsum-de-606
Nach dem Willen der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin sollen ältere Menschen mehr Erspartes behalten dürfen, wenn sie arbeitslos werden. Man könne 60-Jährige nicht mit 20-Jährigen gleichstellen.
Im Alter arbeitslos zu werden und plötzlich vor dem finanziellen Nichts zu stehen: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) will das künftig verhindern. Sie fordert eine Korrektur der Hartz-IV-Gesetzgebung zugunsten älterer Menschen. Das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger müsse in Zukunft stärker an die Lebensarbeitszeit gekoppelt werden, sagte sie dem Tagesspiegel. Viele Menschen hätten Angst, "vor dem finanziellen Absturz zu stehen, obwohl man ein Leben lang in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt hat", sagte Dreyer. Man dürfte deshalb Menschen, die 30 Jahre lang für ihr Erspartes gearbeitet hätten, nicht mit 20-Jährigen gleichstellen, die noch am Anfang ihres Berufslebens stünden. Wer heute arbeitslos wird, muss für seinen Lebensunterhalt zunächst einen Teil der eigenen Ersparnisse aufwenden. Allein ein sogenanntes Schonvermögen von maximal 10 000 Euro muss nicht angetastet werden, unabhängig von den geleisteten Arbeitsjahren. "Das halte ich für ein langes Erwerbsleben für zu wenig", so Dreyer. Es sei klar, dass viele Menschen den Verlust ihrer Ersparnisse als Abstieg und Bedrohung sähen, so die Ministerpräsidentin. Die SPD soll nach ihrer Ansicht mit dieser Forderung im kommenden Jahr auch in den Wahlkampf ziehen. Nur so könne man den Abstiegsängsten begegnen und den Menschen die Sicherheit geben, ihr "lebenslang erspartes Geld durch eine Phase der Arbeitslosigkeit nicht komplett zu verlieren". Ähnlich verhalte es sich mit dem Gesundheitssystem, so Dreyer. Die Menschen müssten sich darauf verlassen können, ihre Beiträge auch in Zukunft finanzieren zu können.
https://www.sueddeutsche.de/digital/speicherung-von-telefon-verbindungen-nsa-mitarbeiter-zweifelten-am-sinn-der-ueberwachung-1.2416392
mlsum-de-607
Hochrangige Geheimdienst-Mitarbeiter stellten intern den Nutzen der Telefon-Überwachung in Frage. Dann kam Edward Snowden - und die Bedenken waren vergessen. Doch jetzt könnten die damaligen Zweifel die Position der NSA schwächen.
Geheimdienst-Mitarbeiter stellten Überwachung in Frage Die anlasslose Überwachung von Telefongesprächen in den USA ist umstritten - offenbar sogar innerhalb der NSA. Die Nachrichtenagentur AP berichtet, dass hochrangige Mitarbeiter des Geheimdienstes intern darüber nachdachten, das Überwachungs-Programm einzustellen. Die Kosten stünden in keinem Vergleich zum möglichen Nutzen, die Erkenntnisse würden kaum dazu beitragen, Terroranschläge zu verhindern. Furcht vor der öffentlichen Empörung Anfang 2013 regten angeblich führende NSA-Mitarbeiter an, auf die umfassende Speicherung der Metadaten von Telefonverbindungen zu verzichten - nicht zuletzt, weil sie die öffentliche Empörung fürchteten, falls diese Praxis bekannt werden sollte. Wenig später geschah genau das: Im Juni 2013 veröffentlichte Edward Snowden seine Enthüllungen - und die abzusehende Empörung von Bürgerrechtlern, Juristen und Politikern folgte auf dem Fuße. Daraufhin schaltete die NSA in den Verteidigungsmodus und wies alle Kritik zurück: Die Überwachungsprogramme seien ein unerlässliches Mittel im Kampf gegen den Terrorismus. Von den internen Bedenken redete plötzlich niemand mehr. Sowohl im Kongress als auch in der Öffentlichkeit präsentierten sich NSA-Vertreter als vehemente Befürworter der Überwachung und beeinflussten so die Meinung vieler Amerikaner. Steigende Kosten, aber nur eine einzige Erfolgsmeldung Dabei gab es gute Gründe, auch als NSA-Mitarbeiter am Sinn des Programms zu zweifeln: Anscheinend wurde es immer teurer, die Metadaten aller Festnetzverbindungen zu speichern, die meisten Mobilfunkdaten wurden erst gar nicht erfasst. Im Gegenzug gab es genau einen einzigen Fall, in dem die Telefon-Überwachung zur Terrorbekämpfung beigetragen hat: 2013 wurde in San Diego ein Taxifahrer festgenommen, weil ihm nachgewiesen werden konnte, dass er in Kontakt zu einem somalischen Ableger von Al-Qaida hatte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass die NSA ein geheimes Programm still und leise beerdigt. Aus den Snowden-Leaks geht hervor, dass bereits 2011 entschieden wurde, die Überwachung von E-Mail-Metadaten einzuschränken. Auch damals spielten Kosten-Nutzen-Rechnungen die entscheidende Rolle; Experten gehen aber davon aus, dass die Verbindungsdaten der E-Mail-Kommunikation auch weiterhin erfasst werden. Das umstrittene Gesetz muss im Juni erneuert werden Der damalige NSA-Chef Keith Alexander gilt als Fürsprecher der Telefon-Überwachung und war anscheinend nicht über die Bedenken seiner Mitarbeiter informiert. Er hätte den Vorschlag, das Programm einzustellen, vermutlich zurückgewiesen. Trotzdem könnte der AP-Bericht den US-Kongress beeinflussen: Die Abgeordneten müssen im Juni darüber entscheiden, ob die dann auslaufende gesetzliche Grundlage für die Speicherung der Telefon-Verbindungen erneuert wird. Wenn selbst hochrangige NSA-Mitarbeiter das Programm in Frage stellten, bringt das womöglich auch einige Politiker zum Umdenken.
https://www.sueddeutsche.de/politik/donald-trump-vor-tv-debatte-die-mit-dem-schwein-ringen-1.2597505
mlsum-de-608
Unterhaltung und Politik verschmelzen, Donald Trump ist derzeit die zentrale Figur des US-Präsidentschaftsrennens. Wieso der Milliardär keine Eintagsfliege ist.
Donald Trump im Wahlkampf: "Vielleicht haben mich die Leute einfach einmal satt." Trump, Trump, Trump. Mit dem einfachsten aller Slogans wird der exzentrische Immobilien-Milliardär aus New York gefeiert, der seit Wochen an der Spitze der republikanischen Vorwahl-Umfragen steht. Anhänger rufen begeistert den Namen des 69-Jährigen, der diesen Sommer in den USA politisch bislang dominiert. Kaum ein Tag, an dem er nicht zu Wort kommt, knackige Zitate und Tweets oder unmögliche Provokationen liefert - oder die Medien ebenjene Auftritte kommentieren, analysieren, in ewiger Endlosschleife wiederholen. Trump ist Programm, oder, in den Kategorien des Jahres 2015: Trump liefert Content und der Content ist er selbst. Er ist der Kandidat mit bekanntem Gesicht, hohem Unterhaltungsfaktor und dem Willen, auf sämtliche Nuancen zu verzichten. Seine Reality-Show "The Apprentice" ("Der Lehrling") dreht sich noch um die Frage "Welchen Jungunternehmer wird er heute feuern?". Heute, im beginnenden Wahlkampf, heißt es eher: "Wie weit wird dieser Mann noch kommen?" "Ringe nie mit einem Schwein" In wenigen Stunden (um drei Uhr deutscher Zeit) beginnt bei Fox News die nächste Folge der Trump-Show. Das erste TV-Casting der Republikaner hat größtenteils die Prinzipien des Trumpismus übernommen, der Mann ist Hauptgarant für Quotenerfolg und lebhafte Debatten drumherum. Wie wird er sich schlagen? Überrascht er alle und ist plötzlich höflich? Wird er sich politisch selbst zerstören? Welche Kandidaten werden versuchen, über einen Schlagabtausch mit dem 69-Jährigen ins Rampenlicht zu kommen? "Ringe nie mit einem Schwein", riet ein Parteistratege bereits dem Konkurrenten Jeb Bush. "Du wirst schmutzig und außerdem gefällt es dem Schwein." Solche Sätze würzen nicht nur die Diskussionen um das Rennen der Kandidaten, sie zeigen auch, wie unangenehm vielen Republikanern Trump inzwischen ist.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eu-krisentreffen-zu-griechenland-quaelen-plagen-muehen-1.2529318
mlsum-de-609
Bisher ist rätselhaft, welche Fortschritte der Gipfel am Montag bringen könnte. Die Anwesenheitspflicht für die Chefs der Euro-Zone soll wohl heißen: endlich wie Erwachsene eine Lösung zu finden.
Donald Tusk hat als Ministerpräsident die Einführung des Euro in Polen einst ins Unbestimmte verschoben; und auch als EU-Ratspräsident ist er bisher nicht durch Interesse an der Währungsunion aufgefallen. Doch nun hat er sich am Donnerstagabend per Kopfdruck ins Bewusstsein der Euro-Strategen katapultiert. Um 19.43 Uhr ließ Tusk per E-Mail wissen, dass er Präsidenten, Premierminister und Kanzler der Euro-Zone für Montag, 19 Uhr, zu einem Krisen-Gipfel nach Brüssel bitte. Es sei Zeit, "dringend nötige Gespräche" über die Situation in Griechenland zu führen. Und zwar auf "höchster politische Ebene". Das heißt: Anwesenheitspflicht für 19 Chefs. Bemerkenswert ist nicht nur die Einladung selbst, sondern auch der Zeitpunkt, zu dem sie kam. Nämlich just in der Minute, in der in Luxemburg Jeroen Dijsselbloem, der Vorsitzende der Gruppe der Euro-Finanzminister, ungewohnt stotternd begann, über das Treffen der Minister zu Griechenland zu referieren. Dieses war überraschend nach weniger als zwei Stunden beendet worden. Dijsselbloem, so schien es, hatte Mühe, das verschweigen zu müssen, was er wusste. Varoufakis wiederholte nur die bekannten Positionen Die Inszenierung vom Donnerstagabend war eine weitere Folge auf dem Weg zum Finale der griechischen Tragödie, das spätestens am 30. Juni sein vorläufiges Ende finden wird. Dann muss die griechische Regierung einen Kredit an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Kommt sie dieser Verpflichtung nicht nach, wäre das ein formaler Verstoß gegen die gemeinsame Vereinbarung zwischen den Kreditgebern und Griechenland - die damit hinfällig würde. Zehn Tage haben die Euro-Strategen noch Zeit, um glaubwürdig zu versichern, dass sie alles tun, dieses schmutzige Finale zu verhindern. Dafür gibt es Voraussetzungen: Die Experten der Kreditgeber von Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und IWF einigen sich mit der griechischen Regierung auf einen Kompromiss, welche Haushaltsziele und Reformen geeignet und machbar sind, um dem Land wieder auf die Beine zu helfen. Im Gegenzug sichern sie die griechischen Banken und gewährleisten, dass Athen seine Kreditverpflichtungen zahlen kann. Nicht zu vergessen ist die Forderung der Regierung in Athen nach Erleichterung des Schuldendienstes. Weil sich die ministeriellen Unterhändler im Dickicht von Forderungen und Ansprüchen verirrt haben, will Tusk die Chefs am Montag nach Brüssel holen, damit sie einander in die Augen schauen und endlich einen Weg für die Unterhändler aufzeigen, der zum Kompromiss führt. Steffen Seibert, der Sprecher der Bundesregierung, beschrieb das Sondertreffen als "Gipfel der Beratung", was auf zweierlei Weise interpretiert werden kann. Einfach als ein weiteres Treffen, bei dem die Chefs beraten - und das bis zum 30. Juni beliebig wiederholt werden kann. Oder als eine Zusammenkunft, bei der die Staats- und Regierungschefs die entscheidenden Weichen stellen für einen folgenden Gipfel der Entscheidungen. Schäuble saß ein bisschen ratlos in Luxemburg Seibert ließ sich nicht auf größere Erklärungen ein, sondern verwies auf die generelle Regel, dass bei dem Treffen am Montag nur dann eine Entscheidung gefällt werden könne, wenn sich zuvor die Kreditgeber und Griechenland auf Zahlen und Daten verständigt hätten. "Wir brauchen alle drei Institutionen für eine Einigung." So sieht es auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der schon Montagmittag nach Brüssel reisen wird, weil die Finanzminister vor ihren Chefs zu einer Krisensitzung zusammenkommen werden. Was genau sie da beraten sollen, war am Freitag nicht zu erfahren. Schäuble saß ein bisschen ratlos in Luxemburg, wo die Ressortchefs zwei Tage getagt hatten, und wiederholte beinahe wörtlich, was Seibert kurz zuvor in Berlin gesagt hatte. "Wir können nichts entscheiden, wenn wir nicht einen Bericht der Institutionen vorliegen haben." Seinem Gesicht war nicht abzulesen, ob der Minister da gerade eine weitere Inszenierung über angebliches Nichtwissen abgeliefert hatte. Denn dass es nichts zu reden gibt, erscheint angesichts der Folgen, die beim Kollaps eines Euro-Landes drohen, kräftig untertrieben. Der IWF ist nicht so begeistert, als kriminell bezeichnet zu werden Am Vorabend jedenfalls hatten die Kollegen nicht lange mit dem griechischen Ressortchef Yanis Varoufakis geredet. Auch, weil Varoufakis lediglich wiederholte, was alle wissen. Er will einen Schuldenschnitt - oder zumindest eine Streckung der fälligen Zahlungen. Was auch bedeutet, dass es eine Konstante in diesem Drama gibt: die Haltung der Regierung in Athen. Darin hat sich in den vergangenen Monaten nichts verändert - oder wie Schäuble sagte: "Unerfreuliche Situationen werden durch Wiederholung nicht erfreulicher." Es gehe weiter um Fragen, "die uns quälen, plagen, mühen". Er gebe sich Mühe, "kein Öl in irgendwas zu gießen". IWF-Chefin Christine Lagarde schien eher ungehalten zu sein über die vielen Spielchen der vergangenen Wochen. In der Sitzung am Donnerstag sagte sie, der IWF sei Kritik gewohnt, sie sei aber nicht begeistert, von griechischer Seite als kriminelle Organisation bezeichnet zu werden. "Meiner Meinung nach ist es das Dringendste, wieder zu einem Dialog mit Erwachsenen im Raum zu kommen." Am Montag ist die nächste Gelegenheit dazu.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tarifstreit-lufthansa-und-piloten-einigen-sich-in-allen-punkten-1.3420353
mlsum-de-610
Nach jahrelangen Tarifverhandlungen haben Lufthansa und die Piloten eine Einigung erzielt. Streiks sind damit nicht mehr zu erwarten - zumindest bis 2022.
Lufthansa und Piloten einigen sich in allen Punkten Die Lufthansa hat sich mit der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) geeinigt: Sämtliche tarifpolitischen Streitpunkte in dem Konflikt sind beigelegt. Die Auseinandersetzung hatte bislang zu 14 Pilotenstreiks geführt. Die Regelungen betreffen auch Lufthansa Cargo und Germanwings. Die Vereinbarungen unter anderem zu Gehältern und Betriebsrenten sollen bis Juni 2022 gelten. Dabei akzeptieren die Piloten beispielsweise die Umstellung der Betriebsrenten auf Festbeiträge. Bislang hatte die Fluggesellschaft die absolute Höhe der Zahlungen garantiert und damit das Zinsrisiko übernommen. Langfristiger Tariffriede Die Neuregelung wirke sich im Geschäftsjahr 2017 einmalig entlastend auf die Bilanz aus - "mit einem hohen dreistelligen Millionen-Euro-Betrag", teilte das Unternehmen mit. Zudem werden die Gehälter um insgesamt 11,4 Prozent erhöht und es gibt eine Einmalzahlung von 1,8 Monatsgehältern. Das gilt für die Laufzeit von Mai 2012 bis Juni 2022. Beide Seiten streben damit einen "langfristigen Tariffrieden" an. Die Pilotengewerkschaft erklärte, die Einigung auf die "Gesamtlösung" ermögliche der Lufthansa "strukturell nachhaltig verbesserte Cockpitpersonalkosten". Im Gegenzug verpflichte sich das Unternehmen, die Arbeitsplätze der Piloten zu schützen und Karrieremöglichkeiten zu schaffen. Lufthansa garantiert den rund 5400 Konzernpiloten, dass zu diesen Bedingungen bis Mitte 2022 mindestens 325 Jets betrieben werden. Damit würden 600 Stellen für Kapitänsanwärter geschaffen und rund 700 Nachwuchsflugzeugführer könnten eingestellt werden. Zuvor hatten Lufthansa und die Piloten eine erste Teillösung erreicht, die nun von der Einigung zum Gehalt mit einer längeren Laufzeit ersetzt wird. Die Urabstimmung zur Schlichtung müsse aus formellen Gründen noch abgeschlossen werden, sagte ein VC-Sprecher. Die Gewerkschaft gehe aber davon aus, die neuen Verträge bis Mitte des Jahres unter Dach und Fach zu bringen.
https://www.sueddeutsche.de/sport/fc-bayern-muenchen-badstubers-letztes-comeback-1.3224891
mlsum-de-611
Im Pokalspiel gegen Augsburg wird der Bayern-Verteidiger nach 259 Tagen Pause kurz vor Schluss eingewechselt. Ein Moment im Stadion, der jeden berührt.
Als Holger Badstuber am Mittwochabend gerade sein Inneres nach außen kehrte, vergrub Mario Götze hinter ihm sein Gesicht in seinen Händen - der Dortmunder hatte in der Verlängerung gegen den 1. FC Union Berlin einen Freistoß nicht nur über die Mauer, sondern auch weit über das Tor gezirkelt. Badstuber interessierte sich nicht für das Spiel, das in seinem Rücken über den Bildschirm flimmerte. In diesem Moment wurde einmal mehr deutlich, dass eine vergebene Chance so klein und nichtig ist, wenn man die Leiden eines Fußballers wie Holger Badstuber kennt. Eines Fußballers, der in den vergangenen Monaten und Jahren mehr Zeit in Rehabilitationszentren und Arztpraxen verbracht hat, als auf dem Rasen, der für ihn die Welt bedeutet. Eifrige Statistiker haben herausgefunden, dass der 27-jährige Badstuber fast die komplette und drei Jahre andauernde Ära von Pep Guardiola beim FC Bayern wegen verschiedenster Verletzungen verpasst hat, nur in 25 von 161 möglichen Spielen wirkte er mit. Badstuber kommt seit 2012 auf mittlerweile mehr als 1000 Ausfalltage. Zuletzt hatte ihn eine komplizierte Knöchelverletzung samt Operation vom Sport befreit. Badstubers Haare werden dünner, während seine Krankenakte dicker wird Am Mittwochabend kehrte er nun nach 259 Tagen im Pokalspiel gegen den FC Augsburg (3:1) in den letzten zehn Minuten wieder auf den Platz zurück. Es war ein Moment im Stadion, der jeden berührte, "der den Fußball liebt", wie es Bayern-Kapitän Philipp Lahm ausdrückte. Schon als Cheftrainer Carlo Ancelotti Badstuber zum Warmmachen schickte, brandete in der Arena ein Jubel auf, als hätte der FC Bayern gerade seine 27. Meisterschaft gewonnen. "Das geht natürlich unter die Haut, und so etwas vergisst man auch nicht", gestand Badstuber hinterher. Der gebürtige Allgäuer ist einer der beliebtesten Spieler beim FC Bayern - "und jeder wünscht ihm, dass er mal über einen längeren Zeitraum hinweg ohne Verletzung bleibt", sagte sein Verteidigerkollege Mats Hummels. Die Haare auf Badstubers Kopf sind dünner geworden, seine Krankenakte dagegen ist stetig angewachsen, auf die Dicke der Bibel. Aber sonderlich zu beeindrucken scheint ihn das nicht, zumindest nicht nach außen. Er gibt sich weiter so kämpferisch und klar, wie er Fußball spielt. Und doch überraschte er mit einem Satz, der aufhorchen ließ. "Heute ist das letzte Mal gewesen, dass ich zurückkomme, das habe ich für mich beschlossen", sagte Badstuber. "Ich kenne mich und meinen Körper" Will er wirklich aufhören und alles hinschmeißen bei der nächsten größeren Verletzung? Nein, beschwichtigte er und schüttelte den Kopf. "Ich arbeite nur daran, dass ich dauerhaft auf dem Platz stehen und die Mannschaft unterstützen kann." Genauer darauf eingehen wollte er nicht, er blieb im Ungefähren. Er sagte lediglich, dass er einen Weg für sich gefunden habe. "Ich kenne mich und meinen Körper und arbeite nun daran, auf meine Signale besser zu hören und an meinen Defiziten zu arbeiten." Holger Badstuber hat nach zwei Kreuzbrandrissen und anderen größeren und kleineren Blessuren schon eine gewisse Übung darin, sich in den Alltag zurückkämpfen zu müssen. Er kennt das Prozedere nach einer Verletzung, das Ruhigstellen, das Humpeln mit und ohne Krücken, die Einheiten in der Rehabilitation, das Alleinsein, die guten Tage, die schlechten Tage, das Gefühl im Training wieder erstmals den Rasen riechen und sanft gegen den Ball treten zu dürfen. Er hat die ganze Plackerei mal wieder durchgestanden. Wieder einmal. Anders war diesmal, dass er sich mehr Zeit genommen hat als früher. Auf der USA-Tour hatte er Ende Juli gegen den AC Mailand schon wieder knapp eine halbe Stunde gespielt. Doch überstürzte er seine Rückkehr in den Pflichtspielbetrieb nicht, er gönnte sich weitere Pausen und Ruhe. "Ich habe mittlerweile ein gutes Gefühl für meinen Körper und meine Situation", findet Badstuber selbst. Auch er ist ja nur ein Mensch, der psychische und physische Grenzen nicht ewig überschreiten kann. "Ich bin zuversichtlich", sagte er am Ende noch, "dass ich jetzt dauerhaft gesund bleibe."
https://www.sueddeutsche.de/reise/ausruestung-leichter-laenger-ruhiger-1.2721736
mlsum-de-612
Die Zeiten der extrem kurzen Ski sind vorbei. Die Hersteller bauen wieder längere Bretter mit Graphen und leichten Hölzern im Kern. Und die Skistiefel werden bequemer.
Glaubt man dem gerne zitierten Wetterpropheten Sepp Haslinger (73) aus Benediktbeuern wird es heuer einen Jahrhundertwinter geben: lang, kalt und schneereich, bis Ostern, also Ende März. Eine frohe Botschaft für die im Vorjahr arg gebeutelte Ski-Industrie, für deren Geschmack die Pisten mal wieder viel zu lange grün statt schneeweiß waren. Der Weltcup-Auftakt der Profis am Ötztaler Rettenbachferner zu Sölden geriet jedenfalls schon mal zu einer Pracht in Weiß - ein Start, der Lust macht auf mehr. Und das am besten mit dem neuesten, in diesem Jahr vor allem deutlich leichteren Equipment unter und an den Füßen. Kork in den Skischuhen dämpft an wichtigen Stellen - wie am Knöchel Warum also nicht mal die Ausrüstung der Profis ausprobieren? Skifahren wie Felix Neureuther - das würde schließlich jeder gerne können. Und so hat dessen Ausrüster Nordica gemeinsam mit Deutschlands bestem Skifahrer einen Skischuh für sportlich-ambitionierte Skifahrer entwickelt, sozusagen einen Skistiefel mit "bequemer" Weltcup-Technologie. Während sich die Profis in speziell gefertigte Modelle zwängen, die etwa zwei Größen unter ihrer normalen Schuhgröße liegen, profitiert der Otto Normalfahrer beim Modell Dobermann GP vom anpassbaren Naturmaterial Kork. Bei der sogenannten Cork Fit Technology sitzen an den entscheidenden Stellen im Schuh spezielle Polster aus Naturkork-Granulat und Paraffin. Der Innenschuh wird erhitzt und schmiegt sich so genau an den Fuß an, was die Passform verbessert und die Steuerpräzision erhöht. Außerdem verfügt Kork über gute Dämpfungseigenschaften, gerade an so sensiblen Stellen wie den Knöcheln. So arbeitet der Skischuh als Steuerzentrale des Skifahrers nicht nur präziser, sondern ist auch endlich mal angenehmer zu tragen. Detailansicht öffnen Der Indigo 180° Visor schaut wie Star-Wars-Verkleidung aus. Der Rundblick soll gut sein. (Foto: Indigo) Bei den klassischen Alpin-Skiern, die generell wieder länger und somit laufruhiger werden, hat sich der Straubinger Hersteller Völkl etwas Neues einfallen lassen, und zwar im Bereich Schwingungsdämpfung. Das vorne an der Schaufel des Skis sitzende System UVO dämpft störende Vibrationen und Schläge, die durch unterschiedliche Pistenverhältnisse entstehen können. Dadurch läuft der Ski ruhiger und garantiert besseren Kantengriff. Montiert ist dieses Dämpfungssystem beispielsweise auf dem neuen RTM 86, einem Modell der Völkl All Mountain Linie, der auf Vielseitigkeit getrimmt ist und vor allem bei wechselhaften Verhältnissen überzeugt. Skifahrer, die früher viel und sportlich gefahren sind, aber nun nur noch ein paar Tage im Jahr auf die Piste streben oder gerade aus der Reha kommen, die Knie- oder Hüftprobleme haben oder zur älteren Generation gehören, sind besser bei der Efficient Linie der Straubinger aufgehoben. Diese Ski sind spielerischer zu fahren und leichter zu drehen als die Standard-Alpin-Modelle, aber sportlich kann man mit ihnen dennoch unterwegs sein, quasi mit einem klassischen "Racetiger" samt Komfortpaket. Die Kollegen von Head setzen dagegen auf Graphen, eins der leichtesten, stärksten und dünnsten Materialien überhaupt, das auch in Tennisschlägern verarbeitet wird. In den neuen Head-Kollektionen Monster und Instinct sorgt die Technologie für bessere Reaktionsfähigkeit, Balance und Kontrolle. Gängige Materialien wie Holz oder Fasern werden reduziert und stattdessen zusätzliche Aluminiumlegierungen verwendet, die den Ski besonders reaktionsfähig machen. Detailansicht öffnen Spitzengeheimnis: Die Dämpfung ganz vorne im Völkl-Ski. (Foto: Völkl) Mit einem der leichtesten Pistenski startet Fischer in den Winter. Sein Holzkern ist um die 25 Prozent leichter als sein Vorgänger. Wer es bei den Brettern lieber stilvoll mag, wird beim Münchner Hersteller Indigo fündig. Der hat in wenigen Jahren schon zig Designpreise eingeheimst und mit dem ACR ein Modell auf dem Markt, das durch das schnöde Wechseln der Ski von rechts auf links die Fahreigenschaften ändert: Drehsteifes Carbon auf der Innenseite für extrem sportliches Fahren, Glaslaminat auf der Außenseite für kraftsparendes Fahren. Und für die perfekte Rundumsicht gibt es dazu die futuristische, extrabreite Skibrille "180° Visor". Skitourengeher können auf die ultimative Bindung hoffen. Noch fehlt dem Entwickler Geld Bei den Frauen-Modellen wartet die Belle-Serie von Nordica mit Skikernen aus verleimtem Balsaholz auf, dem leichtesten aller Harthölzer. Der Vorteil: Man braucht weniger Kraft und die Schwungauslösung funktioniert dynamischer. Bei den Bindungen ragt die extrabreite "Marker iPT Wideride XL" heraus: 40 Prozent breiter als ihr Vorgängermodell, was eine noch bessere, verlustfreie Kraftübertragung auf den Ski garantieren soll. Detailansicht öffnen Indigo ACR - das sind zwei Paar Ski in einem. Einfach den linken gegen den rechten Ski tauschen, und schon fährt es sich anders. (Foto: Indigo) Auch Tourengeher und Freerider können sich auf eine innovative Bindung freuen, und zwar über eine, die so neu ist, dass sie noch gar nicht auf dem Markt ist, sondern erst per Crowdfunding die Serienreife anstrebt. Die Rede ist von der "Pindung" aus dem Hause B.A.M. (Bavarian Alpine Manifest), einer Neuentwicklung "Made in Bavaria" (Dietramszell), bei der die Vorteile einer sogenannten Pin-Bindung mit dem Komfort und der Sicherheit einer alpinen Sicherheitsbindung mit einstellbaren Auslösewerten kombiniert werden. Die Klammern (Pins) werden am Vorderbacken nur im Aufstiegsmodus verwendet. Für die Abfahrt wird die Bindung mit einem Handgriff am Vorderbacken in die Abfahrtsposition geschoben und zur Sicherheitsbindung samt TÜV-zertifiziertem Z-Wert (angestrebter Wert: 6 bis 14) umfunktioniert. Ein Konzept, das es so in dieser Form bislang noch nicht gibt - und das auch erst Realität wird, wenn die "eierlegende Wollmilchsau" (Zitat Hersteller) bis 7. Dezember genügend Unterstützer findet. Mindestens 40 000 Euro müssen per Crowdfunding zusammenkommen, damit eine erste kleine Serienproduktion für weitere Produkttests finanziert werden kann. Ansonsten werden auch bei den Tourengehern und Freeridern die Skier immer leichter: Teilweise liegt das Gewicht schon bei unter einem Kilo pro Ski. Auch in diesem, in den vergangenen Jahren boomenden, Bereich werden nun immer öfter Balsa- und Paulownia-Holzkerne verwendet sowie extrem stabile Titanal- und Carbon-Mixturen, die aus der Raumfahrttechnologie stammen. Vom Himmel fehlt jetzt nur noch der Schnee. Und wenn wirklich so viel fällt wie der Wetterprophet angekündigt hat, muss man sich auch nicht sorgen, falls mal ein Ski im Tiefschnee verloren geht. Per SkiTracer, einem kleinen Aufbau, der auf die Ski montiert wird, kann der vermisste Ski per Smartphone und App geortet werden.
https://www.sueddeutsche.de/digital/spam-jubilaeum-40-jahre-unerwuenschte-mails-1.3965584
mlsum-de-613
Am 3. Mai 1978 wurde die erste Spam-Mail verschickt. Der Absender behauptet, sie habe ihm zwölf Millionen Dollar eingebracht.
Gary Thuerk verdiente mit einer einzigen Spam-Mail mehr als zwölf Millionen Dollar. Davon können die vermeintlichen nigerianischen Prinzen, die falschen Mitarbeiter von Amazon oder die "heißen Singles in Ihrer Umgebung" nur träumen, deren Nachrichten jeden Tag millionenfach in den Postfächern der Nutzer landen. Thuerk hatte Erfolg, weil er der Erste war, der eine Spam-Mail schrieb. Der Marketing-Experte verschickte sie vor 40 Jahren, am 3. Mai 1978. Spam muss nicht gleich Betrug bedeuten: Eigentlich sind damit nur massenhaft unerwünschte Mails gemeint. Mit der ersten Spam-Mail wollte Thuerk keine dubiosen Pillen verschachern oder an die Passwörter der Empfänger kommen wie Online-Kriminelle heute. Er wollte Computer verkaufen. In Großbuchstaben pries er die Vorteile der neusten Decsystem-20-Computer an, hergestellt von der mittlerweile nicht mehr existierenden Firma Digital Equipment Corporation. Außerdem lud er die Empfänger zu zwei Präsentationen der Produkte nach Kalifornien ein. Thuerk nutzte für seine Mail das Arpanet, einen Vorläufer des Internets. Über das Arpanet waren hauptsächlich Universitäten und die dortigen Netzwerk- und Computer-Experten miteinander verbunden. Genau die passende Zielgruppe für Thuerk. Adressen aus einem Buch In einem Videointerview beschreibt der Marketing-Experte, wie er mit einem gelben Marker die Mailadressen von möglichen Kunden an der amerikanischen Westküste kennzeichnete. Damals passten die etwa 2600 Teilnehmer des Arpanets und ihre E-Mail-Adressen noch in ein einzelnes, gedrucktes Verzeichnis, das als Telefonbuch für das noch kleine Netz fungierte. Anschließend tippte ein Ingenieurskollege von Thuerk die Adressen in den Computer, während dieser an der Formulierung der Mail arbeitete. Sie sollte an 593 Empfänger gehen, erreichte aber im ersten Anlauf nur 320. Mit mehr Adressen auf einmal konnte das Mailprogramm nicht umgehen. Thuerk und sein Kollege bemerkten den Fehler und schickten die Werbemail in einer zweiten Welle an die restlichen Adressen. Erste Spam-Mail, sofortige Beschwerden Wegen Thuerk mussten sich schon die Computerpioniere mit Spam herumschlagen. Unter den Empfängern war zum Beispiel Douglas C. Engelbart, der 2013 verstorbene Erfinder der Computermaus. Und schon damals kam die unerwünschte Werbemail nicht gut an. Im Gespräch mit einem Journalisten der amerikanischen Zeitschrift Computerworld erzählt Thuerk von der Beschwerde eines Mitarbeiters der Universität von Utah: Die Mail hätte sein System lahmgelegt, da sie den restlichen Speicherplatz des Computers aufgebraucht habe. "Fast sofort kamen Beschwerden", sagt Thuerk. Auch ein Vertreter des Arpanets habe ihn später angerufen. Thuerk musste ihm versprechen, so etwas nie wieder zu tun. Weitere Nachrichten von betroffenen Arpanet-Nutzern sind auf der Webseite des Software-Entwicklers Brad Templeton zu finden. Thuerks Werbemail hatte trotzdem Erfolg: Jeweils 20 Menschen kamen zu den beworbenen Computer-Präsentationen und er konnte nach eigenen Angaben Verkäufe im Wert von mehr als zwölf Millionen Dollar abschließen. Spam, Ei, Spam, Spam, Bacon und Spam Damit ist Thuerk als erster Spammer in die Internet-Geschichte eingegangen, auch wenn der Name Spam erst später aufkam. 1993 verwendete ein Nutzer eines Usenet-Forums wohl zum ersten Mal den Begriff Spam, um damit massenhafte unerwünschte Nachrichten zu beschreiben. Und Schuld daran haben vermutlich die britischen Komiker der Gruppe "Monty Python", die ein Dosenfleisch der Marke "Spam" in einen ihrer Sketche aufnahmen. In dem Sketch von 1970 taucht Spam massenhaft auf der Karte eines Restaurants auf, zur Auswahl stehen unter anderem Ei und Spam; Spam, Ei, Spam, Spam, Bacon und Spam oder Spam, Würstchen, Spam, Spam, Bacon, Spam, Tomate und Spam. Während die Kellnerin die Spam-Karte vorliest und mit Gästen über Spam diskutiert, nerven die anwesenden Wikinger immer wieder mit einem Spam-Song, der eigentlich nur aus dem Wort Spam besteht und zwischendurch den lovely Spam und wonderful Spam würdigt. Hintermänner werden fast nie entdeckt Die erste Spam-Mail mag 40 Jahr alt sein und das Wort auf einem 48 Jahre alten Sketch basieren, aber die nervigen Nachrichten füllen bis heute jedes Postfach. E-Mail-Anbieter versuchen sie möglichst früh zu erkennen und in einen eigenen abgeschirmten Bereich zu verfrachten, den Spam-Ordner. Google warnt Nutzer seines Mailprogramms Gmail seit Kurzem mit großen weißen Buchstaben auf einem roten Balken, wenn die Schutzsysteme eine Mail für verdächtig halten. Allerdings werden Spam-Mails wohl so schnell nicht verschwinden. Technisch gesehen ist es recht einfach, massenhaft Mails zu versenden und auf diese Weise dubiose Online-Casinos anzupreisen oder zu versuchen, an Passwörter zu gelangen. Die Hintermänner werden fast nie entdeckt. Das war im 2600 Nutzer starken Arpanet noch anders: Jeder wusste, dass die aufdringliche Werbemail von Gary Thuerk kam.
https://www.sueddeutsche.de/sport/transfers-fc-bayern-stellt-toni-und-ribery-vor-1.736063
mlsum-de-614
Uli Hoeneß ist stolz: Zwei "Weltstars" in München. Die beiden Nationalspieler unterschreiben Vierjahres-Verträge bei den Bayern.
Mit großem Brimborium hat Bayern München das teuerste Investment-Paket der Vereinsgeschichte der Öffentlichkeit vorgestellt. Neben dem italienischen Torjäger Luca Toni, für den elf Millionen Euro Ablöse und ein Gehalt von angeblich fünf Millionen Euro netto pro Jahr fällig werden, präsentierte der deutsche Rekordmeister auch den kurzerhand eingeflogenen Franzosen Franck Ribery. Der 24 Jahre alte Nationalspieler, für die Ablöse von 25 Millionen Euro von Olympique Marseille verpflichtet, soll rund vier Millionen Euro netto Jahresgehalt bekommen. Beide Spieler unterschrieben Vierjahres-Verträge. Detailansicht öffnen Zwei neue und ein alter Bayer: Luca Toni (links), Franck Ribery und Uli Hoeneß. (Foto: Foto: Reuters) 57 Millionen Euro allein für Ablösesummen sind schon ausgegeben Vor 13 Kamerateams und rund 50 Medienvertretern wurden Weltmeister Toni sowie Vizeweltmeister Ribery Trikots mit der Rückennummer "9" sowie 7" überreicht, und Bayern-Manager Uli Hoeneß betonte: "Wir sind stolz, dass es uns gelungen ist, zwei Weltstars nach München zu holen." Zugleich erklärte er, dass mit den sechs feststehenden Neuzugängen, der fast sicheren Rückkehr von Ze Roberto und dem angestrebten vorzeitigen Transfer von Nationalstürmer Miroslav Klose, der schon vor dem feststehenden Wechsel 2008 nach München kommen soll, "unsere Einkauspolitik" beendet ist. Summen wollte Hoeneß weder dementieren noch bestätigen, sagte aber: "Wir haben unsere Schatulle aufgemacht." Ein Eigenkapital von 159 Millionen Euro und eine freie Liquididät von knapp 95 Millionen Euro hatte der FC Bayern zum Ende des Geschäftsjahres 2005/2006 ausgewiesen - auch in der abgelaufenen Saison soll Gewinn gemacht worden sein. Ein Großteil des Geldes ist nun verplant, für Ablösen und Gehälter. Für die Superstars Toni und Ribery, außerdem für die Neuzugänge Marcell Jansen, Jose Ernesto Sosa (beide zehn Millionen Euro Ablöse), Jan Schlaudraff (eine Million), der jetzt erst einmal verletzt ausfällt (Bandscheibenoperation), Hamit Altintop (ablösefrei) und aller Voraussicht nach Ze Roberto: Er soll einen Zweijahresvertrag erhalten, noch sind aber Details zu klären. Unter anderem soll der Brasilianer auf Einsätze in der Nationalmannschaft verzichten. 57 Millionen Euro allein für Ablösesummen sind schon ausgegeben, 26 Millionen Euro kommen jedoch durch den Verkauf von Owen Hargreaves an Manchester auch wieder herein. Bleibt noch Spielraum für einen weiteren Transfer. Klose, der 2008 auf jeden Fall ohne Ablöse nach München kommen wird, ist den Bayern bei einem angestrebten vorzeitigen Wechsel wohl 10 Millionen wert. "Wir haben selbstverständlich noch Geld", versicherte Vorstandsmitglied und "Finanzminister" Karl Hopfner mit einem Schmunzeln: "Für genau solche Situation haben wir Geld zurückgelegt." Eventuelle Verkäufe von Roy Makaay und Roque Santa Cruz könnten weitere Einnahmen bringen. "Wir haben gesagt, wir wollen die Mannschaft nach dem schwierigen abgelaufenen Jahr namhaft verstärken, dafür haben wir gewisse Regeln, die wir in den vergangenen 20 Jahren aufgestellt haben, gebrochen", sagte Hoeneß zu den Investitionen. Zugleich bat er um ein wenig Geduld für den neuen Kader: "Wir haben den Mund sehr voll genommen", räumte er ein, stellte aber auch klar: "Sicher wird es einige Zeit brauchen, bis sich die Mannschaft gefunden hat. Aber wir sind guter Dinge, dass es mit der Qualität des Kaders gelingen wird, unsere Ziele zu erreichen." Weltmeister Toni gab schon mal die Richtung vor: "In den nächsten Jahren wird hier sicher Großes passieren."
https://www.sueddeutsche.de/politik/strategie-die-zweite-front-1.3016969
mlsum-de-615
Es gibt eine Erklärung, warum der IS jetzt gezielt in Europa zuschlägt: Seine zunehmende Schwäche in Syrien und im Irak.
Als die Männer mit den langen Bärten und den schwarzen Fahnen auf ihren Jeeps und Pick-up-Trucks am Stadtrand auftauchten, liefen die irakischen Soldaten gleich in Scharen davon: Der "Islamische Staat" (IS) nahm die nordirakische Metropole Mossul im Juni 2014 im Handumdrehen ein. Kurz darauf rief IS-Führer Abu Bakr al-Bagadi in der Moschee von der Predigerkanzel aus das "Kalifat" aus. Die syrisch-irakische Terrormiliz gründete damit ihren eigenen Gottesstaat; er reicht bis heute vom Norden des Irak bis tief in den Osten des Nachbarlandes Syrien. Die sunnitische Organisation, die selbst aus einem irakischen Al-Qaida-Ableger hervorgegangen war, unterschied sich damit fundamental von Osama bin Ladens al-Qaida als Mutter aller islamistischen Terrorgruppen. Anders als al-Qaida, die erst den Sieg im weltweiten Terrorkrieg und vor allem gegen die Herrscher der islamischen Welt erringen will, war dem IS von Anfang an die Kontrolle eines fest umrissenen Territoriums wichtig , mit einem regelrechten Staatswesen samt Justiz und Steuersystem und, wie zu Zeiten der islamischen Blüte, unter Führung eines Kalifen. Der Anspruch, die Weltgeschichte zurückzudrehen, findet sich deshalb schon im Namen: Islamischer Staat. Wegen ihrer zunehmenden militärischen Schwäche will die Terrormiliz jetzt zuschlagen 2014 schien der Siegeszug der Kalifatskrieger unaufhaltbar zu sein. Nachbarstaaten wie Jordanien, Saudi-Arabien oder Libanon sahen ihre Grenzen schon von den IS-Truppen bedroht, während die Propagandisten des Kalifen im Internet prahlten, sie würden bald Rom, die Hauptstadt der verhassten Kreuzfahrerreligion, erobern und die Christen dort erschlagen. Nichts davon ist wahr geworden. Der Widerstand der irakischen und syrischen Kurden und vor allem der koordiniert geführte Luftkrieg einer arabisch-westlichen Allianz unter US-Führung hat den Vormarsch der Radikal-Islamisten im Irak gestoppt. Auch in Syrien geraten die IS-Truppen unter Druck, der Angriff auf ihre Hauptstadt Raqqa in Syrien wird ebenso geplant wie eine Attacke auf das irakische Mossul. Trotz oder gerade wegen seiner zunehmenden militärischen Schwäche hat der IS längst eine zweite Front eröffnet: in Europa. Der Pariser Terroranschlag gegen die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo Anfang 2015, das Massaker an Restaurantbesuchern und Konzertgängern ebenfalls in der französischen Hauptstadt im November darauf und der Brüsseler Terrorangriff auf Flughafen und U-Bahn im März 2016 - stets waren die Täter mit dem IS verbunden. Einige waren nachweisbar in den syrisch-irakischen IS-Trainingslagern ausgebildet worden, hatten dort oft selbst gekämpft und liefen nach der Rückkehr nach Europa bei der Planung ihrer Attacken an der langen Leine der Kalifats-Ideologen. "Der sogenannte Islamische Staat ist in Syrien und im Irak geschwächt", hat BKA-Präsident Holger Münch jüngst analysiert. "Damit steht die Terrorgruppe unter Druck und braucht spektakuläre Aktionen, um Aufmerksamkeit zu erregen und Macht zu demonstrieren." Genau dies lässt sich am einfachsten mit Anschlägen in europäischen Staaten erreichen. Denn die IS-Bombenattentate im Irak oder in Syrien selbst sind inzwischen so alltäglich geworden, dass sie keine Schlagzeilen mehr machen.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/del-bergeweise-knabberzeug-1.2398901
mlsum-de-616
Nach dem Aus gegen Wolfsburg steht der EHC München vor der Aufarbeitung einer missratenen Saison - und vor wichtigen Personalentscheidungen
Wie es Brauch ist unter Eishockeyspielern, hat Yannic Seidenberg, Nationalstürmer in Diensten des EHC München, zum Playoff-Start seinen Rasierer zur Seite gelegt, und zwar "in die hinterste Ecke". Der Plan war ja, ins Finale vorzustoßen. Acht Tage nach Beginn der Viertelfinalserien hat Seidenbergs Gesichtsbehaarung bereits respektables Volumen erreicht. Allerdings darf er seinen Bart früher als erwartet jetzt schon wieder abnehmen. Der EHC ist nach einem 0:4 in der Best-of-seven-Serie gegen Wolfsburg ausgeschieden. Eine Playoff-Bilanz. Der Coach Irgendwann am Dienstag, als Wolfsburg kurz davor war, das 4:1 zu machen, wirkte Don Jackson tiefenentspannt. Beim Gespräch mit seinem Assistenten Matt McIlvane schien dem frisch rasierten Cheftrainer - Jackson hält anscheinend nicht so viel vom Playoff-Kult - sogar ein Lächeln über das Gesicht zu huschen. Anzeichen von Resignation? Oder wollte er seinem Team, für das er sich zuvor mehrfach vehement bei den Schiedsrichtern eingesetzt hatte, Ruhe vermitteln? Jackson, fünf Mal DEL-Meister, der mit den Eisbären Berlin 14 von 15 Playoff-Serien gewann, hatte sich nach Spiel drei sogar selbst in Frage gestellt, als er rätselte, ob er es sei, der "die Jungs nervös macht". Zuvor hatte er seine Reihen wild durcheinandergewürfelt. In den Schlussphasen der letzten drei Partien versuchte er es mit seinem Lieblings-Instrument: Torhüter runter, sechster Feldspieler rauf. Das führte zweimal zu Toren, reichte in beiden Fällen aber nicht mehr zum Ausgleich. Über Wolfsburg sagte er: "Sie hatten einen guten Plan." Der Kader Die Münchner Verteidiger gingen selten so konsequent und robust zur Sache wie etwa Wolfsburgs Jeff Likens. Daryl Boyle, der in der Vorrunde mit präzisen Pässen das Münchner Aufbau- und Überzahlspiel lenkte, fiel in den Playoffs durch Körperlosigkeit und Schnelligkeitsdefizite auf. Richie Regehr, Scharfschütze von der blauen Linie, nahm dem bis dahin erstmals couragiert auftretenden EHC mit seinem völlig unnötigen Kniecheck im vierten Spiel das Momentum. Es war Regehrs größter, aber nicht sein einziger Schnitzer in der Serie. Schon nach Spiel drei hatte er von Jackson einen Rüffel für einige schlampige Scheibenverluste kassiert. Der EHC ließ das körperliche Element vermissen, anders gesagt: Nie wurden Spielertypen wie die verletzten Mads Christensen, Uli Maurer und Felix Petermann mehr vermisst. "Sie schlagen uns mit unseren eigenen Waffen", sagte Petermann vor dem vierten und letzten Spiel. Die einzigen Lichtblicke neben Daniel Sparre waren Dominik Kahun, 19, und Tim Bender, 20. Jackson hatte vor dem Playoff-Start betont, beide spielten "eine große Rolle" im Team. Auf sie kann der EHC bauen. Die Einstellung Nach der sportlichen warten auf die Spieler weitere Entscheidungen: Es geht um ihre persönliche Zukunft. Seidenberg gab zu: "Die, die da waren, inklusive mir, hätten bessere Leistungen bringen müssen." Sparre sagte, das Team könne stolz darauf sein, wie es in Spiel vier gespielt habe, fügte aber auch an: "Das kann ich nicht für die ganze Serie sagen. Wir haben von uns viel mehr erwartet." Laut Sparre wird es "ein paar Tage, für einige Jungs vielleicht sogar ein paar Wochen" dauern, das Aus zu verkraften. Florian Kettemer findet: "Wir sollten nicht zu lange dran knabbern." „Unter Schock“ | Stimmen zum Playoff-Aus des EHC München Don Jackson (Trainer): "Es ist nicht leicht, unsere Ziele zu erreichen, unsere Organisation ist jung. Aber wir werden wachsen." Florian Kettemer (Verteidiger): "Wer das Spiel gesehen hat, hat gesehen, dass wir alles in die Waagschale geworfen haben. Hat leider nicht gereicht. Wolfsburg war einfach stärker. Man muss aber auch das Positive sehen: Wir haben eine super Hauptrunde gespielt und die Champions League erreicht." Yannic Seidenberg (Stürmer): "Klar sind wir stolz auf die Vorrunde, das bringt uns aber nichts. In den Playoffs werden Titel gewonnen. Wir waren nicht gut genug." Michael Wolf (Kapitän): "Natürlich war unser erstes Ziel die Champions League, das haben wir geschafft. Als Zweiter möchte man aber das Halbfinale erreichen, das müssen wir uns vorwerfen lassen." Daniel Sparre (Stürmer): "Es ist ein fürchterliches Gefühl, jeder steht unter Schock. Die Playoffs sind eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Wir wollen München den Meistertitel bringen, das ist weiterhin unser Ziel." Die Transferpolitik In den Playoffs brauche es Spieler, die das Tor "crashen" - sagte Jon DiSalvatore. Die einschlägigen Erfahrungen, die der Stürmer in der American Hockey League gemacht hat, konnte der bald 34-Jährige freilich nicht umsetzen. "Arbeit schlägt Talent, wenn Talent nicht hart genug arbeitet", lautet der Leitspruch von Mannheims Coach Geoff Ward, der mit den Adlern 3:1 gegen Nürnberg führt. Talent hatte der EHC in dieser Saison mehr als genug im Kader, trotz vieler Verletzungen betonte Don Jackson: "Wir haben genug Spieler, um zu gewinnen." Spieler wie Wolfsburgs Stürmer Christoph Höhenleitner, der nicht zu den talentiertesten der Liga gehört, aber als Aushilfsverteidiger reüssierte, hatte er zu wenige. Typen wie Tyler Haskins, Sebastian Furchner und Matt Dzieduszycki, die konsequent vors Tor zogen. Ausnahme: Daniel Sparre. Der 30-jährige Deutschkanadier, der schwer in die Saison fand, punktete im Viertelfinale nicht nur fünfmal, sondern ging auch dahin, wo es sprichwörtlich weh tut. Welche Rolle Christian Winkler, der den sonoren Titel "Business Manager Sport" trägt, bei der Kaderzusammenstellung gespielt hat, ist im unergründlichen Red-Bull-Kosmos kaum seriös zu beurteilen. Torhüter Florian Hardy soll auf seine Empfehlung geholt worden sein - es war der mit Abstand überraschendste Transfer vor der Saison. In der französischen Nationalmannschaft gilt der 30-Jährige, der zum ersten Mal in seiner Profikarriere außerhalb der Heimat spielte, als "big game goalie", als Mann für die besonderen Aufgaben. Gegen Wolfsburg machte er zwar keine gravierenden Fehler. Anders als sein Gegenüber Felix Brückmann lieferte er dem Team aber auch keine Impulse. Nicht nur die Personalie Hardy dürfte in den nächsten Tagen diskutabel sein.
https://www.sueddeutsche.de/politik/exklusiv-hunderte-reichsbuerger-besitzen-schusswaffen-1.4163330
mlsum-de-617
Mehr als 600 der Rechtsradikalen, die die Bundesrepublik Deutschland als legitimen Staat ablehnen, dürfen weiterhin Pistolen und Gewehre kaufen. Dabei wollten Behörden das eigentlich verhindern.
In Deutschland sind noch immer mehr als 600 sogenannte Reichsbürger im Besitz von waffenrechtlichen Erlaubnissen, sie dürfen also legal Pistolen und Gewehre erwerben. Dies zeigen Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des NDR. Demnach verfügen Reichsbürger aktuell auch über Hunderte scharfer Waffen, während die Behörden dies dulden. In Chemnitz waren in der vergangenen Woche Polizeikräfte ausgerückt, weil eine ausländerfeindliche Gruppe namens "Revolution Chemnitz" geplant haben soll, sich Waffen für einen Anschlag zu beschaffen. Gleichzeitig ist Sachsen eines jener Bundesländer, in deren rechter Szene viele Schusswaffen legal kursieren, wie sich jetzt zeigt: 37 Inhaber von offiziellen Waffenerlaubnissen sind Sachsens Behörden in der Szene der Reichsbürger bekannt. Die wachsende Gewaltbereitschaft dieser Personengruppe stand erst vor Kurzem im Mittelpunkt des neuen Verfassungsschutzberichts, die Verfasser warnten eindringlich vor der rechtsradikalen Szene. Reichsbürger, zu denen der Verfassungsschutz bundesweit mehr als 18 000 Personen zählt, bestreiten die Legitimität der Bundesrepublik und ihrer Gesetze. Sie beziehen sich auf ein angeblich fortdauerndes Deutsches Reich. Allein in Bayern zählen die Behörden 4000 Personen dazu. Wie nah sie gewalttätigen Neonazis stehen, ist von Land zu Land verschieden. Charakteristisch aber ist eine hohe Affinität zu Waffen, gepaart mit der Befürchtung, dass der Staat fremden Mächten gehorche. Jüngst beschlagnahmte die Polizei in Thüringen bei einem Reichsbürger sogar eine Flakgranate. Der Plan war, die Reichsbürger zu entwaffnen Die Innenminister der Länder hatten vor knapp zwei Jahren angekündigt, alle Reichsbürger zu entwaffnen. Damals hatte ein Reichsbürger in der bayerischen Gemeinde Georgensgmünd auf Polizisten geschossen und einen Beamten getötet. Die Fortschritte aber sind offenbar gering. In den meisten Ländern ist die Entwaffnung dieser Personen, die man laut dem Vizepräsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, "vielleicht längere Zeit nur für Spinner gehalten hat", erst etwa zur Hälfte geglückt. Nach dem bundesweit geltenden Waffengesetz dürfen Verfassungsfeinde eigentlich überhaupt keine Waffen besitzen. Zuständig dafür, ihnen die Waffen zu entziehen, sind die Kommunen unter Aufsicht der Innenministerien. Bayerns Innenministerium erklärte auf Anfrage, man arbeite "mit Hochdruck daran", die fast 300 Waffenerlaubnisse bayerischen Reichsbürgern restlos zu entziehen. Zweifel daran äußerte der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Offenbar würden manche Behörden noch immer die Gefährlichkeit der rechten Szene unterschätzen. Von Notz verlangte, "dass die zuständigen Behörden endlich konsequent durchgreifen, bevor wieder etwas passiert". Auch der innenpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Konstantin Kuhle, kritisierte: "Die Behörden müssen hier deutlich härter durchgreifen, als dies aufgrund der vorliegenden Zahlen den Anschein hat."
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/fussball-regionalliga-noch-immer-makellos-1.4100916
mlsum-de-618
Dank ihres Torjägers Kwasi Wriedt und Verteidiger Lars Lukas Mai behält die U 23 des FC Bayern ihre weiße Weste in der Liga.
Gerade war Kwasi Wriedt dabei zu erklären, dass man diesmal auch ein wenig Glück gehabt habe, da ging ein Spieler der gegnerischen Mannschaft an ihm vorbei und nickte. "Jaaaaa", sagte der Vertreter des 1. FC Nürnberg II mit viel Gewissheit in der Stimme. Die Gäste hatten einmal die Latte getroffen, einmal den Innenpfosten, und der Torwart des FC Bayern München II, Christian Früchtl, hatte so viel zu tun bekommen wie in keinem der fünf Ligaspiele zuvor. Weil Wriedt aber in der 71. Minute genau richtig stand und aus drei Metern Entfernung den Ball ins Tor drückte, blieb die Bilanz der jungen Bayern in der Regionalliga-Saison makellos: Ein hart erkämpftes 1:0 in diesem Spitzenspiel, da waren sich hernach alle einig, das ist schon besonders viel wert. Für den Titelaspiranten war es der sechste Sieg im sechsten Spiel. Der Gewinner dieser Nachholpartie vom zweiten Spieltag, so viel war vorher klar, würde die Tabellenführung übernehmen. Und wie die Bayern das in dieser Saison schon oft gemacht haben, wollten sie auch diesmal den Gegner mit besonders offensiven Anfangsminuten beeindrucken und so schnell wie möglich in Führung gehen. Diesmal ging der Plan allerdings nicht auf, weil Adrian Fein nach sechs Minuten nicht gut genug zielte und Wriedt in der achten Minute am guten Nürnberger Torwart Nikola Vasilj scheiterte. "Die ersten 15 Minuten hat das ordentlich ausgeschaut", fand Bayerns Trainer Holger Seitz. Danach habe man den Gästen aber angemerkt, dass sie sich zunehmend "wohlgefühlt" hätten. Das sei sicherlich der stärkste Gegner bisher, so Seitz. Das gute Umschaltspiel der Nürnberger führte dazu, dass sich die Mannschaft mehrmals erfolgreich aus der Bayern-Belagerung herauskombinieren konnte - und sich so schnell ein direkter Weg aufs Tor eröffnete. Mit zunehmender Spieldauer schlichen sich bei den Bayern auch Fehler ein. Linksverteidiger Jonathan Meier leitete in der 26. Minute eine Nürnberger Chance ein, Erik Engelhardt versuchte, Keeper Früchtl zu umkurven, traf dann aber nur das Außennetz. Dem einen oder anderen sonst so kombinationssicheren Spieler sprang diesmal der Ball etwas weiter vom Fuß. Adrian Fein, meistens einer der Besten, haderte des Öfteren mit sich selbst, ab und zu auch mit dem Schiedsrichter. Auch Lars Lukas Mai wirkte in der Innenverteidigung nicht immer sicher - kurz: Die Bayern waren erstmals richtig gefordert. Trainer Seitz gab aber zu bedenken, dass insgesamt vier Spieler auf dem Platz standen, die noch vor kurzer Zeit mit Verletzungen zu kämpfen hatten. Gerade bei Mai zeigte sich dann auch, dass eine einzige Aktion aber wieder das Selbstvertrauen zurückbringen kann. Nach dem Seitenwechsel geriet die unsortierte Abwehr mehrmals in Gefahr. Zwei Minuten vor besagtem Innenpfosten-Schuss durch Engelhardt (55.) hatte der Verteidiger seinen großen Auftritt: Nürnbergs Dominik Steczyk eilte nach einem Steilpass alleine auf Früchtl zu, doch Mai sprintete hinterher, holte den Angreifer ein und packte eine viel umjubelte Grätsche aus, mit der er den Schuss blockte. "Ich will mich gar nicht zum Matchwinner aufspielen", sagte Torschütze Wriedt, "die Grätsche von Lars war für unseren Sieg mindestens genauso wichtig. Das sind Szenen, da sind andere mit dem Kopf schon woanders", lobte er. Wenige Minuten nach der Aktion lag Mai mit einem Krampf am Boden, der 18-Jährige spielte aber durch. Diesmal habe man noch deutlicher gesehen, an welchen Schwächen man arbeiten müsse, sagte Seitz. Aber insgesamt handele es sich doch um sehr interessante Spieler in seinem Kader. Er sagte dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass Profitrainer Niko Kovac, zusammen mit seinem Co-Trainer, Bruder Robert, auch dem zweiten Heimspiel der U23 beiwohnte. "Das ist Fakt, dass sie sich wirklich dafür interessieren", sagt Seitz. Die Spieler wüssten: Die Tür zu den Profis ist weiter offen, als sie es in den vergangenen Jahren war. Pep Guardiola und Carlo Ancelotti waren nur äußerst selten im Grünwalder Stadion zu Besuch gewesen. Zu Beginn der zweiten Halbzeit, es stand noch 0:0, hatten die Fans auf der Gegengeraden ein Transparent ausgepackt, dass das Konterfei des ehemaligen Trainers Tim Walter zeigte, versehen mit dem Zusatz: "Der FC Bayern sagt: Danke Tim Walter!" Es handelte sich um einen Gruß in den hohen Norden: Dafür, dass Trainer Walter am Sonntag im DFB-Pokal an gleicher Stelle mit seinem neuen Verein Holstein Kiel 1860 München besiegt hatte. So, wie er in der vorigen Saison bereits in beiden Derbys die Löwen bezwungen hatte. Wenn es mit Bayerns zweiter Mannschaft so erfolgreich weitergeht, dann dürften aber auch die Sprechchöre und Spruchbänder für Walters Nachfolger Holger Seitz nicht mehr lange auf sich warten lassen.
https://www.sueddeutsche.de/digital/deutsche-gruender-in-new-york-der-grosse-schritt-zum-geld-1.2202450
mlsum-de-619
Deutsche Start-up-Gründer zieht es zunehmend nach New York. Die Initiative German Accelerator unterstützt sie dabei. Und viele merken: Aus der Ferne wirkt alles schillernder als es in Wirklichkeit ist.
Stephan Herrlich ist kein Typ für das Silicon Valley. Der 35-Jährige trägt glänzende Lederschuhe und Sakko mit Einstecktuch - keine Turnschuhe und Kapuzenpullis, die Uniform der Start-up-Gründer aus Kalifornien. Von endlosen Networking-Treffen mit anderen Gründern hält er nicht viel. Durch sein neues Büro fährt niemand Skateboard, es gibt keinen Kickertisch. Seine Mitarbeiterin und er sitzen still an dunklen Schreibtischen. Draußen brummt der Verkehr von Manhattans Third Avenue, drinnen wird gearbeitet. Als Herrlich entschieden hat, dass seine Münchner Software-Firma Intraworlds nun reif für die Expansion nach Amerika ist, stand für ihn sofort fest: New York muss es werden, nicht das Silicon Valley. "Wir gehen dorthin, wo der Markt ist", sagt der Jungunternehmer. "Hier können wir mit der U-Bahn zu 100 möglichen Kunden fahren. Keine Stadt der Welt bietet mehr Zugang zu potenziellen Kunden." Intraworlds hat eine Software entwickelt, die Unternehmen hilft, eine "Talent-Community" aufzubauen. Es geht darum, geeignete Mitarbeiter aufzuspüren, anzusprechen und an das Unternehmen zu binden, zum Beispiel ehemalige Praktikanten. Herrlichs Zielgruppe sind Kanzleien, Unternehmensberatungen, Banken und große Konzerne - und die sitzen oft in New York. Vom Bundeswirtschaftsministerium kommen zwei Millionen Euro Seit Anfang des Jahres ist Herrlich hier, zuerst immer nur ein paar Tage am Stück, inzwischen lebt er hier. Seine Frau kommt im Januar nach. Bei dem großen Schritt hat ihm der German Accelerator geholfen, eine Initiative, die deutsche Start-ups auf dem Weg nach Amerika unterstützt. Sie bekommen einen Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro und Berater zur Seite gestellt, die Tipps über den US-Markt geben und helfen, Kontakte zu knüpfen. Deutsche Unternehmen wie die Telekom und VW sponsern das Programm. Auch das Bundeswirtschaftsministerium schießt zu, von nächstem Jahr an werden es zwei Millionen Euro sein. Der Standort in New York ist neu. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist kürzlich in die Stadt gekommen, um ihn zu eröffnen. "Für die meisten Start-ups ist eine frühe Internationalisierung insbesondere in Richtung des amerikanischen Marktes eine Überlebensfrage", sagt er. Das gilt schon allein, weil der amerikanische Absatzmarkt so viel größer ist als der deutsche. Zwölf Start-ups pro Jahr holt der Accelerator nach New York, 24 ins Silicon Valley. Wer nach New York kommt, sucht etwas anderes als im Silicon Valley. Gründer wie Herrlich von Intraworlds haben die technischen Fragen für ihre Unternehmensidee meist schon gelöst. Sie kommen nach Amerika, um ihr fertiges Produkt zu verkaufen und um Geld bei amerikanischen Investoren einzusammeln. Denn Kapital für Gründer ist noch immer ein Problem in Deutschland - trotz der wachsenden Start-up-Szene vor allem in Berlin. Es fehle nicht an Ideen im Land, sagt Gabriel, und wer eine gute Idee hat, finde meist auch einen Wagniskapitalgeber für die ersten kleineren Summen. "Das Problem ist die Wachstumsphase, da fehlt jungen Unternehmen oft das Geld. Es ist sehr schwer, zehn oder 20 Millionen Euro für die Internationalisierung zu bekommen", so der Minister. "Die Wagniskapital-Kultur ist bei uns längst nicht so ausgeprägt wie in Amerika. Viel weniger Großkonzerne sind bereit, Venture-Capital-Töchter zu gründen."
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/das-deutsche-valley-bayerische-plattform-werke-1.3302868
mlsum-de-620
Allmählich begreift die deutsche Industrie, dass sie die Angreifer aus Kalifornien nicht fürchten, sondern mit deren eigenen Waffen schlagen muss.
Als Justus Haucap vorige Woche im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München zu erklären versuchte, warum das Silicon Valley so erfolgreich ist, da sprach der Ökonom von der Uni Düsseldorf immer wieder von der "Plattform". Facebook, Airbnb, Uber oder Apple: Sie alle hätten es geschafft, schnell sehr viele Kunden auf ihre Plattformen zu ziehen und nicht wieder loszulassen. Sie alle sammelten deren Daten, und je mehr sie davon hätten, umso besser ließe sich daraus ein Geschäft machen. Dieser Plattform-Kapitalismus - oder soll man sagen: Imperialismus? - ist eine zweischneidige Sache: Die Kunden haben (auf die kurze Sicht) viele Vorteile, wenn sich viele Gleichgesinnte auf Facebook, Instagram oder Linkedin tummeln oder wenn möglichst viele Menschen ihre Autos oder Wohnungen über eine Plattform teilen. Und die Dienste zudem sehr billig sind. Auf längere Sicht könnte der Plattform-Kapitalismus made in USA allerdings dazu führen, dass die Quasi-Monopolisten ihre Marktmacht ausnutzen und die Preise kräftig erhöhen. Erste Ansätze dazu sieht man bei Amazon: Der Konzern hat die Jahresgebühr für seinen Service Amazon Prime, der anfangs die schnelle Paketlieferung und nun auch Streamingdienste für Musik und Filme beinhaltet, innerhalb von nur drei Jahren von 29 auf 69 Euro erhöht - um stolze 138 Prozent. Verstärkt wird diese Gefahr dadurch, dass mögliche Konkurrenten sich abgeschreckt fühlen, weil die Plattformen schon so mächtig sind. Und richtig bedrohlich wird es, zumal aus deutscher Sicht, wenn die Plattform-Firmen aus den USA versuchen, ihre Datenmacht in die klassische Industrie auszudehnen, gar in die Autoindustrie. Was ist, wenn Google oder Apple mit ihren Diensten in alle BMWs oder VWs eindringen: ins Navi, ins Interface zum Netz? Oder wenn sie gar selber ein Auto bauen - und dazu die Daten nutzen, die sie in den Fahrzeugen der klassischen Hersteller einsammeln? Den deutschen Automanagern hat diese Vorstellung anfangs einen Schrecken eingejagt, doch allmählich scheinen sie zu begreifen, dass sie die Angreifer aus den USA mit ihren eigenen Waffen schlagen müssen - und selber Plattformen schaffen müssen. Möglichst groß, mit möglichst vielen Nutzern, die viele Daten liefern - die Währung des 21. Jahrhunderts. Und so erlebt man plötzlich Auftritte wie jenen von Elmar Frickenstein, der bei BMW den Bereich für das autonome Fahren leitet. Beim Web Summit in Lissabon erklärte er im November vor 15 000 Menschen, wie BMW bis 2021 das selbstfahrende Auto auf die Straße bringen will: nicht allein, sondern im Team. "Wir brauchen Ihre Expertise", rief er den Gründern auf Europas größter Start-up-Konferenz entgegen. So wie Apple Hunderttausende von App-Entwicklern in aller Welt dazu gebracht hat, mit ihren Anwendungen jenes Ökosystem zu schaffen, von dem niemand mehr profitiert als Apple, so will BMW eine "offene Industrie-Plattform schaffen, auf der jeder entwickeln kann". BMW will also nicht bloß verhindern, dass Apple und Google nach und nach in die autonomen Autos eindringen, sondern dazu auch die Plattform-Idee von Apples App-Store kopieren. Für einen 100 Jahre alten Konzern wie BMW ist es natürlich ein gewaltiger Schritt, wenn er sich plötzlich öffnen soll - wenn also aus den Bayerischen Motoren-Werken in gewisser Hinsicht die Bayerischen Plattform-Werke werden sollen. Bei BMW haben, ähnlich wie in anderen deutschen Industriekonzernen, bisher vor allem die eigenen Ingenieure die Richtung bestimmt. Doch anders wird es nicht gehen - wenn die deutsche Industrie das datenbasierte Geschäft der Zukunft nicht an die digitalen Herausforderer verlieren will. Das gilt für die Autoindustrie ebenso wie für den Maschinenbau, die Medizintechnik, die Robotik oder den 3-D-Druck. Ein Netz aus Ladestationen oder aus selbstfahrenden Autos - es geht darum, viele Daten zu haben Von daher ist es konsequent, wenn BMW, Daimler und Audi für gut 2,5 Milliarden Euro von Nokia den digitalen Kartendienst Here mit Sitz in Berlin erwerben - sie sind nun nicht mehr auf Google angewiesen, sondern können selbst Daten sammeln. Oder wenn sich BMW, Daimler, Ford und VW zusammenschließen, um ein europaweites Netz aus Tausenden von Ladestationen zu schaffen, an denen E-Autos blitzschnell aufgeladen werden können - sie schlagen damit dem Konkurrenten Tesla ein Schnippchen. Oder wenn sich, wie am Freitag vermeldet, nun auch VW an jenem Unternehmen beteiligt, dass das Zahlen an E-Tankstellen vereinheitlichen soll: an Hubject. Der weltweit führende Anbieter in diesem Bereich verbindet mittlerweile über 40 000 Ladepunkte. Gegründet wurde er vor vier Jahren - nein, nicht im Silicon Valley, sondern in Berlin; von deutschen Industriekonzernen. Genauso konsequent wäre es, wenn BMW und Daimler tatsächlich ihre Carsharing-Dienste Drive Now und Car 2 Go zusammenlegen, am besten samt der Taxi-App Mytaxi. Auch auf diese Weise ließe sich ein umfassender Anbieter für das autonome Fahren aufbauen - ähnlich wie dies, von der anderen Seite des Marktes kommend, Uber anstrebt. Der Vorteil der Deutschen: Sie wissen, wie man Autos baut. Sage also einer: Plattformen können sie nur im Silicon Valley bauen! Nein. Wenn die deutschen Konzerne und Mittelständler es richtig machen und nicht zu lange dabei zögern, gemeinsam solche Plattformen made in Germany zu schaffen, dann haben sie gute Chancen, ihre führende Position in der Welt auch künftig zu halten. Aber entstehen so nicht auch Monopole, nur diesseits des Atlantiks? Nein, glaubt Justus Haucap, einst Chef der Monopolkommission, und verweist auf das Beispiel der Autoindustrie. Je mehr Autofirmen um das (selbstfahrende) E-Auto der Zukunft buhlen und damit in Konkurrenz zu Tesla treten, umso besser sei das doch. An dieser Stelle schreiben am Mittwoch im Wechsel Alina Fichter und Ulrich Schäfer.
https://www.sueddeutsche.de/sport/australian-open-die-groesste-niederlage-in-diesem-jahrzehnt-1.3341095
mlsum-de-621
Die sensationelle Zweitrunden-Niederlage von Titelverteidiger Novak Djokovic gegen den Usbeken Denis Istomin verspricht nicht bloß diese Australian Open zu ändern - sondern womöglich das ganze Tennis.
"Bitte setzen Sie sich, so schnell es geht", sagte die Dame von der Turnierorganisation, einmal, zweimal. Schon beim Betreten des Pressekonferenzraumes namens "Theatrette" war somit klar: Da will einer rasch wieder weg, obwohl gerade erst gekommen. 15 Minuten nur war es her, dass sich "die größte Niederlage in diesem Jahrzehnt" ereignet hatte, wie der frühere Weltranglisten-Erste und jetzige TV-Kommentator John McEnroe in einer ersten Einordnung in Melbourne gar meinte, da saß Novak Djokovic dort unten und blickte fahl ins Halbrund hoch, in dem sich die Reporter drängten. 6:7 (8), 7:5, 6:2, 6:7 (5), 4:6, Spielzeit 4:48 Stunden, das Arbeitsprotokoll gab wieder, wie intensiv er sich gewehrt hatte. Und auch, dass er seine Chancen hatte. "An jedem bestimmten Tag kannst du eben verlieren", führte der Verlierer aus. Und doch war es natürlich komplizierter, alle Zahlen, Fakten, Annahmen hatten doch für ihn gesprochen. "Klar war er der Außenseiter", gab Djokovic zu. Sein Bezwinger hatte nicht sechsmal die Australian Open gewonnen wie Djokovic, der sich melancholisch erinnerte: "Dieser Platz war immer so nett zu mir." Nur diesmal nicht. Der Außenseiter siegte. Denis Istomin, 30, Usbeke, in Moskau wohnhaft, derzeit 117. der Weltrangliste, reihte sich ein in die Liste derer, denen die Tennis-Sensationen gelungen sind. 2013 zum Beispiel besiegte in Wimbledon ein gewisser Steve Darcis aus Belgien den Spanier Rafael Nadal in der ersten Runde. Beim selben Turnier warf der Ukrainer Sergej Stachowski am Tag danach Roger Federer raus. 2002 unterlag Pete Sampras dem Schweizer George Bastl in Wimbledon - ähnlich wie Boris Becker 1987: Der Deutsche scheiterte spektakulär als Titelverteidiger in Runde zwei am damals nahezu unbekannten Australier Peter Doohan. Später, als alles vorbei, als die Liste der Sensationen verlängert war, fand Djokovic doch noch zu einer Erklärung: nämlich der, dass Tennis eben so sein könne wie an diesem Donnerstag in Melbourne. Die Qualität in diesem Sport steige von Jahr zu Jahr, alle Profis würden immer professioneller. Er mochte Recht haben, nur sticht der Serbe eben aus dem Feld heraus, ist er bekannt als jener Ausnahme-Akteur, der im Juni 2016 nach seinem Triumph bei den French Open alle vier Grand-Slam-Titel (Paris, Wimbledon, New York, Melbourne) zeitgleich in Besitz hatte. Der zudem in der Weltrangliste kilometerweit vor dem Schotten Andy Murray lag und so bald nicht einzuholen zu sein schien. Djokovic war zwar Vorjahressieger, der Titelverteidiger, aber die Niederlage hatte sich durch den Saisonverlauf zumindest angedeutet. Seine zweieinhalbjährige Dominanz war ja schon gebrochen, als er im Juli 2016 in Wimbledon gegen einen gewissen Sam Querrey aus den USA verlor. Im Herbst dann, als er ein Erstrunden-Aus bei Olympia gegen den Argentinier Juan Martín Del Potro und die Finalniederlage bei den US Open gegen den Schweizer Stan Wawrinka zu verarbeiten hatte, gestand er, dass ihn die Jagd nach dem Grand-Slam-Titel von Paris - dem letzten, der ihm so lange gefehlt hatte - ausgelaugt habe. Dass er sich neu definieren, einen neuen Sinn seines Sportlerschaffens suchen müsse. Die Öffentlichkeit registrierte immer mehr Geschichten jenseits des Centre Courts: Gerüchte über Eheprobleme wurden laut, zudem die Probleme in seinem Trainerstab diskutiert. Verstärkt suchte er Zuspruch bei einem weiteren, einem dritten Trainer. Marian Vajda und Boris Becker hatten zu akzeptieren, dass der Spanier Pepe Imaz an Einfluss gewann mit von Spiritualität durchsetzten Lehren. Dem Vernehmen nach löste Becker auch wegen dieser Konstellation das Bündnis auf, das lange sehr erfolgreich wa r. An sechs der zwölf Major-Titel von Djokovic hatte Becker mitgewirkt. Im Dezember ging er, mit dezenter Kritik: Djokovic habe in der zweiten Jahreshälfte 2016 zu wenig trainiert. Umso delikater war jetzt die Situation in Melbourne, denn Becker begleitete das Djokovic-Aus in seinem neuen Job als TV-Kommentator für Eurosport. Er sei dem Serben noch verbunden, gab Becker zu verstehen - dabei klang er jedoch mehr nach unabhängigem Kritiker, der er nun ist, als nach einem in Erinnerungen schwelgenden Mitarbeiter von einst. "Das ist etwas ganz Neues für Djokovic, das hatte er lange nicht", sagte Becker und ergänzte bedeutungsschwer: "Das wird jetzt eine neue Weichenstellung für ihn. Das Turnier hat sich mit dem Djokovic-Aus komplett verändert. Das ist ein Erdrutsch." Der trotz allem nicht zu erwarten war. Anfang Januar hatte der 29-Jährige wie zum Beweis dafür, dass er zurück ist, in Doha gewonnen, im Finale beherrschte er Andy Murray, den neuen Besten der Branche. "Ich habe eine neue Saison begonnen", sagte er dort zu den Turbulenzen zuvor, "ich habe das alles vergessen, irgendwie." Verändert hat er sich dennoch, auch äußerlich: Weil er so dünn ist, hat sich jüngst sogar Martina Navratilova, Tennis-Größe von einst, besorgt dazu geäußert. Spielerisch gab es gegen Denis Istomin nur eine Phase, in der Djokovic überlegen zu sein schien. Beim Stand von 4:5, 15:40 aus Sicht des Favoriten war Istomin nur einen Punkt von einer 2:0-Satzführung entfernt - da schlug Djokovic wie zu besten Zeiten einen Aufschlagwinner sowie ein Ass und kontrollierte das Match bis zum Anfang des vierten Satzes. Dann der Wendepunkt. "Ich fühlte, dass das Match drehte", gab Djokovic zu. Fortan lief er hinterher, auch im Tie-Break, in dem Istomin auf 5:1 davonzog. Das entscheidende Break im fünften Satz gelang Istomin zum 3:2 - mit einer Rückhand bretthart die Linie entlang. "Novak hat viel zu defensiv, zu passiv gespielt", monierte Becker, "Istomin war in den Ballwechseln meist der Erste, der Druck gemacht und daher verdient gewonnen hat." Der Sieger dagegen äußerte auch Empathie. "Mir tut Novak leid", sagte Istomin, "ich habe heute so gut gespielt." Dabei hatte er sich erst über einen Umweg für die Australian Open qualifiziert. Istomin, der 2001 einen derart schlimmen Autounfall hatte, dass er zwei Jahre nicht Tennis spielen konnte, sicherte sich bei einem Qualifikationsturnier in China eine Wildcard des Verbandes Asia-Pacific. Mutter Klaudiya, die ihn coacht, sagte nach dem Sieg zu ihm: "Good job." Die Istomins haben einen trockenen Humor. Djokovic gefiel damit indes auch. Als er gefragt wurde, was er als Erkenntnis mitnehme, lächelte er und sprach: "Dass ich die Koffer packe und nach Hause gehe."
https://www.sueddeutsche.de/politik/mecklenburg-vorpommern-npd-abgeordnete-duerfen-fluechtlingsheim-besuchen-1.2630904
mlsum-de-622
Das Verfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern hat entschieden: Abgeordnete der rechtsextremen NPD dürfen die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge besichtigen - unter Auflagen.
Gericht sah durch Verbot Rechte der Abgeordneten verletzt Das Schweriner Innenministerium muss NPD-Landtagsabgeordneten den Besuch in der vom Land betriebenen Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge ermöglichen. Das Landesverfassungsgericht hob nach eigenen Angaben ein Besuchsverbot auf, das Innenminister Lorenz Caffier (CDU) den NPD-Politikern im August auferlegt hatte. Caffier habe damit die Selbstinformations- und Kontrollrechte der Abgeordneten verletzt, die in der Landesverfassung verankert sind. Caffier hatte sein Verbot mit den politischen Ansichten der NPD zur Asylpolitik begründet. Dies sei jedoch nicht mit dem Status eines gewählten Abgeordneten vereinbar, so das Gericht. Allerdings muss laut der Entscheidung jeder Abgeordnete für sich den Besuch in der Flüchtlingsunterkunft beim Innenminister beantragen. Die NPD-Fraktion sei dafür nicht zuständig. Zudem darf Caffier bestimmen, wann die Besuche stattfinden, und gewisse Auflagen erteilen. Caffier sieht sich durch Entscheidung bestärkt Im August hatte der Innenminister den Besuch abgelehnt, weil dadurch das friedliche Zusammenleben der Flüchtlinge beeinträchtigt werden könnte, da die NPD durch ausländerfeindliche Äußerungen die politische Debatte anheize. Die Situation in der ausgelasteten Unterkunft mit 650 Plätzen sei ohnehin angespannt. Der NPD unterstellte er, mit politischen Provokationen auf dem Rücken der Flüchtlinge Politik machen zu wollen. Durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts sah sich Caffier "bestärkt", da er einen Besuch der kompletten Fraktion abgelehnt hatte. Bei der Genehmigung der Besuche einzelner Abgeordneten würden nun die Sicherheit und die Persönlichkeitsrechte der Flüchtlinge mit oberster Priorität berücksichtigt, kündigte der Minister in einer Erklärung an.
https://www.sueddeutsche.de/politik/regierung-in-der-krise-seehofer-wirft-merkel-fuehrungsschwaeche-vor-1.946806
mlsum-de-623
CSU-Chef Horst Seehofer beklagt schwere Fehler der Kanzlerin in der Euro-Krise und pocht auf eine Transaktionssteuer.
Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer wirft Kanzlerin Angela Merkel Fehler in der Euro-Krise vor und fordert von Finanzminister Wolfgang Schäuble, sich an die Beschlüsse des Koalitionsausschusses zu halten und alles zu tun, um die Transaktionssteuer einzuführen. Seehofer sieht das bürgerliche Lager andernfalls weiter im Abwind. Detailansicht öffnen Muss sich manchmal sehr zurückhalten, um nicht aus der Haut zu fahren: Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer. (Foto: Foto: ddp) "Ich muss mich schon manchmal sehr zurückhalten, um nicht aus der Haut zu fahren", sagte Seehofer im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. So habe ihn vor allem irritiert, dass Finanzminister Schäuble (CDU) den Sinn einer Transaktionssteuer in Frage stelle, obwohl sich CDU, CSU und FDP im Koalitionsausschuss darauf geeinigt hatten, sie einzuführen. Schäuble hatte erklärt, diese Steuer werde nicht kommen, weil sie von anderen Ländern abgelehnt werde. "Am Dienstag ist das im Koalitionsausschuss entschieden worden. Das kann hinterher keiner in Frage stellen, auch der Finanzminister nicht", sagte Seehofer. "Jetzt muss daran gearbeitet werden, dass die Steuer kommt." Wenn der Koalitionsausschuss sage, die Steuer komme, und der Finanzminister gleichzeitig sage, sie kommt nicht, "da fühlt sich doch die Bevölkerung verhöhnt." Seehofer mahnte die Kanzlerin, sie solle nun endlich die Lehren aus der Wahlschlappe von Nordrhein-Westfalen ziehen. Das bürgerliche Lager habe nur noch 40 Prozent, das linke Lager aber 50 Prozent. Die Konsequenzen aus der Niederlage müssten nun in konkrete Politik umgesetzt werden. Die ist für Seehofer vor allem mit der Einführung einer Transaktionssteuer für Wertpapiergeschäfte verbunden. Die Bundesregierung habe zu lange der Entwicklung zugesehen. Zudem stellt er Bedingungen, damit Bayern sich am Freitag im Bundesrat nicht gegen das milliardenschwere Hilfspaket für notleidende Euroländer stellt. So soll der Haushaltsausschuss des Bundestags bei jeder Kreditvergabe an die Schuldnerländer zustimmen müssen. Außerdem müsse der Euro-Stabilitätspakt neu belebt und verschärft werden. Länder, die die Schuldengrenze verletzten, müssten automatisch ihr Stimmrecht verlieren und keine Strukturhilfen mehr bekommen. "Man hat mir in Berlin über viele Wochen immer wieder den Vorwurf gemacht, wenn es den Störenfried in München nicht gäbe, könnten wir wunderbar regieren", sagte Seehofer mit Blick auf die Kanzlerin. Deshalb habe er sich vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen zurückgehalten. Die Zurückhaltung habe aber nicht zur Verbesserung der Situation geführt. Deswegen sei nun wieder mit ihm zu rechnen. Mit mulmigem Gefühl Seehofer ist mit seiner Kritik nicht alleine. Obwohl sich am Donnerstag in der Unionsfraktion für die Abstimmung im Bundestag eine breite Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm abzeichnete, gehen viele, auch die Unterstützer, mit einem mulmigen Gefühl in die nächsten Wochen. Viele berichteten in dieser Woche, dass sie in den Wahlkreisen auf Bedenken und Verunsicherung stoßen würden. Das sei den immer schneller aufeinanderfolgenden Krisenereignissen, aber auch dem zum Teil verunsichernden Krisenmanagement der Regierung geschuldet, hieß es bei vielen Parlamentariern. Bei einer Probeabstimmung in der Fraktion stimmten am Donnerstag sieben Unionsabgeordnete mit nein, zwei enthielten sich. Damit muss die schwarz-gelbe Koalition für den Freitag nicht mehr um die eigene Mehrheit fürchten, da es zuletzt auch aus der FDP-Fraktion hieß, die meisten Kritiker seien eingefangen.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/ezadeen-fluechtlinge-zahlten-bis-zu-8000-dollar-fuer-ueberfahrt-1.2290408
mlsum-de-624
Am Donnerstag trieben sie auf dem führerlosen Frachter "Ezadeen" auf Italiens Küste zu, heute haben die 360 Flüchtlinge das Schiff verlassen. Aus ihren Berichten geht hervor: Die Schlepper könnten unter ihnen sein.
Tausende Euro für Überfahrt Dass sich Schleuser von Flüchtlingen für die gefährlichen Passagen über das Meer gut bezahlen lassen, ist bekannt. Wie viel die Flüchtlinge an Bord des führungslosen Frachters Ezadeen nach eigenen Aussagen an die Menschenschmuggler zahlten, haben die italienischen Behörden nun mitgeteilt: 4000 bis 8000 Dollar (3320 bis 6640 Euro). Demnach waren die aus Syrien stammenden Flüchtlinge über den Libanon per Flugzeug in die Türkei gereist, wo sie an Bord der Ezadeen gingen. "Ezadeen" trieb führerlos in der Adria Die italienischen Behörden hatten die manövrierunfähige Ezadeen am Donnerstagabend 150 Kilometer vor der kalabrischen Küste entdeckt. Sechs Vertreter der Küstenwache wurden am Freitag von einem Marine-Hubschrauber auf den Frachter abgeseilt und übernahmen das Kommando an Bord. Am Freitagabend traf das 73 Meter lange Schiff, das eigentlich für Viehtransporte vorgesehen ist, in der süditalienischen Stadt Corigliano ein. Auf dem Schiff befanden sich 360 Flüchtlinge, die am Samstag an Land gingen. Unter ihnen waren laut Nachrichtenagentur Ansa auch viele Kinder und schwangere Frauen. Sie konnten am Morgen den fast 50 Jahre alten Frachter verlassen und wurden medizinisch betreut und in Aufnahmelager gebracht. Schlepper verlassen Schiffe Ihre Schleuser hatten die Flüchtlinge auf der Ezadeen ohne Treibstoff ihrem Schicksal überlassen. Laut Aussage der Geretteten hatten die Besatzungsmitglieder stets das Gesicht verhüllt, bevor sie die Brücke verließen und das Schiff führungslos vor Italien im Meer treiben ließen. Demnach ist es möglich, dass sich die Schleuser unerkannt unter die Flüchtlinge mischten, um mit ihnen schließlich das Schiff zu verlassen. Es war der zweite derartige Vorfall innerhalb weniger Tage, erst am Mittwoch hatte die Küstenwache fast 800 Migranten auf dem führungslosen Frachter Blue Sky M gerettet, der im Autopilot auf die felsige Küste Italiens zusteuerte. Neue Diskussionen um Schlepper-Methoden Die Vorfälle haben heftige Diskussionen über diese neue Methode der Menschenschmuggler-Banden entfacht. Diese Taktiken erforderten auch neue Antworten, sagten am Samstag die Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft und der Bundespolizeigewerkschaft DPolG, Rainer Wendt und Ernst Walter. Das jetzige Verfahren sei "völlig verfehlt". Auch Grünen-Chefin Simone Peter forderte die EU angesichts der Tragödien auf, "ihre grausame Abschottungspolitik" zu beenden. Schon am Freitag hatte die EU-Grenzschutzagentur Frontex die "Geisterschiffe" mit ungewohnt harschen Worten kritisiert. Die Methoden der Schmuggler zeigen "einen neuen Grad der Grausamkeit", hieß es. Seit September sei ein Trend zum Einsatz von Frachtschiffen zu beobachten, um "die Zahl der Flüchtlinge auf den Booten zu erhöhen", sagte Carlotta Sami, die Sprecherin der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR für Südeuropa, der Zeitung "La Repubblica".
https://www.sueddeutsche.de/sport/bvb-in-der-bundesliga-14-tage-pruefung-1.2653438
mlsum-de-625
Der BVB will gegen Leverkusen zeigen, wie gut er die Stärke des FC Bayern schon zu kopieren weiß. Denn: In zwei Wochen kommt es zum großen Duell.
Dass am Samstag im 480 Kilometer fernen München das Oktoberfest begonnen hat, interessiert die Fußballer von Borussia Dortmund schon deshalb nicht, weil ihnen ihr Trainer und Ernährungsberater Thomas Tuchel Schmankerl wie Hendl, Ochsenfetzensemmel und vergorenen Getreidesud aus Literkrügen gar nicht erlaubt. Die Wiesn ist in den Dortmunder Köpfen noch nicht gegenwärtig. Obwohl: vielleicht doch ein ganz kleines bisschen. Denn in zwei Wochen, wenn die Wiesn zu Ende geht, an jenem Sonntag, dem 4. Oktober, da gastieren die Borussen bei den Bayern. Bis dorthin müssen sie beweisen, dass dieses Duell eines Spitzenspiels dann auch wirklich würdig ist. Die zwei Wochen mit fünf Pflichtspielen, die den Weg gen München gewissermaßen markieren, beginnen für die Dortmunder an diesem Sonntag mit einer Heimpartie gegen Bayer Leverkusen. Das ist gewissermaßen die Vorprobe. Dortmund, mit zehn Pflichtspielsiegen in Serie in die Saison gestartet, hat unter dem neuen Trainer Tuchel bisher alles gewonnen: fünf Europapokal- und vier Bundesligaspiele sowie eine Pokalpartie. Mit 15 Treffern in vier Bundesliga-Spielen ist der BVB das gegenwärtige Nonplusultra in der Liga, und man darf gespannt sein, wie diese Mannschaft sich kurzfristig entwickelt: zunächst gegen Leverkusen - und dann in zwei Wochen beim FC Bayern. Sie vergleichen sich mit dem FC Bayern Die Heimpartie gegen Leverkusen hat einen sentimentalen Beiklang für die Schwarz-Gelben aus Westfalen, weil das erste Spiel der vergangenen Spielzeit den Anfang vom Ende der Ära des Trainers Jürgen Klopp in Dortmund markierte. 9,6 Sekunden war das Spiel damals alt, als Leverkusens Karim Bellarabi die 1:0-Führung für Bayer erzielte. Von diesem Schock, wenn man so will, erholte sich der BVB erst in der Rückrunde, aber Klopp erholte sich nie so richtig und kündigte frühzeitig seinen Abschied an. Sein Nachfolger heißt Tuchel und ist bislang so erfolgreich, wie ein neuer Trainer es nur sein kann. Nun also kommt wieder Leverkusen, und die Dortmunder wollen die Schwächen aus dem Vorjahr endgültig vergessen. Sie wähnen sich nach ihrem Last-Minute-2:1 gegen die Russen aus Krasnodar am Donnerstagabend in der Europa League schon auf bestem Wege, die Münchner Mentalität zu kopieren. Denn das vermeintlich glückliche Triumphieren mit späten Siegtoren nach durchwachsenen Auftritten sei bekanntlich, so sagt der Abwehrmann Mats Hummels, eine Bayern-Stärke: "Sie wissen bis zum Ende, dass sie immer noch gewinnen können." So weit hat ihr Selbstvertrauen die Dortmunder in der noch jungen Saison bereits getragen. Sie vergleichen sich mit dem FC Bayern.
https://www.sueddeutsche.de/sport/europa-league-und-dann-trifft-trochowski-1.2704122
mlsum-de-626
Der FC Augsburg beendet beim AZ Alkmaar seine sieglose Zeit. Nach zuletzt durchwachsenen Auftritten erlöst Mittelfeldmann Piotr Trochowski seine Mannschaft per Freistoß.
"Irgendwer", hatte Markus Weinzierl noch am Wochenende gesagt, "irgendwer muss einfach mal so ein Ding rein machen." So ein Ding, so eine Torchance eben, egal wie klar oder schwierig sie sein mag. Der Trainer des FC Augsburg und seine Fußballprofis sind es müde, ständig über Niederlagen und vergebene Chancen sprechen zu müssen. Dergestalt mäßig war die Chancenverwertung der Augsburger zuletzt, dass der Bundesligafünfte der vergangenen Saison sich am Sonntagabend schließlich plötzlich auf dem allerletzten Tabellenplatz wiederfand. "Mit dem Selbstbewusstsein ist es gerade nicht so weit her", gestand zuletzt Daniel Baier. Das Auswärtserlebnis am Donnerstagabend aber dürfte die Köpfe wieder etwas heben bei den Schwaben: Durch einen Freistoßtreffer von Piotr Trochowski gewann der FC Augsburg am dritten Spieltag der Europa League beim AZ Alkmaar mit 1:0 (1:0). Es war der erste Augsburger Sieg überhaupt auf internationaler Bühne, die ersten drei Punkte - und zusätzlich die Gewissheit, das Fußballspielen nicht komplett verlernt zu haben. Detailansicht öffnen Ein Mann, ein Fuß, ein Ball - und gleich ein Tor: Seinen Freistoß zum 1:0 in Alkmaar schlenzte Piotr Trochowski genau in den linken oberen Winkel. (Foto: Imago) FCA-Trainer Markus Weinzierl schickte gegen den niederländischen Tabellenzehnten von Beginn an eine sehr offensiv ausgerichtete Elf auf den Platz. Schon gegen Darmstadt hatten Trochowski, Ja-Cheol Koo und Raul Bobadilla nach ihren Einwechslungen das Augsburger Spiel verbessert, diesmal sollte das Trio von der ersten Minute weg dafür sorgen, dass das Spiel der Schwaben mehr Gefahr verströmt als zuletzt. Bobadilla hatte zwar in den Tagen zuvor über muskuläre Probleme geklagt, doch die schienen rechtzeitig zum Anpfiff vergessen zu sein. Der im Sommer verpflichteten Trochowski, der nach einer Verletzung kurz vor Saisonbeginn lange Ausgefallen war, bekam damit seinen ersten Startelfeinsatz. Und der 31-jährige ehemalige Nationalspieler zeigte, warum er für den FCA nicht nur als passgenauer Antreiber im Mittelfeld wertvoll sein kann: Waren die Standards der Augsburger bislang eher langweilige Veranstaltungen bis hin zu dem Risiko, dem Gegner einen Konter zu eröffnen, musste Alkmaar nun aufpassen, wenn der FCA einen Freistoß bekam. Die nächsten Aufgaben des FCA So. 25.10. (15.30 Uhr): Dortmund - FCA BL Mi. 28.10. (19 Uhr): SC Freiburg - FCA PO Sa. 31.10. (15.30 Uhr): FCA - Mainz 05 BL Do. 5.11. (21.05 Uhr): FCA - AZ Alkmaar EL So. 8.11. (17.30 Uhr): FCA - W. Bremen BL Sa. 21.11. (15.30 Uhr): Stuttgart - FCA BL Do. 26.11. (19 Uhr): FCA - Athletic Bilbao EL So. 29.11. (17.30 Uhr): FCA - Wolfsburg BL Sa. 5.12. (15.30 Uhr): 1. FC Köln - FCA BL Do. 10.12. (21.05 Uhr): P. Belgrad - FCA EL So. 12.12. (15.30 Uhr): FCA - Schalke 04 BL Sa. 19.12. (15.30 Uhr): Hamburg - FCA BL BL: Bundesliga; PO: DFB-Pokal; EL: Europa League Nicht nur mit seiner Parade in der Nachspielzeit sicherte Torhüter Marwin Hitz den Erfolg des FCA Bevor Trochowski allerdings seine Stärke am ruhenden Ball ausspielen konnte, musste Torhüter Marwin Hitz für seine Vorderleute mehrmals in letzter Not retten: Schon in der neunten Minute kam Alkmaars Dabney dos Santos Souza aus 16 Metern völlig frei aus zentraler Position zum Schuss - doch Hitz konnte den Ball mit einer tollen Parade per Fuß abwehren. Immer häufiger spielten die Niederländer sich die motivierten, oft aber nervös auftretenden Augsburger vor das Tor von Hitz. Der war in der ersten Spielhälfte gut beschäftigt, aber auch ebenso aufmerksam. Und er blieb ruhig, obwohl ihn die Nachlässigkeiten der Kollegen innerlich zur Weißglut gebracht haben dürften. Bislang hieß es beim FC Augsburg ja, die Mannschaft tue sich schwer mit Gegnern, die eher aufs Kontern als aufs Mitspielen setzen. Nach dem Abend in Alkmaar weiß man: Auch ein offensiv mitspielender Gegner stellt die Schwaben derzeit vor Probleme, allerdings weiß der FCA ihnen jetzt besser zu begegnen. Innenverteidiger Ragnar Klavan, der vor dem Wechsel zum FCA für Alkmaar auflief und dort auch Meister wurde, unterliefen zunächst jedoch ungewohnte Fehler, die zum Glück ungestraft blieben: Erst brachte Hendricksen den Ball nicht aufs Tor, nachdem Klavan ein Luftloch geschlagen hatte (36.). Dann schoss Janssen aus gut elf Metern über das Tor (38.). Kurz vor der Pause holte Bobadilla dann für den FCA einen Freistoß aus zentraler Position heraus, Trochowski legte sich den Ball zurecht, nahm Maß und - traf mit einem passgenauen Schuss in die linke obere Ecke zum 1:0 (43.). Alkmaar kam zur zweiten Halbzeit wieder mit viel Dynamik aus der Kabine und zwang den FCA erneut in die Defensive. Und auch wenn es den Schwaben nicht immer gelang, den Gegner vom Tor wegzuhalten - die Reihen blieben diesmal geschlossen. Und da war ja auch noch Hitz. Immer wieder musste der 28-Jährige all sein Können aufbieten. Als schließlich Hendricksen in der vierten Minute der Nachspielzeit wuchtig abzog, sahen viele schon den Ausgleich im Tor, doch Hitz hielt erneut und bescherte so dem FCA das lang ersehnte Erfolgserlebnis. "Wir haben nicht gut gespielt", urteilte Kapitän Paul Verhaegh: "Aber es ist egal, wie wir die Punkte holen, wir brauchen sie. Wir waren auch schon die bessere Mannschaft und haben verloren, heute war es eben andersrum."
https://www.sueddeutsche.de/panorama/gaggenau-fahrerflucht-nach-toedlichem-unfall-in-wohngebiet-1.4054713
mlsum-de-627
Ein Auto erfasst eine Frau und den Kinderwagen, in dem ihr Enkelkind liegt. Beide sterben. Der Fahrer flüchtet. Doch die Polizei findet ein deutliches Indiz am Unfallort.
In Gaggenau bei Baden-Baden hat ein Mann eine Frau und ihren kleinen Enkel überfahren und sie sterbend zurückgelassen. Die Polizei hat einen Verdächtigen ermittelt, doch dieser bestreitet eine Beteiligung, wie Polizei und Staatsanwaltschaft mitteilten. Der 47-Jährige wurde festgenommen, kam aber wieder auf freien Fuß. Gegen ihn wird wegen fahrlässiger Tötung und Unfallflucht ermittelt. Nach Erkenntnissen der Polizei war der Autofahrer am Freitagabend mit seinem Wagen in einem Wohngebiet in der Nähe des Flusses Murg unterwegs. Aus zunächst unbekannter Ursache kam er nach rechts von der Straße ab und erfasste auf dem Gehweg die 54-Jährige und den Kinderwagen, in dem ihr sieben Monate alter Enkel lag. Die 54-Jährige starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Ein Rettungshubschrauber brachte das Kind mit lebensgefährlichen Verletzungen in eine Klinik, wo es am frühen Samstagmorgen ebenfalls starb. Statt den Opfern zu helfen, flüchtete der Fahrer nach dem Unfall in der Innenstadt. Die Ermittler fanden das Kennzeichen des mutmaßlichen Unfallwagens am Unfallort. Die Polizei machte den 47-Jährigen noch am Abend bei einem Bekannten ausfindig. Dabei fanden die Beamten auch einen schwer beschädigten Wagen, der dem Mann gehören soll. Der mutmaßliche Fahrer streitet laut Polizei eine Beteiligung an dem Unfall ab. Bluttests sollen zeigen, ob er betrunken war oder Drogen genommen hatte. Bis das Ergebnis vorliegt, könnte allerdings eine Woche vergehen, sagte der Sprecher. Spezialisten der Verkehrs- und Kriminalpolizei sowie ein Sachverständiger arbeiten daran, den Unfallhergang zu rekonstruieren. Jedes Jahr kommt es in Deutschland zu Tausenden Verkehrsunfällen. Im vergangenen Jahr gab es laut Statistischem Bundesamt 457 354 schwere Unfälle von Auto- und Lasterfahrern mit Verletzten. In 20 528 Fällen flüchteten die Fahrer vom Unfallort. 68 Mal davon fuhren Beteiligte sogar nach tödlichen Unfällen davon.
https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-tuerkische-diplomaten-suchen-asyl-in-deutschland-1.3195553
mlsum-de-628
In drei Fällen muss Berlin prüfen, ob Putschverdächtige "politisch Verfolgte" sind. Das könnte die Beziehungen zu Ankara erneut belasten.
Nach dem fehlgeschlagenen Putsch in der Türkei suchen türkische Diplomaten humanitären Schutz in Deutschland. Nach Angaben aus Regierungskreisen sind mindestens drei Fälle bekannt, darunter offenbar auch ein Militärattaché der türkischen Botschaft in Berlin. Dies hat eine Recherche der Süddeutschen Zeitung, des NDR und des WDR ergeben. Die schwierigen deutsch-türkischen Beziehungen könnten damit vor einer neuen Belastungsprobe stehen. Unmittelbar nach dem Putschversuch Mitte Juli hatte die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan damit begonnen, mutmaßliche Helfer und Mitwisser zu verfolgen. Dies betraf neben Politikern und Richtern auch Diplomaten, die angeblich an dem gescheiterten Staatsstreich mitgewirkt hatten. Das türkische Außenministerium widerrief damals die Gültigkeit von Hunderten Diplomatenpässen. In Deutschland waren acht türkische Diplomaten betroffen, wie das Außenministerium in Ankara dem Auswärtigen Amt mitteilte. Die Diplomaten wurden offenbar verdächtigt, Anhänger der Gülen-Bewegung zu sein, welche die türkische Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht. Während einige von ihnen ausreisten, baten andere formal um Asyl in Deutschland. Gegenüber Abgeordneten des Bundestages nannten Vertreter des Innenministeriums die Zahl drei. Diese Zahl könne aber auch höher sein, heißt es mittlerweile in Regierungskreisen. Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD, verlangte, den Asylsuchenden entgegenzukommen. "Angesichts der Verfolgung von Regierungskritikern in der Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch muss es eine Selbstverständlichkeit für den deutschen Rechtsstaat sein, die Anträge von Botschaftsangehörigen für einen Aufenthalt in Deutschland sorgfältig und wohlwollend zu prüfen." Als besonders heikel gilt der Fall des ehemaligen türkischen Militärattachés Außenpolitisch sind die Fälle heikel, weil sie das deutsch-türkische Verhältnis weiter strapazieren könnten. Sollten die Diplomaten in Deutschland mit der Begründung Asyl erhalten, dass sie in ihrer Heimat politisch verfolgt werden, so würde die türkische Regierung dies wohl als Brüskierung durch die Bundesregierung empfinden. Deutschland und die Türkei sind enge Verbündete, unter anderem im Militärbündnis Nato. Auch setzt die Europäische Union in der Flüchtlingspolitik auf die Hilfe der Türkei. Doch hat das Verhältnis zuletzt gelitten. Im Juni beschloss der Bundestag die Armenier-Resolution, in der Verbrechen an der armenischen Minderheit im Osmanischen Reich 1915 und 1916 als Völkermord bezeichnet werden. Die Türkei zog aus Protest ihren Botschafter ab. Gerade in diesen Tagen versuchen die Regierungen beider Länder, die Beziehungen zu normalisieren. Der türkische Botschafter ist soeben nach Berlin zurückgekehrt, das Auswärtige Amt sieht darin einen "wichtigen positiven Schritt in den bilateralen Beziehungen". In Berliner Regierungskreisen hieß es, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe über die Asylanträge der Diplomaten noch nicht entschieden. Es sei auch keine Eile geboten, weil die Diplomaten ohnehin vor einer Abschiebung geschützt seien, solange das Verfahren laufe. Bisher soll die türkische Regierung auch nicht dagegen protestiert haben, dass die Diplomaten in Deutschland verharren. Heftige Auseinandersetzungen in der türkische Botschaft in Berlin Als besonders heikel gilt der Fall des ehemaligen türkischen Militärattachés in Berlin. Die Zeitung Hürriyet berichtete vor zwei Wochen, Oberst Ayhan Dağli sei seit dem Putsch verschwunden, ebenso dessen Ehefrau. Das Blatt spekulierte, dass er um Asyl gebeten haben könnte. Nach Recherchen von SZ, NDR und WDR soll er zum Kreis der Diplomaten gehören, die nun in Deutschland Schutz suchen. Nach bislang unbestätigten Informationen aus türkischen Sicherheitsbehörden sollen Putschisten in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli geplant haben, die türkische Botschaft in Berlin unter ihre Kontrolle zu bringen. Angeblich hätten sich Botschaftsmitarbeiter, die der türkischen Regierung gegenüber loyal waren, auf eine Konfrontation mit den Putschisten eingestellt und sich in einer Etage der Botschaft verbarrikadiert. Aus Kreisen der Bundesregierung verlautete, es sei bekannt, dass es in der türkischen Botschaft nach dem Putsch zu erheblichen Auseinandersetzungen gekommen sei. Ein Botschaftssprecher bestritt auf Anfrage "einen Angriff der Putschisten", räumte aber ein: "Es ist richtig, dass einige Diplomaten zurück in die Türkei gerufen worden sind.
https://www.sueddeutsche.de/sport/mclaren-report-1000-russische-sportler-in-staatliches-doping-system-involviert-1.3287235
mlsum-de-629
Der Skandal ist offenbar weit größer als angenommen: Wada-Chefermittler McLaren unterstellt Russland in seinem zweiten Bericht eine "institutionalisierte Strategie zur Medaillenbeschaffung".
Eine Mannschaft, 33 Medaillen - und mehr als 1000 gedopte Sportler? Russlands Teilnehmer an den Winterspielen 2014 in Sotschi mit Bobpilot Alexander Subkow als Fahnenträger an der Spitze. Mehr als 1000 russische Sportler sind nach Ermittlungen der Welt-Anti-Doping-Agentur zwischen 2011 und 2015 Teil einer großangelegten staatlichen Doping-Politik gewesen. Dies teilte Wada-Chefermittler Richard McLaren bei der Vorstellung seines zweiten Berichts in London mit. Der russische Doping-Skandal hat damit offenbar weit größere Ausmaße als bisher angenommen. Es habe in Russland, gesteuert vom Sportministerium, eine "institutionelle Verschwörung" gegeben, sagte McLaren. Er unterstellte Russland eine "institutionalisierte Strategie zur Medaillenbeschaffung". Es sei unmöglich zu bestimmen, wie weit die Verschwörung zurückreiche. "Jahrelang wurden internationale Sportwettbewerbe von den Russen gekapert", sagte McLaren: "Fans und Zuschauer wurden betrogen." Die mehr als 1000 betroffenen Athleten sollen entweder selbst gedopt oder von "der systematischen und zentralisierten Vertuschung und Manipulation des Dopingkontrollprozesses profitiert" haben, so McLaren. "Wir konnten die Ergebnisse des ersten Reports näher beleuchten" Betroffen gewesen seien dabei unter anderem die Olympischen Sommerspiele in London 2012, die Leichtathletik-WM 2013 in Moskau sowie die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014. Es seien Beweise gefunden worden, dass Dopingproben von insgesamt zwölf Medaillengewinnern in Sotschi manipuliert worden seien. "Wir konnten die Ergebnisse des ersten Reports nicht nur bestätigen, sondern auch näher beleuchten", sagte McLaren: "Obwohl das Bild jetzt klarer ist, ist es noch nicht komplett. Wir hatten nur Zugang zu einem kleinen Teil der Daten." Zum Beweis veröffentlichte McLaren 1166 Dokumente, die er während der Untersuchung sicherstellen konnte. Darunter Fotos, forensische Berichte und E-Mails. Dies seien, so McLaren, "unzweifelhafte Fakten". Was der erste McLaren-Report enthüllte Bereits aus dem ersten Bericht, den McLaren im Juli 2016 vorstellte und der für großes Aufsehen sorgte, ging hervor, dass im russischen Spitzensport jahrelang Doping gefördert und vertuscht wurde. So sollen zwischen 2012 und 2015 etwa 650 positive Dopingproben russischer Athleten in rund 30 Sportarten verschwunden sein. Bei den Winterspielen 2014 in Sotschi sollen positive Proben, die im Kontrolllabor analysiert wurden, sollen unter Mithilfe des Staates und Mitwirkung des Geheimdienstes FSB in negative manipuliert worden sein.
https://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-verteidiger-fordert-sofortige-freilassung-zschaepes-1.4002532
mlsum-de-630
"Beate Zschäpe ist keine Terroristin. Sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin", erklärt Verteidiger Wolfgang Heer im NSU-Prozess. Schuldig habe sie sich nur wegen einfacher Brandstiftung gemacht.
Wolfgang Heer redet nicht lange drumrum. Gleich in den ersten Minuten seines Plädoyers fordert er die Freilassung von Beate Zschäpe. "Beate Zschäpe ist keine Terroristin. Sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin", sagt der Verteidiger am Dienstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Sie sei wegen aller angeklagten Staatsschutzdelikte freizusprechen und unverzüglich aus der Untersuchungshaft freizulassen. Dass Zschäpe die Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Herbst 2011 in Schutt und Asche legte, sei auch nicht - wie es die Bundesanwaltschaft tut - als besonders schwere, sondern nur als einfache Brandstiftung zu werten. Einfache Brandstiftung - "dies ist alles, was von der Anklage des Generalbundesanwalts übrig bleibt", sagt Heer. Auf einfache Brandstiftung stehe eine Freiheitsstrafe von ein bis zehn Jahren. Zschäpe ist seit sechs Jahren und sieben Monaten in Untersuchungshaft, daher habe sie den Großteil einer möglichen Strafe in jedem Fall bereits abgesessen, sagt ihr Verteidiger - und fordert ihre Freilassung. Zschäpe hält sich die Hand vor dem Mund. Sie guckt Heer nicht an. Ihr Verteidiger steht rechts neben ihr. Sie aber guckt konsequent geradeaus, zeigt keinerlei Reaktion. Zumindest aber scheint sie ihrem Verteidiger zuzuhören. Zschäpe muss sich unter anderem wegen Mittäterschaft an zehn Morden, Dutzenden Mordversuchen, zwei Bombenanschlägen, 15 Raubüberfällen und wegen besonders schwerer Brandstiftung vor Gericht verantworten. Fast 14 Jahre lang hat sie mit Mundlos und Böhnhardt im Untergrund gelebt. Mit den beiden Neonazis soll die 43-Jährige 1998 die rechtsterroristische Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gegründet haben. Die Bundesanwaltschaft hat für Zschäpe eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung gefordert. Verteidiger Heer widerspricht der - wie er sie nennt - "monströsen Anklage" gleich zu Beginn seines Schlussvortrags in nahezu allen Punkten. "Frau Zschäpe hat keine Morde geplant", sagt Heer: "Sie hat keine Waffen beschafft. Sie hat an den Taten nicht mitgewirkt. Sie war noch nicht einmal in der Nähe auch nur eines Tatortes und hat die Straftaten von Mundlos und Böhnhardt auch nicht vom Küchentisch aus gesteuert." Er sagt auch, dass das Verfahren gegen seine Mandantin von Anfang an von Vorverurteilung geprägt gewesen sei. Es habe eine "Vielzahl von Fairnessverstößen" gegeben, die sich strafmildernd auszuwirken hätten. Zschäpe spricht seit Jahren nicht mehr mit Heer Heer wird sein Plädoyer voraussichtlich noch am Mittwoch fortsetzen. Danach - wohl am Mittwoch und Donnerstag - sollen Zschäpes weitere Verteidiger Wolfgang Stahl und Anja Sturm plädieren. Heer verteidigt Zschäpe seit 2011, zeitnah holte er Stahl und Sturm ins Team. Seit 2015 hat sich Zschäpe von den dreien abgewandt. Damals hat sie mit Mathias Grasel einen vierten Pflichtverteidiger bekommen und wird zusätzlich von Wahlverteidiger Hermann Borchert vertreten. Sie spricht seit Jahren nur noch mit Borchert und Grasel. Nachdem sie zweieinhalb Jahre lang auf Anraten von Heer, Stahl und Sturm im Prozess geschwiegen hatte, ließ sie ihre beiden neuen Anwälte eine Aussage verlesen. Darin teilte Zschäpe mit, dass sie von den Morden und Anschlägen jeweils erst hinterher erfahren habe. Sie sei furchtbar entsetzt gewesen, hätte aber weitere Taten nicht verhindern können. Nur mit den Raubüberfällen sei sie einverstanden gewesen, zur Sicherung des Lebensunterhalts im Untergrund. Zschäpes Vertrauensanwälte haben bereits im April plädiert. Grasel und Borchert trugen vor, dass für Zschäpe eine Gesamtfreiheitsstrafe von maximal zehn Jahren tat- und schuldangemessen sei. Zschäpe sei nur wegen Beihilfe zu 15 Raubüberfällen und wegen besonders schwerer Brandstiftung zu verurteilen. Zu Unrecht, meinen ihre Altverteidiger. Heer, Stahl und Sturm kommen zu einem anderen Ergebnis - und beantragen, Zschäpe sofort freizulassen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/flugzeugabsturz-in-aegypten-is-zeigt-angebliche-flugzeugbombe-1.2744037
mlsum-de-631
Mit einer Limodose und einem Zünder will der IS das russische Flugzeug bei Scharm el-Scheich zum Absturz gebracht und 224 Insassen getötet haben.
Eine Limodose, ein Schalter, ein Zünder Die Bombe, die das russische Flugzeug bei Scharm el-Scheich zum Absturz brachte, soll in einer Limodose versteckt gewesen sein - das behauptet zumindest die Terrormiliz IS. In der neuen Ausgabe ihres Propagandamazins "Dabiq" zeigen die Dschihadisten ein Foto, darauf eine Dose Ananaslimonade, ein Zünder und ein Schalter. "Exklusiv - ein Bild der Bombe, die benutzt wurde, um das russische Flugzeug zum Absturz zu bringen", steht darunter. Das Bild findet sich unter einem Artikel, in dem der IS die Terroranschläge von Paris bejubelt. Neben der angeblichen Bombe zeigt der IS auch Pässe russischer Passagiere, die bei dem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sein sollen. Ein Kämpfer habe sie am Absturzort aufgelesen, heißt es. Ob die Angaben der Terrororganisation stimmen, ist fraglich. Die russische Regierung geht jedoch offiziell von einem Bombenanschlag aus. Und die russische Zeitung Komersant berichtete, die Bombe, die das Flugzeug zum Absturz brachte, habe sich im Passagierbereich der Maschine befunden - nicht im Frachtbereich, wie angenommen. Das Blatt beruf sich auf Informanten aus dem Umfeld der Ermittlungen. Nach dem Flugzeugabsturz bei Scharm el-Scheich, bei dem alle 224 Passagiere starben, hatte ein ägyptischer IS-Ableger behauptet, das Flugzeug abgeschossen zu haben. Experten bezweifelten, dass die Terroristen über das dafür erforderliche Gerät verfügten - wahrscheinlich sei, dass das Flugzeug dafür zu hoch geflogen ist. Im IS-Propagandaheft Dabiq bekennt sich die Terrororganisation auch dazu, einen 48-jährigen Norweger und einen 50 Jahre alten Chinesen hingerichtet zu haben. Seit September hatten sie Lösegeld für die beiden Entführten verlangt. Wann und wo die Männer gefangen genommen wurden und wann sie getötet worden sein sollen, gab der IS nicht bekannt.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bundesamt-fuer-bauwesen-und-raumordnung-zwei-millionen-wohnungen-in-deutschland-stehen-leer-1.3159646
mlsum-de-632
Der Leerstand nimmt dramatisch zu, warnen Berater der Bundesregierung. Auf dem Land verfallen die Häuserpreise - und gefährden die Altersvorsorge vieler Menschen.
Die Immobilienforscher der Bundesregierung warnen überraschend deutlich, dass die Kluft zwischen Stadt und Land in Deutschland immer größer wird. In den Ballungsräumen steigen Mieten und Kaufpreise stark, aber in ländlichen Regionen drohe ein Preisverfall. So steht es im Wohnungs- und Immobilienmarktbericht des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Das Institut im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) ist dem Bundesbauministerium unterstellt und berät die Bundesregierung. Die Experten schätzen, dass bundesweit inzwischen etwas mehr als zwei Millionen Wohnungen leerstehen. 2011 waren es noch rund 1,8 Millionen. Damit steigt die Leerstand-Quote von 4,5 auf 5,1 Prozent. Bereits jetzt seien Häuser vielerorts "schwierig zu vermarkten", sagen die Forscher. Sollten noch mehr Menschen vom Land in die Ballungsräume ziehen, drohten vielen Eigentümern "gravierende finanzielle und organisatorische Probleme". Besonders groß ist das Problem in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie im Ruhrgebiet und im Saarland. In einigen ostdeutschen Kreisen wie dem Altenburger Land oder dem Vogtlandkreis stehen mehr als 15 Prozent aller Wohnungen leer. Das BBSR erwartet, dass die Quote vielerorts weiter steigen wird. Vermietern drohen dort Einnahmen wegzubrechen. "Das ist vor allem mit Blick auf den Stellenwert von Immobilien als Altersvorsorge problematisch", sagt BBSR-Direktor Harald Herrmann. Bereits seit 2006 ziehen hierzulande deutlich mehr Menschen vom Land in Groß- und Universitätsstädte. Zudem sind in den vergangenen Jahren viel mehr Menschen aus dem Ausland nach Deutschland gekommen als erwartet. Vor allem die Ballungsräume werden von der hohen Zuwanderung profitieren, schätzt das BBSR. "Der Wohnungsneubau kann mit dem stark angewachsenen Zuzug bisher nicht mithalten", sagt Direktor Herrmann. "Das Wohnungsangebot wächst bei Weitem nicht so schnell wie die Nachfrage." Die Folge: In den Ballungsräumen steigen die Immobilienpreise kräftig an, doch in vielen ländlichen Kreisen stagnieren sie - oder sinken sogar. Laut dem BBSR-Bericht wechselt ein Ein- oder Zweifamilienhaus auf dem Land im Schnitt für 135 000 Euro den Besitzer. In den Großstädten kostet ein Eigenheim im Schnitt 383 000 Euro. Bei Eigentumswohnungen sind die Unterschiede noch größer. In süddeutschen Hochschulstädten wie Regensburg, Erlangen, Ulm, Augsburg und Nürnberg sind Wohnungen heute mehr als 50 Prozent teurer als noch im Jahr 2009. Gleichzeitig sind die Wohnungspreise "im Großteil der Märkte" überhaupt nicht angestiegen. Besonders deutlich wird die Kluft zwischen Stadt und Land bei den Kaufpreisen für Grundstücke. Wer ein Haus bauen will, kann in einigen ostdeutschen Landkreisen entsprechendes Bauland für nur zehn Euro pro Quadratmeter kaufen. In Düsseldorf kosten Baugrundstücke dagegen 700 Euro, in München gar 1200 Euro pro Quadratmeter. Die Folge des teuren Baulands: In den Großstädten werden vor allem teure Eigentumswohnungen gebaut, die teuer vermietet werden - wenn überhaupt. Was die Forscher der Politik empfehlen In den Ballungsräumen fordert das BBSR deshalb eine "große Kraftanstrengung" der Politik, der Investoren und der Zivilgesellschaft, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. "Viele wohnungswirtschaftliche Akteure und Investoren sind zwar bereit zu investieren", sagt Herrmann. "Sie scheitern aber, weil nicht genügend Bauland verfügbar ist." Die Forscher empfehlen den Städten, strategisch neue Wohngebiete auszuweisen. Sie heben Großstädte wie Berlin oder München hervor, die Bauland nicht zum höchsten Preis, sondern nach dem besten Konzept vergeben. So kommen auch städtische Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften zum Zug, die vor allem bezahlbare Mietwohnungen bauen. Zudem können Städte einen Mindestanteil von Sozialwohnungen vorschreiben, wenn sie Bauland verkaufen. Zudem empfiehlt das BBSR der Politik, mittelgroße Städte auf dem Land "gezielt zu unterstützen". Nur wenn diese regionalen Zentren weiterhin Arbeitsplätze bieten und ihr Umland versorgen, könnte die Abwanderung aus den ländlichen Kreisen abgebremst werden.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fischindustrie-lachslaus-treibt-die-preise-fuer-lachs-1.3333186
mlsum-de-633
Vor allem Bestände der Fischzüchter in Norwegen und Schottland sind gefährdet. Im Großhandel steigen die Preise um bis zu 50 Prozent.
Lachs gehört zu den Produkten, die ein Gefühl von Luxus transportieren, aber trotzdem erschwinglich sind. Das könnte sich in Zukunft ändern. Der Parasit "Lepeophtheirus salmonis", auch Lachslaus genannt, bedroht die Bestände - mittlerweile mit deutlichen Auswirkungen auf die Großhandelspreise. Der wenige Millimeter kleine Krebs setzt sich an der Haut der Fische fest und frisst ihr Gewebe und Blut. So schwächt der Parasit den Lachs und bewirkt im schlimmstenfalls seinen Tod. Wissenschaftler vermuten, dass das vermehrte Auftreten der Lachslaus mit dem Klimawandel zusammenhängen könnte, der die Meerestemperaturen ansteigen lässt. Dass sich der Minikrebs so rasch ausbreiten kann, ist aber vor allem auch Ergebnis der Massentierhaltung im Meer - der Fischzucht in Aquakulturen. Die aus der Aquakultur entweichenden Fische wiederum gefährden die wild lebenden Bestände. Weltweit sank die Menge an atlantischem Lachs um fast neun Prozent Wie die englische Tageszeitung The Guardian berichtet, stieg der Großhandelspreis für Lachs im vergangenen Jahr um bis zu 50 Prozent. Vor allem norwegische und schottische Lachsproduzenten haben Probleme mit der Lachlaus. Einer Analyse der norwegischen Bank Nordea zufolge produzierten die fünf größten Lachsfarmen in Norwegen im vergangenen Jahr 60 000 Tonnen weniger Fisch als erwartet. Das entspricht einem Rückgang von sechs Prozent. Weltweit sank die Menge an atlantischem Lachs um fast neun Prozent und die Analysten befürchten, dass sich das Parasitenproblem in diesem Jahr noch verschärfen könnte. Die Lachspreise für die Verbraucher sind bisher nur mäßig gestiegen. Das liegt nach Angaben von Experten unter anderem daran, dass die Großhändler einen Teil des Preisanstiegs auffingen und dass die Verträge für Fisch von den Supermärkten normalerweise bis zu ein Jahr im Voraus abgeschlossen würden. Ob es dabei bleibt, ist fraglich. "Es ist verrückt", zitiert der Guardian einen Händler des Billingsgate Market, dem größten Fischmarkt in Großbritannien. "Ich bin seit 30 Jahren bei Billingsgate und so schlimm war es noch nie."
https://www.sueddeutsche.de/politik/deutsche-islamkonferenz-trockene-absichtserklaerungen-1.3179584
mlsum-de-634
Vor zehn Jahren begannen der Staat und die hier lebenden Muslime, auf Augenhöhe miteinander zu reden. Doch was ist, außer frommen Wünschen, aus der "Deutschen Islamkonferenz" geworden?
Schon der Ort des Treffens war ein Symbol. Wolfgang Schäuble, damals Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, hatte das Schloss Charlottenburg reservieren lassen, mit seinem hochherrschaftlichen Ambiente und dem Parkettboden, über den die Touristen sonst nur in Filzpantoffeln rutschen dürfen; es war ein schöner, milder Tag zwischen Sommer und Herbst, an dem sich Deutschland und Berlin von ihrer schönsten Seite zeigten. Schäuble hatte die 15 Vertreter der in Deutschland lebenden Muslime ins Wohnzimmer des Landes geladen, um mit weiteren 15 Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen über den Islam in Deutschland zu diskutieren. Es war ein historischer Tag, dieser 27. September 2006. Erstmals saßen sich Staat und Muslime zumindest für die Dauer des Treffens auf Augenhöhe gegenüber. Bewusst hieß das Gremium, das da seine ersten Schritte ging, "Deutsche Islamkonferenz", weil es eben um Deutschland ging und den Islam, der in diesem Land seine Heimat finden sollte. Zu den Muslimen, die an diesem Tag ins Schloss geladen waren, gehörten neben den islamischen Verbandsvertretern Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Navid Kermani und Feridun Zaimoglu - und auch die scharfzüngige Islamkritikerin Necla Kelek. Eine andere, optimistischere Zeit An diesem historischen Tag sagte Wolfgang Schäuble: "Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas. Er ist Teil unserer Gegenwart, und er ist Teil unserer Zukunft. Muslime sind in Deutschland willkommen. Sie sollen ihre Talente entfalten, und sie sollen unser Land weiter voranbringen." Einige Zeit später wird der damalige Bundespräsident Christian Wulff Vergleichbares sagen und damit eine Kontroverse auslösen. Das alles, die Islamkonferenz in Berlin, ist zehn Jahre her und wirkt doch wie der Bericht aus einer anderen, optimistischeren Zeit. Der christdemokratische Innenminister fand, dass es auch für einen säkularen Staat wichtig ist, Religionen durch Einbinden zu befrieden, die gefährlichen Seiten zu bändigen und ihr Potenzial für eine friedliche und soziale Gesellschaft zu nutzen. Die Vertreter der Islam-Verbände dachten, dass sie nun zum Verhandlungspartner für den Staat würden, von den Bundesministern bis hinunter zu den Bürgermeistern. Und die meisten Kommentatoren fanden, dass es gut ist, wenn alle miteinander reden - die frommen Verbandsvertreter und ihre Kritiker, die Schriftsteller und die Verwaltungsexperten. Die Deutsche Islamkonferenz gibt es noch. Sie hat erst im Mai darüber diskutiert, wie eine professionelle muslimische Wohlfahrtspflege aufgebaut werden könnte, vergleichbar mit jener der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie. Sie wird im nächsten Mai darüber reden, wie die Jugendarbeit der Islam-Verbände besser vom Staat unterstützt werden und wie sie besser Jugendliche vorm Abgleiten in den Fundamentalismus bewahren könnte. Das sind wichtige Themen, zweifelsohne, und weil sie eher die Mühen der Sozialgesetzgebung und des Juristischen berühren, kommen auch keine Schriftsteller und Publizisten mehr zu den Treffen. Wer sich für den Islam in Deutschland interessiert, findet auf der Homepage der Islamkonferenz Beiträge über "Religionssensible soziale Dienstleistungen und Kommunen und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege", über "Flucht und Islam", den Moscheebau und das Kopftuch - oder über muslimischen Rap, der, natürlich, "in keine Schublade passt". Doch in der Politik und der Öffentlichkeit hat die Bedeutung der Islamkonferenz arg gelitten - und das liegt an den Protagonisten beider Seiten, der staatlichen wie der muslimischen. Schon unter Schäubles Nachfolger Thomas de Maizière legte das Innenministerium zunehmenden Wert auf das Thema innere Sicherheit; im Innenministerium sei Schäubles Dialogkurs manchmal nur zähneknirschend hingenommen worden, hieß es damals. Als dann Hans-Peter Friedrich von der CSU Innenminister wurde, eskalierte der Streit zwischen ihm und den Verbänden bald: Friedrich erklärte erst einmal, dass für ihn zwar die Muslime zu Deutschland gehörten, der Islam aber nicht Teil des Landes sei. Er schlug dann eine "Sicherheitspartnerschaft" zwischen den Behörden und den Moscheegemeinden vor - letztere sollten enger mit Polizei und Verfassungsschutz zusammenarbeiten, um den radikalen Islamismus bekämpfen zu helfen. Das empfanden die Muslime als Generalverdacht und Aufruf zur Denunziation und drohten mit dem Boykott der Konferenz - tatsächlich schien von Schäubles Idee, einen Dialog von Staat zu Religion auszustoßen, wenig übrig geblieben zu sein. Beteiligte Moscheeverbände waren bald untereinander zerstritten Was allerdings auch an den muslimischen Vertretern lag. Die vier größten Moscheeverbände - die türkisch-islamische Ditib, der Islamrat, der Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Zentralrat der Muslime - hatten zu Beginn der Islamkonferenz den "Koordinierungsrat der Muslime" gegründet, um mit einer Stimme zu sprechen und die Kräfte zu bündeln. Doch bald waren die Verbände samt ihren Protagonisten zerstritten: Die Ditib beanspruchte als größter Verband eine Führungsrolle, was die anderen grundsätzlich, zunehmend aber auch mit Verweis auf die faktische Abhängigkeit vom türkischen Staat ablehnten. Der Zentralrat der Muslime mit dem umtriebigen Vorsitzenden Aiman Mazyek wurde zum Liebling der Politiker und Journalisten - doch der war der Chef des kleinsten der vier Verbände. So wurde der Koordinierungsrat nie ein ernst zu nehmender Verhandlungspartner - und die unabhängigen Vertreter der Islamkonferenz wiesen immer wieder darauf hin, dass die Verbände insgesamt nur eine Minderheit der Muslime verträten und überhaupt nur das konservative Spektrum des Islam. Gescheitert ist die Islamkonferenz allerdings nicht, wie so mancher Kritiker sagt. Innenminister Thomas de Maizière hat es geschafft, die Beteiligten am gemeinsamen Tisch zu halten, der CDU-Politiker hat Tempo aus mancher ideologischen Debatte herausgenommen - man redet nicht mehr über Rechtsstaat, Grundgesetz, Scharia, Koran, sondern über Jugendarbeit und Pflegedienste. Der Preis ist, dass die vor zehn Jahren so glanzvoll gestartete Veranstaltung nun wenig glanzvoll vor sich hinwerkelt - und am Ende keine großen Sätze stehen, sondern ein paar trockene Absichtserklärungen. Was, wenn man die Islamdebatte im Land sieht, nicht weniger ein Zeichen ist als das erste Treffen im Königsschloss.
https://www.sueddeutsche.de/politik/monumente-mein-triumphbogen-mein-dom-meine-stadt-1.4186119
mlsum-de-635
In aller Welt lassen sich Staatschefs pompöse Denkmäler setzen - die Bürger haben oft nichts davon.
Wenn Politiker sich noch zu Lebzeiten ein Denkmal setzen lassen, geht es in vielen Fällen um eines: Größe. Die Wichtigkeit des Mannes soll sich in der Dimension des Monuments ausdrücken. Ein extremes Beispiel: Kasachstan. Staatsgründer Nursultan Nasarbajew schafft sich allerdings nicht bloß ein wuchtiges Monument. Er verewigt sich mit einer ganzen Stadt. Soll man nun die gläserne Pyramide in Astana hervorheben, die hochoffiziell Palast des Friedens und der Eintracht heißt? Die Auswahl ist schwierig, denn in der kasachischen Hauptstadt steht ja auch der Bajterek-Turm, der einen erhabenen Blick auf eine kilometerlange Achse erlaubt, an deren Ende der pompöse Palast von Präsident Nasarbajew steht. Auf der Aussichtsplattform können Besucher eine Hand in den Handabdruck des Staatschefs legen, und ein patriotisches Lied erklingt. Es gibt noch eine Nasarbajew-Universität, der internationale Flughafen ist ebenfalls nach dem seit mehr als einem Vierteljahrhundert regierenden Präsidenten benannt. Vor 20 Jahren ließ Nasarbajew die Hauptstadt verlegen. Vom südlichen Almaty in das nördliche, jetzige Astana. In der Steppe lässt sich viel leichter Neues schaffen, eine identitätsstiftende Hauptstadt soll Astana sein, jung, modern, emporstrebend. Ein rasant wachsender Mikrokosmos, in dem sich die Entwicklung des ölreichen, zentralasiatischen Landes spiegeln soll. Die Menschen wirken stolz, einerseits, indes auch klein und verloren unter all den neuen Riesen, die da im Namen des Übervaters wachsen: den Towern der Unternehmen und der staatlichen Ministerien. Detailansicht öffnen Einer von vielen Großbauten des Staatsgründers von Kasachstan, Nursultan Nasarbajew: Der Präsidentenpalatast in der neu errichteten Hauptstadt Astana. (Foto: Nikita Basov/AP) Es fällt auf, dass Frauen sich deutlich seltener mittels monumentaler Bauten ein Vermächtnis sichern wollen. Zwar gibt es Flughäfen mit prominenten weiblichen Namensgebern: den "Benazir Bhutto Airport" in Islamabad etwa, oder den "Indira-Gandhi-Flughafen" in Delhi. Aber die früheren Premiermisterinnen Pakistans und Indiens haben sich damit nicht selbst zu Lebzeiten verewigt - die Namen wurden erst nach ihrem Tod vergeben. Auch in Europa sehen sich vor allem mächtige Staatsmänner gerne als Bauherren - Paradebeispiel: Frankreich. Ihre Lieblingsbaustelle ist Paris. Dort ist es zwar vor lauter Königsbauten schon etwas eng, doch auch die Paläste der Moderne finden ihren Platz. In der Fünften Republik ist es vor allen Dingen den Präsidenten Georges Pompidou (1969 bis 1974) und François Mitterrand (1981 bis 1995) gelungen, Gebäude errichten zu lassen, die heute jeder kennt und die die Erinnerung an ihre Ära festbetonieren. Das Museum für Moderne Kunst im Zentrum der Stadt nennt inzwischen jeder einfach nach seinem Initiator: Centre Pompidou. Als das Haus mit den bunten Röhren und Rolltreppen an der Außenfassade 1977 fertiggestellt wurde, reagierten die Pariser mit Entsetzen. Heute zieht der Retro-Futurismus die Touristen an. Mitterrand nutzte seine lange Amtszeit für besonders viele Architekturprojekte. Er ließ die Glaspyramide in den Innenhof des Louvre setzen, vor der nun auch Emmanuel Macron seinen Einstand als Präsident feierte. Mitterrand ließ es sich zudem nicht nehmen, sich seinen eigenen Triumphbogen zu errichten. Das 110 Meter hohe, quadratische Bauwerk aus dem Jahr 1989 heißt "Der Große Bogen der Brüderlichkeit" und liegt genau auf der Achse der Champs-Élysée und des bereits stehenden Triumphbogens. So architekturwütig wie Mitterrand war nach ihm kein anderer Präsident mehr. Jacques Chirac hinterließ zwar das Museum am Quai Branly, doch seine Nachfolger Nicolas Sarkozy und François Hollande schieden aus dem Amt, ohne sich selbst große Häuser errichtet zu haben. Und der heutige Präsident Macron hat bislang noch keine neuen Großbauwerke versprochen. Auf Europas Nachbarkontinent Afrika mangelt es ebenfalls nicht an Denkmälern. Viele tragen hochfliegende Namen wie "Monument der afrikanischen Wiedergeburt" oder "Denkmal der nationalen Helden" und sollen an das Ende von Sklaverei, Kolonialismus und Ausbeutung erinnern. Auch hier belegen die Prestigebauten, dass es ihren Auftraggebern mehr um sich selbst als um ihre Völker ging. Ein besonders eindrückliches Beispiel für Großmannssucht steht in der Elfenbeinküste, mitten im Urwald. Der erste Präsident des Landes, Félix Houphouët-Boigny, hatte sein Geburtsdorf Yamoussoukro Anfang der 1980er-Jahre einfach zur Hauptstadt erklärt. Weil es dort nicht viel hauptstadtmäßiges gab, ließ er in der unscheinbaren Siedlung eine Kopie des Petersdoms errichten: Notre-Dame de la Paix. Die gewaltige Kirche bietet Platz für 7000 Gläubige und verfügt über klimatisierte Sitze. Geschätzte Baukosten: etwa 300 Millionen Euro. Detailansicht öffnen Verewigt, Mitten in Paris: Der französische Präsident Georges Pompidou ließ in den 70er jahren das nach ihm benannte Centre errichten. (Foto: Charles Platiau/Reuters) Andere afrikanische Staatsmänner begnügen sich mit Bronzeplastiken - nur groß sollten sie schon sein. Im Senegal hat der 2012 abgewählte Präsident Abdoulaye Wade drei bronzene Mega-Menschen aufstellen lassen, Vater, Mutter, Kind, knapp 50 Meter hoch. Wie viele Bronzedenkmäler in Afrikas Hauptstädten stammt auch das senegalesische aus der Skulpturenfabrik Mansudae Art Studio, einem nordkoreanischen Unternehmen mit 4000 Mitarbeitern. Die Fabrik beliefert inzwischen die ganze Welt mit recht billigen Bronzeplastiken. Und torpediert damit das, was die Bauherren eigentlich im Sinn haben: sich ein einzigartiges Denkmal zu setzen.
https://www.sueddeutsche.de/sport/bundesliga-27-spieltag-wayne-rooney-im-kopf-felix-magath-im-nacken-1.25012
mlsum-de-636
Bayern München trifft am Samstag gleich auf mehrere Gegner, Schalke beschäftigt die Paläanthropologen und Köln die Polizei. Die Vorschau auf den 27. Spieltag.
1. FC Köln - Borussia Mönchengladbach (Freitag, 20.30 Uhr) Fußball ist ein schönes Spiel mit 22 Akteuren. Wenn aber mehrere Hundertschaften der Polizei vor Ort sind, das Ordnungspersonal im Stadion um 20 Prozent aufgestockt wird und rund 250 gewaltbereite Fans mit einem Betretungsverbot für Arena und Stadt belegt werden, ist das eigentlich nur noch ein Armutszeugnis für das Spiel Fußball, das zur Nebensache wird. Nach den Jagdszenen in Berlin vom vergangenen Wochenende herrscht in Köln vor dem Rheinderby gegen Gladbach Ausnahmezustand. Während die Ansetzung auf Freitagabend die Angst vor erhöhter Gewaltbereitschaft weiter schürt, reicht allein die sportliche Situation in Köln und in Gladbach aus, um maximale Brisanz zu erzeugen. Kölns Vorsprung auf Relegationsplatz 16 beträgt nur noch vier Zähler. Nach der zuletzt desolaten Vorstellung in Mainz orakelte Udo Lattek: "Mit einer solchen Leistung kann der FC gegen keine Bundesliga-Mannschaft gewinnen." Nun ist Gladbach unbestritten eine solche, aber auch hier folgten auf passable Ergebnisse zwei herbe Niederlagen (0:3 in Dortmund, 0:4 gegen Wolfsburg). FC-Trainer Soldo lässt sich bezüglich Taktik und Aufstellung für das "Spiel des Jahres" nicht in die Karten schauen. Sicher ist, dass Petit nach Gelbsperre wieder ins Team rückt. Bei Gladbach könnte Rob Friend für Colautti stürmen. Im Mittelfeld wackeln Marcel Meeuwis und Michael Bradley. Thorben Marx oder Tony Jantschke stehen als Alternativen bereit. Bleibt nur zu hoffen, dass all das "auf dem Platz" am Freitag in Köln auch jemanden interessiert. Foto: dpa
https://www.sueddeutsche.de/geld/deutsche-bank-am-tropf-der-investmentbanker-1.980536
mlsum-de-637
Die Deutsche Bank verlässt sich zu einseitig auf das lukrative Investmentmentbanking. Im Extremfall kann das fatale Folgen haben.
Es kam nicht so schlimm, wie Analysten befürchtet hatten, es ist noch nicht so gut, wie es die Deutsche Bank selber gerne hätte: Der Branchenprimus lieferte am Dienstag ein zwiespältiges Quartalsergebnis ab. Nach den vorher vorgelegten Ergebnissen amerikanischer Investmentbanken hatte sich der Markt auf einiges gefasst gemacht. Das Geschäft mit dem Handel von Aktien, Anleihen und Währungen litt in den vergangenen Monaten stark unter der Krise der europäischen Schuldenstaaten. Dies schlug auch bei der Deutschen Bank ins Kontor, aber es gab eine Reihe von positiven Effekten, die dafür sorgten, dass unter dem Strich noch ein passables Ergebnis stand. Es war sogar höher, als die Analysten vorhergesagt hatten. Und so gehörte die Deutsche Bank an der Börse sogar zu den großen Gewinnern. Detailansicht öffnen Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, konzentriert sich zu stark auf das Investmentbanking. (Foto: ap) Das darf und wird das Kreditinstitut aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein strukturelles Problem mit den neuen Zahlen noch deutlicher zu Tage getreten ist: Das Institut hängt zu stark am Tropf des Investmentbankings. Läuft es dort einmal schlecht, leidet sofort die gesamte Bank, weil die anderen Sparten zu schwach sind. Und Zeiten wie die vergangenen beiden Quartale, als das Investmentbanking boomte, sind eher die Ausnahme als die Regel. Auch in den nächsten Monaten dürfte das Geschäft eher schleppend laufen. Die Frage aber ist, ob der Deutschen Bank dann noch einmal Sondereffekte helfen, das Gesamtbild aufzuhübschen. Ganz vorsichtig hat Vorstandschef Josef Ackermann sogar sein ehrgeiziges Ziel für 2011 relativiert. Das ist eine Nachricht, die am Dienstag fast unterging. Es ist bei weitem nicht so gut, wie es die Deutsche Bank gerne hätte.
https://www.sueddeutsche.de/sport/hamburger-sv-wiedersehen-macht-freude-1.3258153
mlsum-de-638
Trainer Markus Gisdol holt mit dem Hamburger SV ein Unentschieden bei seinem Ex-Klub Hoffenheim. Seine Mannschaft zeigt eine große Willensleistung.
Ob es das Insiderwissen von Trainer Markus Gisdol war? Jedenfalls haben die beiden Auswärtstore seit über zwei Monaten dem Hamburger SV ein überraschendes Erfolgserlebnis beschert. Dank einer großen Willensleistung erkämpfte sich der Krisenklub nach drei Niederlagen in Serie ein 2:2 (1:1) bei der bisher ungeschlagenen TSG Hoffenheim. Gisdol holte den Punkt ausgerechnet an seiner alten Wirkungsstätte, wo er vor 13 Monaten nach einer 0:1-Niederlage - übrigens gegen den HSV - entlassen worden war. Filip Kostic (28.) und Nicolai Müller (61.) trafen für die Hamburger, die nach einem knappen Drittel der Saison dennoch Letzter sind. Die sieglosen Hanseaten haben lediglich drei Punkte auf dem Konto, Gisdol holte in sechs Partien nur zwei Zähler. Die Hoffnung ruht nun auf einem Sieg am Samstag im Nordderby gegen Werder Bremen. Sandro Wagner (45.+1) und Steven Zuber (49.) erzielten die Tore für die Hoffenheimer, die als Tabellenfünfter sechs Punkte Rückstand auf Spitzenreiter RB Leipzig aufweisen. Elf Partien ohne Niederlage unter der Regie des ehemaligen Gisdol-Assistenten Julian Nagelsmann bedeuten immerhin einen neuen Vereinsrekord. Das Chaos der vergangenen Tage in Hamburg hatte vor der Partie das Schlimmste für den Bundesliga-Letzten befürchten lassen. Klubchef Dietmar Beiersdorfer wurde nach seiner erfolglosen Sportdirektor-Suche von Aufsichtsratsboss Karl Gernandt angezählt, Marketing-Vorstand Joachim Hilke kündigte seinen Rückzug an, und Gisdol setzte Kapitän Johan Djourou zugunsten des Japaners Gotoku Sakai ab. Dazu kam die Verletzung von Torwart Rene Adler, der nach seiner Ellbogen-Operation bis Jahresende ausfällt. Die 29 512 Zuschauer in der Rhein-Neckar-Arena mussten nicht lange auf die erste große Chance der Gastgeber warten. Nach starker Vorarbeit von Nadiem Amiri schloss der Kroate Andrej Kramaric schwach ab (3.). Nach rund zehn Minuten konnten sich die Hamburger vom Druck der Kraichgauer befreien, außerdem mussten die Hoffenheimer in der 21. Minute ungeplant auswechseln. Für den angeschlagenen Innenverteidiger Kevin Vogt (Adduktoren) kam Ermin Bicakcic. In der Nachspielzeit vergibt Sandro Wagner die Chance zum Hoffenheimer Sieg Der HSV stand in dieser Phase stabil und bestimmte sogar das Spiel. Von Hoffenheim kam nicht mehr viel. Die Führung der Gäste nach einer schönen Einzelaktion von Kostic war deshalb nicht unverdient. Erst in der 44. Minute wurden die Hoffenheimer wieder gefährlich, Wagner konnte seinen früheren Darmstädter Kollegen Christian Mathenia zunächst aber nicht überwinden. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte stocherte der Angreifer den Ball nach einer Ecke aber doch über die Linie. Kurz nach dem Seitenwechsel brachte Zuber die Gastgeber nach guter Vorarbeit von Kaderabek in Führung. Hoffenheim konnte den Vorsprung aber nicht lange halten, Müller profitierte bei seinem dritten Saisontor von einem Fehler von Süle. Kurz darauf vergab Kramaric große Chancen zur erneuten Führung für die TSG (65. und 71.). Auf der Gegenseite strich ein Schuss von Lewis Holtby nur knapp am Tor vorbei (76.). In der Nachspielzeit verfehlte Wagner nur um Zentimeter das Ziel.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sondertreffen-in-bruessel-griechenland-und-eurogruppe-beenden-treffen-ohne-gemeinsame-erklaerung-1.2346579
mlsum-de-639
Hin und her zwischen Eurogruppe und Griechenlands Finanzminister Varoufakis: Nach zähem Ringen sah es zunächst so aus, als habe man sich doch noch auf ein Vorgehen für die finanzielle Rettung des Landes geeinigt. Doch am Ende scheitert es an der Abschlusserklärung.
Traditionell werden neu ins Amt gekommene Regierungschefs oder Minister bei ihrem ersten Treffen im Kreise der Kollegen in Brüssel besonders willkommen geheißen. Ob sich der griechische Premier Alexis Tsipras auf dem informellen EU-Gipfel an diesem Donnerstag auf einen herzlichen Empfang freuen darf, darüber schwiegen sich am Mittwoch die verantwortlichen Organisatoren aber aus. Man werde "nicht darauf dringen, über Griechenland zu debattieren", verlautete nüchtern aus dem Planungsstab von EU-Ratspräsident Donald Tusk. Bei Finanzminister Yanis Varoufakis, der am Mittwochnachmittag zu einem speziell wegen der dramatischen griechischen Finanzlage anberaumten Sondertreffen des Euro-Spitzenpersonals nach Brüssel reiste, hielten sich die Ressortkollegen aus den 18 Euro-Ländern nicht lange mit Freundlichkeiten auf. Dass Varoufakis mit leeren Händen ankam, verschlug einigen zunächst schlicht die Sprache. Statt eines Planes, wie Athen sich den für alle Euro-Länder geltenden Regeln annähern könnte, trug der griechische Finanzminister erneut die Forderungen seiner Regierung vor. Danach, so verlautet aus dem Verhandlungssaal, sei der selbstbewusste Grieche in ein regelrechtes Feuer der Kollegen geraten. Forderungen hin oder her, Griechenland müsse spätestens am Montag die Verlängerung des bis Ende Februar laufenden Hilfsprogrammes beantragen - um so Zeit zu gewinnen, in Ruhe über die weitere Zukunft nachdenken zu können. Nach drei Stunden schien es soweit: Varoufakis stimmte zu, an diesem Donnerstag "technische Gespräche" zu beginnen, an die sich Verhandlungen über die Verlängerung des Kreditprogramms anschließen könnten. Gegen 21 Uhr am Mittwochabend ging ein Aufatmen durch den Saal. Eine Stunde später war die Stimmung wieder angespannt. Kurz vor Mitternacht brachte ein Bote die Kunde, dass der Deal an der Wortwahl der Abschlusserklärung zu scheitern drohe. Die einen bestünden auf dem Wort "Verlängerung", die anderen auf "neuer Brückenfinanzierung". Kurze Zeit später traf die nächste Nachricht ein: Am Donnerstagmorgen um 9 Uhr beginnen die Gespräche zwischen griechischen Unterhändlern und Euro-Institutionen. Zwanzig Minuten nach Mitternacht: Es gibt keine Gespräche. Neuer Versuch am Montag. Bereits vor dem Finanzministertreffen hatten Diplomaten klar gemacht, dass Berlin und Paris kein separates Treffen mit Tsipras planten. Die Chefs seien nicht dazu da, Finanzpläne zu verhandeln. Es sei Aufgabe der Finanzminister der Euro-Länder, "einen strukturierten Arbeitsprozess, der den Regeln entspricht, in Gang zu setzen", sagte ein Unterhändler der Euro-Länder. Drohung implodiert Hinter dem kryptischen Satz verbirgt sich das eigentliche Problem. Bisher hatten sich Tsipras und die Euro-Partner in rhetorischen Angriffen und Maximalforderungen an die jeweilige andere Seite verfangen - und damit das Verhandlungsklima eingefroren. Und zwar so weit, dass sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der von Amts wegen nicht für die griechischen Finanzen zuständig ist, gezwungen sah, vermittelnd einzugreifen. Juncker habe auf Bitten Tsipras' "einige inhaltliche und diplomatische Unterstützung" gegeben, hieß es in Athen. Detailansicht öffnen Athens Premier Alexis Tsipras (links) begrüßt am Mittwoch den Generalsekretär der OECD, José Ángel Gurria. (Foto: Aris Messinis/AFP) Tsipras hatte in den vergangenen Tagen eine Trumpfkarte nach der anderen verloren, die er in den Verhandlungen ziehen wollte. Die Forderung nach einem Schuldenschnitt musste er zurückstellen - Tsipras hat erkannt, dass er für die nächsten sechs Monate Geld braucht, damit seine Regierung überleben kann. Die angestrebte Zusammenarbeit mit der OECD bei Reformen ist eine Sackgasse, weil die OECD keine Hilfskredite vergibt - und Tsipras' kurzfristiges Geldproblem bestehen bleibt. Die Drohung einiger Minister, eben anderswo Geld aufzutreiben, etwa in Russland und China, implodierte am Mittwoch praktisch von allein. Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums sagte, in Peking sei nichts von einem entsprechenden Angebot bekannt. Die russische Regierung hatte im Jahr 2013 dem von der Pleite bedrohten Zypern Hilfskredite in Aussicht gestellt. Die Konditionen waren so hart, dass es bei einem Kredit blieb. Zyprischen Diplomaten zufolge hatte Moskau unter anderem den Austritt aus der Währungsunion gefordert. Der russische Außenminister Sergej Lawrow gab sich am Mittwoch in Moskau zurückhaltend. Sollte Athen um finanzielle Hilfe bitten, werde das geprüft. Zum Dilemma von Tsipras gehört, dass der Ausweg, sich Geld am Finanzmarkt über kurzlaufende Staatsanleihen zu beschaffen, verschlossen zu sein scheint. Die Zinsaufschläge steigen seit Tagen an, sie pendeln für mittelfristige Papiere um zehn Prozent. Wenn Griechenland am 28. Februar aus dem laufenden Kreditprogramm aussteigt, werden sich die Konditionen weiter verschlechtern. Charmeoffensive Varoufakis und Tsipras reisten unter den schlechtesten Voraussetzungen an, sagte ein Euro-Unterhändler: "Sie haben kein Geld und keine Zeit." Ihre potenziellen Geldgeber, also die Euro-Länder, die Europäische Zentralbank, der Euro-Rettungsfonds und der Internationale Währungsfonds, stünden ihnen mit einer klaren Linie gegenüber. Jedes Land der Währungsunion müsse sich an die Regeln halten. Auch die Bundesregierung dämpfte die Erwartungen an eine schnelle Einigung. Allerdings: Auch auf Seiten der Euro-Partner gibt es Gründe, warum sie Athen entgegenkommen müssen. In der gegenwärtigen geopolitischen Lage kann es sich Europa nicht leisten, Griechenland als Partner zu verlieren. Zudem entstünde mit dem Austritt Athens aus dem Euro eine unkontrollierbare Situation an den Finanzmärkten - die verhindert werden soll. Ein Diplomat zeichnete am Abend ein plastisches Bild der Lage. Als Tsipras kürzlich den italienischen Premier Matteo Renzi besucht habe, sei er von diesem mit einer Krawatte beschenkt worden - wohl ein Hinweis darauf, dass Tsipras sich vom Parteiführer zum Regierungschef wandeln müsse. "Und wenn Tsipras in Brüssel die Krawatte angezogen hat, ziehen die Partner den Knoten fest", sagte der Diplomat.
https://www.sueddeutsche.de/sport/fifa-skandal-hilfsgelder-die-nie-ankommen-1.2513128
mlsum-de-640
Fluthilfe für Pakistan, Unterstützung für Haiti: Funktionäre in der Fifa tarnten ihre korrupten Geschäfte offenbar mit Spendengeldern, die die eigentlichen Empfänger nie erhielten.
Auch Chung Jong-Moon war zugegen, als sich Spitzenvertreter der globalen Fußballgemeinde am Wochenende in Berlin beim Champions-League-Finale versammelten. Für die meisten war der Spielausgang marginal - schließlich ging es neben dem Rasen auch um das Ausloten von Allianzen und individuellen Chancen im Kampf um die Nachfolge Sepp Blatters. Der Fifa-Boss will angeblich auf einem Sonderkongress in den nächsten Monaten von der Spitze des Fußball-Weltverbandes abtreten. Und Chung, 63, hat erklärt, dass er sich für den Job sehr interessieren würde. Der Südkoreaner hat Erfahrung, er saß lange im Fifa-Vorstand (1994 bis 2011) und führte seinen Nationalverband (1993 bis 2009). Zugleich gehört er der mächtigen Hyundai-Familie an, zählt zu den reichsten Männern des Landes und war in der Vergangenheit politisch stark ambitioniert. So einer kann Gewicht einbringen, wenn es um die Wahl des neuen Fifa-Chefs geht. Aber nun hat auch er Fragen zu beantworten - wie andere Funktionäre, die derzeit als Kandidaten für Blatters Nachfolge gelten. Der Franzose Michel Platini, Präsident von Europas Fußball-Union, weil er bei der Wahl des WM-Ortes 2022 für Katar stimmte und sein Sohn später bei einer katarischen Firma unterkam. Oder Scheich Al-Sabah aus Kuwait, der höchst erfolgreich Mehrheiten in der Sportwelt schmiedet, aber im Kontext mit Korruptionsvorwürfen gegen engste Mitarbeiter selbst schon mit dem Sportthema Nummer eins in Berührung kam. Und Chung? Muss einen Vorgang in Pakistan erklären. Es geht um eine 400 000-Dollar-Spende des Spitzenfunktionärs an Pakistans Fußballverband. Sie sollte nach der Flutkatastrophe 2010 dem Wiederaufbau einer zerstörten Fußballanlage dienen. Weitere 250 000 Dollar sollte Asiens Fußballverband (AFC) beisteuern. Das Aufbauprojekt kam bis heute nicht in Gang, der pakistanischen Zeitung Dawn zufolge liegt das Geld gut verzinst auf einem Konto des Landesverbands. Mit Wissen des AFC, wie die pakistanische Föderation versichert. Interessant ist der enge zeitliche Zusammenhang zwischen ungenutzter Spende und wichtigen sportpolitischen Entscheidungen. Chung kämpfte damals um einflussreiche Posten, insbesondere um den Platz als Fifa-Vizepräsident, der Asien zusteht. Am Ende unterlag er bei der AFC-Abstimmung Anfang 2011 Ali bin al-Hussein. Der jordanische Prinz beklagte nach der Wahl, dass "signifikanter Druck" auf nationale Verbände ausgeübt worden sei, Kandidaten aus dem Chung-Block zu wählen.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/basketball-ein-grosser-sprung-fuers-selbstvertrauen-1.2415079
mlsum-de-641
Meister FC Bayern München besteht den Stresstest gegen Aufsteiger Crailsheim. Sportlich ist das 110:76 eher ein kleiner Schritt, für das angekratzte Selbstvertrauen aber ein großer Sprung.
Bryce Taylor ist keiner dieser Basketballprofis aus den USA, die nach dem Spiel in so große Kleider schlüpfen, dass sich darin eine ganze Familie verstecken könnte. Er trägt seine Jeans und seinen Pullover eng anliegend. Auch sonst neigt der US-Amerikaner nicht zu Großspurigkeit, sondern schätzt die sportliche Lage meist sachlich und seriös sein. Während sein Mannschaftskollege vom FC Bayern München, Yassin Idbihi, am Samstagabend nach Spielende noch immer in Sportklamotten auf dem Parkett herumtollte und seinem Sohn Bälle zupasste, stand Taylor längst geduscht und umgezogen abseits des Spielfelds und gab Interviews. "Es war wichtig für unser Selbstvertrauen, dass wir heute so klar gewonnen haben", sagte der Flügelspieler des FC Bayern. Dass ein Sieg gegen den Aufsteiger Crailsheim Merlins einmal eine tiefere Bedeutung für den deutschen Meister erlangen würde, hätte vor ein paar Wochen niemand geglaubt. Doch der 110:76-Erfolg öffnet ein wenig den Blick in die Gefühlswelten der Münchner Basketballer. Auch die Mitglieder des deutschen Meisters sind nur normale Sportler, die ihr Selbstvertrauen über Erfolge vermehren. Nach zwei überraschenden Niederlagen - zu Hause gegen Braunschweig und in Göttingen - waren die hochdekorierten und in der Euroleague erprobten Bayern doch verunsicherter, als sie anfangs zugeben wollten. Nach den Niederlagen im Eurocup gegen Valencia, sagte Taylor, "hatten wir vor allem große Probleme in der Offensive beim Punkten". Der Kapitän selbst offenbarte eine unerklärliche Abschlussschwäche, er verwarf reihenweise Bälle, die sogar Idbihis Sohn verwandelt hätte. In den beiden Spielen gegen Valencia kam er auf mickrige vier Punkte, in Spanien traf er sogar überhaupt nicht. "Ich habe sehr mit mir in der Offensive gekämpft", gibt der 28-Jährige zu: "Wir alle waren zuletzt zu hektisch und haben den Ball schlecht laufen lassen." Eine Erklärung, die ihn persönlich hätte zufriedenstellen können, hatte er aber auch nicht finden können. "Ich habe im Training deshalb versucht, viele einfache Körbe zu machen und noch mehr als sonst zu werfen, um meinen Rhythmus zurückzubekommen", sagte Taylor. Wie der Beginn gegen Crailsheim zeigte, scheint die Plackerei erste positive Effekte zu zeitigen. Der Kalifornier traf gleich seinen ersten Drei-Punkte-Versuch zum 9:5. Sein Trainer Svetislav Pesic honorierte den Wurf mit aufmunterndem Klatschen. Es kommt selten vor, dass der Serbe einzelne Aktionen seiner Spieler mit Applaus begleitet, aber nicht nur bei seinem Kapitän hatte er gespürt, dass er eine Extraanerkennung nötig hatte, auch John Bryant spendete er Beifall. "Es war ein Spiel, das wir alle gebraucht haben", bekannte Pesic hinterher. Der 65-Jährige meinte damit weniger das Resultat als vielmehr das Gefühl der Spieler. "Alle haben mehr oder weniger Spielzeit bekommen, in der Offensive sehr viel investiert und so ihr Selbstvertrauen entwickeln können." Taylor verwandelte am Ende drei seiner sechs Dreierversuche, mit 13 Punkten war er zweitbester Werfer seines Teams hinter Bryant (19 Zähler). "Ich bin wieder bei 100 Prozent", sagte der US-Amerikaner. Eine komplizierte Hüftverletzung mit Operation hatte ihn zu Beginn der Saison mehre Monate vom Sport befreit. Es hat anschließend lange gedauert, bis er wieder die prägende Figur im Spiel war, die in der vergangenen Saison großen Anteil hatte, dass München den Titel gewann. Er lebt von seiner Athletik, von seiner gewaltigen Sprungkraft. Gegen Crailsheim zeigte er eine kleine Kostprobe, er flog einmal über einen Gegenspieler hinweg und stopfte per Dunk den Ball aus der Luft in den Korb, die Zuschauer schrien vor Begeisterung. "Ich habe aggressiv gespielt, aber wir alle haben das getan", hob Taylor hervor. In der Tat war es verblüffend mitanzusehen, wie die Bayern die Bretter dominierten. 52 Abpraller vom Brett, die so wichtigen Rebounds, sammelten sie im gesamten Spiel. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir das jemals geschafft haben", sagte Pesic. Aber er weiß genauso wie sein Kapitän, dass der abgeschlagene Tabellenletzte nicht für einen seriösen Stresstest taugt. Beim Aufsteiger lassen sich mit viel Wohlwollen vielleicht fünf Spieler finden, die Erstligaansprüchen genügen. Die großen Spiele kommen erst noch, am Ostersonntag reisen die Münchner zum Tabellenvierten Ulm, bevor nach dem Pokalwochenende Tabellenführer Bamberg in der bayerischen Hauptstadt gastiert. Es stehen entscheidende Wochen an. Den ersten oder zweiten Platz in der Tabelle nach der Vorrunde, der das Heimrecht bis zum Halbfinale in den Playoffs garantiert, schreibt Taylor noch nicht ab. "Das ist nach wie vor möglich", bekannte der Flügelspieler. Er will weniger auf die Gegner schauen, fügte Taylor hinzu, "wir müssen unser eigenes Spiel verbessern." Dann lächelte er und trottete von dannen. Yassin Idbihi warf immer noch seinem Sohn die Bälle zu.
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mlsum-de-642
Österreichs Bundesbahnen rüsten auf und bauen ab. Begleiterscheinungen der Modernisierung sind grelle Beleuchtung und aufpreispflichtige Coupés. Ein Erfahrungsbericht.
Eisenbahnfahren ist wie geschenkte Zeit. Während der Autofahrer konzentriert eine risikoreiche Arbeit zu verrichten hat, kann der Bahnreisende dösen, lesen, schlafen, arbeiten, träumen. Und er kann sich, was der Autofahrer tunlichst vermeiden sollte, der vorbeiziehenden Landschaft widmen. Alle Bahngesellschaften, so auch Österreichs Bundesbahnen ÖBB, sehen ihre Chance im neu erwachten Sinn für die Annehmlichkeiten eines Verkehrsmittels, bei dem die besorgte Bitte "Fahr nicht zu schnell" zu einem hübschen Scherz mutiert, fährt doch ein Fachmann alle. Detailansicht öffnen IC der Österreichischen Bundesbahnen: Wer teuer sitzt, kommt hier schnell ins Schwitzen. (Foto: Foto: ÖBB) Die Bahnen rüsten auf, unter gelegentlichem Murren des Publikums angesichts gewisser Schwerfälligkeit so großer Systeme. Auch in Österreich hat man diverse Strecken wacker ausgebaut und beschleunigt; Brenner und Wienerwald werden untertunnelt, die Hauptstadt bekommt einen Zentralbahnhof statt der alten Kopfstationen. Der alte Wagenpark und schäbige Bahnhöfe werden restauriert und erneuert. Dennoch beschleicht den Bahnreisenden hier wie in ganz Europa der Verdacht, dass die Verantwortlichen für so manche Erneuerung nie wirklich selbst Zug fahren. Bezeichnend war vor gut einem Jahr die Konferenz aller europäischen Bahndirektoren in Wien, zu der peinlicherweise kein einziger mit dem Zug kam. Machen wir es konkret. Ein tückischer Kunstgriff der modernen Warenwelt ist es, billige Kunstmaterialen wie ein echtes Naturprodukt aussehen zu lassen. Bei der ÖBB hat man diesen Kniff auf seine konträre Spitze getrieben: Die neuen Waggons der 1. Klasse haben durchweg echte Ledergarnituren, die aber wie Kunstleder anmuten. Will heißen: Wer hier teuer sitzt, kommt schnell ins Schwitzen. Auch deshalb, weil das neueste Stereotyp der Ausfall der Klimaanlage just in den neuen Waggons ist. Kaum ein Zug, in dem nicht ein Wagen unklimatisiert rollt, was auch an kälteren Tagen zu Saunatemperaturen führt. Die Passagiere der 2. Klasse dürfen weiter auf angenehmeren Stoffsitzen reisen. Und all diese Sitzgelegenheiten haben nur zwei Stellungen, die alsbald Pein bereiten. Raubrittertum bei der Preisgestaltung Die 1. Klasse verzeichnet allgemein weit größere Zuwächse als die zweite. Trotzdem geht dies wegen des Überhandnehmens der Großraumwagen mit einer Art Vermassung einher. Dazu gehören der Duft eines Döner in Händen eines Eiligen ebenso wie Klingeltöne und herrische Telefonate. Nach so mancher Fahrt kennt man die Bilanz verschiedener Unternehmen oder die Probleme einer Beziehungskiste im Detail. Es gibt in den neuen Wagen aber tatsächlich auch noch das klassische Coupé - mit vier Plätzen und viel Raum. Das aber nennt sich Business-Abteil und kostet pro Fahrt 15 Euro zusätzlich. Pures Raubrittertum, schimpfen manche - trotz des Begrüßungsgetränks und der Möglichkeit, Wertsachen im Zugbegleitersafe verstauen zu lassen. Massentransport oder zahlen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-gazastreifen-eskalation-1.4209065
mlsum-de-643
Die Bewohner der israelischen Kommunen nahe dem Gazastreifen fordern: Der Kreislauf der Gewalt muss endlich durchbrochen werden. Auf den Raketenhagel der Hamas reagieren sie trotzdem erstaunlich gelassen.
Mitten im Gespräch bricht Haim Jelin ab, seine Handy gibt Sirenengeräusche von sich: Raketenalarm! Der drahtige 60-jährige Knesset-Abgeordnete sprintet zu seinem grauen Toyota und braust davon. Alle anderen laufen zum weißen, kuppelförmigen Bunker, der am Rande des Geländes neben einer Tankstelle steht. Vor wenigen Minuten noch hatte Liora Yerday im nur wenige Meter entfernten Geschäft hinter der Kasse versichert, keine Angst zu haben. "Wir sind das gewohnt. Wir haben gute Schutzräume." Die junge äthiopische Jüdin verweist auf die Rückseite des Hauses. In der Ecke neben dem Eingang im Geschäft hängt ein TV-Schirm, auch im leeren Restaurant nebenan ist die Liveberichterstattung über die Ereignisse rund um den Gazastreifen so laut gestellt, dass man es bis auf die Straße hören kann. Dabei bräuchten sie alle hier nur auf die Rückseite ihrer Häuser zu gehen, dann können sie sich selbst ein Bild machen. Von dort, einer leicht erhöhten Stelle beim Kibbuz Kfar Aza, sind es nur etwa vier Kilometer bis zur Grenze. Mehrere Zäune sind zu sehen, dann Wüstensand und dahinter die Hochhäuser der Stadt Dschabaliya im Gazastreifen. Gelegentlich steigen Rauchsäulen auf. Immer wieder gibt es Detonationsgeräusche, Flugzeuge und Hubschrauber sind zu hören, an zwei weiße Ballone sind Drohnen montiert, die in Richtung Gazastreifen gerichtet sind. Von dort sind seit Montag 16.30 Uhr mehr als vierhundert Raketen Richtung Israel abgefeuert worden. Es ist der heftige Raketenhagel, der seit dem Ende des Gazakriegs im Sommer 2014 auf die Kommunen entlang der Grenze niedergegangen ist. Die Nacht zum Dienstag mussten die Menschen hier im Schutzraum verbringen, dennoch reagieren sie auch am Dienstagmorgen erstaunlich gelassen. Nach wenigen Minuten ist der Alarm vorbei und jeder geht seiner Wege. Yerday steht nun wieder hinter der Kasse, zwei Männer holen sich Kaffee und setzen sich an einen Tisch im Freien. In der nächsten Viertelstunde halten fünf Fahrzeuge zum Tanken an der heute wenig befahrenen Straße 232. Der Fahrer eines Lieferwagens stoppt und räumt ein Dutzend Kisten in den Lagerraum auf der Rückseite des Geschäfts. "Ich muss meine Arbeit machen", sagt er. Ob er Angst habe? "Nein! Keine Zeit!" Zwei orthodoxe Juden sind von der 70 Kilometer entfernten Stadt Bet Schemesch angereist, "um zu sehen, was los ist". Das einzige Opfer auf der israelischen Seite der Grenze ist ausgerechnet ein Palästinenser Mehr Schaulustige drängen sich in Aschkelon, einer Küstenstadt mit 130 000 Einwohnern, um jenes vierstöckige Wohnhaus, in das Montagabend eine Rakete eingeschlagen hat. Die Leiche eines Mannes wurde von einem Fotografen unter einer eingestürzten Mauer entdeckt, die Rettungskräfte hatten das Haus zu dem Zeitpunkt schon mit zwei schwer verletzten Frauen verlassen. Die Identität des Mannes wurde Dienstag bekannt gegeben: Ein 48-jähriger Palästinenser aus Halhul bei Hebron, der in Israel arbeitete. Einen weiteren Schwerverletzten gab es nach einem Angriff auf einen Bus, der zum Transport von Soldaten eingesetzt war. Jelin, der Politiker der liberalen Jesch Atid-Partei, gibt Premierminister Benjamin Netanjahu die Schuld. Er kritisiert ihn dafür, das Problem mit der Hamas nicht in den Griff zu bekommen. "Und das seit Jahren!" Es könne auch nicht sein, dass die Hamas immer wieder israelische Gebiete angreife und dann plötzlich Israel einen Waffenstillstand diktieren könne, sagte der frühere Leiter des Verwaltungsrates der von den Raketen hauptbetroffenen Region Eschkol. Jelin wohnt selbst im Kibbuz Beeri ganz in der Nähe. Viele Israelis beschäftigt, was ihre eigene Regierung nun tun wird. In den wenigen Geschäften, die im Einkaufszentrum von Sderot geöffnet haben, halten sich Befürworter und Gegner eines Angriffs die Waage. Aber die meisten in der Stadt mit 20 000 Einwohnern eilen weiter. Sderot wird wegen der vielen Schutzräume auch "Welthauptstadt der Bunker" genannt. Ein Mann bleibt kurz stehen und weist auf die Schutzanlagen ringsum. "Wir haben wenigstens welche. Aber die Menschen im Gazastreifen haben nicht einmal das. Wir brauchen Frieden, keinen neuen Krieg." Die israelische Armee bombardierte bis Dienstag 160 Ziele. Wie mit dieser Eskalation umzugehen sei, darüber berieten 60 Kilometer Luftlinie vom Gazastreifen entfernt die Mitglieder des Sicherheitskabinetts. Auslöser für die Reaktion von Hamas und Dschihad war diesmal eine missglückte Militäroperation im Gazastreifen, bei der ein Israeli und sieben Palästinenser starben. Am Dienstag früh kamen die Regierungsmitglieder erneut im Armeehauptquartier zu Beratungen zusammen, die viele Stunden dauerten. In einer knappen Mitteilung hieß es, die Angriffe würden "nach Notwendigkeit" fortgesetzt. Am Abend kehrte dann vorläufig Ruhe ein, mehrere Palästinensergruppen hatten einseitig eine Waffenruhe erklärt, offenbar auf Vermittlung Ägyptens; auch auf israelischer Seite schwiegen die Waffen. "Irgendwann muss es eine Entscheidung geben", sagt Yerday in dem kleinen Geschäft am Rande des Gazastreifens nach einem Blick auf den TV-Schirm. "Sie werden schon das Richtige tun."
https://www.sueddeutsche.de/politik/magdalena-kopp-die-frau-die-lilly-war-1.2530890
mlsum-de-644
Sie kam aus einem schwäbischen Gasthaus und wurde zur Linksterroristin. Nun ist Magdalena Kopp im Alter von 67 Jahren gestorben.
Ihren ersten Freund lernte sie mit 18 an der Ulmer Hochschule für Gestaltung kennen. Michel Leiner arbeitete an einem Filmprojekt mit dem Titel "Auf der Suche nach dem Glück". Sie hatte Führerschein und Auto, Leiner nicht. Die Männer machten Film, sie durfte mithelfen. Sie lernte Fotografieren und ging mit ihrem Freund nach Frankfurt. Damals verglich sie sich mit einem Schaf und hatte Angst, dass der Vergleich zutreffen könnte. In Frankfurt war es nicht so streng und langweilig wie daheim in Schwaben, dort fand der revolutionäre Kampf auf der Straße statt und im Verlag Roter Stern. Leiner übernahm Grafik und Herstellung, sie half mit und bekam ein Kind. Der Verlag spaltete sich: Eine Fraktion begann eine schier unendliche Hölderlin-Ausgabe, die andere verwandelte sich in eine Revolutionäre Zelle und stürzte sich als Hilfstruppe der Palästinenser in den bewaffneten Kampf. Aus der Schwäbin Magdalena Cäcilia Kopp wurde "Lilly", die mit Terroristen zusammen war und bei Anschlägen mithalf. Sie folgte den Männern in den Untergrund, ging mit in den Orient und nach Osteuropa. Der venezolanische Anführer Ilich Ramírez Sánchez, genannt Carlos, verliebt sich in Lilly und schickt sie nach Paris, um mit einem Sprengstoffanschlag Schutzgeld zu erpressen. Sie wird verhaftet und vor Gericht gestellt. Carlos schreibt an den deutschen und den französischen Innenminister und fordert die Freilassung seiner Freundin. Seine Truppe unternimmt Anschläge auf die französischen Eisenbahnen, um sie freizupressen. Sie wird dennoch verurteilt. Nach ihrer Freilassung bestellt Carlos sie nach Syrien. Er will ein Kind, sie bekommt es. Sie heiraten, aber bald schickt er Frau und Kind zu seiner Familie nach Venezuela. Carlos wird 1994 im Sudan verhaftet; in Frankreich verbüßt er eine lebenslange Freiheitsstrafe. Lilly kommt aus Südamerika zurück, wird wieder Magdalena Kopp und sagt über das revolutionäre Treiben der Männer aus. Das Glück kommt nicht mehr vor. In dem Film "In the Darkroom" sitzt sie zuletzt allein in ihrer Ulmer Wohnung, die "freundliche Arbeiterin der Revolution", wie sie ein alter Freund nennt. Am vergangenen Montag ist Magdalena Kopp mit 67 Jahren gestorben.
https://www.sueddeutsche.de/politik/regierungsbildung-cdu-und-spd-bringen-sich-fuer-moegliche-koalition-in-stellung-1.3765706
mlsum-de-645
Kanzlerin Merkel nennt Leitlinien für ein Bündnis mit den Sozialdemokraten. Die SPD macht deutlich, dass sie nicht billig zu haben sein wird.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich gegen Neuwahlen als Konsequenz aus den gescheiterten Jamaika-Sondierungen mit FDP und Grünen ausgesprochen. "Ich halte überhaupt nichts davon, wenn wir mit dem Ergebnis nichts anfangen können, dass wir die Menschen wieder bitten, neu zu wählen", sagte die CDU-Vorsitzende beim Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern in Kühlungsborn. Die SPD hatte ihr kategorisches "Nein" zu einer Regierungsbeteiligung auf Druck von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aufgegeben. Am Donnerstag kommender Woche hat Steinmeier SPD-Chef Martin Schulz, Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen, um weitere Schritte auszuloten. "Ich strebe keine große Koalition an. Ich strebe auch keine Minderheitsregierung an" Schulz betonte am Freitag beim Bundeskongress der Jusos, die eine große Koalition ablehnen: "Ich strebe keine große Koalition an. Ich strebe auch keine Minderheitsregierung an. Ich strebe auch keine Neuwahlen an. Was ich anstrebe: Dass wir die Wege diskutieren, die die besten sind, um das Leben der Menschen jeden Tag ein Stück besser zu machen." Derweil warb SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles beim Parteinachwuchs um Unterstützung und warnte davor, vorschnell eine mögliche große Koalition abzulehnen. "Es wird hier so geredet, als ob wir schon in der GroKo wären. Das ist nicht so", sagte sie am Samstag in Saarbrücken. Eine personelle Umgestaltung schloss sie nicht aus. "Wir sind einfach zu langweilig, an uns entzünden sich nicht Geister". Durch die gescheiterten Sondierungsgespräche sei aber eine neue Lage entstanden. "Das heißt nicht, dass wir zum Notnagel der gescheiterten Bundeskanzlerin werden". Eine Entscheidung über die mögliche Neuauflage der großen Koalition im Bund wird nach Angaben von SPD-Bundesvize Thorsten Schäfer-Gümbel aber nicht vor dem Bundesparteitag fallen, der vom 7. bis 9. Dezember stattfindet. Merkel machte unterdessen keinen Hehl aus ihrer Verärgerung darüber, dass die SPD im Wahlkampf den Erfolg des schwarz-roten Bündnisses kleingeredet habe und trotz langjähriger Regierungsbeteiligung mit der Mahnung angetreten war, es sei nun Zeit für Gerechtigkeit. Leitlinien für eine Regierungsbeteiligung der CDU, so Merkel, müssten sein, dass Deutschland vorankomme, es den Menschen besser gehe und die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt würden. Aus ihrer Sicht solle es nicht nur einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden geben, sondern auch finanzielle Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen durch Änderungen beim Soli. "Frau Merkel ist bei Lage der Dinge doch nicht in einer Position, in der sie Bedingungen stellen kann" Mehrere SPD-Spitzenpolitiker stellten hohe Hürden für ein Bündnis mit der CDU auf. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer machte klar, dass sich die SPD von der CDU nicht "erpressen" lassen werde. "Frau Merkel ist bei Lage der Dinge doch nicht in einer Position, in der sie Bedingungen stellen kann", sagte Dreyer dem Trierischen Volksfreund. "Was die SPD politisch umsetzen will, hat sie klar im Wahlprogramm formuliert. Das weiß Frau Merkel." Aus ihrer Sicht ist auch die Tolerierung einer Minderheitsregierung Merkels "keineswegs" vom Tisch. Parteivize Ralf Stegner sagte mit Blick auf die anstehenden Gespräche mit der Union: "Den Auftrag haben wir angenommen, aber billig ist die SPD nicht zu haben." Ein Knackpunkt könnte etwa der Flüchtlingskompromiss der Union sein. Eine weitere Begrenzung des Familiennachzugs werde es mit der SPD nicht geben. Und wie geht es nun weiter? Merkel sagte in ihrer Rede bei ihrem heimatlichen Landesverband: "Es wäre wünschenswert, sehr schnell zu einer Regierung zu kommen - nicht nur zu einer geschäftsführenden." Neuwahlen will auch Steinmeier vermeiden. Das Ergebnis könnte ähnlich ausfallen wie am 24. September - und die Parteien wären keinen Schritt weiter. Zudem ist die Furcht verbreitet, die AfD könnte noch besser abschneiden. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov zufolge glauben 35 Prozent der Bürger, die AfD profitiere am stärksten vom Scheitern der Jamaika-Gespräche. Das ist weit mehr, als anderen Parteien zugesprochen wird. In der CDU stellt man sich nun auf schwierige Gespräche ein. "Das wird mit der SPD nicht einfach werden", sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther auf einem CDU-Landesparteitag in Neumünster. Ziel müsse eine handlungsfähige Regierung unter Führung der CDU sein. Und Merkel müsse Kanzlerin bleiben.
https://www.sueddeutsche.de/sport/nach-feuerzeugwurf-im-dfb-pokal-rb-leipzig-bietet-wiederholungsspiel-an-1.2603469
mlsum-de-646
Dem VfL Osnabrück droht nach dem Feuerzeugwurf im DFB-Pokal eine harte Strafe. Leipzigs Trainer Ralf Rangnick unterbreitet einen anderen Vorschlag.
Leipzig bietet Wiederholungsspiel an Nach dem Abbruch des DFB-Pokalspiels zwischen dem VfL Osnabrück und RB Leipzig beim Stand von 1:0 für die Gastgeber bietet der Zweitligist aus Sachsen eine Wiederholung dieser Begegnung an. "Unser Verein steht für Fairness, Fair Play, Familienfreundlichkeit, soziales Engagement, sportlichen Wettkampf und gegenseitigen Respekt", sagte RB-Trainer und -Sportdirektor Ralf Rangnick. Gleichwohl kritisierte Rangnick auch: "Es war definitiv nicht nur ein Einzeltäter, dessen Handeln später zu dem für alle Seiten bedauerlichen Spielabbruch führte." Schon das ganze Spiel über seien "Feuerzeuge, Trinkbecher und andere Wurfgegenstände in Richtung unserer Spieler sowie unserer Auswechselspieler" geflogen. Rangnick weiter: "Wir verurteilen die unsportlichen und unfairen Taten aufs Schärfste. Dennoch bieten wir ein Wiederholungsspiel an." Der RB-Vorstandsvorsitzende Oliver Mintzlaff ergänzte: "Wir wollen und werden solchen Chaoten im Fußball keine Plattform bieten, in diesen Sport negativ einzugreifen oder ihn sogar zu bestimmen." Spielabbruch nach 71 Minuten Die Begegnung in Osnabrück konnte nach 71 Minuten nicht mehr fortgesetzt werden, weil Schiedsrichter Martin Petersen am Montagabend von einem Feuerzeug am Kopf getroffen worden war. Daraufhin brach der Unparteiische das Erstrundenmatch ab. Der DFB hat bereits Ermittlungen aufgenommen. "Über die Spielwertung wird dann das DFB-Sportgericht entscheiden. Daneben geht es um die sportrechtliche Sanktion gegen den Verein, dem der Vorfall zuzurechnen ist", teilte DFB-Mediendirektor Ralf Köttker am Montagabend mit.
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schuelerzahlen-forscher-erwarten-schueler-boom-1.3583996
mlsum-de-647
2025 werden hierzulande etwa 8,3 Millionen Kinder und Jugendliche in allgemeinbildende Schulen gehen. Die Entwicklung trifft die Lehranstalten unvorbereitet.
Die Zahl der Schüler in Deutschland wird in den kommenden Jahren deutlich stärker ansteigen als bislang angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Nach Jahren des kontinuierlichen Rückgangs erwarten die Forscher einen "Schüler-Boom": Im Jahr 2025 werden ihren Berechnungen zufolge 8,3 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland in allgemeinbildende Schulen gehen. Das seien 300 000 mehr als 2015 - und mehr als eine Million mehr, als die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrer aktuellsten Prognose aus dem Jahr 2013 annimmt. Diese Entwicklung treffe das Schulsystem daher weitgehend unvorbereitet. Die Studie birgt politische Brisanz, weil viele Bundesländer schon heute mit massivem Lehrermangel zu kämpfen haben. Den Bedarf zu decken, werde in Zukunft noch schwieriger, prophezeien die Autoren Klaus Klemm und Dirk Zorn. Bis zum Jahr 2025, so ihre Berechnungen, würden allein an Grundschulen mehr als 24 000 zusätzliche Lehrer benötigt. Zeitversetzt erreichten die starken Jahrgänge dann auch etwa Gymnasien, Real- und Gesamtschulen. Auch beim Schulbau gelte es, eine "deutliche Trendwende einzuleiten". Forscher sehen verhaltenen Beginn eines Trends Die Gesamtzahl der Schüler in Deutschland, also allgemeinbildende und berufsbildende Schulen zusammengenommen, war nach der Jahrtausendwende jahrelang gefallen - bis zum Jahr 2017. Im März vermeldete das Statistische Bundesamt erstmals einen leichten Anstieg um 0,3 Prozent. Für die Forscher "der verhaltene Beginn eines Trends, der enorm an Fahrt gewinnen wird". Die Gründe sehen sie einerseits im gestiegenen Zuzug nach Deutschland, wobei die Flüchtlinge nur einen vergleichsweise kleinen Effekt ausmachten. Vorangig aber, so Zorn, ergebe sich der Anstieg der Schülerzahlen aus der "dynamischen Geburtenentwicklung". Seit wenigen Jahren steigt die sogenannte Geburtenziffer wieder, zwar nur leicht, aber offenbar mit weitreichenden Folgen: "Ich war zunächst selbst überrascht, dass eine scheinbar marginale Veränderung bei der Geburtenrate sich so stark auf die Zahl der Schüler auswirkt", sagt Zorn. Auf die Bundesländer kämen erhebliche Investitionen zu Zorn und Klemm appellieren daher an die Bundesländer und Kommunen, ihre Prognosen zu überprüfen. Der "Schüler-Boom" werde regional sehr unterschiedlich ausfallen, insbesondere die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen müssten sich auf viele zusätzliche Schüler vorbereiten, ihre Zahl steige bis zum Jahr 2030 in allen Schulformen um nahezu ein Drittel. Auf die Bundesländer kämen erhebliche Investitionen zu: Im Jahr 2030, so die Kalkulation, müssten sie 4,7 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben als heute. Allerdings, auch dies geht aus der Prognose hervor, könnte sich der Effekt bald wieder abschwächen. Im Jahr 2030 könnte die Zahl der Grundschüler bereits wieder sinken. Zorn betont deshalb, dass es darum gehe, das Schulsystem insgesamt flexibler, "atmender" zu gestalten, damit es auf Veränderungen nach oben wie nach unten schneller reagieren könne. "Wir brauchen ein besseres Frühwarnsystem für Veränderungen in der demografischen Entwicklung", sagt er.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/rugby-tankstopp-im-pokal-1.4006427
mlsum-de-648
Zweitligist Stusta München hofft noch auf den Aufstieg. Vorher will sich das Team gegen Handschuhsheim Selbstvertrauen holen.
Geknickt und mit hängenden Köpfen verließen sie den Platz. Verschwitzt, gezeichnet und ausgelaugt, Sandkörner aus dem stumpfen Kunstrasen noch am ganzen Körper klebend, trotteten die Rugbyspieler von Studentenstadt München (Stusta) Richtung Kabine. Soeben hatten sie das Finale der Aufstiegsrunde zur ersten Bundesliga beim Rugby Club Luxemburg, der am deutschen Ligasystem teilnimmt, mit 12:18 verloren. Stusta, zuletzt zweimal im Halbfinale gescheitert, hatte sich als Meister der zweiten Liga Süd abermals für die Aufstiegsrunde qualifiziert. Mit einem knappen Sieg über die Rugby Löwen der TGS Hausen (34:20) zogen die Studentenstädter dieses Jahr ins Finale um den direkten Bundesliga-Aufstieg ein. Am vergangenen Samstag stand die entscheidende Partie beim Absteiger aus der ersten Liga an. "Auf dem für uns ungewohnten Kunstrasen kamen wir nur langsam ins Spiel, haben uns gerade offensiv durch zahlreiche kleine Fehler immer wieder selbst ausgebremst", analysiert Stusta-Abteilungsleiter Georges Besenius. Durch unnötige Disziplinarstrafen erlitten die Münchner zudem einige Raumverluste. So führten die Gastgeber schnell komfortabel mit 18:0 und wähnten sich schon als der sichere Sieger. Doch die Gäste wurden in der zweiten Halbzeit besser. Mit zwei gelegten Versuchen in schneller Folge kamen sie auf 12:18 heran und machten die Schlussphase spannend. "Doch letztlich kam das Erwachen zu spät, wir haben erst in der Schlussphase wirklich zu unserem Spiel gefunden", erklärt Besenius. Luxemburg verteidigte das 18:12 und schaffte damit auf Anhieb den direkten Wiederaufstieg in die höchste deutsche Spielklasse. Aber auch Stusta muss noch nicht alle Hoffnungen begraben: Über ein Relegationsspiel gegen den Vorletzten der Bundesliga Süd/West haben die Studentenstädter noch eine weitere Chance, aufzusteigen. Mit einem Sieg im Entscheidungsspiel gegen den Bundesligasiebten RK Heusenstamm am Samstag, 7. Juli, können Besenius und sein Team doch noch den ersten Bundesliga-Aufstieg der Vereinsgeschichte feiern. "Natürlich waren wir erst einmal enttäuscht und traurig über die verpasste Chance", sagte Besenius nach dem Spiel gegen Luxemburg. "Doch wir geben nicht auf und wollen die zweite Möglichkeit nun nutzen. Wir haben schnell wieder nach vorne geschaut." Die Chancen auf einen Sieg schätzt er gut ein: Die Spitzenteams der zweiten und die Kellerkinder der ersten Liga nähmen sich vom Niveau her nicht viel, außerdem spiele Stusta diesmal zu Hause. Der Heimvorteil sei ein nicht unwesentlicher Faktor. "Auch die Paarung gegen Luxemburg hätten wir daheim vermutlich gewonnen", mutmaßt der Abteilungsleiter. Die Gelegenheit zur Generalprobe bietet sich bereits an diesem Samstag: Um 13 Uhr spielt Stusta zu Hause (Willi-Graf-Straße 2) gegen den TSV Handschuhsheim im Achtelfinale des DRV-Pokals. Der Erstligist aus Heidelberg beendete die vergangene Saison nach einer starken Rückrunde auf Rang fünf und stellt vor dem Relegationsspiel einen willkommenen Härtetest für Stusta dar. "Wir tanken noch mal Selbstvertrauen, um dann nicht wieder enttäuscht vom Platz zu schleichen", sagt Besenius.
https://www.sueddeutsche.de/sport/fussball-gnabry-tanzt-im-regen-1.3246706
mlsum-de-649
Der Debütant von Werder Bremen glänzt beim lockeren 8:0 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in San Marino mit drei Treffern.
San Marino sei kein Gegner, mindestens zweistellig müsse das werden: Das waren die Sätze, die man vor diesem WM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalmannschaft in Serravalle zu hören bekam. Tatsächlich stellte sich dann heraus, dass die DFB-Elf in ihrer langen Geschichte schon den ein oder anderen besseren Gegner hatte, aber in einer Hinsicht hatte die öffentliche Meinung diesen Gastgeber unterschätzt. San Marino war ein fast unbezwingbarer Gegner für alle Reporter - bzw. für jene bedauernswerten Menschen, die immer diese Aufstellungs-Grafiken herzustellen haben. Gegen diesen besonders kleinen Gegner würde Bundestrainer Löw seine Elf bestimmt auch besonders anordnen, das war die allgemeine Einschätzung - so gab eine Nachrichtenagentur ein Schema heraus, in dem nur ein einziger (!) Spieler in der Abwehr stand (Mats Hummels) und Joshua Kimmich auf dem rechten offensiven Flügel; eine andere Agentur machte den Debütanten Benjamin Henrichs zum Innenverteidiger in einer Dreierkette - gemessen an diesen abenteuerlichen Varianten geriet Löws Elf geradezu enttäuschend konservativ. Sein - auf den ersten Blick - fast klassisches 4-2-3-1 reichte aber selbstverständlich ebenfalls locker aus, um den Kleinsten der Kleinen mit 8:0 zu besiegen und die Führung in der Qualifikationsstabelle locker zu behaupten. Besser als Brasilien wolle man sein, das hatten die Männer aus San Marino vor dem Spiel als Ziel ausgegeben und dabei eher nicht an die grundsätzliche Qualität gedacht. Gemeint war: Besser als Brasilien in Belo Horizonte im Juli 2014 - damals unterlagen die WM-Gastgeber der deutschen Elf, wie sich inzwischen herumgesprochen hat, mit 1:7. Am Ende verfehlte der 201. der Weltrangliste sein schönes Ziel - auch, weil die DFB-Elf bis zum Schluss konzentriert und seriös blieb. Debüt für Henrichs und Gnabry "Wir haben vor dem Spiel gesagt, wir wollen möglichst viele Tore erzielen und den Gegner ständig laufen lassen", sagte Löw später. So schickte der Bundestrainer auch gegen die naturgemäß überforderten Amateure eine mutige und sehr ernst gemeinte Elf aufs Feld - es war kein Widerspruch, dass er dabei den Neulingen Benjamin Henrichs (Bayer Leverkusen) und Serge Gnabry (Werder Bremen) vertraute. Natürlich war San Marino ein debüttauglicher Gegner, dennoch passten diese Personalien perfekt in die Logik dieses Abends. In Erwartung eines extrem defensiven Gegners hatte Löw alle Positionen extrem offensiv besetzt und fast alle Offensivspieler gebracht, die sein Kader hergab - auch den angriffslustigen Rechtsverteidiger Henrichs und den dribbelstarken Linksaußen Gnabry. Auf der Bank saßen nur zwei Offensive (Volland, Meyer) - ansonsten stapelten sich auf der Bank die Defensiven (Höwedes, Mustafi, Tah, Gerhardt, Goretzka, Rudy, Weigl), deren Qualitäten gegen diesen Gegner nicht gebraucht wurden.
https://www.sueddeutsche.de/sport/kanu-wm-in-mailand-erst-gold-dann-heiratsantrag-1.2617519
mlsum-de-650
Deutschlands Kanuten überzeugen mit Medaillen und Herz. Deutschlands Basketballer beklagen den nächsten EM-Ausfall. Leverkusens Zugang Charles Aránguiz reißt sich die Achillessehne.
Kanu, WM in Mailand: Canadier-Olympiasieger Sebastian Brendel hat seinen Titel bei den Kanu-Weltmeisterschaften in Mailand erfolgreich verteidigt. Der 27 Jahre alte Europameister aus Potsdam setzte sich auf seiner 1000-Meter-Paradestrecke dank eines starken Schlussspurts noch mit 17 Tausendstelsekunden Vorsprung hauchdünn vor dem Tschechen Martin Fuksa durch und sicherte dem Deutschen Kanu-Verband (DKV) damit auch einen Quotenplatz für die Olympischen Spiele in Rio. Gold holten auch Max Rendschmidt und Marcus Groß 1000 Meter. Die Europameister aus Essen und Berlin setzten sich vor den Australiern Kenny Wallace/Lachlan Tame durch. Rendschmidt/Groß hatten schon bei der Heim-WM vor zwei Jahren in Duisburg den Titel geholt. Groß machte nach dem Erolg seiner langjährigen Freundin Kathi einen Heiratsantrag. "Das war eine Kurzschlussreaktion. Ich hatte den Ring zwar eingesteckt, den hatte ich aber schon öfter dabei", sagte der Berliner, der den Antrag unmittelbar nach der Siegerehrung machte. Kathi sagte "Ja", einen Hochzeitstermin gibt es aber noch nicht. Ende Februar erwartet das Paar das erste Kind. Vor dem Antrag fragte Groß seinen Essener Partner Rendschmidt noch nach seiner Meinung, dieser gab sein "Okay", obwohl "ich mit ihm fast mehr Zeit verbringe als sie". Basketball, EM: Die Nationalmannschaft muss ohne Maik Zirbes auskommen. Der Center von Roter Stern Belgrad hat sich am Freitag im Länderspiel gegen Lettland in Hamburg (85:80) eine Bänderverletzung im Knöchel zugezogen und kann nicht auflaufen. Dies gab der Deutsche Basketball Bund (DBB) bekannt. Zirbes war beim Supercup im Auftaktspiel früh umgeknickt und in die Kabine gehumpelt. Später am Abend erhielt der DBB die bittere Diagnose. "Maiks Ausfall ist natürlich ein herber Verlust für uns. Er hat uns eine Menge Stabilität gegeben. Die Situation ist sehr enttäuschend, weil er so gut gespielt hat und uns sehr fehlen wird", sagte Bundestrainer Chris Fleming. Zirbes ist nicht der erste Ausfall für die EuroBasket mit der Heimvorrunde in Berlin. Per Günther (ratiopharm Ulm) hatte frühzeitig wegen seiner Verletzungsprobleme in der abgelaufenen Bundesliga-Saison abgesagt, Elias Harris und Daniel Theis vom deutschen Meister Brose Baskets Bamberg wurden nach Operationen nicht schnell genug fit. Formel 1, Großer Preis von Belgien: Trotz eines Reifenschadens hat Nico Rosberg im Freitagstraining zum Formel-1-Grand-Prix von Belgien die Bestzeit aufgestellt. Der 30-Jährige verwies seinen Mercedes-Teamkollegen Lewis Hamilton in Spa-Francorchamps auf den zweiten Rang. Rund 25 Minuten vor Ende der zweiten Übungseinheit musste Rosberg aber seinen Silberpfeil vorzeitig abstellen, nachdem sich der rechte Hinterreifen plötzlich bei 306 km/h abgelöst hatte. "Ich fuhr Höchstgeschwindigkeit, das war also nicht gut", sagte Rosberg der BBC. Mercedes-Technikchef Paddy Lowe reagierte völlig verwundert: "So etwas habe ich noch nie gesehen." Reifenlieferant Pirelli kündigte umgehend Aufklärung an. "Wir untersuchen genau, was mit dem Reifen passiert ist", schrieben die Italiener bei Twitter. Dritter wurde Vorjahressieger Daniel Ricciardo im Red Bull. Force-India-Mann Nico Hülkenberg landete auf Position sechs. Sebastian Vettel wurde im Ferrari nur Zehnter. Bayer Leverkusen: Bayer Leverkusen muss monatelang auf Neuzugang Charles Aránguiz verzichten. Der 26 Jahre alte Mittelfeldspieler habe sich im Training des Werksklubs einen Achillessehnenriss zugezogen, berichtete zuerst die chilenische Zeitung La Tercera. Der Verein hat die Verletzung mittlerweile bestätigt. Bei der Pressekonferenz vor dem bevorstehenden Bundesligaspiel bei Hannover 96 hatte Trainer Roger Schmidt am Donnerstag den Neuzugang ausdrücklich nach den ersten Trainingseindrücken gelobt, allerdings den Zeitpunkt von dessen Debüt im Bayer-Trikot offen gelassen. Aránguiz war erst am vergangenen Freitag in Leverkusen vorgestellt worden. Er unterschrieb einen Vertrag bis 2020. Bayer soll für ihn etwa 13 Millionen Euro an den brasilianischen Spitzenclub Internacional Porto Alegre überwiesen haben. VfL Osnabrück: Der Feuerzeugwerfer vom DFB-Pokalspiel VfL Osnabrück gegen RB Leipzig ist ermittelt. Es handelt sich dabei um einen jungen Mann im Alter zwischen 18 und 21 Jahren aus Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen. Das teilten die Polizei und Staatsanwaltschaft Osnabrück am Freitag mit. Zuvor hatte es eine Hausdurchsuchung bei dem Mann gegeben, der die Tat einräumte. Gegen ihn läuft nun ein Strafverfahren wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung. Dabei könnte noch das Jugendstrafrecht angewandt werden. Ob auch der VfL zivilrechtlich gegen ihn vorgeht, war am Freitagmittag noch nicht entschieden. Der Beschuldigte hatte beim Erstrundenspiel im DFB-Pokal am 10. August ein Feuerzeug aufs Spielfeld geworfen und Schiedsrichter Martin Petersen am Kopf getroffen. Das Spiel war daraufhin in der 71. Minute und beim Stand von 1:0 für den Drittligisten Osnabrück abgebrochen worden. Später wurde die Partie zugunsten des Zweitligisten Leipzig gewertet, der nun in der zweiten Pokalrunde in Unterhaching spielt. Osnabrück drohen zudem noch Sanktionen. Bislang sei aber noch kein Strafantrag durch den DFB-Kontrollausschuss gestellt worden, teilte VfL-Präsident Hermann Queckenstedt mit.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/costa-concordia-kapitaen-schettino-staatsanwaltschaft-fordert-mehr-als-26-jahre-haft-1.2321420
mlsum-de-651
Er rettete sich selbst und ließ die Passagiere im Chaos zurück: Feige hat sich Kapitän Schettino nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nach der Havarie der "Costa Concordia" verhalten. Nun fordern die Ankläger eine lange Haftstrafe.
26 Jahre Haft gefordert Feige hat sich Kapitän Francesco Schettino nach Ansicht der Anklage nach der Havarie der Costa Concordia verhalten - er habe sich selbst gerettet und die Passagiere im Chaos zurückgelassen. Nach dem Willen der Staatsanwaltschaft soll er deswegen 26 Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Das forderte die Anklage zum Abschluss ihres mehrtägigen Plädoyers am Montag vor dem Gericht im toskanischen Grosseto, berichtet die Nachrichtenagentur Ansa. Bei der Havarie des Kreuzfahrtschiffs vor der Mittelmeer-Insel Giglio waren im Januar 2012 insgesamt 32 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen auch zwölf Deutsche. Schettino muss sich seit Juli 2013 vor Gericht verantworten. Dem 54-Jährigen werden unter anderem fahrlässige Tötung und Körperverletzung vorgeworfen. Anklage spricht von schweren Fehlern Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer eine Reihe von Fehlern Schettinos aufgezählt. "Schettino und seine Crew hätten auf der Costa Concordia bleiben müssen, bis der letzte Passagier von Bord war. Stattdessen hat er entschieden, seinen Vorteil zu nutzen und vom Schiff zu fliehen", sagte Staatsanwalt Alessandro Leopizzi. Zudem habe der 54-Jährige nur zögerlich Alarm ausgelöst und bei den Behörden falsche Angaben gemacht. Schettino selbst hatte in dem Prozess jede Schuld am Unglück des Kreuzfahrtschiffes von sich gewiesen. Auf dem Schiff sei er als Kommandant zwar "der erste nach Gott". Trotzdem hätten insbesondere seine Stellvertreter auf der Brücke entscheidende Fehler gemacht. Ein Urteil wird frühestens für den 9. Februar erwartet.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/handball-hachinger-veilchen-1.3796916
mlsum-de-652
Der Gastgeber dreht das hart umkämpfte Bayernliga-Derby mit vier Toren in den Schlussminuten und gewinnt gegen Aufsteiger Ismaning glücklich 30:28.
Die kurze Zusammenfassung auf der Facebookseite der Unterhachinger Handballer war eindeutig: "Schön ist anders, aber: Derbysieger", war da zu lesen. Mit 30:28 (16:13) hatte die Mannschaft von Trainer Christian Sorger am Wochenende die Bayernligapartie gegen den Aufsteiger TSV Ismaning für sich entschieden - und der Coach wollte dem prägnanten Resümee im Internet auch gar nicht widersprechen: "Ismaning ist im Aufwind, sie sind nicht so schlecht, wie sie dastehen. Und wir sind denen ein bisschen in die Falle getappt." Dramatisch ging es her, vor allem in der Schlussphase. Zunächst allerdings hatte Haching die Partie ziemlich gut im Griff: Nur einmal lag man kurz hinten, ansonsten kontrollierten die Gastgeber vor etwa 500 Zuschauern in der Hachinga Halle das Geschehen. Zur Halbzeit führte Haching mit drei Treffern, einen möglichen Vier-Tore-Vorsprung verwarf Christoph Behm unmittelbar vor der Pausensirene. "Es war zu Beginn ein typisches Derby, beide Mannschaften haben etwas gebraucht, bis sie in den Rhythmus kamen", fand Sorger. Sein Gegenüber Christoph Ilg, der zusammen mit Rudi Heiss seit der Trennung von Thomas Eck für die Ismaninger Männer zuständig ist, war gar nicht einverstanden mit der Leistung seiner Truppe vor der Pause: "Wir haben den ersten Durchgang etwas verbockt, sind nie richtig in unser schnelles Angriffsspiel gekommen." Das änderte sich im zweiten Abschnitt, denn jetzt nahm sich Ismanings Florian Elsinger des Hachinger Topscorers Martin Dauhrer an. "Wir haben gemerkt, dass unsere 6:0-Deckung nicht funktioniert gegen die guten Kombinationen der Hachinger", so Ilg. Außerdem habe man spekuliert, dass der Gegner den Torwart herausnimmt, um Überzahl zu schaffen und so die Deckung Dauhrers zu kompensieren. Was Haching prompt tat, war zudem in der Folge im Passspiel zu ungenau, schloss zu früh ab und lud dadurch die Gäste zum Toreschießen ein: Dreimal traf Ismaning in dieser Phase ins leere Tor. "Dabei liegt uns das Sieben-gegen-Sechs eigentlich", sagte Trainer Sorger, "wir haben diese Saison bisher nur ein Empty-Net-Gegentor kassiert. Und diesmal gleich drei." Beim Stande von 26:28 korrigierte Sorger seine Taktik, die letzten paar Minuten waren dann vom Kampf geprägt. Julian Beiche brachte Haching mit 29:28 in Führung, dann nagelte Ismanings Yannick Teschner den Ball an die Latte. "Der Knackpunkt war die Zwei-Minuten-Strafe gegen Benedikt Simon vier Minuten vor dem Ende", sagte Ismanings Trainer Heiss. Prompt krönte Philipp Heinle seine überragende Leistung mit dem zehnten Treffer und fixierte den 30:28-Sieg für Haching. "Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen", resümierte Coach Sorger: "14:10 Punkte sind super. Noch zwei, drei Siege, dann können wir uns neuen Zielen zuwenden." Christoph Ilg haderte noch mit der roten Karte gegen Olaf Neumann, dem eine Sperre droht, nahm die Niederlage aber nicht weiter tragisch: "Wir wollen wieder eine Einheit werden, und da sind wir auf einem guten Weg."
https://www.sueddeutsche.de/karriere/vereinte-nationen-zeltender-un-praktikant-erklaert-seine-motive-1.2608510
mlsum-de-653
Als unbezahlter Praktikant bei den UN in Genf schlief er im Zelt. Nun sagt der 22-jährige Neuseeländer, dass er mit der Aktion nur auf einen Missstand aufmerksam machen wollte.
Hinweis auf die "Scheinheiligkeit" unbezahlter Arbeit Mit seiner Aktion erregte er Aufsehen, nun stellt sich das Ganze als PR-Aktion heraus: Ein aus Neuseeland stammender Praktikant der Vereinten Nationen in Genf hat eingeräumt, dass er mit seinen angeblich aus Geldmangel in einem Zelt verbrachten Nächten nur die Öffentlichkeit alarmieren wollte. Er habe auf die "Scheinheiligkeit" unbezahlter Arbeit hinweisen wollen, sagte der 22-jährige David Hyde dem Online-Portal The Intercept. Er habe sich unter anderem für das Zelt als Behausung entschieden, weil er um "die wirkungsvollen Bilder" wusste, die die Aktion nach sich ziehen würde. Wie SZ.de berichtet hat Auch SZ.de hatte über den Fall berichtet. Im Gespräch hatte Hyde behauptet: "Für mich war die Sache mit dem Zelt einfach eine praktische Lösung. Warum also nicht? Wenn ich den Sommer über im Zelt gelebt hätte, hätte ich hoffentlich genug Geld sparen können, um vielleicht im Winter dann ein Zimmer zu mieten." Auch sagte er am Dienstag, dass er nun Angst habe, sein Praktikum nicht fortsetzen zu können. Als er am Mittwoch, also tags darauf, plötzlich sein Praktikum - angeblich wegen der medialen Aufmerksamkeit - für beendet erklärte, sagte er: "Nennt mich jung und idealistisch, aber ich denke nicht, dass das ein gerechtes System ist." Ein UN-Sprecher hatte am Dienstag erklärt, die UN würden Praktikanten gern entlohnen, wegen einer Resolution der Generalversammlung sei dies aber bislang nicht möglich.
https://www.sueddeutsche.de/sport/fed-cup-deutsche-tennis-damen-verpassen-finaleinzug-1.3955070
mlsum-de-654
Julia Görges kann gegen Tschechien nur eins, Angelique Kerber kein einziges ihrer Einzel gewinnen. Damit ist das Team noch vor dem Doppel ausgeschieden.
Die deutschen Fed-Cup-Frauen sind im Halbfinale gegen Tschechien klar gescheitert. Angelique Kerber verlor am Sonntag in Stuttgart auch ihr zweites Einzel gegen die zweimalige Wimbledonsiegerin Petra Kvitova mit 2:6, 2:6. Obwohl die deutsche Nummer eins Julia Görges zuvor 6:4, 6:2 gegen Karolina Pliskova gewonnen hatte, führen die Tschechinnen damit uneinholbar mit 3:1. Im abschließenden Doppel geht es für Tatjana Maria und Anna-Lena Grönefeld gegen Barbora Strycova und Katerina Siniakova nur noch um Ergebniskosmetik, denn am Tag zuvor waren die deutschen Frauen ohne Satzgewinn geblieben. Zunächst verlor Görges in nur 63 Minuten 3:6, 2:6 gegen Kvitova, anschließend die frühere Weltranglistenerste Kerber gegen Tschechiens Spitzenspielerin Pliskova 5:7, 3:6. Nur einmal kurz keimte Hoffnung auf Am Sonntag präsentierte sich jedoch zumindest Görges wie ausgewechselt. Mit starkem Service kontrollierte die Weltranglistenelfte gegen Pliskova die Partie. Nur 27 Minuten benötigte Görges zum Gewinn des ersten Satzes, nutzte im zweiten Durchgang ihre ersten beiden Breakchancen eiskalt und beendete das Match nach 55 Minuten mit einem Ass. Doch die Hoffnung auf ein Comeback der DTB-Auswahl keimte nur kurz auf. Kerber kassierte gegen Kvitova im ersten Durchgang drei Breaks und hatte große Probleme in die Partie zu finden. Auch im zweiten Durchgang konnte Kerber Kvitova kaum einmal längere Ballwechsel aufzwingen. So machte die aufschlagstarke Tschechin am Ende kurzen Prozess. Damit verpasste die DTB-Auswahl neben dem insgesamt achten Finaleinzug im Nationenwettbewerb auch die Revanche für die Endspielpleite von 2014. Von nunmehr neun Fed-Cup-Begegnungen mit Tschechien konnte Deutschland überhaupt erst eine einzige (1987) für sich entscheiden. Die Tschechinnen, die in den letzten sieben Jahren fünfmal den Titel gewonnen hat, treffen nun im Finale auf den Sieger der Partie zwischen Frankreich und den USA.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/italien-angeklagter-erschiesst-im-mailaender-justizpalast-drei-menschen-1.2427633
mlsum-de-655
Bei einer Schießerei im Mailänder Justizpalast sind drei Menschen getötet worden. Mehrere Menschen wurden verletzt. Der Täter wurde nach Angaben des Innenministers mittlerweile festgenommen.
Mehrere Tote und Verletzte Bei einer Schießerei in einem Mailänder Gericht sind ersten Erkenntnissen zufolge drei Menschen getötet worden. Zwei Menschen seien durch Schüsse ums Leben gekommen, ein weiteres Opfer sei tot in dem Gerichtsgebäude gefunden worden, teilten die Rettungskräfte mit. Catturato a Vimercate il presunto assassino di Milano. Ora si trova in caserma dei Carabinieri. — Angelino Alfano (@angealfa) 9. April 2015 Der mutmaßliche Täter wurde von der Polizei festgenommen, wie Innenminister Angelino Alfano auf Twitter bestätigte. Unter den Toten sind ein Richter und ein Anwalt. Mindestens zwei Menschen seien schwer verletzt worden, mehrere weitere leicht. Täter flüchtet mit Motorroller Der Mann, der den Berichten zufolge in einem Insolvenzprozess angeklagt war, war mit einem Motorroller geflüchtet und konnte schließlich von Beamten gestellt werden. Zunächst hatten ihn die Einsatzkräfte noch im Gebäude vermutet, weshalb das Gericht evakuiert wurde und Sicherheitskräfte die Eingänge absperrten. "Plötzlich hörten wir mindestens drei bis vier Schüsse", berichtete der Anwalt Marcello Ilia der Nachrichtenagentur AFP. "Wir fragten uns noch, was los ist, als eine große Zahl von Polizisten auftauchte. Sie forderten uns auf, den Raum nicht zu verlassen und schlossen uns ein." Nach wenigen Minuten seien sie wieder aus dem Raum gelassen und zum Ausgang gebracht worden. "Sie sagten uns, ein bewaffneter Mann im Anzug und mit Krawatte halte sich im Gericht auf." Der Justizpalast steht im historischen Zentrum von Mailand, nur wenige Straßen vom Dom und dem Geschäftsviertel entfernt.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bundesbank-vorschlag-weidmann-und-schaeuble-gegen-bruessel-1.3084611
mlsum-de-656
Die Bundesbank schlägt vor, die Europäische Kommission zu entmachten und den Euro-Rettungsfonds ESM zu stärken.
Der Ärger in Berlin war bekannt. Die Bundesregierung merkt seit längerem an, dass sie es für falsch hält, wenn die Europäische Kommission ihren politischen Spielraum bei der Bewertung der Haushaltslage von Euro-Ländern aus ihrer Sicht zu weit dehnt. Erst recht, wenn es darum geht, die Lage in Krisenländern zu bewerten, die sich vorübergehend mit Krediten aus dem Euro-Rettungsfonds ESM finanzieren. Auch die Rolle der Europäischen Zentralbank bei der Bewertung der Krisenländer stand wegen möglicher Interessenkonflikte in der Kritik. Die Bundesbank hat nun am Montag einen Vorschlag gemacht, der diese Kritik aufgreift. Die deutsche Notenbank schlägt in ihrem Monatsbericht vor, den Euro-Rettungsfonds ESM weiter zu stärken. Dazu sollen bisherige Aufgaben der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank auf den Fonds übertragen werden. Es ist ein Vorschlag, der die europäischen Institutionen schwächt und die Verantwortung für Entscheidungen in der Euro-Zone verstärkt nationalen Regierungen überträgt. Der Vorschlag läuft grundsätzlich darauf hinaus, den ESM zu einem Europäischen Währungsfonds auszubauen. Die Bundesbank möchte den Euro-Rettungsfonds ESM bei der Bewältigung künftiger Staatsschuldenkrisen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Dem ESM könnte die Aufgabe übertragen werden, die konjunkturelle Entwicklung des Krisenlandes einzuschätzen, die Schuldentragfähigkeit zu bewerten und den konkreten Finanzbedarf zu ermitteln, schreibt die Bundesbank in ihrem Monatsbericht weiter. "Die Programmumsetzung könnte künftig ebenfalls durch den ESM überwacht werden." Ideenpaket, um den Krisenlösungsmechanismus langfristig zu verbessern Bisher hat diese Aufgaben die sogenannte Troika übernommen: Die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds. Geht es nach der Bundesbank, würde sich künftig statt der beiden europäischen Institutionen der ESM um diese Aufgabe kümmern. Aus Sicht der Notenbank ist dieser Vorschlag logisch, weil auch die Eigentümer des ESM, nämlich die Euro-Länder, die Kredite für Krisenländer zur Verfügung stellen. Die Bundesbank will mit dem Vorschlag Ansatzpunkte liefern, "um den Krisenlösungsmechanismus mittel- bis langfristig zu verbessern". Der Euro-Rettungsfonds ESM wurde im Jahr 2012 als dauerhafter Rettungsfonds gegründet, um Euro-Staaten bei drohender Zahlungsunfähigkeiten Kredite gegen Verpflichtungen zu Reformen und Sparauflagen bereit zu stellen. Das dritte Kreditprogramm für Griechenland umfasst Zusagen des ESM bis zu 86 Milliarden Euro. Die Bundesbank wiederholte zudem ihren Vorschlag, dass sich die Laufzeiten von Anleihen für private Gläubiger automatisch um drei Jahre verlängern, sobald ein Staat ein Kreditprogramm beantragt. Damit werde der Finanzbedarf erheblich gesenkt und zudem verhindert, dass die Anleihen am Ende bei den anderen Euro-Staaten landeten, heißt es zur Begründung. Zudem spricht sich die Notenbank dafür aus, dass Euro-Staaten künftig nur noch solche Anleihen begeben, bei denen eine Mehrheit der Gläubiger verbindlich über alle Anleiheserien hinweg eine Restrukturierung beschließen kann.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/nepal-mehr-als-100-deutsche-werden-nach-erdbeben-vermisst-1.2455955
mlsum-de-657
Die Zahl der Opfer nach dem gewaltigen Erdbeben in der Himalaya-Region steigt immer weiter. Nun soll erneut eine Lawine abgegangen sein und Hunderte Menschen verschüttet haben.
Diese Aufnahme wurde von einem Helikopter aus fotografiert. Sie zeigt ein völlig zerstörtes Bergdorf im Distrikt Gorkha. Etwa 500 Deutsche sollen sich zum Zeitpunkt des Erdbebens in Nepal aufgehalten haben. Nach Medienberichten sind davon 150 vermisst, auch das Auswärtige Amt spricht inzwischen von einer "niedrigen dreistelligen Zahl" von Deutschen, deren Verbleib nicht geklärt ist. Der Krisenstab bemühe sich um Informationen über das Schicksal von mehr als 100 vermissten Deutschen. "Nach derzeitigem Stand haben wir die traurige Gewissheit, dass ein deutscher Staatsangehöriger unter den Todesopfern des Erdbebens in Nepal ist. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, dass sich weitere Deutsche unter den Opfern befinden", erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Dienstag zudem. Angaben zur Zahl der Verletzten machte er nicht. Einige Deutsche und ihre Angehörige konnten das Land inzwischen mit Unterstützung der deutschen Botschaft in Kathmandu verlassen. Diplomaten haben einen Betreuungsstand am Flughafen der nepalesischen Hauptstadt eingerichtet. Einige deutsche Staatsbürger halten sich noch auf dem Botschaftsgelände auf. Bei dem Toten handelt es sich um einen Geografie-Professor der Universität Göttingen, wie die Hochschule am Dienstag mitteilte. Er befand sich mit 15 Studenten und einem weiteren Wissenschaftler auf einer Exkursion, als die Gruppe vom Erdbeben überrascht wurde. Bis zu 250 Vermisste nach neuer Lawine in Nepal Nach dem Abgang einer neuen Lawine im nepalesischen Erdbebengebiet werden bis zu 250 Menschen vermisst. Möglicherweise seien darunter ausländische Touristen, sagte Gouverneur des Bezirks Rasuwa, Uddhav Bhattarai, am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Die Lawine habe zur Mittagszeit das Dorf Ghodatabela getroffen, das in einem Naturpark liege. Die Region nördlich der Hauptstadt Kathmandu ist bei Wanderern beliebt. "Wir versuchen sie zu retten, aber schlechtes Wetter und Regen behindern die Arbeit", sagte Bhattarai weiter. Ministerpräsident befürchtet 10 000 Tote Die Zahl der Toten nach dem gewaltigen Erdbeben in der Himalaya-Region steigt immer weiter. Allein in Nepal starben nach Angaben des Innenministeriums vom Dienstag 4485 Menschen. Zudem gebe es mehr als 8000 Verletzte. Nepals Regierung hat drei Tage Staatstrauer angeordnet und räumte am Dienstag erstmals öffentlich ein, trotz zahlreicher Warnungen vor einem bevorstehenden großen Beben nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. "Wir haben nicht genügend Mittel, und wir brauchen mehr Zeit, um alle zu erreichen", erklärte Innenminister Bam Dev Gautam im staatlichen Fernsehen. Die Behörden hätten Schwierigkeiten, die Krise zu meistern. "Wir waren auf ein Desaster dieses Ausmaßes nicht vorbereitet", sagte er. Nach Angaben von Ministerpräsident Sushil Koirala könnten insgesamt 10 000 Menschen ums Leben gekommen sein. Die Regierung habe angeordnet, dass die Rettungsarbeiten intensiviert würden, sagte der Regierungschef am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Sein Land benötige jetzt Hilfe von außen - vor allem Zelte und Medikamente. UN: Acht Millionen Menschen betroffen Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind insgesamt etwa acht Millionen Menschen von dem schweren Erdbeben betroffen. Mehr als 1,4 Millionen davon bräuchten Nahrungsmittel, berichtete das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in New York. Wasser und Unterkünfte würden benötigt. Für die Gesundheitsversorgung müssten medizinische Zelte, Medikamente und chirurgische Geräte ins Land gebracht werden. Auch Leichensäcke würden gebraucht. Die UN-Organisation erklärte weiter, sie habe die Zahl ohne Vor-Ort-Begehung ermittelt. Sie sei errechnet anhand von Zensusdaten und der Annahme, dass 50 Prozent der Bevölkerung in den Distrikten betroffen sind. Dazu gehörten vor allem diejenigen Menschen, die in schlechten Häusern mit schwachen Mauern leben. Kein Strom und kaum Trinkwasser in Kathmandu Auf der Suche nach Wasser und Nahrung haben inzwischen Zehntausende Menschen das von einem Erdbeben schwer getroffene Kathmandu-Tal in Nepal verlassen. Die nepalesische Zeitung Himalayan Times gab ihre Zahl am Dienstag mit mehr als 72 000 an. We are last 9 Sherpas & 8 climbers @ #Everest. On helipad here in C1 @ 6100m / 20,000ft. Sunny & cloudless, but waiting is hard. — Daniel Mazur (@danielmazur) 28. April 2015 In der Hauptstadt gebe es derzeit keinen Strom und kaum Trinkwasser, sagte Philips Ewert, Einsatzleiter der Hilfsorganisation World Vision vor Ort. Alle großen Geschäfte und Banken seien geschlossen. "Außerdem wollen viele Menschen in ihre Heimatdörfer fahren und schauen, wie es ihren Familien geht", sagte Ewert. Auf Fotos waren völlig überladene Lastwagen und Busse zu sehen, die Kathmandu verließen.
https://www.sueddeutsche.de/sport/bundesliga-hoffenheim-bvb-1.4140847
mlsum-de-658
Trainer Nagelsmann ärgert sich, weil seine Hoffenheimer beim 1:1 gegen fragile Dortmunder beste Chancen vergeben. Die BVB-Fans machen sich unbeliebt.
Als Christian Pulisic nach überragender Vorarbeit von Marco Reus kurz vor Schluss das 1:1 für Borussia Dortmund erzielte, lief Julian Nagelsmann heiß. Eigentlich hatte der Trainer der TSG Hoffenheim bei nächster Gelegenheit Abwehrspieler Kevin Akpoguma zur Sicherung der Führung einwechseln wollen. Nun entschied sich Nagelsmann nach dem Ausgleich um und wechselte Stürmer Ishak Belfodil ein. Und in der zweiten Minute der Nachspielzeit hätte dieser Belfodil tatsächlich den Siegtreffer für die TSG erzielen müssen: Aber der im Sommer aus Bremen gekommene Algerier brachte das Kunststück fertig, den Ball zwei Meter vor dem leeren Tor in den Himmel über Sinsheim zu treten. "Wir hatten den Winner auf dem Fuß, der uns mal guttun würde", haderte Nagelsmann. Vor einer Woche verlor seine Elf bei Aufsteiger Düsseldorf völlig unnötig, nachdem Andrej Kramaric eine ähnlich klare Möglichkeit zur Führung vergeben hatte; unter der Woche hätte Hoffenheim in der Champions-League bei Schachtjor Donezk gewinnen statt 2:2 spielen müssen. Und an diesem Samstag dominierte die TSG Borussia Dortmund lange klar - und musste sich am Ende mit nur einem Punkt zufrieden geben. Nagelsmann blickte nach Belfodils vergebener Großchance ungläubig nach oben, später sagte er: "Ich schicke ein Stoßgebet Richtung Fußballgott. Es wäre gut, wenn er mal wieder über Sinsheim abbiegen würde." "Den Punkt nehmen wir gerne mit" Gegen Dortmund spielte Hoffenheim lange ganz stark - aber wieder einmal blieb der Ertrag gering: Nach vier Spieltagen stehen für die TSG nur vier Punkte auf dem Konto, zu wenig für die eigenen Ansprüche - und zu wenig angesichts der Chancen, die die Mannschaft zuletzt in Düsseldorf und nun gegen den BVB fahrlässig vergab. Ganz anders war die Gefühlslage in Dortmund: Der BVB ist durch den Punkt mit nun acht Zählern unter dem neuen Trainer Lucien Favre in der Liga weiter ungeschlagen. Auch der Champions-League-Start war unter der Woche durch den 1:0-Sieg in Brügge geglückt. "Den Punkt nehmen wir gerne mit", sagte Reus nach dem Abpfiff erleichtert. Vor allem, weil die Elf nach einer roten Karte für Innenverteidiger Abdou Diallo (75.) nach einer Notbremse an Andrej Kramaric die Schlussphase dezimiert spielen musste. "Komischerweise haben wir danach besser Fußball gespielt", meinte Reus, ohne eine Erklärung für diese Erkenntnis zu finden. Es war allerdings keine Überraschung, dass der Ausgleich nach einer Zusammenarbeit zwischen Reus und Pulisic fiel, der BVB entwickelte über die gesamte Spielzeit nur Gefahr, wenn die zwei schnellen Offensivspieler loszogen. Wobei den Dortmundern in der Anfangsphase ein Elfmeter verweigert wurde - Nico Schulz hatte Pulisic im Strafraum ein Bein gestellt (6.), der Video-Assistent griff aber seltsamerweise nicht ein. Nach dieser Aktion diktierten die insgesamt bissigeren, gierigeren und reifer wirkenden Hoffenheimer das Spiel. Der überragende Stürmer Joelinton traf kurz vor der Pause zur Führung, aber weil die TSG in der zweiten Halbzeit mehrere Chancen ungenutzt ließ und zwei vermeintliche Tore wegen Abseitsstellung nicht anerkannt bekam, blieben die Dortmunder im Spiel - und erzielten nach 84 Minuten wieder einmal spät ein wichtiges Tor.
https://www.sueddeutsche.de/sport/erik-durm-in-der-premier-league-ein-weltmeister-fuer-huddersfield-1.4088644
mlsum-de-659
Die Karriere von Erik Durm kam derart oft zum Stillstand, dass er einfach nur wieder Fußball spielen will. Sein früherer Amateurtrainer gibt ihm nun die Chance.
Erik Durm war einmal Weltmeister, und da meint man, solche Spieler hätten hohe Ansprüche. Aber schon ein simpler Pressschlag bereitete Erik Durm in diesem Sommer große Freude. "Das war ein gutes Tackling zum Reinkommen, weil man merkt, dass der Fuß ganz normal mitmacht", sagt Durm nach dem 3:0 im Testspiel gegen RB Leipzig, seiner Premiere im Huddersfield-Trikot. 14 Minuten durfte Durm das tun, was er so selten tun konnte in den vergangenen Jahren: auf dem Platz stehen. Fußball spielen. Zweikämpfe bestreiten. Nach sechs Jahren bei Borussia Dortmund hat Durm in diesem Sommer den Schritt nach England gemacht: zu Huddersfield Town. Der Klub ist in England ohnehin schon für seinen "deutschen" Anstrich bekannt, Christopher Schindler spielt hier, auch Chris Löwe, trainiert wird die Mannschaft von David Wagner. Jetzt steht sogar ein deutscher Weltmeister im Kader. Nach vielen Jahren, die durch Verletzungen bestimmt waren, will Durm einen Neuanfang wagen. Wieder einmal. Die Verletzungszeit begann ein Jahr nach dem WM-Titel 2014, als Durm zwar im Kader stand, in Brasilien letztlich aber kein Spiel bestritt. Erst entzündete sich das linke, dann das rechte Knie. Operationen folgten. Über zwei Jahre hinweg verpasst er allein dadurch zusammengerechnet so viele Spieltage, dass diese für eine ganze Saison reichten. Tiefpunkt: der gescheiterte Wechsel nach Stuttgart Als er wieder für gesund erklärt wurde, entschied sich Durm im Sommer 2017 für einen Wechsel nach Stuttgart. Also verabschiedete er sich von seinen Mitspielern in Dortmund, fuhr nach Stuttgart, absolvierte den Medizincheck. "Dann kam mein Berater und musste mir erzählen, dass es nicht geklappt hat. Ich dachte erst, das sei ein Scherz", erzählt Durm. Die Stuttgarter Ärzte hatten eine Hüftproblematik festgestellt, die in ihren Augen wohl operiert werden müsste. Stuttgart nahm vom Wechsel wieder Abstand. Durm blieb nur der Frust. Und abermals eine OP. Im Winter kam noch ein Riss im Außenband des Sprunggelenks dazu, Durm stand in der Saison 17/18 kein einziges Mal für den BVB auf dem Platz. "Ich habe halt das Pech gehabt, dass ich jetzt in drei Jahren durchgemacht habe, was mancher in zehn Jahren bekommt", sagt Durm: "Beim Fußball immer nur zuzuschauen, ist das schlimmste an der ganzen Verletzungsgeschichte." Dass Durm gerade bei Huddersfield Town gelandet ist, hat viel mit David Wagner zu tun. Unter ihm verbrachte Durm in der zweiten Mannschaft das erste Jahr bei Dortmund und lernte damals noch als Sturmspitze, sich im Abstiegskampf der dritten Liga durchzusetzen. "David Wagner hat es geschafft, dass wir zu dieser Zeit immer ruhig geblieben sind und uns nie gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben", erinnert sich Durm. Von da an ging es für Durm schnell nach oben. Nach der Umschulung zum Außenverteidiger kamen die ersten Einsätze in der Bundesliga, Champions League und schließlich in der Nationalmannschaft.
https://www.sueddeutsche.de/sport/1-fc-kaiserslautern-vorboten-des-untergangs-1.3735530
mlsum-de-660
"Außer Ehrmann könnt ihr alle gehen": Beim FCK ist die Lage dramatisch. Der Meister von 1998 ist Tabellenletzter der zweiten Liga - und niemand hat eine Idee für die Wende zum Guten.
Wer das Fritz-Walter-Stadion von der Haupttribüne über die Westkurve in Richtung Bahnhof verlässt, sieht an einer Stelle auf Kaiserslautern, wie von einer Panoramaplattform in den Alpen über Täler und Landschaften. Der Betzenberg ist zwar nur 285 Meter hoch, aber er thront mit diesem Fußballstadion über der Stadt. Freitagnacht standen dort oben an den Geländern Fans des FCK, sie hatten ein übles 0:0 gegen den VfL Bochum erlebt, das die Lage für ihren Klub im Tabellenkeller der zweiten Liga verschlimmerte. Sie blickten hinab in die Buseinfahrt zu den Katakomben des Stadions. Dort blockierten etwa 100 Anhänger die Ausfahrt, sie wollten die Verantwortlichen zur Rede stellen. Es war kalt und dunkel, die Polizei riegelte den Bereich ab, es blieb friedlich. Die FCK-Vorstände Michael Klatt und Thomas Gries, das Aufsichtsratsmitglied Mathias Abel und Sportdirektor Boris Notzon standen Rede und Antwort. Und mitten in der Menge sah man Gerry Ehrmann lebhaft diskutieren. "Dann spielen wir halt demnächst gegen Pirmasens", ruft ein Fan Ehrmann ist seit Ewigkeiten auf dem Betzenberg, er stand im Tor, als der Klub 1991 die bislang vorletzte seiner vier deutschen Meisterschaften feierte. Seit dem Ende seiner Spielerlaufbahn bildet Ehrmann Torhüter aus, die später woanders große Karrieren machten: Tim Wiese, Roman Weidenfeller, Kevin Trapp und einige andere gehören dazu. Ehrmann ist eine der letzten Identifikationsfiguren dieses großen Klubs, der schier unaufhaltsam immer näher Richtung Abstieg taumelt. Am Freitag hatte es gegen Bochum kurz vor dem Abpfiff eine Rudelbildung gegeben, in solchen Momenten ist es Folklore, dass das Lauterer Publikum "Ehrmann, Ehrmann" ruft, weil der Mann mit der Bodybuilderfigur (Spitzname Tarzan) Symbol für die ehemals legendäre Widerstandskraft des FCK ist. Am Freitag stand Ehrmann nun wieder einmal in erster Reihe, als es galt, die eigenen Fans zu beschwichtigen. Oben, an der Balustrade, riefen ein paar Menschen: "Außer Ehrmann könnt ihr alle gehen." Andere gingen nur achselzuckend weiter, gelangweilt von dem Schauspiel, das sie da unten sahen. Einer sagte: "Was soll das? Diese Mannschaft kann es halt nicht." Und wieder ein anderer erwiderte verzweifelt: "Ist so: Wir holen keine zehn Punkte bis zur Winterpause." Nach dem trüben Nullnull am Freitag hat der FCK gerade einmal sieben Punkte nach 13 Spieltagen. Der Klub Fritz Walters ist Tabellenletzter in der zweiten Liga. Zuletzt sollte der Befreiungsschlag gegen direkte Konkurrenten gelingen, aber stattdessen folgte der sportliche Offenbarungseid mit Pleiten gegen Duisburg (0:1) und in Regensburg (1:3). Sportliche Miseren sind nichts Neues für die Fans des FCK, seit Jahren erleben sie einen Niedergang. Doch nun hat er an Tempo zugenommen und die Zukunft des finanziell klammen und mit Altlasten befrachteten Klubs ist tatsächlich ungewiss. Angesichts von rund zehn Millionen Euro an Miete und Betriebskosten pro Jahr für das zur WM-Arena 2006 aufgerüstete Stadion ist die Lizenz für die dritte Liga fraglich. Noch ist es nicht soweit, aber die Angst nimmt zu: "Dann spielen wir halt demnächst gegen Pirmasens", sagte einer am Freitag auf dem Nachhauseweg. Der einstige Rivale FKP spielt aktuell in der Oberliga Südwest. Die Untergangszenarien werden mit jedem Spieltag detaillierter. Und die Mannschaft bietet keinen Anlass, Hoffnung zu verbreiten. Die allgemeine Stimmungslage in der Fußballpfalz ist derzeit eher apathisch als aggressiv. Doch die Blockade am Freitag könnte ein unheilvoller Vorbote sein. Schafft die Mannschaft es in den nächsten Wochen nicht, ein paar Punkte zu sammeln, könnte die Mitgliederversammlung am 3. Dezember zu einem Akt der Selbstzerfleischung werden. Der Niedergang des großen Klubs hat viele Facetten, aber man braucht nicht die vielen Dramen der Grabenkämpfe und der finanziellen Verfehlungen der letzten Jahre zu bemühen, um die sportliche Misere dieses Herbstes zu erklären. Im Sommer erlebte der FCK eine desaströse Transferperiode, in der der Sportdirektor Uwe Stöver (mittlerweile beim FC St. Pauli tätig) zurücktrat und nach einer bizarren Nachfolgersuche schließlich Wochen später der Chefscout Boris Notzon zum Sportchef befördert wurde. 17 Zugänge sind in dieser Zeit gekommen, herausgekommen ist ein veritabler Murks: eine Ansammlung von Spielern, die nicht zu einer Mannschaft zusammengewachsen sind.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pipers-welt-fidel-castros-geschenk-1.3565988
mlsum-de-661
1980 kamen 125000 gering qualifizierte Flüchtlinge aus Kuba nach Miami. Auf die Löhne Einheimischer hat sich das nicht negativ ausgewirkt.
Nehmen die Flüchtlinge uns die Arbeitsplätze weg? Werden Flüchtlingswellen "als neue Möglichkeit der Lohndrückerei missbraucht", wie Oskar Lafontaine dies 2015 einmal ausdrückte? Die alte Frage, wie sich Einwanderung auf den Arbeitsmarkt des Ziellandes auswirkt, ist in diesen Tagen hochpolitisch, vor allem seit der Wahl Donald Trumps, der zu dem Thema ähnliche Ansichten hat wie Lafontaine. Brisant ist dabei, dass wissenschaftliche Antworten meist kompliziert sind, was den großen Vereinfachern das Geschäft erleichtert. "Einwanderer lösen unser Facharbeiter-Problem" (egal wie sie ausgebildet sind), sagen die einen. "Einwanderer treiben einheimische Arbeiter in die Armut" (auch wenn sie Jobs erledigen, für die sich keine Einheimischen finden, zum Beispiel Spargelstechen), sagen die anderen. Und alle, die sich nicht sicher sind, schweigen, weil sie nicht Beifall von der falschen Seite bekommen wollen. In diesem Klima ist nun eine alte akademische Debatte unter Migrationsforschern wiederaufgelebt: die Sache mit dem "Mariel Boatlift ". Die Geschichte beginnt im April 1980. Damals steckte Kuba - wieder einmal - in einer schweren Krise. Immer mehr Kubaner wollten die Segnungen des Sozialismus in Richtung Vereinigte Staaten verlassen, einige hatten damit begonnen, Schiffe zu entführen, um ihre Flucht zu erzwingen. In der Situation beschloss Diktator Fidel Castro, Dampf aus dem Kessel zu lassen. Er erlaubte 125 000 Kubanern legal auszureisen; einzige Voraussetzung: Sie mussten dies über den Hafen von Mariel im Nordwesten Kubas tun. Das Regime behielt so eine gewisse Kontrolle über die Massenflucht und schmuggelte bei der Gelegenheit gleich noch ein paar Kriminelle unter die Flüchtlinge. Die Ursachen der Mariel-Flucht - Misswirtschaft und Unfreiheit - waren bedrückend, die Umstände dramatisch - aber für Arbeitsökonomen waren die Ereignisse des Jahres 1980 ein Geschenk. Weil der Zustrom der Flüchtlinge so plötzlich kam, konnten sie in Florida wie in einem Labor untersuchen, wie die Einwanderung einer bestimmten Gruppe auf den Arbeitsmarkt des Aufnahmelandes wirkt. Die meisten Flüchtlinge waren gering qualifiziert, etwa 60 Prozent hatten keinen Abschluss, der dem einer amerikanischen Highschool entsprochen hätte, nur zehn Prozent hatten ein College besucht. Allein in Miami, der Hauptstadt der Exil-Kubaner, stieg dadurch das Angebot an gering qualifizierten Arbeitskräften auf einen Schlag um 55 000. Intuitiv würden die meisten Ökonomen vermuten, dass so ein Angebotsschock einen Verdrängungswettbewerb mit sinkenden Löhnen auslöst. Umso erstaunter war die Fachöffentlichkeit, als David Card, ein angesehener Arbeitsökonom, der heute an der Universität Berkeley lehrt, 1990 in einer Studie herausfand, dass negative Folgen der Mariel-Fluchtwelle auf die Löhne alteingesessener Arbeiter nicht feststellbar waren. Der flexible Arbeitsmarkt von Miami absorbierte den Angebotsschock in kürzester Zeit. Ein Grund dafür, so meinte der Ökonom, könnte die Tatsache sein, dass Miami in den 20 Jahren zuvor mehrere große Einwandererwellen erlebt hatte und entsprechend darauf eingestellt war. Cards Studie hatte großen politischen Einfluss. Ihre Ergebnisse sprachen erstens für eine liberale Einwanderungspolitik und zweitens für einen wenig regulierten Arbeitsmarkt. 2006 wurde der Ökonom mit dem prestigeträchtigen Preis des Bonner Instituts Zukunft der Arbeit (IZA) ausgezeichnet. Es ist riskant, wenn man sich zu früh einredet, alles sei in Ordnung Es dauerte 26 Jahre, ehe jemand die Arbeit von David Card infrage stellte. David Borjas, Ökonom von der Harvard University, veröffentlichte 2016 ein Papier, das den Ergebnissen Cards widerspricht. Borjas hatte einen persönlichen Bezug zu dem Thema: Er war 1950 in Havanna geboren worden und im Alter von zwölf Jahren mit seinen Eltern in die USA ausgewandert. Heute ist er einer der bekanntesten Arbeitsökonomen des Landes und wurde 2011 ebenfalls mit dem IZA-Preis ausgezeichnet. Borjas kritisierte an Card, dass dieser nicht genau genug gemessen habe. Die Fluchtwelle habe sehr wohl negative Folgen auf den Arbeitsmarkt von Miami gehabt, und zwar für highschool dropouts, also für Arbeiter ohne Schulabschluss. Deren Löhne seien in der Folge von Mariel um zehn bis 30 Prozent gesunken. Man muss immer genau hinsehen, so der Ökonom: Wie qualifiziert sind die Einwanderer im Verhältnis zu den einheimischen Arbeitern (im Fall von Miami hatte ein Viertel der Alteingesessenen keinen Highschool-Abschluss). Es zeige sich, "dass selbst die sehr kursorische Neubewertung alter Daten anhand neuer Ideen Trends zutage fördern kann, die auf radikale Weise das ändern, was wir zu wissen glaubten". Borjas Papier löste nun seinerseits heftigen Widerspruch aus: Zu kleine Stichproben, bemängelten die Kritiker und warfen ihm im Übrigen statistische Fehlgriffe vor, die für Nicht-Arbeitsökonomen nur schwer zu bewerten sind. Die Tatsache, dass Trump Borjas Ergebnisse im Wahlkampf zitierte und als Argument für seine Politik des "America first" nutzte, hat der Debatte auch nicht unbedingt gutgetan. Inzwischen erlebt Europa Flüchtlingsströme, im Vergleich zu denen sich der Mariel Boatlift wie ein Schulausflug ausmacht. In vielem lässt sich die Zuwanderung von einer Million Menschen 2015 nach Deutschland nicht mit der Lage in Miami 1980 vergleichen. Mindestlohn und Tarifverträge sorgen hierzulande dafür, dass Lohndruck, wenn überhaupt, dann nur über den Schwarzmarkt stattfinden kann. Viele Asylsuchende dürfen noch gar nicht arbeiten. Trotzdem kann Deutschland etwas aus der Card/Borjas-Debatte lernen: Es ist riskant, wenn man sich zu früh einredet, alles sei bestens und es gebe keine Probleme. An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.
https://www.sueddeutsche.de/politik/krawalle-in-sachsen-polizei-trennt-demonstranten-in-bautzen-1.3164736
mlsum-de-662
Die Bundesregierung verurteilt die Ausschreitungen zwischen Flüchtlingen und meist rechtsgerichteten Deutschen in Bautzen scharf. Die Polizei will ihre Präsenz in dem sächsischen Ort verstärken.
Die Bundesregierung hat die jüngsten Ausschreitungen zwischen rechtsgerichteten Deutschen und Flüchtlingen im sächsischen Bautzen scharf verurteilt. "Das ist unseres Landes nicht würdig", sagte die Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer am Freitag. "In Deutschland ist kein Platz für derartige Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Extremismus." Die Regierung verurteile aggressive, fremdenfeindliche und gewalttätige Ausschreitungen auf das Schärfste. Demmer betonte: "Ohne jetzt auf den konkreten Fall einzugehen, müssen wir natürlich dafür sorgen, dass die Gesetze sowohl von Flüchtlingen als auch von einheimischen Bürgern eingehalten werden." Polizei verstärkt Präsenz in Bautzen Nach der Krawallnacht von Bautzen setzt die Polizei auf massive Präsenz. Man werde in den kommenden Tagen mit zusätzlichen Kräften vor Ort sein, sagt der Leiter des Bautzener Polizeireviers, Polizeidirektor Uwe Kilz. Rechte Gruppen haben für Freitag und Sonntag Demonstrationen in der sächsischen Stadt angekündigt. Bereits am Donnerstagabend versammelten sich nach Polizeiangaben etwa 350 Personen auf dem Kornmarkt und den angrenzenden Straßen. Es handelte sich überwiegend um Einheimische, etliche von ihnen waren augenscheinlich der rechten Szene zuzuordnen. Bis in die Nacht blieb es weitgehend friedlich. "Die unschönen Szenen, wie sie an den vergangenen Abenden am Kornmarkt zu sehen waren, gab es heute nicht", sagte Kilz. Gegen 23:30 Uhr kehrte Ruhe auf dem Platz ein. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit 90 Einsatzkräften vor Ort. Die Gruppe "Kaltland-Reisen" hatte über soziale Medien zu einer Kundgebung auf dem Kornmarkt um 20 Uhr aufgerufen und war mit 25 Aktivisten in der Stadt. Die Gruppe bezeichnet sich selbst als "Gemeinschaft von Antirassist_innen und Antifaschist_innen, die regelmäßig dort unterwegs sind, wo es 'brennt'". An diesem Abend waren sie aus Leipzig angereist. Wie der Tagesspiegel berichtet, konnte die Demo zunächst nicht stattfinden, weil Rechte den Platz besetzt hielten. Erst gegen 21:30 Uhr hatte die Polizei den Demonstranten so weit Platz verschafft, dass deren Kundgebung stattfinden konnte. Mit zwei Ketten trennten die Beamten dann die beiden Gruppen voneinander. Ein Mann aus Reihen der Einheimischen schlug einem filmenden Journalisten auf den Arm, wie die Polizei mitteilte. Die Polizei ermittelt wegen Körperverletzung gegen einen 30-Jährigen. Darüber hinaus registrierte die Polizei weitere sieben Straftaten etwa wegen verfassungsfeindlicher Symbole sowie volksverhetzenden Parolen. In Bautzen gilt nun eine Ausgangssperre für junge Flüchtlinge Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping, die der SPD angehört, sprach in den "Tagesthemen" am Donnerstagabend von einer beängstigenden Stimmung in Bautzen. "Es gibt schon Regionen in Sachsen, wo Rechtsradikalismus und radikalisierte Einstellungen stärker sind als in anderen Regionen." Gleichzeitig betonte sie, die Übergriffe aus der Nacht zum Donnerstag seien nicht repräsentativ für Bautzen. Nach den Ausschreitungen greift der zuständige Landkreis gegen junge Asylbewerber hart durch. Vier Rädelsführer aus einem Wohnheim im Alter zwischen 15 und 20 Jahren wurden bereits an andere Standorte gebracht und sollen keinen Einfluss mehr auf ihre Mitbewohner ausüben. Außerdem gilt fortan ein Alkoholverbot und eine Ausgangssperre ab 19 Uhr für die etwa 30 in Bautzen lebenden sogenannten UMAs - unbegleitete, minderjährige Ausländer. Der Bautzener Kornmarkt steht seit mehreren Tagen im Fokus, weil sich Einheimische und Asylbewerber Auseinandersetzungen lieferten. In der Nacht zu Donnerstag kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen etwa 20 Flüchtlingen und 80 Deutschen. Nach Darstellung des Bautzener Polizeichefs Uwe Kilz ging die Gewalt bei den Krawallen am Mittwochabend von jungen Flüchtlingen aus. Von einer Gruppe von 15 bis 20 Asylbewerbern seien auf dem Kornmarkt Flaschen und Steine in Richtung der Einheimischen geflogen. Bereits bei einer Konfrontation am vergangenen Freitag hätten zunächst die Jugendlichen Gewalt ausgeübt. Die Polizei hatte schon zuvor von "wechselseitigen Provokationen" zwischen Flüchtlingen und Rechten gesprochen und den Kornmarkt als "Pulverfass" bezeichnet. Meist sei Alkohol im Spiel. Bautzen war in den vergangenen Monaten wiederholt negativ in die Schlagzeilen geraten. Im Februar hatten Schaulustige einem Brand in einer Flüchtlingsunterkunft zugesehen. Im März war Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Besuch in Bautzen als "Volksverräter" beschimpft und beleidigt worden. Damals hatte er mit Bürgern über die Flüchtlingskrise diskutiert. Die neuerlichen Vorfälle befeuerten die Debatte über Fremdenfeindlichkeit in Sachsen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/umstrittenes-klimaanlagen-mittel-r1234yf-klimaanlagen-chemikalie-das-ist-verdammt-gefaehrlich-1.2793801
mlsum-de-663
Der Streit um den Stoff R1234yf schien fast beigelegt. Doch jetzt warnt ein renommierter Chemiker vor lebensgefährlichen Risiken.
Mit dem Rüssel schien das Problem eigentlich gelöst, technisch gesehen: Der Autobauer Daimler, der lange in Sorge war wegen der Brandgefahr des neuen Klimaanlagen-Kältemittels R1234yf, lenkte im Oktober ein: Dank einer neu konstruierten Anlage, die bei einem Unfall mittels eines Rüssels nicht brennbares Gas zum Motor führt und so einen Brand verhindern soll, seien die Risiken des Kältemittels beherrschbar, erklärten die Schwaben. Damit war nun der letzte mächtige Zauderer eingeschwenkt auf den Kurs der globalen Autoindustrie. Drei Jahre lang hatte sich Daimler gegen den Einsatz des neuen Mittels gewehrt. Das trägt viel weniger zum Treibhauseffekt bei, ist also umweltfreundlicher, als die bisherige Chemikalie, die in den Autoklimaanlagen für den Wärmetransport sorgt. Bei Tests bei Daimler hatte sich R1234yf jedoch entzündet, dabei entstand unter anderem ätzende Flusssäure. Eine Gefahr für Unfallopfer und Rettungskräfte. Der Konzern weigerte sich daraufhin, das Mittel einzufüllen - bis er die Lösung mit dem Rüssel erfand. Ein Streit vor dem Europäischen Gerichtshof gilt es deswegen noch auszufechten, weil die deutschen Behörden Daimler gewähren ließen. Doch technisch schien alles geklärt. Entwarnung gewissermaßen. Jetzt allerdings gibt es neue Untersuchungen, die den Streit wieder befeuern könnten. Andreas Kornath, Inhaber eines Lehrstuhls für anorganische Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, hat am Wochenende bei einer Tagung auf Hawaii seine neuen Untersuchungen vorgestellt und eindringlich auf ein bislang unterschätztes Risiko hingewiesen. "Wir haben bei R1234yf die große Gefahr, dass beim Brand Carbonylfluorid entstehen kann, ein Giftgas, verwandt mit Phosgen, das man vom Ersten Weltkrieg in Flandern kennt", erläutert der Wissenschaftler. Das war zwar schon bekannt, aber bislang ging die Industrie davon aus, dass sich Carbonylfluorid schnell zersetzt. Dem ist wohl nicht so. Es stehe fest, sagt Kornath, dass dieses Gas eine Halbwertszeit von neun Minuten habe. "Das ist ein noch weit größeres Risiko als die ätzende Flusssäure, die ebenfalls entsteht." Das mit dem Risiko der Flusssäure hat er in seinen Laboren in München-Großhadern schon einmal an einem Schweinekopf vorgeführt, der danach kaum mehr zu erkennen war. Nun also auch noch Gas. Bei der "Pazifichem"-Konferenz hätten Kollegen auch von Verletzungen berichtet, die sie in ihren Laboren durch diese geruchlose Verbindung erlitten hätten. "Wir sind hier erst am Beginn der Erforschung", zumal das Gas "sehr schwer nachzuweisen" sei, sagt Kornath, die LMU habe eines der wenigen Labore weltweit, die das könnten. Ist also eine Neubewertung fällig? Bei einem der wichtigsten Hersteller des Mittels gibt man sich entspannt. Der US-Mischkonzern Honeywell hat in jahrelanger Arbeit das Mittel entwickelt und inzwischen auch mehrere hundert Millionen Euro in Produktionsanlagen investiert. "Die Bedenken, die bezüglich Carbonylfluorid geäußert wurden, können wir nicht nachvollziehen", sagt Tim Vink, der für das Unternehmen in Brüssel für Regulierungsangelegenheiten zuständig ist. Dieser Stoff setze sich, "so er denn überhaupt entstehen würde", innerhalb von Sekunden in andere, ungefährliche Stoffe um. So er denn überhaupt entstehen würde - das ist ein Aspekt, auf den die Autoindustrie, aber auch offizielle Stellen, wie das Joint Research Center der EU-Kommission (JRC) verweisen: Extrem unwahrscheinlich sei ein Brand. Das zeige auch die Praxis, erklärt Vink: "Wir haben mittlerweile etwa acht Millionen Fahrzeuge weltweit, die das Mittel einsetzen und es wurde von keinem gefährlichen Vorkommnis berichtet." Zudem würden Autos und seine Betriebsstoffe, allen voran Benzin, seit der Erfindung des Autos ein enormes Gefahrenpotenzial bergen, das aber sehr gut beherrschbar sei. "Ebenso wie dieses Kältemittel", sagt Vink, das sowieso in einer so geringen Menge eingesetzt werde, dass es keinen großen Schaden anrichten könne. Kurzum: "Für uns ist das Thema Sicherheit jetzt erfolgreich und unzweifelhaft geklärt, dieses Kapitel ist geschlossen." Ähnlich äußert sich auch der zweite Hersteller des Kältemittels, das US-Unternehmen Chemours. Also sind Ihre Bedenken überzogen, Herr Kornath? Nein, sagt der Forscher, der betont, dass er ein unabhängiger, bayerischer Beamter sei und ohne Sponsoring forsche. "Wenn 400 bis 500 Gramm, die Menge, die in einer Klimaanlage eingefüllt ist, verbrennen, reicht das aus, um 200 Leute umzubringen." Er, der jeden Tag mit R1234yf zu tun hat, bleibt dabei: "Autos mit dem Zeug: das ist verdammt gefährlich!" Bereits bei 405 Grad Celsius entflamme das Mittel, viel früher als das alte Kältemittel, das erst bei über 1000 Grad Celsius brennt. Der Daimler-Rüssel sei hilfreich, um das Risiko zu verringern. Aber die Einschätzung von Behörden wie Industrie, eine Entzündung sei extrem unwahrscheinlich, die kann er wiederum "nicht nachvollziehen": Bei entsprechenden Berechnungen werde etwa nicht berücksichtigt, dass es Kabelbrände gebe, Sabotage oder einen Wagenbrand in einer Tiefgarage. Im Europäischen Parlament ist das Mittel nun ebenfalls wieder Thema. "Angesichts dieser neuen Aussagen", erneuerte Michael Theurer (FDP) seine Forderung an die EU-Kommission und das JRC, "endlich" standardisierte Tests in Auftrag zu geben, die solch aktuelle Hinweise und Studien berücksichtigen. Um ein für alle Mal zu klären, wie gefährlich R1234yf wirklich ist.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/autoallianz-vw-und-sein-partner-suzuki-trennen-sich-1.2627306
mlsum-de-664
Der frühere VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch sah den japanischen Kleinwagenspezialisten schon als nächste Marke in seinem Reich. Doch daraus wurde nichts.
Der Scheidungskrieg zwischen Volkswagen und seinem japanischen Partner Suzuki ist nach fast vier Jahren entschieden. Das Schiedsgericht der internationalen Handelskammer in London erklärte nach Informationen beider Autohersteller die Zusammenarbeit für beendet. Volkswagen werde die Beteiligung an Suzuki in Höhe von 19,9 Prozent abgeben, kündigte der Wolfsburger Konzern an. Dies werde sich positiv auf Ergebnis und Liquidität auswirken. Die Japaner gaben bekannt, den Anteil zum Marktpreis zurückkaufen zu wollen. Man gehe von Kosten von rund 400 Milliarden Yen (rund 2,9 Milliarden Euro) für die Übernahme aus, sagte Suzuki-Chef Osamu Suzuki. Der japanische Konzern hatte im November 2011 beim Londoner Schiedsgericht geklagt, weil Volkswagen sich weigerte, seinen Anteil an Suzuki zurückzugeben. Die Niedersachsen argumentierten mit dem Eigentumsrecht und beharrten darauf, dass Suzuki sie nicht zum Verkauf zwingen könnte. Nun erklärten die Richter, dass die Kündigung des Kooperationsvertrages durch Suzuki rechtens ist. "Die Entscheidung basiert auf dem Grundsatz, dass Verträge grundsätzlich kündbar sein müssen", teilte VW weiter mit. Die Wolfsburger hatten die Suzuki-Aktien 2010 für 1,7 Milliarden Euro gekauft. Im Gegenzug erwarb der japanische Familienkonzern rund 1,5 Prozent der VW-Stammaktien, um die Allianz zu stärken. VW wollte gemeinsam mit Suzuki Kleinwagen für Schwellenländer entwickeln und erhoffte sich Zugang zum wichtigen indischen Markt, wo Suzuki mit seiner Beteiligung Maruti stark ist. Als die Partnerschaft in die Brüche ging, mussten die Deutschen ein besonders günstiges Auto für diesen Markt selbst entwickeln. Es soll nun 2018 in China an den Start gehen. Suzuki sollte Volkswagen zudem dabei helfen, dem japanischen Rivalen Toyota Konkurrenz zu machen. Suzuki versprach sich seinerseits Zugang zu alternativen Antrieben von Volkswagen. Bereits nach kurzer Zeit fühlte sich der japanische Kleinwagen- und Motorradhersteller aber vom viel größeren deutschen Konzern dominiert. Und VW bezichtigte Suzuki des Vertragsbruchs, weil die Japaner Dieselmotoren vom italienischen Konkurrenten Fiat bezogen. In dieser Streitfrage gab das Schiedsgericht Volkswagen nun recht. Die Wolfsburger behalten sich vor, Schadensersatz zu fordern. Als Ursache für den erbittert geführten Konflikt gilt die Furcht des japanischen Familienkonzerns vor dem Verlust seiner Eigenständigkeit. Denn der damals noch mächtige VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hatte den japanischen Kleinwagenspezialisten schon als nächste Marke in seinem Reich betrachtet. Piëch zog jedoch im April 2015 im Machtkampf mit Konzernchef Martin Winterkorn den Kürzeren und verließ den Wolfsburger Konzern. Der Schiedsspruch ist für beide Seiten rechtlich bindend und kann vor einem staatlichen Gericht für vollstreckbar erklärt werden.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/iran-atomabkommen-wie-die-traeume-der-deutschen-industrie-platzen-1.3975543
mlsum-de-665
Die Aufregung ist groß, seit die USA das Atomabkommen mit Iran gekündigt haben. Was bedeutet Trumps Entscheidung für Siemens, VW und andere deutsche Konzerne?
Wie voll der Regierungsflieger ist, wenn ein Minister ins Ausland reist, ist ein guter Indikator dafür, wie interessant die deutsche Wirtschaft das Land findet, in das die Reise geht. Als Sigmar Gabriel (SPD), damals noch Bundeswirtschaftsminister, im Herbst 2016 am Berliner Flughafens Tegel ins Flugzeug Richtung Teheran stieg, war es sehr voll. 120 Unternehmensvertreter saßen dicht an dicht, bis in die Holzklasse hinein. Bekannte Namen wie Linde, Wintershall, Bilfinger, Airbus, Boehringer Ingelheim, SAP oder Voith tauchten auf in der ungewöhnlich dicken Delegationsbroschüre, hinzu kamen Maschinen- und Anlagenbauer, Energiespezialisten, Logistiker, Architekten, Spezialchemie-Firmen. Alle wollten sie nach Iran. Damals, neun Monate nachdem die Sanktionen des Westens im Zuge des Atomabkommens aufgehoben worden waren, sprossen die Hoffnungen. Man wollte wieder anknüpfen an jahrzehntelange Wirtschaftsbeziehungen, die durch die Sanktionen unterbrochen worden waren. Iran, das war für alle ein Markt mit jungen, gut ausgebildeten Menschen, Rohstoffen und einem gewaltigen Investitionsbedarf, ob in Industrie, Verkehr oder Gesundheit. Schadensbegrenzung statt große Verträge Seit Präsident Donald Trump in dieser Woche den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran verkündet und neue Sanktionen angekündigt hat, sind die Träume geplatzt. Peter Altmaier (CDU), Gabriels Nach-Nachfolger als Wirtschaftsminister, muss statt von "großen Verträgen mit großen Firmen" nun von "Schadensbegrenzung" sprechen. Gleichzeitig steigt die Angst in den deutschen Unternehmen, auch unter den Bann der USA zu geraten. "Für den amerikanischen Appell, dass deutsche Unternehmen ihr Geschäft in Iran sofort zurückfahren sollten, haben wir kein Verständnis", sagt Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Der Druck der US-Regierung auf Unternehmen mit Iran-Geschäft erhöhe sich "dramatisch mit unabsehbaren Folgen". Der neue US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, hatte bereits gefordert, dass deutsche Unternehmen, die in Iran tätig sind, den Betrieb "unverzüglich" einstellen sollen. "Wer sich jetzt noch stark in Iran engagiert, bekommt Probleme im US-Geschäft", sagt ein Industrievertreter, der nicht genannt werden möchte. Probleme im - deutlich größeren - US-Geschäft will keiner haben. Dann lieber das bislang schwache Iran-Geschäft abschreiben. 79,9 Millionen Menschen leben nach der jüngsten Volkszählung aus dem Jahr 2016 in Iran, das sind ungefähr so viele wie in Deutschland. Die Fläche des Landes ist dagegen mehr als viermal so groß. Der Altersdurchschnitt liegt bei lediglich rund 31 Jahren, die Bevölkerung ist damit deutlich jünger als in Deutschland (Durchschnitt etwa 47 Jahre). Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt nach Schätzung nur bei etwa 20 000 Dollar, weit hinter dem von Deutschland. Iran hat einen großen wirtschaftlichen Nachholbedarf. Zuletzt öffnete sich das Land auch für Touristen. Zum Beispiel Airbus. Der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern hat bereits Aufträge reingeholt. Iran Air hat 98 Airbus-Maschinen bestellt mit einem Wert von knapp 20 Milliarden Euro. Drei wurden schon ausgeliefert, eine Kurzstreckenmaschine direkt an Iran Air, zwei weitere A 330 für die Mittelstrecke über einen Leasinggeber. Und die übrigen 95 Flieger? Das könnte jetzt auf der Kippe stehen. US-Finanzminister Steven Mnuchin kündigte bereits an, dem europäischen Flugzeugbauer und dem amerikanischen Konkurrenten Boeing, der weitere 80 Maschinen an Iran liefern will, die Lizenz zum Verkauf von Passagiermaschinen dorthin zu entziehen. "Airbus wird seine Entscheidung in den nächsten Tagen bekanntgeben", sagte der Berater von Irans Verkehrsminister Asghar Fachrieh-Kaschan. Airbus wollte sich dazu nicht äußern. Immerhin knapp 3,4 Milliarden Euro betrug das deutsch-iranische Handelsvolumen im vergangenen Jahr, gut 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Das war zwar ein kräftiges Wachstum, erhofft hatten sich Wirtschaft und Politik weit mehr. Kernproblem waren die US-Finanzsanktionen, die unberührt vom Atomabkommen weiter in Kraft blieben. Sie erschwerten die Finanzierung größerer Geschäfte mit Iran; auch deutsche Banken wollten keinen Ärger mit Amerika und hielten sich zurück.
https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-entzweite-staaten-1.3069791
mlsum-de-666
Die verstörenden Bluttaten in den USA sind Folgen uralter, nie gelöster Konflikte. Nun könnte das Klima noch aggressiver werden.
Am Montag vergangener Woche war Nationalfeiertag in den USA, das Land zelebrierte sich, seine Einheit, seine Größe. Die Redner sagten, dies sei das großartigste Land auf Erden. Sie sagten, dieses Gefühl, gemeinsam zu etwas Großartigem zu gehören, sei der Kitt, der all die verschiedenen Menschen eine und zusammenhalte. Als dann das Feuerwerk abgebrannt wurde über der Mall in Washington, da hingen die Regenwolken so niedrig, dass man vom eigentlichen Feuerwerk nichts sehen konnte außer einem diffusen, beinahe bedrohlichen Leuchten am Himmel. Das Fernsehen zeigte dann eben Archivaufnahmen von Böllern aus einem anderen Jahr. Selbst die große Feier von Einheit und Größe will also nicht mehr gelingen. Amerika ist ein Land, das im Unreinen ist mit sich selbst. Vor ein paar Wochen erst beging ein muslimischer US-Bürger in Orlando die schlimmste Schießerei der jüngeren Geschichte, das ist beinahe schon wieder vergessen. In dieser Woche nun eskalierte der Streit um die Polizei: In solch unterschiedlichen Staaten wie Minnesota und Louisiana erschossen Polizisten vor laufender Kamera und mutmaßlich aus nichtigem Anlass schwarze Männer. Es folgte der Anschlag in Dallas - fünf Beamte starben, es war der schwerste Angriff auf Polizisten seit Jahrzehnten. Offenbar war dies eine rassistische, terroristische Tat, der Täter sagte, er wolle aus Wut über die Vorfälle in Louisiana und Minnesota "weiße Polizisten" töten. Jeder Streit kann jederzeit mit größer Gewalt ausgetragen werden Mit Sicherheit ist diese Tat das nächste Symptom für eine Gesellschaft, die keine innere Ruhe mehr findet. Eine Gesellschaft, in der alte Konflikte, die nie richtig beigelegt wurden, plötzlich wieder aufbrechen. Es gibt die Auseinandersetzung zwischen Weiß und Schwarz, jene zwischen Bürger und Staat, jene zwischen Arbeiterklasse und Elite. Nicht jeder dieser Konflikte ist gewalttätig, aber selbst die politische Debatte vor der Präsidentschaftswahl im November ist so bitter und hasserfüllt, dass sie sehr grundsätzliche und beunruhigende gesellschaftliche Verwerfungen offenbart. Und schließlich gibt es mit mehr als 300 Millionen Waffen im Land die Möglichkeit, jeden Streit jederzeit mit größter Gewalt auszutragen. Die Taten von Dallas bilden offenbar den vorläufigen Höhepunkt einer Eskalation, die vor zwei Jahren in Ferguson begonnen hat. Damals erschoss ein weißer Polizist einen schwarzen Jugendlichen. Seitdem teilt sich die Gesellschaft in ein Lager namens "black lives matter", schwarze Leben zählen, und in eines, das sich "blue lives matter" nennt und damit das Leben der blau Uniformierten würdigt. Dies ist also eine Gesellschaft, in der diverse Bürger ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass ihr Leben einen Wert hat. Jetzt droht auch noch ein wütender Wahlkampf Trumps Amerikas Schwarze haben ihre Unterdrückung in der Sklavenzeit bis heute nicht überwinden können und leben immer noch mit zahllosen Diskriminierungen. Die Schlimmste ist es, dass jede noch so harmlose Begegnung mit weißen Polizisten für sie tödlich ausgehen kann. Weiße Polizisten sehen schwarze Bürger zu oft als Gefahrenquelle, sie schießen auch dann, wenn es der Selbstschutz nicht gebietet. Übermäßige staatliche Gewalt schlägt irgendwann in Gegengewalt um, dies hat in Ferguson und Baltimore begonnen und jetzt in Dallas offenbar zu einem schweren Terrorakt geführt. Eigentlich ist es Aufgabe der Politik, solche gesellschaftlichen Konflikte zu entschärfen. Aber die Politik in Amerika ist dazu nicht mehr in der Lage; vielmehr versuchen Politiker, ihr jeweiliges Lager möglichst aufzupeitschen und gegen das andere in Stellung zu bringen. Im Parlament gibt es längst keine nüchterne Debatte über Sachfragen mehr, diese ist geradezu persönlichen Animositäten gewichen: Jede Seite unterstellt der anderen, nicht bloß anderer Meinung zu sein, sondern in Wahrheit dem Land zu schaden. Kriegsgerät ist allgemein verfügbar - das gefährdet Polizisten Rechte Politiker und Medien zum Beispiel begnügten sich nach dem Tod Michael Browns in Ferguson damit, Schwarzen und Linken Hysterie vorzuwerfen. Sie beschränkten sich darauf, "blue lives matter" zu skandieren. Hätten sie sich wirklich um das Leben der Beamten gesorgt, hätten sie das Waffenrecht massiv verschärft. Schließlich ist es die allgemeine Verfügbarkeit von Kriegsgerät, die Amerikas Polizisten am meisten gefährdet. Nach dem Terror in Orlando kursierten mehrere Gesetzentwürfe im Kongress, um zumindest mutmaßliche Terroristen am Kauf neuer Mordwerkzeuge zu hindern. Keinem dieser Entwürfe stimmten die Republikaner zu: Sie sehen die Waffe als vielleicht letztes Symbol dafür, wie der Bürger seine Freiheit und Unabhängigkeit gegen einen regelungswütigen Staat behauptet. Leider ist für Amerika keine Besserung in Sicht. Der Wahlkampf um das Weiße Haus hat die bisherige Polarisierung noch einmal überboten. Donald Trump hat die persönliche Attacke, die Beleidigung, die Häme zum erfolgreichen politischen Stilmittel erhoben. Er schürt Ressentiments gegen Latinos, gegen Muslime. Er zettelt einen Klassenkampf an zwischen der weißen Arbeiterschicht und der besserverdienenden Elite, die für Globalisierung und Weltoffenheit steht. Trump hat bei Veranstaltungen sogar zur Gewalt gegen Andersdenkende aufgefordert. Weil in Teilen der Bevölkerung eine spürbare Sehnsucht nach Aufstand und Krawall herrscht, stellt sich die Polizei in Cleveland vor dem republikanischen Parteitag bereits auf Unruhen ein. Viele Konflikte Amerikas gehen noch auf die Gründerzeit zurück, und es ist dem Land nie gelungen, sie zu lösen. Es ist kein Zufall, dass jetzt zwei der ältesten und bittersten Kontroversen miteinander verschmelzen, die um Rassismus und die um Waffen. Auch 240 Jahre nach der Unabhängigkeit der "Vereinigten" Staaten stehen sich viele ihrer Bürger in unüberwindbarer ideologischer Teilung, ja in ständiger Todesangst gegenüber. Statt den Waffenwahn einzudämmen, haben sie sich wie betäubt mit ihm abgefunden. Nach dem Terror in Dallas verlangten viele, die Amerikaner müssten aufhören, so zornig aufeinander zu sein. Dies ist eine enorme Aufgabe: Um die Verwerfungen zu überwinden, wird es nicht reichen, wie beim missglückten Feuerwerk Bilder aus ruhigeren Zeiten zu zeigen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/waehrungsfonds-umstrittene-pazifikinsel-nauru-wird-iwf-mitglied-1.2947316
mlsum-de-667
Die winzige Insel war einst das zweitreichste Land der Welt. Heute schiebt Australien seine Flüchtlinge dorthin ab.
Zwischen Papua-Neuguinea, der Republik Fidschi und den Marshallinseln befindet sich vor allem eins: viel Pazifik. Irgendwo zwischen winzig kleinen Inseln und Atollen, ziemlich genau 2900 Kilometer nordöstlich von Australien, liegt zudem Nauru, die kleinste Republik der Welt. Gerade einmal 21 Quadratkilometer misst sie, hat keine offizielle Hauptstadt, geschweige denn eine eigene Währung (es gilt der australische Dollar), aber ist jetzt Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser hat sich bekanntermaßen die Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte, die Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik sowie die Ausweitung des Welthandels zum Ziel gesetzt. Er unterstützt Länder etwa mit Krediten und berät sie wirtschaftlich. Mit Nauru wächst der Verbund nun auf insgesamt 189 Staaten weltweit. Zuwachs bekommt der IWF in der Regel kaum, seit der Jahrtausendwende sind lediglich sechs Staaten hinzugekommen. Das letzte Mal war das 2011 der Südsudan, zuvor Montenegro im Jahr 2006. Und nun also Nauru, diese winzig kleine Pazifikinsel. Die einst als das zweitreichste Land der Welt nach Saudi-Arabien galt und als Paradies verkannt wurde, in Wirklichkeit aber nie eines war. Im Gegenteil. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Nauru durch zufällig entdeckte, riesige Phosphatvorkommen extrem reich: Es gab fortan keine Steuern mehr, die medizinische Behandlung wurde kostenlos und jeder Haushalt der 10 000-Einwohner-Insel besaß durchschnittlich ein Motorboot und zwei bis drei Autos - bei nur 29 Kilometern asphaltierter Straße. Die Regierung konnte diesen Wohlstand aber nicht sichern, in den Neunzigerjahren brach alles zusammen. Die Phosphatreserven waren nahezu aufgebraucht, die Inselbank ging pleite und das Land war schnell hoch verschuldet. Finanzielle Hilfe bot schließlich der große Nachbar Australien im Rahmen einer "pazifischen Lösung" an: Alle Bootsflüchtlinge, die vor den Küsten Australiens ankämen, sollten auf die Inseln Manus und Nauru gebracht und dort in Lagern untergebracht werden. Im Gegenzug würde Australien Millionen auf die nauruische Staatskasse überweisen. Auch heute machen diese Zahlungen noch immer fast das gesamte Staatseinkommen der kleinen Republik aus. Schätzungsweise 500 Flüchtlinge sollen sich ständig auf der Insel befinden, immer wieder erheben Menschenrechtsgruppen schwere Vorwürfe und berichten von schlechten Lebensbedingungen in den Camps.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bank-hna-reduziert-noch-ein-wenig-1.3870455
mlsum-de-668
Der in Finanznöte geratene chinesische HNA-Konzern verkauft erneut Aktien der Bank. Man wolle aber langfristig Investor des Geldhauses bleiben, einen weiteren Anteilsverkauf gebe es nicht.
Der hoch verschuldete chinesische Großaktionär HNA hat seine Beteiligung an der Deutschen Bank erneut gesenkt. Diese belaufen sich nun auf rund 8,8 Prozent, sagte ein Sprecher des Konglomerats am Freitag. HNA werde aber ein langfristiger Investor der Deutschen Bank bleiben. "Eine weitere Reduzierung der Beteiligung ist nicht vorgesehen." Erst vergangene Woche hatte HNA seinen teilweise über Derivatestrukturen gehaltene Anteil an der Deutschen Bank von 9,9 auf 9,2 gesenkt. Angeblich hängt die Reduzierung mit einer neu geordneten Finanzierungsstruktur des Aktienanteils zusammen. Für den Kauf von mehr als der Hälfte der Aktien hatte HNA im Frühjahr 2017 bei der Schweizer Bank UBS rund 2,1 Milliarden Euro Kredit aufgenommen. Sobald der Aktienkurs unter 15 Euro fällt, übernimmt zunächst die UBS das Risiko. Dieses Absicherungsgeschäft, das bei Aktienkäufen dieser Größe durchaus üblich ist, verlängern HNA und UBS gerade, weswegen es möglicherweise zu Verschiebungen des Anteils gekommen ist. Weitere Großaktionäre des Geldhauses sind zwei Scheichs aus Katar, die laut Schriftsätzen der Bank 7,5 Prozent halten, sowie der US-Vermögensverwalter Blackrock (6,4 Prozent) und der US-Finanzinvestor Cerberus (3 Prozent). HNA war Anfang 2017 bei dem Institut eingestiegen, hat mit dem Investment bisher jedoch kein Glück gehabt. Seit dem Einstieg ist der Aktienkurs der Bank um rund 30 Prozent gefallen. Das Konglomerat steht jedoch ohnehin unter Druck: HNA hatte in den vergangenen Jahren für rund 50 Milliarden Dollar in aller Welt Beteiligungen erworben und hat nun Schwierigkeiten, Schulden zu bedienen. Deswegen wird am Markt seit langem darüber spekuliert, dass HNA seinen Anteil an der Deutschen Bank womöglich auch verkaufen muss. Dagegen spricht jedoch, dass HNA damit kaum Mittel freisetzen würde, weil die Chinesen mit dem Geld erst einmal den Kredit an die UBS zurückzahlen müssten. Sollte der Anteil von HNA an der Bank aber nicht wieder steigen, könnten sich die Chinesen immerhin dem Zugriff der Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) entziehen. Die EZB will HNA angesichts seines Einflusses eigentlich genauer prüfen. Die Aktie der Deutschen Bank notierte am Freitag leicht im Minus.
https://www.sueddeutsche.de/politik/waehlerverhalten-nur-noch-bei-aelteren-beliebt-1.4189256
mlsum-de-669
CDU und SPD haben besonders bei den jüngeren Wählern verloren. Am ehesten kommen sie noch bei Menschen ab 60 an. Die Grünen gewinnen bei Akademikern und Abiturienten.
CDU und SPD haben in Hessen nicht nur ihre schlechtesten Ergebnisse seit Jahrzehnten eingefahren. Das Wählerverhalten der sozialen Gruppen zeigt auch, dass beide Parteien bestimmten Gruppen nur noch wenig zu bieten haben. So sind nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen die beiden alten Parteien inzwischen auch die Parteien der Älteren: Beide finden bei den Wählern über 60 Jahren die meisten Stimmen. Die CDU konnte in dieser Altersgruppe 35 Prozent der Stimmen gewinnen, die SPD immerhin noch 27 Prozent. Unter den jüngsten Wählern (unter 30) dagegen konnten die Christdemokraten nicht einmal jeden fünften überzeugen, bei der SPD kamen ebenfalls die wenigsten Stimmen von den jungen Wählern. Anders sieht es bei den Grünen aus. Sie erhalten den geringsten Zuspruch bei den Wählern in der Altersgruppe über 60 Jahren. Dafür haben 25 Prozent der jüngsten Wähler für sie gestimmt. Verhältnismäßig gut schneiden auch die Linken bei den Jüngeren ab, von denen zehn Prozent hier ihr Kreuz gemacht haben, und auch die FDP hat bei den jungen Wählern mit neun Prozent die meiste Zustimmung. Auf der anderen Seite war bei beiden Parteien der Anteil der Stimmen, die sie erhielten, unter den Ältesten am kleinsten. Die AfD, die erstmals in den hessischen Landtag einzieht, wurde vor allem von Wählern im Alter zwischen 30 und 59 gewählt. 15 Prozent dieser Altersgruppe konnte die Partei für sich gewinnen, während 2013 eher die Jüngeren für sie gestimmt hatten. Von den über 60 Jahre alten Wählern stimmten nur elf Prozent für die AfD. Deutliche Unterschiede gibt es bei den Berufs- und Bildungsgruppen. So fanden die Christdemokraten die größte Zustimmung unter den Selbstständigen, von denen jede dritte Stimme an die CDU ging. Mit 27 und 28 Prozent lag der Anteil der Angestellten und Beamten, die die Partei wählten, etwas niedriger. Aber nicht einmal jeder vierte Arbeiter wollte hier das Kreuz machen. Für die Sozialdemokraten stimmten dagegen mit 25 Prozent zwar mehr Beamte als Arbeiter (23 Prozent), noch geringer war aber die Zustimmung unter Angestellten, und nur zwölf Prozent der Selbstständigen wählte die SPD. Für die Linken entschieden sich lediglich sieben Prozent der Arbeiter, und damit kaum mehr als Angestellte, Beamte und Selbstständige (jeweils sechs Prozent). Für die Grünen stimmte dagegen fast jeder vierte Angestellte, jeder fünfte Beamte und Selbstständige, und nur elf Prozent der Arbeiter. Mit Blick auf die Bildung fällt auf, dass die CDU eher bei Wählern mit Hauptschulabschluss beliebt ist (32 Prozent) als bei jenen mit Abitur (23 Prozent). Einen Hochschulabschluss hatte nur jeder vierte Wähler, mittlere Reife besaßen 28 Prozent. Bei der SPD war, wie bei der Union, die Gruppe der Wähler mit Hauptschulabschluss mit 29 Prozent die größte. Lediglich 16 Prozent der Wähler mit Abitur stimmten für die Sozialdemokraten und nur etwa jeder fünfte mit mittlerer Reife oder Hochschulabschluss. Die FDP-Wähler dagegen verteilten sich bezüglich der Bildung relativ gleichmäßig mit Anteilen zwischen sechs Prozent mit Haupt- und acht Prozent mit Hochschulabschluss. Die Wahl bestätigt einmal mehr, dass die Grünen unter Akademikern beliebt sind. Ihre Stimmen erhielten sie vor allem von Wählern mit Hochschulabschluss (29 Prozent) oder Abitur (27 Prozent). Weder unter den Wählern mit Hauptschulabschluss noch mit mittlerer Reife konnten sie viele Stimmen gewinnen. Bei den Linken zeigte sich eine ähnliche Tendenz: Unter Wählern mit Abitur oder den Akademikern lag der Anteil bei neun beziehungsweise acht Prozent, bei jenen mit Hauptschulabschluss oder mittlerer Reife war er halb so groß. Für die AfD stimmten 22 Prozent der Arbeiter sowie 16 Prozent der Wähler mit Hauptschulabschluss oder mittlerer Reife. Unter den Akademikern war der Anteil nur halb so groß. Auch unter Männern und Frauen sind verschiedene Wahltendenzen zu beobachten. Am deutlichsten zeigte sich das bei der Zustimmung zur AfD. Mit 16 Prozent war der Anteil unter den Männern, die sie wählten, deutlich höher als bei Frauen, bei denen es nur neun Prozent waren. Umgekehrt sieht es bei den Grünen aus: Mit 23 Prozent der Frauen war deren Anteil unter den Wählern der Grünen deutlich größer als der der Männer (18 Prozent). Bei CDU und SPD war die Zustimmung unter den Geschlechtern nicht sehr verschieden. Für die Union stimmten 27 Prozent der Frauen und 26 Prozent der Männer, bei der SPD ist der Anteil der männlichen Wähler mit 19 Prozent etwas geringer als der der weiblichen Wähler (21). Ein ausgewogenes Verhältnis zeigten auch die Linken und die FDP, für die jeweils etwa sieben Prozent der Geschlechter stimmten.
https://www.sueddeutsche.de/karriere/gehaltsverhandlung-ein-ziel-reicht-nicht-1.504589
mlsum-de-670
Wer beim Chef mehr Geld verlangen will, braucht gute Argumente, Übung und die richtige Gesprächsstrategie. Was Ratgeber-Autoren empfehlen.
Gehaltserhöhung mitten in der Wirtschaftskrise? Kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, meint Gehaltscoach Martin Wehrle aus Jork bei Hamburg. "Gerade wenn Stellen abgebaut werden und alle mehr arbeiten müssen, brauchen Unternehmen motivierte Mitarbeiter", betont der Autor. Was zählt, sind gute Argumente. Pluspunkte bringen neue Kunden, Umsatzzuwächse oder erfolgreiche Projekte. Verbinden lassen sich Gehaltsforderungen aber auch mit neuen Aufgaben oder einer Beförderung. Detailansicht öffnen Gehaltspoker: "Wichtig ist, dass das Wertschätzung nicht auf der Strecke bleibt" (Foto: Foto: dpa) Doch es kommt nicht nur auf die Leistung an. "90 Prozent des Erfolges hängen davon ab, wie geschickt man diese Leistungen verkauft", sagt Wehrle. Darum rät der Coach, Argumente, Körpersprache und Antworten vorher zu üben: "Man sollte das Gespräch mit Freunden in der Rolle des Vorgesetzten durchspielen." Wer so vorbereitet seinen Chef um ein Gespräch bittet, sollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, warnt der Karriereberater Jürgen Hesse aus Berlin. "Es genügt, um ein Gespräch über künftige Aufgaben oder die Position in der Firma zu bitten", rät er. Das Wort "Gehalt" sollte nicht zu früh fallen. Smalltalk bietet eine Gelegenheit, sich aufzuwärmen und für eine gute Atmosphäre zu sorgen. "Wenn ein Mitarbeiter etwas will, ist es seine Aufgabe, den Chef einzustimmen", rät Hesse. Mit Komplimenten und interessierten Fragen lasse sich mancher Vorgesetzte eine goldene Brücke bauen. "Die wenigsten Chefs haben Spaß daran, immer als Ablehner zu gelten." Bevor es um Geld geht, sollte der Mitarbeiter seine Argumente darlegen. "Am besten fängt man mit dem zweitbesten Argument an und endet mit dem Topargument. Dazwischen ist Platz für die schwächeren Punkte", rät Wehrle. Im Idealfall lasse sich der Chef dazu bringen, die Leistung des Mitarbeiters zu würdigen - der optimale Zeitpunkt für den Gehaltswunsch, sagt Hesse.
https://www.sueddeutsche.de/geld/gewerbeimmobilien-grosse-nachfrage-kleines-angebot-1.3329896
mlsum-de-671
Der Markt für Gewerbeimmobilien in Deutschland ist erstmals seit 2009 geschrumpft - weil es nicht genügend Angebote gibt.
Nach sechs Rekordjahren zeigen sich am deutschen Markt für Gewerbeimmobilien erstmals Bremsspuren. Der Handel mit Büros, Läden, Hotels und Lager-Immobilien sei 2016 um vier Prozent auf 52,9 Milliarden Euro geschrumpft, teilte der Immobilienberater Jones Lang LaSalle (JLL) in Frankfurt mit. Dank eines furiosen Jahres-Endspurts sei 2016 aber immer noch das drittstärkste Jahr gewesen. Grund für den Rückgang sei vor allem, dass Investoren nicht mehr genügend Kaufobjekte fänden, sagte JLL-Deutschland-Chef Frank Pörschke. "Noch immer deuten aber alle fundamentalen Marktindikatoren auf eine Fortsetzung der Hochphase auf den Immobilienmärkten hin." Für das laufende Jahr sagt JLL ein Transaktionsvolumen von 45 bis 50 Milliarden Euro voraus. Die Zeit der Nullzinsen sei vorbei, und für die Großinvestoren würden auch andere Anlagen wieder attraktiver. "Damit wird auch der Kapitaldruck auf Immobilien etwas nachlassen", erklärte JLL-Manager Timo Tschammler. Angesichts steigender Kaufpreise mussten sich die Investoren bei Büroimmobilien bereits mit geringeren Renditen zufriedengeben. In den wichtigsten sieben Metropolen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart haben die Preise 2016 laut JLL um 20 Prozent angezogen, im neuen Jahr rechnen die Experten nur noch mit sieben Prozent Preisauftrieb. Vom Schlussspurt habe vor allem Frankfurt profitiert. Hier wurden Gewerbeimmobilien für 7,3 Milliarden Euro verkauft, 20 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Mit dem Commerzbank-Tower und dem neuen Wolkenkratzer Taunus Turm, die jeweils mehr als 600 Millionen Euro kosteten, spielten sich in der Finanz-Metropole auch die beiden teuersten Einzeltransaktionen ab. Das größte Portfolio, die IVG-Tochter OfficeFirst mit dem Büro- und Geschäftskomplex "The Squaire" am Frankfurter Flughafen, ging für 3,3 Milliarden Euro an den US-Investor Blackstone. Auf Platz zwei und drei der begehrtesten Städte liegen München (6,4 Milliarden Euro, plus elf Prozent) und Berlin (fünf Milliarden, minus 38 Prozent). 45 Prozent des Marktes entfielen auf Büros, 23 Prozent auf den Einzelhandel. Ausländische Investoren standen für 45 Prozent des Kaufvolumens.
https://www.sueddeutsche.de/geld/grosse-koalition-bundestag-beschliesst-die-mietpreisbremse-1.2378967
mlsum-de-672
Besserer Schutz für Mieter - oder wirkungslose Maßnahme? Nach langem Ringen innerhalb der großen Koalition passiert die Mietpreisbremse den Bundestag. Mieter könnten künftig um hohe Maklerprovisionen herumkommen.
Bessere Kontrolle der Mietsteigerungen Der Bundestag hat die Mietpreisbremse mit den Stimmen der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD beschlossen. Die Neuregelung soll voraussichtlich Mitte des Jahres in Kraft treten. Der Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) sieht im Kern vor, dass in Städten und Gegenden mit angespannter Wohnsituation bei Neuvermietungen die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. In welchen Gegenden diese Regelung gilt, legen die Bundesländer fest. Ausgenommen von der Regelung sind Neubauten und zunächst auch grundsanierte Wohnungen, um den Bau neuer Wohnungen nicht zu behindern. Der Mangel an Wohnraum gilt in gefragten Gegenden als Hauptgrund dafür, dass die Mieten steigen. Nun muss noch der Bundesrat über die Regelung abstimmen - möglichst noch Ende März. Wer bestellt, soll zahlen Es bleibt, wie vereinbart, bei dem sogenannten Bestellerprinzip für Makler. Künftig bezahlt derjenige den Makler, der ihn bestellt hat - also meist die Vermieter statt wie bisher die Mieter. Die Maklerbranche fürchtet allerdings um Aufträge, weil Vermieter aus Kostengründen die Wohnungsvermittlung selbst übernehmen könnten. Opposition: Mietpreisbremse wird kaum Wirkung haben Die Opposition kritisierte die geplante Mietpreisbremse als wirkungslos. Das Gesetz sei ausgehöhlt "wie ein Schweizer Käse" und werde am Ende kaum Wirkung entfalten, sagte Linksfraktionsvize Caren Lay. Sie bemängelte, dass die Mietpreisbremse nur zeitlich befristet und begrenzt auf bestimmte Regionen eingeführt werde. Außerdem gebe es zu viele Ausnahmen. Auch die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne), sagte: "Diese sogenannte Bremse hat kaum Wirkung." Das Gesetz habe zu viele Ausnahmen und komme viel zu spät. Viele Vermieter hätten in der Zwischenzeit noch die Preise erhöht. Länder wollen schnell handeln Mehrere Bundesländer mit großen Ballungsräumen und Universitätsstädten wollen die Mietpreisbremse schnell anwenden. Wo sie greifen soll, können die Länder für fünf Jahre festlegen. Dafür müssen sie für bestimmte Gebiete "angespannte Wohnungsmärkte" ausweisen. Dass Mieten um 20 Prozent und mehr steigen, kommt in begehrten Vierteln vieler Großstädte vor, aber auch in kleineren Uni-Städten.
https://www.sueddeutsche.de/geld/zweiklassenmedizin-geld-oder-warten-1.688997
mlsum-de-673
Nachteil für Kassenpatienten: Wer privat versichert ist wartet kürzer auf einen Termin beim Arzt. Mehr Honorar bedeutet offenbar eine kürzere Wartezeit.
Kassenpatienten müssen länger auf einen Termin beim Arzt warten als Privatpatienten. Sitzt der gesetzlich Versicherte erst einmal in der Praxis, muss er Zeit und Demut mitbringen. Langsamer ins Sprechzimmer wird er nämlich auch gebeten. Hausärzte praktizieren diese ungleiche Behandlung weit weniger häufig als ihre Kollegen, die sich auf ein Fachgebiet spezialisiert haben. Detailansicht öffnen Wer weniger warten will, muss mehr zahlen - sagt eine Studie der Kassenärztlichen Vereinigung. (Foto: Foto: AP) Diese Erkenntnisse sind ungefähr so überraschend wie das Erlebnis der Nässe beim Eintauchen in ein Wannenbad. Man lebt, man lernt. Und trotzdem hat sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Mühe gemacht, diesen nicht gerade spärlich dokumentierten Umstand erneut aufzuarbeiten. Sie beauftragte dazu die renommierte Forschungsgruppe Wahlen, die insgesamt mehr als 6100 Patienten befragte - nach der Zufriedenheit der Deutschen mit ihren Medizinern (sehr hoch), nach der Einschätzung der Kompetenz (sehr hoch), nach ihrem Vertrauensverhältnis (gut bis sehr gut) und eben nach den Wartezeiten. Lange Wartezeiten 30 Prozent aller gesetzlich Versicherten bekommen sofort einen Termin. Bei den Privatpatienten sind es 39 Prozent. Etwa doppelt so viele Kassenversicherte müssen drei Wochen oder länger auf einen Termin warten, und das obwohl manche von ihnen über akute Beschwerden klagen. In der Praxis sehen 51 Prozent der Privatpatienten innerhalb von 15 Minuten den Arzt aber nur 39 Prozent der Kassenversicherten. Dennoch, so bilanziert KBV-Chef Andreas Köhler zufrieden, 80 Prozent sei es egal gewesen, dass sie auf Termine warten mussten. Weil im deutschen Gesundheitswesen alles relativ ist, fällt die KBV-Umfrage um einiges freundlicher aus als die Anfang April veröffentlichte des Instituts für Gesundheitsökonomie der Universität Köln. Die Wissenschaftler kamen zum Ergebnis, dass Kassenpatienten etwa dreimal so lange beim Arzt warten müssen wie Privatversicherte und bilanzierte eine "Zweiklassenmedizin". Der - derzeit beurlaubte - Direktor des Instituts ist der SPD-Abgeordnete und Buchautor Karl Lauterbach ("Der Zweiklassenstaat"). Lauterbach setzt sich seit Jahren für die Abschaffung der privaten Krankenversicherung ein, um die Unterschiede in der Behandlung zu beenden. Kostenlose Arbeit Klar, dass der Ärztevertreter Köhler diesen Weg für den falschen hält. In der Analyse über die Ursachen der unterschiedlichen langen Wartezeiten stimmt er allerdings mit dem in der Ärzteschaft wohl bestgehassten Politiker Deutschlands überein: Es hängt am Geld. "Privatversicherte sind für die meisten Praxen lebensnotwendig, weil es dort keine Budgets gibt und die Vergütung besser ist", sagt er. Durch den Kostendeckel auf den Ärztehonoraren müssten die Mediziner etwa 30 Prozent ihrer Arbeit umsonst erledigen, so behaupten die Standesvertreter. Falle die Ausgabengrenze weg und könnten die Ärzte die Behandlung der Kassenpatienten so abrechnen wie die der Privatversicherten, werde es auch keine Unterschiede mehr bei den Wartezeiten geben. Der niedrigste Honorarsatz reiche dafür aus. Kostenpunkt des Vorschlages: etwa 7,6 Milliarden Euro. Mehr Geld oder weiter warten - so lautet offenbar die Devise der Ärzteschaft. Wären damit Unterschiede zwischen den Versicherten endlich angeglichen? Natürlich nicht, denn der Arzt nimmt vom Privatpatienten in der Regel den 2,3-fachen Satz, und damit mehr, als von Köhler vorgeschlagen. Um das zu finanzieren, müsste noch einmal ein zweistelliger Milliardenbetrag her. Also: Der Kassenpatient wartet weiter.
https://www.sueddeutsche.de/sport/biathlon-letzte-chance-auf-den-showdown-1.3870580
mlsum-de-674
Martin Fourcade und Johannes Thingnes Bö haben die Biathlon-Saison geprägt - doch bei Olympia schwächelte der eine, wenn der andere triumphierte. In den Massenstart gehen sie mit unterschiedlichen Gefühlen.
Irgendwann fing Martin Fourcade an zu schreiben. Die Tage sind lang im Weltcup-Geschehen, wer an einem Tag einen Sprint gewinnt, muss sich schon am nächsten in der Verfolgung behaupten. "Der Wettbewerb nutzt ab, formt und verformt", schrieb Fourcade auf, aus seinen Notizen ist eine Autobiografie entstanden, in der auch folgender Satz steht, gesprochen zu seiner jetzigen Frau: "Du wirst mich häufiger im Fernsehen sehen als in echt." Damals war der Franzose 14 Jahre alt. In Pyeongchang ist Fourcade als Fahnenträger der Franzosen ins Stadion eingelaufen, er ist mit 29 Jahren ein Nationalheld unter den Wintersportlern: Seit sechs Jahren gewinnt er jedes Mal den Gesamt-Weltcup der Biathleten, vier Olympia-Medaillen hat er schon, dazu 25 WM-Medaillen und 67 Siege im Weltcup. Die Plaketten, die er im letztgenannten Wettbewerb erhält, verschenkt er an Kinder an der Strecke; es geht ihm nicht um die Auszeichnungen, sondern um das Gefühl, seinen Sport zu perfektionieren. Olympia in Pyeongchang hat ihm bisher unterschiedliche Gefühle vermittelt. Erst Ratlosigkeit, dann Befreiung, dann wieder Wut auf sich selber. Und mit Johannes Thingnes Bö, seinem Widersacher aus Norwegen, verbindet ihn nicht nur ein ähnliches Auf und Ab bei diesen Spielen, sondern auch die Familiengeschichte. Fourcade und Bö, Bö und Fourcade, sie haben sich immer wieder auf dem Podium getroffen in dieser Saison. Der Franzose war in keinem Rennen schlechter als Dritter, Bö feierte dafür mehr Saisonsiege: acht gegenüber sechs. Nun also der Showdown bei Olympia? Beide haben schon Gold gewonnen, beide haben aber auch zwei Rennen vergeigt. Johannes Thingnes Bö hatte im Sprint viermal vorbeigeschossen bei zehn Versuchen, die Böen hatte Bö nicht im Griff, er landete nur auf Rang 31. Mit sechs Fehlern in der anschließenden Verfolgung konnte der 24-Jährige dann auch nicht mehr als zehn Plätze gut machen. Aber im Einzel hatte alles gepasst, da war der Norweger Erster. Fourcade kam zunächst auf einen achten Rang im Sprint, was ihn wurmte. "Ich konnte nicht verstehen, was passiert ist", sagte er. Am nächsten Tag schaute er ein Bild von sich am Schießstand an und sah: Die Windfahnen zeigten andere Tendenzen an, als er sie selber wahrgenommen hatte. "Da wusste ich, ich hatte nicht nur Pech, es war mein eigener Fehler", sagte Fourcade. Damit konnte er arbeiten und tat es: Er stürmte von Rang acht aus zum Sieg in der Verfolgung. Als er auch den letzten der 20 Schüsse ins Schwarze gebracht hatte, riss er ausufernd die Faust nach oben. Er weiß, dass er auf seine Gegner provokant wirken kann. "Beeinflussen, Druck ausüben - auch das ist ein Teil dieses Spiels", schreibt Fourcade in seinem Buch. Vor acht Jahren in Vancouver hat er Silber im Massenstart gewonnen. Als er auf dem Siegertreppchen stand und seine Medaille bekam, sah er seinen Vater im Publikum, daneben eine französische Fahne - hinter der sich sein Bruder versteckte, weinend. Simon Fourcade ist vier Jahre älter und hatte Martin überhaupt erst zum Biathlon gebracht. Simon war schon gesetzt im französischen Team und als Trainingsweltmeister bekannt, als Martin erst noch testete, ob er sich für derart harte Arbeit überhaupt motivieren konnte. "Für Simon musste es so aussehen, als würde mir mit einiger Leichtigkeit zufallen, was er sich mit der schwersten Arbeit nicht erarbeiten konnte", schreibt der jüngere Fourcade. Die beiden distanzierten sich voneinander, heute kann Simon mit den Kräfteverhältnissen leben, sie sind ja eindeutig: Im Gesamtweltcup ist er 34., Martin der Führende. "Ich bin stolz auf ihn, es ist großartig, was er geschafft hat", sagte Simon Fourcade nun zum Gold seines Bruders. In Pyeongchang gehört auch der Ältere zur französischen Auswahl, ist aber noch nicht zum Einsatz gekommen.
https://www.sueddeutsche.de/karriere/warum-dual-studieren-kalkulation-und-karriere-1.4017306
mlsum-de-675
Abiturienten, die sich für ein duales Studium entscheiden, hoffen auf Jobsicherheit und schnellen Aufstieg. Die Unternehmen setzen darauf, dass sich ihre Investition auszahlt. Das funktioniert gut - meistens.
Schon der schnelle Blick in die Statistik verrät: Das duale Studium ist ein Erfolgsmodell. Seit 2004 hat sich die Zahl der Studierenden von 40 000 auf mehr als 100 000 erhöht; aus 500 Studiengängen wurden gar 1500. All diese Zahlen veröffentlichte das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 2017 in seinem noch aktuellen Bericht "Ausbildung Plus: Duales Studium in Zahlen 2016". Inzwischen dürften sie sich weiter erhöht haben; zudem basieren sie auf einer Selbstauskunft der Hochschulen; wer nicht antwortet, wird nicht erfasst. Angesichts der steigenden Zahlen ist das Studienmodell, das Theorie und Praxis miteinander verzahnt, wissenschaftlich erstaunlich wenig dokumentiert. Der sechste Nationale Bildungsbericht ("Bildung in Deutschland 2016") etwa, ein alle zwei Jahre erscheinendes Kompendium von Bund und Ländern, widmet sich auf seinen 350 Seiten zwar ausführlich dem Studienerfolg von Fachhochschülern versus universitär Ausgebildeten. Zur Beschreibung des dualen Studiums beschränkt er sich hingegen auf wenige Zeilen. Immerhin steht darin, worum es geht: "Das duale Studium kombiniert einen Studiengang mit einer beruflichen Ausbildung oder wiederkehrenden Praxisphasen, deren Umfang über ein Praxissemester hinausgehen." Detailansicht öffnen Am Anfang ist es verwirrend, bis man sich für einen von mittlerweile mehr als 1500 dualen Studiengängen entschieden hat. Doch dann ist diese akademische Ausbildung klar strukturiert. (Foto: Florian Schuh/dpa) Die Sozialwissenschaftlerin Sirikit Krone (Institut Arbeit und Qualifikation, Duisburg-Essen) steht kurz vor der Veröffentlichung der bisher wohl umfangreichsten Annäherung an die Frage, ob sich ein duales Studium aus Sicht der Absolventen bewährt. Bundesweit füllten etwa 10 000 junge Männer und Frauen ihren Fragebogen zu Karrierewegen dual Studierender aus; einmal während des Studiums, noch einmal nach dem Berufsstart. "Die zentralen Erwartungen werden erfüllt", sagt Krone. "Wer ein duales Studium aufnimmt, sucht vor allem Jobsicherheit und eine klare Karriereoption. Das bekommen sie." 87 Prozent der Absolventen sind eineinhalb Jahre nach dem Studium erwerbstätig, unter ihnen mehr als neun von zehn in Vollzeit, mehr als drei von vier unbefristet. Zum Vergleich: Normal Studierende sind dann nur zu 68 Prozent regulär beschäftigt; acht von zehn in Vollzeit und sieben von zehn unbefristet. Arbeitslos sind dann ein Prozent der dual Studierenden - gegenüber sechs Prozent der Absolventen mit einem regulären Studium. Nicht ganz so rosig sieht es bei der Zufriedenheit mit der Karrierestufe aus. Drei von vier dual Studierende wähnen sich im Vorfeld zum Berufseinstieg bald in leitender Position - nur zwei von drei bekommen diese auch. Ein Grund mag sein, dass ihre Verhandlungsposition nicht die beste ist. Die meisten bleiben nach dem Bachelor in dem Unternehmen, das sie ausgebildet - und dafür bezahlt - hat; rund jeder Fünfte hat sich dazu sogar für eine gewisse Zeit verpflichtet. "Für Unternehmen ist das duale Studium eine betriebswirtschaftliche Kalkulation", erklärt Krone. "In Zeiten des Fachkräftemangels hat das viele, aber eben nicht nur Vorteile." Für die Betriebe geht die Rechnung vor allem auf, weil sie die Kandidaten streng auswählen. "Die Bewerber werden auf Herz und Nieren geprüft, teils in regelrechten Assessment-Verfahren", erklärt Miriam Weich, die in ihrer Dissertation an der Universität Tübingen untersuchte, wodurch sich dual und regulär Studierende unterscheiden. Dabei fand sie heraus: Dual-Studenten haben im Schnitt bessere Noten, sind lernbereiter, selbständiger und trauen sich mehr zu. Während des Studiums allerdings nähmen die Unterschiede nicht weiter zu. "Die Schere öffnet sich nicht weiter", erklärt Weich. Das ist insofern überraschend, als man annehmen könnte, dass die Verzahnung von Praxis und Theorie etwa die Selbständigkeit und das Selbstvertrauen verstärkten. Woran das liegt, hat Weich in ihrer Studie, in der sie dual und normal Studierende an bayerischen Fachhochschulen zu Studienbeginn und nach drei Semestern befragte, nicht untersucht. Eventuell würden unterschiedliche Entwicklungen erst gegen Ende des Studiums sichtbar. Eine andere Erklärung wäre, dass "bei der Konzeption und Umsetzung des dualen Studiums noch Optimierungspotenzial besteht." Die unzureichende Verknüpfung der Praxis im Unternehmen mit den Studieninhalten ist wohl der Hauptkritikpunkt des stark expandierenden Studienmodells. "Bei allem, was gut läuft: An der engen Kooperation zwischen akademischer und betrieblicher Seite hapert es oftmals - und zwar auf beiden Seiten", konstatiert die Sozialwissenschaftlerin Bettina Langfeldt. Ihre Auswertung einer - gemeinsam mit Wilfried Hesser an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg durchgeführten - Onlinebefragung von mehr als 4000 dual Studierenden ergab: Diese haben häufig den Eindruck, dass weder die Betriebe wissen, was in der Hochschule passiert, noch umgekehrt. Gewollt ist das so nicht: "Dualität" verlange sowohl einen "angemessenen Umfang der Praxisanteile" wie auch "eine Verbindung und Abstimmung der Lernorte" - so hält es der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen zum dualen Studium fest. Theorie plus Praxis Jeder 20. Studierende ist in einem dualen Studiengang eingeschrieben. Das sind etwa so viele, wie es Fernstudierende gibt. Der größte Anbieter ist die Duale Hochschule Baden-Württemberg mit mehr als 30 000 Studierenden, die auf mehrere Standorte verteilt auch die größte Hochschule im Ländle ist. Bundesweit werden duale Studiengänge meist an Hochschulen für angewandte Wissenschaften - so nennen sich heute die meisten Fachhochschulen - angeboten. Universitäten beteiligen sich selten; eine Ausnahme ist etwa die Technische Universität Hamburg-Harburg. Auch Berufsakademien bieten duale Studiengänge an. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen ausbildungsintegrierenden und praxisintegrierenden Studiengängen. Ausbildungsintegrierende verbinden das Studium mit einer Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf; praxisintegrierende verknüpfen Theorie und Praxis über einen Praktikanten- oder Kooperationsvertrag mit einem Unternehmen. Vor allem die Zahl der praxisintegrierenden Studiengänge nimmt zu. In beiden Fällen steht am Ende ein Hochschulabschluss. Ebenso ist ein duales Studium grundsätzlich vergütet, wobei die Höhe stark variieren kann. Drei von vier dualen Studiengängen (72 Prozent) sind wirtschafts- oder ingenieurwissenschaftlich; zunehmend gibt es aber - analog zu deren Akademisierung - auch Angebote in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften. Ein Überblick über die Angebote findet sich unter: www.hochschulkompass.de/studium/rund-ums-studieren/studienformen/duales-studium.html Jeanette Goddar Warum diese Verbindung wichtig ist, erklärt Langfeldt, die an der Uni Kassel lehrt, so: In den betrieblichen Phasen würden "meist Lösungen gesucht, ohne alternative Handlungsmöglichkeiten zu erörtern". Angesichts des Zeitdrucks in vielen Unternehmen sei das "verständlich" - aber es sei "nötig, die Praxisphasen in der Hochschule ausreichend zu reflektieren". Am besten stünden Dozenten und Ausbildungsbeauftragte dazu "in Kontakt und schauten auch einmal in der jeweils anderen Bildungsstätte vorbei," sagt Langfeldt. Im Gegensatz dazu, berichtet Krone, gäbe es allerdings "Professoren, die gar nicht wissen, dass dual Studierende in ihren Veranstaltungen sitzen." Und so mehren sich die Stimmen, die mehr Standardisierung wünschen. "Ein erster Schritt ist bereits gemacht, wenn Wissenschaft und Wirtschaft in einem Bündnis Qualitätsstandards vereinbaren", sagt Krone. Solche Bündnisse gibt es in mehreren Ländern - "Hochschule Dual" in Bayern etwa, oder "Duales Studium Hessen". Ein anderer Weg wäre, dass die für die Akkreditierung von Studiengängen zuständigen Agenturen künftig strengere Kriterien anlegten. Insgesamt gelte, sagt Krone: "Einheitliche Standards kommen allen zugute."
https://www.sueddeutsche.de/sport/aufstieg-in-die-premier-league-bournemouth-feiert-das-wunder-1.2456065
mlsum-de-676
Einst wurden dem AFC Bournemouth wegen Misswirtschaft 17 Punkte abgezogen. Nun steigt der Klub erstmals in die Premier League auf. Die Geschichte einer rasanten Genesung.
Es dauerte nur Augenblicke, dann entlud sich auf dem Rasen von Bournemouth, was sich an Hoffen, Bangen und Leiden angesammelt hatte. Vom Grün war nichts mehr zu sehen. In Rot und Schwarz stürmten die Fans des AFC Bournemouth kurz nach dem Schlusspfiff das Spielfeld im "Goldsands Stadium". Die Sekunden nach dem 3:0-Heimsieg gegen die Bolton Wanderers am Montagabend dürften in die Annalen der 116-jährigen Geschichte des Vereins eingehen, der 2008 nach Jahren der Misswirtschaft noch vor dem Aus gestanden hatte. Jetzt, sieben Jahre später, lächeln die Spieler des AFC Bournemouth mit Champagner-Gläsern von den Titelblättern der englischen Zeitungen. Die "Cherries" sind zum ersten Mal in die Premier League aufgestiegen. Theoretisch zwar noch nicht, aber praktisch allemal. "So gut wie in der Premier League" Vor dem 46. und letzten Spieltag in der Championship, der zweithöchsten englischen Liga, trennen Bournemouth drei Punkte vom Tabellendritten Middlesbrough. Der Uefa-Cup-Finalist von 2006 hatte bereits am Samstag durch ein Gegentor in der 94. Minute 3:4 gegen den früheren Club von Trainer Felix Magath, den FC Fulham, verloren. Am letzten Spieltag müsste Middlesbrough nicht nur drei Punkte, sondern zudem einen Rückstand von 20 Toren auf Bournemouth aufholen. Oder wie es der Guardian ausdrückt: "In Wirklichkeit ist Bournemouth so gut wie in der Premier League." Für die englische Presse ist der Durchmarsch der Hafenstadt im Süden von England von der vierten bis in die höchste nationale Spielklasse ein dankbares Thema. Fast scheint es, als hätten die Zeitungen Ersatzhelden für ihre gescheiterten Europacup-Teams gefunden - in der Champions League hatte es keines der hoch ambitionierten Premier-League-Klubs von Manchester City bis zum FC Chelsea ins Viertelfinale geschafft. In den britischen Blättern füllt der Europacup deshalb seit Wochen nur noch die Randspalten. Genug Platz also, um sich mit dem AFC Bournemouth auseinanderzusetzen. "Es passieren noch Wunder", schrieb die Daily Mail in ihrer Dienstagsausgabe und zitierte Harry Redknapp, der in den Achziger- und Neunzigerjahren 464 mal bei Bournemouth auf der Trainerbank saß: Der derzeitige Coach Eddie Howe verdiene es, Bürgermeister zu werden, befand Redknapp. Gewohnt wortgewandt titelte die Sun mit "Die Bourne Verschwörung" in Anlehnung an den gleichnamigen Action-Thriller. Und traf damit den Kern einer fulminanten Geschichte, die begonnen hatte, als der AFC Bournemouth eigentlich am Ende zu sein schien.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/grumpy-cat-reich-mit-schlechter-laune-1.2257308
mlsum-de-677
Ihre heruntergezogenen Mundwinkel machten sie im Netz berühmt: Mit einem Film, Büchern und Merchandising-Artikeln soll Grumpy Cat in zwei Jahren etwa 80 Millionen Euro eingespielt haben. Ein Erfolg, den die Katze ihrem Unterbiss verdankt.
Reich mit einer Katze Sie guckt immer ein bisschen grimmig und gelangweilt. Auf Tassen, T-Shirts und Handyhüllen hängen ihre Mundwinkel schlapp nach unten, so als hätte sie schlechte Laune. Dieser Look machte sie im Netz als Grumpy Cat bekannt und ihre Besitzerin Tabatha Bundesen zur Millionärin. Laut einem Bericht im britischen Telegraph hat Bundesen innerhalb von nur zwei Jahren mit einem Film, Merchandising-Produkten und Büchern über die Katze 64 Millionen britischer Pfund verdient. Das sind umgerechnet etwa 80 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Fußballer Christiano Ronaldo verdiente dem Forbes-Magazin zufolge im vergangenen Jahr insgesamt rund 64 Millionen Euro. Der Schweizer Tennisprofi Roger Federer rund 45 Millionen und die Schauspielerin Gwyneth Paltrow etwa 15 Millionen Euro, also deutlich weniger als Grumpy Cat. Wie Grumpy Cat berühmt wurde Die Karriere der Katze begann vor zwei Jahren. Damals hieß sie noch Tadar Source. Im September 2012 postete Bundesens Bruder ein Foto der Katze auf der Webseite Reddit. Seitdem gehen Bilder und Videos der Katze um die Welt. "Sie ist nicht aufzuhalten", sagt Bundesen im Telegraph. Dass Grumpy Cat so griesgrämig und gelangweilt guckt, hat laut dem Bericht zwei Gründe: Sie hat einen Unterbiss und ist kleinwüchsig. Seit die Katze so populär geworden ist, hat die 28-Jährige aus Arizona ihren Job als Kellnerin aufgegeben. Sie kümmert sich um die Vermarktung der Katze. Dabei hilft ihr der Agent Ben Lashes, der sich auf Katzen im Netz spezialisiert hat. Neben Grumpy Cat vertritt er auch die Regenbogen-Katze Nyan Cat und Keyboard Cat, eine Katze, die Klavier spielen kann. Grumpy Cat hat mittlerweile mehr als sieben Millionen Facebook Likes. Neben Katzensocken und Katzentassen gibt es sogar eine Eiskaffeemarke, die nach ihr benannt ist: den "Grumppuchino". Ende dieses Jahres erscheint mit "Grumpy Cat's worst christmas ever" ihr erster Film und die Katze wird, na klar, grimmig gucken. Wem das noch nicht reicht, der kann auf Grumpy's offizieller Webseite das "schlimmste Weihnachten" auch ins Wohnzimmer holen: mit Grumpy Cat's Geschenkpapier.
https://www.sueddeutsche.de/sport/stuttgart-besiegt-mainz-2-0-viertelfinale-gewonnen-1.2470660
mlsum-de-678
Ein starker Daniel Didavi, ein Fehler des Gästetorwarts: Der Tabellenletzte VfB Stuttgart schöpft nach dem völlig verdienten 2:0-Erfolg gegen Mainz 05 wieder Hoffnung.
Neben allerlei mehr oder weniger prominenten VfB-Sympathisanten ließ auch der Manager der "Fantastischen Vier" vor dem Anpfiff die allerbesten Wünsche für den Klassenerhalt ausrichten. Und tatsächlich schien der Beistand von der Anzeigetafel zu helfen: Nach dem völlig verdienten 2:0-Sieg gegen schwache Mainzer hofft der VfB wieder auf den Klassenerhalt. Im Falle einer Niederlage hätte man hingegen für die zweite Liga planen können. "Wir haben uns vor dem Spiel gesagt, dass wir ein Viertel-, ein Halbfinale und dann das Endspiel vor der Brust haben", erklärte Kapitän Christian Gentner. Das Viertelfinale haben sie schon mal gewonnen. Und sind guter Dinge, dass am kommenden Samstag auch der HSV einen unangenehmen Nachmittag im Ländle verbringt: "Wenn wir mit der Leidenschaft von heute auftreten, schlagen wir auch den HSV", sagte Torwart Sven Ulreich. Gegen Mainz begannen die Stuttgarter, die trotz des Sieges immer noch auf Platz 18 der Tabelle rangieren, schon mal vielversprechend. Nach schönem Zuspiel von Filip Kostic bugsierte Daniel Didavi den Ball im Fallen knapp über das Tor (5.), kurz darauf scheiterte er an 05-Keeper Loris Karius mit einem Distanzschuss (16.). Der Mittelfeldspieler, der seit seinem Wechsel von Nürnberg nach Stuttgart im Sommer 2013 wegen diverser Verletzungen erst das 19. Bundesligaspiel für den VfB bestritt, schwang sich am Samstagabend prompt zum besten Mann auf dem Platz auf. Detailansicht öffnen Der Sonne gefühlt wieder ein Stück näher: Das 2:0 von Stuttgarts Kostic (r.) entscheidet das Spiel gegen Mainz für die abstiegsbedrohten Schwaben. (Foto: imago) Die Laune des Stuttgarter Publikums bessert sich schlagartig Als es nach gut einer halben Stunde immer noch 0:0 stand, zog ein leichtes Grummeln in der Arena auf. Als es das nächste Mal laut wurde, weil ein satter Schuss an den Innenpfosten des Mainzer Tores geklatscht war, besserte sich die Laune allerdings schlagartig - wieder war es Didavi, der den Schuss in Auftrag gegeben hatte (35.). Viele Chancen, keine Tore, wie so oft im bisherigen Verlauf der VfB-Saison. Immerhin stand die Defensive der Schwaben, bei denen Georg Niedermeier auf der Bank geblieben war. Timo Baumgartl und Antonio Rüdiger bildeten stattdessen die Innenverteidigung. Es war eine stabile Defensive, die ein Zu-Null-Spiel hervorbrachte - was in Stuttgart in dieser Saison doch eher selten vorkommt. Und Mainz? Durfte zur Halbzeit einigermaßen erleichtert sein, dass es ohne Gegentor davongekommen war. Außer einem harmlosen Freistoß von Johannes Geis aus gut 30 Metern, den Sven Ulreich fing, gab es nichts zu notieren. Der Respekt, den 05-Trainer Martin Schmidt dem VfB schon vor der Partie entgegengebracht hatte - "wenn man sie spielen sieht, denkt man nie, dass sie dahinten drin stehen" - dürfte in der Kabine nicht geschrumpft sein. Ob das die Erklärung für eine klägliche Mainzer Leistung war, sei dahingestellt. Schema & Statistik Alle Daten und Fakten zum Spiel stehen hier. "Der Trainer ging mir die ganze Zeit auf den Sack", sagte Harnik Der zweite Durchgang begann dann allerdings auch auf VfB-Seite vergleichsweise verhalten. Scheinbar hatte man sich in der Kabine noch einmal vergegenwärtigt, dass man das hohe Tempo nicht die ganze Partie über würde durchhalten können. Die völlige Ereignislosigkeit über 20 Minuten hatte dann offenbar der Konzentration von Mainz-Keeper Karius schwer zugesetzt: In der 66. Minute ließ er einen verunglückten Distanzschuss von Didavi zur Stuttgarter 1:0-Führung passieren. Kurz darauf wurde der Held des Tages ausgewechselt. Dem Stuttgarter Torhunger tat das allerdings keinen Abbruch. Filip Kostic erhöhte in der 79. Minute auf 2:0, ehe Ginczek (87.) und Gentner (90.) weitere Chancen vergaben. "Wenn ich etwas kritisieren muss, dann nur, dass wir viele Chancen nicht genutzt haben", sagte VfB-Trainer Huub Stevens. "Aber es hat heute Spaß gemacht, diese Mannschaft zu trainieren." Manche Mitglieder dieser Mannschaft teilten diese Meinung nur bedingt. "Der Trainer ging mir die ganze Zeit auf den Sack und hat mich gefragt, ob es noch geht", sagte Stuttgarts Angreifer Martin Harnik, "dann habe ich siebenmal gesagt, dass es noch geht." Das Einzige, womit Harnik laut eigener Auskunft seine Probleme hatte, waren die Fliegen im Stadion: "Ich glaube, dass ich sieben verschluckt habe." Wobei der 27-Jährige auch diesem Umstand etwas abgewinnen konnte: "Das war am Ende nochmal ein Eiweißschub."
https://www.sueddeutsche.de/sport/portugal-bei-der-fussball-em-niemand-will-ronaldos-trikot-1.3039999
mlsum-de-679
Beim 0:0 gegen Österreich wird der Portugiese zur tragischen Figur. Er vergibt einen Elfmeter, schießt ein Abseitstor - und sorgt für einen Nervenzusammenbruch.
Wer Cristiano Ronaldo am Samstag weinen sehen wollte, konnte sich im Internet bedienen. Seine Mutter, Dolores Aveiro, hatte ein Video online gestellt, das zeigte, wie CR7 seinem Erstgeborenen Cristiano Jr. am Freitag zum Geburtstag gratulierte - im EM-Quartier der Portugiesen in Marcoussis, einem Vorort von Paris, wo die Sportstadt des französischen Rugby-Verbands steht. Cristiano Jr. tauchte überraschend in Marcoussis auf; die Geburtstagsüberraschung galt also weniger dem Buben als dem Vater, der dann auch gerührt war. Es ist zu sehen, wie er sich eine Träne aus dem Auge wischt. Die Tränen aus dem Video blieben die einzigen, die zu sehen waren, und das war absehbar: Nach dem 1:1 zwischen Ungarn und Island, dem ersten Spiel der Gruppe F des Samstags, war klar, dass Portugal vor dem abschließenden Gruppenspiel am Mittwoch gegen Ungarn zumindest nicht ausscheiden würde. Und dennoch ging Ronaldo geknickt von dannen. In der 77. Minute hatte der Kapitän der Portugiesen einen Elfmeter herausgeholt. Am Strafraum lieferte er sich einen Ringkampf mit dem österreichischen Innenverteidiger Martin Hinteregger und holte einen kleinen Vorteil heraus. Als Ronaldo aber schon auf dem Weg zum gegnerischen Tor und der Pass von links unterwegs war, rang Hinteregger Ronaldo doch noch nieder. Der italienische Schiedsrichter Nicola Rizzoli zeigte ohne zu Zögern auf den Elfmeterpunkt. Ronaldo trat selbst an - und jagte den Ball flach an den von ihm aus gesehen linken Pfosten. Später traf er dann doch noch ins Tor - war aber im Abseits gestanden. Ronaldo prüft den österreichischen Keeper Robert Almer Ronaldo haderte, zum ersten Mal im Spiel, mit sich selbst. Acht Minuten später haderte er mit dem Schiedsrichter Rizzoli. Denn er annullierte einen Kopfballtreffer Ronaldos. Bei einem Freistoß von der rechten Seite hatte Ronaldo eindeutig im Abseits gestanden. Zuvor hatte er mit einigen guten Aktionen dazu beigetragen, den österreichischen Torwart Robert Almer zum Spieler des Spiels zu machen. In der 55. Minute parierte der Keeper der Wiener Austria einen gewaltigen Linksschuss von Ronaldo aus 20 Metern; eine Minute später stand er goldrichtig, als Ronaldo allein aus kurzer Distanz zum Kopfball kam.
https://www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-vorbild-obama-1.3945372
mlsum-de-680
"Das ist genau das, was wir erreichen wollten": Der Präsident preist den Militärschlag als Erfolg und beansprucht eine besondere Rolle für sein Land.
Schon in seiner Präsidentschaftskampagne versprach Emmanuel Macron, dass er als Staatschef jährlich Rechenschaft über die Fortschritte seiner Amtszeit ablegen würde. Nun, nach knapp einem Jahr an der Macht, hat Frankreichs Präsident seine mediale Offensive begonnen und zieht öffentlich Bilanz. Doch in einem lange geplanten Fernseh-Interview am Sonntagabend ging es zunächst weniger um seine Reformpolitik, als um seine Entscheidung, die französische Armee in Syrien eingreifen zu lassen. "Weder Frankreich, noch seine Alliierten, haben dem Regime Baschar al-Assads den Krieg erklärt. Wir haben uns schlicht dafür eingesetzt, dass das internationale Recht, die Resolutionen des Sicherheitsrats, keine hohlen Phrasen bleiben", sagte Macron. Drei Produktionsstätten für Chemiewaffen seien getroffen und zerstört worden, es habe keine zivilen Opfer gegeben. "Das ist genau das, was wir erreichen wollten", so der Präsident. Das Ziel seiner Politik sei es, einen langfristigen Friedensprozess in Syrien zu ermöglichen. Frankreich komme eine besondere Rolle zu: "Wir werden weiterhin mit allen Parteien im Gespräch bleiben." Die französische Luftwaffe beteiligt sich seit September 2015 an Einsätzen in Syrien. Bislang ging es vor allem darum, die Terrormiliz Islamischer Staat zu schwächen. Am Samstag wurde nun der erste Einsatz gegen das Regime von Baschar al-Assad geflogen. Macrons Vorgänger, der Sozialist François Hollande, hatte im August 2013 einen Militärschlag gegen Assad geplant, konnte diesen ohne Unterstützung der USA jedoch nicht durchführen. Die Opposition kritisierte den Einsatz. Der Linke Jean-Luc Mélenchon nannte den Angriff eine "Kriegserklärung", die der Zustimmung des Parlaments bedurft hätte. Marine Le Pen, Chefin des rechten Front National, wies darauf hin, dass Macron den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Regierung für bewiesen erklärte, ohne die Ergebnisse einer internationalen Untersuchung abzuwarten. Der Vorsitzende der Republikaner, Laurent Wauquiez, sagte, dass er "prinzipiell die Armee unterstütze", aber nicht glaube, dass der aktuelle Einsatz "nützlich" sei. Die französische Verfassung erlaubt es dem Präsidenten, die Armee zu mobilisieren, ohne das Parlament zu informieren. Dies ist erst nach einem Einsatz nötig.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktien-boese-erinnerungen-an-die-blase-1.2667056
mlsum-de-681
Deutsche Unternehmen drängt es an die Börse - trotz der weltweiten Turbulenzen. Verbraucherschützer warnen vor einem allzu eiligen Zugriff.
Was war das für ein ausgelassener Rummel im vergangenen Herbst. Rocket Internet ging an die Börse und große Teile der deutschen Finanzmarktszene ergaben sich dem Charme der Samwer-Brüder - und die Anleger auch: Sie zeigten reges Interesse an der Aktie, die zum Börsengang einen Preis von 42,50 Euro erzielte. Knapp ein Jahr später notiert das Wertpapier bei 22,50 Euro. Das entspricht einem Minus von 47 Prozent. Die Geschichte von Rocket Internet sollte Anlegern als warnendes Beispiel dienen. Es passiert immer wieder, dass Unternehmen die Erwartungen der Eigentümer nicht erfüllen. Der Preis am Tag des Börsengangs ist nur eine Momentaufnahme, die im schlimmsten Fall viel zu vorteilhaft wirkt. Börsen können grausam sein. Das schreckt in diesen Tagen aber niemanden ab. Die Bayer-Kunststoff-Sparte Covestro möchte am Freitag mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Euro den größten Börsengang in Deutschland seit dem Boom-Jahr 2000 hinlegen. Am Montag darauf folgt der fränkische Auto- und Industriezulieferer Schaeffler. Bereits am Donnerstag plant die Internet-Anzeigen-Plattform Scout 24 ihr Börsendebüt, Ende des Monats folgt der Baustoffkonzern Xella. Die Modefirma Steilmann plant in den kommenden Wochen ein öffentliches Angebot von neuen Aktien sowie eine Zulassung im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse, teilte Steilmann am Freitag mit. In der Warteschlange steht Finanzkreisen zufolge auch noch Deutschlands größte Containerreederei Hapag-Lloyd. Frankfurt im Börsenfieber: Es könnte das beste Jahr seit langem werden. Man kann sich kaum noch daran erinnern, dass so viele große Unternehmen an die Börse drängen. Altgediente Profis denken da an das Jahr 2000 zurück. Damals gingen die Deutsche Post, Infineon und T-Online an die Börse und sammelten dabei viele Milliarden ein. Es war die Zeit der Internet-Euphorie. Mit der Jahrtausendwende begann eine lange Leidensphase, in der die Aktienkurse stark fielen. Detailansicht öffnen Trotz Unsicherheiten auf dem Finanzmarkt wagen in nächster Zeit mehrere große Unternehmen den Schritt an die Börse. (Foto: Daniel Roland/AFP) Auch in diesen Wochen geben sich die Börsen extrem unruhig. Die Wachstumsraten in China gehen zurück. In den Schwellenländern, die auf hohen US-Dollarschulden sitzen, kriselt es. Der deutsche Aktienindex Dax hat in den vergangenen sechs Wochen gut 15 Prozent an Wert verloren. Die amerikanische Notenbank Federal Reserve wich angesichts der wachsenden Unruhe an den internationalen Finanzmärkten vom geplanten Kurs ab und verschob die erste Leitzinserhöhung nach neun Jahren weiter in die Zukunft. Sind das wirklich geeignete Rahmenbedingungen für den Gang an den Kapitalmarkt? "Börsengänge haben mindestens sechs Monate Vorlauf, manchmal sogar ein Jahr und mehr", sagt ein Frankfurter Investmentbanker. "Einen solchen gut vorbereiteten Plan möchte man nicht einfach zurückziehen, denn das hinterlässt bei den Investoren auch keinen guten Eindruck." Schließlich sehe es dann so aus, als ob das Unternehmen nur an einem möglichst hohen Zeichnungspreis interessiert gewesen sei. Wenn später der Kurs falle, sei die Frustration dann aber umso größer. Siehe Rocket Internet. Zudem könne niemand ausschließen, dass sich das Börsenumfeld im nächsten Jahr sogar noch verschlechtere. Wer sein Geld in Aktien steckt, der sollte seine Spargelder weltweit streuen Die Unternehmen und ihre beratenden gut verdienenden Investmentbanken wollen es also durchziehen. Egal, was an den Finanzmärkten gerade los ist. Die Börsenaspiranten tragen dem schwankungsanfälligen Börsenumfeld Rechnung, indem sie eine weite Preisspanne wählen. Dabei gilt: Je größer der Börsengang, desto eher kann man die Aktien auch in unruhigen Zeiten bei Investoren platzieren. Verbraucherschützer sind von der aktuellen Welle an Börsengängen aber nicht beunruhigt. "Problematisch wird es erst, wenn Verbraucher neue Aktien zeichnen, ohne die Risiken zu kennen, oder wenn sie reingetrieben werden in diese Investments, sei es durch Medien oder Verkaufsgespräche der Finanzberater", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Dieses "Reintreiben" in Geldanlagen erlebe man auch derzeit. "Doch im Vergleich zum Boom im Jahr 2000 mit dem Neuen Markt ist die Situation doch eine völlig andere.", sagt Nauhauser, der zu einer breiten weltweiten Streuung der Spargelder rät, die in Aktien angelegt werden sollen. "Wer das Risiko mit Börsengängen kennt und es tragen kann, der kann natürlich das Wagnis eingehen". Der starke Drang an die Frankfurter Börse steht im Kontrast zur globalen Entwicklung. Die Unruhe an den Finanzmärkten, die von China ausgeht, hat den Markt im dritten Quartal gebremst, heißt es in einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. "Die Zahl der Börsengänge ist weltweit im dritten Quartal um 31 Prozent auf 192 gesunken. Das Emissionsvolumen sank sogar um 73 Prozent von 67 auf knapp 18 Milliarden US-Dollar", so das Ergebnis der Untersuchung. In China sei die Zahl der Börsengänge im vergangenen Vierteljahr von 139 auf nur noch 26 zurückgegangen. "In den Vereinigten Staaten sank die Zahl im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 48 Prozent von 62 auf 32, der Wert sank sogar um 88 Prozent von 42 auf knapp fünf Milliarden Dollar." In Europa gab es im dritten Quartal 29 Börsengänge, im vergleichbaren Vorjahreszeitraum waren es noch 44. Der Erlös der Börsengänge schrumpfte stark von sieben auf drei Milliarden Dollar. Nur Deutschland schert aus. Drei Börsengänge brachten im dritten Quartal insgesamt 1,6 Milliarden Euro ein. "Damit war Deutschland der mit Abstand stärkste Markt innerhalb Europas."
https://www.sueddeutsche.de/panorama/limburg-vatikan-schont-tebartz-van-elst-1.2640570
mlsum-de-682
Franz-Peter Tebartz-van Elst muss keinen Schadenersatz zahlen, das hat Rom entschieden. In Limburg ist man darüber nicht glücklich. 3,9 Millionen Euro sind endgültig weg.
Der ehemalige Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, ist um eine Sorge ärmer: Er muss keinen Schadenersatz für die hohen Baukosten der Bischofsresidenz in Limburg zahlen, die auch durch seine zahlreichen Sonderwünsche entstanden sind. So haben es im Vatikan das Staatssekretariat und die Bischofskongregation entschieden. Man halte dort ein entsprechendes Verfahren nicht für angebracht, teilte die Pressestelle des Bistums Limburg mit. Damit hat das Bistum eine schmerzhafte Niederlage in der Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Bischof erlitten, der inzwischen für den Päpstlichen Rat für die Neuevangelisierung in Rom arbeitet. Der gegenwärtige Diözesanadministrator und Paderborner Weihbischof Manfred Grothe hatte das Verfahren in Rom angestrengt, um wenigstens einen Teil der insgesamt 3,9 Millionen Euro von Tebartz zurückzubekommen, die das Bistum in den Jahren 2012 und 2013 außerplanmäßig hatte abschreiben müssen. "Politisch nicht gewollt" Immerhin hatte Kardinal Marc Ouellet, der Präfekt der Bischofskongregation, den Interimsverwalter Grothe vergangene Woche in den Vatikan geladen, um ihm persönlich die Entscheidung mitzuteilen. Die Gespräche seien konstruktiv und zielführend gewesen, teilte Grothe am Mittwoch tapfer mit. Es sei nun eine Entscheidung gefallen, "die auch Klarheit über das weitere Vorgehen gibt". Zielführend hin oder her: Der Weihbischof, der den Limburger Finanzskandal aufarbeiten soll, kommt mit leeren Händen zurück. Die Enttäuschung bei denen, die sich gewünscht hätten, dass Papst Franziskus schärfer gegen den verschwenderischen Tebartz-van Elst vorgeht, ist groß. "Was kirchenrechtlich möglich und notwendig gewesen wäre, hat Rom politisch nicht gewollt", sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. "Die Botschaft des Papstes lautet: Das Bistum ist Bittsteller, der Bischof kann das Recht brechen, ohne sanktioniert zu werden." Das Kirchenrecht werde so "zur Farce". Tebartz-van Elst hat mächtige Unterstützer in Rom Tatsächlich gibt es Fälle, wo Bischöfe einen Teil des Schadens zahlen mussten, den sie angerichtet hatten; eine Entscheidung gegen Tebartz-van Elst wäre also möglich gewesen. Allerdings hätten die Kirchenbehörden mühsam untersuchen müssen, welche Verantwortung der Bischof für die Kostensteigerungen des 30-Millionen-Euro-Baus trägt - welche aber auch das Domkapitel und der einstige Vermögensverwaltungsrat. Dann hätte geklärt werden müssen, wofür der Bischof persönlich haftbar gemacht werden kann, was also mehr war als eine Fehlentscheidung aus bestem Wissen und Gewissen. Doch dies herauszuarbeiten, erschien in Rom offenbar zu schwierig - und zu heikel. Denn nach wie vor hat Tebartz-van Elst mächtige Unterstützer in Rom: den emeritierten Papst Benedikt XVI., Kardinal Gerhard Ludwig Müller, den Präfekten der Glaubenskongregation, Erzbischof Georg Gänswein, den Präfekten des Päpstlichen Hauses - und auch Kardinal Oullet sei ihm wohlgesinnt, heißt es. Sie haben dafür gesorgt, dass der Skandalbischof weich gefallen ist, mit einem schönen Posten samt ordentlichem Gehalt. Aus Deutschland erhält der Bischof offenbar ein Ruhegehalt von mehr als 6000 Euro, vom Vatikan sollen 3000 Euro kommen. "Gehaltszahlen kommentieren wir nicht, sagt Stephan Schnelle, der Bistumssprecher. Er bestätigt aber, dass die Zahlungen des Bistums mit den Einkünften aus der Arbeit in Rom verrechnet werden sollten - "da bemühen wir uns um eine Lösung", sagt er. "Für Ruhe im Bistum wird das nicht sorgen", sagt der Kirchenrechts-Professor Schüller. Tatsächlich ist der Beschluss aus Rom eine Hypothek für den künftigen Bischof von Limburg, der das zutiefst gespaltene Bistum befrieden soll. Wann der kommen soll, ist weiterhin unklar - er hoffe auf den Sommer 2016, sagt Diözesanadministrator Rohde. Wichtiger als das Geld seien vier Worte, die Tebartz-van Elst sprechen müsste, sagt ein Bistumsmitarbeiter: "Es tut mir leid."
https://www.sueddeutsche.de/sport/bundesliga-ancelotti-passt-verblueffend-gut-zum-fc-bayern-1.2792266
mlsum-de-683
Alle Indizien weisen darauf hin, dass der Italiener der ideale Nachfolger von Pep Guardiola beim FC Bayern ist. Er könnte die Aura des Weltvereins mit der bayerischen Dorfmentalität aufs Schönste vereinen.
Ob es das Wetter ist, das diese Entscheidung so logisch erscheinen lässt? Seit Tagen blickt man aus den Anhöhen und Hochhäusern Münchens hinüber auf die Alpen, bei 15 Grad dachte dabei niemand ans Skifahren, sondern an einen Cappuccino am Lago di Garda. Wo bisweilen mehr Autos mit Münchner Kennzeichen herumfahren als anderswo und von wo es nur noch 80 Kilometer sind bis zum Geburtsort des neuen Trainers. Carlo Ancelotti aus Reggiolo in der Emilia-Romagna wird im Sommer der neue Trainer des FC Bayern sein und damit schlagartig zu den wichtigsten Personen der Stadt gehören. Da kann es nur von Vorteil sein, dass der 56-Jährige in der Nähe eines Sehnsuchtsorts vieler Münchner aufgewachsen ist. Wenn er es sich nach einem Sieg beim De-Luxe-Italiener (von denen es reichlich gibt in seiner neuen Heimat) bei Wein und Tortellini gutgehen lässt, gehört er praktisch schon dazu. Alleine seine norditalienische Herkunft hätte den Bossen des FC Bayern aber nicht gereicht, um Carlo Ancelotti ihre edlen Fußballer anzuvertrauen. Schon gar nicht als Nachfolger für den Asketen Pep Guardiola, der irgendwo zwischen Genie, Tüftler und manischem Grübler wandelt. Das ist das Problem gewesen: Wer kann Pep Guardiola nachfolgen? Derzeit gibt es keinen Trainer, der seinen Spielern den Fußball so genau erklären kann wie Pep Guardiola. In seinem haarlosen Charakterkopf vereinen sich mehr Taktikideen als in einem Fußballlehrer-Seminar. Da muss der FC Bayern vermeiden, dass im kommenden Jahr die Spieler mehr wissen als ihr Trainer. Nun ist Carlo Ancelotti zwar kein führender Theoretiker des Fußballs, doch auch ihm kann man schwerlich etwas vormachen. Gelernt hat er als Spieler beim damaligen Trainer-Übervater Arrigo Sacchi. Der hatte wie heute Guardiola den Fußball umgekrempelt und mit dem AC Mailand eine Ära erschaffen. Ancelotti brachte die Anweisungen Sacchis im Mittelfeld auf den Platz. Hätten Trainer damals schon ihren Spielern taktische Neuerungen per Zettel übermittelt, Sacchi hätte ihn Ancelotti ausgehändigt. Als Trainer ist er durchaus auf dem neuesten Stand. Auch wenn der gemütliche Kaugummikauer gerne unterschätzt wird. Wer dreimal die Champions League gewonnen hat (zweimal mit Milan, einmal mit Real Madrid), gehört zu den erfolgreichsten und klügsten der Branche. Das weiß nicht zuletzt der FC Bayern. Das 4:0 von Real Madrid 2014 im Champions-League-Halbfinale in München war der härteste Schlag, den der Klub und sein Coach Guardiola je hinnehmen mussten. Zwar gab sich Guardiola dafür direkt nach dem Spiel selbst die Schuld, weil er sich von seinen Spielern eine falsche Taktik habe einflüstern lassen. Doch er vergaß dabei, Real-Trainer Ancelotti zu erwähnen, der vor allem die Stärken der eigenen Mannschaft heraushob und damit die Bayern überrannte.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/textilproduktion-fuer-mehr-als-eine-blechhuette-reicht-es-nicht-1.3559848
mlsum-de-684
Arbeiterinnen in der Textilbranche in den südasiatischen Ländern müssen nach wie vor zu Hungerlöhnen schuften.
Die Schreckensbilder aus der Textilfabrik im Rana Plaza- längst verblasst. Die wenigsten Menschen erinnern sich noch an die immense Zahl der Todesopfer. Vier Jahre ist es her, dass das Hochhaus in Sabhar, Bangladesch, eingestürzt ist. Mehr als 1100 Arbeiterinnen und Arbeiter starben bei der Katastrophe. Einiges hat sich seither getan in den Fabriken im Süden Asiens, wo Heerscharen vor allem junger Frauen jene Kleidung nähen, die westliche Modelabels für ihre westlichen Kunden in die Filialen hängen. Mehr als 200 dieser Auftraggeber, darunter alle namhaften europäischen Marken, haben sich nach dem Unglück dazu verpflichtet, für Gebäudesicherheit und Brandschutz bei ihren Zulieferern zu garantieren. An den miserablen Arbeitsbedingungen der Näherinnen selbst aber hat sich wenig geändert. Regionale Gewerkschaften wollen das ändern. Rückendeckung gibt ihnen dabei die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Keine Unterstützung oder sogar Gegendwind erhalten sie dagegen angeblich von europäischen Modelabels, darunter die Kette Hennes & Mauritz (H&M). So zumindest lautet der Vorwurf, den Gewerkschafter von Verdi, aus Indien und Bangladesch am Freitag in Berlin vorgebracht haben. Noch immer würden Angestellte bei Zulieferern in Indien, Bangladesch aber auch Sri Lanka bedroht, wenn sie "Gewerkschaften gründen oder sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen", sagte Stefanie Nutzenberger, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. H&M und die anderen Modeunternehmen sieht sie in der Pflicht, "auf ihre Zulieferer Druck auszuüben", die Repressionen, wie zum Beispiel willkürliche Entlassungen, zu beenden und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Und die sind nach den Erzählungen der indischen Gewerkschaftsvorsitzenden Prathibha Ramanath zufolge erbärmlich. Der Lohn reiche gerade einmal für eine Blechhütte, sagte Ramanath, Grundfläche zehn Quadratmeter, ohne Küche, ohne Toilette. Mehr gäben die 108 Euro kaum her, die die Textilarbeiterinnen in Indien per Gesetz monatlich mindestens verdienen müssen. Bei zwölf bis 15 Stunden Plackerei täglich. In Bangladesch sei es nicht anders, dort betrage der Mindestlohn in der Textilbranche 59 Euro im Monat. "Elendslöhne" seien das, sagte Ramanath. Und um die zu steigern und das Arbeitsleben lebenswerter zu machen, davon ist Ramanaths Amtskollege aus Bangladesch überzeugt, müssen funktionierende gewerkschaftliche Strukturen her. Nur so könne dieser Elendszustand überwunden werden, sagte Amirul Haque Amin. Er erwarte von den westlichen Modeunternehmen, dass sie ihren "wohlklingenden Versprechungen" endlich Taten folgen lassen und "dafür sorgen, dass die Zulieferer unsere Rechte achten". Anfang vergangener Woche erreichte H&M Deutschland ein offener Brief, gezeichnet von Verdi und den Gewerkschaften aus Bangladesch und Indien. Darin äußerten die Verfasser den beschriebenen Vorwurf und fordern das Unternehmen auf, Verantwortung zu übernehmen. "Die Modemarken sind die entscheidenden Akteure in der Zuliefererkette", erklärte Amin. Mit der Art, wie sie ihre Bestellungen bei den Fabrikanten in seiner Heimat platzierten, könnten sie direkten Einfluss auf den Arbeitsalltag dort nehmen. Ein Beispiel: Wenn das Modelabel seine Vorgaben für die Produktion in Bangladesch herunterschraubt, also zum Beispiel weniger Hosen pro Tag genäht haben will, nimmt es automatisch den Leistungsdruck aus den Fabrikhallen, die Arbeitszeit könne somit sinken. H&M weist die Vorwürfe auf Anfrage zurück und lässt mitteilen, dass sich das Unternehmen "absolut bewusst" sei, "dass wir mit unseren Einkaufspraktiken die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben mitbeeinflussen". Deshalb überprüfe man zum Beispiel die Produktionskapazitäten, um sicherzustellen, dass faire Löhne gezahlt werden könnten. Zudem engagiere sich das Unternehmen "seit vielen Jahren für Arbeitnehmerrechte in Bangladesch", mit vielen Leuten im Produktionsbüro am Ort und auch in internationalen Initiativen.
https://www.sueddeutsche.de/sport/kanu-eine-farce-1.4060548
mlsum-de-685
Weil sich die Kosten des Verbandes für Dopingkontrollen fast verdoppelt haben, werden nun die Athleten indirekt für die Tests zur Kasse gebeten.
Morgens schwimmen, abends grillen: Das hätte der Plan sein können am Erholungstag der Kanu-Nationalmannschaft im Trainingszentrum Kienbaum, östlich von Berlin. Sebastian Brendel, 30, stieg trotzdem in seinen Canadier. Ein dreimaliger Olympiasieger gönnt sich keine Pause, wenn einen Monat später eine Weltmeisterschaft ansteht; Kanu ist ein kräftezehrender, trainingsintensiver Sport. Zu erfahren, dass die Kanuten künftig persönlich für ihre Dopingkontrollen zur Kasse gebeten werden, hat die Tiefenentspannung Brendels an diesem Erholungstag dann aber auch nicht gefördert. "Kurios", nannte er die Nachricht. Und: "eine Farce". Am Dienstag mussten der Generalsekretär des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV), Wolfram Götz, und der Präsident, Thomas Konietzko, den Athleten eröffnen, dass der Anteil, den die Kanuten an die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) abzuführen haben, für dieses Jahr erheblich gestiegen ist: von 45 000 auf 88 000 Euro. Diese Summe muss, so ist es vorgeschrieben, aus den Eigenmitteln der olympischen Spitzensportverbände kommen, aber so viel Rücklagen hat der DKV nicht: Die Kanuten sind reich an Meriten - allein bei den Sommerspielen in Rio sammelten sie sieben Olympiamedaillen -, aber nicht reich an Geld. Und so hat die Verbandsführung nun beschlossen, dass sie für die Abgabe an die Nada zumindest teilweise Sponsorenbeträge verwenden will: Das sind Einnahmen, die der DKV bisher an seine Athleten weiterreichte, von denen keiner zu den Großverdienern im Sport gehört. Sebastian Brendel, angestellt bei der Bundespolizei als Polizeihauptmeister, verheiratet, zwei Kinder, hat in einer ersten Rechnung grob überschlagen, dass ihm im Jahr rund 300 Euro fehlen werden, wenn die Sponsoreneinnahmen an die Nada gehen. "Ich finde es sehr gut, dass wir kontrolliert werden und beweisen können, dass wir sauber sind", sagte er: "Aber wenn wir selber dafür bezahlen sollen - das geht gar nicht." Die Situation ist exemplarisch für einen kleinen Verband, und sie zeigt die Durchschlagskraft sportpolitischer Gremienentscheidungen bis hinunter an die paddelnde Basis. Denn über die Finanzierung der Nada wird debattiert, so lange es sie gibt. 2015 verständigten sich die im DOSB organisierten Sportverbände darauf, das komplette Management aller Trainings- und Wettkampfkontrollen an die Nada abzugeben und es anteilig zu finanzieren. Die Gesamtkosten für das Dopingkontrollsystem belaufen sich auf 5,5 Millionen Euro im Jahr; davon finanzierten die Sportverbände bislang eine Million, der Rest sind Bundesmittel. Nun wird die Beteiligung des Sports auf 1,25 Millionen Euro erhöht. Zugleich greift ein neuer Verteilungsschlüssel, der "auf ausdrücklichen Wunsch" der Sportverbände, wie die Nada erläutert, erarbeitet und im Juni bei einer Tagung in Berlin abgesegnet wurde. Das ist der Grund für die Kostensteigerung, die mehrere Verbände trifft, nicht nur die Kanuten. Der neue Verteiler sollte gerechter sein, weil er nach einer Formel berechnet wird, die sich auf die tatsächlich durch die Nada durchgeführten Trainings- und Wettkampfkontrollen der Jahre 2013 bis 2016 bezieht. Und bei den Kanuten wurde viel getestet, wie DKV-Präsident Konietzko bestätigt: "Wir haben Wert auf die Ausschöpfung der Kontrollmöglichkeiten gelegt, und wir wollen das auch weiter tun." Man könne es sich leicht machen und weniger Kontrollen anfordern, sagt er - "aber das ist das Letzte, was wir wollen". Allerdings sieht er nun die Gefahr, dass andere Sportverbände womöglich auf die Idee kommen könnten, Kosten zu senken, indem sie an Dopingkontrollen sparen. Das größere Problem aber, sagt Konietzko, sei der Umstand, dass die Nada "immer noch von Pontius zu Pilatus laufen muss, um sich zu finanzieren". Zuwendungen aus der Wirtschaft gab es 2017 nicht mehr. Den Unmut der Kanuten, die nun für ihre Dopingtests zahlen, könne er gut verstehen, sagt der DKV-Präsident. Sie hätten sich aber schließlich "zähneknirschend" gefügt, "und das zeigt ja auch Größe". Gegrillt wurde am Dienstag in Kienbaum übrigens trotzdem noch.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/was-kommt-die-woche-im-sz-wirtschaftsteil-1.3587597
mlsum-de-686
Hamburg punktet mit digitalem Hafen, Berlin mit Elektrizität: Was hinter dem Begriff Smart City steckt, erklären Analysen und Reportagen in einer neuen Serie. Außerdem: Fußballerin Babett Peter im Interview.
Du öffnest die Post und findest: wieder eine Einladung zu einem Smart-City-Kongress. Smart City hier, Smart City da, mit einem Mal, ganz plötzlich, ist das Thema allgegenwärtig. Hamburg punktet mit einem digitalen Hafen, Berlin mit Elektrizität, international gilt Barcelona als das Maß vieler Dinge, und dann ist da natürlich noch China, wo immer alles eine Nummer größer und schneller läuft. Der Digital-Gipfel der Bundesregierung hat neulich mit Aplomb die deutsche Smart City des Jahres gekürt, und es wurde eine, auf die man im Leben nicht von selbst gekommen wäre: Darmstadt. Aber wie smart ist die Stadt wirklich? Schon seit einigen Jahren arbeiten viele Kommunen daran, neue und intelligente Lösungen für ihre Probleme und die Zukunft zu entwickeln. Der SZ-Wirtschaftsteil widmet diesem Thema eine neue Serie, sie beginnt mit dem nebenstehenden Samstagsessay. SZ-Autoren waren in Deutschland und weltweit unterwegs, sie haben Städte besucht, die in Teilen schon smart sind oder es sein wollen: Dresden mit einer neuartigen Verkehrssteuerung. London, das im Bankenviertel Canary Wharf den besten Gründern der Welt ein Zuhause geben will. Santander in Spanien, das seine Mitarbeiter im Grünflächenamt entlastet, weil sie die Bewässerung der Parks und Gärten automatisiert hat. Songdo in Südkorea, das sich für die "smarteste City überhaupt" hält: mit Sensoren vernetzt und einem Müllsystem, das ähnlich funktioniert wie unser Abwassernetz - Druck auf den Knopf, und der Müll wird mit Unterdruck über Rohre abgesagt. Die kolumbianische Stadt Medellín, einst Schlachtfeld der Drogenkartelle, die einen besonderen Weg der Vernetzung gefunden hat, um die Kriminalität zu bekämpfen - einige Beispiele von vielen. Die Serie "Smart City" soll einen Eindruck vermitteln, was möglich ist, was funktioniert oder was bisher überhaupt keinen Erfolg hat. Sie lässt Stadtplaner, Bewohner und Experten zu Wort kommen. Und sie soll entlarven, wo die Smart Citys mehr Werbeversprechen als Realität sind und den Interessen der Bürger nicht dienen. Die Texte erscheinen immer dienstags und mittwochs im Wirtschaftsteil. Anderes Thema, andere Branche: Eigentlich ist Christian Sewing bemüht, seine Mitarbeiter nur zu Kernzeiten anzurufen, also weder vor acht Uhr morgens noch nach 22 Uhr abends. Vergangenes Jahr jedoch machte der Privatkunden-Vorstand der Deutschen Bank einmal eine Ausnahme. Wann das war und warum es nötig war, erzählt der 47-jährige, der seit Kurzem auch Co-Chef von Deutschlands größtem Geldhaus ist, im Montagsinterview. Der Freitag wird sportlich. Babett Peter gehört zu den erfolgreichsten deutschen Fußballerinnen. Sie hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Ein Mann mit einer vergleichbaren Titelsammlung würde zu den Top-Verdienern gehören. Im Frauenfußball aber wird nach wie vor ungleich weniger verdient. Warum die Abwehrspielerin trotzdem nicht tauschen würde, erzählt sie im "Reden wir über Geld". Was noch? Was macht eigentlich ... Bärbel Höhn? Als die Flensburgerin, die im Mai 65 Jahre alt wurde, Ende der Achtzigerjahre in die große Politik einstieg, fristeten Umwelt- und Verbraucherschutz noch ein Schattendasein. Binnen weniger Jahre änderte sich das, auch wegen einer umtriebigen Ministerin namens Höhn. In Nordrhein-Westfalen kämpfte die Politikerin gegen Rinderwahnsinn und Braunkohle, später ging sie in den Bundestag. Diesen Herbst verlässt sie die Politik, und Michael Bauchmüller aus dem Berliner Parlamentsbüro zieht im Mittwochsporträt eine Bilanz. Eine gemischte Bilanz, sagt auch Höhn selbst.
https://www.sueddeutsche.de/panorama/gerhart-hauptmann-schule-berlins-bekannteste-fluechtlingsunterkunft-soll-geraeumt-werden-1.3700747
mlsum-de-687
Seit Jahren wird die Gerhart-Hauptmann-Schule am Görlitzer Park besetzt, jetzt kommt der Gerichtsvollzieher. Die Flüchtlinge sollen einem sozialen Wohnprojekt weichen.
Roter Backstein, Bäume rundherum, auf eine Mauer hat jemand in großen schwarzen Buchstaben "Refugees Welcome" gesprayt. Ein Gebäude wie so viele in Berlin-Kreuzberg. Nur der hohe Zaun und der Wachmann, der erscheint, sobald man sich dem Tor nähert, deuten darauf hin, dass das kein gewöhnliches Gebäude ist. Und tatsächlich ist fast nichts mehr hier gewöhnlich. Hier ist einer der umstrittensten Orte Berlins: die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule. Seit fast fünf Jahren ist sie von Flüchtlingen besetzt. Die weigern sich auszuziehen, damit auf dem Gelände ein alternatives Wohnprojekt für Flüchtlinge, Obdachlose und Studenten entstehen kann. Mehrere Versuche, die Schule räumen zu lassen, sind gescheitert. Bis jetzt. Die Bezirksbehörden haben eine Räumungsklage gewonnen und den Gerichtsvollzieher eingeschaltet. Der soll demnächst am Zaun stehen. Einer größeren Öffentlichkeit ist das Gebäude bekannt, seit es im Jahr 2014 in die überregionalen Schlagzeilen katapultiert wurde. Damals lebten Hunderte Menschen in der aufgelassenen Schule, kampierten in alten Klassenzimmern, schliefen auf einem Matratzenlager in der Aula. Eigentlich sollte die leer stehende Schule nur als provisorische Unterkunft für Flüchtlinge dienen, die Ende 2012 bei einem Protestmarsch aus Würzburg nach Berlin gekommen waren. Der Bezirk hatte sie ihnen zur Verfügung gestellt, es war Winter. Symbol für die Flüchtlingskrise in Deutschland Nach und nach zogen immer mehr Leute in das Haus. Junge Männer aus Afrika, Roma-Familien, Obdachlose aus dem Görlitzer Park, Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. Es gab nur rudimentäre Sanitäranlagen, die Bewohner waren sich selbst überlassen, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es immer wieder. Bis die Situation eskalierte - und ein Flüchtling einem anderen beim Streit um die einzige Dusche ein Messer in den Bauch rammte. Daraufhin sollte die Schule geräumt werden, doch die Bewohner weigerten sich. Hunderte Polizisten marschierten auf, Tausende Berliner gingen aus Protest gegen die Räumung auf die Straße. Die Bilder der Männer, die auf das Dach der Schule kletterten und drohten, sich in die Tiefe zu stürzen, gingen um die Welt. Das war im Sommer 2014, lange bevor Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen und in den zuständigen Berliner Behörden das Chaos ausbrach. Und doch war die Berliner Schule ein erstes, frühes Symbol dafür, was passiert, wenn die Flüchtlingskrise die überforderten deutschen Kommunen trifft. Seither ist einiges passiert. Oder auch gar nichts, je nachdem, welche Perspektive man einnimmt. Da sind einmal die Bewohner, die sich bis heute im Südflügel der Schule eingerichtet haben. 22 Männer sind dort noch gemeldet, zehn gehören zum harten Kern. Die meisten sind aus Afrika und haben in Berlin kleine Jobs oder Familie, ein Mann aus dem Senegal verkauft im angrenzenden Görlitzer Park Sandwiches. Die vergangenen Jahre wurden sie von Aktivisten unterstützt und haben Kunstprojekte gemacht.
https://www.sueddeutsche.de/politik/spannungen-mit-spanien-schwierige-kiste-fuer-berlin-1.3921694
mlsum-de-688
Allgemeinplätze, Ausflüchte, Verweise auf andere Stellen: Zu mehr kann sich die Bundesregierung im Fall Puigdemont nicht durchringen - dabei war ihre Haltung stets klar.
Die Behörden haben zuverlässig gearbeitet. Das steht schon einmal fest. Der Tipp kam aus dem Ausland. Und dann hat die Informationskette bestens funktioniert, so hat es jedenfalls den Anschein. Der Gesuchte wurde von Polizeibeamten kurz nach der Einreise in Deutschland festgesetzt und befindet sich seither in Gewahrsam. Alles dürfte also nach Recht und Ordnung verlaufen sein. Wer aber am Montag die Sprecher der Bundesministerien bei ihren Routine-Auftritten vor den Hauptstadtjournalisten hört, bekommt den Eindruck: Nichts ist in Ordnung, gar nichts. Denn der Gefangene heißt Carles Puigdemont, ist 55 Jahre alt und ehemaliger katalanischer Regierungschef. Aus Sicht der Regierung in Madrid ist der Separatistenführer ein Verbrecher. In Belgien lebte er seit dem Herbst im Exil und konnte sich dort frei bewegen. In Finnland hatte er Ende vergangener Woche Redeauftritte und fuhr danach mit dem Auto ungehindert durch die EU-Mitgliedstaaten Schweden und Dänemark zurück Richtung Belgien. Und ausgerechnet wem geht der Mann dann ins Netz? Den Deutschen. "Schwierige Kiste", sagt ein Beamter aus dem Auswärtigen Amt, halb im Scherz, halb verzweifelt. Zu solch einer Aussage lässt sich natürlich keiner der Sprecher hinreißen. Ob aus dem Auswärtige Amt, dem Innen- oder Justizressort - jeder verweist lieber auf den jeweils anderen, wenn es um diese Frage geht: Und was kommt nun? Die Bundesregierung hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie auf Seiten der Zentralregierung in Madrid steht. Aber hineingezogen werden wollte Berlin in diesen Konflikt nicht. Der müsse in Spanien gelöst werden, hieß es. Als Vermittler wollten die Deutschen auch nicht auftreten, das hätte nur die Katalanen aufgewertet - so die Sorge in Berlin. Polizei in Schleswig-Holstein habe "in eigener Zuständigkeit" entschieden, heißt es Aber nun sitzt ausgerechnet einer der Hauptprotagonisten des Konfliktes in der Justizvollzugsanstalt Neumünster in Schleswig-Holstein. Und wie es mit ihm weitergeht, darüber entscheidet auch die Justiz in Schleswig-Holstein. Wer in Berlin Antworten haben möchte, etwa ob das deutsche Recht den Straftatbestand der Rebellion kenne, bekommt von den Sprechern zu hören: "Ich verweise auf Schleswig-Holstein." Die Polizei in Schleswig-Holstein habe "in eigener Zuständigkeit" entschieden, wird noch angemerkt. Der Tipp, dass Puigdemont vor der Einreise nach Deutschland stehe, sei über den deutschen Verbindungsbeamten des BKA in Madrid gekommen. Woher dieser seine Informationen hatte, blieb indes unklar. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, der spanische Geheimdienst habe Puigdemont beschattet. Die spanische Nachrichtenagentur Efe meldete am Montag unter Berufung auf Ermittler, dass die Agenten eine Wanze am Auto angebracht hätten. Regierungssprecher Steffen Seibert allerdings verlegte sich zunächst auf Allgemeinplätze: "Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat", sagte er. Was das für das Auslieferungsbegehren Madrids bedeutet, sagte er indes nicht. Würden die Deutschen Puigdemont nicht übergeben, würde das Madrid vor den Kopf stoßen. Würden sie ihn übergeben, gäbe es mit Sicherheit Massenproteste in Katalonien. Doch die Entscheidung trifft nicht die Bundesregierung. Deutschland steckt mittendrin im Konflikt.
https://www.sueddeutsche.de/sport/europameisterschaft-wie-eine-lawine-1.3824832
mlsum-de-689
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft überzeugt beim EM-Auftaktsieg gegen Montenegro besonders als Kollektiv und zeigt ihre vielfältigen Fähigkeiten.
Philipp Weber musste grinsen. "Ich finde das geil, wenn ich ausgepfiffen werde und mit guten Aktionen das Publikum ruhig stellen kann." Genau das war der deutschen Handball-Nationalmannschaft ja prognostiziert worden, ein Hexenkessel in der Arena zu Zagreb, voll mit heißblütigen montenegrinischen Fans, die ihre Mannschaft vom Außenseiter zum Überraschungssieger brüllen. Eine unberechenbare Mannschaft, mit feinen Einzelspielern, die über sich hinauswachsen und dem Favoriten Probleme bereiten. Doch nichts davon trat ein, "ich glaube es waren mehr deutsche Fans in der Halle", sagte Weber am Morgen danach. Die Auswahl des Deutschen Handballbunds (DHB) ist mit einem 32:19-Sieg ideal in das Turnier gestartet, nicht nur wegen des deutlichen Ergebnisses, sonder weil "wir die Vorgaben sehr diszipliniert umgesetzt haben", wie Bundestrainer Christian Prokop recht nüchtern feststellte. Mit den erwarteten Auswärtsspielen muss sich seine Mannschaft bis Montagabend gedulden, wenn Slowenien der Gegner ist. Dann "haben wir mehr Druck auf dem Kessel", wie es Uwe Gensheimer formulierte. Damit meinte der deutsche Spielführer sowohl die Gegenwehr von den Rängen, wie auch die vom Gegner, denn Slowenien sei "nominell die beste Mannschaft" der drei Kontrahenten in der Gruppe C. Was die deutsche Auswahl dann zu erwarten hat, durfte sie nach ihrem lockeren Aufgalopp in der riesigen Arena schon mal erfühlen. "Wir haben uns die erste Halbzeit angesehen", berichtete Gensheimer, letztlich verlor Slowenien in einem ungleich intensiveren Duell mit 24:25 Toren gegen Mazedonien. Damit steht der WM-Dritte schon gehörig unter Zugzwang. Der deutschen Mannschaft ist das einerlei, wie Trainer und Spieler unisono erklären. Gensheimer sagte sogar, dass ihm die Spielweise der slowenischen Mannschaft "sehr gefällt", was einen einfachen Grund habe. "Eine starke Abwehr, schnelles Umschaltspiel, einfache Kontertore", führte der Kapitän aus, "das ist unserem Spiel recht ähnlich." Speziell er sowie seine schnellen Mitspieler auf den Außenpositionen profitieren von diesem Tempospiel, Gensheimer war mit neun Treffern bester DHB-Schütze. Dennoch war es das Kollektiv, das besonders überzeugte, die deutsche Mannschaft gab einen beeindruckenden Beleg ihrer vielfältigen Fähigkeiten. Schon in den Anfangsminuten purzelten Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Maximilian Janke bei einem Abwehrversuch übereinander, unter ihnen war Vladan Lipovina begraben, der mit sieben Treffern bester Montenegriner war und beim Bundesliga-Aufsteiger Hüttenberg sein Geld verdient. Jedem Akteur mit einem roten Trikot war sofort klar, dass das Torewerfen gegen diese Abwehr schwer wird. Vor allem mit dem riesigen Kerl im Tor dahinter. Andreas Wolff war von der ersten Sekunde an im EM-Modus: "Wir hatten ihre starken Rückraumwerfer mit unserer aggressiven Abwehr sehr gut im Griff", gab er Lob an seine Vorderleute weiter. Was aufs Tor kam, fand dann sehr selten den Weg an ihm vorbei. Bis zum 3:4 hielt das Balkan-Team dagegen, dann entlud sich auch die offensive Wucht der DHB-Auswahl wie eine Lawine über den bedauernswerten Gegner. Auf 13:3 eilte der Europameister davon, ohne dabei große Mühen zu offenbaren. Drei Tore nach mehr als 20 gespielten Minuten, das ist auf diesem Niveau ein vernichtender Wert - für jede Offensive. Denn eine EM ist das unbestritten bestbesetzte Turnier, das der Handball zu bieten hat. Montenegros Trainer Dragan Djukic musste zudem erkennen, dass auch seine Abwehr diesem Gegner wenig entgegenzusetzen hatte. Zunächst versuchte er es mit seiner unorthodoxen und sehr offensiven Variante, die Weber und Steffen Weinhold mit ihren individuellen Fähigkeiten im Eins-gegen-eins-Spiel problemlos zu knacken wussten. "Wir fanden immer Lösungen", erklärte Bundestrainer Prokop, was auch dann zutraf, als Montenegro das Abwehrsystem defensiver ausrichtete. Dafür hat Prokop Shooter wie Julius Kühn, Kai Häfner oder Steffen Fäth im Kader, später bewies noch Paul Drux, mit fünf Treffern zweibester Torschütze, dass er beides kann. Es wirkte fast, als gebe der Kader eine Vorführung seiner enormen Flexibilität, jeder Spieler gab eine Probe seiner Stärken. Nur Hendrik Pekeler, Maximilian Janke und Bastian Roschek gelang kein Treffer, ihre primäre Aufgabe ist ohnehin, Tore zu verhindern. So will es das System des Bundestrainers, dem sich die Spieler unterzuordnen haben: "Die taktische Umsetzung und die Kampfbereitschaft, das sind die tragenden Säulen unseres Spiels". Dann gab Prokop noch zu bedenken, dass außer einem guten Start nichts gelungen sei, bloß nicht abheben. Auch da kann er recht beruhigt sein, bei seinem Personal auf offene Ohren zu stoßen. Patrick Wiencek etwa sagte, dass "wir Katar nicht vergessen haben". Bei der jüngsten WM war Deutschland im Gefühl der eigenen Überlegenheit gegen einen faktisch schwächeren Gegner aus dem Turnier geflogen. Dann sagte der Kreisläufer noch: "Slowenien hat gegen Mazedonien nicht schlecht gespielt."
https://www.sueddeutsche.de/panorama/gewalttat-an-schule-haftbefehl-wegen-mordes-im-fall-luenen-erlassen-1.3838548
mlsum-de-690
Ein 15-Jähriger soll in einer Gesamtschule einen 14-Jährigen erstochen haben. Er war polizeibekannt, galt als aggressiv und unbeschulbar.
Vor der Käthe-Kollwitz-Schule liegen Blumen und Kerzen. Am Tag nach der Gewalttat in Lünen hat der Unterricht planmäßig begonnen. Er soll auch nach Plan enden. Dazwischen liegen aber nicht Deutsch und Mathematik, sondern eine Schweigeminute und lange Gespräche zur Bewältigung des Schocks, wie die Gesamtschule mitteilt. Ein 15-Jähriger soll hier am Dienstag, kurz nach Schulbeginn, einen 14-jährigen Mitschüler erstochen haben. Gegen den Tatverdächtigen wurde am Mittwochnachmittag Haftbefehl wegen Mordes erlassen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Er sitzt nun in Untersuchungshaft. In Lünen ist das Entsetzen über den Messerangriff noch immer groß. "Die Stadt steht unter Schock", sagte Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns am Mittwoch dem WDR. Nach der Vernehmung des 15-Jährigen teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit: Der Jugendliche war offenbar der Meinung, dass seine Mutter von dem 14-jährigen Opfer provozierend angeschaut worden sei. Deshalb habe er das Messer gezückt. Ob der Streit um die angeblichen Blicke zur Mutter tatsächlich das abschließende Tatmotiv war, will die Staatsanwaltschaft nun ermitteln. Der 15-Jährige galt als aggressiv und unbeschulbar. Deshalb habe er vorübergehend eine andere Schule besucht, berichteten Polizei und Staatsanwaltschaft. Wegen einer Sachbeschädigung war er bereits polizeibekannt. Am Dienstag habe er in der Käthe-Kollwitz-Schule zusammen mit seiner Mutter auf einen Gesprächstermin bei einer Sozialarbeiterin gewartet, weil er zurück auf die Gesamtschule sollte. Dabei sei er auf den 14-Jährigen getroffen. Die beiden verband offenbar eine alte Abneigung. Nach der Tat flüchtete der Jugendliche, wurde aber nach kurzer Flucht gefasst. An diesem Mittwoch gab es in allen Schulen und im Lüner Rathaus um zwölf Uhr eine Schweigeminute. Im Rathaus versammelten sich etwa 200 Menschen. In der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule wurde ein Trauerraum eingerichtet und ein Kondolenzbuch ausgelegt. Schon davor haben die Schüler der Schule Gelegenheit bekommen, im Klassenverband mit den Lehrern über das Ereignis zu sprechen. "Den unterrichtlichen Rahmen möchten wir als Schulgemeinde nutzen, um gemeinsam das Erlebte und Geschehene aufzuarbeiten" teilte die Schule auf ihrer Homepage mit. In einem an die Eltern gerichteten Text betonte die Schulleitung, dass die vertrauten Schulstrukturen den Kindern Halt geben. Außerdem stünden Psychologen und Notfallseelsorger jederzeit für Gespräche und andere Hilfen bereit. Vor dem Unterricht fand am Mittwochmorgen eine Lehrerkonferenz an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule statt. Lehrer hätten mit Psychologen beraten, wie man in die Klassen gehe, sagte Lünens Bürgermeister. Die Betreuung der Schüler sei ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit der Tat. Aber er sagt auch: "Wir müssen überlegen, ob dieses Hilfsangebot ausreicht." Darüber wird auch auf anderen Ebenen diskutiert. Der Deutsche Lehrerverband fordert eine breitere Unterstützung im Kampf gegen Gewalt an Schulen. "Schule alleine und auf sich gestellt kann wenig bewirken", sagt Präsident Heinz-Peter Meidinger. Natürlich könne man mit Ordnungsmaßnahmen arbeiten. Es sei aber klar, dass Eltern mit den Lehrern an einem Strang ziehen und die Politik den Lehrern in solchen Fällen Rückendeckung geben müssten. Er forderte "eine Offensive für Werteerziehung in der Gesellschaft und an Schulen". Der Kriminologe Christian Pfeiffer spricht dagegen von einem extremen Ausnahmefall. Alle Statistiken zeigten, dass Gewaltdelikte an Schulen und auch Tötungsdelikte von Jugendlichen extrem rückläufig seien. Daran werde auch die Tat in Lünen nichts ändern, so Pfeiffer. Man werde vermutlich sehr auf den individuellen familiären Hintergrund des mutmaßlichen Täters achten müssen. "Mit der Schule dürfte das wenig zu tun haben, eher mit dem Elternhaus."
https://www.sueddeutsche.de/auto/digitalisierung-auto-google-android-1.4189485
mlsum-de-691
Die großen Tech-Firmen versuchen, mit ihren Sprachassistenten das Auto zu erobern. Je tiefer sie in das Fahrzeug eindringen, desto mehr Kundendaten müssen die Hersteller preisgeben.
Menschen, die mit Autos sprechen. Das ist ungefähr so mühsam, wie ein Pferd zu satteln. Jeder Gaul versteht besser, wo es hingehen soll, als ein Offline-Navigationssystem. Zumal das Tier die Sprachbefehle seines Reiters lernen kann. Noch immer werden Neuwagen mit Spatzenhirnen ausgeliefert, die dümmer sind als Toaster, Wanduhren oder Kühlschränke. Sie stammen aus einer Zeit, als Telefone noch Kabel hatten und Autos unvernetzte Blechbüchsen waren. Gefühlte hundert Jahre später ist "Hey Alexa" zum Schlachtruf der digitalen Revolution geworden: Mehr als 20 000 verschiedene Haushaltsgeräte gehorchen dank des Sprachassistenten aufs Wort, die Konkurrenzprodukte von Google Home oder Apple HomePod nicht eingerechnet. Was mit dem PC begann und in der Hosentasche per Smartphone weiterging, wurde 2014 zum freihändigen Surfen in Küchen, Kinder- und Wohnzimmern. Im März dieses Jahres zählten Experten mehr als 30 000 Funktionen, die sich mit Alexa steuern lassen - intuitiver und präziser als fast jedes Auto. Deshalb will Amazon jetzt auch einen CarPod auf den Markt bringen; entsprechende Produkte von Alibaba, JD.com und Baidu gibt es bisher nur in China. Eroberungsversuche des Autos per (Smartphone)-Apps von Android Auto oder Apple Carplay waren bislang wenig erfolgreich. Google Maps ist zwar immer noch das beste Kleinprogramm, um in Echtzeit durch verstaute Städte zu navigieren. Beliebt sind auch Onlineradios, doch die meisten Apps wirken auf dem Zentralbildschirm im Fahrzeug dröge oder sind gar nicht zugelassen, weil sie den Fahrer zu sehr ablenken könnten. Richtig nützlich wäre ein Sprachassistent, der nicht nur mit den Passagieren, sondern auch mit der Fahrzeugtechnik kommuniziert: Mit der Klimatisierung und dem Licht im Innenraum oder mit dem Discjockey, dem Telefon und dem Navigationssystem. In der neuen Mercedes A-Klasse ist die natürlichsprachliche Vernetzung weit gediehen: Sobald das Wort Mercedes ausgesprochen wird, meldet sich die Assistentin zum Dienst. Während das alte Command-System Einwürfe noch ignorierte und vom genervten Fahrer feste Eingaben forderte, versteht die neue Linguatronic die Frage "Scheint die Sonne morgen in Hamburg?" genauso gut wie "Wird das Wetter morgen schön?" Auch die Antworten sind abwechslungsreicher, als man es von Maschinen gewohnt ist. "Wir können nicht alles selbst erfinden" "Innovation und Partnerschaften sind der Schlüssel zur Digitalisierung", sagt Sajjad Khan, der die Elektronikentwicklung bei Daimler leitet: "Wir können nicht alles selbst erfinden, aber wir müssen auch nicht alles weggeben." Damit meint er die Kundenschnittstelle, die Daten aus dem Fahrzeug und die darauf aufbauenden Geschäftsmodelle, von denen sich die Autohersteller eine neue Einkommensquelle versprechen. "Trotzdem wollen wir nicht die Elektronikkomponenten neu erfinden, die es schon auf dem Markt gibt", erläuterte Khan auf dem Elektronikkongress 2018 in Ludwigsburg. Um die MBUX (Mercedes-Benz User Experience, englisch für Nutzererlebnis) in nur zweieinhalb Jahren zur Serienreife zu bringen, hat Daimler unter anderem Hochleistungs-Chips von Nvidia integriert, die brillante 3D-Grafiken in Echtzeit berechnen. Neue Bilder und Funktionen können jederzeit per Update über die Luftschnittstelle nachgereicht werden. Vernetzung ist auch bei der Linguatronic der Schlüssel zum Erfolg: Harman, der Spezialist für Infotainmentsysteme, und der Sprachexperte Nuance verarbeiten Wortmeldungen sowohl an Bord als auch per Server in der Cloud. Wo Großrechner die Daten mit dem Wissensvorrat des gesamten Internets vergleichen können, lässt sich trefflich über den Sinn des Lebens streiten. Mit freien Fragen und schlagfertigen Antworten will BMW im neuen 3er ab dem nächsten Jahr punkten. Bleibt abzuwarten, wie viel von der neuen Diskutierfreude übrig bleibt, wenn während der Fahrt keine Onlineverbindung mehr verfügbar ist. Anders als die Sprachassistenten der Techkonzerne sollen die hybriden Systeme der Autohersteller auch in Funklöchern weiter funktionieren. Zum Beispiel auf Zuruf die Komforteinstellungen im Auto ändern. Außerdem sollen sich die intelligenten Assistenten mit den Vorlieben ihrer Passagiere genauso gut auskennen wie mit den technischen Details im Fahrzeug. Das ist nützlich, wenn man bei Warnhinweisen im Cockpit nicht in der Betriebsanleitung nachschlagen will.
https://www.sueddeutsche.de/sport/tsv-1860-im-abstiegskampf-singen-statt-siegen-singen-statt-reden-1.2778245
mlsum-de-692
Nach dem miserablen 1:3 gegen Heidenheim dürfen die Münchner Löwen keine Interviews mehr geben, stimmen aber gemeinsam an: "Lasst uns froh und munter sein!"
So ganz, wie sie sich das vorstellen, klappt es derzeit nie bei den Sechzigern: Um Punkt 18.60 Uhr sollte am Samstagabend Anstoß beziehungsweise Ansingen beim dritten Adventssingen der Münchner Löwen im Stadion an der Grünwalder Straße sein. Tatsächlich begonnen hat es dann um 19.03 Uhr, also 18.63 Uhr - mit dem "Sechzger Marsch", den Trainer Benno Möhlmann und seine Spieler vor den Fans angestimmt haben. Was ja schon eine etwas seltsame Situation in diesen Tagen ist, in denen die Spieler keine Interviews geben sollen. Das Giesinger Kontrastprogramm lautet: singen statt reden. Es ist eine eigene Art, mit einer bislang äußerst schwachen Saison umzugehen. Noch skurriler wird es dann, als Möhlmann, sein Team, eine Blaskapelle und ein paar Hundert Anhänger lächelnd im Kerzenschein das zweite Lied des Abends anstimmen: "Lasst uns froh und munter sein!" Zur Erinnerung: Der TSV 1860 München ist aktuell Vorletzter der 2. Bundesliga, sein Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz beträgt fünf Punkte, am Freitagabend spielte der Knabenchor des TSV richtig schlecht gegen den FC Heidenheim und verlor 1:3. Froh und munter dürften im Umfeld der schon wieder stark abstiegsbedrohten Münchner Löwen aktuell nicht mehr viele sein. Wieder verlor die Mannschaft ein Heimspiel, wieder wäre der Gegner schlagbar gewesen (wie in der Vorwoche der FSV Frankfurt) und wieder hat es der TSV 1860 dem Gegner durch eigene Fehler leicht gemacht. "Klare taktische Fehler - das darf nicht passieren" Ganz besonders gewurmt hat die Pleite Trainer Benno Möhlmann. Als ihn am Samstagvormittag vor dem Training ein Anhänger fragt, ob er sie denn schon verdaut habe, schaut Möhlmann in den Boden und knurrt: "Ne, noch nicht." Es hat gebrodelt im 61-Jährigen nach der Pleite, und es brodelt noch nach: "Die ersten beiden Tore sind durch klare taktische Fehler aufgetreten. Das darf nicht passieren", sagt er zerknirscht. Zweimal - jeweils zu Beginn der Halbzeiten - ließen seine Spieler die Heidenheimer frei durchlaufen, zweimal schlossen die stark ab, erst stand es 0:1, dann 1:2. "Wir müssen auf dem Platz enger zusammenrücken. Da muss man sehen, das ist ein Team, das mit allem was ihm zur Verfügung steht, die Liga halten will. Und das fehlt mir", sagt Möhlmann. Er zieht die Zügel an, beließ es am Samstag nicht beim obligatorischen Auslaufen. Ein Teil des Teams absolvierte eine Trainingseinheit am Morgen. Eine Standpauke hat er seiner Mannschaft aber nicht gehalten: "Die Jungs sind selber enttäuscht." Zögernd fügt er an: "Sie sind mental nicht auf der Höhe." Vorletzter! Was hilft da das Pokal-Achtelfinale? Anfangs zeigten die Löwen am Freitagabend noch Gegenwehr, kamen zum Ausgleich durch Rubin Okotie, in Halbzeit zwei ließen sie diese jedoch komplett vermissen - es war eine Offenbarung der Schwäche. Möhlmann musste sich erst einmal sammeln: "Ich habe gehofft, dass wir uns vielleicht in den beiden vergangenen Heimspielen von den direkten Abstiegsplätzen befreien können." Es hat nicht geklappt. Auch der neue und vor allem zweitligaerfahrene Coach vermag derzeit ein altes Problem der Sechziger nicht lösen: Sie sehen nur gegen spielerisch stärkere Gegner gut aus, gegen gleichwertige oder vermeintlich schlechtere blamieren sie sich immer wieder. Einem Tabellenvorletzten hilft es dann auch nicht viel, dass er zwei Bundesligisten (Hoffenheim und Mainz) aus dem DFB-Pokal gekickt hat und am Mittwoch das Achtelfinale gegen Bochum bestreitet - wenn er null Punkte gegen die direkten Liga-Konkurrenten Heidenheim und Frankfurt holt. Es hapert gewaltig. Aber es ist ja nicht so, dass es bei den Sechzigern nur an denen hapert, die da sind. Es hapert auch an denen, die (noch) nicht da sind. Möhlmann selbst weiß noch nicht, ob er im Winter Verstärkung für den Kader bekommt. Er glaubt fest daran, zwei bis drei Neuverpflichtungen zu tätigen. Sicher ist aber noch kein Transfer. Und wie lange das dauert mit den Zugängen beim TSV 1860, davon weiß Möhlmanns Vorgänger Torsten Fröhling das ein oder andere Lied zu singen. Er musste im Sommer wochenlang auf eine neue Offensivkraft warten: Michael Liendl kam dann kurz vor dem Einkaufsschluss aus Düsseldorf, seine Integration dauerte noch einmal Wochen. Möhlmann sagt schon mal vorsichtshalber: "Ich kann nicht versprechen, dass wir alles umsetzen." Dass gewisse Dinge geändert werden müssen, wüssten jedoch alle im Verein, und "wenn wir Neuverpflichtungen machen, brauchen wir da einfach Erfahrung, Typen". Typen, die den Münchner Knabenchor anführen sollen - also noch mehr Liendls. Und die benötigen sie dringend, sonst scheint die Negativserie schwer umzukehren zu sein. Den Sechzigern sollte daher ein Lied des Adventssingens Mahnung genug sein: "Es wird scho' glei' dumpa." Finster ist's beim Löwen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/gesundheit-rezeptur-mit-unbekannten-nebenwirkungen-1.884402
mlsum-de-693
Das vorliegende Konzept von Regierung und Opposition ist unausgewogen und bedeutet den Anfang vom Ende des Solidarprinzips.
(SZ vom 25.07.2003) Kaum eine Woche ist vergangen, seit die Ministerin Ulla Schmidt (SPD) und der Verhandlungsführer der Union, Horst Seehofer, ihre Eckpunkte für die Gesundheitsreform präsentiert haben, voll des Lobes für ihr Werk. Doch weil die Kritiker nicht verstummen wollen, wird schon über Korrekturen nachgedacht. Nur ein Euro Praxis- oder Krankenhausgebühr für die Ärmeren unter den Versicherten und nicht mehr zehn? Müssen diese Patienten dann Steuererklärung oder Rentenbescheid vor der Sprechstundenhilfe ausbreiten, damit die Gebühr korrekt kassiert werden kann? Es bleibt dabei: Das Eckpunktepapier mag die größte Gesundheitsreform in der jüngeren Sozialgeschichte einleiten - um bei den Worten Seehofers zu bleiben -, vom Superlativ der besten Reform ist sie weit entfernt, und das nicht nur wegen der überbordenden Bürokratie. Der Entwurf bedeutet den Anfang vom Ende des Solidarprinzips. Bismarcks Sozialgesetze, die ersten der Welt, die soziale Gerechtigkeit schufen und sicherten, gelten im 21. Jahrhundert als veraltet, ungerecht und nicht mehr finanzierbar. Sind sie das? Die Reform der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen haben Regierung und Opposition auf unbestimmte Zeit verschoben, doch nur eine solche Reform kann das Solidarprinzip modernisieren und auf eine breite Basis stellen, etwa mit einer Bürgerversicherung. Sie lässt sich nicht von der Reform der Ausgaben trennen. Wettbewerb am falschen Platz Ob die Politik, trotz anders lautender Beschwörungen, nach diesem Konsenspapier die Solidarität verteidigen wird, ist jedoch fraglich. Die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird beim Krankengeld und beim Zahnersatz bereits aufgehoben. Mit welchen Argumenten will man künftig verhindern, dass weitere Kapitel aus dem Leistungskatalog gestrichen werden, Zahnbehandlung oder Freizeit-Unfälle zum Beispiel? Die Kassen werden mit dem Entwurf noch stärker den Privatversicherungen angeglichen, sei es mit flexibler Tarifgestaltung, mit Bonussystemen und Beitragsrückzahlungen. Dies aber widerspricht der solidarischen Finanzierung. Man macht sie zur Randerscheinung mit einem immer wirtschaftlicheren Konzept, mit der Förderung von Wettbewerb, mit dem sich die 350 Kassen - und an ihrer Zahl wird nicht gerüttelt - angesichts des Einheits-Leistungskatalogs schwer tun. Dort aber, wo Wettbewerb dem Markt gut täte, wird er zu wenig angeregt, zwischen den Ärzten zum Beispiel. Die Möglichkeit, Einzelverträge zwischen Ärzten und Kassen abzuschließen, fehlt fast völlig in dem Entwurf, obwohl von den Sachverständigen-Kommissionen genügend Vorschläge gemacht wurden, dies einzuführen, ohne ein Versorgungschaos auszulösen oder die freie Arztwahl einzuschränken. Regierung und Opposition haben eine Reform geschaffen, bei der sich die Waagschale mit den guten Gaben auf die Seite der Anbieter im Gesundheitswesen neigt, und sie haben dafür ihre Versprechen vergessen, beim Zahnersatz zum Beispiel wurden der Kanzler und Seehofer wortbrüchig. Die Pharmaindustrie muss sich am 23-Milliarden-Sparpaket nur mit einer Milliarde Euro beteiligen, die Apotheker werden einem ganz sanften Wettbewerb ausgesetzt, Internethandel und Apothekenfilialen werden streng reglementiert. Die Ärzte kommen mit einer Honorar-Nullrunde 2004 davon, in fast allen übrigen Streitpunkten haben sie ihren Willen durchgesetzt. Es bleiben die Versicherten. Ihnen haben Regierung und Politik die größte Last zugedacht, mehr als 18 Milliarden Euro. Die Summe der Zuzahlungen für jeden Einzelnen, das wurde bereits ausgerechnet, wird voraussichtlich das Geldgeschenk aus der Steuerreform aufzehren. Sicher, Zuzahlungen und Selbstbehalte sind notwendig, um das defizitäre Gesundheitssystem am Leben zu erhalten. Sie sind wichtig, weil sie Selbstbedienung verhindern, also steuernd in das System eingreifen können. Auch wenn die Zuzahlungen wie schon bisher zwei Prozent des Bruttogehalts -ein Prozent bei chronisch Kranken - nicht übersteigen werden: Diese Zuzahlungen werden ohne Augenmaß, ohne Gerechtigkeitssinn und ohne politischen Verstand verordnet, auch wenn Ulla Schmidt mit Härtefallregelungen nachbessern will. Sie verdrehen den Solidargedanken ins Gegenteil, weil Kranke für die Gesunden zahlen müssen. Sie überfordern jene, die nicht so viel verdienen: Zehn Euro Praxisgebühr im Quartal, ohne Überweisung bei jedem Arzt. Zehn Euro täglich im Krankenhaus, 28 Tage lang. Zehn Prozent für jede medizinische Leistung, wobei - wie vieles im Eckpunktepapier - noch unklar ist, was dies bedeutet. Fünf bis zehn Euro Zuzahlung bei Medikamenten. Arzneien, die nicht verschreibungspflichtig sind, werden nicht mehr erstattet, künstliche Befruchtung, Brillen oder Taxi-Fahrtkosten stark eingeschränkt, Sterbegeld, Entbindungsgeld, Sterilisation gestrichen, das Mutterschaftsgeld über die noch sehr vagen Einnahmen einer höheren Tabaksteuer finanziert. Dazu kommen Krankengeld und Zahnersatz. Für 7,50 Euro, wie es zunächst hieß, wird die Versicherung des Zahnersatzes nicht zu haben sein, das steht fest. Positivliste im Reißwolf Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Rezeptur sind noch nicht abzusehen. Mag sein, dass einige Versicherte das teure Ärzte-Hopping aufgeben, dass manche überflüssigen Arzneien und Hilfsmittel nicht mehr verlangt werden. Es kann aber geschehen, dass notwendige Arztbesuche aus Kostengründen unterbleiben oder die Prävention beim Zahnarzt. Die Patienten haben zu wenig Chancen, Kosten zu steuern, sie werden einfach abkassiert. Die Arztquittung gibt es nur auf Wunsch. Befürchtet wird, dass Ärzte künftig statt der billigen rezeptfreien Medikamente teure rezeptpflichtige Arzneien verordnen, solche Ausweichmanöver jedenfalls gab es in der Vergangenheit. Das geplante Qualitäts-Institut unter Leitung der Selbstverwaltung wird keine Kosten-Nutzen-Analysen von Arzneien vornehmen, die Positivliste wandert wie schon in den neunziger Jahren in den Reißwolf. Die positiven Kapitel des Entwurfs - die bessere Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten, die Gründung von Gesundheitszentren nach dem Vorbild der DDR-Polikliniken zum Beispiel - können die Reform nicht retten. Noch ist nicht einmal klar, ob die Versicherten wenigstens in den Genuss von Beitragssenkungen kommen werden, obwohl Ulla Schmidt dies durchsetzen will. Die Kassen pochen darauf, erst einmal ihre Schulden in Höhe von mindestens sieben, vielleicht auch zehn Milliarden Euro zu tilgen. Noch ist nicht klar, ob wirklich 23 Milliarden zusammengekommen werden. Welche Einbußen etwa bedeutet die Härtefallregelung. Schon heute sind fünfzig Prozent der Patienten von Zuzahlungen befreit. Vorgelegt wurde eine Reform, in der das Wichtigste versäumt wurde: die Unter-, Fehl- und Überversorgung im Gesundheitswesen zu beheben. Was der Sachverständigenrat vor Jahren gefordert hat, wurde von Regierung und Opposition vergessen. Ein großer Teil der 23 Milliarden wäre vorhanden, würde man allein die medizinische Versorgung in den Alten- und Pflegeheimen verändern. Drei Beispiele: Die Behandlung von Heimbewohnern nach einem Sturz verschlingen jährlich fünf Milliarden Euro, meist handelt es sich um Oberschenkelhalsbrüche. Sturzprophylaxe durch Bewegungstraining oder Hüftprotektoren findet aber nicht statt. Der Hüftschutz, der etwa 60 Euro kostet, verhindert nach Studien in fünfzig Prozent der Fälle eine Verletzung. Im Leistungskatalog der Kassen steht er nicht. Dekubitus-Prophylaxe wird von den Kassen nicht bezahlt. Ob sich das mit der Reform der Pflegeversicherung ändert, ist ungewiss. Die Behandlung eines Dekubitus-Patienten kostet zwischen 25000 und 45000 Euro, 2,6 Millionen Menschen erkranken jährlich an solchen Druckgeschwüren, 10000 sterben. Arzneien, auch Psychopharmaka zum Ruhigstellen, werden in Heimen reichlich verschrieben, in manchen Stationen für 30000 bis 125000 Euro. Verschwendung in Höhe von vielen Milliarden und immer zum Schaden von hilflosen Menschen: Die Gesundheitsreform ändert nichts daran. Auch das hat etwas zu tun mit dem langsamen Abschied von der Solidarität.
https://www.sueddeutsche.de/politik/malawi-peter-mutharika-der-verschwundene-praesident-1.3207046
mlsum-de-694
Dass sich manche afrikanische Staatschefs gerne teure Auslandsaufenthalte leisten, ist nicht neu. Doch Peter Mutharika aus Malawi fehlt schon knapp einen Monat. Seine notleidende Bevölkerung wird unruhig.
Anfangs hat sich keiner etwas dabei gedacht. Ein paar Tage Urlaub an eine Dienstreise dranhängen: wer tut das nicht, gerade wenn der dienstliche Termin in New York stattfindet? Doch die paar Tage dauern nun schon fast einen Monat, so langsam machen sich die Menschen in Malawi Sorgen. Ihr Präsident, der Mitte September zur UN-Generalversammlung nach New York aufgebrochen war, ist offenkundig verloren gegangen. Bis heute ist Peter Mutharika nicht wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Zum letzten Mal gesehen haben ihn die Malawier, als er seine Rede vor der Generalversammlung hielt, das war am 20. September. Seither ist der 76-Jährige, der das Land im Südosten Afrikas seit 2014 regiert, verschwunden - und in seinem Land brodelt es. Ist Mutharika krank? Lässt er sich in den guten amerikanischen Krankenhäusern behandeln? Oder macht er nur Urlaub auf Staatskosten, bei seinen in den USA lebenden Kindern? Nun ist es nicht so, dass im kleinen Malawi gerade nichts los wäre. Die Dürre, die das Wetterphänomen El Nino in Teilen Afrikas auslöste, hat hier zu einer schweren Hungersnot geführt. Die Regierung hat eigentlich alle Hände voll zu tun. Was macht da der Staatschef so lange im Ausland? Ganze drei Wochen nach dem Verschwinden gab die malawische Regierung ein Statement heraus: Er nehme an wichtigen Meetings in den USA zum Wohle aller Malawier teil, dafür sei während der UN-Generalversammlung nicht genug Zeit gewesen. Und: Der Präsident sei bei bester, robuster Gesundheit. Wer anderslautende Gerüchte verbreite, mache sich strafbar. Man kann es den Malawiern nicht verdenken, dass sie sich von der Mitteilung nicht abspeisen lassen. Erst 2012 war Mutharikas Vorgänger (und Bruder) an einem Herzinfarkt gestorben. Vom Tod erfuhren die Malawier allerdings erst Tage später. #BringBackMutharika Noch nehmen sie es mit Humor: Auf Twitter fahnden sie nach ihrem Präsidenten, unter dem Hashtag #BringBackMutharika posten sie Ideen, wo er stecken könnte. Hi President Obama @POTUS, President Mutharika of #Malawi came to the US for #UNGA but has gone missing Please help #BringBackMutharika — Idriss Ali Nassah (@mynassah) 30. September 2016 Peter Mutharika ist nicht der einzige afrikanische Staatschef, der ohne Ankündigung wochenlang verschwindet. Einige Präsidenten des Kontinents verbringen erstaunlich wenig Zeit in dem Land, das sie regieren. Statt sich um die Probleme zu Hause zu kümmern, nutzen sie lieber die Möglichkeit, dem Elend mit Hilfe von Regierungsressourcen zu entfliehen. Die Betagten unter ihnen reisen gerne nach Paris, Deutschland oder die Schweiz, um sich medizinisch behandeln zu lassen - den maroden Gesundheitssystemen in ihren eigenen Ländern vertrauen sie in der Regel wenig. So ließ sich Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita dieses Frühjahr in der Nähe von Paris operieren; in den vergangenen Jahren unterzogen sich auch seine Kollegen aus Gabun und der Elfenbeinküste medizinischen Eingriffen in Frankreich. Immerhin: Sie informierten die Menschen zu Hause über den Grund ihrer Abwesenheit. Kameruns Präsident Paul Biya, 83 Jahre alt und seit mehr als drei Jahrzehnten Staatschef, verbringt mehr als die Hälfte des Jahres in der Schweiz. Genauer: im teuren Hotel Intercontinental in Genf. Die Kameruner erfahren meist erst nach seiner Rückkehr, warum ihr Präsident über Wochen abwesend war. Meist lautet die knappe Mitteilung: "Familienangelegenheiten". Biyas Frau Chantal verbringt in dem Hotel noch mehr Zeit als er, seine Kinder sind in der Schweiz zur Schule gegangen. Auch Biya nutzte die Gunst der Stunde und hängte an die Reise zur UN-Generalversammlung noch eine Woche in Genf dran. Mugabe: Ich war tot und bin wiederauferstanden Reiselustig ist auch Robert Mugabe, 92. Der simbabwische Präsident (inzwischen der älteste Staatschef der Welt) verschwindet häufig nach Singapur, um sich ärztlichen Rat zu holen. An diese teuren Trips sind die Simbabwer schon gewöhnt. Als der Präsident aber Anfang September wieder einmal verschwunden war und die Online-Flugverfolgung zeigte, dass seine Maschine Dubai statt Singapur ansteuerte, brodelte die Gerüchteküche. Warum Dubai, warum heimlich? War der Präsident so schwer krank, dass er es nicht nach Singapur geschafft hat? Wenn Staatschefs alle Macht in ihren Händen konzentrieren, entscheiden solche Fragen über das Schicksal eines ganzen Landes. Wenige Tage später landete ein quicklebendiger Mugabe in Simbabwe. Er hätte in Dubai Familienangelegenheiten zu regeln gehabt, erzählte er Reportern freimütig am Flughafen. Und ja, er sei tot gewesen, aber dann wiederauferstanden - "wie ich es immer mache". Ob auch der malawische Präsident über solche Fähigkeiten verfügt, muss sich zeigen. Zumindest gibt es inzwischen einen Termin für seine Rückkehr: Am kommenden Sonntag um 13 Uhr soll er in der Hauptstadt landen, kündigte die Regierung vor wenigen Tagen auf Facebook an.
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mlsum-de-695
Niko Kovac trifft auf seinen neuen Arbeitgeber, ein Boateng-Bruder auf den anderen: Eintracht Frankfurt steht dank eines 1:0-Siegs gegen Schalke 04 erneut im DFB-Pokal-Finale.
Das wird ein paar aufregende Begegnungen geben am 19. Mai im Berliner Olympiastadion. Der Trainer Niko Kovac trifft auf seinen künftigen Klub, der Angreifer Kevin-Prince Boateng auf seinen Bruder Jérôme, und droben auf der Tribüne der Funktionär Fredi Bobic auf den Funktionär Uli Hoeneß. Da dürfte es funken und blitzen. Nicht begegnen werden hingegen Hoeneß seinem Schalker Freund Clemens Tönnies, der Schalker Mittelfeldmann Leon Goretzka seinem künftigen Arbeitgeber und der Schalker Abwehrspieler Naldo jenem Pokal, den er 2009 mit Bremen und 2015 mit Wolfsburg gewann. Schöne Geschichten liefert der DFB- Pokal ja immer, und so wird es auch im Finale sein, in dem Eintracht Frankfurt auf den FC Bayern München trifft. Nach der 1:2-Niederlage im Vorjahr gegen Borussia Dortmund stehen die Frankfurter zum zweiten Mal nacheinander im Endspiel. Die Hessen haben am Mittwochabend im Halbfinale den Gastgeber Schalke 04 äußerst mühsam mit 1:0 (0:0) besiegt und ihrem scheidenden Trainer Kovac zum nahenden Abschied eine große Freude gemacht. Kovac darf es in Berlin mit seinen künftigen Bayern aufnehmen und die Boatengs miteinander. Der "Prince von Frankfurt" hatte vor dem Halbfinale gegen Schalke bereits tüchtig gestänkert und seine zwei Jahre dort als "Faustschlag ins Gesicht" abgetan. Natürlich haben die Schalker Fans ihn dafür ordentlich ausgepfiffen, das gehört im Fußball zum guten Ton. Die Fangruppen beiderseits diktierten den Spielauftakt mit ihren Gesängen, sie waren damit durchaus emotionaler als die Spieler drunten auf dem Feld mit ihrer ausgeprägten Positions- und Taktiktreue. Während Kovac seinen Pulli lässig über die Schultern geworfen hatte, quittierte sein Gegenüber Domenico Tedesco jede Aktion seiner Spieler mit erhobenen Daumen (gelungene Aktion) oder Applaus (misslungene Aktion) und hatte abwechselnd damit ganz schön zu tun. Strafraumszenen waren rar, im Mittelfeld war die Partie heftig umkämpft. Beide Trainer übten parallel auch die Fachkonversation mit dem vierten Offiziellen Robert Kampka; erstmals brisant wurde das Spiel in der 32. Minute. Da fälschte Frankfurts David Abraham zunächst einen Daniel-Caligiuri-Schuss ganz knapp neben das Tor ab, und nach der darauffolgenden Ecke parierte Eintracht- Torwart Lukas Hradecky sehr ansehnlich einen Kopfball von Guido Burgstaller. Kovacs Pulli hing schon auf Halbmast In der 41. Minute steckte das Frankfurter Trainerteam die Köpfe zusammen, während sich Mijat Gacinovic das Trikot überzog. Er ersetzte zwei Minuten vor der Pause den humpelnden Boateng, aber er brachte vorerst keine zusätzlichen Drehmomente in den mauen Frankfurter Frontantrieb. Nach genau einer Stunde schlug Jetro Willems die erste Eintracht-Ecke in den Strafraum - ohne Wirkung. Der überragende Torwart Hradecky hielt die Frankfurter im Spiel, als er artistisch gegen Burgstaller (67.) und Jewgeni Konopljanka (68.) rettete. Nun war aber endlich Zunder im Spiel, und das Ticket ins Endspiel lösten die Frankfurter durch eine Sternstunde des Stürmers Luka Jovic, der in der 75. Minute eine Ecke von Jonathan de Guzman im Sprung mit der Hacke ins lange Eck des Schalker Tors verlängerte. Der Pulli von Niko Kovac hatte schon ein bisschen auf Halbmast gehangen, als der Trainer eine Viertelstunde vor Schluss unverhofft jubeln durfte. Kovac selbst und auch der Manager Bobic hatten gerade nach der Niederlage in Leverkusen die Moral der Mannschaft wiederholt gelobt, und an diesem Mittwochabend sollte sich zeigen, dass sie damit so ganz falsch nicht gelegen haben. Aus einem Spiel ohne eigene Chancen ging die Eintracht als Sieger hervor. Schalker Jubel in der Nachspielzeit erstarb, als ein vermeintliches Tor von Di Santo strittigerweise abgepfiffen wurde. "Für genau so eine Situation wurde der Videobeweis eingeführt", sagte Leon Goretzka verständnislos. Den Frankfurtern war das herzlich egal. "Heute war es einfach eine Willensleistung", sagte Eintracht-Sportchef Fredi Bobic erleichtert in der ARD. Für die Frankfurter ergibt sich nun die Option, erstmals seit 1988 wieder im Pokal zu triumphieren. Dass sie zuletzt 1:4 bei jenen Leverkusenern verloren hatten, die im Pokal 2:6 gegen München untergingen, müssen sie am 19. Mai irgendwie aus den Köpfen bringen. Sonst laufen sie in Berlin gar noch mit Furcht auf. Niko Kovac wird das gewiss zu verhindern versuchen. Er will den Münchnern doch noch mal zeigen, was für einen Trainer sie da verpflichtet haben.
https://www.sueddeutsche.de/karriere/neue-urteile-recht-so-1.3751989
mlsum-de-696
Ist eine Vereinbarung rechtens, die festlegt, dass ein Bonus für Betriebstreue erst nach fünf Jahren in der Firma ausgezahlt wird? Darf der Betriebsrat mitreden, wenn es um Gegenmaßnahmen zur Überlastung des Personals in einem Krankenhaus geht?
Treuebonus muss gezahlt werden. Eine Bonusvereinbarung für Betriebstreue ist unwirksam, wenn sie Arbeitnehmer in ihrer Freiheit einschränkt. In einer Firma hatten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einen Treuebonus geeinigt, der jedes Jahr angespart, aber erst nach fünf Jahren Betriebstreue ausgezahlt werden sollte. Kündigt ein Mitarbeiter vor Ablauf der fünf Jahre, sollte der Bonus entfallen. Ein Mitarbeiter kündigte, weil er über mehrere Monate keinen Lohn erhalten hatte. Zum Zeitpunkt der Kündigung war er noch keine fünf Jahre im Betrieb. Ein Anrecht auf den Treuebonus habe er damit nicht, argumentierte der Arbeitgeber. Der Mann klagte dagegen vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg - mit Erfolg. Bis zur Kündigung habe er sich betriebstreu verhalten, so die Richter. Die Bindung der Zahlung an einen Stichtag, der im Extremfall fünf Jahre nach Entstehen des Anspruchs liege, benachteilige den Mann unangemessen. Er sei in seiner Berufsfreiheit eingeschränkt. Außerdem unterscheide die Vereinbarung nicht nach Kündigungsgrund: Der Kläger habe gekündigt, weil der Arbeitgeber seiner Lohnzahlungspflicht nicht nachgekommen sei. Der Verlust des Treuebonus sei daher unangemessen. (Az.: 3 Sa 426/15) Betriebsrat darf mitreden. Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Mitarbeiter vor Überlastung zu schützen. Das hat das Arbeitsgericht Kiel entschieden. Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, mit wie vielen Pflegekräften eine Klinikstation mindestens besetzt sein muss. Obwohl drei Gutachten festgestellt hatten, dass die physische und psychische Belastung des Personals eine kritische Grenze erreicht hatte, konnten sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht auf eine Regelung einigen, um das Problem zu lösen. Daher entschied eine Mehrheit einer eingesetzten Einigungsstelle, für bestimmte Belegungssituationen eine Mindestzahl von Pflegekräften vorzuschreiben. Der Arbeitgeber sah dadurch seine Entscheidungsfreiheit eingeschränkt und zog vor Gericht - erfolglos. Der Spruch der Einigungsstelle sei rechtmäßig, so das Arbeitsgericht. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beziehe sich auch auf Regelungen zum Gesundheitsschutz, inklusive Schutzmaßnahmen bei konkreten Gefährdungen. (Az.: 7 BV 67c/16)
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/boom-bei-windraedern-stuermische-zeiten-1.3367630
mlsum-de-697
Weil die Förderung umgestellt wird, haben viele Firmen in letzter Minute neue Projekte genehmigen lassen. Nun werden wohl Tausende Windräder zusätzlich gebaut - und die Verbraucher zahlen jedes einzelne mit.
Keine acht Monate ist es her, da demonstrierte die Windbranche in Berlin. "Warnminute 5 vor 12", lautete das Motto der Proteste im Mai, "Energiewende retten!" Ein neues Gesetz war in Arbeit, es sollte die Förderung der Windparks komplett umstellen. Die Windmüller wähnten ihr Ende. Doch es kam anders. Denn offensichtlich führt die Umstellung der Förderung in nächster Zeit zum schieren Gegenteil. Weil um 5 vor 12 noch besonders viele neue Windparks genehmigt wurden, werden nicht weniger, sondern mehr neue Windräder gebaut. Die Pipeline, so gab Energie-Staatssekretär Rainer Baake jetzt beim SZ-Führungstreffen Energie in Essen bekannt, umfasse satte 8500 Megawatt. Das entspricht mehr als 2000 neuen Windrädern oder der Leistung von sechs Atomkraftwerken. "Wir bewegen uns am oberen Rand der Ausbaukorridore", sagt Baake. Die Koalition hatte ursprünglich bis 2025 einen Ökostrom-Anteil von 40 bis 45 Prozent angepeilt. Experten schließen nicht aus, dass der Anteil von Wind, Sonne und Co bis dahin sogar über den 45 Prozent liegen könnte. Derzeit sind es knapp 30 Prozent. Auch für die Branche ist der Jammer vom vergangenen Mai mittlerweile vergessen. "Wir können zufrieden sein", sagt Hermann Albers, Chef des Wind-Verbands BWE. Insgesamt habe sich der Zubau stabilisiert und konzentriere sich nicht mehr allein auf die windreichen Regionen des Nordens. Das legen auch neue Zahlen der Branche nahe. Demnach wurden im vorigen Jahr bundesweit knapp 1300 neue Windräder angeschlossen, mit einer Gesamtleistung von 4260 Megawatt - der zweitbeste Wert in der Geschichte, nur 2014 wurden mehr Windräder errichtet. Neben den Küstenländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein legte die Windkraft aber auch im Hinterland zu, etwa in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Thüringen. Bundesweit drehen sich mittlerweile 27 000 Windräder mit einer Gesamtleistung von 46 000 Megawatt. Im laufenden Jahr dürfte nun der nächste Rekord folgen. "Wir erwarten für 2017 einen Bruttozubau zwischen 4500 und 5000 Megawatt", sagt Matthias Zelinger, Geschäftsführer des Maschinenbau-Verbands VDMA Power System. "Es können aber auch mehr sein." Schließlich gebe es ja auch Vorzieheffekte. "Es war klar, dass es einen Run geben wird", so Zelinger. Allerdings hat die Branche den Run unterschätzt: Ihre Zahlen basieren auf Last-Minute-Genehmigungen im Umfang von 6100 Megawatt. Die restlichen 2400 Megawatt müssen in der allerletzten Minute hinzugekommen sein, womöglich auch wegen eifriger Behörden in Bundesländern, in denen Grüne mit an der Regierung sind. Wer noch eine Genehmigung erhalten hat, steht nun allerdings vor einer schwierigen Entscheidung. Denn er kann nach alten oder neuen Vorgaben bauen. Er hat also die Wahl zwischen den gesetzlich vorgegebenen Vergütungssätzen, wie sie bis Ende vorigen Jahres galten - oder dem neuen Verfahren, per Ausschreibung. Für jedes Windrad zahlen die Verbraucher mit Erstmals zum 1. Mai können sich Betreiber hier mit ihren Projekten beteiligen. Den Zuschlag erhält, wer zu den niedrigsten Fördersätzen baut, der Rest geht leer aus. Die Gesamtmenge je Ausschreibungsrunde ist begrenzt. Für die Betreiber ist es ein Pokerspiel: Setzen sie auf das alte Förderregime, müssen sie sich nämlich beeilen. Erstens muss der genehmigte Windpark bis Ende 2018 am Netz sein. Zweitens schmilzt die Förderung schnell dahin. Wer etwa diesen Februar den ersten Strom einspeist, erhält dafür noch mehr als acht Cent je Kilowattstunde. In einem Jahr sind es 7,5 Cent, Ende 2018 7 Cent. Ein Cent Unterschied bei der Förderung, das macht je Windrad um die 50 000 Euro aus - im Jahr. Wie viele der Projekte deshalb tatsächlich nach den alten Fördersätzen gebaut werden, wie viele stattdessen ihr Glück in Ausschreibungen suchen - niemand weiß es. Noch bis Ende dieses Monats haben die Betreiber Zeit, sich zu entscheiden. "Ich vermute, dass die Genehmigungen am Ende auch genutzt werden", sagt Wind-Verbands-Chef Albers. "Alle werden bemüht sein, so früh wie möglich ihre Projekte umzusetzen." Doch der neue Boom verspricht auch neue Strompreis-Diskussionen im Wahljahr. Denn die Stromverbraucher zahlen über die Ökostrom-Umlage für jedes Windrad mit. Wie viel sie aber für den neuen Windboom draufzahlen, hängt vor allem von der Höhe der Fördersätze ab - und die, so erwartet Energie-Staatssekretär Baake, dürften durch die Ausschreibung in Zukunft ordentlich unter Druck kommen. Das jedenfalls zeigten die Erfahrungen aus der Solarförderung, wo der Bund seit 2015 mit Ausschreibungen arbeitet. "Bei den Pilotausschreibungen für Photovoltaik ist in kurzer Zeit die Vergütung um 30 Prozent gesunken", sagt Baake. Dies wiederum komme den Stromkunden zugute - die "positive Folge von Wettbewerb". Auch die Branche selbst sieht den wachsenden Wettbewerb mittlerweile weitaus gelassener. "Wir sind auf Kostensenkungskurs", sagt Matthias Zelinger vom VDMA. Und selbst, wenn alle 5-vor-12-Genehmigungen irgendwann zu Windrädern geworden sind, gibt es noch genug zu tun: Zwei Drittel der Anlagen werden exportiert.
https://www.sueddeutsche.de/geld/architekt-der-mitarbeiter-rueckt-mehr-in-den-fokus-1.2998431
mlsum-de-698
Die Großraumkonzepte der Sechzigerjahre haben ausgedient. Wie eine moderne Arbeitsumgebung aussehen kann, erklärt der Architekt Karim El-Ishmawi, Mitgründer des Architekturbüros Kinzo.
Karim El-Ishmawi ist Mitbegründer und Geschäftsführer bei Kinzo, einem Berliner Architekturbüro, das sich auf Innenarchitektur für Arbeitsumgebungen spezialisiert hat. Herr El-Ishmawi, worin unterscheiden sich die neuen Arbeitsräume von Großraumbüros? Karim El-Ishmawi: Die Großraumstrukturen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren waren sehr monofunktional. Sie wurden dem Mitarbeiter nicht gerecht. Die Open-Floor-Konzepte von heute sind viel strukturierter. Sie ermöglichen unterschiedliche Arten der Arbeit an unterschiedlichen Orten im Büro. Sie haben offene und geschlossene Bereiche, die den Raum gliedern. Auf diese Weise entstehen Bereiche, die nicht größer sind als für vielleicht zwölf Personen. Das ist zwar offen, aber es ist gleichzeitig auch überschaubar für den einzelnen Mitarbeiter. Wozu dienen moderne Bürowelten? Es geht darum, die Kommunikation unter den Mitarbeitern zu verbessern. Das geht einher mit der Vorstellung, dass dies mit einem offeneren Grundriss leichter möglich ist. Die Arbeitsweise muss sich in einem Raumbild spiegeln. Gleichzeitig spielt die Identifikation mit einem Unternehmen eine große Rolle, vor allem bei der Mitarbeiterbindung. Der Mitarbeiter rückt mehr in den Fokus, weil er auch nicht mehr so leicht zu bekommen ist. Der Anreiz für die großen Unternehmen ist es, sich so aufzustellen, dass sie in der heutigen Zeit auch als moderne Unternehmen wahrgenommen werden. Sind solche Bürolandschaften eigentlich teurer als die üblichen Standardeinrichtungen? Man muss sich vor Augen halten, welche Kosten im Büro anfallen. Die Personalkosten machen den größten Teil aus. Die Immobilie und die Ausstattung sind im Verhältnis dazu eher gering. Wenn man ein gut funktionierendes Büro hat, in dem sich die Mitarbeiter wohlfühlen und gerne arbeiten, dann spart man Kosten an anderer Stelle ein. Etwa bei der Rekrutierung von Personal oder auch durch einen niedrigeren Krankenstand, weil alle Mitarbeiter viel zufriedener sind. Mehrkosten für die Büroeinrichtung amortisieren sich schnell. Braucht man für die veränderte Arbeitswelt besondere Büromöbel? In einem offenen Bürokonzept hat man per se weniger Abschirmungen, weniger Trennwände, weniger Struktur und damit einen höheren Anspruch an den Raum in puncto Akustik, aber auch Intimsphäre, Gemütlichkeit. Es sind mehr Menschen pro Quadratmeter auf einer Fläche. Daraus folgt auch, dass die Möbel deutlich mehr können müssen, als in einem Zellenbüro. Zum Beispiel? Wir haben einen Kran entwickelt, der in einem gelben Schaft die nötige Verkabelung an jeden Punkt in einem Raum bringt. Er ist entstanden aus der Einsicht, dass sich die Arbeitsplatzkonfiguration in einem bestimmten Bereich oft ändert. Ein Tisch auf Rollen wird im Raum zu immer neuen Konfigurationen zusammengestellt. Man braucht überall Strom, und Netzwerkverkabelung. Der Kran ist schwenkbar, hat einen bestimmten Radius und hält den Boden frei von Kabeln. Der Kran ist auch ein Identifikationsmerkmal. Er gibt dem Raum einen besonderen Charakter. Bei klassischen Unterflursystemen ist man immer darauf angewiesen, die Steckdose an der einmal festgelegten Stelle zu haben. Das ist keine echte Flexibilität.
https://www.sueddeutsche.de/sport/formel-1-mercedes-riskiert-entwicklungsvorsprung-1.2704315
mlsum-de-699
Der führende Formel-1-Rennstall als PS-Sozialist: Mercedes stimmt einer Lockerung der Regeln zu und riskiert, seinen Vorsprung einzubüßen.
Verglichen mit den Rennwagen, um die es geht, bewegen sich die Regelhüter der Formel 1 im Schneckentempo. Was auch daran liegt, dass die beteiligten Teams das Reglement selbst mitbestimmen dürfen. Und da gönnt keiner dem anderen auch nur ein Schräubchen mehr, das diesem zum Vorteil gereichen könnte. Deshalb kommt das jüngste Sitzungsergebnis der zuständigen Kommission einer Revolution gleich. Beschlossen wurde, die Beschränkungen bei der Weiterentwicklung der Hybrid-Antriebsstränge schon jetzt und nicht erst 2017 aufzuheben. Weil Einstimmigkeit gefordert ist, bedeutet das, dass Branchenführer Mercedes zugestimmt haben muss - und somit vielleicht seinen Entwicklungsvorsprung riskiert. Renault wurde von höchster Konzernebene Hilfe angeboten "Wir können keine Hardliner sein und das Regelwerk immer nur in unsere Richtung optimieren. Insofern ist eine Lockerung der Regularien im Sinne der Formel 1 und im Sinne von Mercedes", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Das Kalkül der Gegner: Dann könne man aufholen. Die Absicht von Formel-1-Chef Bernie Ecclestone: Dann werden die Rennen wieder spannender. Wolff gibt sich offiziell als PS-Sozialist: "Wir müssen den anderen Luft zum Atmen geben." Dem Rivalen Renault hat man sogar auf höchster Daimler-Konzernebene Entwicklungshilfe angeboten, damit die Franzosen sich leichter entscheiden können, wieder mit einem eigenen Werksrennstall anzutreten - und damit dem gesamten Grand-Prix-Sport weiterhin Wertigkeit geben. Vielleicht ist die Geste auch so großzügig nicht, denn angesichts der Überlegenheit von Mercedes in den letzten anderthalb Rennjahren kann man intern davon ausgehen, sich selbst von einem hohen Level aus weiterzuentwickeln und dominant zu bleiben. Möglich, dass man in diesem Jahr nicht immer die Leistungsreserven voll ausgeschöpft hat. Nach Austin, zum viertletzten Lauf der WM, reist die Silberpfeil-Truppe bereits als Konstrukteurs-Weltmeister an, und beim Großen Preis der USA könnte bereits auch die Titelverteidigung in der Fahrerwertung perfekt gemacht werden. Lewis Hamilton müsste dazu neun Punkte mehr holen als Sebastian Vettel und zwei mehr als sein direkter Gegenspieler Nico Rosberg. Der dritte Titel für den Briten ist, unabhängig von den in Texas drohenden Schlechtwetter-Kapriolen, wohl nur eine Frage der Zeit.
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/sport/fussball-machtlos-in-der-ersten-dimension-1.3872338
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Die SpVgg Unterhaching wird ihrer Favoritenrolle beim 0:1 in Chemnitz nur anfangs gerecht. Dann fällt ihr gegen das Hoch-und-Weit der Sachsen nicht mehr viel ein.
Man könnte es den Winkler-Koeffizienten nennen. Alexander Winkler ist Verteidiger bei der SpVgg Unterhaching, eher der Typ rustikal, weshalb er in der aktuellen Drittliga-Saison schon zehn gelbe Karten gesammelt hat. Der 26-Jährige steht damit auf Platz zwei im Gelb-Ranking, nur Robert Andrich vom SV Wehen Wiesbaden hat eine mehr. Die zehnte Verwarnung holte sich Winkler vergangenen Samstag beim FC Chemnitz ab. Weil auch sein Trainer Claus Schromm diese Ausbeute für "rekordverdächtig" hält, sei das nun etwas, woran man arbeiten müsse. Freilich nicht am nächsten Samstag zu Hause gegen die Sportfreunde Lotte. Denn da wird Winkler zum zweiten Mal gesperrt fehlen. Hachings Problemzone ist ohne Zweifel die Abwehr, das wurde auch bei der 1:2 (1:1)-Niederlage beim Drittletzten deutlich. "Wir kommen gut ins Spiel, kontrollieren es eigentlich. Und gehen auch noch in Führung", sagte Schromm. Dann aber "haben wir schlecht verteidigt und einen großen Teil dazu beigetragen", die Führung aus der Hand zu geben. Wenn Winkler eine gelbe Karte bekommt, ist das ein Indiz: Erst zweimal hat Unterhaching gewonnen, wenn er den Karton gesehen hat. Und in den fünf Spielen seit der Winterpause sah er schon viermal Gelb, davor in neun Partien nur einmal (bei der 0:3-Niederlage gegen Rostock). Mit anderen Worten: Sobald Unterhachings Abwehr gezwungen ist, ruppiger zu spielen, springen meist auch keine Punkte heraus. Auch wenn Winklers Foul in Chemnitz (37.) nicht ruppig, sondern eher taktischer Natur war. "Den kann man schon halten", sagt Trainer Claus Schromm über den Chemnitzer Siegtreffer Die Gäste wurden zunächst ihrer Favoritenrolle gerecht. Sie nutzten die Räume, die der Gastgeber anbot, das Team konnte sich zudem auch diesmal auf sein Umschaltspiel verlassen. Winkler war es, der in der 16. Minute im Mittelfeld einen Zweikampf gewann - die Chemnitzer wollten an dieser Stelle ein Foul gesehen haben. Dann ging es schnell nach vorne, Sascha Bigalke flankte von links, der Ball erreichte den mitgelaufenen Finn Porath inmitten dreier Gegenspieler. Porath, der am vergangenen Sonntag gegen den Halleschen FC (1:1) sein erstes Tor für Haching erzielte hatte, legte sogleich nach und spitzelte den Ball an Chemnitz' Keeper Kevin Tittel vorbei zur Führung (16.). "Chemnitz hatte eigentlich nur ein Stilmittel", sagte Schromm: weite Bälle auf die Stürmer, die dann für einen Mitspieler ablegen. Und Schromm ärgerte sich, dass seine Abwehr diese eindimensionale Spielweise nicht in den Griff bekam. Elf Minuten nach der Führung stand so Florian Hansch frei, wenngleich eigentlich aus sehr spitzem Winkel. Doch dann ließ Torwart Korbinian Müller den Ball überraschend passieren, er prallte ihm im Fallen an die rechte Hand und flog ins Netz. "Den kann man schon haben", so der Kommentar des Trainers. Schromm pflegt auf vielen Positionen einen vitalen Konkurrenzkampf, vor allem im Mittelfeld. Auf der Torwartposition ist die Situation eine andere. Auch wenn Müller in den vergangenen Wochen in mehreren Situationen nicht gerade souverän agierte, so habe man sich im Trainerteam noch nicht damit befasst, dem zweiten Torwart Lukas Königshofer eine Chance zu geben, erklärte Schromm. Kurz danach hätte Dominik Stahl mit einem abgefälschten Schuss beinahe die erneute Führung erzielt (35.), insgesamt blieb Haching diesmal aber auch im Angriff zu harmlos. Beim zweiten Gegentreffer kurz nach dem Seitenwechsel war Torhüter Müller machtlos: Dennis Grote kam am Sechzehner frei zum Schuss. Er traf zwar nur den Pfosten, doch der Abpraller landete direkt vor dem Fuß von Tom Baumgart, der mühelos einschob (50.). Es folgten noch ein Weitschuss des eingewechselten Orestis Kiomourtzoglou (77.) sowie eine gelb-rote Karte für den Chemnitzer Alexander Dartsch (82.). Die Überzahl nutzte Haching nicht, zumal es auch im Angriff einen starkes Indiz für Hachinger Erfolg oder Misserfolg gibt: Stephan Hain vertändelte kurz vor Schluss einen Ball. Sein letztes Tor, Anfang Dezember gegen Bremen II, markiert auch den bis dato letzten Hachinger Sieg.